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diff --git a/.gitattributes b/.gitattributes new file mode 100644 index 0000000..d7b82bc --- /dev/null +++ b/.gitattributes @@ -0,0 +1,4 @@ +*.txt text eol=lf +*.htm text eol=lf +*.html text eol=lf +*.md text eol=lf diff --git a/LICENSE.txt b/LICENSE.txt new file mode 100644 index 0000000..6312041 --- /dev/null +++ b/LICENSE.txt @@ -0,0 +1,11 @@ +This eBook, including all associated images, markup, improvements, +metadata, and any other content or labor, has been confirmed to be +in the PUBLIC DOMAIN IN THE UNITED STATES. + +Procedures for determining public domain status are described in +the "Copyright How-To" at https://www.gutenberg.org. + +No investigation has been made concerning possible copyrights in +jurisdictions other than the United States. 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If you are not located in the United States, you'll have -to check the laws of the country where you are located before using this ebook. - -Title: Sewastopol - -Author: Leo N. Tolstoj - -Editor: Raphael Löwenfeld - -Illustrator: J. V. Cissarz - -Release Date: April 17, 2017 [EBook #54560] - -Language: German - -Character set encoding: ISO-8859-1 - -*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK SEWASTOPOL *** - - - - -Produced by Heike Leichsenring and the Online Distributed -Proofreading Team at http://www.pgdp.net - - - - - -Anmerkungen zur Transkription: - -Umschließungen mit * zeigen "gesperrt" gedruckten Text an, -Umschließungen mit _ Text, der im Original in einer anderen Schriftart -dargestellt war. - -Offensichtliche Druckfehler wurden berichtigt. Im Übrigen wurden -Inkonsistenzen in der Interpunktion und Schreibweise einzelner Wörter -belassen. Eine Liste mit sonstigen Korrekturen finden Sie am Ende des -Buchs. - -Im Original beginnt jeder Abschnitt mit einem Ornament, und jede -Geschichte endet so. Diese sind für die reine Textfassung entfernt -worden. - - - - - Leo N. Tolstoj - Novellen Band _III_ - - - - - Leo N. Tolstoj - - Sämtliche Werke - - Von dem Verfasser genehmigte - Ausgabe von - Raphael Löwenfeld - - III. Serie - - Dichterische Schriften - - Band - 5 - - Mit Buchausstattung von J. B. Cissarz - - - - - Leo N. Tolstoj - - Sewastopol - - im Dezember * Sewastopol im Mai * Sewastopol im August * - Der Holzschlag * Begegnung im Felde * Der Überfall - - 3. Auflage - - Verlegt bei Eugen Diederichs, Leipzig 1901 - - - - -Inhalt - - - Sewastopol im Dezember 1 - - Sewastopol im Mai 34 - - Sewastopol im August 105 - - - *Kaukasische Erzählungen* - - Ein Überfall 217 - - Der Holzschlag 267 - - Begegnung im Felde 339 - - - - -Sewastopol - -im Dezember 1854, im Mai und -August 1855 - - -Leo Tolstoj war aus dem Kaukasus in die Heimat zurückgekehrt. Er -war Soldat und konnte sich -- nach den kleinen Scharmützeln mit den -ungebändigten Gebirgsstämmen, -- auch dem gewaltigen Völkerkriege -nicht entziehen, dessen Schauplatz die Krim ward. Vor Sewastopol fiel -die Entscheidung in diesem ungleichen Kampfe, den Rußland gegen zwei -Großmächte des Westens zu führen hatte. - -Am 23. September hatten die Russen ihre ganze Flotte in das Schwarze -Meer versenkt, um den Angriff von der Seeseite her zu vereiteln, und -Totlebens Kunst hatte die Festung durch Aufführung von Forts und -Bastionen zu einer fast uneinnehmbaren gemacht. Die fortgesetzte -Beschießung aber mit ihren Opfern an Menschenleben, die Abschneidung -der Zufuhr von Lebensmitteln und die gänzliche Ermattung des russischen -Heeres führten endlich am 27. August 1855 nach einem furchtbaren -Sturmangriff zur Uebergabe Sewastopols. - -Alle Leiden des russischen Heeres hatte der junge Offizier in der -vierten Bastion, an einer der gefährlichsten Stellen der belagerten -Festung, mitgemacht. Und gewohnt, das Erlebte im dichterischen -Spiegelbilde festzuhalten, bannte Leo Tolstoj auch die Leidenstage von -Sewastopol in drei gewaltige Schilderungen, die das entzückte Rußland -mit steigender Bewunderung las, während noch der Heldenmut seiner -Söhne vergeblich um den Sieg rang. Kaiser Nikolaus selbst, der Urheber -des großen Völkerunglücks, war von dem Werke des jungen Offiziers -begeistert. Er gab den Befehl, ihn von dem gefährlichen Orte zu -entfernen, damit das Leben eines zukunftsreichen Talents geschont werde. - -Tolstoj wählte für seine Schilderungen den Anfang, den Höhepunkt und -das Ende der Kämpfe vor Sewastopol, und benennt sie äußerlich nach der -Zeit: Sewastopol im Dezember, Sewastopol im Mai, Sewastopol im August. - -Aus diesen drei Augenblicksbildern sprechen mit beredten Worten das -tiefe Mitgefühl mit den Leiden des Volks, die Bewunderung für seine -unwandelbare Tapferkeit und Leidensfähigkeit, der große Schmerz um den -Völkerwahn des Krieges, die Geringschätzung für Eigenschaften, die eine -hergebrachte Anschauung Tugenden nennt -- genug, all die Grundideen -Tolstojscher Ethik, die auch in seinen anderen dichterischen Werken zum -Ausdruck kommen, und die erst im sechsten Jahrzehnt seines Lebens sich -zu einer systematischen Weltanschauung verdichten sollten. - -Aber trotz des scheinbar auf sittliche Ziele gerichteten Inhalts ist -die Schilderung von ruhigster Sachlichkeit. Dem Dichter ist nichts -gut, nichts böse; nicht zur Nachahmung aneifern will er in seinen -Schilderungen der Tapferkeit, nicht abschrecken vom Bösen durch -grausige Darstellung des Entsetzlichen, nicht einmal in den einzelnen -Personen, die er handeln läßt, Muster kriegerischer Tugenden oder -abschreckende Beispiele des Gegenteils vorführen. Die Menschen alle -»können nicht die Uebelthäter, noch die Helden der Erzählung sein«. - -»Der Held meiner Erzählung -- sagt Tolstoj -- den ich mit der ganzen -Kraft meiner Seele liebe, den ich in ganzer Schöne zu schildern bemüht -war, und der immer schön gewesen ist und immer schön sein wird -- ist -die Wahrheit.« - -Erscheinen in dieser Hinsicht die Schilderungen der Sewastopoler Kämpfe -gewissermaßen als eine kunstlose Wiedergabe der Wirklichkeit, so zeigt -sich die berechnende Kunst des Dichters deutlich in der Steigerung, die -in der Wahl der drei Momente liegt, die von entscheidender Bedeutung -für den Krieg waren: die Zeit der Entwicklung, der Wendung und des -tragischen Abschlusses. - -Alle drei Skizzen sind unter den Eindrücken der Sewastopoler -Leidenstage selbst geschrieben, in den Jahren 1854 und 1855. Zwischen -ihnen liegt nur die Abfassung der kurzen Erzählung: »Der Holzschlag«. - -Die Kritik nahm die Sewastopoler Skizzen mit Bewunderung auf. Sie waren -das erste Werk Leo Tolstojs, das einen allgemeinen, unbestrittenen -Erfolg hatte. Das lesende Rußland sah in den poetischen Schilderungen -des Grafen Tolstoj nicht bloß interessante Thatsachen in der Wiedergabe -eines Augenzeugen, nicht bloß begeisterte Erzählungen von Heldenthaten, -die auch den Leidenschaftslosesten hätten fortreißen können; jeder -Leser erblickte darin die Verherrlichung der nationalen Tapferkeit und -die Verewigung ihres Andenkens. - -Nie vorher hatte Rußland Soldatenschilderungen solcher Art gekannt. -Skobelews vielgelesene Erzählungen waren unter den Vorurteilen einer -schönfärberischen Vaterlandsliebe entstanden und sind die Schöpfungen -einer mittelmäßigen Dichtergabe. Tolstoj strebte nach einer treuen -Wirklichkeitsschilderung und besaß zugleich die Kraft, dem Alltäglichen -den Charakter des Erhabenen zu geben. - - R. L. - - - - -*Sewastopol* im December 1854 - - -Eben beginnt die Morgenröte den Horizont über dem Ssapunberg zu -färben; die dunkelblaue Meeresfläche hat bereits das nächtliche Dunkel -abgestreift und erwartet den ersten Sonnenstrahl, um in glänzenden -Farben zu spielen; von der Bucht her weht es kalt und neblig; es -liegt kein Schnee, alles ist schwarz, aber der scharfe Morgenfrost -greift das Gesicht an und macht die Erde unter den Füßen knirschen; -nur das entfernte, unaufhörliche, bisweilen von rollenden Schüssen in -Sewastopol übertönte Brausen des Meeres unterbricht die Stille des -Morgens. Auf den Schiffen ist es still; die achte Stunde schlägt. - -Auf der Nordseite beginnt allmählich die Ruhe der Nacht der Thätigkeit -des Tages zu weichen: hier marschiert eine Wachablösung, mit den -Gewehren klirrend, vorbei; dort eilt ein Arzt schon ins Lazarett; -hier kriecht ein Soldat aus einer Erdhütte, wäscht sich mit eisigem -Wasser das sonnenverbrannte Gesicht und betet, nach dem sich rötenden -Osten gewendet und sich schnell bekreuzigend, zu Gott; hier -schleppt knarrend eine hohe, schwere, mit Kamelen bespannte Madshara -(tatarischer Bauernwagen) blutige Leichen, mit denen sie fast bis an -den Rand beladen ist, zur Beerdigung auf den Kirchhof ... Wir gehen -auf den Hafen zu, -- hier schlägt uns ein eigentümlicher Geruch von -Steinkohlen, Dünger, Feuchtigkeit und Fleisch entgegen; tausend -verschiedenartige Gegenstände -- Brennholz, Fleisch, Schanzkörbe, Mehl, -Eisen u. s. w. -- liegen haufenweis am Hafen; Soldaten verschiedener -Regimenter, mit Säcken und Gewehren, ohne Säcke und ohne Gewehre, -drängen sich hier, rauchen, zanken sich, schleppen Lasten auf den -Dampfer, der rauchend an der Landungsbrücke liegt; Privatkähne, voll -von allerlei Volk, -- von Soldaten, Seeleuten, Kaufleuten, Weibern, -- -legen an oder stoßen ab. - -Nach der Grafßkaja, Euer Wohlgeboren, wenn's gefällig ist! bieten uns -zwei oder drei verabschiedete Matrosen ihre Dienste an, indem sie in -ihren Böten aufstehen. - -Wir wählen den, der uns am nächsten ist, schreiten über den -halbverfaulten Kadaver eines braunen Pferdes, der hier im Schmutz in -der Nähe des Bootes liegt, und gehen an's Steuerruder. Wir stoßen vom -Ufer ab. Rings um uns haben wir das schon in der Morgensonne glänzende -Meer, vor uns den alten Matrosen, in einem Überrock aus Kamelhaar, und -einen blonden Knaben, die unter Schweigen emsig die Ruder führen. -Wir sehen die vielen segelfertigen Schiffe, die nah und fern in der -Bucht zerstreut sind, die kleinen, schwarzen Punkte der auf dem -glänzenden Azur des Meeres sich bewegenden Schaluppen und die auf der -andern Seite der Bucht befindlichen, durch die hellroten Strahlen der -Morgensonne gefärbten, schönen und hellen Häuser der Stadt; wir sehen -die schaumbespritzte Linie des Molo und der versenkten Schiffe, deren -schwarze Mastenspitzen hie und da düster aus dem Wasser ragen; unserm -Blicke begegnet die entfernte feindliche Flotte, die am kristallenen -Horizont des Meeres unthätig daliegt, endlich sehen wir die durch -unsere Ruder in den schäumenden Wellen in die Höhe geworfenen und -springenden Tropfen der Salzflut; wir hören den einförmigen Laut von -Stimmen, die über das Wasser her zu uns dringen, und die majestätischen -Töne der Kanonade, die, wie uns scheint, immer stärker wird in -Sewastopol. - -Es ist unmöglich, daß bei dem Gedanken: auch wir sind in Sewastopol, -unsere Seele nicht das Gefühl eines gewissen Mutes und Stolzes -durchdringe, und das Blut nicht schneller in unsern Adern fließe. - -Euer Wohlgeboren! Steuern Sie direkt auf den Kistentin (das Schiff -»Konstantin«), sagt zu uns der alte Matrose, indem er sich rückwärts -wendet, um die Richtung, die wir dem Boote geben, zu berichtigen, das -Steuerruder rechts! - -Und er hat noch all seine Kanonen! bemerkt der blonde Bursche, während -er am Schiffe vorbeirudert und es betrachtet. - -Freilich. Er ist neu, Kornilow hat ihn befehligt, bemerkt der Alte, -indem er ebenfalls das Schiff betrachtet. - -Sieh, wie sie geplatzt ist! sagt der Knabe nach einem längeren -Schweigen, indem er auf ein weißes Wölkchen zerfließenden Rauches -sieht, das sich plötzlich hoch über der südlichen Bucht erhebt und von -dem lauten Krachen einer platzenden Bombe begleitet ist. - -Er feuert heut aus einer neuen Batterie, fügt der Alte hinzu, indem -er sich gleichmütig in die Hände spuckt. Nun, Mischka, zugerudert, -wir wollen die Barkasse überholen! ... Und unser Boot eilt schneller -vorwärts über die weite, wogende Bucht, überholt wirklich die schwere -Barkasse, die mit Säcken beladen ist und von ungeschickten Soldaten -ungleich gerudert wird, und landet, zwischen einer Menge am Ufer -befestigter Böte, im Grafßkaja-Hafen. - -Auf dem Uferdamm bewegen sich lärmend Scharen von Soldaten in -grauen Mänteln, von Matrosen in schwarzen Winterröcken und von -buntgekleideten Frauen. Alte Weiber verkaufen Semmeln, Bauern mit -Theemaschinen schreien: »Heißer Sbitjen!«[A] und dort auf den ersten -Stufen der nach dem Landungsplatz führenden Treppe liegen verrostete -Kanonenkugeln, Bomben, Kartätschen und gußeiserne Kanonen verschiedenen -Kalibers; etwas weiter ist ein großer Platz, auf dem mächtige Balken, -Kanonenlafetten, schlafende Soldaten liegen, und Pferde, Fuhrwerke, -grüne Pulverkasten mit Geschützen, und Sturmgeräte der Infanterie -stehen; Soldaten, Matrosen, Offiziere, Weiber, Kinder und Kaufleute -bewegen sich durcheinander; Bauernwagen mit Heu, mit Säcken und Fässern -kommen angefahren; hier reitet ein Kosak und ein Offizier, dort fährt -ein General in einer Droschke. Rechts ist die Straße durch eine -Barrikade gesperrt, auf der in Schießscharten kleine Kanonen stehen; -neben diesen sitzt, seine Pfeife rauchend, ein Matrose. Links erhebt -sich ein hübsches Haus mit römischen Ziffern an der Stirnseite, vor -dem Soldaten neben blutigen Tragbahren stehen, -- überall sehen wir -die häßlichen Spuren des Lagerlebens im Kriege. Der erste Eindruck, -den wir empfinden, ist jedenfalls der unangenehmste; die eigentümliche -Vermischung des Lagerlebens mit städtischem Leben und Treiben, der -schönen Stadt mit dem schmutzigen Biwak ist nicht nur unschön, sondern -kommt uns wie ein widerwärtiges Durcheinander vor; es scheinen uns -sogar alle bestürzt und unruhig, und nicht zu wissen, was sie thun -sollen. Aber wenn wir den Menschen, die sich um uns herum bewegen, -näher ins Gesicht sehen, kommen wir zu einer ganz andern Ansicht. -Betrachten wir nur diesen Train-Soldaten, der seine drei Braunen zur -Tränke führt, und so ruhig vor sich hinsummt, daß man ihm anmerkt, er -wird sich in dieser bunten Menge, die für ihn nicht existiert, nicht -verirren, er verrichtet seine Arbeit, welche es immer sei, ob Pferde -zu tränken, oder am Geschütz zu ziehen, ebenso ruhig, selbstvertrauend -und gleichgültig, als wenn das alles irgendwo in Tula oder Saransk -geschehe. Denselben Ausdruck lesen wir auch auf dem Gesicht des jungen -Offiziers, der in tadellosen weißen Handschuhen vorbeigeht, auf dem -Gesicht des Matrosen, der rauchend auf der Barrikade sitzt, auf den -Gesichtern der als Träger verwendeten Soldaten, die mit Bahren auf der -Außentreppe des ehemaligen Kasinos warten, und auf dem Gesicht des -Mädchens, das, in der Furcht, sein rosafarbenes Kleid naß zu machen, -von Stein zu Stein über die Straße hüpft. - - [A] Getränk aus Wasser, Honig und Lorbeerblättern oder Salbei, das von - den Aermeren als Thee getrunken wird. Anm. d. Herausg. - -Wenn wir zum erstenmal in Sewastopol ankommen, sind wir unbedingt -enttäuscht. Wir suchen vergebens, auch nur auf einem Gesicht, Spuren -von Unruhe und Kopflosigkeit, oder auch von Begeisterung, Todesmut -und Entschlossenheit, -- nichts von alledem: wir sehen ruhig mit -ihrer Alltagsarbeit beschäftigte Alltagsmenschen, so daß wir uns -vielleicht selbst ein Übermaß von Enthusiasmus vorwerfen, daß wir leise -Zweifel hegen an der Richtigkeit der Vorstellung von dem Heldenmut -der Verteidiger Sewastopols, die wir uns nach den Erzählungen, den -Beschreibungen gebildet haben und dem, was wir auf der Nordseite -gesehen und gehört. Aber ehe wir zweifeln, gehen wir auf die Bastionen, -betrachten wir Sewastopols Verteidiger auf dem Schauplatz der -Verteidigung selber, -- oder noch besser, gehen wir direkt in das Haus -gegenüber, das früher das Sewastopoler Kasinogebäude gewesen und auf -dessen Außentreppe Soldaten mit Tragbahren stehen, -- da werden wir die -Verteidiger Sewastopols sehen, da werden wir schreckliche, traurige, -große, Erstaunen erregende und herzerhebende Szenen sehen. - -Wir wollen in den großen Saal des Kasinos gehen. Kaum haben wir die -Thür geöffnet, da erschreckt uns plötzlich der Anblick und der Geruch -von vierzig oder fünfzig amputierten, sehr schwer verwundeten Kranken, -die einen auf Pritschen, die meisten auf der Diele liegend. Wir dürfen -dem Gefühl, das uns an der Schwelle zurückhält, nicht nachgeben -- es -ist kein schönes Gefühl; gehen wir nur vorwärts, schämen wir uns nicht, -daß wir gekommen, von den quälendsten Schmerzen Gepeinigte zu *sehen* --- schämen wir uns nicht, zu ihnen zu gehen und mit ihnen zu sprechen: -die Unglücklichen sehen gern ein mitfühlendes Menschenantlitz, sprechen -gern von ihren Qualen und hören gern Worte der Liebe und Teilnahme ... -Wir wollen in der Mitte der Lagerstätten entlang gehen und ein weniger -düsteres und schmerzdurchfurchtes Gesicht suchen, zu dem wir hingehen -können, um zu sprechen. - -Wo bist du verwundet? -- fragen wir unentschlossen und zaghaft einen -alten, abgemagerten Soldaten, der auf einer Pritsche sitzt, uns mit -einem treuherzigen Blicke verfolgt und uns aufzufordern scheint, an -ihn heranzukommen. Ich sage: zaghaft fragen wir, weil Leiden nicht nur -tiefes Mitgefühl, sondern auch Scheu vor der Möglichkeit zu beleidigen -und Hochachtung vor dem, der sie erträgt, einflößen. - -Am Bein, antwortet der Soldat, aber zugleich bemerken wir selber an den -Falten der Decke, daß ihm ein Bein bis zum Knie fehlt. Gott sei Dank, -fügt er hinzu: ich werde jetzt aus dem Lazarett entlassen werden. - -Und ist es schon lange her, daß du verwundet worden bist? - -Ja, vor sechs Wochen, Euer Wohlgeboren. - -Schmerzt es dich jetzt? - -Nein, jetzt schmerzt es nicht, -- gar nicht; nur die Wade scheint mir -weh zu thun, wenn schlechtes Wetter ist, das ist alles. - -Wie und wo bist du verwundet worden? - -Auf der fünften Bastion, Euer Wohlgeboren, wie das erste Bombardement -war, ich hatte das Geschütz hergerichtet, wollte nach einer anderen -Schießscharte gehen, und da traf er mich ins Bein, es war mir, als ob -ich in eine Grube stürzte, -- fort war das Bein. - -Empfandest du nicht Schmerz in diesem ersten Augenblick? - -Nein, nur ein Gefühl, als wenn ich mit etwas Heißem ans Bein gestoßen -würde. - -Nun, aber dann? - -Und dann war weiter nichts; nur als man mir die Haut straff zog, war -mir, als ob sie wund gerieben würde. Das Erste, Euer Wohlgeboren, ist, -*an nichts denken*; wenn man nichts denkt, dann ist auch weiter nichts. -Alles kommt daher, daß der Mensch denkt. - -Da tritt an uns eine Frau heran, in einem grauen gestreiften Kleide, -mit einem um den Kopf gebundenen schwarzen Tuch, sie mischt sich in -unser Gespräch mit dem Matrosen und beginnt von ihm zu erzählen, von -seinen Leiden, dem verzweifelten Zustande, in dem er sich vier Wochen -lang befunden, -- wie er, verwundet, die Tragbahre hatte anhalten -lassen, um die Salve unserer Batterie zu sehen, wie die Großfürsten mit -ihm gesprochen und ihm 25 Rubel geschenkt, und wie er ihnen gesagt, daß -er wieder auf die Bastion wolle, um die jungen Leute zu unterweisen, -wenn er selber nicht mehr arbeiten könnte. Während die Frau dies in -einem Atem hersagt, sieht sie bald uns, bald den Matrosen an, der, -abgewandt und als wenn er nicht auf sie hörte, auf seinem Kopfkissen -Charpie zupft, -- und ihre Augen leuchten dabei von einem besonderen -Entzücken. - -Das ist meine Hausfrau, Euer Wohlgeboren! bemerkt uns der Matrose, mit -einem Ausdrucke, als wenn er spräche: Sie müssen ihr schon verzeihen, -es ist einmal so, Weiber müssen dummes Zeug schwatzen. - -Wir beginnen die Verteidiger Sewastopols zu verstehen, wir schämen -uns förmlich vor diesem Menschen. Wir möchten ihm gar viel sagen, um -ihm unser Mitgefühl und unsere Bewunderung auszudrücken, aber wir -finden keine Worte oder sind nicht zufrieden mit denen, die uns gerade -einfallen, und beugen uns schweigend vor dieser schweigsamen und -unbewußten Größe und Stärke des Geistes, dieser Scham vor dem eigenen -Werte. - -Nun möge Gott dich bald gesund werden lassen, sagen wir zu ihm und -bleiben vor einem anderen Kranken stehen, der auf der Diele liegt und -in unerträglichen Schmerzen den Tod zu erwarten scheint. - -Es ist ein blonder Mensch mit einem geschwollenen und bleichen Gesicht. -Er liegt auf dem Rücken, den linken Arm hinten unter gelegt, in -einer Lage, die fürchterliche Schmerzen ausdrückt. Der vertrocknete, -geöffnete Mund stößt mit Mühe röchelnden Atem aus; die blauen, -glanzlosen Augen rollen nach oben gerichtet, und aus der umgeschlagenen -Decke ragt der mit Binden umwundene Stumpf des rechten Arms hervor. Der -dumpfige Geruch, den der leblose Körper ausströmt, fällt uns stark auf -die Brust, und die verzehrende, innerliche Hitze, die alle Glieder des -Dulders durchdringt, bemächtigt sich auch unser. - -Wie, ist er besinnungslos? fragen wir die Frau, die hinter uns geht und -uns, wie Verwandte, freundlich ansieht. - -Noch nicht, er hört, befindet sich aber sehr schlecht, fügt sie -flüsternd hinzu, ich habe ihm heute Thee zu trinken gegeben; obwohl -er mir fremd ist, so muß man doch Mitleiden haben, -- er hat fast gar -nicht mehr getrunken. - -Wie fühlst du dich? fragen wir ihn. - -Der Verwundete bewegt auf unsere Frage die Pupillen, aber er sieht und -versteht uns nicht. - -Im Herzen brennt's. - -Ein wenig weiter sehen wir einen alten Soldaten, der die Wäsche -wechselt. Sein Gesicht und Körper sind ziegelfarbig und mager wie bei -einem Skelett. Der eine Arm fehlt ihm gänzlich, er ist ihm an der -Schulter abgenommen worden. Er sitzt gefaßt da, -- er befindet sich -auf dem Wege der Besserung; aber an dem toten, trüben Auge, an der -schrecklichen Magerkeit und den Runzeln des Gesichts erkennen wir, daß -dieses Wesen schon den größeren Teil seines Lebens durchlitten hat. - -Auf der anderen Seite sehen wir auf einer Pritsche ein leidendes, -bleiches und zartes Frauengesicht, auf dessen Wangen flammende Röte -spielt. - -Das ist unsere Matrosenfrau, am 5. hat sie eine Bombe am Bein -getroffen, sagt uns unsere Führerin, sie brachte ihrem Manne Essen auf -die Bastion. - -Hat man sie amputiert? - -Sie ist über'm Knie amputiert worden. - -Jetzt gehen wir durch eine Thür links, wenn unsere Nerven stark sind; -in diesem Zimmer werden die Verwundeten verbunden und operiert. Wir -sehen hier die Ärzte mit Blut an den Armen bis zu den Ellbogen und mit -blassen, finsteren Gesichtern um eine Pritsche beschäftigt, auf der -mit geöffneten Augen und wie im Fieber sinnlose, bisweilen einfache -und rührende Worte sprechend, ein Verwundeter chloroformiert liegt. -Die Ärzte sind mit einer widerwärtigen, aber wohlthätigen Arbeit -beschäftigt. Wir sehen, wie ein scharfes krummes Messer in den weißen, -gesunden Körper einschneidet; -- wir sehen, wie der Verwundete mit -einem schrecklichen, herzzerreißenden Schrei und mit Verwünschungen -plötzlich zur Besinnung kommt; -- wir sehen, wie der Feldscher den -abgeschnittenen Arm in eine Ecke wirft; -- wir sehen in demselben -Zimmer, auf einer Tragbahre, einen anderen Verwundeten liegen, der -beim Anblick der Operation des Kameraden sich windet und stöhnt, nicht -so sehr aus körperlichem Schmerz, wie aus Qual und Erwartung; -- wir -sehen schreckliche, herzerschütternde Szenen, wir sehen den Krieg -nicht in dem üblichen schönen und glänzenden Gewande, mit Musik und -Trommelklang, mit wehenden Fahnen und Generalen hoch zu Rosse, wir -sehen den Krieg in seinem wahren Wesen -- in Blut, in Leiden, in Tod ... - -Treten wir aus diesem Hause der Qualen heraus, so empfinden wir -unfehlbar ein tröstliches Gefühl, atmen voller die frische Luft ein, -empfinden Vergnügen im Bewußtsein unserer Gesundheit, schöpfen aber -zugleich aus der Anschauung dieser Leiden das Bewußtsein unserer -eigenen Nichtigkeit und gehen ruhig und entschlossen auf die Bastionen -... - -»Was bedeutet der Tod und die Leiden eines so nichtigen Wurmes, -wie ich, im Vergleich zu dem Tode und dem Leiden so vieler?« Aber -der Anblick des klaren Himmels, der strahlenden Sonne, der schönen -Stadt, der geöffneten Kirche und des Kriegsvolks, das sich nach allen -Richtungen hin bewegt, versetzt unsern Geist schnell in den normalen -Zustand des Leichtsinns, der Alltagssorgen und des Genusses der -Gegenwart. - -Vielleicht begegnen wir einem aus der Kirche kommenden Begräbnis eines -Offiziers, mit einem rosafarbenen Sarge, mit Musik und fliegenden -Fahnen; an unser Ohr dringen vielleicht die Töne der Kanonade von den -Bastionen, aber das versetzt uns nicht in die frühere Stimmung zurück: -das Leichenbegängnis erscheint uns als ein wunderschönes militärisches -Schauspiel, die Töne als ein minder schönes Kriegsgetön, und wir -verknüpfen weder mit diesem Schauspiel, noch mit diesen Tönen den -klaren, uns selbst betreffenden Gedanken an Leiden und Tod, wie wir das -an dem Verbandort gethan haben. - -An der Kirche und Barrikade vorüber kommen wir nach dem belebtesten -Stadtteil. Auf beiden Seiten befinden sich Aushängeschilder von -Verkaufsläden und Gastwirtschaften. Kaufleute, Frauen in Hüten -und Tüchern, stutzerhafte Offiziere, -- alles spricht uns von der -Standhaftigkeit, dem Selbstvertrauen und der Sicherheit der Einwohner. - -Wir müssen in ein Gasthaus rechter Hand gehen, wenn wir ein Gespräch -von Seeleuten und Offizieren hören wollen; hier werden jedenfalls -Gespräche über die verflossene Nacht, über Fenjka, über den 24. -geführt, darüber, wie schlecht und teuer man die Koteletts bekommt, und -wie der und jener Kamerad gefallen ist. - -Hol's der Teufel, wie arg es heut bei uns ist! spricht mit Baßstimme -ein bartloser Marineoffizier mit blonden Augenbrauen und Wimpern, der -eine grüne, gestrickte Schärpe trägt. - -Wo ist das -- bei uns? fragt ihn ein anderer. - -Auf der vierten Bastion, antwortet der junge Offizier, und wir -betrachten unfehlbar mit großer Aufmerksamkeit und sogar mit einer -gewissen Achtung den blonden Offizier bei den Worten: »auf der vierten -Bastion«. Seine übermäßige Ausführlichkeit, sein Herumfuchteln mit den -Händen, sein lautes Lachen und Sprechen, die uns erst keck erscheinen, -erweisen sich als jene besondere prahlerische Stimmung, die leicht nach -einer Gefahr über junge Leute kommt; wir denken, daß er anfangen wird, -uns zu erzählen, wie arg es auf der vierten Bastion ist der Bomben und -Gewehrkugeln wegen -- weit gefehlt! arg ist es dort, weil es schmutzig -ist. -- »Man kann nicht nach der Batterie gehen, spricht er, indem er -auf seine bis über die Waden mit Schmutz bedeckten Stiefel zeigt. Und -heut habe ich meinen besten Kommandeur verloren, direkt in die Stirn -ist er getroffen worden,« sagt ein anderer. -- »Wer war es? Mitjuchin?« -»Nein ... Nun, wird man mir endlich den Kalbsbraten geben ... Seid ihr -Kanaillen!« fügt er hinzu, zu der Bedienung des Gasthauses gewandt. -»Nicht Mitjuchin, sondern Abramow. Es war ein braver Kamerad -- sechs -Ausfälle hat er mitgemacht!« - -Am andern Ende des Tisches sitzen bei Koteletts mit Schoten und einer -Flasche sauren Krimweins, sogenannten Bordeaux, zwei Offiziere von der -Infanterie: der eine mit rotem Kragen und zwei Sternen auf dem Mantel, -ein junger Mann, erzählt dem andern, mit schwarzem Kragen und ohne -Sterne, von dem Treffen an der Alma. Der erstere hat schon ein wenig -getrunken, und man merkt es an den Pausen, die er in seiner Erzählung -macht, an dem unentschlossenen Blick, der zweifelnd zu fragen scheint, -ob man ihm auch glaube, hauptsächlich aber an der allzu großen Rolle, -die er in allem spielt, und weil alles zu furchtbar klingt, daß er -stark von der strengen Wiedergabe der Wahrheit abweicht. Aber wir sind -nicht in der Stimmung, diese Erzählungen mit anzuhören, die wir noch -lange an allen Enden Rußlands werden zu hören bekommen; wir wollen -so schnell als möglich auf die Bastionen, besonders auf die vierte, -von der man uns so vieles und so verschiedenartiges erzählt hat. Wenn -jemand sagt, er sei auf der vierten Bastion gewesen, so sagt er das -mit besonderer Befriedigung und mit Stolz; sagt jemand: ich gehe auf -die vierte Bastion, so sieht man ihm sicher eine kleine Erregung oder -allzugroßen Gleichmut an; will man jemanden necken, so sagt man: dich -sollte man in die vierte Bastion schicken; begegnet man Tragbahren und -fragt: woher? -- so bekommt man meist die Antwort: von der vierten -Bastion. Es giebt überhaupt zwei völlig verschiedene Meinungen über -diese schreckliche Bastion: die Meinung solcher, die nie dort waren und -die überzeugt sind, daß die vierte Bastion das sichere Grab für jeden -ist, der dorthin geht -- und solcher, die dort hausen, wie der blonde -Midshipman, und die, wenn sie von der vierten Bastion sprechen, uns -sagen, ob es in der Erdhütte trocken oder schmutzig, warm oder kalt ist -u. s. w. - -In der halben Stunde, die wir im Gasthaus zugebracht haben, hat sich -das Wetter geändert: der Nebel, der über das Meer gebreitet lag, hat -sich zu grauen, düsteren, feuchten Wetterwolken geballt und verhüllt -die Sonne; ein trauriger Staubregen sprüht vom Himmel und netzt die -Dächer, die Straßen und die Soldatenmäntel ... - -Wir gehen noch durch eine Barrikade hindurch, dann treten wir zur Thür -heraus, wenden uns rechts und steigen auf einer langen Straße bergauf. -Hinter dieser Barrikade sind die Häuser zu beiden Seiten unbewohnt, -Schilder fehlen, die Thüren sind mit Brettern vernagelt, die Fenster -eingeschlagen, hier ist eine Mauerecke fortgeschossen, dort ein Dach -durchgeschlagen. Die Gebäude gleichen Veteranen, die alle Not und -Sturm erfahren haben, und scheinen stolz und geringschätzig auf uns -herabzusehen. Unterwegs stolpern wir über herumliegende Kanonenkugeln -und fallen in Löcher voll Wasser, welche die Bomben auf dem steinigen -Grunde gerissen. Auf der Straße treffen wir Soldatendetachements, -Grenzkosaken, Offiziere. Bisweilen begegnen wir einer Frau oder einem -Kinde, aber die Frau geht nicht in Weiberkleidung; sie ist eine -Matrosenfrau und trägt einen alten Pelz und Soldatenstiefel. Wenn wir -auf der Straße weitergehen und unter eine kleine Anhöhe gelangt sind, -bemerken wir um uns nicht mehr Häuser, sondern sonderbare Trümmerhaufen --- Steine, Bretter, Lehm, Balken; vor uns sehen wir auf einer steilen -Anhöhe eine schwarze, schmutzige, von Gräben durchzogene Fläche, -und dies vor uns ist die vierte Bastion ... Hier begegnen wir noch -weniger Menschen, Frauen sind gar nicht zu sehen, die Soldaten gehen -schnell, auf dem Wege zeigen sich Blutstropfen, und unfehlbar treffen -wir hier vier Soldaten mit einer Tragbahre, und auf der Bahre ein -fahlgelbes Gesicht und einen blutigen Mantel. Wenn wir fragen: »Wo ist -er verwundet?« sagen die Träger ärgerlich, ohne sich zu uns zu wenden, -am Bein oder am Arm, wenn der Kranke leicht verwundet ist; oder sie -schweigen mürrisch, wenn auf der Bahre der Kopf nicht sichtbar und der -Getragene bereits tot oder schwer verwundet ist. - -Das nahe Pfeifen einer Kanonenkugel oder Bombe, gerade da wir den -Berg zu besteigen beginnen, überrascht uns in unangenehmer Weise. Wir -begreifen plötzlich, und ganz anders, als wir es vorher begriffen -haben, die Bedeutung der Kanonentöne, die wir in der Stadt gehört -haben. Ein friedlich tröstliches Erinnern blitzt in unsern Gedanken -auf; unser eigenes Ich beginnt uns mehr zu beschäftigen, als die -Beobachtungen: die Aufmerksamkeit für alles, was uns umgiebt, nimmt -ab, und ein unangenehmes Gefühl der Unentschlossenheit überkommt uns -plötzlich. Wir achten dieser kleinlichen Stimme nicht, die bei dem -Anblick der Gefahr plötzlich in unserm Innern sich vernehmen läßt, -und bringen, -- besonders da wir den Soldaten betrachten, der mit -ausgebreiteten Händen über den flüssigen Kot schnell lachend an uns -vorbei den Berg hinanklimmt, -- diese Stimme zum Schweigen, strecken -unwillkürlich die Brust vor, heben den Kopf empor und klettern den -schlüpfrigen, lehmigen Berg hinauf. Kaum haben wir uns etwas auf den -Berg hinaufgearbeitet, so beginnen rechts und links Kugeln aus Stutzen -zu pfeifen, und wir denken vielleicht, ob wir nicht besser thäten, den -Laufgraben entlang zu gehen, der mit dem Wege parallel läuft; aber -der Laufgraben ist *so* voll von flüssigem, gelbem, übelriechendem, -bis über die Knie reichendem Schmutz, daß wir unbedingt den Weg auf -dem Berge wählen, umsomehr, als wir alle ihn gehen sehen. Zweihundert -Schritt weiter gelangen wir zu einer aufgerissenen, schmutzigen Fläche, -die auf allen Seiten von Schanzkörben und von Erdaufschüttungen -umgeben ist, in denen sich Pulverkeller und Erdwohnungen befinden, -und auf denen große gußeiserne Kanonen, mit regelmäßigen Haufen von -Kugeln daneben, stehen. Das alles scheint uns ohne Zweck und Ordnung -aufgetürmt zu sein. Da in der Batterie sitzt eine Schar Matrosen, -dort in der Mitte des Platzes liegt eine halb in Schmutz versunkene, -zerschossene Kanone; da geht ein Infanterist mit seinem Gewehr durch -die Batterien und zieht mit Mühe seine Füße aus dem Schmutz. Aber -überall, auf allen Seiten und allen Punkten, sehen wir Sprengstücke, -nichtgeplatzte Bomben, Kanonenkugeln, Spuren des Lagerlebens, und -das alles ist in flüssigen, morastigen Schmutz versunken; wir hören -das Aufschlagen einer Kanonenkugel, hören die verschiedenen Töne der -Gewehrkugeln, die wie Bienen summen, schnell pfeifen oder wie eine -Darmsaite klingen, wir hören furchtbaren Geschützdonner, der uns alle -erschüttert und mit furchtbarem Entsetzen erfüllt. - -»Das ist also die vierte Bastion, das ist also der schreckliche, -wirklich furchtbare Ort!« denken wir und empfinden ein kleines Gefühl -des Stolzes und ein großes Gefühl unterdrückter Angst. Aber wir -sind enttäuscht, das ist noch nicht die vierte Bastion. Das ist die -Jasonow-Redoute, ein verhältnismäßig sehr gefahrloser und durchaus -nicht schrecklicher Platz. Um nach der vierten Bastion zu gelangen, -müssen wir rechts einen engen Laufgraben verfolgen, in dem ein -Infanterist gebückt einhergeht. In diesem Graben treffen wir vielleicht -wieder Tragbahren, Matrosen, Soldaten mit Schaufeln, sehen Leitungen -zu Minen, Erdhütten voll Schmutz, in denen nur zwei Menschen gebückt -herumkriechen können, wir sehen die hier wohnenden Plastuns[B] der -Bataillone vom Schwarzen Meer, die sich dort umkleiden, essen, Tabak -rauchen, wohnen, und sehen wiederum überall denselben übelriechenden -Schmutz, die Spuren des Lagerlebens und in jedweder Gestalt -umherliegendes Gußeisen. Nach dreihundert Schritten kommen wir wieder -zu einer Batterie, -- zu einem kleinen mit Löchern bedeckten Platze, -der von Schanzkörben voll Erde, von Geschützen auf Plattformen und von -Erdwällen umgeben ist. Hier sehen wir nun fünf Mann Matrosen, die unter -der Brustwehr Karten spielen, und einen Marineoffizier, der uns, als -neugierigen Neulingen, seine Wirtschaft und alles uns Interessierende -zeigt. Dieser Offizier dreht sich so ruhig, auf dem Geschütz sitzend, -eine Cigarette aus gelbem Papier, geht so ruhig von einer Schießscharte -zur andern, spricht so ruhig mit uns, so gänzlich ungezwungen, daß -wir ungeachtet der Gewehrkugeln, die häufiger als früher über uns -pfeifen, kaltblütig bleiben, aufmerksam fragen und den Erzählungen -des Offiziers lauschen. Dieser Offizier wird uns, aber nur, wenn wir -ihn fragen, von dem Bombardement am 5. erzählen; er wird erzählen, -wie in seiner Batterie nur ein einziges Geschütz thätig sein konnte, -und von der ganzen Bedienungsmannschaft nur acht Mann übrig geblieben -waren, und wie er dennoch am folgenden Morgen, am 6., aus allen -Geschützen gefeuert; er wird uns erzählen, wie am 5. eine Bombe in -eine Matrosen-Erdhütte eingeschlagen und elf Mann niedergestreckt hat; -er wird uns von der Schießscharte aus die nicht mehr als dreißig bis -vierzig Faden entfernten Batterien und Laufgräben des Feindes zeigen. -Nur das eine fürchte ich, daß wir, zur Schießscharte hinausgelehnt, um -zu dem Feinde hinüberzuschauen, unter dem Einflusse des Sausens der -Kugeln nichts sehen, und wenn wir etwas sehen, uns sehr wundern werden, -daß dieser uns so nahe weiße Steinwall, über dem weiße Rauchwölkchen -emporsteigen, der Feind ist -- »er«, wie die Soldaten und Matrosen -sagen. - - [B] Plastuns hießen die am östlichen Ufer des Schwarzen Meeres und am - Kuban lebenden Kosaken. - -Es ist sogar leicht möglich, daß der Marineoffizier aus Eitelkeit oder -nur so, um sich ein Vergnügen zu machen, in unserer Gegenwart ein wenig -schießen lassen will. »Den Kommandor herschicken, Bedienungsmannschaft -ans Geschütz!« -- und an vierzehn Mann Matrosen, der eine seine Pfeife -in die Tasche steckend, der andere Zwieback kauend, gehen frisch -und munter, mit den beschlagenen Stiefeln auf der Plattform laut -auftretend, an die Kanone und laden sie. Wir betrachten die Züge, -die Haltung und die Bewegung dieser Leute: in jeder Falte dieses -verbrannten Gesichts mit den starken Backenknochen, in jeder Muskel, in -diesen breiten Schultern, in diesen kräftigen Beinen, die in gewaltigen -Stiefeln stecken, in jeder dieser ruhigen, sicheren, langsamen -Bewegungen erkennt man die Hauptcharakterzüge, die die Kraft des Russen -ausmachen -- Schlichtheit und Festigkeit; aber hier, dünkt uns, hat -die Gefahr, der Zorn und die Leiden des Krieges jedem Gesicht außer -diesen Hauptzügen noch die Spuren des Bewußtseins des eigenen Wertes, -erhabenen Denkens und Empfindens eingeprägt. - -Plötzlich überrascht uns ein schrecklicher, nicht nur unser Gehör, -sondern unseren ganzen Organismus erschütternder Knall, so daß wir am -ganzen Leibe erzittern. Gleich darauf hören wir, wie das Geschoß sich -pfeifend entfernt, und dichter Pulverdampf hüllt uns, die Plattform -und die schwarzen Gestalten der hin- und hergehenden Matrosen ein. -Wir hören verschiedene Gespräche der Matrosen über diesen Schuß. Wir -sehen, wie sie lebhaft werden und ein Gefühl offenbaren, das wir kaum -erwartet hätten -- das Gefühl der Wut, der Rache am Feinde, das in -der Seele eines jeden verborgen ruht. »Gerade in die Schießscharte -hat es getroffen; wie es scheint, sind zwei gefallen ... dort trägt -man sie heraus,« hören wir freudig ausrufen. »Sieh, er ärgert sich, --- gleich wird er hierher schießen,« sagt jemand, und wirklich sehen -wir bald darauf Blitz und Rauch vor uns; der auf der Brustwehr -stehende Posten schreit: »Kano--one!« und gleich darauf kommt eine -Kanonenkugel an uns vorbeigeflogen, schlägt auf die Erde auf und wirft, -sich trichterförmig einbohrend, Steine und Erdstücke um sich. Der -Batteriechef, ärgerlich wegen dieser Kugel, befiehlt ein zweites und -drittes Geschütz zu laden, -- der Feind beginnt uns zu antworten, und -wir durchleben interessante Empfindungen, hören und sehen interessante -Dinge. Der Posten schreit wiederum: »Kanone!« und wir hören denselben -Ton und Schlag, sehen dieselben Erdstücke; oder er schreit: »Mörser!« --- und wir hören ein gleichmäßiges, ziemlich angenehmes Pfeifen der -Bombe, mit dem man nur mühsam den Gedanken an etwas Furchtbares in -Verbindung bringt, wir hören das Pfeifen, das sich uns nähert und sich -beschleunigt, dann sehen wir eine schwarze Kugel, ihr Aufschlagen -auf die Erde und das von einem starken Krach begleitete Platzen der -Bombe. Mit Pfeifen und Zischen fliegen dann die Splitter umher, -schwirren Steine durch die Luft und wir werden mit Schmutz beworfen. -Bei diesen Tönen empfinden wir ein sonderbares Gefühl, gemischt aus -Angst und Genuß. In dem Augenblicke, wo das Geschoß auf uns zufliegt, -schießt uns unbedingt der Gedanke durch den Kopf, daß es uns tötet; -aber das Gefühl der Eigenliebe stachelt uns, und niemand bemerkt das -Messer, das uns ins Fleisch schneidet. Dafür aber leben wir, wenn -das Geschoß vorübergeflogen ist, ohne uns zu streifen, wieder auf, -und ein erquickendes, unsagbar angenehmes Gefühl kommt, wenn auch -nur einen Augenblick, über uns, so daß wir an der Gefahr, an diesem -Spiel um Leben und Tod einen besonderen Genuß finden; wir wünschen, es -möchten noch näher und näher bei uns Kugeln oder Bomben niederfallen. -Da schreit der Posten noch einmal mit seiner lauten, tiefen Stimme: -»Mörser!« -- wiederum ertönt das Pfeifen, Aufschlagen und Platzen der -Bombe, aber zugleich mit diesem Ton erschreckt uns das Stöhnen eines -Menschen. Wir gehen zu gleicher Zeit mit den Trägern zu dem Verwundeten -heran, der blutig und beschmutzt ein seltsames, nicht menschliches -Aussehen hat. Einem Matrosen ist ein Teil der Brust fortgerissen -worden. In dem ersten Augenblick ist in seinem mit Schmutz bespritzten -Gesicht nur Schreck und ein unechter, vorzeitiger Ausdruck von Leiden -zu lesen, wie er einem Menschen in solcher Lage eigen ist; aber in dem -Augenblick, wo man ihm die Tragbahre bringt, und er sich selbst mit -seiner gesunden Seite darauf legt, bemerken wir, daß dieser Ausdruck -sich in den Ausdruck einer gewissen Begeisterung und eines erhabenen, -unausgesprochenen Gedankens verwandelt: die Augen leuchten heller, die -Zähne pressen sich aufeinander, der Kopf richtet sich mit Anstrengung -in die Höhe und in dem Augenblick, wo man ihn aufhebt, hält er die -Bahre an und spricht mühsam mit zitternder Stimme zu den Kameraden: -»Lebt wohl, Brüder!« -- er will noch etwas sagen, man sieht, er will -etwas Rührendes sagen, aber er wiederholt noch einmal: »Lebt wohl, -Brüder!« Da geht ein Kamerad, ein Matrose, zu ihm, setzt ihm die -Mütze auf den Kopf, den ihm der Verwundete hinhält, und kehrt ruhig, -gleichmäßig die Arme schwenkend, zu seinem Geschütz zurück. »So ist es -jeden Tag -- sieben oder acht Mann,« sagt uns der Marineoffizier, indem -er uns antwortet auf den Ausdruck des Entsetzens, das aus unsern Zügen -spricht, und dabei gähnt und aus gelbem Papier eine Cigarette dreht. - - * * * * * - -So haben wir die Verteidiger Sewastopols an dem Orte der Verteidigung -selber gesehen und gehen zurück, ohne den Kanonen- und Gewehrkugeln, -die den ganzen Weg entlang bis zu dem niedergeschossenen Theater hin -pfeifen, Beachtung zu schenken, -- wir gehen mit ruhiger, erhobener -Seele. Die hauptsächliche, tröstliche Überzeugung, die wir davontragen, -ist die Überzeugung von der Unmöglichkeit, die Kraft des russischen -Volkes an irgend einem Punkte zu erschüttern. Und diese Unmöglichkeit -haben wir nicht in der Menge der Quergänge, der Brustwehren, der -kunstvoll gezogenen Laufgräben, der Minengänge und Geschosse, die -übereinander getürmt sind, gesehen, wovon wir nichts verstanden haben, -nein, wir haben sie in dem Blick, in der Rede, in dem Gebahren gesehen, -in dem, was man den Geist der Verteidiger Sewastopols nennt. Was sie -thun, thun sie so schlicht, so ohne Anspannung und Anstrengung, daß -wir die Überzeugung gewinnen, sie können noch hundertmal mehr -- sie -können alles. Wir begreifen, daß das Gefühl, das sie schaffen heißt, -nicht das Gefühl der Kleinlichkeit, der Eitelkeit, der Unbedachtsamkeit -ist, das wir selbst empfunden haben, sondern ein anderes Gefühl, -ein gewaltigeres, das sie zu Menschen gemacht hat, die ebenso ruhig -unter dem Regen der Kugeln leben, unter hundert Möglichkeiten des -Todes anstatt der einen, der diese Menschen alle unterworfen sind, -und die unter diesen Bedingungen leben mitten in ununterbrochener -Arbeit, in Wachen und Schmutz. Um eines Ordens willen, um eines Titels -willen, um des Zwanges willen können Menschen sich so entsetzlichen -Lebensbedingungen nicht fügen: es muß eine andere, eine erhabenere -Triebfeder sein. Und diese Triebfeder ist ein Gefühl, das selten, -verschämt bei dem Russen in die Erscheinung tritt, das aber auf dem -Grunde der Seele eines jeden ruht -- die Liebe zum Vaterland. Erst -jetzt sind uns die Erzählungen von den ersten Zeiten der Belagerung -Sewastopols, da es noch keine Befestigungen, keine Armee hatte, -da es physisch unmöglich war, es zu halten, und doch nicht der -mindeste Zweifel bestand, daß es sich dem Feinde nicht ergeben würde, -glaubhaft geworden, -- die Erzählungen von den Zeiten, da Kornilow, -dieser des alten Griechenlands würdige Held, bei einer Musterung der -Truppen sprach: »Wir wollen sterben, Kinder, aber Sewastopol nicht -übergeben,« und unsere Russen, die kein Talent zur Phrasenmacherei -haben, antworteten: »Wir wollen sterben! Urra!« -- erst jetzt haben -die Erzählungen aus jener Zeit aufgehört, für uns eine schöne -geschichtliche Überlieferung zu sein, und sind zur Wahrheit, zur -Thatsache geworden. Wir verstehen klar und würdigen die Menschen, die -wir soeben gesehen, als die Helden, die in jener schweren Zeit den Mut -nicht sinken ließen, sondern steigerten, und die freudig in den Tod -gegangen sind, nicht für die Stadt, sondern für das Vaterland. Lange -wird in Rußland diese Epopöe von Sewastopol, deren Held das russische -Volk war, tiefe Spuren zurücklassen ... - -Der Tag neigt sich schon. Die Sonne ist vor ihrem Untergange aus den -grauen Wolken hervorgetreten, die den Himmel bedecken, und beleuchtet -plötzlich mit purpurnem Licht: lilafarbene Wolken, das mit Schiffen und -Böten bedeckte, gleichmäßig wogende grünliche Meer, die weißen Häuser -der Stadt und die in den Straßen wogenden Menschen. Über das Wasser -tönen die Klänge eines alten Walzers, den die Regimentsmusik auf dem -Boulevard spielt, und der Schall der Geschosse von den Bastionen, der -sie seltsam begleitet. - -*Sewastopol*, den 25. April 1885. - - - - -*Sewastopol* im Mai 1855 - - -I - -Schon sind sechs Monate vergangen seit der Zeit, da die erste -Kanonenkugel von den Bastionen Sewastopols pfiff und die Erde in -den feindlichen Werken aufriß, und seit der Zeit sind unaufhörlich -Tausende von Bomben, Kanonen- und Gewehrkugeln von den Bastionen in -die Laufgräben und aus den Laufgräben nach den Bastionen geflogen, und -unaufhörlich hat der Engel des Todes über ihnen geschwebt. - -Tausendfach ist hier menschliche Eigenliebe gekränkt, tausendfach -befriedigt und genährt, tausendfach in den Umarmungen des Todes zum -Schweigen gebracht worden. Wie viel blumengeschmückte Särge, wie viel -linnene Leichentücher! Und noch immer erschallen dieselben Töne von den -Bastionen, noch immer sehen, mit unwillkürlichem Schrecken und Zittern, -die Franzosen an einem klaren Abende aus ihrem Lager auf die gelbliche, -aufgerissene Erde der Bastionen Sewastopols und die schwarzen, -auf ihnen umherwogenden Gestalten unserer Matrosen und zählen die -Schießscharten, aus welchen gußeiserne Kanonen trutzig hervorragen; -noch immer beobachtet ein Unteroffizier vom Steuer vom Telegraphenhügel -aus durch ein Fernrohr die bunten Gestalten der Franzosen, ihre -Batterien, ihre Zelte, die Truppenmassen, die sich auf der grünen -Höhe bewegen, und die in den Laufgräben aufsteigenden Rauchwölkchen, --- und immer noch streben von allen Enden der Welt verschiedene -Menschenscharen mit derselben Glut und mit noch verschiedenartigeren -Wünschen nach dieser schicksalsreichen Stätte. Und immer noch ist die -Frage, die die Diplomaten nicht gelöst haben, nicht gelöst durch Pulver -und Blut. - - -II - -In der belagerten Stadt Sewastopol spielte auf dem Boulevard bei einem -Pavillon eine Regimentskapelle, und Scharen von Soldaten und Frauen -bewegten sich müßig in den Gängen. Die helle Frühlingssonne, die am -Morgen über den englischen Verschanzungen aufgegangen war, hatte ihren -Weg über die Bastionen, dann über die Stadt, über die Nikolai-Kaserne -zurückgelegt und allen mit gleicher Freude geleuchtet; jetzt senkte -sie sich zu dem fernen, blauen Meer hinab, dessen gleichmäßig wogende -Wellen im Silberglanze funkelten. - -Ein hochgewachsener, etwas gebückter Infanterieoffizier, der einen -nicht ganz weißen, aber sauberen Handschuh über die Hand zog, trat -aus dem Pförtchen eines der kleinen Matrosenhäuschen heraus, die -auf der linken Seite der Seestraße standen, und ging, nachdenklich -seine Füße besehend, über eine Anhöhe zum Boulevard. Der Ausdruck -des unschönen Gesichts dieses Offiziers verriet nicht gerade große -Geistesanlagen, wohl aber Geradheit, Besonnenheit, Ehrenhaftigkeit -und Ordnungsliebe. Er war nicht schön gebaut, ein wenig linkisch, -gewissermaßen verschämt in seinen Bewegungen. Er trug eine noch wenig -gebrauchte Mütze, einen dünnen Mantel von etwas eigentümlicher, -veilchenblauer Farbe, unter dem eine goldene Uhrkette, Hosen mit -Strippen und reine, glänzende Kalblederstiefeln sichtbar waren. Man -hätte ihn für einen Deutschen halten können, wenn seine Gesichtszüge -nicht seine rein russische Abkunft verraten hätten, oder für einen -Adjutanten oder Regiments-Quartiermeister (aber dann hätte er Sporen -tragen müssen), oder für einen Offizier, der für die Zeit des Feldzugs -von der Kavallerie, vielleicht auch von der Garde übergetreten war. Es -war wirklich ein Offizier, der aus der Kavallerie übergetreten war, -und in diesem Augenblick, wo er zum Boulevard hinaufschritt, dachte -er an einen Brief, den er eben von einem ehemaligen Kameraden, der -jetzt außer Dienst war, einem Gutsbesitzer im Gouvernement T. und -seiner Gattin, der blassen, blauäugigen Natascha, seiner Busenfreundin, -erhalten hatte. Ihm war eine Stelle des Briefes eingefallen, in dem -der Kamerad schreibt: - -»Wenn der *Invalide* bei uns eintrifft, stürzt *Pupka* (so pflegte -der frühere Ulan seine Gattin zu nennen) kopfüber in das Vorzimmer, -greift nach der Zeitung und rennt damit nach der *Plauderecke*, in das -*Empfangszimmer* (in dem wir so schön die Winterabende zusammen verlebt -haben, weißt du noch, als das Regiment bei uns in der Stadt lag) und -liest mit solchem Feuereifer *Euere* Heldenthaten, daß Du Dir's kaum -vorstellen kannst. Sie spricht oft von Dir. >Nicht wahr, Michajlow -- -sagt sie -- ist doch eine *Seele von Mensch*. Ich könnte ihn abküssen, -wenn ich ihn sehe. *Er kämpft auf den Bastionen* und bekommt gewiß das -Georgskreuz, und die Zeitungen werden über ihn schreiben ...< u. s. -w. u. s. w., so daß ich entschieden anfange, auf Dich eifersüchtig zu -werden.« An einer anderen Stelle schreibt er: »Die Zeitungen bekommen -wir schrecklich spät, und wenn es auch viele mündliche Nachrichten -giebt, so kann man doch nicht allen Glauben schenken. Gestern z. B. -haben die Dir bekannten *jungen Damen mit der Musik* erzählt, Napoleon -sei schon von unseren Kosaken gefangen genommen und nach Petersburg -transportiert; aber Du kannst Dir denken, wie wenig ich das glaube. -Ein Fremder aus Petersburg hat uns erzählt (er ist im Ministerium -für besondere Aufträge, ein reizender Mensch, und jetzt, wo niemand -in der Stadt ist, eine solche *Ressource* für uns, daß Du Dir's kaum -vorstellen kannst ...), er sagt bestimmt, die Unsrigen hätten Eupatoria -genommen, *so daß die Franzosen von Balaklava abgeschnitten* sind, und -wir hätten dabei 200 Mann, die Franzosen aber 15000 Mann verloren. -Meine Frau war so entzückt davon, daß sie die ganze Nacht *gezecht* -hat, sie meint, Du bist sicher bei diesem Treffen gewesen, sie ahne -das, und hättest Dich ausgezeichnet.« - -Trotz der Worte und Ausdrücke, die ich absichtlich durch die Schrift -ausgezeichnet habe, und trotz des ganzen Tons dieses Briefes dachte der -Stabskapitän Michajlow mit unsagbar trauriger Wonne an seine blasse -Freundin in der Provinz, und wie er mit ihr die Abende in dem Erker -gesessen und über »das Gefühl« gesprochen hatte, er dachte an den -guten Kameraden, den Ulan, wie er böse war und brummte, wenn sie in -seinem Arbeitszimmer um eine Kopeke spielten, wie seine Gattin über ihn -lachte -- dachte an die Freundschaft, die diese Menschen für ihn hatten -(vielleicht glaubte er auch, es sei etwas mehr von seiten der blassen -Freundin); alle diese Personen mit ihrer Umgebung huschten durch seine -Phantasie in einem wunderbar süßen, beseligend-rosigen Lichte und, -lächelnd bei seinen Erinnerungen, legte er die Hand an die Tasche, in -der dieser ihm so liebe Brief steckte. - -Von Erinnerungen ging der Stabskapitän Michajlow unwillkürlich zu -Träumen und Hoffnungen über. »Wie groß wird Nataschas Verwunderung -und Freude sein -- dachte er, während er durch das schmale Gäßchen -dahinschritt, -- wenn sie auf einmal im *Invaliden* die Schilderung -lesen wird, wie ich zuerst die Kanone erklettert und das Georgskreuz -bekommen habe! Kapitän muß ich nach altem Brauch werden. Dann kann -ich leicht noch in demselben Jahre Major in der Linie werden, denn es -sind viele von unseren Leuten gefallen und werden gewiß noch viele in -diesem Feldzug fallen. Und dann wird es wieder eine Schlacht geben, und -ich als ein berühmter Mann bekomme ein Regiment ... Oberstleutnant ... -den Annenorden um den Hals ... Oberst ...« und er war schon General, -und würdig, Natascha zu besuchen, die Witwe des Kameraden, der, wie -er es sich ausmalte, bis dahin gestorben war -- als die Töne der -Boulevard-Musik deutlicher an sein Ohr schlugen, das drängende Volk ihm -in die Augen fiel und er auf dem Boulevard erwachte -- als der alte -Stabskapitän von der Infanterie. - - -III - -Er ging zuerst nach dem Pavillon, neben dem die Musikanten standen, -denen statt der Pulte andere Soldaten desselben Regiments die Noten -hielten und umblätterten, und um die, mehr als Zuschauer, denn -als Zuhörer, Schreiber, Junker und Wärterinnen mit Kindern einen -Kreis gebildet hatten. Rings um den Pavillon standen, saßen und -gingen meistenteils Seeleute, Adjutanten und Offiziere in weißen -Handschuhen. In der großen Allee des Boulevards spazierten Offiziere -aller Art und Frauen aller Art, hin und wieder in Hüten, meist aber -in Kopftüchern (es gab auch welche ohne Tücher und ohne Hüte), aber -nicht eine von ihnen war alt, ja, merkwürdig, alle waren jung. Unten -in den schattigen, duftenden Alleen weißer Akazien gingen und saßen -abgesonderte Gruppen. - -Niemand war sonderlich erfreut, auf dem Boulevard dem Stabskapitän -Michajlow zu begegnen, ausgenommen vielleicht Kapitän Obshogow -und Kapitän Ssuslikow von seinem Regiment, die ihm herzlich die -Hand schüttelten, aber der erstere war in Kamelhaar-Beinkleidern, -hatte keine Handschuhe an, einen abgetragenen Mantel und ein so -rotes, schweißtriefendes Gesicht, und der zweite schrie so laut und -ausgelassen, daß es eine Schande war, mit ihnen zu gehen, besonders vor -den Offizieren in weißen Handschuhen (von diesen begrüßte Stabskapitän -Michajlow den einen Adjutanten, einen zweiten Stabsoffizier hätte er -begrüßen können, denn er war mit ihm zweimal bei einem gemeinsamen -Bekannten zusammengetroffen). Im übrigen aber, welches Vergnügen hätte -es für ihn sein können, mit diesen Herren Obshogow und Ssuslikow -spazieren zu gehen, da er auch so sechsmal am Tage mit ihnen -zusammentraf und ihnen die Hand drückte? Nicht darum war er *zur Musik* -gekommen. - -Er wäre gern zu dem Adjutanten herangetreten, den er begrüßt hatte, -und hätte gern mit diesen Herren geplaudert, keineswegs etwa, damit -die Kapitäne Obshogow und Ssuslikow und der Leutnant Paschtezki und -die anderen sähen, daß er mit ihnen spricht, sondern einfach, weil sie -nette Menschen waren und zudem alle Neuigkeiten wissen und sie erzählt -hätten. - -Warum aber scheut sich der Stabskapitän Michajlow, warum entschließt -er sich nicht, zu ihnen heranzutreten? »Wie, wenn sie mich auf einmal -nicht wiedergrüßen -- denkt er -- oder wenn sie mich grüßen und in -ihrem Gespräch fortfahren, als ob ich nicht da wäre, oder sich ganz von -mir entfernen und ich allein dort bleibe unter den *Aristokraten*?« -Das Wort Aristokraten (im Sinne eines höheren, auserwählten Kreises, -gleichviel in welchem Stande) hat bei uns in Rußland, wo es, wie -man glauben müßte, gar nicht existieren sollte, seit einiger Zeit -eine große Popularität bekommen und ist in alle Gegenden und in -alle Schichten der Gesellschaft eingedrungen, wo nur der Dünkel -eingedrungen ist (und in welche Zeit und in welche Verhältnisse dringt -diese klägliche Sucht nicht ein?): in die Kreise der Kaufleute, der -Beamten, der Schreiber, der Offiziere, in Ssaratow, in Mamadysch, in -Winniza -- überall, wo es Menschen giebt. Und da es in der belagerten -Stadt Sewastopol viel Menschen giebt, giebt es auch viel Dünkel, d. h. -auch viel *Aristokraten*, obgleich jede Minute der Tod schwebt über dem -Haupte jedes *Aristokraten* und *Nicht-Aristokraten*. - -Für den Kapitän Obshogow ist der Stabskapitän Michajlow ein Aristokrat, -für den Stabskapitän Michajlow ist der Adjutant Kalugin ein Aristokrat, -weil er Adjutant ist und mit dem andern Adjutanten auf du und du steht. -Für den Adjutanten Kalugin ist Graf Norden ein Aristokrat, weil er -Flügeladjutant ist. - -Dünkel, Dünkel, Dünkel überall, selbst am Rande des Grabes und unter -Menschen, die bereit sind, aus einer edlen Überzeugung in den Tod zu -gehen, überall Dünkel. Er ist also wohl ein charakteristischer Zug und -eine besondere Krankheit unseres Zeitalters. Warum hat man unter den -Menschen vergangener Zeit nichts gehört von dieser Leidenschaft, wie -von den Pocken oder der Cholera? Warum giebt es in unserer Zeit nur -drei Arten von Menschen: Solche, die die Quelle des Dünkels als eine -notwendigerweise existierende, darum berechtigte Thatsache hinnehmen -und sich ihr freiwillig unterwerfen; eine zweite, die sie wie einen -unheilvollen, aber unüberwindlichen Umstand hinnehmen, und eine dritte, -die unbewußt sklavisch unter ihrem Einflusse handeln? Warum haben Homer -und Shakespeare von Liebe, von Ruhm, von Leiden gesprochen, und das -Schrifttum unseres Jahrhunderts ist nichts als eine endlose Erzählung -von Snobs und Dünkel? - -Der Stabskapitän ging zweimal an der Gruppe *seiner Aristokraten* -vorüber, beim drittenmal überwand er sich und trat zu ihnen heran. -Diese Gruppe bildeten vier Offiziere: der Adjutant Kalugin, Michajlows -Bekannter, der Adjutant Fürst Galzin, der sogar für Kalugin selbst ein -wenig Aristokrat war, der Oberst Neferdow, einer von den sogenannten -*Hundertzweiundzwanzig* Bürgerlichen (Verabschiedete, die für diesen -Feldzug wieder in den Dienst getreten waren) und der Rittmeister -Praßkuchin, auch einer von den Hundertzweiundzwanzig. Zu Michajlows -Glück war Kalugin in vortrefflicher Stimmung (der General hatte soeben -erst mit ihm höchst vertraulich gesprochen, und Fürst Galzin, der eben -aus Petersburg gekommen, war bei ihm abgestiegen), er hielt es nicht -für erniedrigend, dem Stabskapitän Michajlow die Hand zu reichen, was -Praßkuchin jedoch sich nicht entschließen konnte zu thun, obgleich -er sehr häufig mit Michajlow auf der Bastion zusammengetroffen war, -mehr als einmal seinen Wein und Schnaps getrunken hatte und ihm sogar -vom Préférence her zwölf und einen halben Rubel schuldete. Da er -den Fürsten Galzin noch nicht näher kannte, wollte er vor ihm seine -Bekanntschaft mit einem einfachen Stabskapitän der Infanterie nicht -zeigen. Er grüßte ihn mit einem leichten Kopfnicken. - -Wie, Kapitän, sagte Kalugin, wann geht's wieder auf die Bastion? ... -Erinnern Sie sich, wie wir uns auf der Schwarzow-Redoute trafen, es -ging heiß her? - -Ja, es ging heiß her, sagte Michajlow, indem er sich erinnerte, wie er -in jener Nacht im Laufgraben der Bastion Kalugin getroffen, der kühn -und mutig mit dem Säbel klirrend, vorwärts ging. - -Eigentlich sollte ich erst morgen gehen, da aber bei uns ein Offizier -krank ist, fuhr Michajlow fort, so ... - -Er wollte sagen, daß die Reihe nicht an ihm sei; da aber der Kommandeur -der achten Kompagnie krank und in der Kompagnie nur der Fähnrich übrig -sei, hätte er es für seine Pflicht gehalten, sich für die Stelle des -Leutnants Nepschißezki zu melden und ginge daher heut auf die Bastion. -Kalugin ließ ihn nicht aussprechen. - -Ich fühle, daß es dieser Tage etwas geben wird, sagte er zum Fürsten -Galzin. - -Wie, wird es heut nichts geben? fragte schüchtern Michajlow, indem er -bald Kalugin, bald Galzin ansah. - -Niemand antwortete ihm. Fürst Galzin runzelte nur eigentümlich die -Stirn, ließ seinen Blick an seiner Mütze vorbeischweifen und sagte nach -einer kurzen Pause: - -Ein prächtiges Mädchen, die in dem roten Tuche. Kennen Sie sie nicht, -Kapitän? - -Nicht weit von meiner Wohnung, die Tochter eines Matrosen, antwortete -der Stabskapitän. - -Gehen wir, sehen wir sie uns an. - -Und Fürst Galzin nahm auf der einen Seite Kalugin, auf der anderen -- -den Stabskapitän unter den Arm; er war im voraus überzeugt, daß dies -dem letzteren ein großes Vergnügen bereiten müsse, was in der That -zutreffend war. - -Der Stabskapitän war abergläubisch und hielt es für eine große Sünde, -sich vor einem Kampfe mit Weibern abzugeben; aber in diesem Falle -spielte er den Schwerenöter, was ihm Fürst Galzin und Kalugin offenbar -nicht glaubten, und was das Mädchen in dem roten Tuch außerordentlich -verwunderte, da sie öfter bemerkt hatte, wie der Stabskapitän errötet -war, wenn er an ihrem Fenster vorüberging. Praßkuchin ging hinterdrein, -stieß den Fürsten Galzin am Arm und machte allerlei Bemerkungen in -französischer Sprache; da es aber nicht möglich war, zu Vieren den -schmalen Weg zu gehen, war er gezwungen, allein zu gehen und nahm -nur in der zweiten Gruppe den berühmten, tapferen Marineoffizier -Sserwjagin unter den Arm, der herangekommen war und ein Gespräch mit -ihm begonnen hatte, und der auch den Wunsch hatte, sich der Gruppe der -*Aristokraten* anzuschließen. Und der berühmte Held schob mit Freuden -seine nervige, ehrenfeste Hand unter den Arm Praßkuchins, der allen, -auch Sserwjagin selbst, gut bekannt war, als ein nicht besonders guter -Mensch. Als Praßkuchin dem Fürsten Galzin seine Bekanntschaft mit -*diesem* Marineoffizier erklärte und ihm zuraunte, er sei ein berühmter -Held, schenkte Fürst Galzin Sserwjagin doch gar keine Aufmerksamkeit; -er war gestern auf der vierten Bastion gewesen, hatte dort in einer -Entfernung von zwanzig Schritt eine Bombe krepieren sehen, hielt sich -daher für keinen geringeren Helden, als dieser Herr war und meinte, so -mancher Ruhm werde für nichts gewonnen. - -Dem Stabskapitän Michajlow machte es so viel Vergnügen, in dieser -Gesellschaft umherzuschlendern, daß er den *lieben* Brief aus T. -und die düsteren Gedanken, die ihm bei dem bevorstehenden Abgange -auf die Bastion überkommen hatten, vergaß. Er blieb so lange in -ihrer Gesellschaft, bis sie ausschließlich untereinander zu plaudern -begannen und seinen Blicken auswichen und ihm so zu verstehen gaben, -daß er gehen könne, und sich schließlich ganz von ihm entfernten. Der -Stabskapitän war trotzdem zufrieden und kränkte sich nicht im mindesten -über die verdächtig-hoffärtige Art, in der der Junker Baron Pest sich -brüstete und die Mütze vor ihm zog, als er an ihm vorüberging; der -Junker war nämlich seit der gestrigen Nacht, -- die er zum ersten Male -in der Blindage der fünften Bastion zugebracht hatte, weshalb er sich -für einen Helden hielt, -- besonders stolz und selbstbewußt. - - -IV - -Kaum aber hatte der Stabskapitän die Schwelle seiner Wohnung -überschritten, als ihm völlig andere Gedanken in den Sinn kamen. Er sah -sein kleines Zimmerchen mit dem unebnen Lehmboden und den schiefen, -mit Papier beklebten Fenstern, sein altes Bett mit dem darüber -befestigten Teppich, auf dem eine Reiterin abgebildet war und über dem -zwei Pistolen aus Tula hingen, die schmutzige, mit einer Kattundecke -versehene Lagerstätte des Junkers, der mit ihm zusammenwohnte; er sah -seinen Nikita, der, mit verwirrtem, fettigem Haar, sich kratzend, von -der Diele aufstand; er sah seinen alten Mantel, seine umgestülpten -Stiefel und ein Bündel, aus dem das Ende eines Käses und der Hals einer -großen Flasche mit Branntwein, den er sich für den Aufenthalt auf der -Bastion besorgt, hervorragten; und plötzlich fiel ihm ein, daß er heut -auf die ganze Nacht mit der Kompagnie in die Schützengräben gehen müsse. - -»Gewiß, ich werde heut sterben müssen, -- dachte der Stabskapitän -- -ich fühle es. Die Hauptsache ist, daß ich nicht zu gehen brauchte, -aber mich selbst angeboten habe. Immer fällt der, der sich selber -anbietet. Und was fehlt denn diesem verfluchten Nepschißezki? Er ist -vielleicht gar nicht krank, und es soll ein anderer für ihn fallen, ja, -gewiß fallen. Übrigens aber, wenn ich nicht falle, werde ich sicher -vorgeschlagen. Ich habe wohl gemerkt, wie es dem Regimentskommandeur -gefiel, als ich sagte: »Gestatten Sie, daß ich gehe, wenn Leutnant -Nepschißezki krank ist.« Setzt es nicht den Major, so ist mir der -Wladimir gewiß. Gehe ich doch schon das dreizehnte Mal auf die Bastion. -Ach, dreizehn ist eine böse Zahl. Ich werde bestimmt fallen -- ich -fühle es, daß ich fallen werde. Aber Einer muß doch gehen, ein Fähnrich -kann doch nicht die Kompagnie führen. Und wenn sich etwas ereignen -sollte? ... die Ehre des Regiments, die Ehre der Armee hängt ja davon -ab. Meine *Pflicht* war es, ja, meine heilige Pflicht. Aber ich habe -Vorahnungen.« Der Stabskapitän vergaß, daß er derartige Vorahnungen -mehr oder minder stark schon oft gehabt hatte, wenn er auf die Bastion -gehen sollte, und wußte nicht, daß dieselbe Vorahnung mehr oder -minder stark jeder empfindet, der ins Feuer geht. Beruhigt durch das -Pflichtbewußtsein, das bei dem Stabskapitän besonders entwickelt und -stark war, setzte er sich an den Tisch und begann einen Abschiedsbrief -an seinen Vater zu schreiben. Als er nach zehn Minuten den Brief -beendet, stand er mit thränenfeuchten Augen vom Tische auf und begann, -im Geiste alle ihm bekannten Gebete wiederholend, sich umzukleiden. -Sein angetrunkener und grober Diener reichte ihm träge seinen neuen -Rock (der alte, den der Stabskapitän gewöhnlich anzog, wenn er auf die -Bastion ging, war nicht gereinigt). - -Weshalb ist der Rock nicht gereinigt? Du willst nur immer schlafen, du! -du! rief Michajlow zornig. - -Was schlafen? brummte Nikita; den ganzen geschlagenen Tag läuft man -umher wie ein Hund, da wird man wohl müde; und dann heißt es: schlaf' -nicht mal ein! - -Du bist wieder betrunken, sehe ich. - -Nicht für Ihr Geld habe ich getrunken, was machen Sie mir Vorwürfe? - -Schweig', Tölpel, schrie der Stabskapitän und wollte seinem Diener -einen Schlag versetzen. Er war schon vorher erregt gewesen, jetzt war -er vollends außer sich und erbittert über die Grobheit Nikitas, den -er gern hatte, sogar verwöhnte, und mit dem er bereits zwölf Jahre -zusammen lebte. - -Tölpel? Tölpel ... wiederholte der Diener, und weshalb schimpfen Sie -mich Tölpel, Herr? In solcher Zeit, wie jetzt, ist es nicht recht, zu -schimpfen. - -Michajlow erinnerte sich, wohin er zu gehen hatte und schämte sich. - -Du bringst einen wirklich um alle Geduld, Nikita, sprach er mit sanfter -Stimme, diesen Brief an meinen Vater laß auf dem Tische liegen, rühr' -ihn nicht an, fügte er errötend hinzu. - -Zu Befehl, Herr, sprach Nikita, den unter dem Einflusse des Weines, den -er, wie er sagte, für *sein eigenes Geld* getrunken hatte, ein Gefühl -der Rührung überkam, und der mit dem ersichtlichen Wunsche, in Thränen -auszubrechen, mit den Augen zwinkerte. - -Als der Stabskapitän auf der Außentreppe sagte: lebe wohl, Nikita! -brach Nikita plötzlich in Schluchzen aus und stürzte auf seinen Herrn -zu, um ihm die Hände zu küssen. Leben Sie wohl, Herr, sprach er -schluchzend. Eine alte Matrosenfrau, die auf der Außentreppe stand, -konnte als Weib dieser Gefühlsszene nicht unbeteiligt zuschauen, sie -wischte sich mit dem schmutzigen Ärmel die Augen und sprach ihre -Verwunderung darüber aus, warum sich denn die Herren solchen Qualen -aussetzten; sie sagte, sie sei eine arme Witwe, und erzählte zum -hundertsten Male dem betrunkenen Nikita von ihrem Kummer: wie ihr -Mann schon beim ersten »Bandirement« getötet und ihr Häuschen total -zerstört worden (das, in dem sie jetzt wohnte, gehörte nicht ihr) u. -s. w. Nachdem der Herr gegangen war, zündete Nikita sein Pfeifchen -an, bat das Haustöchterchen, Schnaps zu holen und hörte sehr bald auf -zu weinen. Ja, er begann sogar mit der Alten einen Zank wegen eines -kleinen Eimers, den sie ihm zerschlagen haben sollte. - -»Vielleicht werde ich nur verwundet, dachte der Stabskapitän, als er -bereits in der Dämmerung mit der Kompagnie auf die Bastion ging. -- -Aber wo, wie: hier oder dort? er hatte den Leib und die Brust im Sinn. --- Wenn hier (er dachte an den Oberschenkel), würde der Knochen ganz -bleiben ... Wenn aber hier, besonders von einem Bombensplitter, dann -ist es aus!« - -Der Stabskapitän gelangte glücklich durch die Laufgräben bis zu den -Schützengräben, stellte mit Hilfe eines Sappeuroffiziers bereits in -vollständiger Dunkelheit die Leute zur Arbeit an und setzte sich in -eine kleine Grube unter der Brustwehr. Es wurde wenig geschossen, -nur bisweilen flammten bald bei uns, bald bei »ihm« Blitze auf und -beschrieb eine leuchtende Bombenröhre einen feurigen Bogen am dunklen, -gestirnten Himmel. Aber alle Bomben fielen weit hinten und rechts -von dem Schützengraben nieder, in dessen Grube der Stabskapitän saß. -Er trank seinen Schnaps, aß seinen Käse, rauchte seine Cigarette -und versuchte, nachdem er sein Gebet verrichtet hatte, ein wenig zu -schlafen. - - -V - -Fürst Galzin, Oberstleutnant Neferdow und Praßkuchin, den niemand -gerufen hatte, mit dem niemand sprach, der sich aber immer zu ihnen -hielt, verließen alle drei den Boulevard, um bei Kalugin Thee zu -trinken. - -Nun, du hast mir noch nicht zu Ende erzählt von Wasjka Mendel, -sprach Kalugin; er hatte den Mantel abgelegt, saß am Fenster auf -einem weichen, bequemen Sessel und knöpfte den Kragen seines weißen, -gestärkten Oberhemdes auf, -- wie hat er sich verheiratet? - -Zum Kranklachen, Kamerad! ... _Je vous dis, il y avait un temps, on -ne parlait que de ça à Pétersbourg_, sagte Fürst Galzin lachend, -erhob sich von dem Klavier, vor dem er saß, und setzte sich auf das -Fenster neben Kalugins Fenster, einfach zum Kranklachen. Ich kenne die -Geschichte schon ganz genau ... - -Und er begann lustig, witzig und lebendig eine Liebesgeschichte zu -erzählen, die wir hier übergehen, weil sie für uns nicht interessant -ist. Aber merkwürdig war's, daß nicht bloß Fürst Galzin, sondern alle -diese Herren, die sich's hier bequem gemacht hatten, der eine im -Fenster, der andere mit übergeschlagenen Beinen, der dritte am Klavier, -ganz andere Menschen zu sein schienen, als auf dem Boulevard: frei von -der lächerlichen Aufgeblasenheit und Dünkelhaftigkeit, die sie den -Infanterie-Offizieren gegenüber hatten; hier waren sie unter sich, -gaben sich natürlich und waren, besonders Kalugin und Fürst Galzin, -höchst liebenswürdige, heitere und gute Jungen. Es war die Rede von -Petersburger Kameraden und Bekannten. - -Was macht Maslowski? - -Welcher: der von den Leib-Ulanen oder von der Garde-Kavallerie? - -Ich kenne sie beide. Den Gardisten habe ich noch als Knaben gekannt, -wie er eben aus der Schule kam. Nicht wahr, der ältere ist Rittmeister? - -O, schon lange! - -Geht er noch immer mit seinem Zigeunermädel? - -Nein, die hat er laufen lassen ... oder so ähnlich. - -Dann setzte sich Fürst Galzin an das Klavier und sang prächtig ein -Zigeunerlied. Praßkuchin, obwohl von niemand gebeten, begann ihn zu -begleiten, und so gut, daß man ihn bat, in der Begleitung fortzufahren, -was er auch sehr gern that. - -Ein Diener trat ins Zimmer; er brachte Thee, Sahne und Bretzeln auf -einem silbernen Präsentierteller. - -Reiche dem Fürsten! sagte Kalugin. - -Es ist doch eigentümlich, daran zu denken, sagte Galzin, indem er ein -Glas nahm und ans Fenster ging, daß wir hier in der belagerten Stadt, -... »Klaviergesang«, Thee mit Sahne und eine solche Wohnung haben, wie -ich sie wirklich in Petersburg haben möchte. - -Ja, wenn auch das noch fehlte, entgegnete der mit allem unzufriedene -alte Oberstleutnant, so wäre diese beständige Erwartung einfach -unerträglich, -- zu sehen, wie jeden Tag die Menschen fallen und -fallen, ohne daß man ein Ende absieht, -- wenn man dabei noch im -Schmutz leben müßte und keine Bequemlichkeit hätte! ... - -Und was sollen unsere Infanterieoffiziere sagen, rief Kalugin, die -auf den Bastionen mit den Soldaten in den Blindagen liegen und -Soldatensuppe essen? -- was sollen die sagen? - -Die? Die wechseln allerdings acht Tage lang nicht die Wäsche, aber das -sind auch Helden, bewunderungswürdige Menschen. - -In diesem Augenblick kam ein Infanterieoffizier ins Zimmer. - -Ich ... ich habe Befehl ... kann ich als Bote des Generals N. den -Gen... Seine Excellenz sprechen? fragte er schüchtern und grüßte. - -Kalugin erhob sich; aber ohne den Gruß des Offiziers zu erwidern, -fragte er ihn mit beleidigender Höflichkeit und einem erzwungenen -offiziellen Lächeln, ob es »Ihnen« nicht beliebte zu warten, dann -wandte er sich, ohne ihm die geringste Aufmerksamkeit zu schenken, -an Galzin, sprach mit ihm französisch, so daß der arme Offizier, der -mitten im Zimmer stehen geblieben war, absolut nicht wußte, was er mit -seiner Person machen sollte. - -In einer äußerst dringenden Angelegenheit, sagte der Offizier nach -einem minutenlangen Schweigen. - -Ich bitte Sie, mit mir zu kommen, sagte Kalugin, zog den Mantel an und -begleitete den Offizier zur Thür. - -_Oh bien, messieurs, je crois, que cela chauffera cette nuit!_ sagte -Kalugin, als er vom General zurückgekommen war. - -Wie? Was? Ein Ausfall? begannen alle zu fragen. - -Ich weiß nicht, Sie werden selber sehen, antwortete Kalugin mit einem -geheimnisvollen Lächeln. - -Mein Kommandeur ist auf der Bastion, darum muß ich wohl auch hingehen, -sagte Praßkuchin und legte den Säbel an. - -Aber niemand antwortete ihm, er mußte selber wissen, ob er zu gehen -habe oder nicht. - -Praßkuchin und Neferdow gingen hinaus, um sich auf ihre Plätze zu -begeben. - -Leben Sie wohl, meine Herren! Auf Wiedersehen, meine Herren! Wir werden -uns heute Nacht noch wiedersehen! schrie Kalugin aus dem Fenster, -als Praßkuchin und Neferdow über ihre Kosakensättel gebeugt, den Weg -entlang trabten. Das Getrabe der Kosakenpferde verklang bald in der -dunklen Straße. - -_Non, dites moi, est-ce qu'il y aura véritablement quelque chose cette -nuit?_ sagte Galzin, während er mit Kalugin im Fenster lag und die -Bomben betrachtete, die über den Bastionen aufstiegen. - -Dir kann ich's erzählen. Siehst du, ... du bist ja auf den Bastionen -gewesen? -- (Galzin machte ein Zeichen der Zustimmung, obgleich er nur -einmal auf der vierten Bastion gewesen war.) -- Dort, unserer Lunette -gegenüber war ein Laufgraben ... und Kalugin, der kein Fachmann war, -trotzdem aber seine strategischen Ansichten für sehr richtig hielt, -begann, ein wenig verwirrt und die technischen Ausdrücke verdrehend, -den Stand unserer und der feindlichen Werke und den Plan des -beabsichtigten Unternehmens zu schildern. - -Aber um die Schützengräben beginnt es zu knallen. Oho! Ist das eine von -uns oder von »ihm«? Da platzt sie, riefen sie, indem sie vom Fenster -aus, die feurigen, in der Luft sich kreuzenden Linien der Bomben, die -den dunkelblauen Himmel auf einen Augenblick erleuchtenden Blitze der -Schüsse und den weißen Pulverrauch betrachteten und den Tönen des immer -stärker werdenden Schießens lauschten. - -_Quel charmant coup d'oeil, a?_ sagte Kalugin, indem er die -Aufmerksamkeit seines Gastes auf dies wirklich schöne Schauspiel -lenkte. Weißt du, bisweilen kann man einen Stern nicht von einer Bombe -unterscheiden. - -Ja, ich dachte soeben, daß das ein Stern sei; aber er fällt ... sieh, -sie ist geplatzt. Und dieser große Stern ... wie heißt er? -- sieht -ganz wie eine Bombe aus. - -Weißt du, ich habe mich so an diese Bomben gewöhnt, daß mir in Rußland, -ich bin davon überzeugt, in einer Sternennacht alles als Bomben -erscheinen wird, -- so gewöhnt man sich daran. - -Soll ich aber nicht lieber diesen Ausfall mitmachen? sagte Fürst Galzin -nach einem minutenlangen Schweigen. - -Laß nur gut sein, Kamerad, und denk' nicht daran; ich lasse dich auch -nicht fort, antwortete Kalugin, du kommst schon noch zurecht, Kamerad! - -Im Ernst? ... Du meinst also, ich brauche nicht zu gehen -- wie? - -In diesem Augenblicke ließ sich in der Richtung, nach der die Herren -sahen, auf das Kanonengebrüll, schreckliches Gewehrgeknatter hören, und -Tausende von kleinen Feuern, die ununterbrochen aufflammten, blitzten -auf der ganzen Linie. - -So ist's, wenn's richtig losgeht! sagte Kalugin. Solches Gewehrfeuer -kann ich nicht kaltblütig anhören: weißt du, es erschüttert einem -gewissermaßen die Seele. Horch, das Urra! fügte er hinzu, indem er auf -den entfernten, gedehnten Ton von Hunderten von Stimmen: »a--a, aa,« -die von der Bastion her zu ihm drangen, horchte. - -Wessen Urra ist das -- das ihrige oder das unsere? - -Ich weiß nicht; aber das Handgemenge ist schon losgegangen, denn das -Feuer schweigt. - -In diesem Augenblick kam ein Offizier, von einem Kosaken begleitet, -unter das Fenster an die Außentreppe gesprengt und stieg vom Pferde. - -Woher? - -Von der Bastion. Ich muß zum General! - -Gehen wir. Nun, was giebt's? - -Wir haben die Schützengräben angegriffen ... genommen ... die Franzosen -haben zahllose Reserven herangeführt ... haben die Unsrigen angegriffen -... wir hatten nur zwei Bataillone, sprach atemlos und nach Worten -ringend, nach der Thür gewandt, derselbe Offizier, der am Abend -dagewesen war. - -Haben wir die Schützengräben geräumt? fragte Galzin. - -Nein, antwortete ärgerlich der Offizier, ein Bataillon kam noch -zur rechten Zeit, -- wir haben sie zurückgeschlagen; aber der -Regimentskommandeur ist tot, viele Offiziere, -- es ist Befehl -gegeben, um Verstärkung zu bitten. - -Mit diesen Worten ging er, von Kalugin begleitet, zum General, wohin -wir ihm nicht mehr folgen wollen. - -Schon nach fünf Minuten saß Kalugin auf einem Kosakenpferde und wieder -in der eigentümlichen _quasi_-kosakischen Weise, in der, wie ich -beobachtet habe, alle Adjutanten etwas Besonderes, Anmutiges sehen, -und ritt im Trabe nach der Bastion, um einige Befehle zu überbringen -und Nachrichten über das endgültige Resultat des Treffens abzuwarten; -Fürst Galzin begab sich unter dem Eindruck der peinigenden Erregung, -welche die nahen Anzeichen eines Treffens auf einen Zuschauer zu machen -pflegen, der nicht daran teilnimmt, auf die Straße, um hier ziellos -hin- und herzugehen. - - -VI - -Soldaten brachten Verwundete auf Tragbahren oder führten sie unterm -Arme. Auf der Straße war es vollständig dunkel; nur selten glänzte -Licht in einem Hospitale oder bei zusammensitzenden Offizieren. Von -den Bastionen her drang der frühere Geschütz- und Gewehrdonner, -und die früheren Feuer flammten unter dem schwarzen Himmel auf. -Bisweilen hörte man den Hufschlag des Pferdes eines fortgesprengten -Ordonnanz-Offiziers, das Stöhnen eines Verwundeten, die Schritte und -das Gemurmel von Krankenträgern und die Reden bestürzter Einwohner, die -auf die Außentreppe gegangen waren und sich die Kanonade mit ansahen. - -Unter den letzteren befand sich auch der uns bekannte Nikita, die -alte Matrosenfrau, mit der er sich schon versöhnt hatte, und deren -zehnjährige Tochter. »Herr Gott, heil'ge Mutter Gottes!« sprach -seufzend die Alte vor sich hin, als sie die Bomben sah, die wie -Feuerbälle unaufhörlich von einer Seite nach der anderen flogen; -schrecklich, wie schrecklich! ... i--i--hi--hi ... So schlimm war's -nicht beim ersten »Bandirement«. Sieh, wo die Verfluchte geplatzt ist! -gerade über unserm Hause in der Vorstadt. - -Nein, weiter, zur Tante Arinka fallen alle in den Garten, sprach das -Mädchen. - -Und wo, wo ist jetzt mein Herr? sagte Nikita mit etwas singender Stimme -und noch ein wenig betrunken. Wie ich diesen Herrn liebe, das kann ich -gar nicht sagen, -- ich liebe ihn so, wenn man ihn, was Gott verhüte, -sündhaft töten sollte, dann, glauben Sie mir, liebe Tante, weiß ich -selber nicht, was ich mit mir anfangen soll, -- bei Gott! Ein solcher -Herr ist er, daß ... mit einem Worte! Soll ich ihn denn mit denen -vertauschen, die da Karten spielen? ... Was? -- pfui, mit einem Worte! -schloß Nikita und zeigte dabei auf das erleuchtete Fenster im Zimmer -seines Herrn, wohin Junker Shwadtschewskij, während der Abwesenheit -des Stabskapitäns, zur Feier seiner Dekoration den Oberstleutnant -Ugrowitsch und den Oberstleutnant Nepschißezki, der an Reißen litt, zu -einem Festmahl geladen hatte ... - -Wie die Sternchen, die Sternchen fliegen! unterbrach, nach dem Himmel -sehend, das Mädchen das Nikitas Worten folgende Schweigen: sieh, sieh, -dort springt es noch! Weshalb ist das so, liebe Mutter? - -Sie werden unser Häuschen ganz und gar vernichten, sprach seufzend und -ohne auf die Frage des Mädchens zu antworten, die Alte. - -Und wie ich heut mit der Tante dorthin ging, Mütterchen, fuhr das im -singenden Tone sprechende Mädchen fort, da lag eine große Kanonenkugel -in der Stube neben dem Schranke, sie hatte, wie man sah, den Vorraum -durchgeschlagen und war in die Stube geflogen ... So groß, daß man sie -nicht aufheben konnte! - -Wer einen Mann hatte und Geld, der ist fortgezogen, -- hier haben sie -auch das letzte Häuschen zu Schanden geschossen, sagte die Alte. Sieh, -sieh, wie er feuert, der Bösewicht! Herr Gott! Herr Gott! - -Und wie wir gerade fortgehen, kommt eine Bombe geflogen, sie platzt und -überschüttet uns mit Erde, fast hätte mich und die Tante ein Stück -getroffen. - - -VII - -Immer mehr und mehr Verwundete auf Tragbahren und zu Fuß, die einen von -den andern gestützt und laut untereinander sprechend, kamen dem Fürsten -Galzin entgegen. - -Wie sie herangestürzt kamen, Kameraden, sprach mit Baßstimme ein großer -Soldat, der zwei Gewehre auf dem Rücken trug, wie sie herangestürzt -kamen und losschrien: »Allah, Allah!«[C] so klettert einer über den -andern weg. Schlägt man die einen tot, gleich kommen andere hinterdrein -geklettert -- da ist nichts zu machen. Kopf an Kopf ... - - [C] Unsere Soldaten waren aus den Türkenkriegen so an diesen - Schlachtruf gewöhnt, daß sie jetzt immer erzählen, die Franzosen - schreien auch Allah. - -An dieser Stelle seiner Erzählung unterbrach ihn Galzin. - -Kommst du von der Bastion? - -Jawohl, Euer Wohlgeboren. - -Nun, was gab's dort? Erzähle. - -Was es dort gab? Ihre »Macht« rückte heran, Euer Wohlgeboren, sie -klettern auf den Wall und aus war's. Sie haben vollständig gesiegt, -Euer Wohlgeboren! - -Was? gesiegt? ... Ihr habt sie ja doch zurückgeschlagen? - -Wie soll man »ihn« zurückschlagen, wenn »seine« ganze »Macht« -heranrückt! Er hat alle Unsrigen getötet, und Hilfe kommt nicht. - -Der Soldat hatte sich geirrt, denn der Laufgraben war in unserem -Besitz; aber das ist eine Eigentümlichkeit, die jeder beobachten kann: -ein Soldat, der in einer Schlacht verwundet worden ist, hält sie stets -für verloren und für schrecklich blutig. - -Wie hat man mir da sagen können, daß Ihr den Feind zurückgeschlagen -habt? sagte Galzin unwillig. Vielleicht ist er, nachdem du fort warst, -zurückgeschlagen worden? Bist du schon lange von dort fort? - -Diesen Augenblick, Euer Wohlgeboren! antwortete der Soldat, er ist -schwerlich zurückgeschlagen; der Laufgraben ist jedenfalls in seinen -Händen. -- Er hat vollständig gesiegt. - -Nun, und ihr schämt euch nicht, den Laufgraben geräumt zu haben? Das -ist schrecklich! sagte Galzin, empört über diese Gleichgültigkeit. - -Was soll man thun gegen die »Macht«? brummte der Soldat. - -Euer Wohlgeboren, sprach in diesem Augenblick neben ihnen ein Soldat -von einer Tragbahre herab, wie soll man nicht weichen, wenn er beinahe -alle getötet hat. Wäre unsere Macht dagewesen, wir würden lebend nicht -zurückgegangen sein. Was will man aber machen? Den einen habe ich -niedergestoßen, da bekam ich auch sogleich einen Hieb ... O -- ach, -ruhiger, Brüderchen, gleichmäßiger, geh langsamer ... O--o--o! stöhnte -der Verwundete. - -Hier geht in der That, glaub' ich, viel überflüssig Volk, sagte Galzin, -indem er den langen Soldaten mit den zwei Gewehren wieder zurückhielt. -Warum gehst du fort? He, du, still gestanden! - -Der Soldat blieb stehen und nahm mit der linken Hand die Mütze ab. - -Wohin gehst du und weshalb? schrie er ihn barsch an. Verf... - -Aber in diesem Augenblick war er ganz nah herangekommen, und bemerkte, -daß sein rechter Arm über dem Aufschlag bis über den Ellbogen hinaus -blutig war. - -Bin verwundet, Euer Wohlgeboren. - -Wodurch verwundet? - -Hier, wohl durch eine Gewehrkugel, sagte der Soldat, auf seinen Arm -zeigend, und hier, aber ich kann nicht sagen, was mich hier an den -Kopf getroffen hat, er beugte den Kopf vor und zeigte die blutigen, -zusammenklebenden Haare am Hinterkopf. - -Und wem gehört das zweite Gewehr? - -Ein französischer Stutzen, Euer Wohlgeboren, ich habe es einem -fortgenommen. Ja, ich wäre auch nicht fortgegangen, wenn ich nicht -diesen Soldaten hätte führen wollen, sonst fällt er, fügte er hinzu, -indem er auf einen Soldaten wies, der ein wenig vor ihm ging, sich auf -das Gewehr stützte und mit Mühe das linke Bein schleppend vorwärts -bewegte. - -Fürst Galzin schämte sich auf einmal sehr wegen seines ungerechten -Verdachts. Er fühlte, wie er rot wurde, wandte sich ab und ging, -ohne die Verwundeten weiter auszufragen oder zu beobachten, nach dem -Verbandplatz. - -Mit Mühe wand sich Galzin auf der Außentreppe durch die zu Fuß gehenden -Verwundeten und durch die Krankenträger, die Verwundete brachten und -Tote forttrugen, hindurch; dann ging er in das erste Zimmer, warf einen -Blick hinein, wandte sich sogleich unwillkürlich zurück und eilte -hinaus ins Freie -- das war zu schrecklich! - - -VIII - -Der große, hohe, dunkle Saal, nur von vier oder fünf Kerzen -erleuchtet, bei deren Licht die Ärzte die Verwundeten besichtigten, -war buchstäblich voll. Die Krankenträger brachten fortwährend -Verwundete, legten sie nebeneinander auf die Diele, auf der es -schon so eng war, daß die Unglücklichen sich stießen und einer in -des andern Blute lag, und holten neue. Die auf den nicht besetzten -Stellen der Diele sichtbaren Blutlachen, der fieberheiße Atem von -einigen Hunderten Menschen und die Ausdünstungen der Träger erzeugten -einen eigentümlichen, drückenden, dicken, übelriechenden Dunst, in -dem die Lichte an den verschiedenen Enden des Saales trübe brannten. -Stöhnen, Seufzen, Röcheln, bisweilen durch einen durchdringenden -Schrei unterbrochen, erfüllte den ganzen Saal. Die »Schwestern« -schritten mit ruhigen Gesichtern und mit dem Ausdruck thätiger, -praktischer Teilnahme, nicht mit dem des wertlosen, frauenhaften, -krankhaft-thränenreichen Mitleids, bald hierhin, bald dorthin durch -die Reihen der Verwundeten mit Arznei, mit Wasser, mit Binden, mit -Charpie, und tauchten zwischen blutigen Mänteln und Hemden auf. Die -Ärzte knieten mit aufgestreiften Ärmeln vor den Verwundeten, in deren -Nähe die Feldscher Lichte hielten, und untersuchten, befühlten, und -sondierten die Wunden, ohne auf das schreckliche Stöhnen der Dulder zu -achten. Einer der Ärzte saß in der Nähe der Thür an einem kleinen Tisch -und trug in dem Augenblick, da Galzin ins Zimmer trat, bereits den -532ten Verwundeten in die Liste ein. - -Iwan Bogajew, Gemeiner der dritten Kompagnie des S..-Regiments, -_fractura femuris complicata_, rief ein anderer vom Ende des Saales -her, indem er das zerschossene Bein befühlte. Dreh' ihn um. - -O weh, Väterchen, mein liebes Väterchen! schrie der Soldat und flehte, -man möchte ihn nicht anrühren. - -_Perforatio capitis!_ - -Ssemjon Neferdow, Oberstleutnant im N..-Infanterieregiment. Sie müssen -ein wenig Geduld haben, Oberst, sonst geht es nicht: ich lasse Sie -sonst liegen, sprach ein dritter, indem er mit einem Häkchen in dem -Kopfe des Oberstleutnants hin- und hertastete. - -Ach, nicht doch! O, um Gotteswillen, schneller, schneller, um ... -A--a--a--a--a! - -_Perforatio pectoris!_ ... Sewastjan Ssereda, Gemeiner ... von welchem -Regiment? ... Lassen Sie das Schreiben: _moritur_. Tragt ihn weg, sagte -der Arzt, und ging von dem Soldaten fort, der mit brechenden Augen -dalag und schon röchelte. - -Vierzig Mann, als Träger verwendete Soldaten, standen an der Thür, um -die Verbundenen ins Lazarett, die Toten in die Kapelle zu tragen, und -betrachteten von Zeit zu Zeit schwer seufzend dieses Bild ... - - -IX - -Auf dem Wege zur Bastion traf Kalugin viele Verwundete; da er aber aus -Erfahrung wußte, wie schlecht in der Schlacht ein solches Schauspiel -auf den Geist eines Menschen wirkt, so blieb er nicht nur nicht stehen, -um sie zu befragen, sondern suchte vielmehr sie gar nicht zu beachten. -Unten am Berge begegnete ihm ein Ordonnanz-Offizier, der in gestrecktem -Galopp von der Bastion gesprengt kam. - -Sobkin! Sobkin! ... halten Sie einen Augenblick. - -Nun, was giebt's? - -Wo kommen Sie her? - -Aus den Schützengräben. - -Nun, wie geht's dort zu, heiß? - -Ach, entsetzlich! - -In der That hatte, obwohl das Gewehrfeuer schwächer geworden, die -Kanonade mit neuer Heftigkeit und Wut begonnen. - -»Ach, gräßlich!« dachte Kalugin, indem er ein unangenehmes Gefühl -empfand, und ihn auch eine Vorahnung, ein sehr natürlicher Gedanke -- -der Gedanke an den Tod überkam. Aber Kalugin war ehrgeizig und mit -stählernen Nerven begabt, mit einem Wort, was man tapfer nennt. Er gab -sich nicht der ersten Empfindung hin und suchte sich Mut zu machen, -er erinnerte sich eines Adjutanten, ich glaube Napoleons, der in dem -Augenblick, wo er den Befehl zum Galopp weiter gab, mit blutendem Kopfe -zu Napoleon herangesprengt kam. - -_Vous êtes blessé?_ sagte Napoleon zu ihm. -- »_Je vous demande pardon, -Sire, je suis mort._« Und der Adjutant sank vom Pferde und war auf der -Stelle tot. - -Das erschien ihm sehr schön, und in seiner Einbildung kam er sich -selbst ein wenig wie dieser Adjutant vor, er schlug sein Pferd mit der -Peitsche, und gab sich noch mehr die kecke »Kosakenpose«, warf einen -Blick zurück auf den Kosaken, der in den Steigbügeln aufrecht stehend -hinter ihm her trabte, und kam als ein ganzer Held an der Stelle an, -wo er vom Pferde steigen sollte. Hier traf er vier Soldaten, die auf -Steinen saßen und ihre Pfeifen rauchten. - -Was macht ihr hier? schrie er sie an. - -Wir haben einen Verwundeten fortgebracht, Euer Wohlgeboren, und haben -uns hingesetzt, um auszuruhen, antwortete der eine von ihnen, indem er -seine Pfeife hinter dem Rücken verbarg und die Mütze abnahm. - -Ja, ausruhen ... Marsch, an eure Plätze! - -Er ging mit ihnen zusammen den Laufgraben entlang den Berg hinauf, -wobei er auf Schritt und Tritt Verwundeten begegnete. Auf der Höhe des -Berges wandte er sich links und befand sich, nachdem er einige Schritte -gegangen war, ganz allein. Ein Bombensplitter sauste ganz nahe an ihm -vorbei und schlug in den Laufgraben ein. Eine andere Bombe stieg vor -ihm auf und kam, wie ihm schien, gerade auf ihn zu geflogen. Plötzlich -wurde ihm schrecklich zu Mute: er lief trabend fünf Schritte weit -und legte sich auf die Erde nieder. Als die Bombe platzte, und zwar -entfernt von ihm, war er auf sich selber sehr böse, er stand auf und -sah sich um, ob jemand sein Niederlegen bemerkt hätte; aber niemand war -da. - -Wenn die Furcht sich einmal der Seele bemächtigt hat, weicht sie nicht -bald einem anderen Gefühle. Er, der sich immer gebrüstet hatte, daß -er sich niemals bücke, ging jetzt mit beschleunigten Schritten und -fast kriechend den Laufgraben entlang. »Ach, schlimm! dachte er, als -er stolperte, ich werde unfehlbar getötet,« er fühlte, wie schwer -es ihm wurde, zu atmen, und wie der Schweiß an seinem ganzen Körper -hervortrat, und wunderte sich über sich selber, versuchte aber nicht -mehr, seiner Empfindung Herr zu werden. - -Plötzlich ließen sich Schritte vor ihm hören. Schnell richtete er sich -auf, hob den Kopf in die Höhe und ging, munter mit dem Säbel klirrend, -nicht mehr mit den früheren schnellen Schritten einher. Er erkannte -sich selbst nicht wieder. Als er einem Sappeuroffizier und einem -Matrosen begegnete und der erstere ihm zurief: »Duck dich!« indem er -auf den leuchtenden Punkt einer Bombe zeigte, die immer heller und -heller, immer schneller und schneller sich näherte und in der Nähe des -Laufgrabens platzte, -- bog er nur ein wenig und unwillkürlich, unter -dem Einfluß des warnenden Schreies, den Kopf und ging weiter. - -Sieh da, der ist tapfer! sagte der Matrose, der ruhig die fallende -Bombe betrachtet und mit erfahrenem Blick sofort berechnet hatte, daß -ihre Splitter in den Laufgraben nicht einschlagen konnten, er duckt -sich nicht einmal! - -Nur noch einige Schritte hatte Kalugin über einen kleinen Platz bis -zur Blindage des Kommandeurs der Bastion zu gehen, als ihn wieder das -dumpfe Gefühl und die thörichte Furcht von vorhin überkam; sein Herz -schlug stärker, das Blut strömte ihm nach dem Kopfe, und er mußte sich -zusammennehmen, um nach der Blindage zu laufen. - -Warum sind Sie so außer Atem? sagte der General, als er ihm die Befehle -überbrachte. - -Ich bin sehr schnell gegangen, Excellenz! - -Wollen Sie nicht ein Glas Wein? - -Kalugin trank ein Glas Wein und rauchte eine Cigarette an. Das Gefecht -hatte bereits aufgehört, nur die starke Kanonade dauerte auf beiden -Seiten fort. In der Blindage saß der General N., der Kommandeur der -Bastion und sechs Offiziere, unter ihnen auch Praßkuchin, und sprachen -über verschiedene Einzelheiten des Gefechts. Als Kalugin in diesem -behaglichen Zimmer saß, das mit hellblauen Tapeten ausgeschlagen war, -das ein Sofa, einen Tisch, auf dem Papiere lagen, ein Bett, eine -Wanduhr und ein Heiligenbild, vor dem eine Lampe brannte, enthielt, --- als er diese Zeichen der Wohnlichkeit und die fast drei Fuß dicken -Balken der Decke sah und die in der Blindage nur schwach tönenden -Schüsse hörte, -- konnte er gar nicht begreifen, wie er sich zweimal -von einer so unverzeihlichen Schwäche hatte können übermannen lassen. -Er war über sich selber erzürnt und sehnte sich nach der Gefahr, um -sich von neuem zu prüfen. - -Ich freue mich, daß auch Sie hier sind, Kapitän, sagte er zu einem -Marineoffizier im Stabsoffiziersmantel mit einem starken Schnurrbart -und dem Georgskreuz, der inzwischen in die Blindage gekommen war -und den General bat, ihm Arbeiter zu geben, um zwei auf seiner -Batterie verschüttete Schießscharten wieder herzustellen. Der General -hat mir befohlen, mich zu informieren, fuhr Kalugin fort, als der -Batteriekommandeur aufgehört hatte, mit dem General zu sprechen, ob -Ihre Geschütze den Laufgraben mit Kartätschen beschießen können. - -Nur ein Geschütz kann es, antwortete mürrisch der Kapitän. - -Jedenfalls wollen wir hingehen und nachsehen. - -Der Kapitän runzelte die Stirn und schrie zornig: - -Schon die ganze Nacht habe ich dort gestanden und bin hierher gekommen, -um nur ein wenig auszuruhen, können Sie nicht allein hinuntergehen? -Mein Stellvertreter, der Leutnant Karz, ist dort, er wird Ihnen alles -zeigen. - -Der Kapitän kommandierte schon seit sechs Monaten diese Batterie, eine -der gefährlichsten, wohnte sogar schon seit Anfang der Belagerung, -da es noch keine Blindagen gab, ununterbrochen auf der Bastion und -hatte unter den Seeleuten den Ruf der Tapferkeit. Daher setzte seine -Weigerung Kalugin nicht wenig in Erstaunen und Verwunderung. »Was -bedeutet der Ruf!« dachte er. - -Nun, so werde ich allein gehen, wenn Sie gestatten, entgegnete er in -etwas spöttischem Tone dem Kapitän, der jedoch seine Worte nicht weiter -beachtete. - -Kalugin bedachte aber nicht, daß er zu verschiedenen Zeiten alles in -allem nur an fünfzig Stunden auf den Bastionen zugebracht, während -der Kapitän sechs Monate dort gewohnt hatte. Kalugin trieb noch die -Eitelkeit, der Wunsch zu glänzen, die Hoffnung auf Auszeichnungen, -auf Ruhm und der Reiz der Gefahr; der Kapitän hatte all das schon -durchgemacht: auch er hatte der Eitelkeit, der Tapferkeit, der Gefahr -nachgestrebt, der Hoffnung auf Auszeichnungen und Ruhm, und hatte auch -beide errungen, jetzt aber hatten alle diese Reizmittel ihre Macht -über ihn verloren, und er betrachtete den Krieg mit anderen Augen: er -erfüllte aufs pünktlichste seine Pflicht, war sich aber dessen wohl -bewußt, wie wenig Aussichten ihm für das Leben blieben, und setzte -darum nach einem Aufenthalte von sechs Monaten auf der Bastion diese -Aussichten nicht ohne die dringendste Not aufs Spiel, so daß der junge -Leutnant, der vor acht Tagen bei der Batterie eingetreten war, der sie -jetzt Kalugin zeigte, sich mit ihm unnützerweise zur Schießscharte -hinauslehnte und auf die Banketts kletterte, ihm zehnmal tapferer -erschien, als der Kapitän. - -Als Kalugin die Batterie besichtigt hatte und nach der Blindage -zurückging, stieß er in der Finsternis auf den General, der sich mit -seinen Ordonnanzoffizieren auf die Höhe begab. - -Rittmeister Praßkuchin! sagte der General, gehen Sie gefälligst in den -rechten Schützengraben hinunter und sagen Sie dem zweiten Bataillon des -M.-Regiments, das dort auf Arbeit ist, daß es die Arbeit abbrechen, -ohne Lärm abmarschieren und sich mit seinem Regiment vereinigen soll, -das unten am Berge in Reserve steht ... Verstehen Sie? Sie werden es -selbst zum Regiment führen. - -Zu Befehl. - -Und Praßkuchin lief im Trabe zum Schützengraben. - -Das Feuer wurde stärker. - - -X - -Ist dies das zweite Bataillon des M.-Regiments? fragte Praßkuchin, -als er, an Ort und Stelle gekommen war und auf Soldaten stieß, die in -Säcken Erde trugen. - -Jawohl, Herr. - -Wo ist der Kommandeur? - -Michajlow war in dem Glauben, daß nach dem Kompagniekommandeur -gefragt würde, kam aus seiner Grube herauf und ging, mit der Hand am -Mützenschirm, an Praßkuchin heran, den er für einen Vorgesetzten hielt. - -Der General hat befohlen, schnell ... und vor allem still zurückzugehen -... nein, nicht zurück, sondern zur Reserve, sprach Praßkuchin, indem -er nach dem feindlichen Feuer schielte. - -Als Michajlow Praßkuchin erkannt hatte, ließ er die Hand sinken und -gab, nachdem er erfahren, worum es sich handelte, den Befehl weiter; -das Bataillon hörte auf zu arbeiten, ergriff die Gewehre, zog die -Mäntel an und setzte sich in Bewegung. - -Wer es nicht kennen gelernt hat, kann sich die Freude nicht vorstellen, -die ein Mensch empfindet, der nach einem dreistündigen Bombardement -einen so gefährlichen Platz, wie ein Schützengraben ist, verläßt. -Michajlow, der während dieser drei Stunden mehr als einmal nicht ohne -Grund geglaubt, daß sein *Ende* gekommen, hatte sich schon mit dem -Gedanken vertraut gemacht, daß er unzweifelhaft fallen müsse und daß -er nicht mehr dieser Welt angehöre. Aber trotzdem kostete es ihm große -Mühe, seine Beine vom Laufen zurückzuhalten, als er neben Praßkuchin an -der Spitze der Kompagnie aus dem Schützengraben ging. - -Auf Wiedersehen! rief ihm ein Major zu, der Kommandeur eines anderen -Bataillons, das in den Schützengräben zurückblieb, und mit dem er in -der Grube an der Brustwehr gesessen und Käse gegessen hatte. Glück auf -den Weg! - -Und Ihnen wünsche ich, glücklich Ihre Position zu halten. Jetzt ist es, -wie mir scheint, ruhig geworden. - -Kaum aber hatte er dies gesagt, als der Feind, der jedenfalls die -Bewegung in den Gräben bemerkt hatte, immer stärker und stärker zu -feuern begann. Die Unsrigen antworteten ihm, und wiederum erhob sich -eine starke Kanonade. Die Sterne standen hoch am Himmel, glänzten -aber nicht hell. Die Nacht war so dunkel, daß man die Hand vor -den Augen nicht sah, nur die Feuer der Schüsse und die platzenden -Bomben erhellten auf einen Augenblick die Gegenstände. Die Soldaten -gingen schnell und schweigend und suchten unwillkürlich einander -zuvorzukommen; nach dem unaufhörlichen Rollen der Schüsse wurden -nur die gemessenen Schritte der Soldaten auf dem trockenen Wege, -das Klirren der Bajonette oder das Seufzen und das Gebet eines -Soldaten: »Herr, Herr! Was ist das?« gehört. Bisweilen ließ sich -das Stöhnen eines Verwundeten und der Ruf: »Tragbahre!« vernehmen. -(In der Kompagnie, die Michajlow befehligte, wurden allein durch -Artilleriefeuer in der Nacht 26 Mann getötet.) Ein Blitz flammte am -dunklen, fernen Horizonte auf, die Schildwache auf der Bastion schrie: -»Kano--o--ne!« und die Kugel sauste über die Kompagnie hin, riß die -Erde auf und warf Steine in die Höhe. - -»Hol's der Teufel! wie langsam sie gehen, dachte Praßkuchin, indem -er neben Michajlow einherschritt und fortwährend zurückblickte. -Wahrhaftig, ich laufe lieber voraus; den Befehl habe ich ja überbracht -... Übrigens, nein: man könnte ja sagen, daß ich ein Feigling bin. Mag -geschehen, was will, -- ich gehe mit den übrigen.« - -»Und weshalb folgt er mir? dachte seinerseits Michajlow. -- Soviel -ich bemerkt habe, bringt er immer Unglück. Da kommt eine geflogen, -schnurstracks hierher, wie mir scheint.« - -Als sie einige hundert Schritt gegangen waren, stießen sie auf -Kalugin, der, mit dem Säbel klirrend, gemessenen Schrittes nach den -Schützengräben ging, um auf Befehl des Generals sich zu erkundigen, -wie weit die Arbeiten dort gediehen seien. Als er aber Michajlow -traf, fiel ihm ein, er könne, anstatt selbst in diesem schrecklichen -Feuer dorthin zu gehen, was ihm auch nicht befohlen worden war, einen -Offizier, der dort gewesen, nach allem ausfragen. Und wirklich erzählte -ihm Michajlow ausführlich von dem Stand der Arbeiten. Dann ging Kalugin -noch einige Schritte mit ihm und bog in den zur Blindage führenden -Laufgraben ein. - -Nun, was giebt's Neues? fragte ein Offizier, der allein im Zimmer saß -und Abendbrot aß. - -Nichts, es scheint, daß es kein Gefecht mehr geben wird. - -Wie, kein Gefecht mehr? ... Im Gegenteil, der General ist soeben wieder -auf den Wachtturm gegangen. Noch ein Regiment ist gekommen. Da geht's -ja los ... hören Sie das Gewehrfeuer? Sie werden doch nicht gehen? -Wozu das? fügte der Offizier hinzu, als er die Bewegung bemerkte, die -Kalugin machte. - -»Eigentlich müßte ich jedenfalls dabei sein, dachte Kalugin, aber ich -habe mich in dieser Nacht schon vielen Gefahren ausgesetzt; das Feuer -ist schrecklich.« - -Ich werde sie in der That lieber hier erwarten, sagte er. - -Wirklich kehrten nach zwanzig Minuten der General und die bei ihm -befindlichen Offiziere zurück; unter ihnen befand sich der Junker -Baron Pest, aber Praßkuchin fehlte. Die Schützengräben waren von den -Unsrigen genommen und besetzt worden. - -Nachdem Kalugin ausführliche Nachrichten über das Gefecht erhalten, -verließ er mit Pest die Blindage. - - -XI - -Ihr Mantel ist blutig, sind Sie denn im Handgemenge gewesen? fragte ihn -Kalugin. - -Ach, schrecklich! Sie können sich vorstellen ... - -Und Pest begann zu erzählen, wie er seine Kompagnie geführt, wie -der Kompagniekommandeur getötet worden, wie er einen Franzosen -niedergestochen und wie ... wäre er nicht gewesen, das Gefecht verloren -wäre. - -Das Wesentliche dieser Erzählung, daß der Kommandeur getötet war -und daß Pest einen Franzosen getötet hatte, war richtig; aber in -der Schilderung der Einzelheiten war der Junker erfinderisch und -prahlsüchtig. - -Er prahlte unwillkürlich, da er sich während des ganzen Gefechts in -einer Art Rausch und Besinnungslosigkeit befunden hatte, so daß alles, -was geschah, ihm so vorkam, als wäre es irgendwo, irgendwann und mit -irgend jemandem geschehen; und es war natürlich, daß er sich Mühe gab, -diese Einzelheiten in einer für ihn vorteilhaften Weise darzustellen. -Wie aber war es in Wirklichkeit gewesen? - -Das Bataillon, dem der Junker während des Ausfalls zugeteilt war, -stand zwei Stunden im Feuer, in der Nähe einer Wand, dann gab der -Bataillonskommandeur vor der Front einen Befehl, die Hauptleute trugen -ihn weiter, das Bataillon setzte sich in Bewegung, marschierte vor -die Brustwehr und machte nach hundert Schritten Halt, um sich in -Kompagniekolonnen zu formieren. Pest wurde beordert, sich auf den -rechten Flügel der zweiten Kompagnie zu stellen. - -Ohne sich Rechenschaft darüber zu geben, wo er sich befinde und -weshalb er da sei, stellte sich der Junker an seinen Platz und sah -mit unwillkürlich verhaltenem Atem und mit kaltem, über den Rücken -laufendem Zittern bewußtlos vor sich hin, in die dunkle Ferne hinaus, -etwas Schreckliches erwartend. Übrigens war ihm nicht so schrecklich -zu Mute, denn es wurde nicht geschossen, vielmehr war ihm der Gedanke -eigentümlich, seltsam, sich außerhalb der Festung, auf freiem Felde zu -befinden. Wiederum gab der Bataillonskommandeur einen Befehl vor der -Front, wiederum überbrachten ihn flüsternd die Offiziere, und plötzlich -senkte sich die schwarze Wand der ersten Kompagnie, -- es war befohlen -worden, sich niederzulegen. Die zweite Kompagnie legte sich ebenfalls, -wobei sich Pest die Hand an einem Dornstrauch verletzte. Nur der -Hauptmann der zweiten Kompagnie legte sich nicht. Seine kleine Gestalt, -mit dem gezogenen Degen, den er unter fortwährendem Sprechen hin- und -herschwang, bewegte sich vor der Kompagnie. - -Kinder! Das sag' ich euch, haltet euch brav! Aus dem Gewehr keinen -Schuß, mit den Bajonetten auf die Kanaillen! Wenn ich »Urra« schreie, -dann mir nach und nicht zurückgeblieben! ... Frisch drauf los ist die -Hauptsache ... Wir wollen uns sehen lassen, nicht mit der Nase in den -Staub! Nicht wahr, Kinder? Für den Zaren, den Vater! ... - -Wie heißt unser Kompagniekommandeur? fragte Pest den Junker, der neben -ihm lag, er ist wirklich tapfer! - -Ja, er ist's immer, wenn es zum Kampfe kommt, antwortete der Junker, -Lißinkowski heißt er. - -Da blitzte dicht vor der Kompagnie eine Flamme auf, ein Krach ertönte, -der die ganze Kompagnie betäubte, hoch in die Luft schwirrten Steine -und Sprengstücke (wenigstens fiel nach fünfzig Sekunden ein Stein -nieder und zerschmetterte einem Soldaten das Bein). Das war eine Bombe -aus der Elevationslafette, und ihr Einfallen in die Kompagnie bewies, -daß die Franzosen die Kolonne bemerkt hatten. - -Mit Bomben schießt er! ... Laß uns nur erst an dich heran sein, dann -sollst du, Verfluchter, das dreikantige russische Bajonett kosten! -rief der Hauptmann so laut, daß der Bataillonskommandeur ihm befehlen -mußte zu schweigen und nicht so viel zu lärmen. - -Bald darauf erhob sich die erste Kompagnie, nach ihr die zweite. Es -wurde befohlen, das Gewehr zum Angriff in die rechte Hand zu nehmen, -und das Bataillon ging vorwärts. Pest hatte vor Furcht das Bewußtsein -verloren, wie betrunken ging er mit. Aber plötzlich blitzte von allen -Seiten eine Million von Feuern auf, pfiff und krachte es. Er schrie und -lief vorwärts, weil alle liefen und schrien. Dann stolperte er und fiel -auf etwas. Das war der Kompagnieführer, ... er war vor der Kompagnie -verwundet worden, er hielt den Junker für einen Franzosen und packte -ihn am Bein. Als er sein Bein befreit und sich erhoben hatte, stieß -in der Finsternis ein Mensch mit dem Rücken ihn an und hätte ihn fast -wieder zu Boden geworfen; da schrie ein anderer: »Stich ihn nieder! Was -gaffst du?« Er nahm das Gewehr und stieß das Bajonett in etwas Weiches. -»_Ah Dieu!_« schrie jemand mit schrecklicher, durchdringender Stimme, -und erst da begriff Pest, daß er einen Franzosen erstochen hatte. -- -Kalter Schweiß trat an seinem ganzen Körper hervor, er schüttelte sich -wie im Fieber und warf das Gewehr fort. Aber nur einen Augenblick -dauerte dies: sogleich kam ihm der Gedanke in den Kopf, daß er ein -Held sei. Er hob das Gewehr und lief »Urra« schreiend mit der Menge -von dem getöteten Franzosen fort. Nachdem er zwanzig Schritte gelaufen -war, kam er in einen Laufgraben. Dort waren die Unsrigen und der -Bataillonskommandeur. - -Ich habe einen erstochen! sagte er zu dem Bataillonskommandeur. - -Brav, Baron! - - -XII - -Und wissen Sie, Praßkuchin ist tot! sagte Pest, als er Kalugin, der -nach Hause ging, begleitete. - -Nicht möglich! - -Warum? Ich habe es selbst gesehen. - -Leben Sie wohl, ich habe Eile! - -Ich bin sehr zufrieden, dachte Kalugin auf dem Heimwege, zum erstenmal -habe ich während meines Tagdienstes Glück gehabt. Es ist mir -vortrefflich gegangen: ich bin am Leben und unverletzt, Auszeichnungen -wird es auch geben und jedenfalls einen goldenen Säbel. Übrigens habe -ich es verdient. - -Nachdem er dem General alles Notwendige gemeldet hatte, ging er in sein -Zimmer. - -Mit außerordentlichem Behagen fühlte sich Kalugin zu Hause außer -Gefahr; nachdem er ein Nachthemd angezogen und sich ins Bett gelegt, -erzählte er Galzin die Einzelheiten des Gefechts; er schilderte sie -sehr natürlich von dem Gesichtspunkte aus, von dem die Einzelheiten -bewiesen, daß er, Kalugin, ein sehr tüchtiger und tapferer Offizier -sei, was, wie ich meine, gar nicht nötig war zu betonen, da alle -Welt das wußte und niemand ein Recht oder einen Grund hatte, daran -zu zweifeln, außer dem seligen Rittmeister Praßkuchin vielleicht, -der, obgleich er es oft später als ein Glück betrachtete, Arm in Arm -mit Kalugin zu gehen, gestern einem Freunde unter Diskretion erzählt -hatte, Kalugin sei ein trefflicher Mensch, gehe aber, unter uns gesagt, -furchtbar ungern auf die Bastion. - -Kaum hatte sich Praßkuchin, neben Michajlow gehend, von Kalugin -getrennt und schon angefangen, etwas aufzuleben, weil er nach einem -weniger gefährlichen Platz ging, als er einen hellstrahlenden Blitz -hinter sich sah, und den Schrei der Schildwache: »Mörser!« sowie die -Worte eines hinter ihm gehenden Soldaten: »Direkt nach der Bastion -fliegt sie!« hörte. - -Michajlow sah sich um. Der glänzende Punkt der Bombe schien in seinem -Zenith stehen zu bleiben, in einer Stellung, daß es entschieden -unmöglich war, seine Richtung zu bestimmen. Aber das dauerte nur einen -Augenblick: die Bombe kam immer schneller und näher, so daß schon -die Funken der Röhre sichtbar waren und das verhängnisvolle Pfeifen -hörbar, -- gerade mitten unter das Bataillon fiel sie nieder. - -Legt euch! rief eine Stimme. - -Michajlow und Praßkuchin legten sich auf die Erde. Praßkuchin kniff -die Augen zu und hörte nur, wie die Bombe ganz in seiner Nähe auf die -feste Erde aufschlug. Es verging eine Sekunde, die ihm wie eine Stunde -erschien, -- die Bombe platzte nicht. Praßkuchin erschrak: sollte -er unnötig feig gewesen sein? War vielleicht die Bombe weit von ihm -niedergefallen, und war es ihm nur so vorgekommen, als ob ihre Röhre -in seiner Nähe gezischt? Er öffnete die Augen und sah mit Befriedigung -Michajlow dicht an seinen Füßen unbeweglich liegen. Aber da begegnete -seinen Augen auf einen Moment die leuchtende Röhre der nur eine Elle -entfernt von ihm sich drehenden Bombe. - -Ein Schreck -- ein kalter, alles Denken und Fühlen lähmender Schreck -- -ergriff sein ganzes Wesen. Er bedeckte das Gesicht mit beiden Händen. - -Noch eine Sekunde verging -- eine Sekunde, in der eine ganze Welt -von Gefühlen, Gedanken, Hoffnungen, Erinnerungen an seinem Geiste -vorüberblitzte. - -»Wen wird sie treffen, mich oder Michajlow, oder beide zusammen? Und -wenn mich, dann wo? Am Kopf, dann ist alles vorbei; am Bein, dann -wird es abgeschnitten -- und dann werde ich bitten, daß man mich -chloroformiert und kann noch am Leben bleiben. Vielleicht aber tötet -sie nur Michajlow, dann werde ich erzählen, wie wir zusammen gegangen, -wie er getroffen worden, und sein Blut mich bespritzt hat. Nein, mir -ist sie näher ... mich tötet sie!« - -Da fielen ihm die zwölf Rubel ein, die er Michajlow schuldig war, und -noch eine Schuld in Petersburg, die er längst hätte bezahlen müssen; -ein Zigeunermotiv, das er gestern abend gesungen hatte, huschte ihm -durch den Kopf. Das Weib, das er liebte, stand vor seiner Phantasie -in einer Haube mit lila Bändern; der Mensch, der ihn vor fünf Jahren -beleidigt und dem er diese Beleidigung nicht heimgezahlt hatte, -fiel ihm ein, obgleich, untrennbar von dieser und tausend anderen -Erinnerungen, das Gefühl der Gegenwart -- die Erwartung des Todes --- ihn nicht einen Augenblick verließ. »Übrigens, vielleicht platzt -sie nicht«, dachte er und wollte mit verzweifelter Entschlossenheit -die Augen öffnen. Aber in diesem Augenblick traf ihn durch die -geschlossenen Lider ein roter Feuerschein, und mit entsetzlichem -Krachen schlug ihm etwas mitten in die Brust; er stürzte vorwärts, -stolperte über den Säbel, der ihm zwischen die Beine geraten war, und -fiel auf die Seite. - -»Gott sei Dank, es ist nur ein Streifschuß!« war sein erster Gedanke, -und er wollte mit den Händen seine Brust befühlen; aber seine Hände -waren wie gelähmt und sein Kopf wie in einen Schraubstock eingeklemmt. -Vor seinen Augen huschten die Soldaten vorüber, und bewußtlos zählte -er sie: »Eins, zwei, drei Mann; da einer in den Mantel gehüllt, ein -Offizier,« dachte er. Dann flammte ein Blitz vor seinen Augen auf, -und er dachte darüber nach, woher der Schuß wohl kommt: aus einem -Mörser oder aus einer Kanone? Wahrscheinlich aus einer Kanone. Da -neue Schüsse; da noch Soldaten: fünf, sechs, sieben Mann, alle gehen -vorüber. Plötzlich wurde ihm furchtbar zu Mut, als ob ihn jemand -würgte. Er wollte schreien, er habe einen Streifschuß bekommen, aber -sein Mund war so vertrocknet, daß ihm die Zunge am Gaumen klebte, und -ein schrecklicher Durst ihn quälte. Er fühlte, wie naß er um die Brust -war: dieses Gefühl der Nässe rief ihm das Wasser in Erinnerung, und er -hätte auch das trinken mögen, wovon seine Brust naß war. - -»Wahrscheinlich habe ich mich blutig geschlagen, als ich fiel,« dachte -er. Er überließ sich immer mehr und mehr der Furcht, daß die Soldaten, -die an ihm vorüberhuschten, ihn erwürgen würden. Er nahm alle Kräfte -zusammen und wollte schreien: »Nehmt mich mit!« Aber anstatt dessen -stöhnte er so schrecklich, daß es ihm fürchterlich war, sich zu -hören. Dann hüpften rote Flämmchen vor seinen Augen, und es war ihm, -als legten Soldaten Steine über ihn; die Flämmchen hüpften immer -schneller und schneller, die Steine, die man über ihn legte, drückten -immer schwerer und schwerer. Er machte eine Anstrengung, um die Steine -abzuwälzen, streckte sich aus, und dann sah, hörte, dachte und fühlte -er nichts mehr. Er war durch einen Bombensplitter mitten in die Brust -getroffen und auf der Stelle getötet worden. - - -XIII - -Michajlow war, als er die Bombe sah, auf die Erde niedergefallen; -während der zwei Sekunden, in welchen die Bombe ungeborsten dalag, -dachte und fühlte er ebenso viel, wie Praßkuchin. Er betete in Gedanken -zu Gott und wiederholte fortwährend: »Dein Wille geschehe! Und wozu -bin ich in den Dienst getreten -- dachte er gleichzeitig -- und noch -dazu in die Infanterie, um an dem Feldzuge teilzunehmen? Wäre es nicht -besser gewesen, im Ulanenregiment zu bleiben in T. und meine Zeit bei -meiner lieben Natascha zuzubringen? Jetzt ...« Und er begann zu zählen: -eins, zwei, drei, vier und sagte sich, gerade heißt lebendig bleiben, -ungerade tot: »Nun ist alles zu Ende, ich bin tödlich getroffen!« -dachte er, als die Bombe platzte, und er einen Schlag an den Kopf -bekam und einen rasenden Schmerz empfand. »Herr, verzeih' mir meine -Sünden,« rief er mit gefalteten Händen, wollte sich erheben, fiel aber -besinnungslos auf den Rücken. - -Das erste, was er fühlte, als er wieder zu sich kam, war das Blut, -das ihm über die Nase strömte, und der bei weitem schwächer gewordene -Schmerz am Kopf. »Die Seele entflieht, dachte er. -- Wie wird es »dort« -sein? ... Herr, nimm meine Seele in Frieden auf. Nur das Eine ist -sonderbar, dachte er, daß ich sterbend so deutlich die Schritte der -Soldaten und die Schüsse höre.« - -Eine Bahre her ... he ... unser Hauptmann ist tot! schrie über seinem -Kopfe eine Stimme, die er unwillkürlich als die des Trommlers Ignatjew -erkannte. - -Da faßte ihn jemand bei den Schultern. Er versuchte, die Augen zu -öffnen und sah über seinem Kopf den dunkelblauen Himmel, Sterngruppen -und zwei über ihn hinfliegende Bomben, die um die Wette weitereilten --- er sah Ignatjew, Soldaten mit Tragbahren und Gewehren, den Wall -des Laufgrabens, und überzeugte sich plötzlich, daß er noch nicht im -Jenseits sei. - -Er war leicht von einem Stein am Kopf verwundet. Seine allererste -Empfindung war etwas wie Bedauern: er hatte sich so gut und ruhig -auf den Übergang »dorthin« vorbereitet, daß ihn die Rückkehr in -die Wirklichkeit mit ihren Bomben, Laufgräben und Blute unangenehm -berührte; seine zweite Empfindung war die unbewußte Freude darüber, -daß er lebendig war; die dritte -- der Wunsch, so bald als möglich die -Bastion zu verlassen. Der Trommler verband seinem Hauptmann den Kopf -mit einem Tuche, nahm den Verwundeten unter den Arm und wollte ihn nach -dem Verbandort führen. - -»Wohin und weshalb ich aber gehe? dachte der Stabskapitän, als er etwas -zu sich gekommen war. Meine Pflicht ist, bei der Kompagnie zu bleiben -und nicht vorzeitig fortzugehen, umsomehr, als sie bald aus dem Feuer -herauskommen wird,« flüsterte eine innere Stimme ihm zu. - -Es ist nicht nötig, Bruder, sagte er, indem er seinen Arm dem -dienstfertigen Trommler entzog, ich werde nicht nach dem Verbandort -gehen, sondern bei der Kompagnie bleiben. - -Und er wandte sich zurück. - -Sie thäten besser, sich ordentlich verbinden zu lassen, Euer -Wohlgeboren, sagte Ignatjew, -- nur in der ersten Hitze scheint das -nichts zu sein; Sie machen es bloß schlimmer; hier giebt's ein ganz -gehöriges Feuer ... gewiß, Euer Wohlgeboren! - -Michajlow blieb einen Augenblick unentschlossen stehen und würde -wahrscheinlich Ignatjews Rat befolgt haben, wenn er nicht bedacht -hätte, wieviel Schwerverwundete am Verbandort sein würden. - -»Vielleicht werden die Doktoren über meine Schramme nur lächeln,« -dachte der Stabskapitän und ging, trotz der Gründe des Trommlers, -entschlossen zur Kompagnie zurück. - -Wo ist der Ordonnanzoffizier Praßkuchin, der mit mir gegangen war? -fragte er den Fähnrich, der die Kompagnie führte. - -Ich weiß nicht ... tot, glaube ich, antwortete mürrisch der Fähnrich, -tot oder verwundet. - -Wie können Sie das nicht wissen, er ist ja mit uns gegangen? Und -weshalb haben Sie ihn nicht mitgenommen? - -Wie soll man ihn mitnehmen, wenn's ein solches Feuer giebt! - -Ach! so sind Sie, Michail Iwanytsch, rief zornig Michajlow, wie konnten -Sie ihn liegen lassen, wenn er noch lebt; ja, wenn er auch tot ist, -mußten Sie doch den Leichnam mitnehmen. - -Wie kann er leben, wenn ich Ihnen sage, ich selber habe ihn gesehen! -sagte der Fähnrich. Ich bitte Sie! wenn wir nur erst unsere eigenen -Leute fortgeschafft hätten! ... Sieh' da, jetzt schießt die Kanaille -mit Kanonenkugeln! fügte er hinzu. - -Michajlow setzte sich und faßte sich an den Kopf, der ihm von der -Bewegung aufs heftigste schmerzte. - -Nein, wir müssen jedenfalls hin und ihn mitnehmen; vielleicht lebt -er noch, sagte Michajlow. -- Das ist unsere *Schuldigkeit*, Michail -Iwanytsch! - -Michail Iwanytsch antwortete nicht. - -»Der hat ihn vorhin nicht mitgenommen, und jetzt muß ich die Soldaten -allein schicken; aber darf ich sie schicken? -- Bei solch einem -schrecklichen Feuer können sie zwecklos getötet werden,« dachte -Michajlow. - -Kinder! wir müssen zurückgehen, um einen Offizier mitzunehmen, der dort -im Graben verwundet worden ist, rief er nicht allzu laut und befehlend, -da er fühlte, wie unangenehm den Soldaten die Erfüllung dieses Befehls -sein würde, -- und wirklich, da er niemand mit Namen bezeichnet hatte, -trat keiner vor, dem Geheiß nachzukommen. - -»Es ist wahr: vielleicht ist er schon tot und es *lohnt* sich nicht, -die Leute einer unnötigen Gefahr auszusetzen; nur an mir liegt die -Schuld, weshalb habe ich mich um ihn nicht bekümmert. Ich werde -selber gehen, mich zu überzeugen, ob er noch lebt. Das ist meine -*Schuldigkeit*,« sprach Michajlow zu sich selbst. - -Michail Iwanytsch! führen Sie die Kompagnie, ich werde nachkommen, -sagte er und lief, mit der einen Hand den Mantel aufhebend, mit der -andern das Bild des heiligen Mitrophan, zu dem er ein besonderes -Vertrauen hatte, fortwährend berührend, im Trabe den Laufgraben entlang. - -Nachdem sich Michajlow überzeugt, daß Praßkuchin tot war, schleppte -er sich, keuchend und mit der Hand den locker gewordenen Verband und -den heftig schmerzenden Kopf haltend, zurück. Als er sein Bataillon -erreichte, stand es bereits unten am Berge an Ort und Stelle und fast -außerhalb Schußweite. Ich sage: *fast*, nicht außerhalb Schußweite, -weil bisweilen auch bis dahin sich Bomben verirrten. - -»Aber morgen muß ich mich am Verbandort als verwundet einschreiben -lassen,« dachte der Stabskapitän, als der herbeigekommene Feldscher ihn -verband. - - -XIV - -Hunderte von frischen, blutigen Menschenkörpern, die vor zwei Stunden -noch von den mannigfaltigsten, erhabenen und kleinlichen Hoffnungen und -Wünschen erfüllt waren, lagen mit erstarrten Gliedern in dem betauten, -blumenreichen Thale, das die Bastion vom Laufgraben trennte, und auf -dem ebenen Fußboden der Totenkapelle in Sewastopol; Hunderte von -Menschen, mit Verwünschungen und Gebeten auf den vertrockneten Lippen, -krochen, wanden sich und stöhnten: die einen zwischen den Leichnamen -im blumenreichen Thal, die anderen auf Tragbahren, Pritschen und der -blutigen Diele des Verbandortes; und gerade so, wie an früheren Tagen, -stand Wetterleuchten über dem Ssapunberg, erbleichten die glänzenden -Sterne, kam ein weißer Nebel vom brausenden, dunkeln Meere daher -gezogen, flammte die helle Morgenröte im Osten auf, zerstreuten sich -die dunklen Gewitterwölkchen am hellblauen Horizont, und gerade so wie -an den früheren Tagen tauchte, der ganzen erwachenden Welt Freude, -Liebe und Glück verheißend, das mächtige, schöne Tagesgestirn empor. - - -XV - -Am folgenden Tage, gegen Abend, spielte wieder eine Jägerkapelle auf -dem Boulevard, und wieder spazierten Offiziere, Junker, Soldaten -und junge Frauenzimmer müßig in der Nähe des Pavillons und in den -niedrigen, von blühenden, wohlriechenden, weißen Akazien gebildeten -Alleen. - -Kalugin, Fürst Galzin und ein Oberst gingen Arm in Arm um den Pavillon -und sprachen von dem Gefecht des vergangenen Tages. - -Der leitende Faden ihres Gesprächs war, wie es immer in ähnlichen -Fällen zu sein pflegt, nicht das Gefecht selbst, sondern der Anteil, -den der Erzählende an dem Gefecht genommen hatte. Ihr Aussehen und der -Klang ihrer Stimme war ernst, beinahe traurig, als ob die Verluste -des gestrigen Tages jeden von ihnen berührten und schmerzten; in -Wahrheit aber war dieser Ausdruck der Trauer, da niemand von ihnen -einen nahestehenden Menschen verloren hatte, der offizielle Ausdruck, -den sie für ihre Pflicht hielten zur Schau zu tragen. Kalugin und der -Oberst wären jeden Tag bereit gewesen, ein solches Gefecht mitzumachen, -wenn sie nur jedesmal einen goldenen Säbel oder den Generalmajor -bekommen hätten, obgleich sie sehr nette Menschen waren. Ich höre es -gern, wenn man einen Eroberer wegen seines Ehrgeizes, der Millionen zu -Grunde richtet, einen Unmenschen nennt. Man frage aber den Fähnrich -Petruschow und den Unterleutnant Antonow und andere aufs Gewissen, -dann ist jeder von uns ein kleiner Napoleon, ein kleiner Unmensch, und -jeden Augenblick bereit, einen Kampf aufzunehmen und hunderte Menschen -zu töten, nur um einen unnützen Orden oder ein Drittel seiner Gage zu -bekommen. - -Nein, entschuldigen Sie, sagte der Oberst, erst ist es auf dem linken -Flügel losgegangen, *ich bin ja dort gewesen*. - -Vielleicht, antwortete Kalugin. *Ich war mehr auf dem rechten; ich bin -zweimal hingekommen: Einmal suchte ich den General und das andere Mal -ging ich so hin -- die Verschanzung anzusehen. Da ging es heiß her.* - -Ja, gewiß, so ist es, Kalugin weiß es, sagte Fürst Galzin zu dem -Oberst. Weißt du, heute hat mir W... von dir gesagt, du seist ein -tapfrer ... - -Aber Verluste, schreckliche Verluste, sagte der Oberst. *Von meinem -Regiment* sind 400 Mann gefallen. Ein Wunder, *daß ich lebendig -davongekommen bin*. - -Da zeigte sich am andern Ende des Boulevards die Gestalt Michajlows mit -verbundenem Kopfe; er ging auf sie zu. - -Wie, Sie sind verwundet, Kapitän? sagte Kalugin. - -Ja, ein wenig, durch einen Stein, antwortete Michajlow. - -_Est ce que pavillon est baissé déjà?_ fragte Fürst Galzin und sah -dabei nach der Mütze des Stabskapitäns, ohne sich an eine bestimmte -Person zu wenden. - -_Non, pas encore_, antwortete Michajlow, der gern zeigen wollte, daß er -französisch verstehe und spreche. - -Dauert denn der Waffenstillstand noch fort? sagte Galzin russisch, -und wandte sich an den Kapitän, um dadurch, wie dem Stabskapitän -schien, auszudrücken, es muß Ihnen wohl schwer fallen, französisch zu -sprechen und ist doch wohl besser geradezu ... Und damit entfernten -sich die Adjutanten von ihm. Der Stabskapitän fühlte sich, wie gestern, -außerordentlich vereinsamt, begrüßte mehrere, und da er sich zu den -einen nicht gesellen wollte und zu den andern heranzutreten sich nicht -entschließen konnte, setzte er sich in der Nähe des Kasarskij-Denkmals -nieder und rauchte eine Cigarette an. - -Baron Pest kam ebenfalls auf den Boulevard. Er erzählte, er habe -den Verhandlungen über den Waffenstillstand beigewohnt und mit -französischen Offizieren gesprochen; ein Offizier habe ihm gesagt: -_S'il n'avait pas fait clair encore pendant une demi-heure, les -embuscades auraient été reprises_, und er habe ihm geantwortet: -_Monsieur, je ne dis pas non, pour ne pas vous donnez un démenti_, so -vortrefflich habe er ihm geantwortet u. s. w. - -In Wirklichkeit aber hatte er, obwohl er bei den Verhandlungen gewesen -war, gar keine Gelegenheit gehabt, dort etwas besonderes zu sagen, -obwohl er große Lust hatte, mit den Franzosen zu sprechen. (Es ist doch -ein ungeheures Vergnügen, mit Franzosen zu sprechen.) Der Junker Baron -Pest war lange die Linie entlang gegangen und hatte alle Franzosen, -die in seiner Nähe waren, gefragt: _De quel régiment êtes-vous?_ Sie -antworteten ihm -- und das war alles. Als er sich aber zu weit über -die Linie hinauswagte, schimpfte der französische Wachtposten, der -nicht vermutete, daß dieser Soldat französisch verstehen könnte, ihn -in der dritten Person aus: »_Il vient regarder nos travaux ce sacré -..._« sagte er. Und da der Junker Baron Pest infolgedessen kein -Vergnügen mehr fand an den Verhandlungen, war er nach Hause geritten -und hatte unterwegs über die französischen Sätze nachgedacht, die -er jetzt vorbrachte. Auf dem Boulevard stand auch Kapitän Sobow in -lautem Gespräch und Kapitän Obshogow, der ganz erregt aussah, und der -Artilleriekapitän, der keines Menschen Gunst suchte, und der in seiner -Liebe glückliche Junker und alle die Personen von gestern, immer noch -mit denselben Wünschen und Trieben. Nur Praßkuchin, Neferdow und noch -einer fehlten, und es wurde ihrer jetzt, wo ihre Körper noch nicht -gewaschen, geschmückt und in die Erde verscharrt waren, kaum gedacht -oder erwähnt. - - -XVI - -Auf unserer Bastion und dem französischen Laufgraben sind weiße -Flaggen aufgesteckt, und zwischen ihnen, im blumenreichen Thale, -liegen haufenweis, ohne Stiefel, in grauen und blauen Uniformen, -verstümmelte Leichen, die Arbeiter zusammentragen und auf Wagen legen. -Der Geruch der toten Körper erfüllt die Luft. Aus Sewastopol und aus -dem französischen Lager strömen Menschenscharen herbei, um dieses -Schauspiel anzusehen, und mit brennender, wohlwollender Neugierde eilt -die eine Schar zur andern. - -Hören wir, was diese Leute untereinander sprechen. - -Dort, in einem Kreise von Russen und Franzosen, betrachtet ein junger -Offizier, der zwar schlecht, aber hinreichend französisch spricht, um -verstanden zu werden, eine Gardepatrontasche. - -Eh seßi purkua se uaso lië? sagt er. - -_Par ce que c'est un giberne d'un régiment de la garde, Monsieur, qui -porte l'aigle impérial._ - -Eh wu de la gard? - -_Pardon, Monsieur, du 6^{ème} de ligne._ - -Eh seßi u aschte? fragt der Offizier, indem er auf eine hölzerne gelbe -Cigarrenspitze zeigt, aus der der Franzose eine Cigarette raucht. - -_A Balaclava, Monsieur! C'est tout simple en bois de palme._ - -Sholi, sagt der Offizier, der sich in seinem Gespräch weniger von -seinem Willen leiten läßt, als von den Worten, die er kennt. - -_Si vous voulez bien garder cela comme souvenir de cette rencontre, -vous m'obligerez._ - -Und der höfliche Franzose bläst die Cigarette heraus und überreicht dem -Offizier mit einer leichten Verbeugung die Spitze. Der Offizier giebt -ihm die seinige, und alle Leute in der Gruppe, sowohl Franzosen, wie -Russen, scheinen sehr vergnügt darüber zu sein und zu lächeln. - -Dort ist ein kecker Infanterist, in einem rosa Hemd und mit -umgeworfenem Mantel, in Begleitung anderer Soldaten, die, die Hände -auf dem Rücken, mit frohen, neugierigen Gesichtern hinter ihm stehen, -an einen Franzosen herangegangen und bittet ihn um Feuer für seine -Pfeife. Der Franzose bläst seine Pfeife stärker an, stochert den Tabak -auf und schüttet Feuer in des Russen Pfeife. - -Tabak bun, sagt der Soldat im rosa Hemd, und die Zuschauer lächeln. - -_Oui, bon tabac, tabac turc_, sagt der Franzose, _et chez vous autres, -tabac -- russe? bon?_ - -Ruß -- bun, sagt der Soldat im rosa Hemd, und die Anwesenden schütteln -sich vor Lachen. Franße nicht bun, bonshur mussje! sagt der Soldat im -rosa Hemd, indem er seinen ganzen Vorrat von Sprachkenntnissen auf -einmal erschöpft, und klopft lachend dem Franzosen auf den Bauch. - -_Ils ne sont pas jolis ces b... de Russes_, sagt ein Zuave mitten aus -dem Franzosenhaufen. - -_De quoi de ce qu'ils rient donc?_ sagt ein anderer, ein dunkelbrauner -Geselle mit italienischer Aussprache, und kommt auf die Unsrigen zu. - -Kaftan bun, sagt der kecke Soldat, indem er die gestickten Schöße des -Zuaven betrachtet -- und wieder lachen alle. - -_Ne sors pas de la ligne, à vos places, sacré nom!_ schreit der -französische Korporal, und die Soldaten gehen mit sichtlicher -Unzufriedenheit auseinander. - -Da drüben, im Kreise französischer Offiziere, steht ein junger -Kavallerieoffizier von uns und löst sich in Liebenswürdigkeiten auf. -Es ist die Rede von einem gewissen _comte Sazonoff, que j'ai beaucoup -connu, M._, sagt ein französischer Offizier, dem eine Achselklappe -fehlt; _c'est un de ces vrais comtes russes, comme nous les aimons_. - -_Il y a un Sazonoff, que j'ai connu_, sagt der Kavallerist, _mais il -n'est pas comte, à moins, que je sache; un petit brun de votre âge à -peu près_. - -_C'est ça, M. c'est lui. Oh, que je voudrais le voir ce cher comte. -Si vous le voyez, je vous prie bien de lui faire mes compliments. -- -Capitaine Latour_, sagt er mit einer Verbeugung. - -_N'est-ce pas terrible la triste besogne, que nous faisons? Ça -chauffait cette nuit, n'est-ce pas?_ sagt der Kavallerist, der die -Unterhaltung fortzusetzen wünscht, und zeigt auf die Leichen. - -_Oh, M. c'est affreux! Mais quels gaillards vos soldats, quels -gaillards! C'est un plaisir, que de se battre avec des gaillards comme -eux._ - -_Il faut avouer que les votres ne se mouchent pas du pied non plus_ -- -sagt der Kavallerist, verbeugt sich und glaubt sehr liebenswürdig zu -sein. - -Aber genug. - -Betrachten wir lieber den zehnjährigen Knaben, der in einer alten, -jedenfalls von seinem Vater stammenden Mütze, mit Schuhen an den -nackten Füßen und in Nankinghosen, die nur durch einen Riemen gehalten -werden, gleich nach Beginn des Waffenstillstandes über den Wall -gekommen ist, sich lange in der Schlucht aufgehalten, mit stumpfer -Neugierde die Franzosen und die auf der Erde liegenden Leichname -betrachtet und blaue Feldblumen gepflückt hat, von denen dieses Thal -übersät ist. Da er mit dem großen Blumenstrauß nach Hause zurückgeht, -hält er die Nase zu vor dem Geruch, den ihm der Wind zuträgt, bleibt -bei einem Haufen zusammengetragener Körper stehen und betrachtet lange -einen schrecklichen, kopflosen Leichnam, der in seiner Nähe liegt. -Nachdem er ziemlich lange gestanden, tritt er näher heran und berührt -mit dem Fuß den ausgestreckten erstarrten Arm des Leichnams, -- der -Arm bewegt sich ein wenig. Er berührt ihn noch einmal, stärker, -- -der Arm bewegt sich und kehrt wieder in seine Lage zurück. Der Knabe -schreit plötzlich auf, verbirgt das Gesicht in den Blumen und läuft -spornstreichs fort nach der Festung. - -Ja, auf der Bastion und im Laufgraben sind weiße Flaggen aufgesteckt, -das blumenreiche Thal ist voll von toten Körpern, die schöne Sonne -sinkt ins blaue Meer, und das blaue Meer wogt und glänzt in den -Strahlen der Sonne. Tausende von Menschen drängen sich, schauen, -sprechen und lächeln einander zu. Und diese Menschen sind Christen, -die das eine große Gebot der Liebe und Selbstverleugnung bekennen, und -fallen beim Anblick dessen, was sie gethan, nicht voll Reue mit einem -Schlage auf die Knie vor Dem, der, als er ihnen das Leben gab, in die -Seele eines jeden, zugleich mit der Todesfurcht, die Liebe zum Guten -und Schönen gelegt hat, und umarmen sich nicht mit Thränen der Freude -und des Glücks als Brüder? ... Die weißen Flaggen sind entfernt, und -von neuem pfeifen die Geschosse, Tod und Verderben bringend, von neuem -wird unschuldiges Blut vergossen und Stöhnen und Fluchen laut. - -[Illustration: Gedankenwechsel] - -So hätte ich denn gesagt, was ich für dieses Mal zu sagen hatte. Aber -ein drückender Zweifel überkommt mich. Vielleicht hätte ich das nicht -aussprechen sollen, vielleicht gehört das, was ich gesagt habe, zu -jenen schlimmen Wahrheiten, die unbewußt in der Seele eines jeden -schlummern und nicht ausgesprochen werden dürfen, um nicht schädlich zu -werden, wie der Bodensatz des Weines, den man nicht aufschütteln darf, -um den Wein nicht zu zerstören. - -Wo ist in dieser Erzählung das Abbild des Bösen, das wir vermeiden -sollen? Wo das Abbild des Guten, dem wir nachahmen sollen? Wer ist ihr -Bösewicht, wer ihr Held? -- Alle sind gut und alle sind schlecht. - -Weder Kalugin mit seiner glänzenden Tapferkeit -- _bravoure de -gentilhomme_ -- und Ruhmsucht, der Urheber in Aller Handlungen, noch -Praßkuchin, der eitle, harmlose Mensch, obgleich er im Kampfe für den -Glauben und für Thron und Vaterland gefallen ist, noch Michajlow mit -seiner Schüchternheit, noch Pest, dieses Kind ohne feste Überzeugung -und Grundsätze -- sie alle können nicht die Bösewichter, noch die -Helden der Erzählung sein. - -Der Held meiner Erzählung, den ich mit der ganzen Kraft meiner Seele -liebe, den ich in ganzer Schöne zu schildern bemüht war, und der immer -schön gewesen ist und immer schön sein wird, -- ist die Wahrheit. - - - - -*Sewastopol* im August 1855 - - -I - -Gegen Ende August fuhr auf der zerklüfteten Sewastopoler -Heerstraße zwischen Duwanka (der letzten Station vor Sewastopol) -und Bachtschißaraj, in dichtem und heißem Staube, langsam ein -Offizierswägelchen (von jener besondern Art, die man sonst nirgends -sieht und die die Mitte hält zwischen einer Judenbritschke, einem -russischen Wagen und einem Korb). - -Vorn im Fuhrwerk hockte ein Offiziersbursche in einem Nankingrock und -einer vollständig abgetragenen alten Offiziersmütze und führte die -Zügel; hinten saß auf Bündeln und Ballen, die mit einem Soldatenmantel -bedeckt waren, ein Infanterieoffizier in einem Sommermantel. Der -Offizier war, so weit man das bei seiner sitzenden Stellung beurteilen -konnte, von mittlerer Gestalt, aber nicht so sehr in den Schultern, -als über Brust und Rücken breit und stämmig; Hals und Nacken waren -bei ihm sehr entwickelt und hervorstehend. Eine sogenannte Taille -- -den Einschnitt in der Mitte des Rückens -- hatte er nicht, er hatte -aber auch keinen Bauch; im Gegenteil, er war eher mager, besonders -im Gesicht, das von einem ungesunden gelblichen Braun bedeckt war. -Sein Gesicht hätte man schön nennen können, wäre es nicht aufgedunsen -gewesen, und hätte es nicht große, wenn auch nicht greisenhafte Runzeln -gehabt, die die Züge verwischten und vergrößerten und dem ganzen -Gesicht den allgemeinen Ausdruck mangelnder Frische und Zartheit gaben. -Seine Augen waren klein, grau, ungewöhnlich lebhaft, sogar stechend; -der Schnurrbart sehr dicht, aber nicht breit und abgebissen, das Kinn, -besonders die Kinnbacken, von einem außerordentlich starken, üppigen, -schwarzen, zwei Tage alten Barte bedeckt. Der Offizier war am 10. Mai -durch einen Bombensplitter am Kopfe verwundet worden und trug ihn -noch immer verbunden. Jetzt, da er sich seit acht Tagen vollständig -gesund fühlte, fuhr er aus dem Lazarett von Ssimferopol nach seinem -Regiment, das dort irgendwo lag, woher die Schüsse kamen; ob in -Sewastopol selbst, oder auf der Nordseite, hatte er noch von niemand -genau erfahren können. Die Schüsse hörte man, besonders wenn keine -Berge dazwischen lagen und der Wind sie weitertrug, außerordentlich -deutlich, häufig und, wie es schien, nahe: bald erschütterte eine -Explosion die Luft und machte ihn unwillkürlich erzittern, bald folgten -aufeinander schwächere Töne, wie Trommelschlag, der bisweilen durch -ein erschütterndes Getöse unterbrochen wird; bald verschmolz alles in -ein rollendes Krachen, Donnerschlägen ähnlich, wenn das Gewitter am -stärksten ist und sich der Platzregen ergießt. Alle sprachen von einem -fürchterlichen Bombardement, das auch wirklich hörbar war. Der Offizier -trieb den Burschen an, er wollte, wie es schien, so schnell als möglich -an Ort und Stelle sein. Ein langer Wagenzug, den Bauern führten, die -Proviant nach Sewastopol geschafft hatten, kam ihm entgegen; die Wagen -kehrten jetzt von dort zurück und waren von kranken und verwundeten -Soldaten in grauen Mänteln, Matrosen in schwarzen Überröcken, -Freiwilligen in rotem Fez und bärtigen Landwehrleuten angefüllt. Das -Offiziersfuhrwerk mußte in einer dicken, unbeweglichen, durch den -Wagenzug aufgewirbelten Staubwolke halten, und der Offizier blinzelte -und verzog das Gesicht von dem Staub, der ihm in Augen und Mund -eindrang, und betrachtete die Gesichter der an ihm vorüberziehenden -Kranken und Verwundeten. - -Ah, das ist ein kranker Soldat unserer Kompagnie, rief der Bursche zu -seinem Herrn gewandt und zeigte auf ein mit Verwundeten angefülltes -Fuhrwerk, das eben ganz nahe herangekommen war. - -Vorn auf dem Fuhrwerk saß seitwärts ein echtrussischer Breitbart in -einem Filzhut und band die Peitsche zusammen, deren Stiel er im -Arme hielt. Hinter ihm im Wagen wurden fünf Mann, in verschiedenen -Stellungen, tüchtig gerüttelt. Der eine, mit verbundenem Arm, in Hemd -und umgeworfenem Mantel, saß, obwohl blaß und mager, doch gefaßt in -der Mitte des Bauernwagens und wollte, als er den Offizier sah, nach -der Mütze greifen; aber er erinnerte sich wohl, daß er verwundet war -und that, als ob er sich nur den Kopf kratzen wollte. Ein anderer lag -neben ihm auf dem Boden des Fuhrwerks: man sah nur seine beiden Hände, -mit denen er sich an den Wagenrändern festhielt, und die in die Höhe -gestreckten Knie, die wie Lindenbast nach allen Seiten schwankten. Ein -dritter, mit geschwollenem Gesicht und verbundenem Kopfe, auf dem eine -Soldatenmütze in die Höhe ragte, saß an der Seite, die Beine hielt er -baumelnd nach außen; er schien, die Ellbogen auf die Knie gestützt, zu -schlummern. An diesen wandte sich der ankommende Offizier. - -Dolshnikow! schrie er. - -Ich -- o! antwortete der Soldat, indem er die Augen öffnete und die -Mütze abnahm, mit einem so tiefen und lauten Baß, als wenn zwanzig Mann -Soldaten zusammen schrien. - -Wann bist du verwundet worden, Brüderchen? - -Die bleiernen, verschwommenen Augen des Soldaten belebten sich: er -erkannte augenscheinlich seinen Offizier wieder. - -Wir wünschen Euer Wohlgeboren Gesundheit! sagte er in demselben -schwerfälligen Baß. - -Wo steht jetzt das Regiment? - -Hat in Sewastopol gestanden, wollte am Mittwoch abmarschieren, Euer -Wohlgeboren. - -Wohin? - -Unbekannt ... jedenfalls nach der Nordseite, Euer Wohlgeboren! -Jetzt, Euer Wohlgeboren, fügte er mit gedehnter Stimme und die Mütze -aufsetzend hinzu, hat er bereits überall zu feuern angefangen, am -meisten aus Bomben, sogar die Bucht beschießt er; jetzt trifft er so, -daß es ein wahres Unglück ist, sogar ... - -Was der Soldat weiter sprach, war nicht zu hören, aber aus dem -Ausdrucke seines Gesichts und aus seiner Haltung war ersichtlich, daß -er mit der einem leidenden Menschen eigenen Gereiztheit trostlose Dinge -erzählte. - -Der reisende Offizier, Leutnant Koselzow, war kein Dutzend-Offizier. Er -gehörte nicht zu denen, die so leben und so handeln, weil die anderen -so leben und so handeln: er that alles, wozu er Lust hatte, und die -anderen thaten dasselbe, und waren überzeugt, daß es gut war. Er war -von Natur reich ausgestattet mit kleinen Gaben: er sang schön, er -spielte die Guitarre, er sprach sehr lebhaft, er schrieb sehr leicht, -besonders amtliche Schriftstücke, in deren Abfassung er sich eine große -Leichtigkeit angeeignet hatte, als er Bataillons-Adjutant war; vor -allem aber war sein Wesen bemerkenswert durch eine ichsüchtige Energie, -die, obgleich sie vor allem auf dieser kleinen Begabung beruhte, an -sich ein entscheidender und überraschender Charakterzug war. Er besaß -einen Ehrgeiz, der in so hohem Grade mit dem Leben in eins verschmolzen -war und der sich am häufigsten in Kreisen von Männern, besonders von -Militärs, entwickelt, daß er etwas anderes, als der erste zu sein oder -nichts zu sein, gar nicht verstand, und daß sein Ehrgeiz auch der Hebel -seiner inneren Triebe war: er in eigener Person war gern der erste -unter den Menschen, die er sich gleichstellte. - -Wie? ich werde mich gerade um das kümmern, was *Moskau*[D] schwatzt! -... brummte er, und er empfand einen gewissen Druck von Apathie auf -dem Herzen und Verschwommenheit im Denken; der Anblick der Verwundeten -und die Worte des Soldaten, deren Bedeutung durch die Töne des -Bombardement verstärkt und bestätigt wurde, hatten diese Gefühle in ihm -zurückgelassen. *Dies Moskau ist lächerlich!* ... Vorwärts, Nikolajew! -Rühr' dich ... Was, du bist eingeschlafen? ... fuhr er den Burschen an, -indem er die Schöße seines Mantels in Ordnung brachte. - - [D] In vielen Linienregimentern nennen die Offiziere halb verächtlich, - halb schmeichelhaft die Soldaten »Moskau« oder auch »Eid«. - -Nikolajew zog die Zügel an, schnalzte mit der Zunge, und das Fuhrwerk -rollte im Trabe weiter. - -Nur einen Augenblick füttern -- und sogleich, heute noch, weiter, sagte -der Offizier. - - -II - -Als Leutnant Koselzow bereits in eine Straße von Duwanka eingebogen -war, an deren Seiten die Trümmerhaufen der steinernen Mauern von -Tartarenhäusern standen, wurde er durch einen Wagenzug mit Bomben -und Kanonenkugeln, der nach Sewastopol ging und sich auf dem Wege -zusammendrängte, aufgehalten. - -Zwei Infanteristen saßen im dichtesten Staube auf den Steinen eines -zertrümmerten Zaunes am Wege und aßen eine Wassermelone und Brot. - -Weit her, Landsmann? sagte der eine von ihnen, während er sein Brot -kaute, zu einem Soldaten, der mit einem kleinen Sack auf dem Rücken bei -ihnen stehen geblieben war. - -Wir gehen zur Kompagnie, kommen aus dem Gouvernement, antwortete -der Soldat, indem er von der Wassermelone fortsah und den Sack auf -seinem Rücken zurechtschob. Wir waren dort drei Wochen bei dem Heu der -Kompagnie, aber jetzt, siehst du, hat man alle wieder zurückberufen; -es ist uns aber unbekannt, wo das Regiment gegenwärtig steht. Es -heißt, die Unsrigen sind in vergangener Woche nach der Korabelnaja -abmarschiert. Haben Sie nichts gehört, meine Herren? - -In der Stadt, Brüderchen, steht es, in der Stadt! sprach der andere, -ein alter Trainsoldat, der mit einem Taschenmesser in der unreifen, -weißlichen Wassermelone wühlte. Wir sind erst seit Mittag von dort -fort. Es ist wirklich schrecklich, mein Brüderchen! - -Weshalb denn, meine Herren? - -Hörst du denn nicht, wie *er* jetzt ringsumher feuert? Es giebt keinen -unversehrten Platz. Wieviel er von unsern Leuten getötet hat -- das -läßt sich gar nicht sagen. - -Und der Sprechende machte mit der Hand eine abwehrende Bewegung und -setzte sich die Mütze zurecht. - -Der wandernde Soldat schüttelte nachdenklich den Kopf, schnalzte mit -der Zunge, nahm dann aus dem Stiefelschaft eine Pfeife, stocherte, ohne -sie frisch zu stopfen, den angebrannten Tabak in ihr auf, zündete ein -Stück Feuerschwamm bei einem rauchenden Soldaten an und lüftete die -Mütze. - -Niemand wie Gott, meine Herren! Bitte um Verzeihung! sagte er und ging, -den Sack auf dem Rücken, weiter. - -Ei, thätest besser zu warten! rief zuredend der Soldat, der in der -Melone stocherte. - -Alles eins! brummte der Wanderer, indem er sich zwischen den Rädern -der zusammengedrängten Fuhrwerke hindurchwand. - - -III - -Die Station war voll von Menschen, als Koselzow sie erreichte. Die -erste Person, die ihm schon auf der Außentreppe begegnete, war -ein magerer, sehr junger Mensch, der Vorsteher, der sich mit zwei -nachfolgenden Offizieren stritt. - -Nicht dreimal vierundzwanzig Stunden, sondern zehnmal vierundzwanzig -Stunden werden Sie warten müssen! ... Auch Generale warten, mein -Lieber! rief der Vorsteher. Ich werde mich für Sie nicht einspannen -lassen. - -Niemand kann Pferde bekommen, wenn es keine giebt! ... Aber weshalb -hat der Bediente da welche bekommen? schrie der ältere von den beiden -Offizieren, der mit einem Glas Thee in der Hand dastand; er vermied -absichtlich das Fürwort und wollte damit andeuten, daß man zum -Vorsteher ohne weiteres auch *du* sagen könnte. - -Sie werden doch selber einsehen, Herr Vorsteher, entgegnete stockend -der andere, jüngere Offizier, daß wir nicht zu unserm eigenen Vergnügen -reisen. Wir sind ja doch jedenfalls notwendig, da man nach uns verlangt -hat. Sonst werde ich es wahrhaftig dem General sagen. Was ist denn das -eigentlich? ... Sie achten den Offiziersstand nicht. - -Sie verderben immer alles! unterbrach ihn unwillig der ältere: Sie -hindern mich nur; man muß mit ihm zu reden verstehen. Er hat alle -Achtung vor uns verloren ... Pferde, diesen Augenblick, sag' ich. - -Würde sie gern geben, Väterchen, aber woher nehmen? ... - -Der Vorsteher schwieg eine Weile, dann begann er sich plötzlich zu -ereifern und sprach, mit den Händen fuchtelnd: - -Ich selbst, Väterchen, verstehe das und weiß alles, aber was will man -thun? Lassen Sie mich nur ... (auf den Gesichtern der Offiziere malte -sich Hoffnung) lassen Sie mich nur das Ende des Monats abwarten, dann -werde ich nicht mehr hier sein. Lieber will ich auf den Malachow-Hügel -gehen, als hier bleiben, bei Gott! Mögen Sie machen, was Sie wollen. -Auf der ganzen Station giebt es jetzt kein einziges festes Fuhrwerk, -und ein Büschel Heu haben die Pferde schon seit drei Tagen nicht -gesehen. - -Und der Vorsteher verschwand durch die Hausthür. - -Koselzow ging mit den Offizieren ins Zimmer. - -Was ist da weiter, sagte vollständig ruhig der ältere Offizier zum -jüngeren, obgleich er eine Minute vorher wütend gewesen war, drei -Monate sind wir schon unterwegs, -- warten wir noch. 's ist kein -Unglück, wir kommen schon noch zurecht. - -Das verräucherte, schmutzige Zimmer war so voll von Offizieren und -Koffern, daß Koselzow nur mit Mühe einen Platz am Fenster fand, wo er -sich niedersetzte; er betrachtete die Gesichter, hörte die Gespräche an -und begann sich eine Cigarette zu drehen. - -Rechts von der Thür, um einen schiefen, schmutzigen Tisch, auf dem -zwei kupferne Ssamoware standen, die hie und da schon grün geworden -waren, und Zucker in verschiedenen Papieren lag, saß die Hauptgruppe: -ein junger, bartloser Offizier in einem neuen gesteppten Rock aus -buntem Baumwollenzeug; vier gleichfalls junge Offiziere befanden sich -in verschiedenen Ecken des Zimmers: der eine schlief, mit einem Pelz -unter dem Kopf, auf dem Sofa; ein anderer stand am Tisch und schnitt -Hammelbraten für einen an dem Tische sitzenden Offizier, dem ein Arm -fehlte. Zwei Offiziere, der eine im Adjutantenmantel, der andere -mit einem Infanteriemantel, der aber sehr fein war, und mit einer -Tasche über der Schulter, saßen in der Nähe der Ofenbank; und schon -daran, wie sie die anderen ansahen, und wie der mit der Tasche seine -Cigaretten rauchte, konnte man sehen, daß sie nicht Offiziere von der -Linien-Infanterie waren, und daß dies ihnen Selbstbewußtsein gab. Nicht -etwa, als ob in ihren Manieren Geringschätzung gelegen hätte, wohl -aber eine gewisse selbstzufriedene Sicherheit, die sich zum Teil auf -ihr Geld, zum Teil auf ihre nahen Beziehungen zu dem General stützten --- ein Bewußtsein der Vornehmheit, das sogar bis zu dem Wunsche ging, -sie zu verbergen. Ein noch junger Arzt, mit dicken Lippen, und ein -Artillerist mit deutscher Physiognomie saßen fast auf den Beinen des -auf dem Sofa schlafenden jungen Offiziers. Von den Offiziersburschen -schlummerten die einen, während die anderen mit Koffern und Bündeln an -der Thür hantierten. Koselzow fand unter allen Gesichtern kein einziges -bekanntes; aber er begann neugierig den Gesprächen zu lauschen. Die -jungen Offiziere, die, wie er auf den ersten Blick erkannte, soeben -erst von der Kriegsschule gekommen waren, gefielen ihm, und, was die -Hauptsache war, sie erinnerten ihn daran, daß sein Bruder ebenfalls in -diesen Tagen aus der Kriegsschule nach einer der Batterien Sewastopols -kommen sollte. An dem Offizier aber mit der Tasche, dessen Gesicht er -irgendwo gesehen hatten, erschien ihm alles widerwärtig und frech. -Er ging sogar mit dem Gedanken, ihm heimzuleuchten, wenn ihm etwa -einfallen sollte, ein Wort zu sagen, von dem Fenster zur Ofenbank und -setzte sich dorthin. Als reiner Liniensoldat und guter Offizier hatte -er überhaupt die »Stabsleute« nicht gern, und als solche hatte er auf -den ersten Blick diese beiden Offiziere anerkannt. - - -IV - -Das ist aber schrecklich ärgerlich! sagte einer der jungen Offiziere, -schon so nahe, und nicht hinkommen können. Vielleicht giebt's heute -etwas, und wir sind nicht dabei. - -Aus der kreischenden Stimme und den roten Flecken, die das Gesicht des -Offiziers belebten, während er das sagte, sprach die liebenswürdige, -jugendliche Schüchternheit eines Menschen, der beständig in der Furcht -ist, es könnte ihm ein Wort mißglücken. - -Der Offizier ohne Arm sah ihn lächelnd an. - -Sie werden schon noch zur rechten Zeit hinkommen, glauben Sie nur, -sagte er. - -Der junge Offizier sah dem Kameraden ohne Arm mit Achtung in das -abgemagerte Gesicht, in dem plötzlich ein Lächeln aufleuchtete, -verstummte und beschäftigte sich wieder mit dem Thee. In der That -sprach aus den Zügen des Offiziers ohne Arm, aus seiner Haltung und -besonders aus seinem leeren Ärmel jener ruhige Gleichmut, den man so -erklären kann, als ob er bei jeder Handlung, die er mit ansah, oder bei -jedem Gespräch, das er anhörte, sagte: »Das ist alles schön, das weiß -ich alles, ich kann auch all das thun, wenn ich nur wollte.« - -Wie machen wir's also, sagte jetzt der junge Offizier zu seinem -Kameraden im baumwollenen Rock: wollen wir hier übernachten oder mit -unserm eigenen Pferde fahren? - -Der Kamerad wollte nicht fahren. - -Sie können sich vorstellen, Kapitän, fuhr er fort, nachdem er Thee -eingegossen; dabei wandte er sich zu dem Offizier ohne Arm und hob das -Messer auf, das dieser hatte fallen lassen, man hat uns gesagt, daß -die Pferde in Sewastopol sehr teuer sind, -- daher haben wir beide -gemeinsam ein Pferd in Ssimferopol gekauft. - -Man wird Sie wohl gehörig gerupft haben? - -Ich weiß wirklich nicht, Kapitän; wir haben für Pferd und Fuhrwerk -neunzig Rubel bezahlt. Ist das sehr teuer? fuhr er fort, zu allen und -zu Koselzow, der ihn ansah, gewandt. - -Nicht teuer, wenn das Pferd jung ist, sagte Koselzow. - -Nicht wahr? ... Und uns hat man gesagt, daß es teuer ist. Nur lahmt es -ein wenig, das wird aber vorübergehen. Man hat uns gesagt, es ist recht -stark. - -Aus welcher Kriegsschule sind Sie? fragte Koselzow, der sich nach -seinem Bruder erkundigen wollte. - -Wir kommen jetzt aus dem adligen Regiment; wir sind unser sechs und -gehen alle auf unsern eigenen Wunsch nach Sewastopol, antwortete der -redselige junge Offizier; nur wissen wir nicht, wo unsere Batterien -stehen: die einen sagen in Sewastopol, und andere meinen in Odessa. - -Und konnten Sie's denn in Ssimferopol nicht erfahren? fragte Koselzow -weiter. - -Man weiß es nicht ... Können Sie sich vorstellen, mein Kamerad ist in -die Kanzlei gegangen: Grobheiten hat man ihm da gesagt ... Sie können -sich denken, wie unangenehm uns das war! ... Ist Ihnen eine fertige -Cigarette gefällig? fragte er zugleich den Offizier ohne Arm, der seine -Cigarettentasche hervorholen wollte. - -Er war ihm mit einem gewissen leidenschaftlichen Entzücken gefällig. - -Und Sie sind auch aus Sewastopol? fuhr er fort. Ach, mein Gott, wie -erstaunlich! Wie oft haben wir alle, in Petersburg, an Sie, an all die -Helden gedacht! rief er, mit Achtung und treuherziger Schmeichelei zu -Koselzow gewandt. - -Wenn Sie nun aber zurückreisen müßten? fragte der Leutnant. - -Sehen Sie, das fürchten wir auch. Können Sie sich vorstellen, -nachdem wir das Pferd gekauft und uns mit dem Notwendigen -- einer -Spiritus-Kaffeemaschine und noch verschiedenen Kleinigkeiten versehen -haben, ist uns gar kein Geld übrig geblieben, sagte er mit leiser -Stimme und nach seinen Kameraden sich umsehend: wenn wir zurückreisen -müßten, wissen wir nicht, was wir thun sollen. - -Haben Sie denn keine Reisegelder erhalten? fragte Koselzow. - -Nein, antwortete er flüsternd, man hat uns nur versprochen, daß wir sie -hier bekommen. - -Und haben Sie eine Bescheinigung? - -Ich weiß, die Hauptsache ist eine Bescheinigung; aber in Moskau hat mir -ein Senator, mein Onkel, gesagt, als ich bei ihm war, man würde es uns -hier geben; sonst hätte er selbst es mir gegeben ... So wird man es uns -hier geben? - -Ganz bestimmt. - -Auch ich glaube, wir werden es hier erhalten, sagte er in einem Tone, -der bewies, daß er jetzt, wo er auf dreißig Stationen ein und dasselbe -gefragt und überall eine andere Antwort erhalten hatte, niemandem mehr -recht glaubte. - - -V - -Wer hat die Kohlsuppe verlangt? rief die ziemlich schmutzige Wirtin, -ein dickes Weib von etwa vierzig Jahren, die mit einer Schüssel Suppe -ins Zimmer trat. - -Das Gespräch verstummte im Augenblick, und alle Anwesenden hefteten -ihre Blicke auf die Schenkwirtin. Einer der Offiziere blinzelte sogar, -mit einem Blick nach ihr, einem Kameraden zu. - -Ach, Koselzow hat sie verlangt! antwortete der junge Offizier: man muß -ihn wecken. Steh auf, um zu essen! rief er, ging zu dem auf dem Sofa -Schlafenden und rüttelte ihn an der Schulter. - -Ein junger Mensch von siebzehn Jahren, mit muntern schwarzen Augen und -roten Wangen, sprang vom Sofa auf und blieb, sich die Augen reibend, -mitten im Zimmer stehen. - -Ach, entschuldigen Sie gefälligst, sagte er zum Doktor, den er beim -Aufstehen angestoßen hatte. - -Leutnant Koselzow hatte sogleich seinen Bruder erkannt und ging auf ihn -zu. - -Erkennst du mich nicht? fragte er lächelnd. - -Ah--ah--ah! rief der jüngere Bruder, das ist ja wunderbar! und küßte -den Bruder. - -Sie küßten sich dreimal, beim dritten Male aber stockten sie, als wäre -beiden der Gedanke gekommen: warum muß es durchaus dreimal sein? - -Wie freue ich mich! sagte der ältere, indem er den Bruder betrachtete. -Gehen wir auf die Außentreppe, -- um uns auszusprechen. - -Gehen wir, gehen wir. Ich will keine Suppe ... Iß du sie, Federson! -sagte er zu einem Kameraden. - -Du wolltest ja doch essen? - -Ich will nichts. - -Auf der Außentreppe fragte der jüngere den älteren immer wieder: »Sag', -wie geht's, wie steht's? Erzähle,« und wiederholte unaufhörlich, wie er -sich freue, ihn wiederzusehen, erzählte aber selbst nichts. - -Nach fünf Minuten, in denen sie beide geschwiegen hatten, fragte der -ältere Bruder den jüngeren, weshalb er nicht bei der Garde eingetreten -wäre, wie dies alle erwartet haben. - -Ich wollte schnell nach Sewastopol kommen: geht es hier gut, so kann -man noch besser vorwärts kommen, als bei der Garde, da kann man zehn -Jahre auf den Hauptmann warten; hier aber hat's Totleben in zwei Jahren -vom Oberstleutnant zum General gebracht. Nun, und falle ich auch, was -ist da weiter ... - -Ei, wie du bist, meinte der Bruder lächelnd. - -Aber hauptsächlich, weißt du, Bruder, fuhr der Jüngere lächelnd und -errötend fort, als hätte er etwas sehr Verschämtes zu sagen: das ist -alles Unsinn; hauptsächlich habe ich deshalb drum gebeten, weil man -sich doch schämt, in Petersburg zu leben, wenn hier die Menschen fürs -Vaterland sterben. Und dann, es verlangte mich auch, mit dir zusammen -zu sein, fügte er noch schüchterner hinzu. - -Wie komisch du bist! rief der ältere Bruder, indem er seine -Cigarrentasche hervorholte, ohne ihn anzusehen. Es ist nur schade, daß -wir nicht zusammen sein werden. - -Aber sage mir die Wahrheit, ist es so schrecklich auf den Bastionen? -fragte plötzlich der Jüngere. - -Anfangs ist's schrecklich, dann gewöhnt man sich daran, und es ist -weiter nichts. Du wirst selber sehen. - -Aber sag' mir noch das Eine: was glaubst du, wird man Sewastopol -nehmen? Ich glaube, es wird niemals genommen. - -Gott weiß. - -Nur das Eine ist ärgerlich ... Stelle dir vor, welches Unglück ich -gehabt habe: unterwegs ist uns ein ganzes Bündel gestohlen worden, -darin war auch mein Tschako, so daß ich jetzt in einer fatalen Lage bin -und nicht weiß, wie ich mich melden soll. - -Koselzow der Zweite, Wladimir, war seinem Bruder Michail sehr ähnlich, -aber die Ähnlichkeit war die einer blühenden Rose mit einer abgeblühten -Heckenrose. Er hatte auch blondes Haar, aber es war dicht und an den -Schläfen gelockt. Auf seinem weißen zarten Nacken hatte er ein blondes -Zöpfchen -- ein Zeichen des Glücks, wie die Ammen sagen. Auf seiner -zarten weißen Gesichtsfarbe lag nicht immer, sondern loderte nur von -Zeit zu Zeit ein vollblütiges jugendliches Rot auf, das jede Regung der -Seele verriet. Er hatte dieselben Augen wie sein Bruder, aber seine -waren offener und heller, und das kam hauptsächlich daher, weil sie -häufig von einer leichten Feuchtigkeit bedeckt waren. Ein blonder Flaum -sproßte auf den Wangen und über den roten Lippen, die sich sehr häufig -zu einem schüchternen Lächeln falteten und die weißen glänzenden Zähne -sehen ließen. Wie er so in seiner hohen Gestalt mit seinem breiten -Rücken, in dem offenen Mantel, unter dem ein rotes Hemd mit einem -schrägen Kragen hervorschimmerte, mit der Cigarette in der Hand an das -Geländer der Treppe gelehnt, mit der naiven Freude in den Zügen und im -Gebaren, vor seinem Bruder stand, war er ein so angenehmer, hübscher -junger Mann, daß man ihn immer hätte anschauen mögen. Er freute sich -außerordentlich mit dem Bruder, betrachtete ihn mit Achtung und Stolz -und sah in ihm einen Helden; aber in mancher Beziehung, z. B. in -Hinsicht der weltlichen Bildung, des Französischsprechens, des Verkehrs -mit gesellschaftlich hochstehenden Leuten, des Tanzens u. s. w. schämte -er sich ein wenig für ihn, sah von oben auf ihn herab und hatte sogar -die Hoffnung, ihn womöglich fortzubilden. Alle seine Eindrücke waren -noch petersburgisch, sie stammten aus dem Hause einer Dame, die hübsche -junge Leute gern hatte und ihn an den Feiertagen zu sich zu laden -pflegte, und aus dem Hause eines Senators in Moskau, wo er einmal auf -einem großen Balle getanzt hatte. - - -VI - -Die Brüder hatten sich nahezu ausgeplaudert und waren endlich bei dem -Gefühl angelangt, das man oft empfindet, wenn man wenig Gemeinsames -hat, obwohl man einander liebt; sie schwiegen nun ziemlich lange. - -So nimm deine Sachen, wir wollen sogleich fortfahren, entgegnete der -Ältere. - -Der Jüngere errötete plötzlich und schwieg. - -Direkt nach Sewastopol fahren? fragte er nach einem minutenlangen -Schweigen. - -Nun ja. Du hast ja nicht viel Sachen, ich glaube, wir können sie -unterbringen. - -Schön! ... Wir wollen sogleich fahren, rief der Jüngere mit einem -Seufzer und wandte sich nach dem Zimmer. - -Aber ohne die Thür zu öffnen, blieb er auf dem Flur stehen, ließ -traurig den Kopf hängen und dachte: - -»Sogleich direkt nach Sewastopol, unter die Bomben; schrecklich! Aber -gleichviel, einmal muß es doch geschehen. Jetzt geschieht's wenigstens -mit dem Bruder zusammen ...« - -Die Sache war die. Jetzt erst, bei dem Gedanken, daß er das Fuhrwerk -bestieg, um es nie wieder zu verlassen, ehe er in Sewastopol ankomme, -und daß kein Zufall ihn jetzt noch zurückhalten könne, stand die -Gefahr, die er gesucht hatte, deutlich vor seiner Seele, und er -war betrübt bei dem bloßen Gedanken an ihre Nähe. Als er sich ein -wenig beruhigt hatte, ging er in das Zimmer; aber es war schon eine -Viertelstunde vergangen, und er kam noch immer nicht zu dem Bruder -heraus, so daß dieser endlich die Thür öffnete, um ihn zu rufen. Der -jüngere Koselzow sprach in der Stellung eines Schülers, der etwas -verschuldet hat, mit dem Offizier P. Als der Bruder die Thür öffnete, -verlor er vollständig die Fassung. - -Ich komme, ich komme gleich! begann er und wehrte den Bruder mit der -Hand ab, erwarte mich dort drin. - -Eine Minute später kam er wirklich heraus und trat mit einem tiefen -Seufzer auf seinen Bruder zu. - -Denke dir, ich kann nicht mit dir fahren, Bruder, sagte er. - -Wie? ... Was ist das für Unsinn! - -Ich will dir die ganze Wahrheit sagen, Mischa ... Von uns hat keiner -mehr Geld, und wir alle sind in der Schuld bei dem Stabskapitän, den du -da gesehen hast. Ich schäme mich schrecklich! - -Der ältere Bruder runzelte die Stirn und brach lange Zeit das Schweigen -nicht. - -Bist du viel schuldig? fragte er und sah von unten herauf den Bruder an. - -Ja, viel ... Nein, nicht sehr viel; aber ich schäme mich schrecklich. -Auf drei Stationen hat er für mich bezahlt. Sein ganzer Zucker ist -drauf gegangen, so daß ich nicht weiß ... Auch Préférence haben wir -gespielt -- ich blieb ihm etwas schuldig ... - -Das ist häßlich, Wolodja! Was hättest du denn angefangen, wenn du mich -nicht getroffen hättest? sagte streng der ältere Bruder, ohne den -jüngeren anzusehen. - -Ich glaubte, Bruder, ich würde in Sewastopol das Zehrgeld bekommen. -Dann hätte ich es ihm wiedergegeben. Das kann man doch machen? ... So -ist's besser, ich komme morgen mit ihm nach. - -Der ältere Bruder zog seinen Geldbeutel und nahm mit zitternden Fingern -zwei Zehnrubel- und einen Dreirubelschein heraus. - -Das ist mein Geld! sagte er, wieviel bist du schuldig? - -Wenn Koselzow sagte, dies sei all sein Geld, sprach er nicht die volle -Wahrheit: er hatte noch vier Goldstücke, die er für alle Fälle in -seinem Ärmelaufschlag eingenäht hatte, er hatte sich aber das Wort -gegeben, sie nicht anzurühren. - -Es zeigte sich, daß Koselzow vom Préférence und für den Zucker im -ganzen acht Rubel schuldig war. Der ältere Bruder gab sie ihm und -bemerkte nur, daß man, wenn man kein Geld habe, nicht noch Préférence -spielen dürfe. - -Worauf hast du gespielt? - -Der jüngere Bruder sagte kein Wort. Die Frage seines Bruders erschien -ihm wie ein Zweifel an seiner Ehrenhaftigkeit ... Der Ärger, den er -gegen sich selbst empfand, die Scham wegen einer Handlung, die seinem -Bruder, den er so liebte, solche Verdächtigungen und Beleidigungen -abringen konnten, riefen bei seiner eindrucksfähigen Natur ein so -schmerzliches Gefühl in ihm hervor, daß er nichts antwortete. Da er -empfand, daß er nicht imstande sein würde, die vor Thränen zitternden -Laute zu unterdrücken, die ihm die Kehle würgten, nahm er, ohne -hinzusehen, das Geld und ging zu den Kameraden. - - -VII - -Nikolajew, der sich in Duwanka durch zwei Kannen Branntwein gestärkt -hatte, die er bei einem Soldaten auf der Brücke gekauft, führte die -Zügel, das Fuhrwerk holperte auf der steinigen, stellenweis schattigen -Straße dahin, die den Belbek entlang nach Sewastopol führte; die Brüder -stießen mit den Beinen aneinander, schwiegen aber hartnäckig, obwohl -sie beständig einer an den andern dachten. - -»Warum hat er mich gekränkt? dachte der Jüngere, konnte er nicht -darüber hinweggehen, ohne ein Wort zu sprechen? Gerade als ob er -glaubte, ich sei ein Dieb, und auch jetzt noch scheint er böse zu -sein, so daß wir für immer auseinander sind. Und wie prächtig wäre es -für uns gewesen, zusammen in Sewastopol! Zwei Brüder, die sich innig -lieben, beide im Kampfe gegen den Feind: der eine, der Ältere, zwar -nicht übermäßig gebildet, aber ein tapferer Krieger, und der andere, -der Jüngere ... doch auch ein braver Soldat ... In der ersten Woche -hätte ich allen bewiesen, daß ich gar nicht mehr so sehr jung bin! -Ich werde dann nicht mehr erröten, in meinen Zügen wird Männlichkeit -liegen, und bis dahin wird mein Schnurrbart zwar nicht groß, aber -doch tüchtig gewachsen sein.« Und er zwickte an dem Flaum, der an -den Rändern seines Mundes sproßte. »Vielleicht komme ich heute hin -und sofort in das Gefecht zusammen mit dem Bruder. Und er ist sicher -ausdauernd und höchst tapfer, so ein Mann, der nicht viel spricht, -aber mehr als die anderen thut. Ich möchte gern wissen -- fuhr er -fort -- ob er mich absichtlich oder unabsichtlich an den äußersten -Rand des Wagens drängt. Er fühlt doch gewiß, daß ich unbequem sitze, -und thut so, als ob er mich nicht bemerkte. Wir kommen also heute an --- fuhr er in seinen Gedanken fort und drückte sich an den Rand des -Wagens; er scheute sich, sich zu rühren, um den Bruder nicht merken -zu lassen, daß er unbequem sitze -- und auf einmal schnurstracks auf -die Bastion: ich mit Geschützen, mein Bruder mit der Kompagnie, und -wir ziehen zusammen. Plötzlich stürzen sich die Franzosen auf uns. -Ich schieße: ich töte furchtbar viele; aber sie kommen gerade auf -mich losgestürzt. Da hilft kein Schießen mehr, ich bin rettungslos -verloren; plötzlich aber stürzt der Bruder hervor, mit dem Säbel in der -Hand, die Franzosen stürzen sich auf meinen Bruder. Ich renne hin und -töte einen Franzosen, noch einen, und rette den Bruder. Ich werde an -einem Arm verwundet. Ich fasse die Flinte mit der andern Hand und renne -vorwärts. Da wird mein Bruder neben mir von einer Kugel hingestreckt, -ich stehe einen Augenblick still, sehe ihn an, so traurig, dann fasse -ich mich und rufe: >Mir nach! Rache! ... Ich habe meinen Bruder über -alles in der Welt geliebt< -- sage ich -- >und ich habe ihn verloren. -Rächen wir ihn, vernichten wir den Feind oder bleiben wir alle auf -dem Platze!< Alle schreien und stürzen mir nach. Das ganze Heer der -Franzosen kommt heran. Pelissier selbst. Wir machen alle nieder; aber -am Ende werde ich zum zweiten Male verwundet, zum dritten Male, und -sinke tödlich getroffen zu Boden. Da kommen alle zu mir herangestürzt, -Gortschakow kommt heran und fragt, was ich will. Ich sage, ich will -nichts, ich wünsche nur, daß man mich neben meinen Bruder lege, daß -ich mit ihm sterben will. Man nimmt mich auf und legt mich neben den -blutbespritzten Leichnam meines Bruders. Ich richte mich auf und sage -nur: >O ja, -- ihr habt zwei Menschen, die ihr Vaterland wahrhaft -geliebt haben, nicht zu schätzen gewußt; nun sind sie beide gefallen; -Gott möge euch verzeihen!< -- und ich sterbe. Wer weiß, wie viele von -diesen Gedanken wahr werden!« - -Sag', bist du schon einmal im Handgemenge gewesen? fragte er plötzlich -seinen Bruder; er hatte ganz vergessen, daß er nicht mit ihm sprechen -wollte. - -Nein, kein einziges Mal, antwortete der Ältere. Von unserm Regiment -sind zweitausend Mann gefallen, und alle nur bei den Arbeiten, und -auch ich bin bei der Arbeit verwundet worden. Krieg wird ganz anders -geführt, als du glaubst, Wolodja! - -Das Wort Wolodja rührte den jüngeren Bruder: er hatte den Wunsch, sich -mit seinem Bruder auseinanderzusetzen, der auch nicht im entferntesten -daran dachte, daß er Wolodja gekränkt hätte. - -Du bist mir nicht böse, Mischa, sagte er nach einem langen Schweigen. - -Weshalb? - -Ich, ich meinte so ... von vorhin, so ... das ist gut. - -Nicht im mindesten, antwortete der Ältere, wandte sich zu ihm und -klopfte ihm auf das Bein. - -So vergieb mir, Mischa, wenn ich dich gekränkt habe. - -Und der jüngere Bruder wandte sich ab, um die Thränen zu verbergen, die -ihm plötzlich in die Augen traten. - - -VIII - -Ist dies schon Sewastopol? fragte der jüngere Bruder, als sie oben -angekommen waren. - -Und vor ihnen lag die Bucht mit den Masten der Schiffe, das Meer -mit der entfernten feindlichen Flotte, die weißen Strandbatterien, -die Kasernen, Wasserleitungen, die Docks, die Gebäude der Stadt -und weißblaue Rauchwolken, die ununterbrochen auf den gelben Höhen -aufstiegen, die die Stadt umgaben; der Himmel war blau, und die Sonne, -deren Glanz sich im Westen abspiegelte, senkte sich mit rosafarbenen -Strahlen zum Horizont des dunklen Meeres nieder. - -Wolodja sah ohne das geringste Schaudern diesen Ort der Schrecken, -an den er so viel gedacht hatte; er betrachtete vielmehr mit -ästhetischem Genuß und dem heroischen Gefühl des Selbstbewußtseins, -daß ja auch er in einer halben Stunde dort sein würde, dieses wahrhaft -reizvoll-originelle Schauspiel, und betrachtete es mit gespannter -Aufmerksamkeit bis zu dem Augenblick, wo sie auf die Nordseite zu dem -Train des Regiment seines Bruders gekommen waren; hier mußten sie genau -den Standort des Regiments und der Batterie erfahren. - -Der Offizier, der den Train kommandierte, wohnte in der Nähe des -sogenannten neuen Städtchens -- hölzerner, durch Matrosenfamilien -errichteter Baracken -- in einem Zelt, das mit einer ziemlich großen, -aus grünen, noch nicht ganz vertrockneten Eichenzweigen errichteten -Hütte verbunden war. - -Die Brüder trafen den Offizier vor einem schmutzigen Tische, auf dem -ein Glas kalten Thees, ein Brett mit Schnaps, mit Kaviarkörnchen -und Brotkrümel stand, bloß mit einem gelblich-schmutzigen Hemde -bekleidet; er zählte an einem großen Rechenbrett einen ungeheuren -Haufen Banknoten. Ehe wir aber von der Persönlichkeit des Offiziers -und seiner Unterhaltung etwas sagen, müssen wir uns genauer das -Innere seiner Hütte ansehen und uns ein wenig mit seiner Lebensweise -und seiner Beschäftigung bekannt machen. Die neue Hütte war so -groß, so dicht geflochten und so gut gebaut, mit Tischen und Bänken -versehen, die mit Rasen bedeckt waren, wie man sie nur für Generale -und Regimentskommandeure macht; die Seitenwände und die Decke waren, -damit die Blätter nicht herunterfallen, mit drei Teppichen behängt, -die zwar sehr häßlich, aber neu und jedenfalls teuer waren. Auf dem -eisernen Bett, das unter dem Hauptteppich stand, auf dem eine Reiterin -abgebildet war, lag eine hellrote Plüschdecke, ein schmutziges, -zerrissenes Kissen und ein Schuppenpelz. Auf dem Tisch stand ein -Spiegel in einem Silberrahmen; eine silberne, schrecklich schmutzige -Bürste, ein zerbrochener, mit öligen Haaren besetzter Hornkamm, ein -silberner Leuchter, eine Likörflasche mit einer riesigen goldenen -roten Marke, eine goldene Uhr mit dem Bilde Peters des Großen, -zwei goldene Federn, ein Körbchen mit Kapseln, eine Brotrinde, ein -auseinandergeworfenes altes Kartenspiel und unter dem Bett allerlei -leere und volle Flaschen. Dieser Offizier hatte den Train des Regiment -und die Verpflegung der Pferde unter sich. Mit ihm zusammen wohnte sein -Busenfreund, der Kommissionär, der sich mit den Geschäften befaßte. -Er schlief in dem Augenblick, wo die Brüder eintraten, in der Hütte, -der Train-Offizier aber zählte Kronsgelder, da das Ende des Monats -vor der Thür stand. Die Erscheinung des Train-Offiziers war sehr -schön und kriegerisch: eine hohe Gestalt, ein tüchtiger Schnauzbart, -adelige Stattlichkeit. Unangenehm war an ihm nur sein schweißiges, -aufgedunsenes Gesicht, das kaum die kleinen grauen Augen sehen ließ -(als ob es ganz mit Porter begossen wäre), und die außerordentliche -Unsauberkeit, von dem dünnen, öligen Haar bis zu den großen nackten -Füßen, die er in Hermelinpantoffeln trug. - -Ist das Geld! Ist das Geld! sagte Koselzow _I._, als er in die Hütte -trat und mit unwillkürlicher Gier die Augen auf den Haufen Banknoten -richtete. Wenn Sie mir nur die Hälfte borgen wollten, Wassilij -Michajlytsch! - -Der Train-Offizier machte beim Anblick der Gäste einen krummen Rücken -und grüßte sie, ohne aufzustehen, indem er das Geld zusammenstrich. - -Ach, wenn das mein wäre! ... Es ist Kronsgeld, mein Lieber! Wen bringen -Sie mit? fragte er, indem er das Geld in eine neben ihm stehende -Schatulle legte und Wolodja ansah. - -Das ist mein Bruder, er ist von der Kriegsschule hierher gekommen. Wir -wollten von Ihnen erfahren, wo das Regiment steht. - -Setzen Sie sich, meine Herren, sagte er, erhob sich und ging, ohne den -Gästen Aufmerksamkeit zu schenken, ins Zelt. Wollen Sie nicht etwas -trinken? vielleicht Porter? fragte er im Zelt. - -Kann nicht schaden, Wassilij Michajlytsch! - -Wolodja war überrascht von der Würde des Train-Offiziers, seinem -ungezwungenen Wesen und von der Achtung, die sein Bruder ihm -entgegenbrachte. - -»Das muß ein vortrefflicher Offizier sein, den alle hochschätzen: -gewiß einfach, aber gastfrei und tapfer,« dachte er und setzte sich -bescheiden und schüchtern auf das Sofa. - -Wo steht denn unser Regiment? fragte von neuem der ältere Bruder. - -Wie? - -Er wiederholte die Frage. - -Heut ist Seifer bei mir gewesen: er sagte, es ist auf die fünfte -Bastion gezogen. - -Bestimmt? - -Wenn ich es sage, ist es jedenfalls bestimmt; übrigens, der Teufel -weiß! es kommt ihm auf eine Lüge nicht an. Wie ist's, werden Sie Porter -trinken? sagte der Train-Offizier, immer aus dem Zelte heraus. - -Ich trinke, sagte Koselzow. - -Trinken Sie mit, Ossip Ignatjewitsch? fuhr die Stimme im Zelt fort, -jedenfalls zu dem schlafenden Kommissionär gewandt. Sie haben genug -geschlafen, -- es ist bald fünf Uhr. - -Was lassen Sie mich nicht in Ruh! ... Ich schlafe nicht, antwortete -eine faule, dünne Stimme. - -Nun, so stehen Sie auf! Ich langweile mich ohne Sie. - -Und der Train-Offizier ging zu den Gästen. - -Gieb von dem Porter von Ssimferopol! schrie er. - -Der Bursche kam, wie es Wolodja schien, mit Stolz in die Hütte, holte -den Porter unter der Bank hervor, und stieß dabei Wolodja. - -Die Flasche Porter war bereits ausgetrunken, und das Gespräch -dauerte noch in der früheren Weise fort, als die Vorhänge des Zeltes -auseinandergeschlagen wurden, und ein kleiner, frischer Mann in einem -blauen Schlafrock mit Quasten und in einer Dienstmütze mit rotem Rand -und Kokarde aus ihm hervortrat. Er drehte sich beim Eintreten seinen -kleinen schwarzen Schnurrbart und beantwortete, indem er immer nach -einem Punkt des Teppichs starrte, mit einer kaum bemerklichen Bewegung -der Schulter den Gruß der Offiziere. - -Laßt mich auch ein Gläschen trinken! sagte er, indem er sich an den -Tisch setzte. Sie kommen wohl aus Petersburg, junger Mann? sagte er, -sich freundlich zu Wolodja wendend. - -Ja, ich gehe nach Sewastopol. - -Haben Sie selber darum gebeten? - -Ja. - -Ich begreife nicht, was Sie davon haben, meine Herren! fuhr der -Kommissionär fort. Ich würde jetzt, glaube ich, gern zu Fuß nach -Petersburg gehen, wenn man mich fortließe. Ich habe, bei Gott, dies -verfluchte Leben satt! - -Was fehlt Ihnen hier? fragte der ältere Koselzow, sich zu ihm wendend: -wenn *Sie* hier kein gutes Leben führen! - -Der Kommissionär sah ihn an und wandte sich ab. - -Diese Gefahren, Entbehrungen, man kann nichts bekommen ... fuhr er -fort, zu Wolodja gewandt. Und was Sie davon haben, begreife ich -entschieden nicht, meine Herren! Wenn Sie noch irgend welche Vorteile -davon hätten, aber so! Ist es etwa gut, in Ihren Jahren, plötzlich fürs -ganze Leben zum Krüppel zu werden? - -Der eine macht Geschäfte, der andere dient der Ehre halber ... mischte -sich im Tone des Unwillens der ältere Koselzow wieder ein. - -Schöne Ehre, wenn man nichts zu essen hat, sagte der Kommissionär mit -verächtlichem Lachen, zu dem Train-Offizier gewandt, der auch darüber -lachte. - -Stell' sie auf »Lucia«, wir hören zu, sagte er und zeigte auf eine -Spieldose. Ich höre sie gern. - -Ist er ein guter Mensch, dieser Wassilij Michajlytsch? fragte Wolodja -seinen Bruder, als sie, bereits in der Dämmerung, die Hütte verließen -und nach Sewastopol weiter fuhren. - -Es geht an, aber er ist ein schrecklicher Geizhals! Und diesen -Kommissionär kann ich nicht ausstehen ... Den prügele ich noch einmal -durch. - - -IX - -Wolodja war zwar nicht in schlechter Stimmung, als er, bereits bei -Anbruch der Nacht, zu der großen, über die Bucht führenden Brücke kam, -fühlte aber eine gewisse Beklommenheit im Herzen. Alles, was er sah und -hörte, wich sehr ab von den früheren, eben erst verlassenen Eindrücken: -dem hellen, getäfelten Prüfungssaal, dem lustigen, harmlosen Lachen der -Kameraden, der neuen Uniform, dem geliebten Zaren, den er sieben Jahre -hindurch gesehen und der sie Kinder genannt, als er mit Thränen in den -Augen von ihnen Abschied nahm -- so wenig glich alles seinen schönen, -buntschillernden, hochherzigen Träumen. - -Nun, sieh, wir sind an Ort und Stelle! sagte der ältere Bruder, als sie -zur Michajlow-Batterie kamen und aus dem Fuhrwerk stiegen. Wenn man uns -über die Brücke läßt, gehen wir sogleich in die Nikolajew-Kaserne. Dort -bleibst du bis morgen früh; und ich werde zum Regiment gehen, um zu -erfahren, wo deine Batterie steht; morgen werde ich dich abholen. - -Warum denn? gehen wir lieber zusammen, meinte Wolodja. Ich werde mit -dir auf die Bastion gehen. Es ist ja jetzt ganz gleich: ich muß mich -daran gewöhnen. Wenn *du* gehst, kann ich es auch. - -Besser ist es, du gehst nicht. - -Aber ich bitte dich! So werde ich wenigstens kennen lernen, wie ... - -Ich rate dir, geh nicht; aber willst du ... - -Der Himmel war wolkenfrei und dunkel; die Sterne und die unaufhörlich -leuchtenden Feuer der Bomben und Schüsse glänzten hell in der -Finsternis. Das große, weiße Gebäude der Batterie und der Anfang der -Brücke traten aus der Dunkelheit hervor. Buchstäblich jede Sekunde -erschütterten einige Gewehrschüsse und Explosionen, entweder schnell -aufeinander folgend oder zusammen, lauter und deutlicher die Luft. -Diesem Getöse folgte, wie eine Begleitung, das dumpfe Brausen der -Bucht. Vom Meere her wehte ein schwacher Wind und trug Feuchtigkeit -daher. Die Brüder gingen an die Brücke. Ein Landwehrmann schlug -schwerfällig mit dem Gewehr auf und rief: - -Wer da? - -Soldat. - -Ist verboten, durchzulassen. - -Was? wir müssen ... - -Fragen Sie den Offizier. - -Der Offizier, der auf einem Ackerfeld sitzend geschlummert hatte, erhob -sich und befahl, sie durchzulassen. - -Dorthin ist es erlaubt, aber nicht von dorther. Wo wollt ihr -hin? Alle auf einmal! schrie er den mit Schanzkörben beladenen -Regimentsfuhrwerken zu, die sich vor der Brücke zusammengedrängt hatten. - -Die Brüder stiegen zum ersten Ponton nieder und stießen auf Soldaten, -die in lauter Unterhaltung von der anderen Seite her kamen. - -Wenn er das Geld zur Ausrüstung bekommen hat, dann hat er nichts mehr -zu fordern. - -Ach Brüderchen! sagte eine andere Stimme, wenn man auf die Nordseite -hinübergeht, da sieht man die Welt, bei Gott! Eine ganz andere Luft! - -Schwatz' nur immer zu! ... sagte der erste, vor kurzem kam so eine -Verfluchte herübergeflogen; zwei Matrosen hat sie die Beine weggerissen -... - -Die Brüder gingen über das erste Ponton und blieben, ihr Fuhrwerk -erwartend, auf dem zweiten stehen, das stellenweise bereits -überschwemmt war. Der Wind, der landeinwärts schwach erschien, war hier -sehr stark und reißend; die Brücke schaukelte, und die Wellen, die -mit Geräusch an die Balken schlugen und an den Ankern und Tauen sich -brachen, überschwemmten die Bretter des Pontons. Rechts rauschte und -dunkelte in verräterischen Nebel gehüllt die See und hob sich durch -einen schweren Streif von dem gestirnten lichtgrau strahlenden Horizont -ab; in der Ferne glänzten Lichter auf der feindlichen Flotte. Links -zeigten sich die schwarzen Maste eines unserer Schiffe, und man hörte -die Wellen an seinen Bord anschlagen. Ein Dampfer ward sichtbar, der -geräuschvoll und schnell von der Nordseite herankam. Das Feuer einer -in seiner Nähe platzenden Bombe erhellte auf einen Augenblick die auf -dem Verdeck hoch aufgeschichteten Schanzkörbe, die beiden Leute, die -oben standen, und den weißen Schaum und den Sprühregen der von dem -Dampfer durchschnittenen grünlichen Wellen. Am Rande der Brücke saß, -mit den Füßen im Wasser, ein Mann im bloßen Hemd und machte etwas auf -dem Ponton. Vor ihnen, über Sewastopol, ließ sich das frühere Feuer -hören, und immer lauter drangen von da schreckliche Töne herüber. Eine -hoch aufspritzende Welle ergoß sich über die rechte Brückenseite und -machte Wolodjas Füße naß; zwei Soldaten gingen, im Wasser watend, an -ihm vorbei. Plötzlich beleuchtete etwas unter Krachen die Brücke, das -vorn auf ihr fahrende Fuhrwerk und einen Reiter, und die Bombensplitter -fielen, mit Pfeifen Schaum aufwerfend, ins Wasser. - -Ah, Michajlo Ssemjonytsch! sagte der Reiter, indem er sein Pferd -vor dem älteren Koselzow hielt: sind Sie schon vollständig wieder -hergestellt? - -Wie Sie sehen. Wohin führt Sie Gott? - -Auf die Nordseite, nach Patronen: ich vertrete ja jetzt den -Regimentsadjutanten ... Sturm erwarten wir von Stunde zu Stunde. - -Und wo ist Marzow? - -Gestern ist ihm ein Fuß fortgerissen worden ... Er schlief in der Stadt -im Zimmer ... Sie kennen ihn wohl? - -Das Regiment steht auf der Fünften, nicht wahr? - -Ja, es ist an Stelle des M.-Regimentes dorthin gekommen. Gehen Sie nach -dem Verbandort: dort finden Sie welche von uns, die werden Sie führen. - -Nun, und mein Quartier auf der Seestraße, ist das unbeschädigt? - -I, mein Lieber! Schon längst ganz von Bomben zertrümmert ... Sie -erkennen jetzt Sewastopol nicht mehr wieder: keine Seele von einem -Frauenzimmer, keinen Gastwirt, keine Musik giebt es mehr. Gestern ist -der letzte Ausschank fortgezogen. Jetzt ist es schrecklich öde ... -Leben Sie wohl! - -Und der Offizier ritt im Trabe weiter. - -Wolodja wurde plötzlich ganz trübselig zu Mut: es schien ihm immer, als -ob augenblicklich eine Kanonenkugel oder ein Bombensplitter geflogen -kommen und ihn gerade an den Kopf treffen müßte. - -Dieser feuchte Nebel, alle diese Stimmen, besonders das grollende -Plätschern der Wellen, schienen ihm zu sagen, er solle nicht weiter -gehen, es harre seiner hier nichts Gutes, sein Fuß würde nie wieder den -Boden jenseits der Bucht betreten, er möchte auf der Stelle umkehren -und fliehen -- weit, weit von diesem furchtbaren Orte des Todes. -»Aber vielleicht ist es schon zu spät, vielleicht ist es schon so -beschlossen,« dachte er und erbebte, teils über diesen Gedanken, teils, -weil ihm das Wasser durch die Stiefel drang und seine Füße feucht -machte. - -»Herr! werde ich wirklich fallen, -- gerade ich? Herr, erbarme dich -meiner!« murmelte er flüsternd und bekreuzte sich. - -Nun, gehen wir, Wolodja! sagte der ältere Bruder, als ihr Fuhrwerk auf -die Brücke gekommen war. Hast du die Bombe gesehen? - -Auf der Brücke begegneten den Brüdern Wagen mit Verwundeten, mit -Schanzkörben, und einer mit Möbeln, den eine Frau führte. Auf der -andern Seite der Bucht wurden sie von niemand zurückgehalten. - -Die Brüder hielten sich instinktiv dicht an die Wand der -Nikolajew-Batterie und kamen, indem sie schweigend auf die Töne -der hier über ihren Köpfen platzenden Bomben und das Brausen der -niederfallenden Sprengstücke hörten, zu dem Platz der Batterie, wo -das Heiligenbild stand. Hier erfuhren sie, daß die fünfte leichte, -der Wolodja zugeteilt war, in der Korabelnaja stand, und beschlossen, -trotz der Gefahr, zum ältern Bruder auf die fünfte Bastion übernachten -zu gehen und von dort, am folgenden Tage, nach der Batterie. Sie bogen -in den Flur ein, schritten über die Beine schlafender Soldaten, die -längs der ganzen Batteriewand lagen, hinweg und kamen endlich zum -Verbandplatz. - - -X - -Sie traten in das erste Zimmer, das voll von Pritschen war, auf denen -Verwundete lagen, und das von einem beklemmenden, widerwärtigen -Lazarettgeruch erfüllt war, und trafen zwei barmherzige Schwestern, die -ihnen entgegenkamen. - -Die eine, eine Frau von ungefähr fünfzig Jahren, mit dunklen Augen und -strengen Gesichtszügen, trug Binden und Charpie, und erteilte einem -jungen Burschen, einem Feldscher, der hinter ihr ging, ihre Befehle; -die andere, ein sehr hübsches Mädchen von ungefähr zwanzig Jahren, mit -einem zarten, blonden Gesichtchen, das außerordentlich reizvoll in -seiner Hilflosigkeit unter dem weißen Häubchen hervorsah, ging, die -Hände in den Schürzentaschen, neben der Alten und schien zu fürchten, -sie könnte hinter ihr zurückbleiben. - -Koselzow wandte sich an sie mit der Frage, ob sie nicht wüßten, wo -Marzow liege, der gestern ein Bein verloren habe. - -Er ist wohl vom P.-Regiment? fragte die Alte, ist er ein Verwandter von -Ihnen? - -Nein, ein Kamerad. - -Führen Sie die Herren, sagte sie zu der jungen Schwester französisch, -... hierherum, und sie ging selbst mit dem Feldscher auf den -Verwundeten zu. - -Gehen wir nur ... was zauderst du? rief Koselzow zu Wolodja, der die -Augenbrauen mit einem Ausdruck des Schmerzes in die Höhe zog und nicht -die Kraft hatte, seinen Blick von den Verwundeten abzuwenden. Gehen wir -nur! - -Wolodja ging mit dem Bruder, sah sich aber immer um und wiederholte -unbewußt: - -Ach, mein Gott! Ach, mein Gott! - -Sie sind gewiß noch nicht lange hier? fragte die Schwester Koselzow, -indem sie auf Wolodja wies, der Ach! rufend und seufzend im -Zwischengange hinter ihnen schritt. - -Er ist soeben erst angekommen. - -Die hübsche Schwester sah Wolodja an und brach plötzlich in Thränen -aus. »Mein Gott, mein Gott! wann wird das alles ein Ende haben,« sagte -sie in verzweifelndem Tone. Sie kamen in den Krankensaal der Offiziere. -Marzow lag auf dem Rücken, die sehnigen, bis zu den Ellbogen entblößten -Arme über den Kopf lang ausgestreckt, in seinem gelben Gesicht malte -sich der Ausdruck eines Menschen, der die Zähne zusammenpreßt, um -vor Schmerz nicht zu schreien. Das gesunde Bein, mit einem Strumpfe -bekleidet, war unter der Decke hervorgestreckt, und man sah, wie er -krampfhaft die Zehen hin- und herbewegte. - -Nun, wie geht es Ihnen? fragte die Schwester, indem sie mit ihren -dünnen zarten Fingern -- an dem einen bemerkte Wolodja einen Ring -- -seinen etwas kahlen Kopf in die Höhe hob und das Kissen zurechtrückte. -Kameraden von Ihnen sind gekommen, Sie zu besuchen. - -Natürlich habe ich Schmerzen! sagte er ärgerlich. Lassen Sie's nur, -so ist's gut! ... Die Zehen im Strumpfe bewegten sich noch schneller. -Guten Tag! Wie heißen Sie? Entschuldigen Sie, sprach er zu Koselzow -gewandt ... Ach, ja, Sie müssen verzeihen, -- hier vergißt man alles, -fuhr er fort, als dieser ihm seinen Namen gesagt hatte. Habe ich nicht -mit dir zusammen gewohnt? fügte er hinzu, indem er, ohne jeglichen -Ausdruck der Freude, Wolodja fragend ansah. - -Das ist mein Bruder, er ist heute von Petersburg gekommen. - -Hm! ... Ich habe mir die volle Pension verdient ... sagte er mit -gerunzelter Stirn. Ach, was für Schmerzen! ... Ja, es wäre am besten, -wenn's bald zu Ende wäre ... - -Er zog die Beine in die Höhe, bewegte die Zehen mit vermehrter -Schnelligkeit hin und her und bedeckte das Gesicht mit beiden Händen. - -Wir müssen ihn verlassen, sagte flüsternd die Schwester, mit Thränen in -den Augen, er befindet sich schon sehr schlecht. - -Noch auf der Nordseite hatten die Brüder beschlossen, auf die fünfte -Bastion zu gehen; als sie aber die Nikolajew-Batterie verließen, -beschlossen sie, -- als ob sie sich verabredet hätten, sich keiner -unnützen Gefahr anzusetzen, ohne daß sie nur ein Wort miteinander -darüber gesprochen hatten, -- jeder einzeln zu gehen. - -Aber ... wie wirst du dich zurechtfinden, Wolodja? sagte der Ältere. -Übrigens kann dich Nikolajew nach der Korabelnaja begleiten, ich werde -allein gehen und morgen bei dir sein. - -Weiter wurde kein Wort gesprochen bei diesem letzten Abschied der -beiden Brüder. - - -XI - -Der Kanonendonner dauerte mit der früheren Stärke fort, aber die -Katharinenstraße, durch die Wolodja mit dem ihm schweigend folgenden -Nikolajew ging, war still und öde. In der Dunkelheit sah er nur die -breite Straße, mit den weißen, an vielen Stellen zertrümmerten Mauern -großer Häuser, und das Steintrottoir, auf dem er ging; bisweilen -trafen sie Soldaten und Offiziere. Er ging auf der linken Seite der -Straße und sah bei dem Schein eines hellen Feuers, das hinter einer -Mauer brannte, die längs des Trottoirs gepflanzten Akazien mit ihren -grünen Pfählen und ihren verkümmerten, bestaubten Blättern. Deutlich -hörte er seine Schritte und die Nikolajews, der hinter ihm ging und -schwer atmete. Er dachte an nichts. Die hübsche Schwester, Marzows -Bein mit den beweglichen Zehen unter dem Strumpf, die Dunkelheit und -die mannigfachen Formen des Todes zogen traurig an seinem Geiste -vorüber. Seine ganze junge, eindrucksfähige Seele krampfte und preßte -sich zusammen unter dem Einflusse des Gefühls der Verlassenheit und -der allgemeinen Gleichgültigkeit gegen sein Schicksal in der Gefahr! -»Ich kann getötet werden, Qualen erdulden, leiden, und niemand weint -um mich.« Und all das statt des thatenreichen und bewunderten Lebens -eines Helden, das er sich so herrlich ausgemalt hatte. Näher und näher -platzten und pfiffen die Bomben. Nikolajew seufzte noch häufiger, -ohne jedoch das Schweigen zu unterbrechen. Als er über die Brücke -ging, die nach der Korabelnaja führte, sah Wolodja, wie unweit von ihm -etwas pfeifend in die Bucht flog, auf eine Sekunde die blauen Wellen -purpurrot beleuchtete und dann mit Schaum wieder in die Höhe flog. - -Sieh, sie ist nicht erstickt! ... rief heiser Nikolajew. - -Ja, antwortete er ganz unwillkürlich und sich selbst unerwartet mit -dünner, piepsender Stimme. - -Sie begegneten Tragbahren mit Verwundeten und wiederum Regimentswagen -mit Schanzkörben. Auf der Korabelnaja trafen sie ein Regiment, und -Reiter ritten vorüber. Einer von ihnen war ein Offizier in Begleitung -eines Kosaken. Er ritt im Trab, als er aber Wolodja bemerkte, hielt er -neben ihm, sah ihm ins Gesicht, wandte um, gab dem Pferde einen Schlag -und ritt davon. »Allein, allein; es ist allen ganz gleichgültig, ob ich -da bin oder nicht,« dachte der Jüngling und hatte ernstlich Lust zu -weinen. - -Er schritt bergauf, an einer weißen Mauer vorüber, und kam in eine -Straße zerstörter, unaufhörlich von Bomben beleuchteter Häuschen. Da -stieß er auf ein betrunkenes, zerlumptes Weib, das mit einem Matrosen -aus einem Pförtchen herauskam. - -Denn, w--w--wenn er ein Ehrenm--m--mann w--wäre, -- lallte sie -- -_pardon_, Ew. Wohlgeboren, Herr Offizier! - -Dem armen Jüngling ward das Herz immer mehr und mehr bedrückt; und -am schwarzen Horizont flammten immer häufiger Blitze auf, und immer -häufiger pfiffen und krachten Bomben in seiner Nähe. Nikolajew seufzte -auf und begann plötzlich, wie es Wolodja schien, mit bestürzter, -gepreßter Stimme: - -Und da haben sie sich beeilt, das Gouvernement zu verlassen! Hierher, -nur hierher! ... Das verlohnt sich gerade! - -Warum nicht, der Bruder ist ja jetzt wieder gesund, antwortete Wolodja, -in der Hoffnung, wenigstens durch ein Gespräch das schreckliche Gefühl, -das ihn beherrschte, zu verscheuchen. - -Gesund ... Schöne Gesundheit, wenn er ganz und gar krank ist!? Auch wer -wirklich gesund ist, thäte am besten, in solcher Zeit im Lazarett zu -leben. Giebt's hier etwa viel Freude? Entweder wird einem das Bein oder -der Arm abgerissen -- das ist alles! Ein Unglück ist schnell geschehen! -Hier, in der Stadt, ist es noch nicht so wie auf der Bastion, dort geht -es wahrhaft schrecklich zu. Wenn man geht, thut man weiter nichts, -als beten. Sieh, die Bestie, wie sie an einem vorbeihuscht! fügte er -hinzu, und richtete seine Aufmerksamkeit auf einen nahe vorbeisausenden -Bombensplitter. Jetzt hat man mir befohlen, fuhr Nikolajew fort, Ew. -Wohlgeboren zu führen. Wie's unsereinem geht, das weiß man ja: was -befohlen wird, muß man ausführen; da überläßt man dem ersten besten -Soldaten den Wagen, und das Bündel ist offen. Aber du geh, geh mit; und -was an Sachen verloren geht -- Nikolajew, steh dafür ein! - -Noch einige Schritte weiter, und sie kamen auf einen Platz. Nikolajew -schwieg und seufzte. - -Da steht Ihre Artillerie, Ew. Wohlgeboren! sagte er plötzlich, fragen -Sie den Posten, er wird Ihnen den Weg zeigen. - -Als Wolodja einige Schritte weiter gegangen war, hörte er die -Seufzertöne Nikolajews nicht mehr hinter sich. - -Er fühlte sich plötzlich vollständig, ganz und gar allein. Dieses -Bewußtsein der Vereinsamung in der Gefahr vor dem Tode, wie er glaubte, -lag ihm wie ein entsetzlich schwerer, kalter Stein auf der Brust. Er -blieb mitten auf dem Platze stehen und schaute sich um, ob ihn nicht -jemand sehe, griff sich an den Kopf, sprach vor sich hin und dachte -mit Entsetzen: »Herr Gott! Bin ich denn ein Feigling, ein elender, -abscheulicher, niedriger Feigling -- gilt es nicht das Vaterland, den -Zaren, für den ich gestern noch mit Wonne zu sterben wähnte? Nein, -ich bin ein unglückliches, bejammernswertes Geschöpf!« Und mit einem -wahren Gefühl der Verzweiflung und der Enttäuschung über sich selbst, -fragte Wolodja den Posten nach dem Hause des Batteriekommandeurs und -ging in der Richtung, die er ihm wies. - - -XII - -Die Wohnung des Batteriekommandeurs, die ihm der Posten gezeigt hatte, -war ein kleines, zweistöckige Haus, mit dem Eingange vom Hofe her. -Durch das mit Papier verklebte Fenster schimmerte das schwache Licht -einer Kerze. Der Bursche saß auf der Außentreppe und rauchte seine -Pfeife. Er ging dem Batteriekommandeur Meldung zu machen und führte -Wolodja ins Zimmer. Im Zimmer standen, zwischen zwei Fenstern, unter -einem zerbrochenen Spiegel, ein mit amtlichen Papieren über und über -bedeckter Tisch, einige Stühle und eine eiserne Bettstelle mit reiner -Bettwäsche und einem kleinen Teppich davor. - -Dicht an der Thür stand ein hübscher Mann mit starkem Schnurrbart -- -der Feldwebel, mit dem Seitengewehr und einem Mantel, auf dem ein Kreuz -und die Medaille für den ungarischen Feldzug hingen. In der Mitte des -Zimmers ging ein kleiner, etwa vierzigjähriger Stabsoffizier, mit einer -verbundenen, geschwollenen Backe, in einem dünnen, alten Mantel hin und -her. - -Ich habe die Ehre, mich zu melden, zur fünften Leichten kommandiert, -Fähnrich Koselzow II! sagte Wolodja seine eingelernte Phrase her, als -er ins Zimmer trat. - -Der Batteriekommandeur beantwortete kühl seinen Gruß und forderte -Wolodja, ohne ihm die Hand zu geben, auf, sich zu setzen. - -Wolodja ließ sich schüchtern auf einen Stuhl neben dem Schreibtisch -nieder und spielte mit einer Schere, die ihm in die Hand fiel. Der -Batteriekommandeur ging, mit gesenktem Kopf, die Hände auf dem Rücken, -unaufhörlich, ohne ein Wort zu sprechen, im Zimmer auf und nieder, mit -dem Aussehen eines Menschen, der sich etwas in Erinnerung rufen will, -und warf nur von Zeit zu Zeit einen Blick auf die Hände, die mit der -Schere spielten. - -Der Batteriekommandeur war ein ziemlich beleibter Mann mit einer -großen Glatze auf dem Wirbel, einem dichten Schnauzer, der gerade -heruntergekämmt war und den Mund bedeckte, und mit freundlichen grauen -Augen; er hatte schöne, reine, rundliche Hände, seine Beine waren -stark nach außen gekehrt, er trat mit Zuversicht und einer gewissen -Stutzerhaftigkeit auf, die andeutete, daß der Batteriekommandeur nicht -gerade schüchtern war. - -Ja, sagte er und blieb vor dem Feldwebel stehen, der Geschützmannschaft -wird man von morgen ab noch einen Topf zugeben müssen, sie werden zu -schlecht behandelt. Was meinst du? - -Gewiß, man kann ihnen noch was geben, Euer Hochwohlgeboren! Jetzt ist -der Hafer billiger geworden, antwortete der Feldwebel und bewegte dabei -die Finger an den Händen, die er an den Nähten hielt, die aber offenbar -gern seine Rede mit ihrer Gebärde unterstützten. Gestern hat mir auch -unser Fourageur Frantschuk vom Train ein Schreiben geschickt, Euer -Hochwohlgeboren, wir müßten unbedingt dort Ochsen kaufen, meint er. Es -heißt, sie sollen billig sein. Wenn Sie befehlen? - -Nun ja, kaufen wir: er hat das Geld. Und der Batteriekommandeur begann -wieder im Zimmer auf und nieder zu gehen. -- Und wo sind Ihre Sachen? -fragte er plötzlich Wolodja und blieb vor ihm stehen. - -Den armen Wolodja hatte der Gedanke, daß er ein Feigling sei, so -niedergedrückt, daß er in jedem Augenblick, in jedem Wort Verachtung -gegen sich, als einen kläglichen Feigling, sah. Es war ihm, als hätte -der Batteriekommandeur schon sein Geheimnis durchschaut und spotte -seiner. Er antwortete verlegen, die Sachen seien auf der Grafßkaja und -der Bruder hätte versprochen, sie ihm morgen zu schicken. - -Der Oberst aber hörte kaum auf ihn und fragte, zu dem Feldwebel gewandt: - -Wo werden wir den Fähnrich unterbringen? - -Den Fähnrich? sagte der Feldwebel, und machte Wolodja noch mehr -verlegen durch den flüchtigen Blick, den er ihm zuwarf und der -gewissermaßen die Frage ausdrückte: »Was ist das für ein Fähnrich?« --- Ja, unten, Euer Hochwohlgeboren, beim Stabskapitän können Seine -Wohlgeboren sich einquartieren, fuhr er fort, nachdem er ein wenig -nachgedacht hatte; der Stabskapitän sind jetzt auf der Bastion, so daß -seine Pritsche leer steht. - -Beliebt es Ihnen einstweilen so? fragte der Batteriekommandeur. Sie -müssen, denk' ich, müde sein; morgen werden wir es besser einrichten. - -Wolodja stand auf und verbeugte sich. - -Ist Ihnen nicht Thee gefällig? fragte der Batteriekommandeur, als -er bereits bis zur Thür gegangen war. Man kann eine Theemaschine -aufstellen. - -Wolodja verbeugte sich und ging hinaus. Der Bursche des Obersten -begleitete ihn nach unten und führte ihn in ein kahles, schmutziges -Zimmer, in dem allerlei Gerümpel umherlag und ein eisernes Bett -ohne Wäsche und Decke stand. Auf dem Bett, mit einem dicken Mantel -zugedeckt, schlief jemand in einem rosa Hemd. - -Wolodja hielt ihn für einen gemeinen Soldaten. - -Peter Nikolajewitsch! rief der Offiziersbursche, indem er den Schläfer -an der Schulter rüttelte. Hier werden sich der Fähnrich hinlegen ... -Das ist unser Junker, fügte er, zum Fähnrich gewandt, hinzu. - -Ach, lassen Sie sich nicht stören, bitte! sagte Wolodja; aber der -Junker, ein hochgewachsener, stattlicher junger Mann mit hübschen, aber -sehr dummen Zügen, stand vom Bett auf, warf sich den Mantel um und -ging, augenscheinlich noch halb im Schlafe, aus dem Zimmer. - -Schadet nichts, ich werde mich draußen hinlegen, brummte er. - - -XIII - -Als Wolodja mit seinen Gedanken allein geblieben war, war sein erstes -Gefühl die Angst vor dem wirren, trostlosen Zustand, in dem sich sein -Gemüt befand. Er hatte den Wunsch, einzuschlafen und alles ringsumher, -vor allem aber sich selbst, zu vergessen. Er löschte das Licht, legte -sich auf das Bett und zog seinen Mantel über den Kopf, um sich zu -schützen gegen die Angst vor der Dunkelheit, die ihm seit frühester -Jugend anhaftete. Plötzlich aber fiel ihm ein, es könnte eine Bombe -geflogen kommen, das Dach durchschlagen und ihn töten ... Er horchte -auf; gerade über ihm erklangen die Schritte des Batteriekommandeurs. - -»Übrigens, wenn eine geflogen kommt -- dachte er -- trifft sie erst -oben und dann mich -- also wenigstens nicht mich allein.« Dieser -Gedanke beruhigte ihn ein wenig, er war im Begriff, einzuschlummern. -»Wie aber, wenn plötzlich in der Nacht Sewastopol genommen wird, und -die Franzosen hier eindringen? Womit werde ich mich verteidigen?« Er -stand wieder auf und ging im Zimmer auf und nieder. Die Angst vor der -wirklichen Gefahr hatte die geheimnisvolle Angst vor der Finsternis -verschlungen. Außer einem Sattel und einem Ssamowar war im Zimmer -nichts Festes. »Ich bin ein Elender, ein Feigling, ein abscheulicher -Feigling,« dachte er plötzlich, und wieder überkam ihn das drückende -Gefühl der Verachtung, des Abscheus sogar vor sich selbst. Er legte -sich wieder hin und gab sich Mühe, nichts zu denken. Da tauchten -unwillkürlich die Eindrücke des Tages in seiner Phantasie wieder -auf, begleitet von ununterbrochenen Tönen, die die Scheiben in dem -einzigen Fenster klirren machten, und erinnerten ihn wieder an die -Gefahr. Bald phantasierte er von Verwundeten und von Blut, bald von -Bomben und Splittern, die ins Zimmer fliegen, bald von der hübschen, -barmherzigen Schwester, die ihm, dem Sterbenden, einen Verband anlegt -und über ihn weint, bald von seiner Mutter, die in der Kreisstadt an -seiner Seite geht und inbrünstig unter Thränen vor dem wunderthätigen -Bilde betet, und wieder scheint ihm der Schlaf unmöglich. Plötzlich -trat der Gedanke an Gott, den Allmächtigen, der alles wirken und jedes -Gebet erhören kann, klar vor seine Seele. Er kniete nieder, bekreuzte -sich und faltete die Hände, ganz so, wie man ihn in der Kindheit beten -gelehrt hatte. Diese Gebärde versetzte ihn mit einem Schlage in eine -längst vergangene, tröstliche Stimmung. - -»Wenn ich sterben muß, wenn es sein muß, daß ich vergehe, laß es -geschehen, Herr -- dachte er -- laß es schnell geschehen! ... Bedarf es -aber der Tapferkeit, bedarf es der Standhaftigkeit, die ich nicht habe, -so gieb sie mir, schütze mich vor Schmach und Schande, die ich nicht -ertragen kann, lehre mich, was ich zu thun habe, um Deinen Willen zu -erfüllen.« - -Seine kindliche, eingeschüchterte, geängstigte Seele ward plötzlich -von Mannesmut erfüllt. Sie wurde heller und sah neue, weite, lichte -Horizonte. Noch vieles dachte und empfand er in diesem kurzen -Augenblick, den diese Stimmung währte; er schlief bald ruhig und -furchtlos ein, mitten unter den Tönen des fortdauernden Getöses des -Bombardements und des Klirrens der Scheiben. - -Großer Gott! Nur du allein hast gehört und kennst die einfältigen, aber -inbrünstigen und verzweifelten Gebete der Unwissenheit und irrenden -Reue, die Bitten um Heilung des Körpers und Erleuchtung der Seele, die -zu dir von diesem schrecklichen Orte des Todes emporgestiegen sind, -aus dem Herzen des Generals, der eben an das Georgskreuz gedacht hat -und mit Bangen Deine Nähe ahnt, wie des einfachen Soldaten, der sich -auf dem nackten Boden der Nikolajew-Batterie wälzt und Dich bittet, ihm -im Jenseits Belohnung zu gewähren für alle Leiden! ... - - -XIV - -Der ältere Koselzow hatte auf der Straße einen Soldaten seines -Regiments getroffen und ging zusammen mit ihm geradewegs nach der -fünften Bastion. - -Halten Sie sich an die Mauer, Euer Wohlgeboren! sagte der Soldat. - -Weshalb? - -Es ist gefährlich, Euer Wohlgeboren: sehen Sie, da fliegt sie schon -hinüber! sagte der Soldat, indem er auf den pfeifenden Ton einer -Kanonenkugel horchte, die auf dem trockenen Weg auf der anderen Seite -der Straße einschlug. - -Koselzow ging, ohne auf den Soldaten zu hören, kühn in der Mitte der -Straße. - -Es waren dieselben Straßen, dasselbe sogar noch häufigere Feuern, -dasselbe Stöhnen, Vorübertragen von Verwundeten und dieselben -Batterien, Brustwehren und Laufgräben, wie im Frühjahr, da er in -Sewastopol gewesen; aber das alles war jetzt noch trauriger und -zugleich energischer: es gab noch mehr durchgeschlagene Dächer, Licht -in den Fenstern war gar nicht mehr sichtbar, außer in Kuschtschins -Hause (dem Lazarett), Frauen sah man gar nicht mehr auf der Straße, auf -allem lag nicht mehr der frühere Charakter des Alltäglichen und der -Sorglosigkeit, sondern der Stempel einer bangen Erwartung und Müdigkeit. - -Aber da ist schon der letzte Laufgraben, da tönt auch die Stimme eines -Soldaten vom P.-Regiment, der seinen früheren Hauptmann erkannt hat; da -steht auch das dritte Bataillon in der Dunkelheit, an die Wand gelehnt, -bisweilen auf einen Augenblick durch Schüsse beleuchtet und seine -Gegenwart nur durch gedämpftes Murmeln und das Klirren der Gewehre -verratend. - -Wo ist der Regimentskommandeur? fragte Koselzow. - -In der Blindage, Euer Wohlgeboren, bei den Seeleuten, antwortete ein -dienstfertiger Soldat. Bitte, ich werde Sie führen. - -Von Laufgraben zu Laufgraben führte der Soldat Koselzow zu einem -kleinen Graben in einem Laufgraben. Im Graben saß ein Matrose, der -seine Pfeife rauchte; hinter ihm war eine Thür sichtbar, durch deren -Spalt Licht schimmerte. - -Darf man eintreten? - -Werde Sie sogleich melden! und der Soldat trat zur Thür ein. - -Drinnen sprachen zwei Stimmen. - -Wenn Preußen die Neutralität bewahrt, sagte die eine Stimme, so wird -auch Österreich ... - -Ach was, Österreich, sagte die andere, wenn die slavischen Völker ... -Laß eintreten. - -Koselzow war nie in dieser Blindage gewesen. Sie frappierte ihn -durch ihren Luxus. Der Fußboden war getäfelt, an der Thür hielt -eine spanische Wand den Wind ab. Zwei Betten waren an den Wänden -aufgestellt; in einer Ecke stand ein großes Bild der Gottesmutter -in goldenen Gewändern, und vor ihm brannte eine rosa Lampe. Auf dem -einen Bett schlief ein Marineoffizier, vollständig angekleidet; auf -dem andern saßen vor einem Tisch, auf dem zwei halbvolle Flaschen -Wein standen, der neue Regimentskommandeur im Gespräch mit seinem -Adjutanten. Obgleich Koselzow durchaus kein Feigling war und sich -weder der Behörde, noch dem Regimentskommandeur gegenüber einer Schuld -bewußt war, wurde er doch zaghaft bei dem Anblick des Hauptmanns, der -vor kurzem noch sein Kamerad gewesen war; so stolz erhob sich dieser -Hauptmann, um ihn auszufragen. »Sonderbar, dachte Koselzow, während -er seinen Kommandeur ansah, sieben Wochen sind es erst, daß er das -Regiment bekommen hat, und wie deutlich spricht schon aus allem, was -ihn umgiebt, aus seiner Kleidung, aus seinem Gebahren, aus seinem -Blick, die Würde des Regimentskommandeurs. Vor kurzem -- dachte er --- hat dieser Batteriechef noch mit uns gezecht, an Wochentagen ein -dunkles Zitzhemd getragen, das länger rein hält, nie jemand zu sich -eingeladen, und immer und ewig Klops und Quarkpiroggen gegessen, und -jetzt? ... Und im Blick dieser Ausdruck kalten Hochmuts, der zu sagen -scheint: wenn ich auch dein Kamerad bin, weil ich Regimentskommandeur -neuer Schule bin, glaube nur, ich weiß, wie gern du dein halbes Leben -hingäbest, um an meiner Stelle zu sein!« - -Sie haben sich recht lange kurieren lassen, sagte der Oberst zu -Koselzow und sah ihn kühl an. - -Ich bin krank gewesen, Oberst! Die Wunde ist jetzt noch nicht ganz -geschlossen. - -So sind Sie unnütz gekommen, sagte der Oberst und betrachtete -mißtrauisch die volle Gestalt des Offiziers. Sie können aber doch den -Dienst versehen? - -Gewiß kann ich das! - -Nun, ich freue mich sehr. So übernehmen Sie vom Fähnrich Sajzow die -neunte Kompagnie -- Ihre frühere; sogleich werden Sie die Ordre -erhalten. - -Zu Befehl! - -Wollen Sie die Güte haben, wenn Sie fortgehen, den Regimentsadjutanten -zu mir zu schicken, schloß der Regimentskommandeur, und gab durch eine -leichte Verbeugung zu verstehen, daß die Audienz beendet sei. - -Während Koselzow aus der Blindage herausging, brummte er etwas vor -sich hin und zog die Schultern hoch, als bereite ihm etwas Schmerz, -Unbehagen oder Ärger -- Ärger nicht über den Regimentskommandeur (der -hatte ihm keinen Grund gegeben); er war mit sich selbst, mit allem, was -um ihn her vorging, unzufrieden. - - -XV - -Bevor Koselzow sich zu seinen Regimentskameraden begab, ging er, -seine Kompagnie zu begrüßen und zu sehen, wo sie stand. Die aus -Schanzkörben gebildeten Brustwehren, die Anlage der Laufgräben, die -Kanonen, an denen er vorbeikam, sogar die Splitter der Bomben, über -die er unterwegs stolperte, -- das alles, unaufhörlich durch das -Feuer der Schüsse erhellt, war ihm bekannt; das alles hatte sich vor -drei Monaten, im Verlauf der vierzehn Tage, die er ununterbrochen auf -derselben Bastion zugebracht, seinem Gedächtnisse lebhaft eingeprägt. -Obwohl viel Schreckliches in der Erinnerung lag, hatte sie doch auch -den großen Zauber des Vergangenen, und er sah mit Vergnügen, als -wären die hier zugebrachten vierzehn Tage angenehme gewesen, die -bekannten Orte und Gegenstände wieder. Die Kompagnie lag an der -Verteidigungswand, bei der sechsten Bastion. - -Koselzow ging in eine lange, vom Eingange her vollständig offene -Blindage, in der, wie man ihm sagte, die neunte Kompagnie stand. In der -ganzen Blindage war buchstäblich kein Fuß breit Platz: so voll war sie -vom Eingang ab von Soldaten. Auf der einen Seite brannte ein kurzes -Talglicht. Das Licht hielt, liegend, ein Soldat und beleuchtete ein -Buch, das ein anderer buchstabierend las. Um das Licht waren in dem -trüben Halbdunkel der Blindage erhobene Köpfe sichtbar, die gespannt -dem Leser zuhörten. Das Buch war ein ABC-Buch. Als Koselzow in die -Blindage eintrat, hörte er folgendes: - -»Ge--bet nach Be--en--di--gung des Un--terrichts. Ich dan--ke Dir -Schöp--fer ...« - -Putzt doch das Licht! rief eine Stimme. Das Buch ist prächtig ... »Mein -... Gott ...« fuhr der Vorleser fort. - -Als Koselzow nach dem Feldwebel fragte, verstummte der Vorleser, die -Soldaten gerieten in Bewegung, husteten, schnäuzten sich, wie stets -nach einem anhaltenden Schweigen. Der Feldwebel erhob sich, seinen -Mantel zuknöpfend, von seinem Platz in der Nähe des Vorlesers und kam, -über die Füße und auf den Füßen derer, die nicht Zeit hatten, sie -wegzuziehen, schreitend, an den Offizier heran. - -Guten Tag, Brüderchen! Ist das alles unsere Kompagnie? - -Wir wünschen Gesundheit! Wir gratulieren zur Ankunft, antwortete der -Feldwebel, indem er heiter und freundlich Koselzow ansah. -- Hat sich -Ihr Befinden gebessert? Nun Gott sei Dank. Wir haben uns sehr nach -Ihnen gesehnt. - -Man sah gleich, daß Koselzow bei der Kompagnie beliebt war. - -Im Hintergrunde der Blindage ließen sich Stimmen hören: der frühere -Kompagniekommandeur ist wieder da, der verwundet war, Koselzow, Michail -Ssemjonytsch ist wieder da u. dgl.; einige gingen sogar auf ihn zu, der -Trommler begrüßte ihn. - -Guten Tag, Obantschuck? sagte Koselzow. Unversehrt? ... Wünsch' euch -Gesundheit, Kinder, rief er darauf mit erhobener Stimme. - -Wir wünschen Ihnen Gesundheit! tönte es tosend in der Blindage. - -Wie geht's euch, Kinder? - -Schlecht, Euer Wohlgeboren; der Franzose hat die Oberhand, -- er -schießt so bös von den Schanzen her -- und damit basta, ins Feld wagt -er sich nicht. - -Vielleicht giebt's Gott, zu meinem Glück, daß sie auch ins Feld kommen, -Kinder! erwiderte Koselzow. Ich bin ja nicht das erstemal bei euch: wir -werden sie wieder ausklopfen. - -An uns soll's nicht fehlen, Euer Wohlgeboren! antworteten einige -Stimmen. - -Na, aber sie sind tapfer! sagte eine Stimme. - -Furchtbar tapfer! sagte der Trommler nicht laut, aber so, daß es hörbar -war, zu einem anderen Soldaten gewandt, als wenn er vor diesem die -Worte des Kompagnieführers rechtfertigen und ihn überzeugen wollte, daß -in diesen Worten nichts Prahlerisches und Unwahrscheinliches liege. - -Von den Soldaten ging Koselzow in die Kaserne der Verteidigungstruppen -zu den Offizieren, seinen Kameraden. - - -XVI - -In dem großen Zimmer der Kaserne waren eine Menge Leute: Marine-, -Artillerie- und Infanterieoffiziere. Die einen schliefen, andere -unterhielten sich, auf dem Pulverkasten und der Lafette einer -Festungskanone sitzend; die dritten bildeten im Alkoven eine große -und laute Gruppe, sie saßen auf der Diele auf zwei ausbreiteten -Filzmänteln, tranken Porter und spielten Karten. - -Ah, Koselzow, Koselzow ... Gut, daß du gekommen bist. Brav! ... Was -macht die Wunde? ließ sich von verschiedenen Seiten hören. Auch hier -konnte man sehen, daß man ihn gern hatte und sich über seine Ankunft -freute. - -Koselzow schüttelte seinen Bekannten die Hand und gesellte sich zu -der lauten Gruppe, die aus mehreren Offizieren bestand, die Karten -spielten. Es waren auch Bekannte von ihm darunter. Ein hübscher, -magerer, brünetter Mann mit einer langen, hageren Nase und einem -starken Schnauzbart, der lang von den Wangen herabhing, hielt die -Bank mit seinen weißen, hageren Fingern, auf einem der Finger trug er -einen großen goldenen Siegelring mit einem Wappen. Er legte die Karten -gerade vor sich hin, ohne Sorgfalt, er war offenbar erregt und wollte -nur sorglos erscheinen. Neben ihm zur Rechten war, auf den Ellbogen -gestützt, ein grauköpfiger Major hingestreckt, setzte mit erheuchelter -Kaltblütigkeit immer einen halben Rubel und zahlte sofort aus. Zur -linken Hand saß kauernd ein hübscher junger Offizier mit schweißigem -Gesicht, lächelte gezwungen und scherzte. Wenn seine Karte dran war, -bewegte er unaufhörlich die eine Hand in seiner leeren Hosentasche. Er -spielte um hohen Einsatz, aber offenbar nicht mehr um Tausende, was -den hübschen, brünetten Herrn wurmte. Ein kahlköpfiger Offizier mit -riesiger Nase und großem Mund, ein hagerer und blasser Mann, ging im -Zimmer auf und nieder, hielt einen großen Haufen Banknoten in der Hand, -spielte immer mit barem Gelde _va banque_ und gewann immer. - -Koselzow trank einen Schnaps und setzte sich zu den Spielern. - -Setzen Sie doch, Michail Ssemjonytsch! sagte der Bankhalter zu ihm. -Geld, meine ich, müssen Sie die Menge mitgebracht haben. - -Wie soll ich zu Geld kommen? Im Gegenteil, ich habe das letzte in der -Stadt gelassen. - -Wie? Sie haben doch gewiß jemanden in Ssimferopol aufsitzen lassen. - -Wahrhaftig, ich habe nicht viel, sagte Koselzow, aber er wünschte -offenbar nicht, daß man ihm glaube, knöpfte den Rock auf und nahm die -alten Karten zur Hand. - -Ein Versuch kann nicht schaden. Man muß das Schicksal versuchen! Jedes -Tierchen hat sein Plaisierchen! ... Sie müssen nur eins trinken, sich -Mut zu machen. - -Er trank ein zweites Gläschen Schnaps und etwas Porter, und hatte in -kurzer Zeit seine letzten drei Rubel verspielt. - -Der kleine schweißige Offizier war mit hundertfünfzig Rubel in der -Kreide. - -Nein, es will nicht glücken, sagte er und griff nachlässig nach einer -neuen Karte. - -Wollen Sie einsetzen, sagte der Bankhalter zu ihm, hielt einen -Augenblick inne und sah ihn an. - -Gestatten Sie mir, morgen zu setzen, antwortete der schweißige -Offizier, erhob sich und bewegte noch lebhafter seine Hand in der -leeren Tasche. - -Hm ... brummte der Bankhalter, warf sich ärgerlich nach rechts und nach -links und führte die Taille zu Ende. -- Aber nein, so geht's nicht, -sagte er und legte die Karten hin. Ich passe. So geht's nicht, Sachar -Iwanytsch, fügte er hinzu. Wir haben auf bar gespielt und nicht auf -Kreide. - -Wie, zweifeln Sie an mir? ... Merkwürdig, wahrhaftig! - -Von wem wünschen Sie Geld? brummte der Major, der etwa acht Rubel -gewonnen hatte. Ich habe schon mehr als zwanzig Rubel gesetzt, und habe -gewonnen, aber ich bekomme nichts. - -Woher soll ich denn zahlen, sagte der Bankhalter, wenn kein Geld auf -dem Tische ist. - -Was kümmert das mich? schrie der Major und erhob sich, ich spiele mit -Ihnen und nicht mit dem da. - -Der schweißige Offizier wurde plötzlich hitzig. - -Ich sage, ich bezahle morgen -- wie können Sie es wagen, mir Grobheiten -zu sagen. - -Ich sage, was ich will! So handelt man nicht, wissen Sie's nun? schrie -der Major. - -Lassen Sie gut sein, Fjodor Fjodorytsch, begannen alle und hielten den -Major zurück. - -Aber senken wir schnell den Vorhang über dieses Schauspiel. Morgen, -heute schon wird vielleicht jeder dieser Menschen heiter und stolz -dem Tode entgegengehen und standhaft und ruhig sterben; aber der -einzige Lebenstrost in diesen, auch die kühlste Einbildungskraft -entsetzenden Verhältnissen des Mangels alles Menschlichen und der -Aussichtslosigkeit einer Besserung, der einzige Trost ist Vergessen, -Vernichtung des Bewußtseins. Auf dem Grunde der Seele eines jeden ruht -der edle Funke, der einen Helden aus ihm macht; aber dieser Funke hört -auf hell zu glimmen -- kommt die entscheidende Stunde, dann lodert er -flammend auf und beleuchtet große Thaten. - - -XVII - -Am folgenden Tage dauerte das Bombardement mit gleicher Stärke -fort. Gegen elf Uhr morgens saß Wolodja Koselzow in dem Kreise der -Batterieoffiziere; er hatte sich schon ein wenig an sie gewöhnt und -betrachtete die neuen Gesichter, beobachtete, fragte und erzählte. Das -bescheidene, in gewissem Sinne auf Gelehrsamkeit Anspruch machende -Gespräch der Artillerieoffiziere flößte ihm Achtung ein und gefiel ihm. -Das schamhafte, unschuldige und hübsche Äußere Wolodjas machte ihm die -Offiziere geneigt. Der älteste Offizier in der Batterie, ein Kapitän, -ein Mann von kleiner Gestalt und rötlichem Haar mit einem Schopf und -glattgekämmten Schläfen, in den alten Überlieferungen der Artillerie -aufgewachsen, ein Ritter der Damen und sozusagen ein Gelehrter, fragte -Wolodja nach seinen Kenntnissen in der Artillerie und nach neuen -Erfindungen, spöttelte liebenswürdig über sein hübsches Gesichtchen -und ging mit ihm im allgemeinen wie ein Vater mit seinem Sohne um, -was Wolodja sehr wohl that. Der Unterleutnant Djadjenko, ein junger -Offizier, der mit kleinrussischem Accent sprach, in einem zerrissenen -Mantel und mit zerzaustem Haar, sprach zwar sehr laut, suchte immer -eine Gelegenheit, giftig zu sein und hatte eckige Bewegungen, gefiel -aber trotzdem Wolodja, der unter dieser herben Außenseite natürlich -einen sehr prächtigen und guten Menschen sah. Djadjenko bot Wolodja -fortwährend seine Dienste an und setzte ihm auseinander, daß alle -Geschütze in Sewastopol nicht regelrecht aufgestellt seien. Leutnant -Tschernowizkij mit den hochgezogenen Brauen gefiel Wolodja nicht, er -war zwar höflicher als die anderen und trug einen ziemlich sauberen, -wenn auch nicht neuen, doch aber sorgfältig geflickten Rock und ließ -auf seiner Atlasweste eine goldene Kette sehen. Er wurde nicht müde -zu fragen, was der Kaiser und der Kriegsminister machen, und erzählte -ihm unaufhörlich mit erkünstelter Begeisterung von den Heldenthaten -vor Sewastopol, klagte darüber, daß es so wenig Patrioten gebe und -ließ überhaupt viel Wissen, Geist und edles Empfinden durchblicken; -aber es berührte doch alles Wolodja unangenehm und unnatürlich. Vor -allem bemerkte er, daß die übrigen Offiziere mit Tschernowizkij -fast gar nicht sprachen. Der Junker Wlang, den er gestern geweckt -hatte, war ebenfalls da. Er sprach nichts, sondern saß bescheiden in -einer Ecke und lachte, wenn etwas Spaßhaftes erzählt und dabei etwas -vergessen wurde, dessen er sich erinnerte, reichte Branntwein herum -und machte für alle Offiziere Cigaretten. Mochte das bescheidene, -höfliche Betragen Wolodjas, der mit ihm gerade so verkehrte, wie -mit den Offizieren, und ihn nicht wie einen Knaben behandelte, oder -sein angenehmes Äußere »Wlanga«, wie ihn die Soldaten nannten, indem -sie seinen Namen zu einem Femininum umbildeten, fesseln, er konnte -seine gutmütigen, großen Augen von dem Gesicht des neuen Offiziers -nicht abwenden, indem er alle seine Wünsche zu erraten und ihnen -zuvorzukommen suchte, und sich ununterbrochen in einer Extase der -Verliebtheit befand, die natürlich von den Offizieren bemerkt und -verspottet wurde. - -Vor dem Mittagessen wurde ein Stabskapitän von der Bastion abgelöst und -schloß sich ihrer Gesellschaft an. Stabskapitän Kraut war ein blonder, -hübscher, fescher Offizier mit großem rötlichen Schnurrbart und -Backenbart; er sprach das Russische vortrefflich, aber zu regelrecht -und schön für einen Russen. Im Dienst und im Leben war er ganz wie in -seiner Sprache: im Dienst ausgezeichnet, ein vortrefflicher Kamerad, -der zuverlässigste Mann in Geldangelegenheiten, aber einfach als -Mensch, und gerade deshalb, weil alles in einem gewissen Sinne gut an -ihm war, fehlte ihm etwas. Wie alle russischen Deutschen war er, ein -sonderbarer Gegensatz zu den »idealen« Deutschen, im höchsten Grade -»praktisch«. - -Da erscheint unser Held! rief der Kapitän, als Kraut, die Arme -schwenkend und mit den Sporen klirrend, ins Zimmer kam. - -Was wünschen Sie, Thee oder Schnaps? - -Ich habe schon befohlen, den Ssamowar aufzustellen, antwortete er. Aber -einen Schnaps kann man inzwischen schon genehmigen, denn der erfreut -des Menschen Herz. Freut mich sehr, Ihre Bekanntschaft zu machen; ich -bitte Sie, uns Freund und Gönner zu sein, sagte er zu Wolodja, der -aufgestanden war und sich vor ihm verneigte. Stabskapitän Kraut ... -Der Feuerwerker hat mir auf der Bastion gesagt, daß Sie schon gestern -angekommen sind. - -Ich danke Ihnen sehr für Ihr Bett; ich habe die Nacht darauf geschlafen. - -Aber auch gut? ... Ein Fuß ist abgebrochen, und beim -Belagerungszustande findet sich niemand, ihn auszubessern, -- man muß -was unterlegen. - -Nun, wie war's, haben Sie glücklichen Tagesdienst gehabt? fragte -Djadjenko. - -Ja, es war weiter nichts; nur Skworzow hat was abbekommen, auch eine -Lafette mußte ausgebessert werden: ihre Wand ist in tausend Stücke -geschossen worden. - -Er erhob sich von seinem Platz und begann hin- und herzugehen: es war -ihm anzumerken, daß er sich unter dem Einflusse der angenehmen Stimmung -eines Menschen befand, der soeben einer Gefahr entronnen ist. - -Na, Dmitrij Gawrilytsch, sagte er und klopfte dem Kapitän auf die -Knie. Wie geht's, Väterchen? Noch keine Antwort auf den Vorschlag zur -Beförderung? - -Noch nichts. - -Es kommt auch nichts, begann Djadjenko, ich habe es Ihnen vorher klar -gemacht. - -Warum denn nicht? - -Warum? weil die Relation nicht so abgefaßt ist. - -Ach Sie, Sie sind ein Streithahn, ein rechter Streithahn! sagte Kraut -und lächelte fröhlich. Ein echter, hartnäckiger Chacholl (Spitzname für -die Kleinrussen), aber Ihnen zum Possen wird der Leutnant herauskommen. - -Nein, er wird nicht herauskommen. - -Wlang! bringen Sie mir doch meine Pfeife her und stopfen Sie sie mir, -sagte er zu dem Junker gewandt, der sofort bereitwillig nach der Pfeife -lief. - -Kraut brachte Leben in die Gesellschaft. Er erzählte vom Bombardement, -fragte, was in seiner Abwesenheit geschehen war und plauderte mit -allen. - - -XVIII - -Na, wie haben Sie sich bei uns schon eingerichtet? fragte Kraut -Wolodja. Verzeihen Sie, wie ist Ihr Vor- und Vatersname? Bei uns in der -Artillerie ist es einmal so Sitte ... Haben Sie schon ein Reitpferd -angeschafft? - -Nein, sagte Wolodja, ich weiß nicht, was werden wird. Ich habe dem -Kapitän gesagt ... ich habe kein Pferd, ich habe aber auch kein Geld, -so lange ich nicht Zehr- und Reisegelder bekomme. - -Apollon Sergjeitsch? -- er brachte mit den Lippen einen Laut hervor, -der starken Zweifel ausdrückte und sah den Kapitän an, -- kaum! - -Je nun, schlägt er's ab, ist's auch kein Unglück, sagte der Kapitän, -hier braucht man eigentlich kein Pferd, aber man kann's immerhin -versuchen, ich will heute fragen. - -Wie, kennen Sie ihn nicht? mischte sich Djadjenko ein, etwas anderes -kann er abschlagen, aber Ihnen wird er keineswegs ... Wollen Sie wetten? - -Na ja, Sie müssen natürlich immer widersprechen. - -Ich widerspreche, weil ich weiß: in anderen Dingen ist er geizig, aber -ein Pferd giebt er, er hat ja auch keinen Vorteil von der Ablehnung. - -Gewiß hat er Vorteil davon, wenn ihm hier der Hafer acht Rubel -zu stehen kommt, sagte Kraut. Man hat Vorteil, wenn man keine -überflüssigen Pferde hält. - -Bitten Sie um den Staar, Wladimir Ssemjonytsch, sagte Wlang, der mit -Krauts Pfeifchen zurückkam, ein ausgezeichnetes Pferd! - -Mit dem Sie in Ssoroki in den Graben gefallen sind, Wlanga, hm? -bemerkte der Stabskapitän. - -Nein, aber was sprechen Sie da, acht Rubel der Hafer, fuhr Djadjenko -fort im Streit, wo er seine Rechnung mit zehneinhalb macht? ... -Natürlich, hat er keinen Vorteil davon. - -Das wäre schön, wenn ihm nicht noch was übrig bliebe! Wenn Sie, so Gott -will, Batteriekommandeur sind, so geben Sie kein Pferd, nach der Stadt -zu reiten. - -Wenn ich Batteriekommandeur bin, Väterchen, soll jedes Pferd vier Maß -Futter haben, ich werde keine Gelder zusammenscharren, haben Sie keine -Sorge. - -Wer's erlebt, wird's sehen ... sagte der Stabskapitän. Und Sie werden -ebenso handeln, und Sie auch, wenn Sie eine Batterie kommandieren -werden, fügte er hinzu und zeigte auf Wolodja. - -Warum glauben Sie, Friedrich Christianytsch, daß auch Sie Profit machen -wollen? mischte sich Tschernowizkij ein. Vielleicht haben Sie Vermögen, -wozu sollten Sie Vorteil suchen? - -Nicht doch, ich halte ... Verzeihen Sie mir, Kapitän, sagte Wolodja und -wurde bis über die Ohren rot, ich halte das für unehrenhaft. - -Aha, wie heikel er ist! sagte Kraut. - -Das ist ganz gleich: ich meine nur, wenn es nicht mein Geld ist, darf -ich's auch nicht nehmen. - -Und ich sage Ihnen nur so viel, junger Mann, begann der Stabskapitän in -ernsterem Ton, Sie müssen wissen, wenn Sie eine Batterie kommandieren, -wenn Sie da Ihre Sache gut machen, dann ist alles in Ordnung; in -die Ernährung der Truppen mischt sich der Batteriekommandeur nicht: -das wird in der Artillerie von altersher so gehalten. Sind Sie ein -schlechter Wirt, so behalten Sie nichts übrig. Hier müssen Sie Ausgaben -machen, im Widerspruch mit Ihren Verhältnissen, für Hufbeschlag -- -das ist eins (er bog einen Finger ein), für die Apotheke -- das ist -zwei (er bog einen zweiten Finger ein), für die Kanzlei, drei, für -Handpferde an die fünfhundert zahlen, Väterchen -- das ist vier, Sie -müssen den Soldaten neue Kragen geben, Kohlen brauchen Sie viel, Tisch -für die Offiziere müssen Sie halten. Sind Sie Batteriekommandeur, so -müssen Sie anständig leben, Sie müssen einen Wagen haben, einen Pelz -und noch zwei, drei, zehn andere Dinge ... Was ist da viel zu reden! - -Die Hauptsache aber, fiel der Kapitän ein, der die ganze Zeit -geschwiegen hatte, die Hauptsache, Wladimir Ssemjonytsch, ist die: -stellen Sie sich vor, ein Mensch, wie ich zum Beispiel, dient zwanzig -Jahre, erst für zwei-, dann für dreihundert Rubel Gehalt; soll man ihm -für seinen Dienst nicht wenigstens ein Stück Brot im Alter geben? - -Ach, was soll das! begann wieder der Stabskapitän, urteilen Sie nicht -voreilig, kommt Zeit, kommt Rat, leisten Sie nur Ihren Dienst. - -Wolodja überkam eine schreckliche Scham, weil er so unüberlegt -gesprochen hatte, er brummte etwas in den Bart und dann hörte er weiter -schweigend zu, wie Djadjenko im höchsten Eifer wieder zu streiten -begann und das Entgegengesetzte behauptete. - -Der Streit wurde durch den Eintritt des Hauptmannsburschen -unterbrochen, der zum Essen rief. - -Aber sagen Sie heute Appollon Sergjeewitsch, er solle Wein geben, sagte -Tschernowizkij zum Kapitän und knöpfte sich den Rock zu. Was knausert -er? Sind wir erst tot, kriegt keiner was! - -Sagen Sie's ihm selbst. - -Das geht nicht. Sie sind der älteste Offizier. Alles muß seine Ordnung -haben. - - -XIX - -In dem Zimmer, in dem sich Tags zuvor Wolodja beim Obersten gemeldet -hatte, war der Tisch von der Wand abgerückt und mit einem schmutzigen -Tischtuch bedeckt. Diesmal gab ihm der Batteriekommandeur die Hand und -fragte ihn über Petersburg und seine Reise aus. - -Nun, meine Herren, wer Branntwein trinkt, den bitte ich zuzugreifen. -Die Fähnriche trinken keinen, fügte er lächelnd hinzu. - -Überhaupt zeigte sich der Batteriekommandeur heute durchaus nicht -so mürrisch, wie Tags zuvor: er hatte im Gegenteil das Benehmen -eines guten, gastfreien Wirts und eines älteren Kameraden unter den -Offizieren. Aber trotzdem bezeigten ihm alle Offiziere die größte -Achtung, vom alten Kapitän an bis zum Fähnrich Djadjenko, die sich -darin kundgab, wie sie mit einem höflichen Blick auf den Kommandeur -sprachen und wie sie einer nach dem andern zögernd herantraten und den -Schnaps tranken. - -Das Mittagessen bestand aus einer großen Schüssel Kohlsuppe, in der -fette Stücke Rindfleisch schwammen, und die mit einer ungeheuren Menge -von Pfeffer und Lorbeerblättern gewürzt war, aus polnischen Zrazy mit -Senf und aus Kaldaunen mit nicht ganz frischer Butter. Servietten gab -es nicht, die Löffel waren aus Blech und Holz, Gläser gab es zwei, -und auf dem Tische stand eine Karaffe Wasser mit abgebrochenem Halse; -aber das Mittagmahl war recht heiter: die Unterhaltung verstummte -keinen Augenblick. Zuerst war von dem Treffen bei Inkermann die Rede, -an dem die Batterie teilgenommen hatte, und jeder erzählte seine -Eindrücke und sprach seine Meinung über die Ursache des Mißerfolges -aus und verstummte, sobald der Batteriekommandeur selbst zu sprechen -begann; dann ging das Gespräch ungezwungen auf die Unzulänglichkeit des -Kalibers der leichten Geschütze über, zu den neuen leichteren Kanonen, -und Wolodja hatte dabei Gelegenheit, seine Kenntnisse in der Artillerie -zu zeigen. Aber bei der gegenwärtigen, entsetzlichen Lage Sewastopols -blieb das Gespräch nicht stehen, als ob jeder viel zu sehr an diesen -Gegenstand dachte, als daß er noch darüber sprechen sollte. Auch von -den Pflichten des Dienstes, die Wolodja auf sich nehmen sollte, war -zu seinem Erstaunen und Verdruß gar nicht die Rede, als ob er nach -Sewastopol gekommen wäre, nur um über die leichteren Geschütze zu -plaudern und bei dem Batteriekommandeur Mittag zu speisen. Während des -Essens fiel unweit des Hauses, in dem sie saßen, eine Bombe nieder. -Der Fußboden und die Wände zitterten, wie von einem Erdbeben, und die -Fenster wurden vom Pulverdampf verdunkelt. - -Das haben Sie wohl in Petersburg nicht gesehen, hier sind solche -Überraschungen häufig, sagte der Batteriekommandeur. Wlang, sehen Sie -nach, wo sie geplatzt ist. - -Wlang sah nach und meldete: auf dem Platze, und weiter war von der -Bombe nicht mehr die Rede. - -Kurz vor Ende des Mittagessens kam ein alter Batterieschreiber -ins Zimmer mit drei versiegelten Briefen und übergab sie dem -Batteriekommandeur. - -Das hier ist sehr dringlich, soeben hat es ein Kosak vom -Oberbefehlshaber der Artillerie überbracht. - -Alle Offiziere blickten mit ungeduldiger Erwartung auf die in solchen -Dingen geübten Finger des Batteriekommandeurs, die das Siegel erbrachen -und das »sehr dringliche« Schriftstück herauszogen. »Was kann das wohl -sein?« stellte sich jeder die Frage. Es konnte der Befehl zum Ausmarsch -aus Sewastopol sein, um auszuruhen, es konnte aber auch die Beorderung -der ganzen Batterie auf die Bastionen sein. - -Wieder! sprach der Batteriekommandeur und warf zornig das Papier auf -den Tisch. - -Was enthält es, Apollon Ssergjeewitsch? fragte der älteste Offizier. - -Man verlangt einen Offizier mit Bedienungsmannschaft für eine -Mörserbatterie ... Ich habe im ganzen nicht mehr als vier Offiziere, -und meine Bedienungsmannschaft ist nicht vollzählig, brummte der -Batteriekommandeur, und da verlangt man noch das! Aber einer muß gehen, -meine Herren, rief er nach einem kurzen Schweigen. Der Befehl lautet, -um sieben Uhr auf der Schanze sein ... Den Feldwebel herschicken! Wer -geht, meine Herren? entscheiden Sie, wiederholte er. - -Nun, Sie sind ja noch nirgends gewesen, sagte Tschernowizkij auf -Wolodja zeigend. - -Der Batteriekommandeur antwortete nichts. - -Ja, ich gehe gern, sagte Wolodja und fühlte, wie ihm kalter Schweiß auf -dem Rücken und am Halse hervortrat. - -Nein, weshalb! fiel der Kapitän ein. Natürlich wird sich niemand -weigern, aber es ist kein Grund, sich selbst anzubieten; da es uns -Apollon Ssergjeewitsch freistellt, so wollen wir losen, wie wir es -damals gethan haben. - -Alle waren einverstanden. Kraut schnitt Papierstreifen, rollte sie -zusammen und warf sie in eine Mütze. Der Kapitän scherzte dabei und -entschloß sich sogar bei dieser Gelegenheit, den Oberst um Branntwein -zu bitten, »um tapfer zu bleiben«, wie er sich ausdrückte. Djadjenko -saß finster da, Wolodja lächelte, Tschernowizkij behauptete, es werde -bestimmt ihn treffen. Kraut war vollständig ruhig. - -Wolodja ließ man zuerst wählen. Er nahm einen Papierstreifen, der war -sehr lang; da fiel es ihm ein, einen andern zu wählen, -- er zog einen -zweiten, kleineren und dünneren, entfaltete ihn und las: »gehen«. - -Ich! sagte er seufzend. - -Nun, mit Gott. So bekommen Sie bald Ihre Feuertaufe, sagte der -Kommandeur, indem er mit einem gutmütigen Lächeln dem Fähnrich in das -verlegene Gesicht sah, machen Sie sich nur bald fertig. Und damit Sie -sich nicht langweilen, wird Wlang als Feuerwerker mit Ihnen gehen. - - -XX - -Wlang war mit diesem Befehl außerordentlich zufrieden, er machte -sich schnell fertig, um Wolodja zu helfen, und redete ihm zu, das -Bett, den Pelz, eine alte Nummer der »Vaterländischen Annalen«, -die Spiritusmaschine zum Kaffeekochen und andere unwichtige Dinge -mitzunehmen. Der Kapitän riet Wolodja, zunächst im »Handbuch«[E] -den Abschnitt über das Schießen aus Mörsern zu lesen und sich die -Schießtabellen herauszuschreiben. Wolodja ging sofort ans Werk und -bemerkte zu seiner Verwunderung und Freude, daß, obwohl das Gefühl -der Furcht vor der Gefahr und noch mehr davor, sich feig zu erweisen, -ihn noch immer ein wenig beunruhigte, dies doch nicht in dem Grade -der Fall war, wie am Abend vorher. Zum Teil lag das an den Eindrücken -des Tages und seiner Thätigkeit, zum Teil, und zwar zum größeren Teil -daran, daß die Furcht, wie jedes starke Gefühl, nicht lange in gleichem -Grade dauern kann. Mit einem Worte, er war schon so weit, daß er den -Furchthöhepunkt hinter sich hatte. In der siebenten Stunde, da sich -eben die Sonne hinter der Nikolajewkaserne verbarg, kam der Feldwebel -zu ihm mit der Meldung, die Leute seien bereit und warten. - - [E] »Handbuch für die Offiziere der Artillerie« von Bezaque. - -Ich habe »Wlanga« die Namensliste übergeben. Belieben Sie, ihn zu -fragen, Euer Wohlgeboren! sagte er. - -Zwanzig Artilleristen mit Seitengewehren, ohne Lederzeug, standen an -einer Ecke des Hauses. Wolodja ging mit dem Junker an sie heran. Ob man -ihnen eine kleine Rede hält oder einfach sagt: Wünsch' euch Gesundheit, -Kinder! -- oder sagt man gar nichts? dachte er. Aber warum soll man -nicht einfach sagen: Wünsch' euch Gesundheit! Das ist sogar das -Richtige. Und er rief keck mit seiner klangvollen, jugendlichen Stimme: -Wünsch' euch Gesundheit, Kinder! - -Die Soldaten antworteten munter; die jugendliche, frische Stimme -tönte angenehm in dem Ohr eines jeden. Wolodja ging den Soldaten kühn -voran, und, obwohl sein Herz so klopfte, als wenn er einige Werst aus -Leibeskräften gelaufen wäre, war sein Gang doch leicht und sein Gesicht -heiter. Bereits dicht an dem Malachowhügel und die Höhe hinaufsteigend, -bemerkte er, wie Wlang, der keinen Schritt von ihm wich und sich zu -Hause so tapfer gezeigt hatte, beständig auf die Seite ging und den -Kopf beugte, als wenn all die Bomben und Kanonenkugeln, die hier schon -sehr häufig pfiffen, gerade auf ihn zugeflogen kämen. Einige Soldaten -thaten dasselbe, überhaupt drückte sich auf den meisten ihrer Gesichter -wenn auch nicht Furcht, so doch Unruhe aus. Diese Umstände beruhigten -und ermutigten Wolodja vollständig. - -»So bin denn auch ich auf dem Malachowhügel, den ich mir tausendmal -schrecklicher vorgestellt habe! Und ich gehe auf ihm, ohne mich vor -Kanonenkugeln zu bücken und bin weit mutiger als andere ... Also bin -ich kein Feigling?« dachte er mit Vergnügen, ja mit einem gewissen -Entzücken des Selbstbewußtseins. - -Aber dieses Gefühl wurde bald erschüttert durch das Schauspiel, das -ihm entgegentrat, als er in der Dämmerung auf der Kornilowbatterie -den Befehlshaber der Bastion aufsuchte. Vier Mann Matrosen standen an -der Brustwehr und hielten einen blutigen Leichnam ohne Stiefel und -Mantel an Füßen und Händen und schwenkten ihn hin und her, um ihn über -die Brustwehr zu werfen. (Am zweiten Tage des Bombardement hatte man -nicht überall die Körper auf den Bastionen sammeln können und warf sie -in den Graben, damit sie auf den Batterien nicht hinderten.) Wolodja -erstarrte einen Augenblick, als er sah, wie der Leichnam auf der Höhe -der Brustwehr aufschlug und dann von dort in den Graben kollerte; -aber hier traf ihn zum Glück der Befehlshaber der Bastion, erteilte -ihm Befehle und gab ihm einen Führer nach der Batterie und der für -die Bedienungsmannschaft bestimmten Blindage mit. Wir wollen nicht -erzählen, wie viel Gefahren, Enttäuschungen unser Held an diesem Abend -noch erlebt hat: wie er, statt den Schießübungen auf dem Wolkowofeld -unter allen Bedingungen der Pünktlichkeit und Ordnung, die er hier zu -finden erwartete, zwei außer Stand gesetzte Mörser fand; die Mündung -des einen war durch eine Kanonenkugel platt geschlagen, der andere -stand nur auf den Splittern einer zerschossenen Plattform, und vor dem -Morgen waren keine Arbeiter zu erlangen, um die Plattform ausbessern. -Nicht ein Geschoß hatte das Gewicht, das das Handbuch vorschrieb. Hier -wurden zwei Soldaten seines Kommandos verwundet, und er selbst war -zwanzigmal während dieses Abends um ein Haar dem Tode nahe. Zum Glück -war zu seiner Hilfe ein Kommandor von hünenhafter Gestalt bestimmt -worden, ein Seemann, der von Anfang der Belagerung bei den Mörsern -diente; dieser überzeugte ihn von der Möglichkeit, aus ihnen zu -schießen, führte ihn nachts mit einer Laterne auf der ganzen Bastion, -wie in seinem Garten, herum, und versprach, bis zum Morgen alles in -Stand zu setzen. Die Blindage, zu der ihn sein Führer geleitete, war -eine in steinigem Boden ausgegrabene, zwei Klafter lange und mit -ellendicken Eichenbalken bedeckte längliche Grube. Hier quartierte er -sich mit seinen sämtlichen Soldaten ein. Kaum hatte Wlang die niedrige, -eine Elle hohe Thür der Blindage gesehen, als er kopfüber allen voran -auf sie zulief, stark an die eiserne Decke anrannte und sich in einem -Winkel versteckte, aus dem er nicht mehr hervorkam. Wolodja dagegen -schlug, als alle Soldaten sich längs der Wände auf den Boden gelagert -und einige ihre Pfeifen angezündet hatten, sein Bett in einer Ecke auf, -zündete Licht an und legte sich, eine Cigarette rauchend, auf seine -Pritsche. Über der Blindage hörte man ununterbrochen Schüsse, die aber -nicht sehr laut tönten, ausgenommen die einer in der nächsten Nähe -stehenden Kanone, die mit ihrem Donner die Blindage erschütterte. In -der Blindage selber war's still; die Soldaten, die sich vor dem neuen -Offizier noch scheuten, sprachen nur bisweilen miteinander, indem -der eine den andern bat, etwas Platz zu machen oder ihm Feuer für -die Pfeife zu geben. Eine Ratte nagte irgendwo zwischen den Steinen. -Wlang, der noch nicht zu sich gekommen war und sich noch scheu umsah, -seufzte auf einmal laut. Wolodja, auf seinem Bette in dem stillen, -dichtbevölkerten, nur von einer Kerze erhellten Winkelchen, empfand -dasselbe Gefühl des Glückes, das er damals gehabt hatte, wo er als Kind -beim Versteckenspiel in den Schrank oder unter Mamas Kleid gekrochen -war, und horchte mit verhaltenem Atem auf, ängstigte sich in der -Finsternis und war zugleich voll freudiger Erwartung. Es war ihm schwer -und heiter zugleich zu Mute. - - -XXI - -Im Laufe einer Viertelstunde fühlten sich die Soldaten heimisch und -wurden gesprächig. Dem Licht und dem Bette des Offiziers am nächsten -hatten sich die bedeutenderen Leute gelagert: zwei Feuerwerker, -der eine ein grauhaariger Alter mit allen Medaillen und Kreuzen, -ausgenommen das Georgskreuz; der andere, ein junger Mensch und -Soldatenkind, der gedrehte Cigaretten rauchte. Der Trommler hatte, wie -überall, die Obliegenheit auf sich genommen, den Offizier zu bedienen. -Die Bombardiere und die Reiter saßen in der Mitte; und dort im Schatten -am Eingange hatten sich die »Gehorsamen«[F] untergebracht. Unter diesen -begann auch das Gespräch. Die Veranlassung dazu gab der Lärm, den ein -in die Blindage stürzender Mensch verursachte. - - [F] S. »Der Holzschlag« II. Anm. d. Herausg. - -Weshalb bist du nicht auf der Straße geblieben, Brüderchen? ... Singen -denn die Mädchen nicht lustig? fragte man ihn. - -Sie singen so wunderbare Lieder, wie man sie auf dem Lande niemals -gehört hat ... entgegnete lachend der Mann, der in die Blindage -gekommen war. - -Ah, Waßin hat die Bomben nicht gern, sagte einer aus der -Aristokratenecke, -- ach, er hat sie nicht gern! - -Wie so? Wenn es sein muß, ist es eine ganz andere Sache, entgegnete -langsam Waßin, bei dessen Worten alle übrigen zu schweigen pflegten. -Am 24. haben wir ordentlich im Feuer gestanden, da ging's nicht -anders; aber weshalb soll man es zwecklos thun? ... Man wird unnütz -totgeschossen, und die Vorgesetzten sagen einem nicht einmal dank' -schön dafür. - -Bei diesen Worten Waßins lachten alle. - -Mjelnikow sitzt vielleicht noch draußen, sagte jemand. - -Schicken Sie ihn hierher, den Mjelnikow, fügte der alte Feuerwerker -hinzu, er wird sonst wirklich zwecklos totgeschossen. - -Wer ist dieser Mjelnikow? fragte Wolodja. - -Wir haben hier einen einfältigen Soldaten, Euer Wohlgeboren. Er -fürchtet sich vor nichts in der Welt und geht jetzt immer draußen -umher. Belieben Sie, ihn sich anzusehen: der Kerl sieht wie ein Bär aus. - -Er kann besprechen, sagte Waßins träge Stimme. - -Mjelnikow trat in die Blindage. Er war ein dicker Mann (eine -außerordentliche Seltenheit bei Soldaten) mit rotem Haar und Gesicht, -ungemein vorstehender Stirn und hervortretenden hellblauen Augen. - -Wie, fürchtest du dich vor den Bomben? fragte ihn Wolodja. - -Weshalb soll ich mich vor den Bomben fürchten? antwortete Mjelnikow, -indem er einen krummen Rücken machte und sich kratzte; durch eine Bombe -sterbe ich nicht, das weiß ich. - -So möchtest du hier wohnen? - -Gewiß, ich möchte schon. Hier ist's heiter! entgegnete er, indem er -plötzlich in Lachen ausbrach. - -O, da muß man dich zu einem Ausfall mitnehmen. Wenn du willst, sage ich -es dem General, sagte Wolodja, obgleich er hier nicht einen General -kannte. - -Warum soll ich's nicht wollen, -- ich will's. - -Und Mjelnikow verbarg sich hinter den anderen. - -Laßt uns »Nase« spielen, Kinder! Wer hat Karten? ließ sich seine -hastige Stimme vernehmen. - -Wirklich begann bald in der hintern Ecke das Spiel, -- man hörte die -Schläge auf die Nase, Lachen und Trumpfen. Wolodja goß sich Thee aus -dem Ssamowar ein, den ihm der Trommler aufgestellt hatte, lud die -Feuerwerker ein, scherzte und sprach mit ihnen; er hatte den Wunsch, -sich populär zu machen und war sehr befriedigt von der Achtung, die -ihm entgegengebracht wurde. Als die Soldaten bemerkten, daß er ein -leutseliger Herr war, fingen auch sie an, gesprächig zu werden. - -Einer erzählte, die Belagerung Sewastopols werde bald ein Ende -haben, denn ein zuverlässiger Mann von der Marine habe erzählt, wie -Konstantin, der Bruder des Zaren, mit der amerikanischen Flotte uns zu -Hilfe komme, ferner, daß bald ein Vertrag kommen würde, zwei Wochen -lang nicht zu feuern und Ruhe zu halten, wenn aber einer feuern sollte, -müßte er für jeden Schuß 75 Kopeken zahlen. - -Waßin war, wie Wolodja Gelegenheit hatte zu sehen, ein kleiner, -bärtiger Mann mit großen, gutmütigen Augen, er erzählte, erst unter -allgemeinem Schweigen, dann unter Gelächter, wie sie sich, als er auf -Urlaub nach Hause kam, anfangs mit ihm gefreut hätten, wie ihn der -Vater dann auf Arbeit geschickt und der Forstmeister ihm seinen Wagen -gestellt hätte, um seine Frau abzuholen. - -Alles das vergnügte Wolodja außerordentlich. Er fühlte nicht nur -nicht die mindeste Furcht oder Unbehaglichkeit vor der Enge und dem -auf die Brust fallenden Geruch in der Blindage, es war ihm sogar -außerordentlich heiter und angenehm zu Mut. - -Viele Soldaten schnarchten schon. Wlang hatte sich ebenfalls auf -dem Boden ausgestreckt, und der alte Feuerwerker murmelte, nachdem -er seinen Mantel ausgebreitet und sich bekreuzigt hatte, vor dem -Einschlafen Gebete, als Wolodja auf einmal den Wunsch empfand, aus der -Blindage zu gehen, um zu sehen, was draußen vorging. - -Zieh' die Füße weg! schrieen, kaum daß er aufgestanden war, die -Soldaten einander zu; sie zogen die Füße an sich und ließen ihm den Weg -frei. - -Wlang, der sich schlafend gestellt, erhob plötzlich den Kopf und faßte -Wolodja an den Schößen des Mantels. - -Lassen Sie das, gehen Sie nicht, -- wie kann man nur! sagte er in -weinerlichem, überredendem Tone. Sie kennen das noch nicht. Dort -schlagen unaufhörlich die Kugeln ein. Bleiben Sie lieber hier. - -Aber ohne Wlangs Bitten zu beachten, drängte sich Wolodja aus der -Blindage und setzte sich auf die Schwelle, auf der Mjelnikow saß. - -Die Luft war rein und frisch, besonders nach der Luft in der Blindage; -die Nacht war hell und ruhig. Nach dem Getöse der Schüsse hörte man -das Geräusch der Fuhrwerke, die Schanzkörbe herbeibrachten, und das -Geplauder der Leute, die an einem Pulverkeller arbeiteten. Droben -wölbte sich der hohe, gestirnte Himmel, an dem die feurigen Streifen -der Bomben ununterbrochen dahinflogen. Links führte eine kleine, eine -Elle hohe Öffnung in eine andere Blindage, in dem die Füße und Rücken -der dort wohnenden Matrosen sichtbar und ihre Stimmen hörbar waren; -vor sich sah Wolodja die Erhöhung eines Pulverkellers, neben dem die -Gestalten gebückter Leute auftauchten, und auf dem, gerade in die -Höhe, unter den Gewehrkugeln und Bomben, die unaufhörlich an diesem -Platze pfiffen, eine hohe Gestalt in einem schwarzen Überrock stand, -die Hände in den Taschen und mit den Füßen die Erde festtretend, die -andere Leute in Säcken dorthin trugen. Bomben kamen häufig dorthin -geflogen und platzten ganz nahe bei dem Keller. Die Soldaten, die die -Erde schleppten, beugten sich nieder und wichen zur Seite; die schwarze -Gestalt bewegte sich nicht fort, trat ruhig mit den Füßen die Erde fest -und blieb immer in derselben Stellung an Ort und Stelle. - -Wer ist dieser Schwarze? fragte Wolodja Mjelnikow. - -Ich weiß es nicht; ich werde hingehen, nachsehen. - -Geh nicht! Es ist nicht nötig. - -Mjelnikow aber hörte nicht und stand auf, ging an die schwarze Gestalt -heran und stand sehr lange, ebenso gleichmütig und unbeweglich neben -ihr. - -Das ist der Kellermeister, Euer Wohlgeboren! sagte er, zurückgekehrt, -eine Bombe hat den Pulverkeller beschädigt, darum tragen Infanteristen -Erde dorthin. - -Bisweilen flogen, wie es schien, Bomben direkt nach der Thür der -Blindage. Da drückte sich Wolodja in eine Ecke und kam von neuem -hervor, um in die Höhe zu sehen, ob nicht noch eine geflogen käme. - -Obwohl Wlang einigemal aus der Blindage heraus Wolodja bat, -zurückzukehren, saß dieser doch an drei Stunden auf der Schwelle, -er fand ein gewisses Vergnügen daran, das Geschick zu versuchen und -den Flug der Bomben zu beobachten. Gegen Ende des Abends wußte er -bereits, woher so viele Geschütze feuerten und wo ihre Geschosse sich -niedersenkten. - - -XXII - -Am andern Tage, dem 27. August, ging Wolodja, nach einem zehnstündigen -Schlaf, frisch und munter frühmorgens über die Schwelle der Blindage. -Wlang war mit ihm zusammen hinausgekrochen, aber beim ersten -Kanonenschusse stürzte er spornstreichs, indem er sich mit dem Kopf -den Weg bahnte, nach der Öffnung der Blindage zurück, unter dem -allgemeinen Gelächter der zum größten Teil ebenfalls an die Luft -gekommenen Soldaten. Nur Wlang, der alte Feuerwerker und einige andere -gingen selten in den Laufgraben hinaus, die übrigen aber ließen sich -nicht abhalten: sie traten alle aus der übelriechenden Blindage an die -frische Morgenluft, lagerten sich, trotzdem das Bombardement ebenso -heftig war wie tags zuvor, teils an der Schwelle, teils unter der -Brustwehr. Mjelnikow ging bereits seit der Morgendämmerung auf den -Batterien spazieren, indem er gleichgültig in die Luft sah. - -An der Schwelle saßen zwei alte Soldaten und ein junger, kraushaariger, -jüdischer Soldat, der von der Infanterie abkommandiert war. Dieser -Soldat hatte eine der herumliegenden Gewehrkugeln aufgehoben, sie mit -einem Sprengstück an einem Steine plattgeschlagen und schnitt nun aus -ihr mit einem Messer ein Kreuz in der Art des Georgskreuzes; die andern -sahen plaudernd seiner Arbeit zu. Wirklich kam ein sehr hübsches Kreuz -heraus. - -Wenn wir hier noch einige Zeit stehen, sagte der eine von ihnen, wird -man dann uns allen nach dem Friedensschlusse den Abschied geben? - -Wo denkst du hin! ich hatte im ganzen vier Jahre bis zu meiner -Verabschiedung zu dienen, und stehe jetzt fünf Monate in Sewastopol. - -Wir werden also nicht den Abschied erhalten? fragte ein anderer. - -Da pfiff eine Kanonenkugel über den Köpfen der Sprechenden und schlug -eine Elle weit von Mjelnikow ein, der im Laufgraben auf sie zukam. - -Sie hätte bald Mjelnikow getötet! rief der eine. - -Mich tötet sie nicht, antwortete Mjelnikow. - -Da hast du das Kreuz für deine Tapferkeit! sagte der junge Soldat, der -das Kreuz gemacht hatte, und gab es Mjelnikow. - -Nein, Brüderchen, der Monat wird für ein ganzes Jahr gerechnet, so -ist's befohlen, ging das Gespräch fort. - -In jedem Falle wird nach dem Friedensschlusse eine Kaiserparade in -Warschau abgehalten, und werden wir nicht verabschiedet, so werden wir -doch auf unbestimmte Zeit beurlaubt. - -Da flog eine Gewehrkugel mit Zischen über die Köpfe der Sprechenden hin -und schlug an einen Stein an. - -Seht, noch vor Abend kann's mit einem »aus« sein, Soldaten. - -Alle lachten. Und nicht erst vor Abend, sondern schon nach zwei Stunden -war es mit zweien von ihnen »aus« und fünf waren verwundet; aber die -übrigen scherzten wie früher. - -Wirklich waren am Morgen die beiden Mörser wieder soweit ausgebessert, -daß aus ihnen geschossen werden konnte. Gegen zehn Uhr rief Wolodja, -auf Befehl des Kommandeurs der Bastion, sein Kommando zusammen und -begab sich mit ihm nach der Batterie. - -An den Leuten war auch nicht eine Spur des Furchtgefühls zu entdecken, -das sich tags zuvor gezeigt hatte, sobald sie an die Arbeit gingen. -Nur Wlang konnte sich nicht überwinden: er versteckte und bückte -sich noch immer, ja, auch Waßin hatte ein wenig seine Ruhe verloren, -er war unruhig und duckte sich fortwährend nieder. Wolodja war in -außerordentlicher Begeisterung: nicht der geringste Gedanke an Gefahr -beunruhigte ihn. Die Freude, daß er seine Pflicht erfülle, daß er nicht -nur nicht feig, sondern sogar tapfer sei, das Gefühl des Kommandierens -und die Gegenwart von zwanzig Mann, die, wie er wußte, mit Neugierde -auf ihn sahen, machten aus ihm einen vollkommen mutigen Menschen. Er -prahlte sogar mit seiner Tapferkeit, kletterte auf die Brustwehrbank -hinaus und knöpfte absichtlich den Mantel auf, um besser bemerkbar zu -sein. Der Kommandeur der Bastion, der zu dieser Zeit seine Wirtschaft, -wie er es nannte, musterte, konnte, wie sehr er auch im Verlauf von -acht Monaten daran gewöhnt war, alle Arten von Tapferkeit zu sehen, -nicht umhin, mit Wohlgefallen diesen hübschen jungen Menschen zu -betrachten, mit dem aufgeknöpften Mantel, unter dem ein, einen weißen -zarten Hals umschließendes, rotes Hemd sichtbar war, wie er mit -flammendem Gesicht und Augen in die Hände klatschte und mit tönender -Stimme kommandierte: »das erste, das zweite!« und heiter auf die -Brustwehr lief, um zu sehen, wohin seine Bomben gefallen waren. Um -halb zwölf hörte das Schießen auf beiden Seiten auf, und punkt zwölf -Uhr begann der Sturm auf den Malachow-Hügel -- die zweite, dritte und -fünfte Bastion. - - -XXIII - -Diesseit der Bucht, zwischen Inkermann und den Befestigungen der -Nordseite, auf dem Telegraphenhügel, standen um die Mittagszeit -zwei Seeleute: ein Offizier, der durch ein Fernrohr nach Sewastopol -hinübersah, und ein zweiter, der soeben zu Pferde mit einem Kosaken zu -der hohen Signalstange gekommen war. - -Die Sonne stand hell und hoch über der Bucht, die im heitern und -warmen Glanz mit den Böten und den Schiffen und ihren bewegten -Segeln spielte. Ein schwacher Wind trieb leicht die Blätter der -vertrockneten Eichensträucher um den Telegraphen, blähte die Segel -der Böte und erregte die Wellen des Meeres. Sewastopol, noch immer -dasselbe, mit seiner unvollendeten Kirche, seiner Säule, seinem -Hafendamm, dem grünen Boulevard auf der Höhe, dem schönen Bau der -Bibliothek, mit seinen kleinen, azurblauen, von Masten angefüllten -Buchten, den malerischen Bögen der Wasserleitung und mit den Wolken -blauen Pulverdampfes, bisweilen von der roten Flamme der Schüsse -beleuchtet -- noch immer schön, feiertäglich, stolz, umgeben auf der -einen Seite von gelben, rauchenden Bergen, auf der andern von dem -hellblauen, in der Sonne schillernden Meer -- Sewastopol war jenseits -der Bucht sichtbar. Wo das Meer dem Gesichtskreis entschwand, war ein -Streifen dichten Rauches sichtbar, den ein Dampfer verursachte; zogen -langgestreckte weiße Wolken hin, die Wind ankündigten. Auf der ganzen -Linie der Befestigungen, besonders auf den Höhen der linken Seite, -bildeten sich unaufhörlich, unter Blitzen, die bisweilen sogar in der -Mittagssonne leuchteten, dichte, zusammengeballte, weiße Rauchmassen, -die sich ausbreiteten, in mannigfachen Formen in die Höhe stiegen und -sich am Himmel dunkler färbten. Diese Rauchwolken zeigten sich bald -hier, bald dort, auf den Höhen, in den feindlichen Batterien, in der -Stadt und hoch oben am Himmel. Die Explosionen verstummten nicht und -erschütterten, ineinander fließend, die Luft. ... - -Um zwölf Uhr begannen die Rauchwolken sich seltener zu zeigen, die Luft -wurde weniger von Getöse erschüttert. - -Aber die zweite Bastion antwortet gar nicht mehr, rief der zu Pferde -sitzende Husarenoffizier, sie ist ganz zusammengeschossen. ... -Schrecklich. - -Ja, auch der Malachow schickt ihnen auf drei Schüsse nur einen zur -Antwort, entgegnete der mit dem Fernrohr. Das macht mich rasend, daß er -schweigt. Der Feind trifft ganz direkt in die Kornilow-Batterie, und -man antwortet ihm nicht. - -Aber sieh, um zwölf Uhr hört er immer mit dem Bombardement auf, wie -ich gesagt habe. So ist's auch heute. Gehen wir lieber frühstücken, -- -man erwartet uns jetzt schon. ... Es ist nichts zu sehen. - -Wart', stör' mich nicht! antwortete der mit dem Fernrohr, indem er mit -besonderer Gespanntheit nach Sewastopol hinübersah. - -Was ist da, was? - -Bewegung in den Laufgräben. Dichte Kolonnen rücken vor. - -Das sieht man auch so. Sie rücken in Kolonnen an. - -Wir müssen das Signal geben. ... - -Sieh, sieh! sie sind aus den Laufgräben herausgekommen! - -In der That konnte man mit bloßem Auge sehen, wie sich dunkle -Flecken bergab von den französischen Batterien durch das Thal nach -den Bastionen bewegten. Vor diesen Flecken sah man dunkle Streifen -schon in der Nähe unserer Gefechtslinie. Auf den Bastionen flammten -an verschiedenen Stellen, wie vorübergehend, weiße Rauchwolken von -Schüssen auf. Der Wind trug die Töne des beiderseitigen Gewehrfeuers, -das so häufig war, wie wenn Hagel an die Fenster schlägt, hinüber. -Die schwarzen Streifen bewegten sich in dichtem Rauch immer näher und -näher. Die immer stärker werdenden Töne des Gewehrfeuers schmolzen in -ein ununterbrochenes, rollendes Krachen zusammen. Der immer häufiger -emporsteigende Rauch verbreitete sich schnell über die ganze Linie und -verschmolz endlich in eine dunkelblaue Wolke, die auf- und abwogte, -und durch die Feuer und schwarze Punkte hindurchschimmerten; alle Töne -vereinigten sich zu einem einzigen rollenden Donner. - -Sturm! sagte der Offizier und gab mit bleichem Gesicht dem Seemann das -Fernrohr zurück. - -Kosaken sprengten den Weg entlang; der Höchstkommandierende kam -in einer Kalesche vorbeigefahren, die Offiziere seines Gefolges -begleiteten ihn zu Pferde. Auf allen Gesichtern lag sorgenvolle Unruhe -und Erwartung. - -Es ist unmöglich, daß sie ihn genommen haben! sagte der Offizier zu -Pferde. - -Bei Gott, die Fahne! ... Sieh, sieh! entgegnete der andere, indem er -seufzte und vom Fernrohr fortging: die französische Fahne weht auf dem -Malachow. - -Es ist unmöglich! - - -XXIV - -Der ältere Koselzow, der in der Nacht noch tüchtig gespielt und erst -gewonnen, dann wieder alles verloren hatte, sogar die in den Ärmel -eingenähten Goldstücke, schlief noch am Morgen einen ungesunden, -schweren, aber festen Schlaf in der Verteidigungskaserne der fünften -Bastion, als von verschiedenen Stimmen wiederholt der verhängnisvolle -Schrei ertönte: - -Alarm! - -Was schlafen Sie, Michajlo Ssemjonytsch! Sturm! schrie ihm plötzlich -eine Stimme zu. - -Gewiß ein Schulbube ... murmelte er, die Augen öffnend, er glaubte es -nicht. - -Plötzlich aber sah er einen Offizier ohne jeden ersichtlichen Zweck mit -einem so bleichen Gesicht aus einer Ecke nach der andern laufen, daß -er alles begriff. Der Gedanke, daß man ihn für einen Feigling halten -könnte, der in so kritischer Stunde nicht zur Kompagnie gehen wolle, -machte ihn ganz bestürzt. Er lief aus Leibeskräften zur Kompagnie. -Das Geschützfeuer hatte aufgehört, das Gewehrgeknatter dagegen seinen -Höhepunkt erreicht. Die Kugeln pfiffen nicht einzeln, wie aus Stutzen, -sondern flogen, wie Scharen von Herbstvögeln, in Schwärmen über die -Köpfe. Der ganze Platz, auf dem gestern sein Bataillon gestanden, war -in Rauch gehüllt. Wirres Schreien und Rufen ließ sich hören. Verwundete -und nicht verwundete Soldaten begegneten ihm in Scharen. Dreißig -Schritte weiter sah er seine Kompagnie, die sich an eine Wand gestellt -hatte. - -Sie haben die Schwarz-Redoute genommen, rief ein junger Offizier. Alles -ist verloren! - -Unsinn! sagte er zornig, faßte seinen kleinen, eisernen, stumpfen Säbel -und schrie: - -Vorwärts, Kinder! Urra--a! - -Die Stimme war klangvoll und kräftig, und regte Koselzow selber an. Er -stürzte vorwärts den Querwall entlang; fünfzig Mann Soldaten eilten mit -Geschrei hinter ihm her. Er lief hinter dem Querwall hervor auf einen -offenen Platz. Die Kugeln flogen hageldicht. - -Zwei trafen ihn, aber wo und was sie ihm gethan, ob sie ihn gestreift -oder verwundet, hatte er keine Zeit zu untersuchen. Vor ihm im -Pulverdampf waren bereits blaue Waffenröcke und rote Hosen zu sehen und -Geschrei zu hören, das nicht russisch war; ein Franzose stand auf der -Brustwehr, schwenkte den Degen und schrie. Koselzow war überzeugt, daß -er fallen werde: das verlieh ihm Tapferkeit. Er lief immer vorwärts -und vorwärts. Einige Soldaten überholten ihn; andere zeigten sich von -der Seite her und liefen ebenfalls mit. Die blauen Uniformen blieben -in derselben Entfernung, indem sie vor ihm nach ihren Laufgräben -zurückliefen; aber seine Füße stießen an Verwundete und Tote. - -Als Koselzow bereits den Außengraben laufend erreicht hatte, wurde es -ihm schwarz vor den Augen, und er fühlte einen Schmerz in der Brust. - -Eine halbe Stunde darauf lag er auf einer Tragbahre bei der -Nikolajew-Kaserne und wußte, daß er verwundet war, fühlte aber fast -keinen Schmerz; er wollte nur etwas Kaltes trinken und ruhig liegen. - -Ein kleiner dicker Doktor mit schwarzem Vollbart kam zu ihm und knöpfte -ihm den Mantel auf. Koselzow sah über das Kinn auf das, was der Doktor -mit seiner Wunde machte, und auf das Gesicht des Doktors, empfand aber -keinen Schmerz. Der Doktor bedeckte die Wunde mit dem Hemd, wischte -sich die Finger an den Schößen seines Überrocks ab und ging schweigend, -ohne den Verwundeten anzusehen, zu einem andern. Koselzow verfolgte -unbewußt mit den Augen, was um ihn vorging, und da er sich erinnerte, -was auf der fünften Bastion geschehen war, dachte er mit einem ungemein -tröstenden Gefühl daran, wie er seine Pflicht brav erfüllt, wie er zum -erstenmal während seiner ganzen Dienstzeit sich so gut als möglich -benommen, und ihm niemand einen Vorwurf machen könne. Der Doktor, der -einen andern verwundeten Offizier verband, sagte, auf Koselzow zeigend, -etwas zu einem Geistlichen mit einem großen roten Barte, der mit einem -Kreuze in der Hand dastand. - -Werde ich sterben? fragte Koselzow den Geistlichen, als dieser zu ihm -herangekommen war. - -Der Geistliche sprach, ohne zu antworten, ein Gebet und reichte dem -Verwundeten das Kreuz zum Kuß. - -Der Tod erschreckte Koselzow nicht. Er nahm mit schwachen Händen das -Kreuz, drückte es an seine Lippen und begann zu weinen. - -Sind die Franzosen zurückgeworfen? fragte er mit fester Stimme den -Geistlichen. - -Der Sieg ist überall den Unsrigen geblieben, antwortete der -Geistliche, um den Verwundeten zu trösten. Er verbarg ihm, daß auf dem -Malachow-Hügel bereits die französische Fahne wehte. - -Gott sei gelobt! rief der Verwundete und fühlte nicht, wie ihm die -Thränen über die Wangen rannen. - -Der Gedanke an den Bruder blitzte einen Augenblick in seinem Kopfe auf. -»Gott gebe ihm ein ebensolches Glück!« dachte er. - - -XXV - -Aber ein solches Geschick erwartete Wolodja nicht. Er lauschte gerade -einem Märchen, das ihm Waßin erzählte, als man plötzlich schrie: »Die -Franzosen kommen!« Das Blut strömte ihm augenblicklich nach dem Herzen, -er fühlte, wie seine Wangen kalt und bleich wurden. Eine Sekunde -blieb er unbeweglich; als er sich aber umsah, beobachtete er, wie die -Soldaten ziemlich ruhig ihre Mäntel zuknöpften und einer nach dem -andern herauskrochen, -- der eine, wie es schien, war es Mjelnikow, -sagte sogar scherzend: - -Bringt ihm Salz und Brot entgegen, Kinder! - -Wolodja kroch mit Wlang, der keinen Schritt von ihm wich, aus der -Blindage heraus und lief zur Batterie. Das Artilleriefeuer war weder -diesseits noch jenseits zu hören. Nicht so sehr das ruhige Aussehen -der Soldaten, als vielmehr die klägliche, unverhohlene Feigheit des -Junkers ermutigte ihn. »Darf ich denn wie dieser sein?« dachte er und -lief frohen Muts zur Brustwehr, an der seine Mörser standen. Er konnte -deutlich erkennen, wie die Franzosen über einen freien Platz gerade -auf ihn zuliefen, und wie sich ihre Scharen, mit den in der Sonne -blitzenden Bajonetten, in den nächsten Laufgräben bewegten. Ein kleiner -breitschultriger Mann in Zuavenuniform, mit einem Degen, lief voran und -sprang über die Gruben. - -Mit Kartätschen schießen! schrie Wolodja und stieg eilig von der -Brustwehrbank herab; aber die Soldaten waren ihm zuvorgekommen, und der -metallene Ton einer abgeschossenen Kartätsche pfiff über seinen Kopf -hin, zuerst aus einem, dann aus einem zweiten Mörser. »Das erste! das -zweite!« kommandierte Wolodja, indem er die Linie entlang von einem -Mörser zum andern lief und vollständig die Gefahr vergaß. Von der Seite -her ließ sich das nahe Gewehrfeuer unserer Bedeckungsmannschaft und -unruhiges Geschrei hören. - -Plötzlich ertönte links, von einigen Stimmen wiederholt, ein -erschütternder Schrei der Verzweiflung: »Wir sind umzingelt, -umzingelt!« Wolodja sah sich auf den Schrei um. Zwanzig Mann Franzosen -zeigten sich im Rücken. Einer von ihnen, ein hübscher Mann mit -schwarzem Bart, war allen voran bis auf zehn Schritt an die Batterie -herangekommen, hier blieb er stehen, feuerte direkt auf Wolodja und -lief dann wieder auf ihn zu. Eine Sekunde stand Wolodja wie versteinert -da und glaubte seinen Augen nicht. Als er wieder zu sich kam und sich -umsah, befanden sich vor ihm auf der Brustwehr bereits blaue Uniformen; -zehn Schritte von ihm vernagelten sogar zwei Franzosen eine Kanone. In -seiner Nähe war außer Mjelnikow, der neben ihm von einer Gewehrkugel -gefallen, und Wlang, der einen Geschützhebel erfaßt und mit wütendem -Gesichtsausdruck und gesenkten Augen vorwärts stürzte, niemand mehr. -»Mir nach, Wladimir Ssemjonytsch, mir nach!« schrie die verzweifelte -Stimme Wlangs, der mit dem Hebel gegen die Franzosen ausholte, die von -hinten gekommen waren. Des Junkers wütende Gestalt machte ihn stutzig. -Einem der vordersten schlug er über den Kopf, und die anderen blieben -unwillkürlich stehen. Wlang, der sich immer noch umsah und schrie: »Mir -nach, Wladimir Ssemjonytsch! Was bleiben Sie stehen! Fliehen Sie!« -- -lief zum Laufgraben, in dem unsere Infanterie lag und auf die Franzosen -schoß. Er sprang in den Laufgraben, dann streckte er den Kopf wieder -hervor, um zu sehen, was sein vergötterter Fähnrich mache. - -Auf dem Platze, wo Wolodja gestanden hatte, lag, mit dem Gesicht zur -Erde, etwas im Mantel, und dieser ganze Platz war voll von Franzosen, -die auf die Unsrigen schossen. - - -XXVI - -Wlang fand seine Batterie in der zweiten Verteidigungslinie. Von den -zwanzig Soldaten, die bei der Mörserbatterie gewesen, hatten sich nur -acht gerettet. - -In der neunten Abendstunde setzte Wlang mit der Batterie auf einem mit -Soldaten, Kanonen, Pferden und Verwundeten angefüllten Dampfer nach -der Nordseite über. Die Schüsse hatten überall aufgehört. Die Sterne -glänzten, wie in der vergangenen Nacht, hell am Himmel; aber ein -heftiger Wind peitschte das Meer. Auf der ersten und zweiten Bastion -flammten längs der Erde Blitze auf; Explosionen erschütterten die Luft -und erhellten ringsumher schwarze, seltsame Gegenstände und in die Luft -fliegende Steine. In der Nähe der Docks war ein Brand, und die rote -Flamme spiegelte sich im Wasser. Die von Menschen überfüllte Brücke -war durch ein auf der Nikolaj-Batterie brennendes Feuer erleuchtet. -Die große Flamme schien über dem Wasser auf der fernen Landzunge -der Alexander-Batterie zu stehen und erhellte den unteren Teil einer -Rauchwolke, die über ihr lag, und wie gestern schimmerten die ruhigen, -herausfordernden, fernen Lichter im Meer auf der feindlichen Flotte. -Eine frische Brise bewegte die Bucht. Bei dem Scheine der Brände waren -die Masten unserer immer tiefer und tiefer ins Wasser versenkten -Schiffe sichtbar. Gespräch ließ sich auf dem Verdeck nicht hören; nur -hörte man durch das gleichmäßige Geräusch der zerteilten Wellen und des -Dampfes auf der Fähre die Pferde schnauben und mit den Füßen stampfen, -die Kommandoworte des Kapitäns und das Stöhnen der Verwundeten. Wlang, -der den ganzen Tag nichts gegessen hatte, holte sich ein Stück Brot aus -der Tasche und begann es zu kauen; plötzlich aber erinnerte er sich -Wolodjas und begann so laut zu weinen, daß die Soldaten in seiner Nähe -es hörten. - -Sieh, unser Wlanga ißt Brot und weint dabei! sagte Waßin. - -'s ist wunderbar! entgegnete ein anderer. - -Sieh, auch unsere Kasernen haben sie angezündet ... fuhr er seufzend -fort. Daran, daß von unsereinem so viele dort gefallen, hat der -Franzose noch nicht genug! - -Mit knapper Not sind wir lebend von dort fortgekommen, und dafür sei -dem Herrn Dank! sagte Waßin. - -Aber doch ist es kränkend ... - -Ach was, kränkend? Wird »er« denn dort herumspazieren? Wo denkst -du hin? ... Gieb' acht, die Unsrigen werden ihm schon alles wieder -abnehmen. Wieviel von unsereinem auch dort zu Grunde gegangen, aber, -so wahr Gott heilig ist, wenn der Kaiser befiehlt -- wird's ihm -abgenommen! Werden's ihm denn die Unsrigen so lassen? Gewiß nicht! ... -Behalt dir nur die nackten Wände, die Schanzen sind sämtlich in die -Luft gesprengt ... Auf dem Hügel hat er sein Fähnchen aufgesteckt, aber -in die Stadt wagt er sich nicht. - -Wart' nur, mit dir wird schon noch abgerechnet werden ... Laß uns nur -Zeit! schloß er, zu den Franzosen gewandt. - -Gewiß wird das geschehen! sagte der andere mit Überzeugung. - -Auf der ganzen Linie der Sewastopoler Bastionen, die viele Monate -hindurch der Schauplatz strotzenden, energischen Lebens gewesen war, -die so viele Monate hindurch mit angesehen hatten, wie die Soldaten, -einer nach dem andern, hinstarben, die so viele Monate die Furcht, -den Haß und endlich das Entzücken der Feinde erregt hatten, auf -den Bastionen von Sewastopol war niemand mehr zu sehen. Alles war -tot, öde, schrecklich, aber nicht still, -- noch immer wurde das -Werk der Zerstörung fortgesetzt. Auf der durch frische Explosionen -aufgerissenen und eingestürzten Erde lagen überall zerbogene Lafetten -auf russischen und feindlichen Leichen, -- schwere gußeiserne, für -immer verstummte Kanonen, die durch eine fürchterliche Gewalt in -Gruben geworfen und halb mit Erde überschüttet waren, -- Bomben, -Kanonenkugeln, wiederum Leichen, Gruben, Bruchstücke von Balken aus den -Blindagen, und wieder stumme Leichen in grauen und blauen Mänteln. Das -alles zitterte noch häufig nach und wurde durch die Purpurflamme der -Explosion beleuchtet, die fortgesetzt die Luft erschütterte. - -Die Feinde sahen, daß etwas Unbegreifliches in dem schrecklichen -Sewastopol geschehen war. Diese Explosionen und das Schweigen des -Todes auf den Bastionen machten sie erzittern; sie wagten aber unter -dem Eindruck des kräftigen, mutigen Widerstands des Tages noch nicht -zu glauben, daß ihr unerschütterlicher Feind verschwunden sei, und -erwarteten, ohne sich zu rühren, mit Beben das Ende der finstern Nacht. - -Wie das Meer in stürmischer, finstrer Nacht auf- und abschwillt und -ängstlich erbebt in seiner ganzen Fülle und am Ufer brandet, so bewegte -sich das Heer von Sewastopol langsam in undurchdringlicher Finsternis -über die Brücke auf der Nordseite -- fort von dem Ort, auf dem es -so viel tapfere Brüder gelassen, von dem Ort, der von seinem Blute -getränkt war, von dem Ort, den es elf Monate lang gegen einen doppelt -stärkeren Feind verteidigt und jetzt auf Befehl ohne Kampf verlassen -mußte. - -Unbegreiflich und schwer war für jeden Russen der erste Eindruck dieses -Befehls. Das zweite Gefühl war die Furcht vor Verfolgung. Die Leute -fühlten sich widerstandsunfähig, sobald sie die Orte verlassen hatten, -an denen sie zu kämpfen gewohnt waren, und drängten sich unruhig in -der Finsternis am Anfang der Brücke zusammen, die von einem starken -Wind hin- und hergeschaukelt wurde. Die Infanterie staute sich, ihre -Bajonette stießen aneinander, die Regimenter, Wagen und Milizen -drängten sich zusammen; berittene Offiziere mit Befehlen brachen sich -Bahn; es weinten und baten die Einwohner und Offiziersburschen, deren -beladene Wagen nicht durchgelassen wurden; mit Rädergerassel arbeitete -sich die Artillerie zur Bucht durch, um so schnell als möglich -davonzukommen. Obgleich alle von den verschiedensten unwichtigen Dingen -in Anspruch genommen waren, war doch das Gefühl der Selbsterhaltung -und der Wunsch, so schnell als möglich von diesem furchtbaren Orte des -Todes hinwegzukommen, in der Seele eines jeden. Dieses Gefühl hatte der -tödlich verwundete Gemeine, der unter fünfhunderten solcher Verwundeter -auf dem Pflaster des Pauldammes lag und Gott um seinen Tod bat, der -Landwehrmann, der sich mit äußerster Kraftanstrengung in die dichte -Menge drängte, um dem vorüberreitenden General den Weg freizumachen, -der General, der standhaft den Übergang leitete und gegen die Hast der -Soldaten ankämpfte, der Matrose, der in ein marschierendes Bataillon -geraten war und von der wogenden Menge so zusammengepreßt wurde, daß -ihm der Atem verging, der verwundete Offizier, den vier Gemeine auf -einer Bahre trugen und bei der Nikolai-Batterie niederließen, weil die -gestaute Menschenmasse ihnen den Weg verstellte, der Artillerist, der -sechzehn Jahre sein Geschütz bedient hatte und der es auf den Befehl -der Führung, der ihm unverständlich war, mit Hilfe der Kameraden -den steilen Abhang der Bucht hinabgestürzt hatte, die Seeleute, die -eben das Wasser in die Schiffe einließen und in ihren Barkassen mit -schnellem Ruderschlag davonfuhren. Fast jeder Soldat, der an das -jenseitige Ufer gelangt war, nahm die Mütze ab und bekreuzte sich. -Aber diesem Gefühl folgte ein anderes, schweres, nagendes und tieferes -Gefühl: es war ein Gefühl der Reue, der Scham und der Wut. Fast jeder -Soldat, der von der Nordseite aus nach dem verlassenen Sewastopol -hinüberblickte, seufzte mit unsagbarer Trübsal im Herzen und drohte den -Feinden. - - - - -Kaukasische Erzählungen - - -Ein Ueberfall -- Der Holzschlag - -Begegnung im Felde - - -Vom Sommer 1851 bis zum Herbst 1853 war Leo Tolstoj als Offizier im -Kaukasus. Die neue Welt, die ihn hier umgab, wirkte auf den Dichter mit -solcher Macht ein, daß auch die kurze Zeit seines Aufenthalts ungemein -reiche Früchte trug. - -Der Kaukasus lebte in der Vorstellung des gebildeten Russen als ein -fernes Paradies, in dem der seelenkranke Westeuropäer Gesundung -findet. Diese romantische Vorstellung von den Gebirgsländern, die an -der Scheide Europas und Asiens liegen, hatten die Lyrik Puschkins, -die Erzählerkunst Lermontows und die Romanschilderungen Marlinskijs -erzeugt. Leo Tolstoj tritt an die neue Welt, die sich ihm aufthut, mit -unverschleiertem Blick heran und entkleidet sie ihres erborgten Reizes. -Nicht geringer ist für ihn die Majestät der Natur, nicht schwächer die -Eindrücke, die der Mensch der Unkultur und der unter ihrem Einflusse -veränderte russische Mann aus den niederen Schichten des Volks auf -ihn machen. Aber anders *geartet* ist alles. Es ist der Unterschied -des Wirklichkeitsbildes und der idealisierenden, absichtsvollen -Selbsttäuschung. - -Die Werke, die dieser Zeit ihre Anregung verdanken, sind: »Ein -Ueberfall«, »Der Holzschlag«, »Eine Begegnung im Felde mit einem -Moskauer Bekannten« und »Die Kosaken«. Ich habe alle vier (in meiner -Biographie Leo Tolstojs) unter dem gemeinsamen Titel »*Kaukasische -Erzählungen*« zusammengefaßt. Nicht alle vier sind im Kaukasus selbst -niedergeschrieben: »Ein Ueberfall« ist aus dem Jahre 1852, »Der -Holzschlag« ist in den Jahren 1854/55 zu Papier gebracht, mitten unter -den Stürmen der Sewastopoler Kämpfe, »Eine Begegnung im Felde« stammt -aus dem Jahre 1856, und »Die Kosaken« sind gar erst ein Jahrzehnt -später (1861) zum Abschluß gediehen und im Jahre 1863 veröffentlicht. - -Alle diese Erzählungen durchzieht als leitender Gedanke: die Abneigung -gegen die Kultur und *die* Gesellschaftsschicht, die sich als ihre -ausschließliche Eigentümerin fühlt, und die Liebe zu dem schlichten -Volk, das unbewußt Tugenden bewahrt hat, die dem Gebildeten fehlen. -Hie und da bricht auch schon ernster die Verabscheuung des Krieges -hindurch, eine Idee, die später, gestützt auf den Satz des Evangeliums: -»daß ihr nicht widerstreben sollt dem Uebel« zu einer der wichtigsten -Grundsätze Tolstojscher Weltanschauung geworden ist. - - R. L. - - - - -Ein Ueberfall - -Erzählung eines Freiwilligen - - -I - -Es war am 12. Juli, Kapitän Chlopow trat in Epauletten und Säbel -- -einer Uniform, in der ich ihn seit meiner Ankunft im Kaukasus noch nie -gesehen hatte -- durch die niedrige Thür meiner Erdhütte ein. - -Ich komme direkt vom Obersten, antwortete er auf den fragenden Blick, -mit dem ich ihm entgegenkam. Morgen rückt unser Bataillon aus. - -Wohin? fragte ich. - -Nach N. N., dort sollen sich die Truppen sammeln. - -Und von da wird es gewiß einen Marsch geben. - -Wahrscheinlich. - -Wohin aber, was glauben Sie? - -Was ich glaube? Ich sage Ihnen, was ich weiß. Gestern Nacht kam ein -Tatar vom General hergesprengt und brachte den Befehl, das Bataillon -solle ausrücken und für zwei Tage Zwieback mitnehmen; wohin es geht, -weshalb und wie lange, danach, Freundchen, fragt man nicht; der Befehl -ist da, und das genügt. - -Wenn aber nur für zwei Tage Zwieback mitgenommen werden soll, so -werden wohl auch die Mannschaften nicht länger unterwegs bleiben? - -Nun, das will noch gar nichts sagen ... - -Wie denn aber? fragte ich verwundert. - -Das ist einmal so! Wir marschierten nach Dargi, für acht Tage nahmen -wir Zwieback mit und blieben fast einen Monat dort. - -Werde ich mit Ihnen mitgehen dürfen? fragte ich nach einer kurzen Pause. - -Dürfen werden Sie schon, aber ich rate Ihnen, gehen Sie lieber nicht -mit. Warum sollen Sie Ihr Leben aufs Spiel setzen? ... - -Nein, Sie müssen mir schon gestatten, Ihrem Rate nicht zu folgen. Ich -habe hier einen ganzen Monat ausgehalten, um endlich die Gelegenheit -abzuwarten, ein Gefecht mit anzusehen, und nun wollen Sie, daß ich sie -vorübergehen lasse. - -Bitte, kommen Sie mit; aber, wahrhaftig, ist es nicht gescheiter, Sie -bleiben hier? Sie könnten hier abwarten, bis wir wiederkommen, Sie -könnten jagen, und wir werden mit Gott ausrücken. Das wäre prächtig! --- sagte er in so überzeugendem Tone, daß es mir im ersten Augenblick -wirklich so vorkam, als wäre das herrlich; dann sagte ich entschlossen, -daß ich um keinen Preis zurückbleibe. - -Und was wollen Sie denn dort sehen? fuhr der Kapitän fort mir -zuzureden. Sie möchten gern wissen, wie es in einer Schlacht zugeht? -Lesen Sie Michajlowskij-Danilewskijs »Beschreibung des Kriegs«, -ein wundervolles Buch! Da ist alles ausführlich beschrieben: wo die -einzelnen Korps gestanden haben, wie die Schlachten vor sich gehen. - -O nein, das interessiert mich nicht, antwortete ich. - -Nun was denn: Sie wollen also, wie es scheint, einfach mit ansehen, -wie man Menschen totschlägt? ... Da war hier im Jahre 32 auch so ein -Civilist, ein Spanier war es, glaube ich. Zwei Feldzüge hat er mit -uns mitgemacht, in seinem blauen Mäntelchen -- schließlich haben sie -den Burschen abgemurkst. Hier, Väterchen, wird kein Mensch dich viel -bewundern ... - -So peinlich es mir auch war, daß der Kapitän meine Absicht in so -häßlichem Sinne auslegte, gab ich mir doch keine Mühe, ihm eine andere -Überzeugung beizubringen. - -War er tapfer? fragte ich ihn. - -Das weiß Gott: er war immer in den ersten Reihen; wo man Gewehrknattern -hörte, sah man ihn. - -Er muß also wohl tapfer gewesen sein, sagte ich. - -Nein, das nennt man nicht tapfer, wenn einer überall herumrennt, wo man -ihn nicht braucht ... - -Was nennen Sie also tapfer? - -Tapfer? ... Tapfer? wiederholte der Kapitän, mit der Miene eines -Menschen, dem eine solche Frage zum erstenmal vorgelegt wird: *Tapfer* -ist, *wer sich so benimmt, wie sich's gehört*, sagte er nach einigem -Nachdenken. - -Mir fiel ein, daß Plato die Tapferkeit definiert als »die Kenntnis -dessen, was man zu fürchten hat und was man nicht zu fürchten hat«, und -trotz der Allgemeinheit und Unklarheit des Ausdrucks in der Definition -des Kapitäns, meinte ich, der Grundgedanke beider sei gar nicht so -schlecht, wie es scheinen mochte, ja die Definition des Kapitäns sei -sogar richtiger, als die Definition des griechischen Philosophen; denn -hätte er sich so auszudrücken verstanden, wie Plato, so würde er sicher -gesagt haben: Tapfer ist, wer nur das fürchtet, *was man fürchten muß*, -und nicht das, *was man nicht zu fürchten braucht*. - -Ich hatte Lust, dem Kapitän meinen Gedanken klarzumachen. - -Ja, sagte ich, in jeder Gefahr, glaube ich, haben wir eine Wahl, und -eine Wahl, die z. B. unter dem Einfluß des Pflichtgefühls getroffen -ist, ist Tapferkeit, und eine Wahl, die unter dem Einfluß eines -niedrigen Gefühls getroffen ist, ist Feigheit; darum kann man einen -Menschen, der aus Eitelkeit, aus Neugier oder aus Habsucht sein Leben -aufs Spiel setzt, nicht tapfer nennen, und umgekehrt einen Menschen, -der unter dem Einfluß des ehrenwerten Gefühls von Familienpflicht oder -einfach der Überzeugung -- einer Gefahr aus dem Wege geht, nicht einen -Feigling nennen. - -Der Kapitän sah mich, während ich sprach, mit einem sonderbaren Blick -an. - -Ja, das verstehe ich nicht mehr, sagte er und stopfte dabei sein -Pfeifchen; aber wir haben hier einen Junker, der philosophiert euch -gern. Mit dem müssen Sie sprechen. Er macht auch Verse. - -Ich hatte den Kapitän erst im Kaukasus kennen gelernt, aber gekannt -hatte ich ihn schon in Rußland. Seine Mutter, Maria Iwanowna Chlopowa, -war Besitzerin eines kleinen Gütchens, zwei Werst von meiner Besitzung. -Vor meiner Abreise nach dem Kaukasus war ich bei ihr gewesen; die Alte -war sehr erfreut, daß ich ihren Paschenka (wie sie den alten, grauen -Kapitän nannte) aufsuchen wollte und -- ein lebendiger Brief -- ihm von -ihrem Leben und Treiben erzählen und ein Päckchen überbringen konnte. -Sie hatte mir einen vorzüglichen Pirogg und Spickgans vorgesetzt, -dann ging sie in ihr Schlafzimmer und kam von da mit einem schwarzen, -ziemlich großen Heiligenbilde zurück, an dem ein Seidenbändchen -befestigt war. - -Das ist das Bild unserer Mutter Gottes, der Fürsprecherin, vom -brennenden Dornbusch, sagte sie, bekreuzte sich, küßte das Bild -der Gottesmutter und überreichte es mir: überbringen Sie ihm das, -Väterchen. Sehen Sie, als er nach dem Kaukasus ging, habe ich eine -Messe lesen lassen und ein Gelübde gethan, wenn er gesund und -unversehrt bleibt, dieses Mutter-Gottesbild zu bestellen. Nun sind -es schon achtzehn Jahre, daß die barmherzige Fürsprecherin und die -Heiligen ihn schützen; nicht ein einziges Mal war er verwundet, und -in wieviel Schlachten ist er schon gewesen! ... Wie mir Michajlo, der -mit ihm war, zu erzählen anfing, glauben Sie mir, die Haare stehen -einem zu Berge; sehen Sie, was ich von ihm weiß, weiß ich alles nur von -fremden Leuten, er selbst, mein Täubchen, schreibt nichts von seinen -Kriegszügen -- er fürchtet mich zu ängstigen. - -(Schon im Kaukasus hatte ich erfahren, und zwar nicht von dem Kapitän -selbst, daß er viermal schwer verwundet gewesen, und es versteht sich -von selbst, daß er über die Verwundungen wie über die Feldzüge nie -seiner Mutter ein Wort geschrieben hatte.) - -Dieses Heiligenbild soll er nun auf seiner Brust tragen, fuhr sie fort, -ich segne ihn damit. - -Die heilige Fürsprecherin wird ihn beschützen! Besonders in der -Schlacht soll er es immer tragen. Sag's ihm, Väterchen, das läßt dir -deine Mutter sagen. - -Ich versprach ihren Auftrag pünktlich auszuführen. - -Ich weiß, Sie werden ihn liebgewinnen, meinen Paschenka, fuhr die Alte -fort, er ist ein so prächtiger Mensch! Wollen Sie glauben, kein Jahr -geht vorüber, in dem er mir nicht Geld schickt, und meine Tochter, die -Annuschka, unterstützt er auch sehr; und alles nur von seinem Gehalt! -Mein ganzes Leben werde ich Gott danken, schloß sie mit Thränen in den -Augen, daß er mir ein solches Kind geschenkt hat. - -Schreibt er Ihnen oft? fragte ich. - -Selten, Väterchen, so einmal im Jahre, wenn er Geld schickt, schreibt -er wohl ein Wörtchen, sonst nicht. Wenn ich dir nicht schreibe -Mütterchen, sagt er, dann bin ich gesund und munter, und wenn, was Gott -verhüte, etwas passiert, so wirst du es auch so erfahren. - -Als ich dem Kapitän das Geschenk der Mutter überreichte (es war in -meinem Zimmer), bat er mich um Umschlagpapier, hüllte es sorgfältig ein -und steckte es in die Tasche. Ich erzählte ihm viel und ausführlich -über das Leben seiner Mutter -- der Kapitän schwieg. Als ich mit meiner -Erzählung zu Ende war, ging er in die Ecke und stopfte auffallend lange -sein Pfeifchen. - -Ja, eine prächtige Frau! sagte er von dort her mit etwas dumpfer -Stimme. Ob's mir Gott noch vergönnt, sie wiederzusehen? In diesen -einfachen Worten lag sehr viel Liebe und Sehnsucht. - -Warum dienen Sie hier? sagte ich. - -Man muß doch dienen, antwortete er mit Überzeugung, für einen armen -Teufel wie unsereins will das doppelte Gehalt viel sagen. - -Der Kapitän lebte sparsam: Karten spielte er nicht, Wein trank er -selten und rauchte einen einfachen Tabak, den er, ich weiß nicht -warum, nicht Rauchtabak, sondern sambrotalischen Tabak nannte. Der -Kapitän hatte mir schon früher gefallen: er hatte eine von den -schlichten, ruhigen, russischen Physiognomien, denen man mit Vergnügen -und leicht gerade in die Augen sieht; nach dieser Unterhaltung aber -empfand ich vor ihm wahre Hochachtung. - - -II - -Am folgenden Tage, um vier Uhr morgens, kam der Kapitän, mich -abzuholen. Er trug einen alten, abgetragenen Rock ohne Epauletten, -breite Hosen, eine weiße Fellmütze, mit ausgegangenem, gelbgewordenem -Schafpelz und einen unansehnlichen, asiatischen Säbel über die Schulter. - -Der kleine Schimmel, den er ritt, ging mit gesenktem Kopfe in ruhigem -Schritt und schlug beständig mit seinem dünnen Schweife um sich. -Obgleich in der Erscheinung des guten Kapitäns nicht nur wenig -Kriegerisches, sondern auch wenig Schönes lag, sprach aus ihr doch so -viel Gleichgültigkeit gegen alles, was ihn umgab, daß sie unwillkürlich -Achtung einflößte. - -Ich ließ ihn nicht einen Augenblick warten, bestieg sofort mein Pferd, -und wir ritten zusammen zum Festungsthore hinaus. - -Das Bataillon war uns schon 200 Faden voraus und sah wie eine -schwarze, kompakte, schwankende Masse aus. Nur *daran* konnte man -erkennen, daß es Infanterie war, daß die Bajonette wie dichte, lange -Nadeln zu sehen waren; von Zeit zu Zeit schlugen die Töne eines -Soldatenliedes, einer Trommel oder eines prächtigen Tenors aus der -sechsten Kompagnie, den ich schon oft in der Festung mit Entzücken -gehört hatte, an unser Ohr. Der Weg ging mitten durch einen tiefen und -breiten Engpaß am Ufer eines kleinen Flüßchens entlang, der gerade um -diese Zeit »spielte«, d. h. über die Ufer trat. Scharen wilder Tauben -flatterten um den Fluß: bald setzten sie sich auf das steinige Ufer, -bald beschrieben sie in der Luft schnelle Kreise und entschwanden -unsern Blicken. - -Die Sonne war noch nicht zu sehen, aber der Gipfel der rechten Seite -des Engpasses wurde heller und heller. Die grauen und weißlichen -Steine, das gelbgrüne Moos, die taubedeckten Sträucher des Kreuzdorns, -der Mispel und der Korkulme traten mit außerordentlicher Deutlichkeit -und Plastik in dem durchsichtigen, goldigen Licht der aufgehenden Sonne -hervor; dagegen war die andere Seite und der Hohlweg in dichten Nebel -gehüllt, der in rauchartigen ungleichen Schichten wogte, feucht und -düster, und boten ein unbestimmbares Gemisch von Farben: blaßlila, fast -schwarz, dunkelgrün und weiß. - -Dicht vor uns an dem dunklen Azur des Horizonts schimmerten in -überraschender Helligkeit die hellweißen, matten Massen der Schneeberge -mit ihren wunderlichen, bis in die kleinsten Einzelheiten schönen -Schatten und Umrissen. Grillen, Heuschrecken und tausend andere -Insekten erwachten im hohen Grase und erfüllten die Luft mit ihrem -hellen, ununterbrochenen Klingen: es war, als ob eine zahllose Menge -winziger Glöckchen in unsern eigenen Ohren tönte. Die Luft duftete nach -Wasser, Gras und Nebel, mit einem Wort, sie duftete nach einem schönen -Sommermorgen. Der Kapitän schlug Feuer und zündete sein Pfeifchen -an, der Geruch des sambrotalischen Tabaks und des Zunders kam mir -außerordentlich angenehm vor. - -Wir ritten neben dem Weg einher, um die Infanterie schneller -einzuholen. Der Kapitän schien nachdenklicher als gewöhnlich, ließ -sein daghestanisches Pfeifchen nicht aus dem Munde und stieß bei -jedem Schritt mit den Fersen sein Pferd an, das, von einer Seite -auf die andere schwankend, eine kaum merkliche, dunkelgrüne Spur in -dem feuchten, hohen Grase zurückließ. Unter seinen Füßen flog mit -Gackern und mit dem Flügelschlage, bei dem der Jäger unwillkürlich -zusammenzuckt, ein Fasan auf und stieg langsam in die Höhe. Der Kapitän -schenkte ihm nicht die geringste Aufmerksamkeit. - -Wir hatten das Bataillon beinahe schon eingeholt, als hinter uns -der Hufschlag eines heransprengenden Pferdes hörbar wurde, und in -demselben Augenblick sprengte ein sehr hübscher, junger Bursche in -Offiziersuniform und in einer hohen, weißen Fellmütze vorüber. Als er -uns erreicht hatte, lächelte er, nickte dem Kapitän zu und schwang -sein Peitschchen ... Ich hatte Zeit zu bemerken, daß er mit besonderer -Anmut im Sattel saß und die Zügel hielt, und daß er schöne, schwarze -Augen, eine feine Nase und ein eben sprossendes Schnurrbärtchen hatte. -Besonders hatte mir an ihm gefallen, daß er das Lächeln nicht hatte -unterdrücken können, nachdem er gesehen, daß wir Freude an seinem -Anblick hatten. Aus diesem Lächeln allein hätte man schon schließen -können, daß er noch sehr jung war. - -Wohin eilt er? brummte der Kapitän mit mürrischer Miene, ohne den -Tschibuck aus dem Munde zu nehmen. - -Wer ist das? fragte ich. - -Der Fähnrich Alanin, ein Subaltern-Offizier meiner Kompagnie ... Er ist -erst im vorigen Monat aus dem Kadettenkorps hierher gekommen. - -Er geht gewiß zum erstenmal in eine Schlacht? sagte ich. - -Darum ist er auch so glücklich ... -- antwortete der Kapitän, -tiefsinnig den Kopf wiegend. O, die Jugend! - -Warum sollte er denn nicht froh sein? Ich kann mir wohl denken, daß -das für einen jungen Mann sehr interessant sein muß. - -Der Kapitän schwieg einige Minuten. - -Ja, ja, ich sage: die Jugend! fuhr er in tiefem Tone fort, wie kann -man sich freuen, ehe man noch etwas gesehen hat? Wenn du erst öfter -ins Feld gezogen bist, wirst du dich nicht mehr freuen. Wir sind -jetzt, sagen wir, zwanzig Offiziere, einer oder der andere fällt oder -wird verwundet, das ist gewiß. Heut gilt es mir, morgen gilt es dir, -übermorgen einem dritten: was giebt es da für einen Grund zur Freude? - - -III - -Die helle Sonne war kaum hinter dem Berge hervorgekommen und ergoß -ihr Licht in das Thal, durch das wir zogen, die wogenden Nebelwolken -zerstreuten sich, und es wurde heiß. Die Soldaten marschierten mit -ihren Gewehren und Säbeln auf dem Rücken langsam die staubige Straße -dahin, in den Reihen hörte man von Zeit zu Zeit ein Gespräch in -kleinrussischer Mundart und Gelächter. Einige alte Soldaten in weißen -Kitteln, -- meist Unteroffiziere --, gingen neben dem Wege, mit dem -Pfeifchen im Munde, und plauderten ruhig. Vollgepackte, dreispännige -Fuhren bewegten sich Schritt für Schritt vorwärts und wirbelten den -dichten, schwerfälligen Staub auf. Die Offiziere ritten voran: die -einen dshigitierten, wie man im Kaukasus sagt, d. h. sie schlugen das -Pferd mit der Peitsche und ließen es vier, fünf Sprünge machen, dann -parierten sie es auf der Stelle und schwenkten den Kopf nach rückwärts. -Die anderen schenkten den Spielleuten ihre Aufmerksamkeit, die trotz -Glut und Stickluft unermüdlich ein Lied nach dem andern spielten. - -Gegen 100 Faden vor der Infanterie ritt auf einem großen Schimmel -neben den berittenen Tataren ein schlanker und schöner Offizier in -asiatischer Tracht; er war im ganzen Regiment wegen seiner tollkühnen -Tapferkeit bekannt und als ein Mann, »der jedem die Wahrheit in -die Augen wirft«. Er trug ein schwarzes Beschmet mit Silberborte, -ebensolche Beinkleider, neue, eng an den Füßen anliegende Stiefel -mit Tschirasen (Galons), einen gelben Tscherkessenrock und eine hohe -nach hinten eingedrückte Fellmütze. Über Brust und Rücken liefen -silberne Borten, daran hingen auf dem Rücken Pulverhorn und Pistole; -eine zweite Pistole und ein Dolchmesser in silberner Scheide hingen -am Gürtel. Über der Kleidung war sein Säbel in schöner Saffianscheide -mit Silberbesatz umgürtet, über die Schultern hing die Windbüchse in -schwarzem Überzug. Aus seiner Tracht, seiner Haltung und aus seinem -ganzen Gebahren, überhaupt an allen seinen Bewegungen war ersichtlich, -daß er sich Mühe gab, wie ein Tatar auszusehen. Er sprach auch mit den -Tataren, die neben ihm ritten, in einer mir unbekannten Sprache; aber -an den verwunderten, spöttischen Blicken, die diese letzteren einander -zuwarfen, glaubte ich zu erkennen, daß sie ihn nicht verstanden. Es -war einer von unseren jungen Offizieren, einer der kühnen Ritter und -Dshigiten, die sich an dem Muster von Marlinskij und Lermontow schulen. -Diese Leute sehen den Kaukasus nur durch das Prisma der Helden unserer -Zeit, eines Mulla Nur und ähnlicher und lassen sich in allen ihren -Handlungen nicht von den eigenen Neigungen leiten, sondern von dem -Beispiel dieser Vorbilder. - -Der Leutnant z. B. war vielleicht gern in Gesellschaft anständiger -Frauen und ernster Männer: Generale, Obersten, Adjutanten -- ja, ich -bin überzeugt, daß er sehr gern in solcher Gesellschaft war, denn er -war im höchsten Grade eitel; aber er hielt es für seine unbedingte -Pflicht, allen ernsten Männern seine rauhe Seite zuzukehren, wenn er -auch in seiner Derbheit sehr maßvoll war; und ließ sich eine Dame -in der Festung sehen, so hielt er es für seine Pflicht, mit seinen -Kameraden bloß in einem roten Hemd und mit Fußlappen an den nackten -Beinen an ihrem Fenster vorüberzugehen und so laut als möglich zu -schreien und zu schelten, weniger in der Absicht, sie zu kränken, als -in der Absicht, zu zeigen, was er für schöne weiße Füße habe, und -wie man sich in ihn verlieben könnte, wenn er das nur wollte. Oder -er zog häufig mit zwei, drei russenfreundlichen Tataren ganze Nächte -in die Berge und lagerte am Wege, um den feindlichen Tataren, die -vorüberkamen, aufzulauern und sie zu töten; und obgleich ihm sein Herz -oft genug sagte, daß darin nichts Heldenhaftes liege, hielt er sich -für verpflichtet, den Menschen Leid zuzufügen, die ihm, wie er meinte, -Enttäuschungen bereitet, und die er verachtete und haßte. Zwei Dinge -legte er nie ab: ein ungeheueres Heiligenbild, das er um den Hals trug, -und das Dolchmesser, das über dem Hemd hing, und mit dem er sich auch -zu Bette legte. Er war aufrichtig davon überzeugt, daß er Feinde habe. -Sich selbst zu überzeugen, daß er an jemandem Rache zu nehmen und mit -Blut eine Beleidigung zu sühnen habe, war für ihn der höchste Genuß. Er -war überzeugt, daß die Gefühle des Hasses, der Rache und der Verachtung -des Menschengeschlechts die erhebendsten poetischen Gefühle seien. -Seine Geliebte aber, -- natürlich eine Tscherkessin -- mit der ich -später zufällig zusammentraf, erzählte, er sei der beste und sanfteste -Mensch, und er schreibe jeden Abend seine düsteren Aufzeichnungen -nieder, trage auf Rechnungspapier seine Ausgaben und Einnahmen ein und -knie jeden Abend zum Gebete nieder. Und wieviel hatte er gelitten, nur -um vor sich selbst als das zu erscheinen, was er sein wollte, weil -seine Kameraden und die Soldaten ihn nicht verstehen konnten, wie -er gern verstanden sein mochte! Einst auf einem seiner nächtlichen -Straßenstreifzüge mit den Genossen, verwundete er mit einer Kugel -einen feindlichen Tschetschenzen am Fuß und nahm ihn gefangen. Dieser -Tschetschenze lebte dann sieben Wochen bei dem Leutnant, er behandelte -ihn, pflegte ihn wie seinen besten Freund, und als er geheilt war, -entließ er ihn mit Geschenken. Später einmal, während eines Kriegszugs, -als der Leutnant mit der Vorpostenkette zurückwich und sich gegen den -Feind durch Schießen verteidigte, hörte er aus den Reihen der Feinde -seinen Namen rufen, und sein verwundeter Freund kam hervorgeritten -und forderte den Leutnant durch Geberden auf, dasselbe zu thun. Der -Leutnant ritt zu seinem Kunak (Freunde) heran und drückte ihm die Hand. -Die Bergbewohner standen in der Nähe und schossen nicht; als aber der -Leutnant sein Pferd umwandte, schossen mehrere Mann auf ihn, und eine -Kugel streifte ihn unterhalb des Rückens. Ein andermal habe ich selbst -gesehen, wie in der Festung zur Nacht Feuer ausbrach. Zwei Kompagnien -Soldaten waren mit dem Löschen beschäftigt, plötzlich erschien mitten -in der Menge, beleuchtet von dem Purpurschein des Brandes, die hohe -Gestalt eines Mannes auf einem Rappen. Die Gestalt drängte die Menge -auseinander und ritt mitten auf das Feuer zu. Als der Leutnant ganz -nahe herangekommen war, sprang er vom Pferde und stürzte in das Haus, -das von einer Seite lichterloh brannte. Fünf Minuten später kam der -Leutnant mit versengten Haaren und mit angebranntem Ellbogen zurück -und trug zwei Tauben unter der Achsel, die er aus den Flammen gerettet -hatte. - -Er hieß Rosenkranz; er sprach aber oft von seiner Herkunft, leitete -sie von den Warägern ab und suchte klar zu beweisen, daß er und seine -Vorfahren echte Russen waren. - - -IV - -Die Sonne hatte die Hälfte ihres Wegs zurückgelegt und sandte ihre -glühenden Strahlen durch die erhitzte Luft auf die trockene Erde -herab. Der dunkelblaue Himmel war vollkommen klar, nur der Fuß der -Schneeberge begann sich in ein weißes, leichtes Wolkengewand zu -hüllen. Die regungslose Luft schien von einem durchsichtigen Staub -erfüllt zu sein, es war unerträglich heiß geworden. Als die Truppen an -einen kleinen Bach gekommen waren, der auf der Hälfte unseres Weges -floß, hielten sie Rast. Die Soldaten stellten die Gewehre zusammen -und rannten an den Bach; der Bataillons-Kommandeur setzte sich im -Schatten auf eine Trommel nieder, gab seinem vollen Gesicht die ganze -Würde seiner Stellung und machte sich mit einigen Offizieren zum -Imbiß bereit; der Kapitän legte sich im Grase unter einem Fouragewagen -nieder; der tapfere Leutnant Rosenkranz und noch einige andere junge -Offiziere lagerten sich auf ihre ausgebreiteten Filzmäntel und trafen -Anstalten zum Zechen, wie man aus den herumstehenden Flaschen sehen -konnte, besonders aber aus der angeregten Stimmung der Spielleute, -die im Halbkreise um sie herumstanden und mit Pfeifenbegleitung ein -kaukasisches Tanzlied nach der Weise der Lesginka spielten: - - Schamyl wollte revoltiren - In vergangnen Jahren, - Traj--raj, ra--ta--taj ... - In vergangenen Jahren. - -Unter diesen Offizieren war auch der blutjunge Fähnrich, der uns -am Morgen vorausgeritten war. Er war sehr drollig: seine Augen -leuchteten, seine Zunge lallte; er wollte alle Leute küssen und ihnen -seine Liebe gestehen ... Armer Junge! er wußte noch nicht, daß man -in diesem Zustande lächerlich sein kann, daß seine Offenheit und die -Zärtlichkeit, die er allen aufdrängte, die anderen nicht zu der Liebe -stimmte, nach der er sich sehnte, sondern zum Spott. -- Er wußte auch -nicht, daß er nachher, als er sich in glühender Erregung endlich auf -seinen Filzmantel warf, sich in die Hand stützte und sein schwarzes, -dichtes Haar zurückwarf, außerordentlich hübsch war. - -Zwei Offiziere saßen unter dem Fouragewagen und spielten auf ihren -Reisekästchen Karten. - -Neugierig lauschte ich auf die Gespräche der Soldaten und Offiziere -und betrachtete aufmerksam ihren Gesichtsausdruck; aber ich konnte -bei niemandem auch nur einen Schatten der Unruhe bemerken, die ich -empfand: Scherze, Gelächter, Erzählungen deuteten auf eine allgemeine -Sorglosigkeit und Gleichgültigkeit gegen die bevorstehende Gefahr hin. -Als könnte man gar nicht vermuten, daß vielen von ihnen bestimmt sein -sollte, nicht wieder auf diesem Wege zurückzukommen. - - -V - -Um 7 Uhr abends zogen wir staubbedeckt und müde durch das breite, -befestigte Thor der Festung N. N. ein. Die Sonne hatte sich gesenkt und -warf ihre schrägen, rosigen Strahlen auf die malerischen Geschützstände -und die Gärten mit den hohen Pappeln, die die Festung umgaben, auf die -bestellten, gelblich schimmernden Felder und auf die weißen Wolken, -die sich auf den Schneebergen türmten, als ob sie es ihnen nachthun -wollten, und eine nicht minder wunderliche und schöne Kette bildeten. -Der junge Halbmond schimmerte wie ein durchsichtiges Wölkchen am -Horizont. Im Aul, der vor dem Thore lag, rief ein Tatar, der auf -dem Dach einer Erdhütte stand, die Rechtgläubigen zum Gebet; die -Spielleute setzten mit neuem Mut und mit frischer Kraft ein. - -Nachdem ich ein wenig ausgeruht und mich zurechtgemacht hatte, ging ich -zu einem mir bekannten Adjutanten. Ich wollte ihn bitten, dem General -von meiner Absicht Meldung zu machen. Auf dem Wege von der Vorstadt, -wo ich Quartier genommen hatte, hatte ich Gelegenheit, in der Festung -N. N. manches zu beobachten, was ich keineswegs erwartet hatte. Eine -hübsche, zweisitzige Kutsche, in der ein neumodisches Hütchen zu sehen -und französische Unterhaltung zu hören war, fuhr an mir vorüber. Aus -dem geöffneten Fenster des Kommandanturgebäudes drangen die Klänge -einer »Lieschen«- oder »Käthchenpolka«, die auf einem schlechten, -verstimmten Klavier gespielt wurden. In dem Gasthaus, an dem ich -vorüberkam, saßen, die Cigaretten in den Händen, einige Schreiber beim -Glase Wein, und ich hörte, wie der eine zum andern sagte: »Ich muß -sehr bitten, was die Politik betrifft, war Maria Grigorjewna bei uns -die erste Dame.« Ein buckliger Jude in einem abgetragenen Rock und von -kränklichem Aussehen schleppte mühsam einen krächzenden, zerbrochenen -Leierkasten, und über die ganze Vorstadt erklangen die Töne des -Finales aus Lucia. Zwei Frauen in rauschenden Kleidern und seidenen -Halstüchern mit hellfarbigen Sonnenschirmen in den Händen gingen auf -dem Fußsteig von Holz leichten Schritts an mir vorüber. Zwei junge -Mädchen, eine in einem rosa, die andere in einem blauen Kleide, standen -unbedeckten Hauptes an dem Erdaufwurf eines niedrigen Häuschens -und lachten mit einem unnatürlichen, hellen Lachen; sie wünschten -offenbar die Aufmerksamkeit der vorübergehenden Offiziere auf sich zu -lenken. Offiziere in neuen Röcken, weißen Handschuhen und glänzenden -Achselbändern stolzierten durch die Straße und über den Boulevard. - -Ich traf meinen Bekannten im Erdgeschoß des Generalsgebäudes. Kaum -hatte ich ihm meinen Wunsch klar gemacht, und er mir gesagt, daß er -sehr leicht erfüllt werden könne, als an dem Fenster, an dem wir saßen, -die hübsche Kutsche vorübergerollt kam, die ich auf dem Wege bemerkt -hatte. Aus der Kutsche stieg ein schlanker, sehr stattlicher Mann in -Infanterie-Uniform mit Majorsepauletten und ging zum General. - -Ach, verzeihen Sie, bitte, sagte der Adjutant und erhob sich von seinem -Platze, ich muß unbedingt dem General Meldung machen. - -Wer ist denn angekommen? fragte ich. - -Die Gräfin, antwortete er, knöpfte die Uniform zu und eilte hinauf. - -Nach wenigen Minuten kam ein untersetzter, sehr hübscher Mann in einem -Rock ohne Epauletten mit einem weißen Kreuz im Knopfloch auf die -Freitreppe hinaus. Ihm folgte der Major, der Adjutant und noch zwei -andere Offiziere. Aus dem Gange, aus der Stimme, aus allen Bewegungen -des Generals sprach ein Mensch, der sich seines hohen Wertes wohl -bewußt ist. - -_Bon soir, madame la comtesse_, sagte er und reichte ihr durch das -Wagenfenster die Hand. - -Eine kleine Hand in einem Handschuh aus feinem Hundeleder drückte seine -Hand, und ein hübsches, lächelndes Gesichtchen in gelbem Hut erschien -an dem Fenster des Wagens. - -Von dem ganzen Gespräch, das nur wenige Minuten dauerte, hörte ich nur -im Vorübergehen, wie der General lächelnd sagte: - -_Vous savez, que je fait v[oe]u de combattre les infidèles, prenez donc -garde de le devenir._ - -Im Wagen erklang ein Lachen. - -_Adieu donc, cher général._ - -_Non, au revoir_, sagte der General, indem er die Stufen der Treppe -hinausging, _n'oubliez pas, que je m'invite pour la soirée de demain_. - -Der Wagen rollte weiter. - -»Das ist doch noch ein Mensch, dachte ich auf dem Heimwege, der alles -hat, was man in Rußland erreichen kann: Stellung, Reichtum, Ansehen; -und dieser Mensch scherzt vor einer Schlacht, deren Ausgang Gott -allein kennt, mit einer hübschen Dame, verspricht ihr, am nächsten -Tage zum Thee zu kommen, gerade so, als ob er mit ihr auf einem Balle -zusammengetroffen wäre.« - -Hier bei dem Adjutanten traf ich auch noch einen andern Menschen, -der mich noch mehr in Erstaunen setzte, ein junger Leutnant vom -K. Regiment, der sich durch seine fast frauenhafte Sanftmut und -Schüchternheit anzeichnete. - -Er war zu dem Adjutanten gekommen, um seinem Ärger und seinem -Unwillen über die Leute Luft zu machen, die, wie er meinte, gegen ihn -intriguieren, damit er nicht an dem bevorstehenden Kampfe teilnehme. Es -sei häßlich, so zu handeln, sagt er, es sei nicht kameradschaftlich, er -werde es ihnen schon gedenken u. s. w. So scharf ich auch seine Züge -beobachtete, so aufmerksam ich auf den Klang seiner Stimme lauschte, -ich mußte die Überzeugung gewinnen, daß er sich keineswegs verstellte, -daß er vielmehr tief erregt und erbittert darüber war, daß man ihm -nicht gestatten wollte, auf die Tscherkessen zu schießen und sich ihren -Geschossen auszusetzen; er war so erbittert, wie ein Kind erbittert zu -sein pflegt, das man eben unverdient gezüchtigt hat ... Mir war das -alles gänzlich unverständlich. - - -VI - -Um 10 Uhr abends sollten die Truppen ausrücken. Um halb neun stieg ich -zu Pferde und ritt zum General. Da ich aber annahm, daß er und sein -Adjutant beschäftigt seien, hielt ich an der Straße, band mein Pferd -an den Zaun und setzte mich auf den Erdaufwurf, in der Absicht, dem -General nachzueilen, wenn er ausreiten würde. - -Die Glut und der helle Glanz der Sonne waren schon der Kühle der Nacht -und dem matten Lichte des jungen Monds gewichen, der rings um sich -her einen blassen, leuchtenden Halbkreis auf dem dunklen Blau des -Sternenhimmels bildete und niederzugehen begann; durch die Fenster -der Häuser und durch die Ritzen der Läden der Erdhütten schimmerten -Lichter. Die schlanken Pappeln der Gärten, die sich am Horizont hinter -den weißgetünchten, vom Mondlicht bestrahlten Erdhütten mit den -Schilddächern abhoben, erschienen noch höher und dunkler. - -Die langen Schatten der Häuser, der Bäume, der Zäune breiteten sich -schön über den hellen staubigen Weg ... Vom Fluß her tönte ohne -Unterlaß das Quarren der Frösche.[G] Auf den Straßen hörte man bald -eilige Schritte und Gespräche, bald den Hufschlag von Pferden. Aus der -Vorstadt klangen von Zeit zu Zeit die Klänge einer Drehorgel herüber: -bald »Es wehen die Winde«, bald so was wie ein »Aurora-Walzer«. - - [G] Die Frösche im Kaukasus bringen einen Laut hervor, der nichts - gemein hat mit dem Quaken unserer Frösche. - -Ich werde nicht sagen, was mich in Gedanken versunken beschäftigte: -erstens weil ich mich schämen würde zu gestehen, daß es düstere -Gedanken waren, die mich in unabweisbaren Scharen beschlichen, während -ich rings um mich her nur Heiterkeit und Frohsinn beobachtete; zweitens -aber, weil das nicht zu meiner Erzählung gehört. Ich war so in Gedanken -versunken, daß ich nicht einmal bemerkte, daß die Glocke elf schlug und -der General mit seinem Gefolge an mir vorüberritt. - -Die Nachhut war noch in dem Festungsthore. Mit Mühe gelang es -mir, über die Brücke zwischen den zusammengedrängten Geschützen, -Pulverkasten, Kompagniewagen und der geräuschvoll kommandierenden -Offiziere hindurchzukommen. Als ich durch das Thor hindurchgekommen -war, setzte ich mein Pferd in Trab, ritt an den Truppen entlang, die -sich nahezu eine Werst hinzogen und sich schweigend in der Dunkelheit -vorwärts bewegten, und erreichte den General. Als ich an der Artillerie -vorüberkam, die sich in gerader Linie hinzog, und an den Offizieren, -die zwischen den Geschützen ritten, traf mich wie ein beleidigender -Mißklang mitten durch die Stille und feierliche Harmonie die Stimme -eines Deutschen. Er schrie: »Achtillechist, gieb mir die Lunte«, und -die Stimme eines Soldaten schrie eilfertig: »Schewtschenko, der Herr -Leutnant wünscht Feuer.« - -Der größte Teil des Himmels hatte sich mit langen, dunklen, grauen -Wolken bedeckt; hie und da nur schimmerten zwischen ihnen matte Sterne -hindurch. Der Mond hatte sich schon hinter dem nahen Horizont der -dunklen Berge verborgen, die zur Rechten sichtbar waren, und warf über -ihren Gipfel ein schwaches, zitterndes Dämmerlicht, das sich scharf -von dem undurchdringlichen Dunkel abhob, das über ihren Fuß gebreitet -lag. Die Luft war warm und so still, daß sich nicht ein Gräschen, nicht -ein Wölkchen regte. Es war so finster, daß man selbst in nächster Nähe -die Gegenstände nicht unterscheiden konnte. Rechts und links vom Wege -sah ich bald Felsen, bald Tiere, bald Menschen von sonderbarem Wesen --- und ich erkannte erst dann, daß es Sträucher waren, wenn ich ihr -Rascheln hörte und die Frische des Taus empfand, der an ihren Blättern -hing. Vor mir sah ich eine dichte, wogende, schwarze Wand, hinter -der einige bewegliche Punkte waren. Das war die Infanterie. In der -ganzen Abteilung herrschte eine solche Stille, daß man deutlich all -die verschwimmenden, von geheimnisvollem Zauber erfüllten Stimmen der -Nacht hörte: das ferne, klagende Geheul der Schakale, das bald wie -verzweifeltes Weinen, bald wie Lachen klang, das helle, einförmige -Zirpen der Grillen, das Quaken der Frösche, den Schlag der Wachtel, -einen herankommenden dumpfen Ton, dessen Ursprung ich mir nicht -erklären konnte; und all die nächtlichen, kaum vernehmbaren Regungen -der Natur, die man weder begreifen, noch näher erklären kann, flossen -zusammen in den vollen Wohlklang, den wir Stille der Nacht nennen. -Diese Stille der Nacht wurde unterbrochen oder, richtiger gesagt, floß -zusammen mit dem dumpfen Hufschlag und dem Rascheln des hohen Grases, -das die langsam vorwärtsgehende Abteilung hervorrief. - -Von Zeit zu Zeit nur hörte man in den Reihen das Getöse eines schweren -Geschützes, das Klirren aneinanderschlagender Bajonette, unterdrücktes -Plaudern und das Schnauben der Pferde. - -Die Natur atmete seelenbeschwichtigend Schönheit und Kraft. - -Ist den Menschen wirklich das Leben zu eng in dieser schönen Welt, -unter diesem unermeßlichen Sternenhimmel? Kann inmitten dieser -bezaubernden Natur in der Seele des Menschen das Gefühl der Bosheit, -der Rache oder der leidenschaftliche Trieb der Vernichtung von -Seinesgleichen fortbestehen? Alles Ungute im Herzen des Menschen müßte, -meine ich, sich verflüchtigen bei der Berührung mit der Natur -- diesem -unmittelbaren Ausdruck des Schönen und Guten. - - -VII - -Wir waren schon mehr als zwei Stunden zu Pferde, mich durchrieselte -ein Frostschauer und ich hatte Neigung zum Schlafen. In der Finsternis -sah ich dieselben dunklen Gegenstände unklar vor mir: in geringer -Entfernung die schwarze Wand, schwarze bewegliche Flecke; ganz nahe -neben mir die Kruppe eines Schimmels, der mit dem Schweife wedelte -und die Hinterfüße breit auseinander setzte, einen Rücken in weißer -Tscherkeska, über dem eine Flinte in schwarzem Futteral zu sehen war -und der weiße Griff einer Pistole in einem gestickten Pistolenschuh -schimmerte; das Feuer einer Cigarette, das einen blonden Schnurrbart, -einen Biberkragen und eine Hand in einem Lederhandschuh beleuchtete. -Ich neigte mich zu dem Halse meines Pferdes, schloß die Augen und -versank einige Augenblicke in Träume; da plötzlich traf bekannter -Hufschlag und Rauschen mein Ohr: ich sah mich um, und mir war's, ich -stünde fest auf einem Platz und die schwarze Wand, die vor mir lag, -komme auf mich zu, oder diese Wand stünde fest, und ich ritt gerade auf -sie zu. In einem dieser Augenblicke überraschte mich das herannahende, -dumpfe Getöse, dessen Ursache ich nicht zu erraten vermochte, noch -stärker -- es war das Rauschen des Wassers. Wir gelangten in eine tiefe -Schlucht und näherten uns einem Bergfluß, dessen Überschwemmungszeit -gerade den Höhepunkt erreicht hatte.[H] Das Getöse wuchs, das feuchte -Gras wurde dichter und höher, die Sträucher wurden seltener, der -Horizont wurde enger und enger. Von Zeit zu Zeit leuchteten auf dem -dunklen Hintergrunde der Berge an verschiedenen Stellen helle Feuer -auf und erloschen sofort wieder. - - [H] Die Ueberschwemmungszeit der Flüsse im Kaukasus ist der Juli. - -Sagen Sie mir, bitte, was sind das für Feuer? fragte ich flüsternd den -Tataren, der neben mir ritt. - -Ei, weißt du das nicht? antwortete er. - -Nein. - -Da haben die Bergleute Stroh an die Stange gebunden und werden den -Feuerbrand werfen. - -Warum denn? - -Damit jedermann wisse, der Russe ist da. Jetzt, fügte er lachend hinzu, -herrscht in den Auls Tomascha.[I] Ei, ei, alle Churda-Murda[J] wird er -in die Schlucht schleppen. - - [I] Tomascha bedeutet Unfrieden in der eigentümlichen Mundart, die - die Russen und Tataren in ihrem gegenseitigen Verkehr erfunden - haben. Diese Mundart kennt viele Worte, deren Wurzel weder aus dem - Russischen, noch aus den tatarischen Sprachen zu erklären sind. - - [J] Churda-Murda bedeutet in demselben Mundart Hab und Gut. - -Wissen sie denn in den Bergen schon, daß eine Abteilung herankommt? -fragte ich. - -Ja, wie soll er das nicht wissen, er weiß es immer, die Unseren sind -solch ein Volk! - -So rüstet sich jetzt auch Schamyl zum Kriegszug? fragte ich. - -Jok,[K] antwortete er und schüttelte den Kopf zum Zeichen der -Verneinung. Schamyl wird nicht ins Feld ziehen; Schamyl wird die -Naïbs[L] schicken und wird selbst durch ein Glas sehen, vom Berg -herunter. - - [K] Jok ist das tatarische »Nein«. - - [L] Naïbs sind Leute, welchen Schamyl irgend einen Teil der Verwaltung - anvertraut hat. - -Wohnt er weit von hier? - -Weit nicht, hier links, zehn Werst können's sein. - -Woher weißt du? ... fragte ich, warst du denn dort? - -O ja, unsere Leute sind alle in den Bergen gewesen. - -Und hast du Schamyl gesehen? - -Pah, Schamyl bekommt unsereiner nicht zu sehen. Hundert, dreihundert, -tausend Muriden[M] sind um ihn. Schamyl ist in der Mitte! sagte er mit -dem Ausdruck unterwürfigster Hochachtung. - - [M] Das Wort Muriden hat viele Bedeutungen, aber in dem Sinne, in dem - es hier gebraucht ist, bezeichnet es ein Mittelding zwischen einem - Adjutanten und einem Mitglied der Leibwache. - -Wenn man emporsah, konnte man bemerken, daß der lichter werdende Himmel -im Osten zu leuchten begann und der kleine Bär sich zum Horizont -herabsenkte; aber in der Schlucht, durch die wir zogen, war es feucht -und dunkel. - -Plötzlich flammten nicht weit vor uns in der Dunkelheit einige -Lichter auf; in diesem Augenblick schwirrten Kugeln pfeifend durch die -Luft, und mitten durch die Stille, die uns umgab, erklangen weither -Schüsse und lautes, durchdringendes Geschrei. Es war das Vorhutpikett -des Feindes. Die Tataren, die es bildeten, erhoben ein Feldgeschrei, -schossen aufs Geratewohl und stoben aneinander. - -Rings wurde es still. Der General rief den Dolmetsch heran. Ein Tatar -in weißer Tscherkeska kam auf ihn zugeritten und sprach mit ihm -flüsternd mit lebhafter Gebärde eine lange Zeit. - -Oberst Chassanow, lassen Sie die Schützenkette ausschwärmen! sagte der -General mit leiser, gedehnter, aber eindringlicher Stimme. - -Die Abteilung näherte sich dem Flusse; die schwarzen Berge, -die Schluchten blieben im Rücken; es begann Tag zu werden. Der -Himmelsbogen, an dem die blassen, matten Sterne kaum zu sehen waren, -erschien höher; die Morgenröte begann im Osten hell aufzuleuchten, ein -frischer, durchdringender Wind kam vom Westen her und ein heller Nebel -stieg wie Dampf über dem rauschenden Flusse auf. - - -VIII - -Der Führer brachte uns an eine Furth, und die Vorhut der Reiterei, ihr -nach auch der General mit seinem Gefolge, überschritt den Fluß. Das -Wasser ging den Pferden bis an die Brust. Mit außerordentlicher Kraft -stürzte es zwischen den weißen Steinen dahin, die hie und da aus der -Wasserfläche hervorschimmerten, und bildete um die Beine der Pferde -schäumende, rauschende Strudel. Die Pferde stutzten bei dem Rauschen -des Wassers, richteten die Köpfe empor, spitzten die Ohren, gingen -aber langsamen und vorsichtigen Schrittes gegen die Strömung über den -unebenen Grund. Die Reiterei zog die Beine und die Waffen in die Höhe, -die Fußsoldaten, die buchstäblich nur mit einem Hemd bekleidet waren, -hielten die Gewehre, an denen sie die Kleiderbündel befestigt hatten, -über dem Wasser, faßten sich je zwanzig Hand an Hand und kämpften mit -einer Anstrengung, die auf ihren angespannten Gesichtern ausgeprägt -war, gegen die Strömung an. Die berittenen Artilleristen trieben ihre -Pferde im Trab mit großem Geschrei in das Wasser. Die Geschütze und -die Pulverkasten, über die von Zeit zu Zeit das Wasser hinspritzte, -klirrten auf dem steinigen Boden; aber die guten Kosakenpferde zogen -wacker die Stränge, teilten die schäumende Flut und erklommen mit -feuchtem Schweif und feuchter Mähne das andere Ufer. - -Sobald der Übergang vollzogen war, lag plötzlich auf dem Antlitz des -Generals eine gewisse ernste Nachdenklichkeit, er wandte sein Pferd -und ritt im Trab mit der Reiterei über die von dem Walde umsäumte Wiese -dahin, die sich vor den Unsrigen aufthat. Berittene Kosaken-Vorposten -schwärmten am Waldesrand entlang. - -Im Walde taucht ein Mann im Tscherkessenrock und Schafspelzmütze, ein -Fußgänger, auf, ein zweiter, ein dritter ... einer von den Offizieren -sagt: »Das sind die Tataren.« Da wird auch ein leichter Rauch hinter -dem Baum sichtbar ... Ein Schuß, ein zweiter ... Unser rasches Schießen -übertönt das feindliche Feuer. Selten nur sagt uns eine Kugel, die -mit gedehntem Klang, ähnlich dem Summen der Bienen, vorüberfliegt, -daß nicht alle Schüsse von den Unsrigen kommen. Im Laufschritt ist -das Fußvolk, im Trab die Geschütze in die Schlachtlinie eingerückt; -man hört den dröhnenden Kanonendonner, den metallischen Klang der -fliegenden Kartätschen, das Zischen der Raketen, das Knattern der -Gewehre. Die Reiterei, das Fußvolk und die Geschützmannschaft tauchen -von allen Seiten auf der weiten Wiese auf. Die Rauchwölkchen der -Gewehre, der Raketen und Kanonen fließen mit dem taubedeckten Grün und -dem Nebel in eins zusammen. Oberst Chassanow sprengt an den General -heran und hält sein Pferd in vollem Ritt plötzlich an. - -Euer Excellenz! sagt er, die Hand an die Mütze gelegt, befehlen Sie, -daß die Kavallerie vorrückt? Es sind Zeichen[N] aufgetaucht ... und er -zeigt mit der Peitsche auf die berittenen Tataren, denen zwei Mann mit -roten und blauen Fähnchen an den Lanzen, auf weißen Rossen vorausreiten. - - [N] Die Zeichen haben bei den Bergvölkern beinahe die Bedeutung von - Fahnen, nur mit dem Unterschied, daß jeder Dshigit sich seine eigenen - Zeichen machen und führen kann. - -Mit Gott, Iwan Chassanow! sagt der General. - -Der Oberst wendet auf der Stelle sein Pferd, zieht seinen Säbel und -ruft: »Urrah!« - -Urrah, urrah, urrah, ... tönt es durch die Reihen, und die Reiterei -stürmt ihm nach. - -Alle schauen mit Teilnahme hin: da ist ein Zeichen, ein zweites, ein -drittes, ein viertes ... Der Feind verschwindet, ohne den Angriff -abzuwarten, im Walde und eröffnet von hier aus ein Gewehrfeuer. Die -Kugeln kommen dichter geflogen. - -_Quel charmant coup d'[oe]il!_ sagt der General, indem er seinen -dünnbeinigen Rappen auf englische Art leichte Sprünge machen läßt. - -_Charmant!_ antwortet der Major mit schnarrendem R, giebt seinem Pferd -einen Hieb mit der Gerte und reitet zu dem General heran. _C'est un -vrai plaisir, la guerre dans un aussi beau pays_, sagt er. - -_Et surtout en bonne compagnie_, fügt der General mit anmutigem Lächeln -hinzu. - -Der Major verneigte sich. - -In diesem Augenblick fliegt mit raschem, häßlichem Zischen eine -feindliche Kugel vorbei und schlägt irgendwo ein; hinter uns hört -man das Stöhnen eines Verwundeten. Dieses Stöhnen ergreift mich so -sonderbar, daß das kriegerische Bild im Augenblick all seinen Zauber -für mich verliert; aber niemand außer mir scheint das zu bemerken: der -Major lacht, wie ich glaube, aus vollem Halse; ein anderer Offizier -wiederholt vollkommen ruhig die Anfangsworte seiner Rede; der General -sieht auf die entgegengesetzte Seite hinüber und sagt mit dem ruhigsten -Lächeln etwas auf französisch. - -Befehlen Sie ihre Schüsse zu erwidern? fragt heransprengend der -Befehlshaber der Artillerie. - -Ja, jagen Sie ihnen einen Schrecken ein, sagt der General nachlässig -und raucht eine Cigarette an. - -Die Batterie formiert sich, und das Feuer beginnt. Die Erde stöhnt -unter dem Geschützdonner, ununterbrochen blitzen die Feuer auf, und ein -Rauch, durch den man kaum die hin- und hergehende Bedienungsmannschaft -der Geschütze unterscheiden kann, lagert sich vor unserem Blick. - -Der Aul wird beschossen. Wieder kommt Oberst Chassanow herangeritten -und fliegt auf Befehl des Generals nach dem Aul. Das Kriegsgeschrei -erschallt von neuem, und die Reiterei verschwindet in der Staubwolke, -die sie selbst aufwirbelt. - -Das Schauspiel war wahrhaft großartig. Eines nur störte mir, als einem -Menschen, der an dem Kampf nicht teilnahm und dem all das neu war, -den Eindruck, weil es überflüssig erschien -- diese Lebhaftigkeit, -diese Begeisterung, dies Geschrei. Unwillkürlich drängte sich mir der -Vergleich auf mit einem Menschen, der mit aller Wucht ausholt, um mit -einem Beile die Luft zu spalten. - - -IX - -Unsere Truppen hatten schon den Aul besetzt, und nicht eine Seele war -vom Feinde zurückgeblieben, als der General mit seinem Gefolge, in das -auch ich mich gemischt hatte, herangeritten kam. - -Die langen, reinlichen Hütten mit den flachen Lehmdächern und den -hübschen Schornsteinen lagen auf unebenen, steinigen Hügeln zerstreut, -zwischen denen ein kleines Flüßchen hinfloß. Auf der einen Seite -schimmerten im hellen Sonnenlicht die grünen Gärten mit den ungeheuren -Birnen- und Pflaumenbäumen; auf der andern ragten sonderbare Schatten -empor, senkrechtstehende hohe Steine eines Kirchhofs und lange hölzerne -Stangen, an deren Enden Kugeln und buntfarbige Fähnlein befestigt -waren. (Das waren die Gräber der Dshigiten.) - -Die Truppen standen in Reih und Glied vor dem Thore. - -Eine Minute später zerstreuten sich die Dragoner, Kosaken, Fußgänger -mit sichtlicher Freude durch die schiefen Gassen, und der öde Aul war -im Augenblick belebt. Da wird ein Dach niedergerissen, schlägt eine -Axt gegen das starke Holz, und die Bretterthür wird erbrochen; hier -wird ein Heuschober, ein Zaun, eine Hütte in Brand gesteckt, und dichte -Rauchwolken steigen in Säulen in die klare Luft empor. Da schleppt -ein Kosak einen Sack Mehl und einen Teppich; ein Soldat trägt mit -freudestrahlendem Gesicht aus der Hütte ein blechernes Waschbecken und -einen Fetzen Tuch heraus; ein anderer müht sich mit ausgebreiteten -Armen zwei Hennen einzufangen, die gackernd um den Zaun herumflattern; -ein dritter hat irgendwo einen ungeheuren Topf mit Milch entdeckt, er -trinkt daraus, und wirft ihn dann mit schallendem Lachen zu Boden. - -Das Bataillon, mit dem ich die Festung N. verlassen hatte, war auch -im Aul. Der Kapitän saß auf dem Dach einer Hütte und blies aus seinem -kurzen Pfeifchen die Rauchwölkchen seines *sambrotalischen* Tabaks mit -so gleichgültiger Miene in die Luft, daß ich bei seinem Anblick vergaß, -daß ich mich in einem feindlichen Aul befinde und das Gefühl hatte, als -sei ich hier völlig zu Hause. - -Ach, auch Sie hier? sagte er, als er mich bemerkte. - -Die hohe Gestalt des Leutnants Rosenkranz tauchte bald hier, bald -dort im Aul auf: er war ununterbrochen in Thätigkeit und hatte das -Aussehen eines Menschen, der von einer Sorge sehr in Anspruch genommen -ist. Ich sah, wie er mit feierlicher Miene aus einer Hütte herauskam; -ihm folgten zwei Soldaten, die einen alten Tataren gebunden führten. -Der Alte, dessen ganze Kleidung ein buntes Beschmet, das in Lumpen -herabhing, und zerfetzte Beinkleider bildeten, war so gebrechlich, -daß seine fest auf dem Rücken zusammengeschnürten knochigen Arme sich -kaum an den Schultern zu halten schienen, und seine krummen, nackten -Beine sich nur mit Mühe vorwärts bewegten. Sein Gesicht, ja sogar -ein Teil seines rasierten Kopfes war von tiefen Furchen durchzogen. -Der schiefgezogene, zahnlose Mund, den ein grauer, kurzgeschnittener -Schnurrbart und Backenbart umgab, bewegte sich unaufhörlich, als ob er -etwas kaute; aber aus den roten, wimperlosen Augen leuchtete noch das -Feuer und prägte sich deutlich des Alters Gleichgültigkeit gegen das -Leben aus. - -Rosenkranz fragte ihn mit Hilfe des Dolmetschs, warum er nicht mit den -andern geflohen sei. - -Wohin soll ich fliehen? sagte er und blickte ruhig nach der Seite. - -Wo die andern hingeflohen sind, bemerkte jemand. - -Die Dshigiten sind mit den Russen in den Kampf gezogen, aber ich bin -ein alter Mann. - -Fürchtest du dich denn nicht vor den Russen? - -Was können mir die Russen thun? Ich bin ein alter Mann, sagte er wieder -und sah teilnahmslos in dem Kreise umher, der sich um ihn gebildet -hatte. - -Als ich wieder zurückkehrte, sah ich, wie dieser alte Mann ohne Mütze -mit gebundenen Händen zitternd hinter dem Sattel eines Linienkosaken -saß und mit demselben leidenschaftslosen Ausdruck um sich sah. Er war -zum Austausch der Gefangenen unentbehrlich. - -Ich kletterte auf das Dach und ließ mich neben dem Kapitän nieder. - -Der Feind scheint nicht stark an Zahl gewesen zu sein, sagte ich zu -ihm, denn ich wollte seine Meinung hören über den eben beendeten Kampf. - -Der Feind? wiederholte er verwundert. Es hat ja gar keinen Feind -gegeben. Nennt man das etwa einen Feind? ... Abends werden Sie sehen, -wenn wir den Rückzug antreten, dann sollen Sie sehen, wie sie uns -begleiten werden: wie sie da hervorkommen werden! fügte er hinzu und -zeigte mit dem Glase nach dem Waldwege, den wir des Morgens gegangen -waren. - -Was ist dort? fragte ich beunruhigt und unterbrach den Kapitän, indem -ich auf die Don'schen Kosaken hinzeigte, die sich unweit von uns -gesammelt hatten. - -Aus ihrer Schar klang etwas wie das Weinen eines Kindes herüber und die -Worte: eh, schlagt nicht ... halt ... man könnte es sehen ... hast du -ein Messer, Ewstignjeïtsch? ... Gieb das Messer her ... - -Sie teilen etwas, die verfluchten Kerle, sagte der Kapitän ruhig. - -Aber in demselben Augenblick kam plötzlich mit glühendem, erregtem -Gesicht der hübsche Fähnrich um die Ecke gestürmt und stürzte, mit den -Armen durch die Luft fahrend, auf die Kosaken zu. - -Rührt ihn nicht an, schlagt ihn nicht! rief er mit kindlicher Stimme. - -Als die Kosaken den Offizier erblickten, gingen sie auseinander und -ließen einen weißen Ziegenbock los. Der junge Fähnrich wurde äußerst -verlegen, murmelte etwas vor sich hin und blieb mit verlegener Miene -vor ihnen stehen. Als er mich und den Kapitän auf dem Dache erblickte, -errötete er noch mehr und kam in hüpfenden Schritten zu uns heran. - -Ich glaubte, sie wollten ein Kind töten, sagte er mit schüchternem -Lächeln. - - -X - -Der General ritt mit der Reiterei voraus. Das Bataillon, mit dem ich -die Festung N. verlassen hatte, blieb in der Nachhut. Die Kompagnie des -Kapitäns Chlopow und des Leutnants Rosenkranz rückten gleichzeitig aus. - -Die Prophezeiung des Kapitäns ging vollständig in Erfüllung. Wir hatten -kaum den schmalen Waldweg betreten, von dem er gesprochen hatte, als -von beiden Seiten unaufhörlich Bergbewohner zu Pferde und zu Fuß -vorüberhuschten, und in solcher Nähe, daß ich ganz deutlich sah, wie -einige zusammengekauert, die Büchse in der Hand, von einem Baum zum -andern hinüberrannten. - -Der Kapitän entblößte sein Haupt und bekreuzte sich andächtig; -einige alte Soldaten thaten das Gleiche. Im Walde hörte man wildes -Kriegsgeschrei und die Worte: »Iaj, giaur! uruß iaj!« Knatternde kurze -Büchsenschüsse folgten einer dem andern, und die Kugeln pfiffen von -beiden Seiten. Die Unseren erwiderten schweigend im Lauffeuer. Nur -selten hörte man in ihren Reihen Bemerkungen wie die: »*Er*[O] feuert von -da, *er* hat es leicht, hinter den Bäumen versteckt, *Kanonen* müßten wir -haben ...« u. s. w. - - [O] *Er* ist ein Sammelname, unter dem die kaukasischen Soldaten den - Feind im Allgemeinen zu verstehen pflegen. - -Die Geschütze rückten in die Schlachtlinie ein. Nach einigen -Kartätschensalven schien der Feind zu ermatten, aber nach einem kurzen -Augenblick und mit jedem Schritt, den die Truppen machten, wurde das -Feuer, das Geschrei und das Kriegsgeheul wieder stärker. - -Wir hatten uns kaum 300 Faden von dem Aul zurückgezogen, als die -feindlichen Kugeln pfeifend über unsern Häuptern zu schwirren begannen. -Ich sah, wie ein Soldat von einer Kugel hingestreckt wurde ... Aber -wozu die Einzelheiten dieses schrecklichen Bildes wiedererzählen, da -ich doch selbst viel dafür gäbe, wenn ich es vergessen könnte. - -Leutnant Rosenkranz selbst schoß, ohne auch nur einen Augenblick -zu unterbrechen, aus seiner Büchse, schrie mit heiserer Stimme die -Soldaten an und sprengte im vollen Lauf von einem Flügel zum andern. Er -war ein wenig blaß, und das stand seinem kriegerischen Gesicht sehr gut. - -Der hübsche Fähnrich war entzückt. Seine schönen schwarzen Augen -strahlten vor Kühnheit, seinen Mund umspielte ein leichtes Lächeln; -immer wieder kam er zu dem Kapitän herangeritten und bat um die -Erlaubnis, mit Urrah im Sturme vorzugehen. - -Wir werfen sie zurück, sagte er mit innerer Überzeugung. Wahrhaftig, -wir werfen sie zurück. - -Nicht nötig, erwiderte der Hauptmann ruhig, wir müssen zurückgehen. - -Die Kompagnie des Kapitäns hielt den Waldesrand besetzt und erwiderte -das feindliche Feuer liegend. Der Kapitän, in seinem abgetragenen -Überrock und in seiner zerzausten Mütze, hatte seinem Paßgänger, -einem Schimmel, die Zügel hängen lassen und seine Beine in dem kurzen -Steigbügel zusammengezogen; so stand er schweigend an einer und -derselben Stelle. (Die Soldaten wußten so gut, was sie zu thun hatten, -und führten es so gut aus, daß man ihnen nicht zu befehlen brauchte.) -Von Zeit zu Zeit nur erhob er seine Stimme lauter und schrie die -an, die die Köpfe emporhoben. Die Gestalt des Kapitäns hatte wenig -Kriegerisches an sich, dafür aber lag in ihr soviel Aufrichtigkeit -und Schlichtheit, daß sie mich außerordentlich berührte. »Das heißt -wahrhaft tapfer«, sprach es unwillkürlich in mir. - -Er war *ganz so, wie ich ihn immer sah*. Dieselben sicheren Bewegungen, -dieselbe ruhige Stimme, derselbe Ausdruck von Gradheit in seinem -unschönen, aber schlichten Gesicht. Nur in dem Blick, der leuchtender -war, als gewöhnlich, konnte man an ihm die Aufmerksamkeit eines -Menschen beobachten, der ruhig seiner Sache hingegeben ist. Es sagt -sich leicht: *ganz so wie immer*; aber wie mannigfache Abstufungen habe -ich bei andern wahrnehmen können: der eine will ruhiger, der andere -ernster erscheinen, ein dritter heiterer als gewöhnlich; an dem Gesicht -des Kapitäns aber konnte man merken, daß er gar nicht begreifen konnte, -warum man etwas scheinen sollte. - -Der Franzose, der bei Waterloo sagte: »_La garde meurt, mais ne se -rend pas_« und andere, besonders französische Helden, die denkwürdige -Worte gesprochen haben, waren tapfer und haben wirklich denkwürdige -Worte gesprochen; aber zwischen ihrer Tapferkeit und der Tapferkeit des -Kapitäns ist der Unterschied, daß er, wenn sich auch ein großes Wort, -gleichviel bei welcher Gelegenheit, in der Seele meines Helden geregt -hätte, er es -- davon bin ich überzeugt -- nicht ausgesprochen hätte: -erstens, weil er gefürchtet hätte, durch das große Wort selbst, wenn -er es aussprach, das große Werk zu zerstören; zweitens, weil, wenn -ein Mensch die Kraft in sich fühlt, ein großes Werk zu vollbringen, -jedes Wort überflüssig ist. Dies ist nach meiner Meinung das besondere -und große Merkmal der russischen Tapferkeit; und wie soll demnach ein -russisches Herz nicht bluten, wenn man unter unseren jungen Kriegern -fade französische Phrasen hört, die es dem veralteten französischen -Rittertum gleich zu thun streben? ... - -Plötzlich erklang von der Seite, wo der hübsche Fähnrich mit seinem -Zuge stand, ein vereinzeltes und schwaches Urrah. Ich sah mich um bei -dem Rufe und erblickte etwa 30 Mann, die mit dem Gewehr in der Hand und -dem Sack auf dem Rücken mit Mühe und Not über ein bebautes Ackerfeld -liefen. Sie stolperten, kamen aber doch alle mit lautem Geschrei -vorwärts. Ihnen voraus sprengte mit gezücktem Säbel der junge Fähnrich. - -Alles verschwand im Walde. - -Nach einem Kriegsgeschrei und Gewehrknattern von mehreren Minuten kam -aus dem Walde ein scheues Pferd hervorgestürzt, und am Saum erschienen -Soldaten, die die Gefallenen und Verwundeten heraustrugen; unter den -Letzteren war der junge Fähnrich. Zwei Soldaten hielten ihn unter den -Arm gestützt. Er war bleich wie ein Tuch, und sein hübsches Köpfchen, -auf dem nur ein Schatten jener kriegerischen Begeisterung sichtbar war, -die es eine Minute vorher beseelt hatte, war schrecklich zwischen den -Schultern eingesunken und hing auf die Brust herab. Auf dem weißen Hemd -unter dem aufgeknöpften Rock sah man einen kleinen blutigen Fleck. - -Ach, welch ein Jammer, sagte ich unwillkürlich und wandte mich von -diesem traurigen Schauspiel ab. - -Oh ja, es ist bejammernswert, sagte der alte Soldat, der mit düsterer -Miene, den Ellbogen auf das Gewehr gestützt, neben mir stand. Er -fürchtet sich vor nichts, wie kann man nur so sein! fügte er hinzu -und blickte unverwandt zu dem Verwundeten hinüber. Er ist noch nicht -gescheit und hat es büßen müssen. - -Fürchtest du dich denn? fragte ich. - -Etwa nicht? - - -XI - -Vier Soldaten trugen den Fähnrich auf einer Tragbahre; hinter ihm -führte ein Trainsoldat ein hageres, abgetriebenes Pferd, dem zwei -grüne Kasten aufgeladen waren, in denen die Werkzeuge des Feldschers -aufbewahrt lagen. Man erwartete den Arzt. Die Offiziere kamen zu -der Tragbahre herangeritten und gaben sich Mühe, den Verwundeten zu -ermuntern, aufzurichten und zu trösten. - -Nun, Bruder Alanin, du wirst nicht so bald wieder mit den Castagnetten -tanzen können, sagte lächelnd heranreitend Leutnant Rosenkranz. - -Er glaubte wahrscheinlich, diese Worte würden den Mut des hübschen -Fähnrichs aufrichten; aber soviel man aus dem kalt-traurigen Ausdruck -des Blicks des Letzteren sehen konnte, hatten diese Worte die erwartete -Wirkung nicht. - -Auch der Kapitän kam herangeritten. Er betrachtete den Verwundeten -unverwandt, und in seinen stets gleichmütig-kühlen Zügen prägte sich -aufrichtiges Mitleid aus. - -Nun, mein teurer Anatolij Iwanytsch, sagte er mit einer Stimme, die von -so zärtlicher Teilnahme erfüllt war, wie ich es nie von ihm erwartet -hätte. Gott hat es offenbar so gewollt. - -Der Verwundete sah sich um; sein bleiches Gesicht belebte ein trauriges -Lächeln. - -Ja, ich habe Ihnen nicht gefolgt. - -Sagen Sie lieber, Gott hat es so gewollt, wiederholte der Kapitän. - -Der Arzt war gekommen, er nahm von dem Feldscher die Binden, die Sonde -und was er sonst noch brauchte, streifte die Ärmel auf und trat mit -einem ermunternden Lächeln an den Verwundeten heran. - -Nun, auch Ihnen haben sie, wie es scheint, ein Loch an einer heilen -Stelle gemacht? sagte er in scherzhaft-leichtem Ton. Zeigen Sie mal her. - -Der Fähnrich gehorchte; aber in dem Ausdruck, mit dem er den lustigen -Arzt ansah, lag Verwunderung und Vorwurf. Der Arzt bemerkte das nicht. -Er sondierte die Wunde und besah sie von allen Seiten; der Verwundete -aber wurde ungeduldig und schob die Hand des Arztes mit schwerem -Stöhnen zurück. - -Lassen Sie mich, sagte er mit kaum vernehmbarer Stimme. Es ist ganz -gleich, ich sterbe. - -Mit diesen Worten fiel er zurück, und fünf Minuten später, als ich -an die Gruppe, die sich um ihn gebildet hatte, herantrat und einen -Soldaten fragte: »Wie steht's mit dem Fähnrich?« antwortete man mir: -»Er geht hinüber.« - - -XII - -Es war schon spät, als die Abteilung, in Reih und Glied, mit -klingendem Spiel sich der Festung näherte. Die Sonne war hinter dem -schneebedeckten Bergrücken versunken und warf ihre letzten rosigen -Strahlen auf eine lange, zarte Wolke, die an dem hellen, lichten -Horizont stand. Die Schneeberge begannen sich in bläulichen Nebel zu -hüllen; nur ihre höchsten Umrisse hoben sich mit außerordentlicher -Klarheit von dem Purpurlicht des Sonnenunterganges ab. Der längst -aufgegangene, durchsichtige Mond begann das dunkle Blau mit seinem -hellen Schimmer zu beleuchten. Das Grün des Grases und der Bäume -wurde schwärzlich und bedeckte sich mit Tau. Die dunklen Heeresmassen -bewegten sich mit gleichmäßigem Laut über die duftigen Wiesen; von -allen Seiten tönten Glockenspiel, Trommel und lustige Lieder. Der -Stimmführer der sechsten Kompagnie ließ seine Stimme mit voller Kraft -erschallen, die Töne seines reinen vollen Tenors, voll Empfindung und -Kraft, erklangen weithin durch die klare Abendluft. - - - - -Der Holzschlag - -Erzählung eines Junkers - - -I - -Es war um die Mitte des Winters 185., eine Division unserer Batterie -stand im Felde in der großen Tschetschnja. Am Abend des 14. Februar -hatte ich erfahren, daß der Zug, den ich in Abwesenheit des -Offiziers kommandierte, zu der Kolonne befehligt war, die morgen zum -Waldausholzen gehen sollte. Ich hatte schon am Abend die nötigen -Befehle empfangen und weitergegeben und mich früher als gewöhnlich in -mein Zelt begeben, und da ich nicht die schlechte Gewohnheit hatte, es -mit glühenden Kohlen zu heizen, legte ich mich bekleidet, wie ich war, -auf mein Bett, das auf Pflöcken hergerichtet war, zog die Fellmütze -über die Augen, wickelte mich in meinen Pelz ein und versank in den -eigentümlichen, festen und schweren Schlaf, den man im Augenblick -der Erregung und Unruhe vor der Gefahr schläft. Die Erwartung des -Unternehmen von morgen hatte mich in diesen Zustand versetzt. - -Um drei Uhr morgens, als es noch ganz dunkel war, riß mir jemand den -warm gewordenen Schafpelz herunter, und die rötliche Farbe der Kerzen -traf meine verschlafenen Augen schmerzhaft. - -Belieben Sie aufzustehen, sagte eine Stimme. Ich schloß die Augen, -zog unbewußt den Schafpelz wieder herauf und schlief ein. Belieben -Sie aufzustehen, wiederholte Dmitrij von neuem und rüttelte mich -erbarmungslos an der Schulter, die Infanterie rückt aus. Da wurde -mir auf einmal die Wirklichkeit klar, ich schüttelte mich und sprang -auf die Beine. Schnell trank ich mein Glas Thee, wusch mich mit dem -eiskalten Wasser, kroch aus meinem Zelt und ging in den Park (der -Ort, wo die Geschütze stehen). Es war dunkel, neblig und kalt. Die -nächtlichen Wachtfeuer beleuchteten die Soldaten, die um sie herum -gelagert waren, und verstärkten die Dunkelheit durch ihren matten -Purpurschein. In der Nähe war ein gleichmäßiges ruhiges Schnarchen zu -hören, in der Ferne die Bewegungen, das Gespräch und das Waffengeklirr -des Fußvolks, das sich zum Aufbruch rüstete; es roch nach Rauch, Lunte -und Nebel; der Schauer der Morgenkühle lief mir über den Rücken und -meine Zähne schlugen unwillkürlich gegeneinander. - -Nur an dem Schnauben und von Zeit zu Zeit erklingendem Hufschlag -konnte man in dieser undurchdringlichen Dunkelheit erkennen, wo die -bespannten Protzwagen und Pulverkästen, und an den leuchtenden Punkten -der Lunten, wo die Geschütze standen. Mit den Worten: »Mit Gott!« -erklirrte das erste Geschütz, hinterdrein rasselte der Pulverkasten, -und der Zug setzte sich in Bewegung. Wir nahmen alle unsere Mützen -ab und bekreuzten uns. Als der Zug den freien Raum zwischen den -Infanterie-Abteilungen eingenommen hatte, machte er Halt und wartete -etwa eine Viertelstunde, bis die ganze Kolonne sich gesammelt und der -Befehlshaber gekommen war. - -Bei uns fehlt ein Soldat, Nikolaj Petrowitsch, sagte eine dunkle -Gestalt, die auf mich zuschritt, und die ich nur an der Stimme als den -Zugfeuerwerker Maksimow erkannte. - -Wer? - -Welentschuk fehlt. Als angespannt wurde, war er da, -- ich habe ihn -gesehen --, jetzt fehlt er. - -Da nicht anzunehmen war, daß die Kolonne sich sofort in Bewegung setzen -würde, beschlossen wir, den Liniengefreiten Antonow auszuschicken, um -Welentschuk zu suchen. Gleich darauf trabten an uns in der Dunkelheit -zwei Reiter vorüber: es war der Befehlshaber mit seinem Gefolge, und in -diesem Augenblick rührte sich die Spitze der Kolonne und setzte sich in -Bewegung, endlich auch wir; Antonow aber und Welentschuk waren nicht -da. Wir waren aber kaum hundert Schritt vorwärts gekommen, als beide -Soldaten uns einholten. - -Wo war er? fragte ich Antonow. - -Er hat im Park geschlafen! - -Wie, hat er denn einen Rausch? - -Ei, Gott bewahre. - -Warum ist er denn aber eingeschlafen? - -Das weiß ich nicht. - -Drei Stunden lang bewegten wir uns langsam ohne einen Laut durch den -Nebel über unbeackerte, schneelose Felder und niedriges Gesträuch -dahin, das unter den Rädern der Geschütze knirschte. Endlich, als -wir den flachen, aber außerordentlich reißenden Bach überschritten -hatten, wurde Halt befohlen, und in der Vorhut ertönten abgerissene -Büchsenschüsse. Diese Laute wirkten wie immer besonders erregend auf -alle. Die Abteilung schien aus dem Schlaf zu erwachen. In den Reihen -ertönte Geplauder, Bewegung und Lachen. Von den Soldaten rang der eine -mit dem Kameraden, der eine hüpfte von einem Bein auf das andere, -ein dritter kaute Zwieback oder übte zum Zeitvertreib: Präsentiert -das Gewehr, oder: Gewehr bei Fuß. Dabei begann der Nebel im Osten -sichtlich heller zu werden, die Feuchtigkeit wurde fühlbarer, und die -Gegenstände rings um uns her traten aus dem Dunkel hervor. Ich konnte -schon die grünen Lafetten und Pulverkästen unterscheiden, das von der -Nebelfeuchtigkeit bedeckte Erz der Geschütze, die bekannten, ohne -meinen Willen bis in die kleinste Einzelheit mir vertraut gewordenen -Gestalten meiner Soldaten, die braunen Pferde und die Reihen der -Infanterie mit ihren blitzenden Bajonetten, Brotsäcken, Kugelausziehern -und Kesseln auf dem Rücken. - -Bald wurde uns befohlen, vorwärts zu gehen, und nachdem wir -einige hundert Schritt ohne bestimmtes Ziel gemacht hatten, wurde -uns ein Platz angewiesen. Rechts schimmerte das steile Ufer des -schlangenartigen Flüßchens und die hohen hölzernen Säulen eines -tatarischen Kirchhofs; links und vor uns blinkte durch den Nebel ein -dunkler Streifen hindurch. Der Zug protzte ab. Die achte Kompagnie, -die uns Deckung bot, stellte die Gewehre zusammen, und ein Bataillon -Soldaten ging mit Gewehren und Äxten in den Wald. - -Es waren kaum fünf Minuten vergangen, als von allen Seiten die -Wachtfeuer zu knistern und zu qualmen begannen. Die Soldaten hatten -sich zerstreut, fachten die Feuer mit den Händen und Füßen an, -schleppten Reisig und Holz heran, und unaufhörlich schallte durch den -Wald der Klang von hundert Äxten und gefällten Bäumen. - -Die Artilleristen hatten in einem gewissen Wetteifer mit der -Infanterie ihr eigenes Wachtfeuer angezündet, und obgleich es schon in -solcher Glut loderte, daß man ihm nicht auf zwei Schritt nahe kommen -konnte, und der dichte, schwarze Rauch durch die eisbehängten Zweige -emporstieg, von welchen die Tropfen herabfielen und im Feuer zischten, -und welche die Soldaten in die Flamme hineinlegten, sich unten Kohlen -und absterbendes weißes Gras rings um das Feuer bildete, schien doch -alles den Soldaten noch zu wenig. Sie schleppten ganze Stämme heran, -legten Gras unter und fachten das Feuer immer mehr und mehr an. - -Als ich an das Wachtfeuer herantrat, um eine Cigarette anzuzünden, -holte Welentschuk, der stets eifrig war, jetzt aber in seinem -Schuldbewußtsein, sich mehr als andere beim Feuer zu schaffen machte, -in einem Anfall von Übereifer ganz aus der Mitte mit bloßer Hand eine -Kohle, indem er sie ein- und zweimal von einer Hand auf die andere und -dann auf die Erde warf. - -Zünde doch ein Reis an und reiche es hin, sagte ein anderer. - -Die Lunte, Kameraden, reicht hin, sagte ein dritter. Als ich -endlich ohne die Hilfe Welentschuks, der wieder mit den Händen eine -Kohle nehmen wollte, eine Cigarette angeraucht hatte, rieb er die -verbrannten Finger an den hinteren Schößen seines Schafpelzes und hob, -wahrscheinlich, um irgend etwas zu thun, einen großen Cedernklotz auf -und schleuderte ihn aus voller Kraft in das Feuer. Als er endlich -glaubte, ausruhen zu dürfen, ging er ganz nahe an die Glut heran, -faltete den Mantel, den er wie einen Dolman auf dem Hinterkopf trug, -aneinander, spreizte die Beine, streckte seine großen schwarzen Hände -vor, verzog leicht seinen Mund und kniff die Augen zusammen. - -Ei der Tausend! Ich habe mein Pfeifchen vergessen. Ach, das ist -schlimm, Kameraden, sagte er, nachdem er eine Weile geschwiegen hatte, -ohne sich an einen Bestimmten unter ihnen zu wenden. - - -II - -In Rußland giebt es drei hervorstechende Soldatentypen, unter die -man die Mannschaften aller Truppengattungen einordnen kann: der -kaukasischen, armenischen, der Garde, der Infanterie, der Kavallerie, -der Artillerie u. s. w. - -Diese Haupttypen, die wiederum viele Unterabteilungen und viel -Gemeinschaftliches haben, sind: - -1. die Gehorsamen, - -2. die Befehlerischen und - -3. die Tollkühnen. - -Die Gehorsamen zerfallen in a) die kaltblütig Gehorsame und b) in die -eifrig Gehorsame. - -Die Befehlerischen zerfallen in a) Schroffbefehlerische und b) -Höflichbefehlerische. - -Die Tollkühnen zerfallen in a) in die lustigen Tollkühnen und b) in die -ausschweifenden Tollkühnen. - -Der Typus, der am häufigsten vorkommt -- der liebenswürdigste, -sympathischste und meist mit den besten christlichen Tugenden, mit -Sanftmut, Frömmigkeit, Geduld und Ergebenheit in den Willen Gottes -verbundene Typus -- ist der Typus der Gehorsamen schlechtweg. Der -hervorstechende Zug des kaltblütig Gehorsamen ist die durch nichts -zu erschütternde Ruhe und Verachtung aller Schicksalsschläge, die -ihn treffen können. Das hervorstechende Merkmal des gehorsamen -Trunkenbolds ist eine stille Neigung zum Poetischen und Empfindsamkeit; -das hervorstechende Merkmal der Eifrigen -- die Beschränktheit der -Geistesgaben, verbunden mit zwecklosem Fleiß und Geschäftigkeit. - -Der Typus der Befehlerischen schlechtweg kommt vornehmlich in -den höheren Soldatenkreisen vor: bei Gefreiten, Unteroffizieren, -Feldwebeln u. s. w. und ist, in der ersten Unterabteilung der schroff -Befehlerischen, ein sehr edler, energischer, vornehmlich kriegerischer -Typus, der auch einen hohen poetischen Schwung nicht ausschließt. -(Zu diesem Typus gehörte der Gefreite Antonow, mit dem ich den Leser -bekannt machen will.) Die zweite Unterabteilung bilden die höflich -Befehlerischen, die seit einiger Zeit stark an Zahl zu wachsen -beginnen. Der höflich Befehlerische ist stets bereit, kann lesen -und schreiben, trägt ein rosa Hemd, ißt nicht aus dem gemeinsamen -Kessel, raucht zuweilen feingeriebenen Tabak, hält sich für etwas -unvergleichlich Höheres als den gewöhnlichen Soldaten und pflegt selbst -selten ein so guter Soldat zu sein, wie die Befehlerischen der ersten -Klasse. - -Der Typus der Tollkühnen ist ganz wie der Typus der Befehlshaberischen -in seiner ersten Abteilung gut: in der Abteilung der lustigen -Tollkühnen, deren unterscheidendes Merkmal eine unerschütternde -Heiterkeit, außerordentliche Fähigkeit zu allem, reiche Naturanlagen -und Kühnheit sind -- und ebenso entsetzlich schlecht in der zweiten -Abteilung: der der ausschweifenden Tollkühnen, die indessen, wie zur -Ehre des russischen Heeres gesagt werden muß, höchst selten vorkommen, -und wenn sie vorkommen, von der Soldatengemeinschaft selbst aus der -Kameradschaft ausgeschlossen werden. Unglaube und eine gewisse Kühnheit -im Laster sind die Hauptcharakterzüge dieser Abteilung. - -Welentschuk gehörte zu der Kategorie der eifrig Gehorsamen. Er war -Kleinrusse von Geburt, diente schon 15 Jahre und war ein unansehnlicher -und ungewandter Soldat, aber treuherzig, gut, außerordentlich -eifrig, wenn auch meist an unpassender Stelle, und außerordentlich -ehrenhaft. Ich sage: außerordentlich ehrenhaft, weil er im vorigen -Jahre, bei einer bestimmten Gelegenheit, höchst augenscheinlich diese -charakteristische Eigenschaft hervortreten ließ. Ich muß bemerken, daß -fast jeder von den Soldaten ein Handwerk versteht. Die verbreitetsten -Handwerke sind die Schneiderei und die Schuhmacherei. Welentschuk -selbst hatte das erstere Handwerk gelernt und, wenn man danach urteilt, -daß Michail Dorofeïtsch, der Feldwebel selbst, ihm seine eigenen -Kleider zu machen gab, einen gewissen Grad der Vollkommenheit erreicht. -Im vergangenen Jahre hatte Welentschuk im Lager einen feinen Mantel -für Michail Dorofeïtsch zu machen übernommen; aber in der Nacht, in -der er das Tuch zerschnitten und das Futter angemessen und beides im -Zelt unter sein Kopfkissen gelegt hatte, geschah ihm ein Unglück. Das -Tuch, das *sieben Rubel* kostete, war in der Nacht verloren gegangen! -Welentschuk machte dem Feldwebel, mit Thränen in den Augen, mit -zitternden, bleichen Lippen und verhaltenem Schluchzen Meldung. Michail -Dorofeïtsch wurde wütend. Im ersten Augenblick seines Zornes drohte -er dem Schneider, dann ließ er die Sache, als ein Mann von Wohlstand -und Güte, sein und forderte von Welentschuk nicht, daß er ihm den -Wert des Mantels ersetze. So eifrig auch der eifrige Welentschuk war, -soviel er auch weinte und den Leuten von seinem Unglück vorerzählte, -der Dieb war nicht zu finden. Obgleich man starken Verdacht auf einen -ausschweifenden, tollkühnen Soldaten, Tschernow, hatte, der mit ihm -in einem Zelte schlief, hatte man doch keine positiven Beweise. Der -höflichbefehlerische Michail Dorofeïtsch hatte, als ein Mann von -Wohlhabenheit, der mit dem Kapitän _d'armes_ und dem Leiter der Artel, -den Aristokraten der Batterie, Geschäfte hatte, bald den Verlust seines -Privatmantels vergessen; Welentschuk dagegen hatte sein Unglück nicht -vergessen. Die Soldaten sagten, sie hätten damals für ihn gefürchtet, -ob er nicht etwa Hand an sich legen oder in die Berge laufen werde, -- -so stark hatte dies Unglück auf ihn eingewirkt. Er trank nicht, er aß -nicht, selbst zur Arbeit war er unfähig und weinte beständig. Nach drei -Tagen kam er zu Michail Dorofeïtsch, ganz bleich, zog mit zitternder -Hand einen Gulden aus dem Ärmelaufschlag und reichte ihn ihm. Bei -Gott, es ist mein letztes, Michail Dorofeïtsch, und auch das habe ich -von Shdanow borgen müssen, sagte er und schluchzte wieder; und noch -zwei Rubel bringe ich, bei Gott, sobald ich sie verdient habe. Er (wer -»er« war, wußte Welentschuk selbst nicht) hat mich vor ihren Augen zu -einem Schurken gemacht. Er -- die giftige, gemeine Seele! -- hat seinem -Bruder und Kameraden das letzte Hemd vom Leibe genommen; fünfzehn Jahre -diene ich und ...« Zu Michail Dorofeïtschs Ehre muß ich sagen, daß er -von Welentschuk die fehlenden zwei Rubel nicht nahm, obgleich sie ihm -Welentschuk zwei Monate später brachte. - - -III - -Außer Welentschuk wärmten sich am Wachtfeuer noch fünf Mann meines -Zuges. - -An der besten Stelle, wo man gegen den Wind geschützt war, saß auf -einem Holzfäßchen der Feuerwerker des Zuges Maksimow und rauchte sein -Pfeifchen. In der Haltung, in dem Blick, in allen Bewegungen dieses -Mannes konnte man die Gewohnheit zu befehlen, und das Bewußtsein des -eignen Wertes lesen, abgesehen sogar von dem Holzfäßchen, auf dem er -saß, das in der Raststätte das Abzeichen der Macht bildete, und den -Nanking-überzogenen Pelzrock. - -Als ich herankam, wandte er mir sein Gesicht zu; seine Augen aber -blieben auf das Feuer gerichtet, und erst viel später wandte sich sein -Blick, der Richtung des Gesichts folgend, mir zu. Maksimow war ein -Einhöfer. Er besaß Vermögen, er hatte in der Lehrbrigade Unterricht -erhalten und sich Gelehrsamkeit angeeignet. Er war ungeheuer reich -und ungeheuer gelehrt, wie die Soldaten sagten. Ich erinnere mich, -wie er einmal bei einer Übung im Scheibenschießen mit dem Quadranten -den Soldaten, die sich um ihn gesammelt hatten, erklärte, daß die -Wasserwage »nichts anderes sei, als das atmosphärische Quecksilber -seine Bewegung hat«. In Wirklichkeit war Maksimow keineswegs dumm und -verstand seine Sache vortrefflich; aber er hatte die unglückselige -Eigentümlichkeit, bisweilen mit Absicht so zu sprechen, daß man ihn -unmöglich verstehen konnte, und daß er selbst, wie ich überzeugt bin, -seine eigenen Worte nicht verstand. Besonders gebrauchte er gern die -Worte: »hervorgehen« und »fortfahren« und wenn er anfing: daraus -geht hervor oder fortfahrend, dann wußte ich schon vorher, daß ich -von allem, was dann kam, nichts verstehen würde. Die Soldaten aber -hörten, wie ich bemerken konnte, sein »fortfahrend« mit Vergnügen und -vermuteten dahinter einen tiefen Sinn, obgleich sie, ganz wie ich, -kein Wort verstanden. Aber diesen Mangel des Verständnisse setzten -sie auf Rechnung ihrer eigenen Dummheit, und ihre Achtung vor Fjodor -Maksimytsch war nur um so größer. Mit einem Worte, Maksimow war einer -von den Höflichbefehlerischen. - -Der zweite Soldat, der in der Nähe des Feuers die Stiefel auf seine -sehnigen, roten Beine zog, war Antonow, der Bombardier Antonow, der -schon im Jahre 37, als er mit zwei Kameraden bei einem Geschütz ohne -Deckung zurückgeblieben war, den starken Feind abgeschlagen und mit -zwei Kugeln im Schenkel das Geschütz weiter bedient und geladen hatte. -»Er hätte längst Feuerwerker sein müssen, wenn er einen anderen -Charakter hätte,« sagten die Soldaten von ihm. Und er hatte in der -That einen sonderbaren Charakter. War er nüchtern, so gab es keinen -ruhigeren, friedlicheren und ordentlicheren Menschen, hatte er aber -getrunken, so wurde er ein ganz anderer Mensch. Er erkannte keine -Obrigkeit an, raufte sich, trieb allerlei Unfug und wurde ein ganz -unbrauchbarer Soldat. Erst vor acht Tagen hatte er in der Butterwoche -tüchtig getrunken, und trotz aller Drohungen, Mahnungen, trotzdem er -ans Geschütz gebunden wurde, hörte er nicht auf zu saufen und Unfug -zu treiben bis zum Fastenmontag. Die ganze Fastenzeit hindurch aber -nährte er sich, trotz des Befehls, daß die ganze Mannschaft keine -Fastenspeise essen solle, nur von Zwieback, nahm sogar in der ersten -Woche nicht einmal die ihm zukommende Ration Branntwein. Übrigens mußte -man diese gedrungene, eisenfeste Gestalt mit den kurzen, nach auswärts -gebogenen Beinen und der glänzenden, bärtigen Fratze sehen, wenn er -im Rausch die Balalajka in die sehnige Hand nahm, geringschätzig nach -allen Seiten umhersah und die »Herrin« zu spielen begann, oder wenn er -den Mantel, an dem die Orden baumelten, kühn umwarf und, die Hände in -die Tasche der blauen Nankinghosen gesteckt, über die Straße ging -- -man mußte den Ausdruck soldatischen Stolzes und der Geringschätzung -alles Nicht-Soldatischen sehen, der dann um seine Züge spielte, um -zu begreifen, daß es für ihn ganz unmöglich war, in einem solchen -Augenblick nicht mit einem grobwerdenden oder einfach zufällig in den -Weg kommenden Burschen, Kosaken, Infanteristen oder Kolonisten, kurz -Nicht-Artilleristen, zu raufen. Er raufte und trieb seinen Unfug nicht -so sehr zum eigenen Vergnügen als zur Aufrechterhaltung des Geistes und -des gesamten Soldatentums, als dessen Vertreter er sich fühlte. - -Der dritte Soldat, der zusammengekauert an dem Wachtfeuer saß, war -der Fahrer Tschikin. Er trug einen Ring im Ohr, hatte ein borstiges -Schnurrbärtchen, ein Vogelgesicht und hielt eine Porzellanpfeife -im Munde. Tschikin, der liebe, gute Tschikin, wie ihn die Soldaten -zu nennen pflegten, war ein *Spaßmacher*. Im furchtbarsten Frost, -im tiefsten Schmutz, zwei Tage ohne Essen auf dem Marsche, bei der -Musterung, bei der Übung, immer und überall schnitt der gute, liebe -Tschikin Gesichter, trieb mit seinen Beinen allerlei Späße und trieb -solche Scherze, daß der ganze Zug sich vor Lachen schüttelte. Auf der -Raststätte oder im Lager bildete sich um Tschikin immer ein Kreis -junger Soldaten. Er begann mit ihnen ein Kartenspiel oder erzählte -Geschichten von dem schlauen Soldaten und dem englischen Mylord, -oder er spielte einen Tataren, einen Deutschen oder er machte auch -einfach seine Bemerkungen, über die sich alle zu Tode lachen konnten. -Allerdings war sein Ruf als eines Spaßmachers in der Batterie schon so -gefestigt, daß er nur den Mund zu öffnen und mit den Augen zu blinzeln -brauchte, um ein allgemeines Gelächter hervorzurufen, aber er hatte -wirklich viel echt Komisches und Überraschendes an sich. Er verstand -in jedem Dinge etwas Besonderes zu sehen, etwas, was anderen gar nicht -in den Sinn kam, und was die Hauptsache war, diese Fähigkeit, in allem -etwas Komisches zu sehen, widerstand keiner Versuchung. - -Der vierte Soldat war ein junger, unansehnlicher Bursche, ein Rekrut -der vorjährigen Aushebung, der zum erstenmal an einem Feldzuge -teilnahm. Er stand mitten im Rauch und so nahe am Feuer, daß man -glauben konnte, sein fadenscheiniger Pelzrock müsse jeden Augenblick -Feuer fangen, trotzdem aber konnte man an seinen zurückgeschlagenen -Schößen, an seiner ruhigen, selbstzufriedenen Haltung und den -hervortretenden Waden erkennen, daß er ein großes Behagen empfand. - -Der fünfte Soldat endlich, der ein wenig entfernt von dem Wachtfeuer -saß und ein Stäbchen schnitzte, war Onkelchen Shdanow. Shdanow war an -Dienstjahren der älteste von allen Soldaten in der Batterie. Er hatte -sie alle als Rekruten gekannt, und alle nannten ihn nach einer alten -Gewohnheit Onkelchen. Er trank nie, wie die Leute sagten, er rauchte -nie, er spielte nie Karten (nicht einmal »Nase«), er brauchte nie ein -häßliches Schimpfwort. Die ganze dienstfreie Zeit beschäftigte er sich -mit Schuhmacherei. An den Feiertagen besuchte er die Kirche, wo es -möglich war, oder er stellte eine Kopekenkerze vor das Heiligenbild -und schlug den Psalter auf, das einzige Buch, in dem er lesen konnte. -Mit den Soldaten ließ er sich wenig ein. Mit denen, die im Rang höher -standen, wenn sie auch jünger an Jahren waren, war er von kühler -Ehrerbietung, mit Gleichgestellten hatte er als Nichttrinker wenig -Gelegenheit zusammenzukommen; besonders aber hatte er die Rekruten und -die jungen Soldaten gern: die nahm er stets unter seine Obhut, las -ihnen die Instruktionen vor und half ihnen häufig. Alle Leute in der -Batterie hielten ihn für einen reichen Mann, weil er 25 Rubel besaß, -die er gern einem Soldaten lieh, der wirklich in Not war. Maksimow, -derselbe Maksimow, der jetzt Feuerwerker war, erzählte mir, als er -einst vor zehn Jahren als Rekrut eingetreten war, und die alten, -trinklustigen Kameraden mit ihm sein Geld vertrunken hatten, habe -Shdanow, der seine unglückliche Lage bemerkte, ihn zu sich gerufen, -ihm einen strengen Verweis wegen seiner Aufführung erteilt, ihn sogar -geschlagen, ihm die Instruktionen vorgelesen, wie der Soldat sich zu -führen habe, dann habe er ihm ein Hemd gegeben, da Maksimow keines mehr -hatte, und einen halben Rubel, und ihn fortgeschickt. »Er hat einen -Menschen aus mir gemacht,« pflegte Maksimow stets von ihm mit Achtung -und Dankbarkeit zu sagen. Er war es auch, der Welentschuk, der sich -stets seines Schutzes erfreute, schon von der Rekrutenzeit her bei dem -Unglück wie bei dem Verluste des Mantels geholfen hatte, und so vielen -anderen während seiner 25jährigen Dienstzeit. - -Was den Dienst betrifft, so konnte man keinen Soldaten finden, der -seine Sache besser verstand, der tapferer und ordentlicher war als -er; aber er war zu ruhig und unansehnlich, um zum Feuerwerker ernannt -zu werden, obwohl er schon fünfzehn Jahre Bombardier war. Shdanows -einzige Freude, ja seine Leidenschaft, war der Gesang. Einige Lieder -besonders hatte er sehr gern, er suchte sich immer einen Kreis von -Sängern unter den jüngeren Soldaten und stand mitten unter ihnen, -obgleich er selbst nicht singen konnte, hielt die Hände in den Taschen -des Pelzrocks, kniff die Augen zusammen und drückte durch Bewegungen -des Kopfes und der Kiefern seine Teilnahme aus. Ich weiß nicht, warum -ich in dieser gleichmäßigen Bewegung der Kiefern unter dem Ohre, die -ich nur bei ihm beobachtet habe, außerordentlich viel Ausdruck fand. -Der schneeweiße Kopf, der gewichste, schwarze Schnauzbart und das -gebräunte, faltenreiche Gesicht gaben ihm auf den ersten Blick ein -strenges, rauhes Aussehen; aber sah man tiefer in seine großen runden -Augen, besonders wenn sie lachten (mit den Lippen lachte er nie), so -wurde man plötzlich durch etwas außerordentlich Mildes, fast Kindliches -überrascht. - - -IV - -Ach, da habe ich meine Pfeife vergessen. Das ist schlimm, Kameraden! -sagte Welentschuk immer wieder. - -Du solltest Cigarren rauchen, lieber Freund, begann Tschikin; dabei -verzog er den Mund und blinzelte mit den Augen -- ich rauche zu Hause -auch immer Cigarren, die schmecken süßer. - -Selbstverständlich schüttelten sich alle vor Lachen. - -Da hat er die Pfeife vergessen, fiel Maksimow ein, ohne das allgemeine -Gelächter zu beachten, und klopfte mit der Miene eines Vorgesetzten -stolz seine Pfeife auf der Fläche der linken Hand aus. Wo bist du denn -eigentlich gewesen, Welentschuk, he? - -Welentschuk kehrte sich halb zu ihm um, erhob die Hand zur Mütze, ließ -sie aber bald wieder sinken. - -Man sieht's, hast von gestern noch nicht ausgeschlafen, daß du im -Stehen einnickst. Dafür wird man euresgleichen keinen Dank sagen. - -Zerreißt mich hier auf der Stelle, Fjodor Maksimowitsch, wenn ich nur -ein Tröpfchen im Munde gehabt habe; ich weiß selbst nicht, was mit mir -geschehen ist, antwortete Welentschuk. Was hat's denn so Gutes gegeben, -daß ich mich hätte betrinken sollen? brummte er vor sich hin. - -Das ist's ja eben, da ist man für euresgleichen seinem Vorgesetzten -verantwortlich, und ihr bleibt immer dabei ... Das hat keine Art! -schloß der beredte Maksimow schon in viel ruhigerem Tone. - -Ist's nicht ein Wunder, Kameraden, fuhr Welentschuk nach einem -minutenlangen Schweigen fort, dabei kratzte er sich im Nacken und -wandte sich an niemanden insbesondere, wahrhaftig, ein Wunder ist's! -Kameraden. Sechzehn Jahre bin ich im Dienst, aber so etwas ist mir -noch nie passiert. Als es hieß zum Appell antreten, da war ich zur -Stelle, wie sich's gehört -- ganz in der Ordnung -- da plötzlich beim -Park packt es mich ... packt mich und wirft mich zu Boden, und fertig. -Und wie ich eingeschlafen bin, weiß ich nicht, Kameraden! Es muß die -Schlafsucht selbst gewesen sein, schloß er. - -Ich habe dich ja kaum wach kriegen können, sagte Antonow, während er -sich den Stiefel aufzog. Ich rüttelte und rüttelte dich ... wie ein -Stück Holz. - -Siehst du, bemerkte Welentschuk, ich muß tüchtig betrunken gewesen sein -... - -So gab's bei uns zu Hause ein Weib, begann Tschikin, die lag euch -zwei Jahre, zwei Jahre, sag' ich, auf dem Ofen. Man weckte sie -- sie -schläft, denken die Leute -- und sie liegt euch tot da; sie bekam auch -immer die Schlafsucht. Ja so, lieber Freund. - -Aber erzähl' doch, Tschikin, wie du während des Urlaubs den Ton -angegeben hast, sagte Maksimow lächelnd und sah mich an, als wollte er -sagen: »Beliebt es Ihnen nicht auch, einem dummen Menschen zuzuhören?« - -Was für einen Ton, Fjodor Maksimytsch? sagte Tschikin und warf mir -schielend einen Blick zu. Das weiß ja jeder. Ich habe erzählt, wie es -im Kaukasus aussieht. - -Nun ja, wie denn, wie denn? Verstell dich nur nicht, erzähle, wie du -sie »angeführt« hast. - -Das ist bekannt, wie ich sie angeführt habe ... Sie fragten, wie wir -leben -- begann Tschikin in überstürzter Rede mit der Miene eines -Menschen, der schon oft dasselbe erzählt hat. -- Wir leben gut, lieber -Freund, sage ich, unsern Proviant empfangen wir reichlich. Morgens und -abends kommt eine Tasse Schickolaten auf den Soldaten, zu Mittag giebt -es herrschaftliche Suppe aus Perlgraupen und statt des Branntweins -bekommt jeder ein Gläschen Modera -- Modera Divirje, der ohne Flasche -zweiundvierzig Kopeken kostet. - -Feiner Modera, fiel Welentschuk ein und schüttelte sich mehr als die -anderen vor Lachen, das nenne ich einen Modera! - -Na und was hast du von den Asiaten erzählt? fuhr Maksimow fort zu -fragen, als das allgemeine Lachen ein wenig zu verstummen begann. - -Tschikin beugte sich zu dem Feuer vor, nahm mit einem Stäbchen eine -kleine Kohle, legte sie auf sein Pfeifchen und setzte schweigend, als -bemerkte er die sprachlose Neugier, die er in seinen Hörern erregt -hatte, nicht, langsam sein Tabakstengelchen in Brand. Als er endlich -Rauch genug bekommen hatte, warf er die Kohle fort, schob seine Mütze -noch tiefer in den Nacken und fuhr mit einem Achselzucken und einem -leichten Lächeln fort: - -Sie fragen mich auch, was das da für ein kleiner Tscherkeß ist, oder, -sagt er, schlägt man bei euch im Kaukasus den Türken? Bei uns, sag' -ich, lieber Freund, giebt's nicht *einen* Tscherkessen, sondern viele. -Es giebt solche Tawlinzen, die in Felsbergen wohnen und Steine statt -Brot essen. Die sind so groß, sag' ich, wie ein tüchtiger Klotz, haben -ein Auge auf der Stirn und tragen rote Mützen, die brennen nur so, ganz -wie deine, lieber Freund! fügte er hinzu, zu einem jungen Rekruten -gewandt, der wirklich eine hochkomische Mütze mit rotem Deckel trug. - -Der junge Rekrut setzte sich bei dieser unerwarteten Ansprache -plötzlich auf die Erde, schlug sich die Knie und brach in ein solches -Lachen und Husten aus, daß er nur mit tonloser Stimme hervorbringen -konnte: »Das sind die Tawlinzen!« - -Und dann, sage ich, giebt es noch die Mumren -- fuhr Tschikin fort und -rückte mit einer Kopfbewegung seine Mütze in die Stirn, -- das sind -wieder andere, kleine Zwillinge ... Immer zu Paaren, sage ich, halten -sie sich bei den Händen und rennen, sag' ich, so wie der Wind, daß man -sie zu Pferde nicht einholen kann. -- Wie, sagt er, wie ist das bei -den Mumren, kommen sie so auf die Welt, Hand in Hand, oder wie? sagte -er mit kehlartiger Baßstimme und glaubte einem Bauern nachzuahmen. -Ja, sag' ich, lieber Freund, so ist er von Natura. Versucht nur, die -Hände auseinanderzureißen, dann kommt Blut, grad wie bei den Chinesen, -nimm ihm die Mütze ab, gleich kommt Blut. -- Aber sag' uns, Kleiner, -wie schlagen sie sich, sagt er. -- Ei so, sag' ich: Sie packen dich, -schlitzen dir den Bauch auf und wickeln sich deine Gedärme um den Arm -und wickeln und wickeln ... sie wickeln, und du lachst, bis dir die -Seele aus dem Leibe ... - -Ei wie, haben sie dir denn Glauben geschenkt? sagte Maksimow mit -leichtem Lächeln, während die anderen sich halb tot lachten. - -Das sonderbare Volk glaubt wahrhaftig alles, Fjodor Maksimytsch -- bei -Gott, sie glauben alles! ... Dann erzählte ich ihnen vom Berge Kasbek, -daß da den ganzen Sommer über der Schnee nicht schmilzt, da lachten -sie mich tüchtig aus, guter Freund! -- Was faselst du, Kleiner? Hat -man so etwas gesehen, ein großer Berg und darauf soll der Schnee nicht -schmelzen? Bei uns, Kleiner, schmilzt im Tauwetter der kleinste Hügel --- und der taut zuerst auf, und im Hohlweg bleibt der Schnee noch -liegen. -- Da hast du's! -- schloß Tschikin und blinzelte mit den Augen. - - -V - -Der leuchtende Sonnenball, dessen Strahlen durch den milchweißen Nebel -hindurchdrangen, war schon ziemlich hoch emporgestiegen; der graublaue -Horizont erweiterte sich allmählich und war, wenn auch bedeutend -weiter, aber doch ebenso scharf von der täuschenden weißen Nebelwand -begrenzt. - -Vor uns that sich jenseits des ausgeholzten Waldes ein ziemlich -weites Feld auf. Über das Feld breitete sich von allen Seiten her ein -schwarzer, dort ein milchweißer oder violetter Rauch von Wachtfeuern, -und die weißen Schichten des Nebels wogten in wunderlichen Gestalten. -Weit vorn erschienen von Zeit zu Zeit Gruppen berittener Tataren, hörte -man in Zwischenräumen die Schüsse aus unsern Stutzen, aus ihren Büchsen -und Geschützen. - -»Das war noch kein Gefecht, sondern nur ein Scherz,« wie der gute -Kapitän Chlopow sagt. - -Der Kommandeur der neunten Jägerkompagnie, der sich bei uns in der -Deckung befand, trat zu seinen Geschützen heran, zeigte auf drei -berittene Tataren, die in diesem Augenblick am Walde vorüberkamen, -mehr als sechshundert Faden von uns entfernt, und bat, nach der allen -Infanterieoffizieren eigenen Vorliebe für Artilleriefeuer, eine Kugel -oder Granate auf sie zu schleudern. - -Sehen Sie, sagte er mit einem guten und überzeugenden Lächeln und -streckte die Hand über meine Schulter, dort, wo die zwei großen -Bäume stehen, vorn ... Einer auf einem weißen Pferd und im schwarzen -Tscherkessenrock, und dort hinten noch zwei, sehen Sie, könnte man -nicht, bitte ... - -Und da reiten noch drei am Waldessaum, fügte Antonow, der sich durch -ein wunderbares Auge auszeichnete, hinzu, indem er auf uns zukam und -die Pfeife, die er gerade rauchte, hinter seinem Rücken verbarg. Der -Vordere nimmt eben seine Büchse aus dem Futteral. Man sieht's ganz -deutlich, Euer Wohl'boren! - -Ei sieh, er hat losgedrückt, Kameraden! da steigt ein weißes -Rauchwölkchen auf, sagte Welentschuk zu einer Gruppe von Soldaten, die -ein wenig hinter uns standen. - -Gewiß auf unsere Vorpostenkette, der Dreckfink, bemerkte ein anderer. - -Sieh nur, wie viele da hinter dem Walde hervorkommen! Sie besichtigen -gewiß den Ort -- wollen ein Geschütz aufstellen, fügte ein dritter -hinzu. -- Wenn man ihnen eine Granate mitten in den Haufen -hinüberschickte, die würden euch spucken ... - -Was denkst du, wird sie bis dahin tragen? fragte Tschikin. - -Fünfhundert oder fünfhundertundzwanzig Faden, mehr sind's nicht, sagte -Maksimow kaltblütig, als ob er mit sich selbst spräche, obgleich man -ihm anmerkte, daß er nicht weniger Lust hatte, loszufeuern, als die -anderen, wenn man fünfundvierzig Linien aus dem Einhorn giebt, so muß -man ganz genau treffen, d. h. ganz vollständig. - -Wissen Sie, wenn man jetzt auf dieses Häufchen zielt, so muß man -unbedingt jemanden treffen. Da, da, jetzt, wie eng sie mit den Pferden -zusammenstehen, befehlen Sie doch jetzt, so schnell als möglich zu -schießen, bat mich der Kompagniekommandeur unaufhörlich. - -Befehlen Sie das Geschütz zu richten? fragte plötzlich Antonow mit -seiner schwerfälligen Baßstimme und mit einer Miene finsteren Zornes. - -Ich gestehe, ich hatte selbst große Lust dazu, und ich befahl, das -zweite Geschütz zu richten. - -Kaum hatte ich das Wort ausgesprochen, so war auch schon die Granate -mit Pulver bestreut und eingeführt, und Antonow kommandierte schon, an -die Lafettenwand gelehnt und seine dicken Finger auf das Hinterteil des -Geschützes stützend: Protzstock rechts und links. - -Ein ganz klein wenig nach links ... Eine Spur nach rechts ... noch, -noch ein wenig ... So ist's recht, sagte er und trat mit stolzer Miene -von dem Geschütz zurück. - -Der Infanterieoffizier, ich und Maksimow legten uns einer nach dem -andern an das Visir, und jeder sprach seine abweichende Meinung aus. - -Bei Gott, es trägt hinüber, bemerkte Welentschuk und schnalzte mit -der Zunge, obgleich er nur über Antonows Schulter hinweggeblickt und -daher gar keinen Grund hatte, das anzunehmen. Bei Gott, sie trägt -schnurstracks hinüber, in den Baum dort muß sie einschlagen, Kameraden! - -Zweites Geschütz, kommandierte ich. - -Die Bedienungsmannschaft trat auseinander. Antonow lief nach der Seite, -um den Flug des Geschosses zu verfolgen; das Zündrohr flammte auf, -das Erz erdröhnte. In diesem Augenblick hüllte uns Pulverdampf ein, -und von den erschütternden, dumpfen Tönen des Schusses löste sich der -metallische, summende Klang der mit Blitzesschnelle dahinfliegenden -Kugel, der inmitten des gemeinen Schweigens in der Ferne erstarb. - -Ein wenig hinter der Gruppe der Reiter wurde ein weißer Rauch sichtbar, -die Tataren sprengten nach allen Seiten aneinander und der Klang der -krepierten Granate klang zu uns herüber. - -Das war schön! Wie sie fortmachen! Die Teufelskerle, das haben -sie nicht gern! ließen sich Beifall und Scherze in den Reihen der -Artilleristen und der Infanteristen hören. - -Hätte man's ein bißchen niedriger gerichtet, so hätte sie ganz genau -getroffen, bemerkte Welentschuk. Ich habe gesagt, es trifft den Baum, -und so war's auch -- nach rechts ist sie gegangen. - - -VI - -Ich verließ die Soldaten, während sie darüber sprachen, wie die Tataren -davongesprengt waren, als sie die Granate erblickt, und weshalb sie -hier herumritten, und ob wohl ihrer viele im Walde wären, ging mit -dem Kompagnieführer wenige Schritte davon, setzte mich unter einen -Baum, und erwartete die aufgewärmten Klopse, die er mir angeboten -hatte. Der Kompagnieführer Bolchow war einer von den Offizieren, -die man im Regiment die »Bonjours« nannte. Er besaß Vermögen, hatte -früher in der Garde gedient und sprach französisch. Aber trotzdem -hatten ihn die Kameraden gern. Er war recht gescheit und besaß Takt -genug, um einen Petersburger Rock zu tragen, gut zu Mittag zu speisen -und französisch zu sprechen, ohne das Offizierskorps übermäßig zu -beleidigen. Wir sprachen über das Wetter, über die Kriegsereignisse und -die gemeinsamen Bekannten unter den Offizieren und gewannen aus den -Fragen und Antworten und aus der Auffassung der Dinge die Überzeugung, -daß wir in unseren Ansichten ziemlich übereinstimmten, und so gingen -wir unwillkürlich zu einem vertraulicheren Gespräch über. Im Kaukasus -pflegt, wenn Menschen einer Gesellschaftsklasse sich begegnen, wenn -auch unausgesprochen, so doch ziemlich klar, die Frage aufzutauchen: -weshalb sind Sie hier? und auf diese meine unausgesprochene Frage -schien mein Genosse die Antwort geben zu wollen. - -Wann wird dieser Feldzug ein Ende nehmen! sagte er träge -- langweilig! - -Ich langweile mich nicht, sagte ich. Im Stabe ist's ja noch -langweiliger. - -Ach, im Stabe ist es zehntausendmal schlimmer, sagte er wütend. Aber -nein, wann wird das alles ein Ende nehmen? - -Aber was soll denn, nach Ihrer Meinung, ein Ende nehmen? fragte ich. - -Alles, ganz und gar! ... He, Nikolajew, sind die Klopse fertig? fragte -er. - -Warum haben Sie eigentlich im Kaukasus Dienste gesucht, sagte ich, wenn -Ihnen hier so wenig gefällt? - -Wissen Sie warum? antwortete er mit entschlossener Offenheit, weil es -so hergebracht ist. In Rußland giebt es doch eine besondere Tradition -vom Kaukasus, als sei hier das gelobte Land für unglückliche Menschen -jeder Art. - -Ja, das hat etwas Wahres, sagte ich, die meisten von uns ... - -Was aber das Beste ist, unterbrach er mich, wir alle, die wir dieser -Tradition gemäß nach dem Kaukasus gehen, verrechnen uns entsetzlich, -und ich kann ganz und gar nicht einsehen, warum wir nach einer -unglücklichen Liebe oder bei zerrütteten Verhältnissen lieber in -den Kaukasus gehen, um Dienste zu nehmen, als nach Kasanj oder nach -Kaluga. In Rußland stellt man sich den Kaukasus als etwas Erhabenes -vor, mit ewig jungfräulichen Gletschern, mit reißenden Strömen, mit -Dolchen, Filzmänteln, Tscherkessenmädchen -- alles das hat etwas -Grauenerregendes, in Wirklichkeit aber liegt darin nichts Lustiges. -Wenn sie wenigstens wüßten, daß wir nie zu dem jungfräulichen Eise -gelangen, ja, daß es gar kein Vergnügen ist, dahin zu kommen, und daß -der Kaukasus in Provinzen geteilt ist: in Stawropol, in Tiflis u. s. w. -... - -Ja, sagte ich lachend, wir sehen in Rußland den Kaukasus mit ganz -anderen Augen an als hier. Haben Sie das schon einmal an sich erfahren? -Wenn man Verse liest in einer Sprache, die man nicht gut versteht, -stellt man sie sich viel hübscher vor, als sie sind. - -Ich weiß wahrhaftig nicht. Aber mir mißfällt der Kaukasus im höchsten -Grade, unterbrach er mich. - -Oh nein, der Kaukasus ist für mich auch jetzt schön, nur in anderem -Sinne. - -Er mag vielleicht auch schön sein, fuhr er mit einer gewissen -Gereiztheit fort. Ich weiß nur, daß ich mir im Kaukasus nicht gefalle. - -Aber warum das? sagte ich, um doch etwas zu sagen. - -Nun, erstens, weil *er* mich getäuscht hat. Alles das, wovon ich -Heilung hoffte im Kaukasus nach der Tradition, alles hat mich hierher -begleitet, nur mit dem Unterschied, daß all dies früher auf der großen -Vordertreppe war und jetzt auf einer kleinen, schmutzigen Hintertreppe -ist, auf deren einzelnen Stufen ich Millionen kleiner Aufregungen, -Gemeinheiten, Kränkungen finde; zweitens, weil ich fühle, wie ich mit -jedem Tage moralisch sinke, tiefer und tiefer, und vor allem, weil -ich mich für den Dienst in diesem Lande unfähig fühle: ich kann keine -Gefahren ertragen -- kurz, ich bin nicht tapfer ... - -Obgleich dies unerbetene Bekenntnis mich außerordentlich in Erstaunen -setzte, widersprach ich nicht, wie mein Genosse offenbar wünschte, -sondern erwartete von ihm selbst die Widerlegung seiner Worte, wie das -immer in solchen Fällen zu sein pflegt. - -Sie müssen wissen, ich bin bei dem jetzigen Feldzuge zum erstenmal -im Feuer, fuhr er fort, und Sie können sich nicht vorstellen, was -mir gestern begegnet ist. Als der Feldwebel den Befehl brachte, daß -meine Kompagnie für die Abteilung bestimmt sei, wurde ich bleich wie -Leinewand und konnte vor Erregung kein Wort hervorbringen. Und wüßten -Sie, wie ich die Nacht zugebracht habe! Wenn es wahr ist, daß Menschen -vor Angst grau werden, so müßte ich heute ganz weiß sein, denn -sicherlich hat noch kein zum Tode Verurteilter in einer Nacht so viel -gelitten, wie ich; sogar jetzt fühle ich noch etwas hier drinnen, wenn -mir auch ein wenig leichter ist, als heute Nacht! fügte er hinzu und -bewegte die Faust vor seiner Brust hin und her. Das Lächerlichste ist, -fuhr er fort, daß sich hier das schrecklichste Drama abspielt, und man -selbst Klopse mit Lauch ißt und sich einredet, es sei sehr lustig ... -Giebt's Wein, Nikolajew? fügte er gähnend hinzu. - -Das ist *er*, Kameraden, erklang in diesem Augenblick die erregte -Stimme eines Soldaten. Alle Augen richteten sich auf den Saum des -fernen Waldes. - -Eine bläuliche Rauchwolke erhob sich vom Winde getrieben in der Ferne -und wurde größer und größer. Als ich begriffen hatte, daß es ein Schuß -des Feindes gewesen, nahm plötzlich alles, was in diesem Augenblick -vor meinen Augen stand, einen neuen, erhabenen Charakter an. Die -zusammengestellten Gewehre, der Rauch der Wachtfeuer, der blaue Himmel, -die grünen Geschützgestelle, Nikolajews verbranntes Gesicht mit dem -großen Schnauzbart -- all dies schien mir zu sagen, daß die Kugel, die -schon aus dem Rauch herausgeflogen war und in diesem Augenblick in der -freien Luft schwebte, vielleicht geradewegs auf meine Brust gerichtet -sein könnte. - -Wo haben Sie den Wein hergenommen? fragte ich Bolchow nachlässig, -während im Innersten meiner Seele zwei Stimmen gleich vernehmlich -sprachen: die eine »Herr, nimm meine Seele in Frieden auf«, die -andere »Ich hoffe mich nicht zu bücken, sondern zu lächeln, wenn die -Kugel vorüberkommt«, -- und in diesem Augenblick pfiff etwas wirklich -Unangenehmes über unsere Köpfe hin, und zwei Schritt von uns schlug die -Kugel ein. - -Sehen Sie, wenn ich Napoleon oder Friedrich wäre, sagte Bolchow in -diesem Augenblick und wandte sich vollkommen kaltblütig zu mir, hätte -ich unbedingt irgend eine Liebenswürdigkeit gesagt. - -Sie haben sie ja auch jetzt gesagt, antwortete ich und konnte nur -mit Mühe die Unruhe verbergen, die die überstandene Gefahr in mir -hervorgerufen hatte. - -Nun ja, gesagt schon, aber niederschreiben wird es niemand. - -So werde ich es niederschreiben. - -Wenn Sie es auch niederschreiben, so geschieht es doch nur zur Kritik, -wie Mischtschenkow sagt, fügte er lächelnd hinzu. - -Pfui, du Verfluchte! sagte in diesem Augenblick hinter uns Antonow und -spie ärgerlich zur Seite aus, um ein Haar hätte sie meine Beine gepackt. - -Alle meine Bemühungen, kaltblütig zu erscheinen und alle unsere -künstlichen Phrasen erschienen mir plötzlich unerträglich dumm nach -diesem gutherzigen Ausruf. - - -VII - -Der Feind hatte wirklich zwei Geschütze an der Stelle aufgepflanzt, -wo die Tataren patrouilliert hatten, und gab alle 20 oder 30 Minuten -Schüsse auf unsere Holzfäller ab. Mein Zug wurde nach der Wiese -vorausgeschickt und erhielt den Befehl, das Feuer zu erwidern. Am -Waldessaum stieg leichter Rauch auf, man hörte einen Schuß, ein -Pfeifen, und eine Kugel fiel hinter uns oder vor uns nieder. Die -feindlichen Geschosse fielen glücklich, und wir hatten keinen Verlust. - -Die Artilleristen hielten sich, wie immer, vortrefflich: sie luden -rasch, richteten sorgfältig nach dem aufsteigenden Rauch und scherzten -ruhig untereinander. Die Infanteriedeckung lag in schweigsamer -Unthätigkeit in unserer Nähe und wartete, bis sie an die Reihe kam. - -Die Holzfäller machten ihre Arbeit: die Äxte erklangen schneller und -häufiger im Walde, nur in dem Augenblick, wo sich das Pfeifen eines -Geschosses hören ließ, verstummte plötzlich alles, und durch die -Totenstille erklangen ein wenig erregte Stimmen: »Bückt euch, Kinder!« --- und alle Augen richteten sich auf die Kugel, die an die Wachtfeuer -und an die abgehauenen Äste anschlug. - -Der Nebel hatte sich ganz gehoben, nahm immer mehr die Gestalt von -Wolken an und verschwand allmählich in dem tiefdunklen Blau des -Himmels; die hervortretende Sonne leuchtete hell und warf ihren -heiteren Schimmer auf den Stahl der Bajonette, das Erz der Geschütze, -auf die auftauchende Erde und den glänzenden Reif. In der Luft -fühlte man die Frische des Morgenfrostes zugleich mit der Wärme der -Frühlingssonne; tausend verschiedene Schatten und Farben flossen in -dem trockenen Laub der Bäume zusammen, und auf den ausgefahrenen, -glänzenden Wegen wurden die Spuren der Räder und der Hufeisendornen -deutlich sichtbar. - -Die Bewegung unter den Truppen wurde immer stärker und deutlicher. -Von allen Seiten sah man immer häufiger die bläulichen Rauchwolken -der Schüsse. Die Dragoner mit den flatternden Fähnlein an den Lanzen -ritten an der Spitze; in den Reihen der Infanterie ertönten Lieder, -und der Wagenzug mit dem Holz formierte sich in der Nachhut. Da kam zu -unserem Zuge der General herangeritten und befahl, sich zum Rückzuge -zu rüsten. Der Feind hatte sich in den Gebüschen unserem linken Flügel -gegenüber festgesetzt und begann uns durch ein Gewehrfeuer stark zu -beunruhigen. Von links aus dem Walde her kam eine Kugel vorübergesaust -und schlug in das Geschützgestell, dann eine zweite, eine dritte ... -die Infanteriedeckung, die in unserer Nähe lag, sprang lärmend auf die -Beine, griff zu den Gewehren und nahm Stellung in der Vorpostenkette. -Das Gewehrfeuer wurde stärker, die Kugeln kamen häufiger geflogen. -Der Rückzug begann, folglich auch das eigentliche Gefecht, wie es im -Kaukasus immer zu sein pflegt. - -Aus allem konnte man erkennen, daß den Artilleristen die Gewehrkugeln -unbehaglicher waren, als vorhin den Infanteristen die Kanonen. Antonow -machte ein verdrießliches Gesicht. Tschikin äffte das Summen der Kugeln -nach und trieb seinen Spaß mit ihnen; aber man sah wohl, daß sie ihm -nicht behagten. Bei einer sagte er: »Wie eilig sie's hat,« eine andere -nannte er »Bienchen«, eine dritte, die mit einem seltsam trägen und -klagenden Laut über uns hinflog, nannte er eine »Waise« und rief damit -allgemeines Gelächter hervor. - -Der junge Rekrut bog, da er es noch nicht gewohnt war, bei jeder -Kugel den Kopf beiseite und reckte den Hals, und auch das rief bei -den Soldaten Gelächter hervor. »Wie, ist das eine Bekannte von -dir, daß du sie grüßest?« sagten sie zu ihm. Auch Welentschuk, der -immer außerordentlich gleichmütig war in Gefahren, befand sich -jetzt in erregtem Zustand: es kränkte ihn offenbar, daß wir nicht -mit Kartätschen nach der Richtung schossen, wo die Gewehrkugeln -hergeflogen kamen. Er wiederholte mehrere Male mit verdrießlicher -Stimme: »Soll *er* uns so ungestraft schlagen? Wenn man dorthin ein -Geschütz richten wollte und eine Kartätsche hinüberblasen, dann würde -er schon stumm werden.« - -In der That, es war Zeit, das zu thun: ich gab Befehl, die letzte -Granate zu werfen und Kartätschen zu laden. - -Kartätschen! rief Antonow und trat munter im Rauch mit dem Stückputzer -an das Geschütz heran, kaum daß die Ladung heraus war. - -In diesem Augenblick hörte ich ein wenig hinter mir den raschen -summenden Laut einer Gewehrkugel, der plötzlich mit einem trockenen -Schlag abriß. Mein Herz krampfte sich zusammen. »Es scheint jemand -von den Unsrigen getroffen zu haben,« dachte ich, scheute mich -indessen zurückzublicken, unter dem Eindruck einer beängstigenden -Ahnung. Wirklich hörte man nach diesem Laut das schwere Fallen eines -Körpers und »oh--oh oh oh--oi!« -- das herzzerreißende Stöhnen eines -Verwundeten. »Getroffen, Kameraden!« sagte mühsam eine Stimme, die -ich erkannte. Es war Welentschuk. Er lag auf dem Rücken zwischen dem -Protzkasten und dem Geschütz. Der Ranzen, den er getragen hatte, war -nach der Seite geschleudert. Seine Stirn war ganz blutig, und über das -rechte Auge und die Nase floß ein dichter roter Strom. Er hatte eine -Wunde im Leibe, aber es war fast kein Blut daran; die Stirn hatte er -sich beim Fallen an einen Baumstumpf zerschlagen. - -Alles das ward mir viel später erst klar; im ersten Augenblick sah ich -nur eine deutliche Masse und, wie mir schien, furchtbar viel Blut. - -Keiner von den Soldaten, die das Geschütz geladen hatten, sprach ein -Wort. Nur der junge Rekrut brummte etwas vor sich hin wie: »Sieh mal -dieses Blut,« und Antonow ächzte mit düsterer Miene ärgerlich; aber -an allem war zu erkennen, daß der Gedanke an den Tod allen durch die -Seele zog. Alle gingen mit noch größerer Geschäftigkeit ans Werk. Das -Geschütz war in einem Augenblick geladen, und der Wagenführer, der die -Kartätschen brachte, ging zwei, drei Schritte um die Stelle herum, an -der der Verwundete lag und fort und fort stöhnte. - - -VIII - -Jeder, der einmal in einer Schlacht gewesen ist, hat gewiß das -seltsame, wenn auch nicht logische und doch starke Gefühl des Abscheus -vor einer Stelle empfunden, an der ein Mensch getötet oder verwundet -wurde. Diesem Gefühl erlagen sichtlich im ersten Augenblick meine -Soldaten, als es galt, Welentschuk aufzuheben und ihn auf den Wagen -zu laden, der herangekommen war. Tschikin näherte sich ärgerlich dem -Verwundeten, faßte ihn, ohne auf sein stärker werdendes Geschrei zu -achten, unter der Achsel und hob ihn auf. -- »Was steht ihr da, greift -an,« schrie er, und schnell umringten den Verwundeten an die zehn Mann, -Helfer, die kaum noch nötig waren. Aber sie hatten ihn kaum von der -Stelle gebracht, als Welentschuk entsetzlich zu schreien und um sich zu -schlagen begann. - -Was schreist du wie ein Hase? sagte Antonow und packte ihn derb am -Bein, willst du nicht, lassen wir dich liegen. - -Und der Verwundete verstummte wirklich und sagte nur von Zeit zu Zeit: -»Ach, das ist mein Tod! Ah -- ach Kameraden!« - -Als sie ihn aber auf den Wagen gelegt hatten, hörte er sogar auf zu -ächzen, und ich hörte, daß er mit leiser, aber deutlicher Stimme zu den -Kameraden sprach -- wahrscheinlich nahm er Abschied von ihnen. - -Im Gefecht sieht niemand gern einen Verwundeten, und instinktiv -beeilte ich mich, von diesem Schauspiel fortzukommen, befahl, ihn -so schnell als möglich auf den Verbandplatz zu bringen, und ging zu -den Geschützen; nach einigen Minuten aber sagte man mir, Welentschuk -wünsche mich zu sprechen, und ich ging auf den Wagen zu. - -Der Verwundete lag auf dem Boden des Wagens und hielt sich mit beiden -Händen am Rand. Sein gesundes, breites Gesicht hatte sich in wenigen -Sekunden vollständig verändert. Es war, als ob er abgemagert und um -einige Jahre älter geworden wäre; seine Lippen waren dünn, blaß und mit -sichtbarer Anstrengung zusammengepreßt; an die Stelle des unstäten und -stumpfen Ausdrucks seiner Augen war ein heller, ruhiger Glanz getreten, -und auf der blutbefleckten Stirn und Nase lagen schon die Züge des -Todes. - -Obgleich ihm auch die kleinste Bewegung unbeschreibliche Schmerzen -verursachte, bat er, man möchte von seinem linken Bein sein -Geldtscheres[P] abnehmen. - - [P] Tscheres ist ein Beutelchen in der Form eines kleinen Gürtels, den - die Soldaten gewöhnlich unterhalb des Knies tragen. - -Ein entsetzlich niederdrückendes Gefühl rief der Anblick seines -nackten, weißen und gesunden Beines in mir hervor, als man ihm den -Stiefel abzog und den Tscheres losband. - -Drei Moneten sind drin und ein halber Rubel, sagte er mir in dem -Augenblick, wo ich den Tscheres in die Hand nahm. Sie werden schon so -gut sein, sie aufzubewahren. - -Der Wagen hatte sich in Bewegung gesetzt, aber er ließ ihn halten. - -Ich habe dem Leutnant Sulimowskij einen Mantel gearbeitet, und Sie -haben mir zwei Moneten gegeben. Für anderthalb habe ich Knöpfe gekauft, -und den halben Rubel habe ich im Beutel liegen mitsamt den Knöpfen. -Geben Sie sie zurück. - -Schön, schön, sagte ich, werde nur gesund, Kamerad. - -Er antwortete mir nicht, der Wagen setzte sich in Bewegung, und er -begann wieder mit entsetzlichster, herzzerreißender Stimme zu stöhnen -und zu ächzen. Als hätte er nun, nachdem die weltlichen Dinge geordnet -waren, keine Ursache mehr, sich zu überwinden, hielt er jetzt diese -Erleichterung, die er sich schaffte, für erlaubt. - - -IX - -Ei, wohin? ... Zurück! Wo willst du hin? rief ich den Rekruten an, der -seine Reservelunte unter den Arm genommen hatte und mit einem Stöckchen -in der Hand mit größter Kaltblütigkeit dem Wagen folgte, auf dem der -Verwundete fortgeführt wurde. - -Der Rekrut aber warf mir nur einen trägen Blick zu, brummte etwas -vor sich hin und ging weiter, so daß ich einen Soldaten hinschicken -mußte, um ihn zurückzubringen. Er nahm sein rotes Mützchen ab, lächelte -tölpelhaft und sah mich an. - -Wo hast du hinwollen? fragte ich. - -Ins Lager. - -Warum das? - -Wie? ... Welentschuk ist verwundet, sagte er wieder lächelnd. - -Was geht das dich an? Du hast hierzubleiben. - -Er sah mich erstaunt an, dann drehte er sich kaltblütig um, setzte -seine Mütze auf und ging auf seinen Platz. - - [Illustration: Gedankenwechsel] - -Der Kampf war im allgemeinen ein glücklicher. Die Kosaken hatten, -wie es hieß, einen vortrefflichen Angriff gemacht und drei Tataren -eingebracht; die Infanterie hatte sich mit Holz versorgt und zählte im -ganzen sechs Verwundete; bei der Artillerie war der Mannschaft nur der -eine, Welentschuk, und zwei Pferde verloren gegangen. Dafür hatte man -etwa drei Werst Waldes ausgeholzt und den Platz so gesäubert, daß man -ihn nicht wieder erkannte; an der Stelle des dichten Waldsaums, den man -früher dort gesehen hatte, öffnete sich eine ungeheure Wiesenfläche, -bedeckt von rauchenden Wachtfeuern, von Kavallerie und Infanterie, die -sich auf das Lager zu bewegte. Obgleich der Feind nicht aufhörte, uns -mit Geschütz- und Gewehrfeuer zu verfolgen, bis an das Flüßchen und den -Kirchhof, den wir des Morgens durchschritten hatten, vollzog sich der -Rückzug glücklich. Meine Gedanken waren schon bei der Kohlsuppe und der -Hammelrippe mit Grütze, die meiner im Lager harrten, als die Nachricht -kam, der General habe befohlen, am Flüßchen eine Schanze aufzuschütten -und bis morgen das dritte Bataillon des K.-Regiments und den Zug der -vierten Batterie dort lagern zu lassen. Die Wagen mit dem Holz und den -Verwundeten, die Kosaken, die Artillerie, das Fußvolk mit den Gewehren -und dem Holz über den Schultern -- alles zog mit Lärmen und Gesang an -uns vorüber. Auf allen Gesichtern lag Begeisterung und Freude, wie -sie die überstandene Gefahr und die Erwartung der Ruhe hervorgerufen -hatten. Nur wir und das dritte Bataillon mußten auf diese angenehmen -Gefühle noch bis morgen warten. - - -X - -Während wir, die Artilleristen, um die Geschütze beschäftigt waren, -während wir die Protzkasten, die Pulverkasten aufstellten und den -Pferden die Fußstricke lösten, hatte die Infanterie schon die Gewehre -zusammengestellt, die Wachtfeuer hergerichtet, aus Ästen und Maisstroh -Hütten gebaut und angefangen die Grütze zu kochen. - -Es begann zu dämmern. Am Himmel zogen blauweiße Wolken hin. Die -Dunkelheit hatte sich in einen feinen feuchten Nebel verwandelt und -netzte den Boden und die Mäntel der Soldaten; der Gesichtskreis wurde -enger, und die ganze Umgegend hüllte sich in düstere Schatten. Die -Feuchtigkeit, die ich durch die Stiefel hindurch und im Nacken fühlte, -die ununterbrochene Bewegung und das nie verstummende Gespräch, an -dem ich keinen Anteil nahm, der lehmige Boden, auf dem meine Füße -ausglitten und der leere Magen brachten mich in die drückendste, -unangenehmste Stimmung, nach einem Tage physischer und moralischer -Ermattung. Welentschuk wollte mir nicht aus dem Sinn. Die ganze -einfache Geschichte eines Soldatenlebens drängte sich unabweislich -meiner Phantasie auf. - -Seine letzten Augenblicke waren ebenso klar und ruhig gewesen wie -sein ganzes Leben. Er hatte zu ehrlich und einfach gelebt, als daß -sein einfältiger Glaube an ein zukünftiges, himmlisches Dasein in dem -entscheidenden Augenblicke hätte schwanken können. - -Grüß Gott, sagte Nikolajew, indem er auf mich zutrat, wollen Sie sich -gefälligst zum Kapitän bemühen, er bittet Sie, mit ihm Thee zu trinken. - -Ich drängte mich, so gut es ging, zwischen den zusammengestellten -Gewehren und Wachtfeuern hindurch, ging, Nikolajew folgend, zu Bolchow -und dachte mit Vergnügen an das Glas heißen Thees und an die fröhliche -Unterhaltung, die meine düsteren Gedanken vertreiben würden. - -Gefunden? ertönte Bolchows Stimme aus der Maishütte, in der ein -Flämmchen schimmerte. - -Ich habe ihn hergebracht, Euer Wohlgeboren, antwortete Nikolajew in -tiefem Baß. - -Bolchow saß im Zelt auf einem trockenen Filzmantel mit aufgeknöpftem -Rock und ohne seine Pelzmütze. Neben ihm brodelte ein Ssamowar und -stand eine Trommel mit allerlei Imbiß. In dem Fußboden steckte ein -Bajonett mit einem Licht. - -Wie? sagte er mit Stolz und ließ seinen Blick über seinen gemütlichen -Haushalt schweifen. In der That war es in dem Zelt so hübsch, daß -ich beim Thee der Feuchtigkeit, der Dunkelheit und des verwundeten -Welentschuk ganz vergaß. Wir kamen in ein Gespräch über Moskau, über -Dinge, die in gar keiner Beziehung zum Kriege und zum Kaukasus standen. - -Nach einem jener Augenblicke des Schweigens, die bisweilen selbst die -belebtesten Unterhaltungen unterbrechen, sah mich Bolchow lächelnd an. - -Ich muß glauben, unser Gespräch von heute morgen ist Ihnen sehr -sonderbar vorgekommen? sagte er. - -Oh nein, warum das? Es schien mir nur, als seien Sie allzu offenherzig. -Es giebt eben Dinge, die wir alle wissen, von denen man aber nie -sprechen darf. - -Warum nicht? Wenn es irgend eine Möglichkeit gäbe, dieses Leben selbst -mit dem abgeschmacktesten und ärmlichsten Leben, nur ohne Gefahr und -ohne den Dienst, zu vertauschen, ich würde mir's keinen Augenblick -überlegen. - -Warum gehen Sie nicht nach Rußland? sagte ich. - -Warum? wiederholte er. O, wie lange habe ich schon daran gedacht. -Ich kann jetzt nicht eher nach Rußland zurück, als bis ich den -Wladimirorden, den Annenorden um den Hals und den Majorsrang bekommen, -wie ich es erwartete, als ich herging. - -Warum aber, wenn Sie sich, wie Sie sagen, für den hiesigen Dienst -untauglich fühlen? - -Wenn ich mich aber noch weniger fähig fühlte, nach Rußland so -zurückzukehren, wie ich hergekommen bin? Das ist auch eine von den -Überlieferungen, die in Rußland von Mund zu Mund gehen, denen Passek, -Sljepzow und Andere Dauer gegeben haben, daß man nur nach dem Kaukasus -zu gehen braucht, um mit Belohnungen überschüttet zu werden. Und von -uns erwarten und verlangen das alle; und ich bin nun zwei Jahre hier, -habe zwei Expeditionen mitgemacht und habe nichts bekommen. Aber ich -besitze doch soviel Eigenliebe, daß ich um keinen Preis von hier -fortgehe, ehe ich Major bin, den Wladimir- und den Annenorden um den -Hals bekomme. Ich habe mich schon so in diesen Gedanken hineingelebt, -daß es mich wurmt, wenn Gnilokischkin eine Auszeichnung bekommt, und -ich nicht. Und dann, wie soll ich in Rußland meinem Starosten, dem -Kaufmann Kotjelnikow, dem ich mein Getreide verkaufe, meiner Tante -in Moskau und all den Herren vor die Augen treten, wenn ich nach -zweijährigem Dienste im Kaukasus ohne jede Auszeichnung zurückkomme? -Freilich mag ich von diesen Herrschaften nichts wissen, und sie werden -sich gewiß auch sehr wenig um mich kümmern; aber der Mensch ist nun -einmal so beschaffen, daß ich von ihnen nichts wissen mag, und doch um -ihretwillen meine schönsten Jahre vergeude, all mein Lebensglück, all -meine Zukunft zerstöre. - - -XI - -In diesem Augenblick klang von draußen die Stimme des -Bataillonskommandeurs herein: - -Mit wem plaudern Sie, Nikolaj Fjodorowitsch? - -Bolchow nannte meinen Namen, und gleich darauf kamen drei Offiziere -in die Hütte gekrochen: der Major Kirssanow, der Adjutant seines -Bataillons und der Kompagniekommandeur Trossenko. - -Kirssanow war ein kleiner, wohlbeleibter Mann mit einem kleinen -Schnurrbart, roten Wangen und verschwommenen kleinen Augen. Diese -kleinen Augen waren der hervorstechendste Zug in seiner Physiognomie. -Wenn er lachte, so sah man nur zwei feuchte, glänzende Sternchen, und -diese Sternchen nahmen zugleich mit den gespannten Lippen und dem -langgereckten Halse einen höchst sonderbaren Ausdruck von Blödigkeit -an. Kirssanow hatte im Regiment die beste Aufführung und Haltung. -Die Untergebenen schalten ihn nicht, die Vorgesetzten achteten ihn, -obgleich die allgemeine Meinung über ihn war, er sei nicht weit her. Er -verstand seinen Dienst, war pünktlich und eifrig, war immer bei Gelde, -besaß eine Kalesche und einen Koch und verstand auf sehr natürliche -Weise den Stolzen zu spielen. - -Wovon sprechen Sie, Nikolaj Fjodorowitsch? sagte er beim Eintreten. - -Wir sprechen von den Annehmlichkeiten des hiesigen Dienstes. - -Aber in diesem Augenblick hatte Kirssanow mich -- einen Junker -- -bemerkt, darum fragte er, um mich seine Bedeutung fühlen zu lassen, -als hätte er Bolchows Antwort nicht gehört, mit einem Blicke auf die -Trommel: - -Wie, sind Sie müde, Nikolaj Fjodorowitsch? - -Nein, wir waren ja ... wollte Bolchow beginnen. - -Aber die Würde des Bataillonskommandeurs erforderte wahrscheinlich, daß -er wieder unterbreche und eine neue Frage stellte: - -Es war doch ein prächtiges Gefecht heute? - -Der Bataillonsadjutant war ein junger Fähnrich, der vor kurzem -noch Junker gewesen war, ein bescheidener und stiller junger Mann -mit einem verschämten und gutmütig freundlichen Gesicht. Ich hatte -ihn früher schon bei Bolchow gesehen. Der junge Mann besuchte ihn -häufig, er machte seine Verbeugung, setzte sich in die Ecke, schwieg -stundenlang, drehte sich Cigaretten und rauchte sie, dann erhob er -sich wieder, verbeugte sich und ging. Es war der Typus eines armen, -russischen jungen Edelmanns, der die militärische Laufbahn als -die einzige seiner Bildung entsprechende gewählt hatte und seinen -Offiziersberuf höher stellte als alles in der Welt -- ein gutmütiger -und liebenswürdiger Typus, trotz der von ihm unzertrennlichen -lächerlichen Eigentümlichkeiten: des Tabaksbeutels, des Schlafrocks, -der Guitarre, des Schnurrbartbürstchens, ohne die wir uns ihn nicht -vorstellen können. Im Regiment erzählte man von ihm, er prahle damit, -daß er gegen seinen Burschen gerecht, aber streng sei. -- »Ich strafe -selten, pflegte er zu sagen, aber wenn's dazu kommt, dann wehe.« Und -als sein betrunkener Bursche ihm einmal alles gestohlen hatte und noch -seinen Herrn zu schimpfen begonnen, habe er ihn auf die Hauptwache -gebracht und Befehl gegeben, alles zu seiner Bestrafung vorzubereiten, -sei aber bei dem Anblick der Vorbereitungen so verlegen geworden, daß -er nur die Worte hervorbringen konnte: »Na, siehst du ... ich könnte -doch ...« dann sei er ganz fassungslos nach Hause gerannt, und scheue -sich von dieser Stunde an, seinem Tschernow in die Augen zu sehen. Die -Kameraden ließen ihm keine Ruhe und neckten ihn damit, und ich habe -oftmals gehört, wie der gute Junge sich verteidigte und, bis über die -Ohren errötend, versicherte, das gerade Gegenteil sei wahr. - -Die dritte Person, Kapitän Trossenko, war ein alter Kaukasier in -der ganzen Bedeutung dieses Wortes, d. h. ein Mensch, für den die -Kompagnie, die er kommandierte, zur Familie, die Festung, in der der -Stab lag, zur Heimat und die Spielleute zur einzigen Freude seines -Lebens geworden sind -- ein Mensch, für den alles, was nicht der -Kaukasus ist, unbeachtenswert, ja kaum glaubwürdig ist; alles aber, -was Kaukasus war, zerfiel in zwei Hälften, unsere und nicht unsere: -die eine liebte er, die andere haßte er mit aller Kraft seiner Seele, -und was die Hauptsache war, er war ein Mensch von erprobter, ruhiger -Tapferkeit, von seltener Güte im Umgang mit seinen Kameraden und -Untergebenen und von verzweifelter Gradheit, ja sogar Keckheit im -Verkehr mit den ihm aus irgend einem Grunde verhaßten Adjutanten und -Bonjours. Als er in die Hütte trat, stieß er beinahe mit dem Kopf das -Dach durch, dann ließ er sich schnell nieder und setzte sich auf die -Erde. - -Nun, wie? sagte er; da bemerkte er plötzlich mein ihm unbekanntes -Gesicht, stockte und heftete seinen trüben Blick unverwandt auf mich. - -Worüber also haben Sie geplaudert? fragte der Major, zog seine Uhr und -sah nach ihr, obgleich er, wie ich fest überzeugt bin, gar nicht das -Bedürfnis hatte, das zu thun. - -Ja, er hat mich gefragt, weshalb ich hier diene ... - -Selbstverständlich will sich Nikolaj Fjodorowitsch hier auszeichnen, -und dann geht's nach Haus. - -Und Sie, Abram Iljitsch, sagen Sie mir, weshalb dienen Sie im Kaukasus? - -Ich, wissen Sie, weil wir erstens alle die Pflicht haben zu dienen. Hm? -fügte er hinzu, obgleich alle schwiegen. -- Gestern bekam ich einen -Brief aus Rußland, fuhr er fort. Er hatte offenbar den Wunsch, den -Gesprächsgegenstand zu wechseln. Man schreibt mir ... man stellt mir so -sonderbare Fragen. - -Was für Fragen denn? fragte Bolchow. - -Er lachte. - -Wahrhaftig, sonderbare Fragen ... Man schreibt mir, ob es Eifersucht -geben kann ohne Liebe? ... Hm? fragte er und ließ seine Blicke über uns -hinschweifen. - -Ei was, sagte Bolchow lächelnd. - -In Rußland, müssen Sie wissen, da ist es schön, fuhr er fort, als ob -seine Phrasen ganz natürlich eine aus der anderen folgten. -- Als ich -im Jahre 52 in Tambow war, wurde ich überall wie ein Flügeladjutant -aufgenommen. Wollen Sie mir glauben, auf dem Ball beim Gouverneur, -wie ich eintrat, wissen Sie ... ich wurde sehr gut aufgenommen. Die -Frau Gouverneurin selber, müssen Sie wissen, unterhielt sich mit mir -und fragte mich aus über den Kaukasus und alle ... was ich nicht -alles wußte! ... Meinen goldenen Säbel besah man, wie eine Rarität, -dann fragte man mich: wofür ich den Säbel bekommen habe, wofür den -Annen-, wofür den Wladimirorden, -- und ich erzählte ihnen alles -Mögliche ... Hm? ... Sehen Sie, das ist das Schöne am Kaukasus, Nikolaj -Fjodorowitsch, fuhr er fort, ohne eine Antwort abzuwarten. Dort sieht -man uns Kaukasier hoch an. Ein junger Mann, müssen Sie wissen, der -Stabsoffizier ist, der den Annen- und Wladimirorden hat -- das will -viel heißen in Rußland ... Hm? - -Und Sie haben auch ein bißchen aufgeschnitten, meine ich, Abram -Iljitsch? sagte Bolchow. - -Hi--hi--hi, lachte er mit seinem dummen Lachen. Ja wissen Sie, das -gehört dazu. Und wie vortrefflich habe ich die zwei Monate gegessen und -getrunken. - -Ei was, schön ist's dort in Rußland? sagte Trossenko; er fragte nach -Rußland, wie man nach China oder Japan fragt. - -Das will ich meinen, was wir dort in zwei Monaten Champagner getrunken -haben, furchtbar! - -Was Sie sagen! Sie haben gewiß Limonade getrunken. Ich würde schon -loslegen, damit die Leute wüßten, wie die Kaukasier trinken! Ich würde -den Ruf schon wahr machen. Ich würde zeigen, wie man trinkt ... Was, -Bolchow? fügte er hinzu. - -Du bist ja doch schon zehn Jahre im Kaukasus, Onkelchen, sagte Bolchow, -denkst du noch, was Jermolow gesagt hat? ... Abram Iljitsch aber ist -erst sechs ... - -Warum nicht gar! zehn? ... Es werden bald sechzehn. - -Laß doch Salvai bringen, Bolchow, es ist feucht, brr ... Was? fügte er -lächelnd hinzu. Wir trinken, Major! - -Der Major aber war schon das erste Mal, als der alte Kapitän sich an -ihn wandte, ärgerlich gewesen. Jetzt wurde er sichtlich böse und suchte -in seiner eignen Würde Zuflucht. Er summte ein Liedchen vor sich hin -und sah wieder nach der Uhr. - -Ich komme sowieso niemals wieder hin, fuhr Trossenko fort, ohne dem -schmollenden Major Aufmerksamkeit zu schenken. Ich hab's verlernt, -russisch zu gehen und zu sprechen. Was für ein Wundertier ist da -gekommen? werden die Leute sagen. Asien wird es heißen. Nicht wahr, -Nikolaj Fjodorowitsch? Was sollte ich auch in Rußland? Mir ist's -gleich, einmal wird man doch totgeschossen. Dann werden die Leute -fragen: Wo ist Trossenko? Totgeschossen. Was werden Sie dann mit der -achten Kompagnie anfangen, he? fügte er hinzu, immer zu dem Major -gewandt. - -Man schicke den Dienstthuenden vom Bataillon! schrie Kirssanow, ohne -dem Kapitän zu antworten, obwohl er, wie ich auch diesmal überzeugt -war, gar nicht nötig hatte, irgend einen Befehl zu erteilen. - -Und Sie, junger Mann, meine ich, sind jetzt froh, daß Sie doppeltes -Gehalt haben? sagte der Major nach einigen Minuten des Schweigens zu -dem Bataillonsadjutanten. - -Gewiß, sehr. - -Ich finde, unser Gehalt ist jetzt sehr groß, Nikolaj Fjodorowitsch, -fuhr er fort. Ein junger Mann kann dabei sehr anständig leben und sich -sogar manchen Luxus gestatten. - -Nein, wahrhaftig, Abram Iljitsch, sagte schüchtern der Adjutant, wenn's -auch das Doppelte ist, es ist doch nur so ... man muß doch ein Pferd -halten ... - -Was sagen Sie mir da, junger Mann! Ich war selbst Fähnrich und weiß -das. Glauben Sie, wenn man haushälterisch lebt, geht's sehr gut. Lassen -Sie uns rechnen, fügte er hinzu und bog den kleinen Finger der linken -Hand ein. - -Wir nehmen das Gehalt immer voraus, da haben Sie die Rechnung! sagte -Trossenko und leerte dabei ein Glas Schnaps. - -Nun, was wollen Sie damit sagen ... wie? - -In diesem Augenblick schob sich ein weißer Kopf mit einer -plattgedrückten Nase durch die Öffnung der Hütte, und eine scharfe -Stimme sagte mit deutscher Betonung: - -Sind Sie da, Abram Iljitsch? Der Dienstthuende sucht Sie. - -Treten Sie ein, Kraft! sagte Bolchow. - -Eine lange Gestalt in Generalstabsuniform kam durch die Thür gekrochen -und drückte allen mit besonderer Herzlichkeit die Hand. - -Ei, lieber Kapitän, auch Sie hier? sagte er zu Trossenko gewandt. - -Der neue Gast kroch trotz der Dunkelheit zu ihm hin und küßte ihn, wie -mir schien, zu seiner größten Verwunderung und Unzufriedenheit, auf den -Mund. - -»Das ist ein Deutscher, der ein guter Kamerad sein will,« dachte ich. - - -XII - -Meine Vermutung bestätigte sich bald. Kapitän Kraft bat um Schnaps, -nannte ihn »Branntwein«, krächzte furchtbar und warf den Kopf zurück, -während er das Glas leerte. - -Nun, meine Herren, was sind wir heute in den Ebnen der Tschetschnja -herumkutschiert ... hatte er eben begonnen; als er aber den -dienstthuenden Offizier erblickte, wurde er sofort still und ließ den -Major erst seine Befehle geben. - -Haben Sie die Vorpostenkette besichtigt? - -Zu Befehl, Herr Major. - -Sind die gedeckten Posten ausgesandt? - -Zu Befehl, Herr Major. - -So geben Sie dem Kompagniekommandeur den Befehl, so vorsichtig als -möglich zu sein. - -Zu Befehl, Herr Major. - -Der Major kniff die Augen zusammen und versank in ein tiefes Nachsinnen. - -Und sagen Sie den Leuten, daß sie jetzt ihre Grütze kochen können. - -Sie kochen sie schon. - -Schön, Sie können gehen. - -Nun, wir waren dabei, zu berechnen, was ein Offizier braucht, fuhr -der Major fort und wandte sich mit einem leutseligen Lächeln zu uns. -Rechnen wir. - -Sie brauchen einen Waffenrock und eine Hose, richtig? - -Richtig, nehmen wir an: fünfzig Rubel auf zwei Jahre, im Jahr also -fünfundzwanzig Rubel für die Kleidung; dann kommt Essen, täglich zwei -Abas ... richtig? - -Richtig, das ist sogar viel. - -Nun, ich will es ansetzen ... Dann kommt das Pferd mit Sattel zur -Remonte 30 Rubel -- das ist alles. Das macht im ganzen 25 und 120 und -30 = 175, bleibt Ihnen immer noch für Luxusausgaben, für Thee und -Zucker, für Tabak 20 Rubel. -- Sehen Sie nun? ... Habe ich recht, -Nikolaj Fjodorowitsch? - -Nein, Abram Iljitsch, verzeihen Sie! sagte schüchtern der Adjutant. -Nichts bleibt für Thee und Zucker übrig. Sie setzen ein Paar auf zwei -Jahre an. Aber hier auf unseren Kriegszügen kann man ja gar nicht genug -Beinkleider haben ... Und Stiefel? ... Ich brauche ja fast jeden Monat -ein Paar auf. Dann erst Wäsche, Hemden, Handtücher, Fußlappen, das muß -man doch alles bezahlen. Und wenn man's zusammenrechnet, bleibt nichts -übrig. Das ist bei Gott so, Abram Iljitsch. - -Ja, Fußlappen sind ein vorzügliches Tragen, sagte plötzlich Kraft -nach einer minutenlangen Pause, und sprach das Wort »Fußlappen« mit -besonders liebevollem Ton. Sehen Sie, das ist einfach, russisch. - -Ich will Ihnen was sagen, bemerkte Trossenko. Rechnen Sie, wie Sie -wollen, es kommt immer darauf hinaus, daß unsereiner die Zähne in den -Kasten legen muß. In Wirklichkeit aber leben wir alle, trinken unseren -Thee, rauchen unseren Tabak und trinken unseren Schnaps. Dient so -lange wie ich, fuhr er fort, an den Fähnrich gewandt, dann lernt Ihr -auch, wie man leben muß. Wissen Sie denn, meine Herren, wie er mit dem -Burschen umgeht? - -Und Trossenko erzählte uns die ganze Geschichte von dem Fähnrich und -seinem Burschen, obgleich wir sie alle schon tausendmal gehört hatten, -und lachte sich halb tot dabei. - -Warum schaust du denn wie eine Rose aus, Bruderherz? fuhr er fort zum -Fähnrich gewandt, der ganz rot geworden war und schwitzte und lächelte, -daß es ein Erbarmen war, ihn anzusehen. -- Thut nichts, Bruderherz, ich -war ebenso wie du, und jetzt siehst du, was ich für ein Kerl geworden -bin. Laß doch mal so einen Jüngling aus Rußland herkommen -- wir haben -ja viele gesehen -- Krämpfe kriegt er und Reißen; ich aber habe mich -hier eingesessen -- ich habe hier mein Häuschen, mein Bett, alles. -Siehst du ... - -Dabei trank er noch ein Gläschen Schnaps. - -He? fügte er hinzu und sah Kraft unverwandt in die Augen. - -Sehen Sie, das acht' ich hoch! Das ist ein echter, alter Kaukasier! -Geben Sie mir Ihre Hand! - -Und Kraft stieß uns alle fort, drängte sich zu Trossenko durch, ergriff -seine Hand und schüttelte sie mit besonderer Liebe. - -Ja, wir können sagen, wir haben hier alles kennen gelernt, fuhr er -fort. -- Im Jahre 45 ... Sie waren ja auch dabei, Kapitän? Denken Sie -noch, die Nacht vom 12. auf den 13., wie wir bis an die Knie im Schmutz -Nachtlager hielten, und den Tag darauf die Verschanzung stürmten? Ich -war damals beim Höchstkommandierenden, und wir nahmen an einem Tage 15 -Schanzen. Erinnern Sie sich noch, Kapitän? - -Trossenko machte mit dem Kopf ein Zeichen der Zustimmung, streckte die -Unterlippe vor und kniff die Augen zusammen. - -Sehen Sie doch ... begann Kraft mit ungewöhnlicher Lebhaftigkeit zum -Major gewandt und machte mit den Händen ungeschickte Bewegungen ... - -Der Major aber, der diese Erzählung wohl schon öfter gehört hatte, sah -plötzlich seinen Nachbar mit so matten, stumpfen Augen an, daß Kraft -sich von ihm abwandte und sich mir zukehrte, indem er abwechselnd -bald den einen, bald den anderen von uns ansah. Trossenko aber sah er -während der ganzen Erzählung nicht mit einem Blicke an. - -Sehen Sie also, wie wir des Morgens auszogen, sagt der -Höchstkommandierende zu mir: »Kraft, nimm diese Schanze.« Sie wissen, -wie's im Dienst ist, da giebt's keine Erörterungen -- Hand an die -Mütze: »Zu Befehl, Euer Erlaucht!« und marsch! Wie wir zu der ersten -Schanze kamen, wandte ich mich um und sagte zu den Soldaten: »Kinder, -ohne Furcht, Augen offen! Wer zurückbleibt, den haue ich mit eigner -Hand in Stücke.« Mit dem russischen Soldaten, wissen Sie, muß man -geradezu reden. Plötzlich kommt eine Granate ... Ich sehe -- ein Mann, -ein zweiter, ein dritter ... Dann kommen Gewehrkugeln ... sch, sch, -sch! ... »Vorwärts, Kinder, sage ich, mir nach!« Wie wir herangekommen -waren, wissen Sie, und hinsehen, bemerke ich, wie nennt man das ... -wissen Sie ... wie heißt das? -- und der Erzähler fuchtelte mit den -Händen durch die Luft und suchte nach dem Wort. - -Ein Graben, sagte Bolchow vor. - -Nein, ach, wie heißt es doch? Du lieber Gott, wie heißt es doch? ... -Ein Graben! sagte er schnell. Also ... Gewehr in die Balance ... urra! -ta--ra--ta--ta--ta! Keine Spur vom Feind ... Wissen Sie, alles war -überrascht. Also ... schön. Wir gehen weiter -- zweite Schanze. Das -war ein ganz ander Ding. Uns war schon das Herz heiß geworden, wissen -Sie. Wir kommen heran, schauen, ich sehe -- eine zweite Schanze: weiter -geht's nicht. Da -- wie nennt man das -- nun wie heißt das ... Ach! wie -... - -Wieder ein Graben, sagte ich vor. - -Keineswegs, fuhr er beherzt fort, kein Graben, sondern ... Nun Gott, -wie heißt denn das? -- und er machte mit der Hand eine linkische -Bewegung. -- Ach, du lieber Gott, wie ... - -Er quälte sich offenbar so sehr, daß man unwillkürlich den Wunsch -hatte, ihm vorzusagen. - -Ein Fluß vielleicht? sagte Bolchow. - -Nein, einfach ein Graben. Aber kaum sind wir da, wollen Sie's glauben, -geht ein solches Feuer los, ein Höllenfeuer ... - -In diesem Augenblick fragte draußen jemand nach mir. Es war Maksimow. -Und da mir, nachdem ich die abwechselungsreiche Geschichte von den zwei -Schanzen gehört hatte, noch dreizehn geblieben waren, war ich froh, -diese Gelegenheit ergreifen zu können, um zu meinem Zuge zurückzugehen. -Trossenko ging mit mir zusammen hinaus. - -Alles erlogen, sagte er mir, als wir einige Schritte von der Hütte -entfernt waren. Er ist gar nicht auf den Schanzen gewesen ... -- Und -Trossenko lachte so herzlich, daß auch mich das Lachen überkam. - - -XIII - -Es war schon dunkle Nacht, und nur die Wachtfeuer beleuchteten mit -mattem Schein das Lager, als ich, nach der Stallzeit, zu meinen -Soldaten herankam. Ein großer Baumstamm lag glimmend auf den Kohlen. Um -ihn herum saßen drei Mann: Antonow, der über dem Feuer einen kleinen -Kessel drehte, in dem aufgeweichter Zwieback mit Fett kochte, Shdanow, -der nachdenklich mit einem Zweige die Asche aufscharrte, und Tschikin -mit seinem ewig feuerlosen Pfeifchen. Die anderen hatten sich schon zur -Ruhe gelagert: die einen unter dem Pulverkasten, die anderen auf Heu, -noch andere um die Wachtfeuer herum. Bei dem matten Lichte der Kohlen -unterschied ich die mir bekannten Rücken, Füße und Köpfe; unter den -letzten war auch der kleine Rekrut, er lag dicht am Feuer und schien -schon zu schlafen. Antonow machte mir Platz. Ich setzte mich neben ihn -und rauchte eine Cigarette an. Der Geruch des Nebels und des qualmenden -feuchten Holzes erfüllte ringsum die Luft und biß in die Augen, und -noch immer tröpfelte feuchter Nebel von dem tiefdunklen Himmel. - -Neben uns hörten wir das gleichmäßige Schnarchen, das Knistern der -Reiser im Feuer, flüchtiges Gespräch und von Zeit zu Zeit das Klirren -der Gewehre der Infanterie. Ringsumher loderten die Wachtfeuer und -beleuchteten im nahen Umkreis die schwarzen Schatten der Soldaten. Bei -den nächstgelegenen Wachtfeuern unterschied ich an hellbeleuchteten -Stellen die Gestalten nackter Soldaten, die ihre Hemden über der Flamme -hin- und herschwenkten. Viele von den Leuten schliefen noch nicht und -bewegten sich in einem Umkreis von fünfzehn Quadratfaden plaudernd hin -und her; aber die düstere, dumpfe Nacht gab dieser ganzen Bewegung -ihren eignen, geheimnisvollen Klang, als fühlte jeder die düstere -Stille und scheute sich, ihre friedliche Harmonie anzutasten. Wenn -ich ein Wort sprach, fühlte ich, daß meine Stimme anders klinge. In -den Gesichtern der Soldaten, die um das Feuer herumlagen, las ich -dieselbe Stimmung. Ich dachte, sie hätten bis zu meiner Ankunft von -dem verwundeten Kameraden gesprochen; aber keineswegs. Tschikin hatte -von dem Eintreffen seiner Sachen in Tiflis und von den Schulknaben der -Stadt erzählt. - -Ich habe immer und überall, besonders im Kaukasus, bei unseren Soldaten -einen besonderen Takt beobachtet -- in der Zeit der Gefahr alles zu -unterdrücken und zu vermeiden, was unvorteilhaft auf den Geist der -Kameraden einwirken könnte. Der Geist des russischen Soldaten beruht -nicht, wie die Tapferkeit der südlichen Völker, auf einer schnell -entflammten und erkaltenden Begeisterung: er ist ebenso schwer zu -entflammen, wie geneigt den Mut sinken zu lassen. Er bedarf keiner -Effekte, keiner Reden, keines Kriegsgeschreis, keiner Lieder und -Trommelwirbel; er bedarf vielmehr der Ruhe, der Ordnung, der Vermeidung -alles Erkünstelten. Bei dem russischen, bei dem echt russischen -Soldaten wird man nie Prahlerei, Bravour, den Wunsch, sich im -Augenblick der Gefahr zu betäuben, zu erregen wahrnehmen. Im Gegenteil. -Bescheidenheit, Schlichtheit und die Fähigkeit, in der Gefahr etwas -ganz anderes zu sehen als die Gefahr, bilden die unterscheidenden -Merkmale seines Charakters. Ich habe einen Soldaten gesehen, der am -Bein verwundet war und dem im ersten Augenblick nur der zerfetzte neue -Pelz leid that; einen Reiter, der unter dem Pferde hervorkroch, das ihm -unter dem Leibe erschossen worden war, und der den Gurt abschnallte, -um den Sattel herunterzunehmen. Wer erinnert sich nicht des Vorfalls -bei der Belagerung von Gergebel, wo im Laboratorium das Zündrohr einer -gefüllten Bombe Feuer fing, und der Feuerwerker zwei Soldaten befahl, -die Bombe zu ergreifen, mit ihr davonzurennen und sie in den Graben zu -werfen, und die Soldaten sie nicht in nächster Nähe bei dem Zelt des -Obersten niederwarfen, das am Rande des Grabens stand, sondern weiter -forttrugen, um die Herren nicht zu wecken, die im Zelte schliefen, und -beide in Stücke zerrissen wurden? Ich erinnere mich noch, es war im -Feldzuge 1852, wie einer der jungen Soldaten zu einem anderen während -des Kampfes sagte, der Zug würde wohl kaum hier wieder fortkommen, und -wie der ganze Zug wütend über ihn herfiel wegen der dummen Redensarten, -die sie nicht einmal wiederholen wollten. Und so hörten jetzt, wo jedem -Welentschuk hätte im Sinne liegen müssen, und wo jeden Augenblick die -heranschleichenden Tataren auf uns hätten feuern können, alle der -lebendigen Erzählung Tschikins zu, und niemand gedachte mit einem -Worte des heutigen Gefechts, noch der bevorstehenden Gefahr, noch des -Verwundeten. Als ob das weiß Gott wie lange hinter uns läge, oder -gar nie gewesen wäre. Mir aber schien es, als wären ihre Gesichter -nur finsterer als gewöhnlich. Sie hörten nicht allzu aufmerksam auf -Tschikins Erzählung hin, und Tschikin fühlte sogar, daß man ihm nicht -zuhörte, sprach aber immer ruhig weiter. - -Da trat Maksimow an das Wachtfeuer heran und setzte sich neben mir -nieder. Tschikin machte ihm Platz, hörte auf zu sprechen und begann -wieder sein Pfeifchen zu schmauchen. - -Die Infanteristen haben nach Schnaps ins Lager geschickt, sagte -Maksimow nach ziemlich langem Schweigen, sie sind eben zurückgekommen. --- Er spie ins Feuer. -- Ein Unteroffizier hat erzählt, sie haben -unsern Verwundeten gesehen. - -Wie, lebt er noch? fragte Antonow und drehte das Kesselchen herum. - -Nein, er ist tot. - -Der junge Rekrut erhob plötzlich seinen kleinen Kopf mit dem roten -Mützchen über das Feuer empor, sah einen Augenblick Maksimow und mich -aufmerksam an, dann ließ er ihn schnell sinken und hüllte sich in -seinen Mantel. - -Siehst du, nicht umsonst ist der Tod heut früh zu ihm gekommen, wie ich -ihn im Park wecken wollte, sagte Antonow. - -Leeres Geschwätz, sagte Shdanow und drehte den glimmenden Baumstamm um; -alle verstummten. - -Mitten durch die allgemeine Stille ertönte hinter uns im Lager ein -Schuß. Unsere Trommler meldeten sich und schlugen den Zapfenstreich. -Als der letzte Wirbel verklungen war, erhob sich zuerst Shdanow und zog -seine Mütze. Wir alle folgten seinem Beispiel. - -Durch die tiefe Stille der Nacht erklang der harmonische Chor der -Männerstimmen: - -»Vater unser, der du bist im Himmel, geheiliget sei dein Name, zu uns -komme dein Reich, dein Wille geschehe wie im Himmel also auch auf -Erden; unser täglich Brot gieb uns heut, und vergieb uns unsere Schuld, -wie wir vergeben unsern Schuldigern; führe uns nicht in Versuchung und -erlöse uns von dem Übel.« - -So ist auch einer von uns im Jahre 45 an derselben Stelle verwundet -worden ... sagte Antonow, als wir die Mütze aufgesetzt und uns wieder -um das Feuer gelagert hatten. Zwei Tage haben wir ihn auf dem Geschütz -herumgefahren, weißt du noch, Shdanow, den Schewtschenko? Dann haben -wir ihn unter einem Baum niedergelassen. - -In diesem Augenblick kam ein Gemeiner von der Infanterie mit mächtigem -Backen- und Schnauzbart, mit Gewehr und Lanze auf unser Wachtfeuer zu. - -Gebt mir doch Feuer, Landsleute, das Pfeifchen anzurauchen, sagte er. - -Ei nun, rauchen Sie's nur an, an Feuer fehlt's nicht, bemerkte -Tschikin. - -Ihr sprecht gewiß von Dargi, Landsmann, wandte sich der Infanterist an -Antonow. - -Vom Jahre 45, von Dargi, antwortete Antonow. - -Der Infanterist schüttelte den Kopf, kniff die Augen zusammen und -hockte neben uns nieder. - -Ja, da ging es hoch her! bemerkte er. - -Warum aber habt ihr ihn liegen lassen? fragte ihn Antonow. - -Er hatte furchtbare Schmerzen im Leib. Wenn wir stille standen, ging's, -wenn wir uns aber vom Fleck rührten, da schrie er furchtbar auf. Er -beschwor uns bei Gott, wir sollten ihn liegen lassen, aber es war doch -ein Jammer. Na, als *er* uns dann auf den Leib rückte, drei von unserer -Geschützmannschaft tötete, und wir unsere Batterie mit Mühe hielten ... -'s war eine Not, wir glaubten kaum mit dem Geschütz davonzukommen. Es -war ein Schmutz. - -Das Schlimmste war, daß es am Fuß des Indierbergs schmutzig war, -bemerkte einer der Soldaten. - -Ja, da wurde ihm auch noch viel schlimmer! Anoschenka, -- es war ein -alter Feuerwerker -- Anoschenka und ich dachten: was sollen wir thun, -leben kann er nicht, und beschwört uns bei Gott -- lassen wir ihn also -hier liegen. Und so thaten wir auch. Ein Baum wuchs da mit großen -breiten Ästen. Wir nahmen ihn, legten ihm geweichten Zwieback hin -- -Shdanow hatte welche mit -- lehnten ihn an den Baum, zogen ihm ein -reines Hemd an, nahmen Abschied von ihm, wie sich's gehört, und ließen -ihn so liegen. - -Und war's ein tüchtiger Soldat? - -Je nun, ein guter Soldat, bemerkte Shdanow. - -Und was mit ihm geschehen sein mag, weiß Gott, fuhr Antonow fort. Dort -sind gar viele von den Kameraden geblieben! - -In Dargi? fragte der Infanterist, dabei erhob er sich, kratzte seine -Pfeife aus, kniff wieder die Augen zusammen und wiegte den Kopf hin und -her. Da ging es hoch her! - -Damit ging er von uns. - -Giebt's in unserer Batterie noch viele Soldaten, die bei Dargi gewesen -sind? fragte ich. - -Viele? Shdanow, ich, Pazan, der jetzt auf Urlaub ist, und etwa noch -sechs Mann. Mehr werden's nicht sein. - -Ei was, unser Pazan bummelt auf Urlaub? sagte Tschikin, streckte die -Beine und legte sich mit dem Kopf auf einen Klotz. Es muß bald ein Jahr -sein, daß er fort ist. - -Hast du Jahresurlaub genommen? fragte ich Shdanow. - -Nein, ich habe keinen genommen, antwortete er unwillig. - -Es ist schön, Urlaub nehmen, sagte Antonow, wenn man aus reichem Hause -ist, oder wenn man selbst die Kraft hat zu arbeiten; da ist es ja -angenehm, und zu Hause freut man sich mit dir. - -Was soll man gehen, wenn man zwei Brüder hat? fuhr Shdanow fort. Sie -haben Mühe, sich selbst zu ernähren, nicht noch unsereinen zu füttern. -Man ist eine schlechte Hilfe, wenn man schon 25 Jahre gedient hat. Und -wer weiß, ob sie noch leben? - -Hast du denn nicht geschrieben? fragte ich. - -Ei gewiß! Zwei Briefe habe ich fortgeschickt, aber Antworten schicken -sie nicht! Ob sie gestorben sind, ob sie so nicht schreiben, weil sie -nämlich selbst in Armut leben -- wie soll ich da hin? - -Ist es lange her, daß du geschrieben hast? - -Als ich von Dargi kam, das war der letzte Brief. - -Du solltest uns das Lied von der Birke singen, sagte Shdanow zu -Antonow, der in diesem Augenblick, die Ellbogen auf die Knie gestützt, -ein Liedchen vor sich hinsummte. - -Antonow stimmte »Die Birke« an. - -Siehst du, das ist das Lieblingslied von Onkel Shdanow, sagte mir -Tschikin leise und zog mich am Mantel. Manchmal, wenn Philipp -Antonytsch es spielt, da weint er wohl gar. - -Shdanow saß zuerst ganz unbeweglich da, die Augen auf die glimmenden -Kohlen geheftet, und sein Gesicht sah im Schimmer des rötlichen Lichts -außerordentlich düster aus; dann begannen seine Kinnbacken unter den -Ohren sich immer schneller und schneller zu bewegen und endlich erhob -er sich, breitete seinen Mantel aus und legte sich im Schatten hinter -dem Wachtfeuer nieder. - -War es, weil er sich hin- und herwälzte und ächzte, während er sich -schlafen legte, war es Welentschuks Tod und dieses traurige Wetter, das -mich so stimmte, genug, ich glaubte wirklich, daß er weine. - -Der untere Teil des Baumstamms, der sich in Kohle verwandelt hatte, -flackerte von Zeit zu Zeit auf, beleuchtete die Gestalt Antonows mit -seinem grauen Schnurrbart, mit der roten Fratze und dem Orden auf dem -umgehängten Mantel, und Stiefel, Kopf und Rücken eines anderen. Von -oben fiel noch immer der trübe Nebel herab, die Luft war noch immer -von dem Duft der Feuchtigkeit und des Rauchs erfüllt, ringsumher waren -noch immer die hellen Punkte der verlöschenden Wachtfeuer zu sehen und -durch die allgemeine Stille die Klänge des schwermütigen Liedes zu -hören, das Antonow sang; und wenn es auf einen Augenblick verstummte, -antworteten ihm die Klänge der schwachen nächtlichen Bewegung des -Lagers, des Schnarchens und Waffengeklirrs der Wachtposten und des -leisen Gesprächs. - -Zweite Ablösung vor, Makatjuk und Shdanow! kommandierte Maksimow. - -Antonow hörte auf zu singen, Shdanow erhob sich, seufzte, schritt über -den Baum hinweg und ging zu den Geschützen. - -15. Juni 1855. - - - - -Eine Begegnung im Felde - -mit - -einem Moskauer Bekannten - -(Aus den kaukasischen Aufzeichnungen des Fürsten Nechljudow) - - -Wir standen im Felde. Die Kämpfe gingen schon ihrem Ende entgegen, -wir hatten die Waldrodung hergestellt und erwarteten jeden Tag vom -Stabe den Befehl zum Rückzuge in die Festung. Unsere Division der -Batteriegeschütze stand am Abhang eines steilen Bergrückens, der von -dem reißenden Gebirgsbach Metschik begrenzt war, und hatte die Aufgabe, -die vor uns ausgebreitete Ebene zu beschießen. Auf dieser malerischen -Ebene zeigten sich außer Schußweite von Zeit zu Zeit, besonders vor -Abend, hie und da, nicht in feindseliger Absicht, Gruppen berittener -Bergbewohner, die aus Neugier herbeigeströmt waren, um das russische -Lager zu betrachten. Es war ein klarer, stiller und frischer Abend, -wie die Dezemberabende im Kaukasus zu sein pflegen; die Sonne war -hinter den steilen Gebirgsausläufern zur Linken versunken und warf -ihre rosigen Strahlen auf die Zelthütten, die über den Berg zerstreut -lagen, auf die Soldatengruppen, die sich hin- und herbewegten und auf -unsere beiden Geschütze, die schwerfällig, wie mit ausgereckten Hälsen, -unbeweglich zwei Schritt vor uns auf einer Erdbatterie standen. Ein -Infanteriepiket, das auf dem Hügel zur Linken zerstreut lag, war mit -seinen zusammengestellten Gewehren, mit der Gestalt des Wachtpostens, -einer Gruppe Soldaten und dem Rauch des aufgeschichteten Wachtfeuers -in dem durchsichtigen Licht des Sonnenuntergang deutlich zu erkennen. -Rechts und links auf der halben Höhe des Berges schimmerten auf dem -schwarzen, ausgetretenen Boden die weißen Zelte, und hinter den -Zelten die dunklen, entblätterten Stämme des Platanenwaldes, in dem -unaufhörlich Äxte klangen, Wachtfeuer knisterten und gefällte Bäume -krachend niederstürzten. Bläulicher Dampf stieg von allen Seiten in -Säulen zu dem hellblauen Winterhimmel empor. An dem Zelte und in der -Niederung am Rande des Baches zogen mit Pferdegetrappel und Gewieher -die Kosaken, die Dragoner und die Artillerie dahin, die von der Tränke -zurückkamen. Es begann zu frieren; jeder Laut war ganz deutlich zu -hören, und das Auge sah in der reinen, klaren Luft weithin über die -Ebene. Die Häuflein der Feinde, die nun nicht mehr die Neugierde der -Soldaten erregten, ritten ruhig über die hellgelben Stoppeln der -Maisfelder hin; hie und da schimmerten hinter den Bäumen die hohen -Säulen der Kirchhöfe und die rauchenden Auls herüber. - -Unser Zelt stand unweit der Geschütze an einem trocknen und -hochgelegenen Ort, von dem die Aussicht besonders weit war. Neben dem -Zelt, ganz in der Nähe der Batterie, hatten wir auf einem gesäuberten -Plätzchen ein Holzklötzchenspiel hergerichtet. Dienstfertige Soldaten -hatten uns hier geflochtene Bänke und einen kleinen Tisch hergesetzt. -Wegen aller dieser Bequemlichkeiten kamen Artillerieoffiziere, unsere -Kameraden, und einige Herren von der Infanterie abends gern zu unserer -Batterie und nannten den Ort den Klub. - -Es war ein prächtiger Abend. Die besten Spieler waren versammelt, und -wir spielten Klötzchen. Ich, der Fähnrich D. und der Leutnant O. hatten -hintereinander zwei Partien verspielt und zum allgemeinen Vergnügen -und Gelächter der zuschauenden Offiziere, der Soldaten und Burschen, -die uns aus ihren Zelten zusahen, zweimal die Gewinner auf unserem -Rücken von einem Ende bis zum anderen getragen. Besonders drollig war -die Stellung des kolossalen dicken Stabskapitäns Sch., der keuchend -und gutmütig lächelnd und die Beine am Boden nachschleppend, auf -dem kleinen, schwächlichen Leutnant O. ritt. Es war aber schon spät -geworden. Die Burschen brachten für sechs Mann, die wir waren, drei -Glas Thee ohne Untersätze. Wir brachen das Spiel ab und gingen zu den -geflochtenen Bänken. Da stand ein uns unbekannter mittelgroßer Mann mit -krummen Beinen in einem Pelz ohne Überzug und in einer Fellmütze mit -langem, herabhängendem weißen Haar. Als wir nahe an ihn herangekommen -waren, zog er einige Mal zögernd die Mütze und setzte sie wieder auf, -dann schickte er sich immer wieder an, zu uns heranzukommen und machte -immer wieder Halt. Da der unbekannte Mann aber wohl glauben mußte, daß -er nicht mehr unbemerkt bleiben könne, zog er die Mütze, ging im Bogen -um uns herum und trat auf den Stabskapitän Sch. zu. - -Ah, Guscantini! Wie geht's, Väterchen? sagte Sch. zu ihm und lächelte -gutmütig, immer noch unter dem Eindruck seines Rittes. - -Guscantini, wie er ihn genannt hatte, setzte sofort seine Mütze auf und -machte eine Bewegung, als ob er die Hände in die Taschen seines Pelzes -stecken wollte; auf der Seite aber, die er mir zukehrte, hatte der Pelz -keine Taschen, und seine kleine rote Hand blieb in einer ungeschickten -Lage. Ich hätte gern erraten, was dieser Mensch wohl sei (ein Junker -oder ein Degradierter), und ohne zu bemerken, daß mein Blick (d. h. der -Blick eines unbekannten Offiziers) ihn verlegen machte, betrachtete -ich aufmerksam seine Kleidung und sein Äußeres. Er mochte dreißig -Jahre zählen. Seine kleinen, grauen, runden Augen schauten wie -schläfrig und doch gleichzeitig unruhig unter dem schmutzigen, weißen -Schafpelz der Mütze hervor, der ihm in die Stirn hineinhing. Die dicke, -unregelmäßige Nase zwischen den eingefallenen Wangen verriet eine -krankhafte, unnatürliche Magerkeit, die Lippen, die sehr spärlich von -einem dünnen, weichen, häßlichen Schnurrbart bedeckt waren, befanden -sich unaufhörlich in einem unruhigen Zustand, als wollten sie bald -diesen, bald jenen Ausdruck annehmen. Aber jedem Ausdruck haftete etwas -Unfertiges an -- in seinen Zügen blieb beständig der eine Ausdruck der -Angst und der Hast vorherrschend. Sein hagerer, von Adern durchzogener -Hals war mit einem grünseidenen Tuch umbunden, das unter dem Pelz -verborgen war. Der Pelz war abgenutzt und kurz, am Kragen und an den -falschen Taschen mit Hundsfell besetzt, die Beinkleider waren karriert, -aschgrau, die Stiefel hatten kurze, ungeschwärzte Soldatenschäfte. - -Machen Sie keine Umstände, bitte, sagte ich ihm, als er wieder, mit -einem scheuen Blick auf mich, die Mütze gezogen hatte. - -Er verneigte sich mit einem Ausdruck der Dankbarkeit, setzte die Mütze -auf, zog einen schmutzigen, kattunenen Beutel mit Schnüren aus der -Tasche und begann eine Cigarette zu drehen. - -Ich war selbst vor kurzem Junker gewesen, ein alter Junker, der nicht -mehr dazu taugte, jüngeren Kameraden gutmütig Gefälligkeiten zu -erweisen, und ein Junker ohne Vermögen. Ich kannte daher sehr gut den -ganzen moralischen Druck einer solchen Lage für einen nicht mehr jungen -und von Eigenliebe beherrschten Mann, hatte Teilnahme für jeden, der -sich in ähnlicher Lage befand, und gab mir Mühe, mir seinen Charakter, -den Grad und die Richtung seiner geistigen Fähigkeiten zu erklären, -um darnach den Grad seiner moralischen Leiden zu beurteilen. Dieser -Junker oder Degradierte schien mir nach seinem unruhigen Blick und dem -absichtlichen, unaufhörlichen Wechsel des Gesichtsausdrucks, den ich an -ihm beobachtet hatte, ein sehr kluger, höchst selbstbewußter und darum -höchst bedauernswerter Mensch zu sein. - -Der Stabskapitän Sch. machte uns den Vorschlag, noch eine Partie -Klötzchen zu spielen; die verlierende Partei sollte außer dem Umritt -einige Flaschen Rotwein, Rum, Zucker, Zimmt und Nelken zu Glühwein -stellen, der in diesem Winter wegen der großen Kälte auf unserem -Feldzuge in Mode war. Guscantini, wie ihn Sch. wieder nannte, wurde -auch zur Partie aufgefordert; ehe jedoch das Spiel begann, führte er, -offenbar in einem Kampf zwischen der Freude, die ihm diese Einladung -machte, und einer gewissen Angst, den Stabskapitän Sch. auf die Seite -und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Der gutmütige Stabskapitän klopfte ihm -mit seiner fleischigen, großen Hand auf die Schulter und antwortete -laut: »Thut nichts, Väterchen, ich traue Ihnen.« - -Als das Spiel zu Ende war und die Partei, zu der der unbekannte -Subalterne gehörte, gewonnen hatte, und er nun auf einem von unseren -Offizieren, dem Fähnrich D., reiten sollte, wurde der Fähnrich rot, -ging zu dem Bänkchen hin und bot dem Subalternen eine Cigarette als -Lösegeld an. Während der Glühwein besorgt wurde und in dem Burschenzelt -das emsige Wirtschaften Nikitas zu hören war, der einen Boten nach -Zimmt und Nelken geschickt hatte und dessen Rücken die schmutzige -Zeltdecke bald hierhin, bald dorthin zog, nahmen wir sieben Mann bei -dem Bänkchen Platz, tranken abwechselnd Thee aus den drei Gläsern, -betrachteten die Ebene vor uns, die sich gerade in Dämmerung hüllen -wollte, und plauderten und lachten über die verschiedenen Wechselfälle -des Spiels. Der unbekannte Mann im Pelzrock nahm nicht Teil an dem -Gespräch, lehnte hartnäckig den Thee ab, den ich ihm mehrere Male -angeboten hatte, drehte, in tatarischer Weise auf dem Boden sitzend, -aus feingeschnittenem Tabak eine Cigarette nach der anderen und rauchte -sie, wie man leicht sehen konnte, nicht so sehr zu seinem Vergnügen, -als um sich den Anschein eines mit etwas beschäftigten Menschen zu -geben. Als man davon sprach, daß morgen der Rückzug vielleicht auch -ohne Gefecht stattfinden könnte, richtete er sich auf die Knie auf -und sagte, nur zu dem Stabskapitän Sch. gewandt, er sei jetzt bei dem -Adjutanten zu Hause und habe selbst den Befehl zum Rückzuge für morgen -geschrieben. Wir schwiegen alle, während er sprach, und obgleich er -deutlich seine Schüchternheit verriet, veranlaßten wir ihn, diese -für uns außerordentliche Mitteilung zu wiederholen. Er wiederholte, -was er gesagt hatte, fügte jedoch hinzu, er *sei* bei dem Adjutanten -*gewesen*, mit dem er *zusammen wohne*, und habe dort *gesessen*, -gerade als man den Befehl brachte. - -Sehen Sie, wenn Sie nicht lügen, Väterchen, so muß ich zu meiner -Kompagnie gehen und zu morgen einen Befehl geben, sagte der Kapitän Sch. - -Nein ... Weshalb auch ... Wie kann man! Ich habe gewiß ... begann -der Subalterne, aber er verstummte bald, schien entschlossen, den -Beleidigten zu spielen, verzog unnatürlich die Stirn, brummte etwas in -den Bart und begann wieder eine Cigarette zu drehen. Aber der feine -Tabak in seinem kattunenen Beutel reichte nicht mehr und er bat Sch., -ihm eine *Cigarette zu leihen*. Wir setzten dieses einförmige Gespräch -über den Krieg, das jeder kennt, der einmal an Feldzügen teilgenommen -hat, ziemlich lange fort, beklagten uns alle mit denselben Worten über -die Langeweile und die Länge des Feldzugs, urteilten alle in gleicher -Weise über die Vorgesetzten, lobten alle, wie schon oft vorher, den -einen Kameraden, bedauerten den anderen, sprachen unsere Verwunderung -darüber aus, wieviel dieser gewonnen, wieviel jener verloren hatte u. -s. w. u. s. w. - -Siehst du, Väterchen, unser Adjutant, der ist 'reingefallen, tüchtig -'reingefallen! sagte der Stabskapitän Sch. Beim Stabe war er immer -im Gewinn. Mit wem er auch setzte, immer legte er ihn 'rein und -jetzt verliert er seit zwei Monaten beständig. Dieser Feldzug hat ihm -wenig Glück gebracht. Ich glaube, er ist 2000 Moneten losgeworden und -Sachen für 500 Moneten, den Teppich, den er Muchin abgewonnen hat, -die Pistolen von Nikita, die goldene Uhr von Ssada, die ihm Worinzew -geschenkt hat -- alles ist er losgeworden. - -Geschieht ihm recht, sagte Leutnant O., er hat die anderen alle tüchtig -gerupft. Es war gar nicht zu spielen mit ihm. - -Erst hat er alle gerupft, und nun ist er in die Luft geflogen -- dabei -schlug der Stabskapitän Sch. ein gutmütiges Lachen an. Der Guskow wohnt -bei ihm, den hätte er beinahe auch verspielt, wahrhaftig, ist's nicht -wahr, Väterchen? wandte er sich an Guskow. - -Guskow lachte. Sein Lachen war traurig und schmerzlich und veränderte -seine Züge vollkommen. Bei dieser Veränderung war es mir, als müßte ich -diesen Menschen früher einmal gekannt und gesehen haben, zudem war mir -sein eigentlicher Name, Guskow, nicht fremd. Aber wie und wann ich ihn -gekannt, und wo ich ihm begegnet war, dessen konnte ich mich durchaus -nicht erinnern. - -Ja, sagte Guskow und hob dabei unaufhörlich die Finger zu seinem -Schnurrbart, ließ sie aber wieder sinken, ohne ihn zu berühren. -Pavel Dmitrijewitsch hat in diesem Feldzuge kein Glück gehabt, eine -solche _veine de malheur_ -- fügte er mit etwas mühsamer, aber reiner -französischer Aussprache hinzu, und dabei war es mir wieder, als hätte -ich ihn schon irgendwo gesehen. -- Ich kenne Pavel Dmitrijewitsch -genau, er vertraut mir alles an, fuhr er fort. - -Wir sind alte Bekannte, d. h. er hat mich gern, fügte er hinzu, -offenbar erschrocken über die allzu kühne Behauptung, daß er ein alter -Bekannter des Adjutanten sei. Pavel Dmitrijewitsch spielt vortrefflich, -jetzt -- merkwürdig, was mit ihm vorgeht -- jetzt ist er ganz außer -sich, _la chance a tourné_, fügte er hinzu, vornehmlich zu mir gewandt. - -Wir hatten Guskow anfangs mit höflicher Aufmerksamkeit zugehört, sobald -er aber noch diese französische Redensart ausgesprochen hatte, wandten -wir uns unwillkürlich von ihm ab. - -Ich habe tausendmal mit ihm gespielt, und Sie werden mir doch -zugeben, es ist sonderbar, sagte der Leutnant mit besonderer Betonung -des Wörtchens *sonderbar*: ich habe nicht ein einziges Mal mit ihm -gewonnen, nicht einen Abas. Warum gewinne ich mit anderen? - -Pavel Dmitrijewitsch spielt vorzüglich, ich kenne ihn schon lange, -sagte ich. Wirklich kannte ich den Adjutanten schon mehrere Jahre, -hatte ihm schon oft zugesehen bei seinem Spiel, das für die -Verhältnisse der Offiziere hoch zu nennen war, und war immer entzückt -gewesen von seinen schönen, ein wenig düsteren und stets unveränderten -Zügen, seiner gedehnten, kleinrussischen Aussprache, seinen schönen -Sachen und Pferden, seiner gemessenen südrussischen Ritterlichkeit und -besonders von seiner Kunst, das Spiel so schön, klar, verständlich und -anmutig zu führen. Manchmal -- ich bekenne es reuig -- wenn ich seine -vollen weißen Hände mit dem Brillantring am Zeigefinger betrachtete, -die mir eine Karte nach der anderen schlugen, wurde ich wütend über -diesen Ring, über die weißen Hände, über die ganze Persönlichkeit des -Adjutanten, und es tauchten schlimme Gedanken gegen ihn in mir auf; -wenn ich aber dann mit ruhigem Blute überlegte, überzeugte ich mich, -daß er einfach ein gewandterer Spieler war als alle die, mit denen er -gerade spielte. Wenn man seine allgemeinen Betrachtungen über das Spiel -hörte, darüber, wie man kein Paroli biegen dürfe, wie man von einem -kleinen Einsatz zu einem größeren fortschreiten, wie man in gewissen -Fällen passen müsse, wie es eine erste Spielregel sei, nur mit Barem zu -spielen u. s. w., wurde es einem immer klarer, daß er nur darum stets -im Gewinnen war, weil er geschickter und kaltblütiger war, als wir -alle. Und jetzt zeigte sich, daß dieser zurückhaltende, selbstsichere -Spieler während des Feldzugs alles bis auf den letzten Heller verloren -hatte, und nicht nur Geld, sondern auch Sachen, was für einen Offizier -den äußersten Grad des Spielverlusts bedeutet. - -Mit mir geht es ihm immer verteufelt, fuhr der Leutnant O. fort, ich -habe mir schon das Wort gegeben, nicht mehr mit ihm zu spielen. - -Was sind Sie für ein komischer Kauz, Väterchen, sagte Sch., zwinkerte -mir mit dem ganzen Kopfe nickend zu und wandte sich an O. Sie haben 300 -Moneten an ihn verloren, nicht wahr, soviel haben Sie verloren? - -Mehr, sagte der Leutnant ärgerlich. - -Und jetzt ist Ihnen ein Licht aufgegangen, zu spät, Väterchen! Das -weiß alle Welt längst, daß er unser Regimentsfalschspieler ist, sagte -Sch., er konnte sich kaum halten vor Lachen und war äußerst befriedigt -von seinem Einfall. Da sehen Sie Guskow vor sich, der richtet ihm -die Karten her. Darum sind Sie auch so befreundet, liebes Väterchen. -Und der Stabskapitän Sch. brach in ein so gutmütiges Lachen aus und -schüttelte sich so mit dem ganzen Körper, daß er das Glas Glühwein -verschüttete, das er gerade in der Hand hielt. Auf Guskows gelbem, -abgemagertem Gesicht zeigte sich eine Röte; er versuchte mehrere Male -den Mund zu öffnen, hob die Finger zum Schnurrbart und ließ sie wieder -zu der Stelle herabsinken, wo andere Leute Taschen haben, erhob sich -und setzte sich wieder und sagte endlich wie mit fremder Stimme zu -Sch.: Das ist kein Scherz, Nikolaj Iwanytsch. Sie sprechen hier solche -Dinge und vor Leuten, die mich nicht kennen, und die mich in einem -fadenscheinigen Pelzrock sehen, weil ... seine Stimme stockte, und -wieder gingen seine kleinen roten Händchen mit den schmutzigen Nägeln -von dem Pelz zum Gesicht und fuhren über den Schnurrbart, das Haar -und die Nase, oder wischten die Augen klar, oder kratzten ohne alles -Bedürfnis die Backen. - -Was ist da viel zu reden, das wissen ja alle, Väterchen! fuhr Sch. -fort, aufs innerste befriedigt von seinem Scherz und ohne im geringsten -Guskows Erregung zu bemerken. Guskow flüsterte noch ein paar Worte, -stützte den Ellbogen des rechten Arms auf das Knie des linken Beins, -betrachtete in der unnatürlichsten Stellung Sch. und nahm eine Miene -an, als ob er verächtlich lächelte. - -»Nein, -- sagte ich innerlich überzeugt, während ich dieses Lachen -beobachtete -- ich habe ihn nicht nur irgendwo gesehen, sondern auch -mit ihm gesprochen.« - -Wir sind uns schon einmal begegnet, sagte ich zu ihm, als Sch.s Lachen -unter dem Eindruck des allgemeinen Schweigens sich zu legen begann. -Guskows veränderliches Gesicht leuchtete plötzlich auf, und seine Augen -hefteten sich zum erstenmal mit einem herzensfrohen Ausdruck auf mich. - -Gewiß, ich habe Sie sogleich erkannt, begann er französisch. Im Jahre -48 hatte ich ziemlich oft das Vergnügen, Sie in Moskau bei meiner -Schwester Iwaschina zu treffen. - -Ich entschuldigte mich, daß ich ihn in dieser Tracht und in dieser -neuen Kleidung nicht sofort erkannt hätte. Er erhob sich, trat auf -mich zu, drückte mir mit seiner feuchten Hand zögernd, schwach die -meinige und setzte sich neben mich. Anstatt mich anzusehen, den er so -froh zu sein schien wiederzufinden, blickte er mit dem Ausdruck einer -unbehaglichen Prahlsucht im Kreise der Offiziere umher. Geschah es, -weil ich in ihm einen Mann erkannt, dem ich vor einigen Jahren im Frack -im Salon begegnet war, oder weil er bei dieser Erinnerung plötzlich -in seiner eigenen Meinung gestiegen war, genug mir schien, als hätte -sich sein Gesicht, ja sogar seine Bewegungen, plötzlich verändert: sie -zeigten jetzt einen lebhaften Geist, kindliche Selbstzufriedenheit -im Bewußtsein dieses Geistes und eine gewisse geringschätzige -Nachlässigkeit, so daß mein alter Bekannter -- ich gestehe es -- trotz -seiner bedauernswerten Lage mir nicht mehr Mitleid einflößte, sondern -ein gewisses Gefühl der Feindseligkeit. - -Ich erinnerte mich lebhaft zurück an unsere erste Begegnung. Im -Jahre 48 besuchte ich, während meines Aufenthaltes in Moskau, häufig -Iwaschin, mit dem ich aufgewachsen war und mit dem mich eine alte -Freundschaft verband. Seine Gattin war eine angenehme Wirtin, eine -liebenswürdige Frau, wie man zu sagen pflegt, mir aber hat sie nie -gefallen ... In dem Winter, in dem ich bei ihnen verkehrte, sprach sie -oft mit schlecht verhehltem Stolz von ihrem Bruder, der vor kurzem -seine Studien abgeschlossen und, wie sie sagte, einer der gebildetsten -und in der guten Gesellschaft Petersburgs beliebtesten jungen Leute -sei. Da ich vom Hörensagen Guskows Vater kannte, der sehr reich war -und eine angesehene Stellung einnahm, und da ich die Anschauungsweise -der Schwester kannte, kam ich dem jungen Guskow mit einem Vorurteil -entgegen. Eines Abends, als ich Iwaschin besuchte, traf ich bei ihm -einen mittelgroßen, nach seiner äußeren Erscheinung sehr angenehmen -jungen Mann in schwarzem Frack, in weißer Weste und heller Binde, -mit dem der Hausherr mich bekannt zu machen vergaß. Der junge Mann, -der sich offenbar anschickte, auf einen Ball zu gehen, stand mit dem -Hute in der Hand vor Iwaschin und disputierte hitzig, aber höflich -mit ihm über einen unserer gemeinsamen Bekannten, der sich damals im -ungarischen Feldzuge ausgezeichnet hatte. Er meinte, dieser Bekannte -sei durchaus kein Held und nicht für den Krieg geschaffen, wie -man von ihm sage, sondern nur ein kluger und gebildeter Mann. Ich -erinnere mich, ich nahm in dem Streit gegen Guskow Partei, und ließ -mich fortreißen, ihm sogar zu beweisen, daß Klugheit und Bildung -stets im umgekehrten Verhältnisse zur Tapferkeit ständen, und ich -erinnere mich, wie Guskow in liebenswürdiger und kluger Weise mir -auseinandersetzte, daß Tapferkeit die notwendige Folge der Klugheit -und eines gewissen Grades geistiger Entwicklung sei, und daß ich dem, -da ich mich selbst für einen klugen und gebildeten Mann hielt, nicht -anders als zustimmen konnte! Ich erinnere mich, daß mich Frau Iwaschina -am Schlusse unseres Gesprächs mit ihrem Bruder bekannt machte, und -er mir mit einem herablassenden Lächeln seine kleine Hand reichte, -auf die er den weißen Handschuh erst halb gezogen hatte, und daß er -mir ebenso schwach und zögernd wie jetzt die Hand gedrückt hatte. -Obgleich ich gegen ihn voreingenommen war, mußte ich damals Guskow -Gerechtigkeit widerfahren lassen und seiner Schwester darin beistimmen, -daß er wirklich ein kluger und liebenswürdiger junger Mann war, der -in der Gesellschaft Erfolge haben müsse. Er war außerordentlich -sauber und gut gekleidet, jugendfrisch, hatte sichere, bescheidene -Manieren und ein ungemein jugendliches, fast kindliches Aussehen, um -dessentwillen man ihm unwillkürlich den Ausdruck der Selbstgefälligkeit -und den Wunsch, anderen seine Überlegenheit empfinden zu lassen, den -sein kluges Gesicht und besonders sein Lächeln beständig zur Schau -trug, gern verzeihen mochte. Man erzählte sich, er habe in diesem -Winter große Erfolge bei den Moskauer Damen gehabt. Da ich ihn bei -seiner Schwester sah, konnte ich nur aus dem Ausdruck von Glück und -Zufriedenheit, den sein jugendliches Äußeres beständig zeigte, und aus -seinen bisweilen unbescheidenen Erzählungen schließen, bis zu welchem -Grade das berechtigt war. Wir begegneten einander wohl sechsmal und -sprachen ziemlich viel miteinander, oder genauer gesagt, er sprach -meist französisch in vorzüglicher Ausdrucksweise, sehr gewählt -und bilderreich, und verstand es, anderen in der Unterhaltung in -gefälliger, höflicher Weise ins Wort zu fallen. Er verkehrte überhaupt -mit allen, auch mit mir, ziemlich von oben herab; und, wie es mir immer -geht im Umgange mit Menschen, die mit der festen Überzeugung auftreten, -daß man mit mir von oben herab verkehren könne und mit denen ich nicht -genauer bekannt bin, fühlte ich auch hier, daß er in diesem Punkte ganz -im Rechte war. - -Jetzt, da er sich zu mir setzte und mir selbst die Hand reichte, -erkannte ich in ihm den früheren hochmütigen Ausdruck lebhaft wieder, -und es schien mir, als nütze er in nicht ganz ehrenhafter Weise den -Vorteil seiner Lage als eines Subalternen dem Offizier gegenüber aus, -indem er mich so leichthin fragte, was ich die ganze Zeit hindurch -gemacht habe und wie ich hierher gekommen sei. Obgleich ich auf jede -Frage russisch antwortete, begann er immer wieder französisch; aber -er drückte sich offenbar nicht mehr so geläufig in dieser Sprache aus -wie früher. Von sich erzählte er mir so nebenbei, er habe nach seiner -unglückseligen, dummen Geschichte (was das für eine Geschichte war, -weiß ich nicht und hat er mir auch nicht erzählt) drei Monate im Arrest -gesessen, dann sei er in den Kaukasus in das N.-Regiment geschickt -worden und diene jetzt schon drei Jahre als Gemeiner in diesem -Regimente. - -Sie werden es nicht glauben, sagte er zu mir französisch, was ich alles -in diesen Regimentern von den Offizieren habe leiden müssen! Ein Glück -für mich, daß ich von früher her den Adjutanten gekannt habe, von dem -wir eben gesprochen haben; er ist ein guter Mensch, wirklich, bemerkte -er in höflichem Tone -- ich wohne bei ihm und für mich ist das immer -eine kleine Erleichterung. _Oui, mon cher, les jours se suivent, mais -ne se ressemblent pas_, fügte er hinzu, aber er stockte, wurde rot und -erhob sich, denn er hatte bemerkt, daß eben der Adjutant, von dem wir -sprachen, auf uns zukam. - -Welch eine Freude, einem Menschen zu begegnen, wie Sie! sagte Guskow zu -mir im Flüstertone, während er sich von mir entfernte, ich hätte viel, -viel mit Ihnen zu sprechen. - -Ich sagte, ich sei sehr erfreut, in Wirklichkeit aber, muß ich -bekennen, flößte mir Guskow ein unsympathisches, drückendes Mitgefühl -ein. - -Ich hatte eine Ahnung, daß ich mich mit ihm unter vier Augen -unbehaglich fühlen würde, aber ich hätte gern mancherlei von ihm -gehört, besonders wie es komme, daß er bei dem Reichtum seines Vaters -in Armut lebe, wie man seiner Kleidung und seinem Auftreten anmerkte. - -Der Adjutant begrüßte uns alle, nur Guskow nicht, und setzte sich neben -mich an die Stelle, die der Degradierte eingenommen hatte. Stets ein -ruhiger und langsamer, gleichmütiger Spieler und ein vermögender Mann, -war Pavel Dmitrijewitsch jetzt ein ganz anderer geworden, als ich ihn -in der Blütezeit seines Spielens gekannt hatte -- er schien immer Eile -zu haben und ließ seine Blicke umherschweifen, und es waren nicht fünf -Minuten vergangen, als er, der sonst immer das Spiel ablehnte, dem -Leutnant O. den Vorschlag machte, ein Bänkchen aufzulegen. Leutnant O. -lehnte unter dem Vorwande ab, daß er vom Dienst in Anspruch genommen -sei, in Wirklichkeit aber, weil er wußte, wie wenig Geld und Gut Pavel -Dmitrijewitsch geblieben war, und weil er es für unvernünftig hielt, -seine dreihundert Rubel aufs Spiel zu setzen gegen die hundert und -vielleicht auch weniger, die er gewinnen konnte. - -Sagen Sie, Pavel Dmitrijewitsch, begann der Leutnant, der offenbar den -Wunsch hatte, einer Wiederholung der Bitte aus dem Wege zu gehen, ist -es wahr, es heißt, wir sollen morgen ausrücken? - -Ich weiß nicht, bemerkte Pavel Dmitrijewitsch, es ist nur der Befehl -gekommen, daß wir uns bereit halten sollen. -- Aber wirklich, es ist -besser, wir machen ein Spielchen, ich verpfände euch meinen Kabardiner. - -Nein, es ist heute schon ... - -Den Grauen, wenn es nicht anders ist, oder wenn Sie wollen, um Geld. -Nun? ... - -Nun ja ... Ich wäre schon bereit, Sie dürfen nicht glauben, ... begann -Leutnant O., indem er seine eignen Zweifel beantwortete. Aber morgen -giebt es vielleicht einen Überfall oder einen Marsch, da muß man -ausschlafen. - -Der Adjutant erhob sich und ging, die Hände in den Taschen, auf dem -gereinigten Platze hin und her. Sein Gesicht nahm den gewohnten -Ausdruck der Kühle und eines gewissen Stolzes an, den ich gern an ihm -sah. - -Wollen Sie nicht ein Gläschen Glühwein? sagte ich zu ihm. - -Gern! -- Und er kam auf mich zu. Guskow aber nahm mir schnell das Glas -aus der Hand und brachte es dem Adjutanten entgegen; dabei gab er -sich Mühe, ihn nicht anzusehen. Er übersah den Strick, der das Zelt -zusammenhielt, stolperte darüber, ließ das Glas fallen und stürzte -vornüber. - -So ein Hanswurst! sagte der Adjutant, der schon seine Hand nach -dem Glase ausgestreckt hatte. Alle lachten laut auf, Guskow nicht -ausgenommen; dabei rieb er sein hageres Knie, das er bei dem Falle -nicht im geringsten verletzt haben konnte, mit der einen Hand. - -Wie der Bär den Einsiedler bedient hat, fuhr der Adjutant fort. -So bedient er mich jeden Tag! Alle Pflöcke im Zelt hat er schon -umgerissen, -- immer stolpert er. - -Guskow entschuldigte sich vor uns, ohne auf ihn zu hören, und sah -mich mit einem kaum merklichen traurigen Lächeln an, mit dem er sagen -zu wollen schien, ich allein wäre imstande, ihn zu verstehen. Er war -beklagenswert, und der Adjutant, sein Beschützer, schien aus irgend -einem Grunde erzürnt auf seinen Zeltgenossen zu sein und wollte ihn -durchaus nicht in Ruhe lassen. - -Nun, Sie geschickter Jüngling, wo fallen Sie denn nicht? - -Wer stolpert nicht über diese Pflöcke, Pavel Dmitrijewitsch, sagte -Guskow, Sie sind selbst vorgestern gestolpert. - -Ich, Väterchen, bin kein Subalterner, von mir verlangt man keine -Geschicklichkeit. - -Er darf schwere Beine haben, fiel der Stabskapitän ein, aber ein -Subalterner muß springen können ... - -Merkwürdige Scherze! ... sagte Guskow beinahe flüsternd und schlug die -Augen nieder. Der Adjutant war offenbar nicht gut gelaunt gegen seinen -Zeltgenossen. Er horchte begierig auf jedes seiner Worte. - -Man wird ihn wieder auf einen gedeckten Posten schicken müssen, sagte -er zu Sch. gewandt, mit Zwinkern auf den Degradierten weisend. - -Da wird's wieder Thränen geben, sagte Sch. lächelnd. Guskows Augen -waren nicht mehr auf mich gerichtet, er that, als ob er Tabak aus dem -Beutel nähme, in dem längst nichts mehr war. - -Machen Sie sich bereit, auf gedeckten Posten zu ziehen, sagte Sch. -unter Lachen. Die Kundschafter haben heute gemeldet, es würde einen -Angriff auf das Lager geben, da heißt es sichere Leute bestimmen. - -Guskow lächelte unentschlossen, als bereitete er sich vor, etwas zu -sagen, und richtete mehrere Male flehentliche Blicke auf Sch. - -Nun ja, ich bin ja schon manchmal gegangen, und ich werde wieder gehen, -wenn man mich schickt, stammelte er hervor. - -Man wird Sie schicken. - -So werde ich gehen. Was soll ich thun? - -Ja, wie in Argun: wo Sie vom Posten weggelaufen sind und das Gewehr -fortgeworfen haben ... sagte der Adjutant, dann wandte er sich von ihm -ab und begann, uns die Befehle für morgen auseinanderzusetzen. - -In der That erwartete man in der Nacht eine Beschießung des Lagers von -Seiten des Feindes und am folgenden Tage irgend eine Bewegung. Der -Adjutant sprach noch von allerlei allgemeinen Dingen, plötzlich schlug -er, wie zufällig, als ob es ihm eben eingefallen wäre, dem Leutnant O. -vor, ein kleines Spielchen zu machen. Leutnant O. war wider Erwarten -vollständig einverstanden, und sie gingen mit Sch. und dem Fähnrich -in das Zelt des Adjutanten, der einen grünen Spieltisch und Karten -hatte. Der Kapitän, der Kommandeur unserer Abteilung, ging in sein Zelt -schlafen, auch die anderen Herren gingen auseinander und ich blieb -mit Guskow allein. Ich hatte mich nicht getäuscht -- ich fühlte mich -wirklich unbehaglich unter vier Augen mit ihm. Unwillkürlich stand ich -auf und begann auf der Batterie auf- und niederzugehen. Guskow ging -schweigend neben mir her und machte hastige und unruhige Bewegungen, um -nicht hinter mir zurückzubleiben und mir nicht vorauszueilen. - -Ich störe Sie doch nicht? sagte er mit sanfter, klagender Stimme. - -So viel ich in der Dunkelheit sein Gesicht sehen konnte, schien es mir -tief nachdenklich und traurig. - -Nicht im mindesten, antwortete ich; da er aber nicht zu sprechen -begann, und ich nicht wußte, was ich ihm sagen sollte, gingen wir -ziemlich lange schweigend hin und her. - -Die Dämmerung war schon vollständig dem Dunkel der Nacht gewichen, über -dem schwarzen Umriß des Gebirgs flammte helles Abendwetterleuchten, -über unseren Häuptern funkelten am hellblauen Winterhimmel kleine -Sterne, von allen Seiten loderten in rotem Schein die Flammen der -rauchenden Wachtfeuer, nah vor uns schimmerten die grauen Zelte und der -düstere, schwarze Erdwall unserer Batterie durch den Nebel. Vor dem -nächsten Wachtfeuer, um das unsere Burschen sich zum Wärmen gelagert -hatten und leise plauderten, glänzte von Zeit zu Zeit auf der Batterie -das Erz unserer schweren Geschütze und erschien in ihrem umgehängten -Mantel die Gestalt des Wachtpostens, die sich gemessenen Schrittes -unterhalb des Erdwalls hin- und herbewegte. - -Sie können sich nicht vorstellen, welche Freude es für mich ist, mit -einem Menschen wie Sie zu sprechen! sagte Guskow zu mir, obgleich er -mit mir noch nichts gesprochen hatte. Das kann nur der begreifen, der -einmal in meiner Lage gewesen ist. - -Ich wußte nicht, was ich ihm antworten sollte, und wir schwiegen wieder -beide, obgleich er offenbar Lust hatte sich auszusprechen, und ich ihn -anzuhören. - -Wofür sind Sie ... Wofür haben Sie leiden müssen? fragte ich ihn -endlich, da mir nichts Besseres einfiel, um das Gespräch zu beginnen. - -Haben Sie nichts gehört von der unglückseligen Geschichte mit Metenin? - -Ja, ein Duell, glaube ich, war es; ich habe flüchtig davon gehört, -antwortete ich, ich bin ja schon lange im Kaukasus. - -Nein, kein Duell; es ist diese dumme, schreckliche Geschichte! Ich -will Ihnen alles erzählen, wenn Sie es nicht wissen. Es war in -demselben Jahre, als ich Sie bei meiner Schwester traf, ich lebte -damals in Petersburg. Sie müssen wissen, ich hatte damals, was man -_une position dans le monde_ nennt, und eine recht gute, um nicht -zu sagen glänzende. _Mon père me donnait 10000 par an._ Im Jahre 49 -wurde mir Aussicht auf eine Stellung bei der Gesandtschaft in Turin -gemacht: mein Onkel mütterlicherseits konnte sehr viel für mich thun -und war stets gern dazu bereit. Es ist jetzt schon lange her, _j'étais -reçu dans la meilleure société de Pétersbourg, je pouvais prétendre_ -auf eine vortreffliche Partie. Ich hatte gelernt, was wir alle in -der Schule lernen, so daß ich eine besondere Bildung nicht hatte; -ich habe zwar später viel gelesen, _mais j'avais surtout ce jargon -du monde_, Sie wissen schon; und wie dem auch war, ich galt, Gott -weiß warum, für einen der ersten jungen Leute Petersburgs. Was mir in -der öffentlichen Meinung eine besondere Stellung gab, _c'est cette -liaison avec Mme. D._, über die in Petersburg viel gesprochen wurde; -aber ich war schrecklich jung und schätzte damals alle diese Vorteile -gering. Ich war einfach jung und dumm. Was brauchte ich mehr? Damals -hatte in Petersburg dieser Metenin Ruf ... -- und Guskow fuhr immer -weiter so fort und erzählte mir die Geschichte seines Unglücks, die -ich aber hier übergehen will, weil sie ganz uninteressant ist. -- -Zwei Monate saß ich im Gefängnis, fuhr er fort, ganz allein, und was -habe ich in dieser Zeit nicht alles durchdacht! Aber wissen Sie, als -alles vorüber war, als sozusagen schon endgültig jede Verbindung mit -der Vergangenheit gelöst war, da war mir leichter zu Mute. _Mon père, -vous en avez entendu parler_, sicherlich, er ist ein Mann von eisernem -Charakter und mit festen Überzeugungen, _il m'a deshérité_ und hat alle -Beziehungen mit mir abgebrochen. Nach seiner Überzeugung hat er so -handeln müssen, und ich will ihm keineswegs Vorwürfe machen: _il a été -conséquent_. Dafür habe auch ich keinen Schritt gethan, um ihn seinem -Entschluß untreu zu machen. Meine Schwester war im Auslande. Mme. D. -war die Einzige, die mir schrieb, als man es ihr erlaubte, und mir -ihre Hilfe anbot; aber Sie werden begreifen, daß ich ablehnte, und daß -ich Mangel hatte an all den Kleinigkeiten, die in einer solchen Lage -ein wenig Erleichterung gewähren: ich hatte weder Bücher, noch Wäsche, -noch Kost -- nichts. Ich habe viel, sehr viel damals nachgedacht. Ich -begann alles mit andern Augen anzusehen: der Lärm z. B., das Gerede -der Gesellschaft über mich in Petersburg kümmerte mich nicht -- -schmeichelte mir nicht im geringsten -- alles das kam mir lächerlich -vor. Ich fühlte, daß ich selbst schuld war, daß ich unvorsichtig, jung -gewesen war, daß ich meine Laufbahn zerstört hatte, und dachte nur -darüber nach, wie ich es wieder gut machen könnte. Ich fühlte die Kraft -und die Energie dazu in mir. Aus dem Gefängnis wurde ich, wie ich Ihnen -sagte, hierher in den Kaukasus zum N.-Regiment geschickt. Ich hatte -geglaubt -- fuhr er fort und wurde immer lebhafter -- hier im Kaukasus -sei _la vie de camp_, seien schlichte und brave Menschen, mit denen ich -verkehren werde, gäbe es Kriegsgefahren -- alles das würde zu meiner -Gemütsstimmung gerade passen, und ich würde ein neues Leben beginnen. -_On me verra au feu_ -- man wird mich lieb gewinnen, mich schätzen -lernen, nicht bloß meines Namens wegen -- mir Orden geben, mich zum -Unteroffizier machen, die Strafe aufheben, und ich werde wieder in -die Heimat zurückkehren, _et vous savez avec ce prestige du malheur_. -Aber _quel désenchantement_! Sie können sich nicht vorstellen, wie -ich mich getäuscht habe! ... Sie kennen das Offizierkorps unseres -Regiments? -- Er schwieg ziemlich lange und schien zu erwarten, daß ich -ihm sagte, ich wüßte, wie schlecht die hiesigen Offiziere seien. Aber -ich antwortete ihm nicht. Es widerte mich an, daß er, wahrscheinlich, -weil ich französisch verstand, voraussetzte, ich müßte gegen das -Offizierskorps eingenommen sein, während ich im Gegenteil durch meinen -längern Aufenthalt im Kaukasus dahin gekommen war, es nach seinem Werte -zu beurteilen und tausendmal höher zu schätzen, als den Kreis, aus dem -Herr Guskow hervorgegangen war. Ich wollte ihm das sagen, aber seine -Lage fesselte mir die Zunge. -- Im N.-Regiment ist das Offizierskorps -tausendmal schlimmer als im hiesigen, fuhr er fort. _J'espère, que -c'est beaucoup dire_, d. h. Sie können sich nicht vorstellen, wie es -ist! Ich will gar nicht von den Junkern und den Gemeinen sprechen. Das -ist eine entsetzliche Gesellschaft! Sie nahmen mich anfangs gut auf, -das ist wahr, aber später, als sie sahen, daß sie mir verächtlich sein -mußten, an den unmerklichen, kleinen Beziehungen sahen sie das, Sie -wissen schon, daß ich ein ganz anderer Mensch sei, der weit über ihnen -stand, da wurden sie böse auf mich und fingen an, mir mit allerlei -kleinen Demütigungen heimzuzahlen. _Ce que j'ai eu à souffrir, vous -ne vous faites pas une idée._ Dann der unwillkürliche Verkehr mit den -Junkern, besonders _avec les petits moyens, que j'avais, je manquais -de tout_, ich hatte nur, was meine Schwester mir schickte. Ein Beweis -für das, was ich zu leiden hatte, ich, bei meinem Charakter, _avec ma -fierté, j'ai écris à mon père_, ich flehte ihn an, mir wenigstem etwas -zu schicken ... Ich begreife wohl, wenn man fünf Jahre ein solches -Leben geführt hat, kann man so werden, wie unser Degradierter Dromow, -der mit den Gemeinen trinkt und allen Offizieren Briefe schreibt, in -denen er bittet, ihm drei Rubel zu »leihen«, und die er _tout à vous_ -Dromow unterschreibt. Man muß einen Charakter wie meinen haben, um -in dieser schrecklichen Lage nicht ganz zu versumpfen. -- Er ging -lange schweigend neben mir her. -- _Avez vous un papiros?_ sagte er. --- Ja, wo bin ich stehen geblieben? ... Ja. Ich konnte das nicht -aushalten, nicht körperlich; denn war es auch schrecklich, plagte -mich auch Kälte und Hunger, führte ich auch das Leben eines gemeinen -Soldaten, so hatten doch die Offiziere eine gewisse Achtung vor mir --- auch besaß ich noch für sie ein gewisses _prestige_. Sie schickten -mich nicht auf Wachtposten, auf Übung. Ich hätte das nicht ertragen. -Aber seelisch litt ich entsetzlich. Und vor allem -- ich sah keinen -Ausweg aus dieser Lage. Ich schrieb an meinen Onkel, ich flehte ihn -an, mich in das hiesige Regiment zu versetzen, das wenigstens die -Feldzüge mitmacht, und dachte, hier ist Pavel Dmitrijewitsch, _qui est -le fils de l'intendant de mon père_, der wird mir wenigstens nützlich -sein können. Mein Onkel that das für mich -- ich wurde versetzt. Nach -jenem Regiment kam mir dieses wie eine Versammlung von Kammerherren -vor. Dann war Pavel Dmitrijewitsch da, er wußte, wer ich war, und -ich wurde vortrefflich aufgenommen. Auf die Bitte meines Onkels ... -Guskow, _vous savez_? ... Aber ich machte die Beobachtung, daß mit -diesen Menschen ohne Bildung und Intelligenz -- sie können einen -Menschen nicht achten und ihm ihre Achtung bezeigen, wenn er nicht -den Strahlenkranz des Reichtums, des Ansehens hat. Ich machte die -Beobachtung, wie allmählich, als sie erkannt hatten, daß ich arm war, -ihr Verkehr mit mir immer nachlässiger und nachlässiger und endlich -nahezu geringschätzig wurde. Das ist entsetzlich, aber es ist die volle -Wahrheit. - -Hier habe ich an den Feldzügen teilgenommen, ich habe mich geschlagen, -_on m'a vu au feu_, fuhr er fort -- aber wann wird das ein Ende haben? -Ich glaube, nie; und meine Kräfte und meine Energie fangen an sich zu -erschöpfen. Dann habe ich mir _la guerre, la vie de camp_ ausgemalt, -aber ich sehe, es ist alles ganz anders: in der Pelzjacke, ungewaschen, -in Soldatenstiefeln geht man auf verdeckten Posten und liegt die ganze -Nacht hindurch in einem Hohlweg mit dem ersten besten Antonow, der -wegen Trunksucht unter die Soldaten gesteckt ist, und jeden Augenblick -kann man vom Gebüsch her totgeschossen werden -- ich oder Antonow, das -ist ganz gleich ... Da thut's keine Tapferkeit, das ist entsetzlich, -_c'est affreux, ça tue_. - -Nun ja, Sie können aber jetzt für den Feldzug Unteroffizier und im -nächsten Jahr Fähnrich werden, sagte ich. - -Ja, ich kann es, man hat es mir versprochen, aber es sind noch zwei -Jahre hin, und vielleicht auch dann nicht, und was das heißt, solche -zwei Jahre, wenn das einer wüßte! Stellen Sie sich ein Leben mit diesem -Pavel Dmitrijewitsch vor: Kartenspiel, grobe Späße, Saufgelage ... -Sie wollen etwas sagen, was Ihnen das Herz abdrückt, es versteht Sie -niemand, oder Sie werden gar noch ausgelacht. Man spricht mit Ihnen -nicht, um Ihnen einen Gedanken mitzuteilen, sondern um aus Ihnen -womöglich noch einen Narren zu machen. Und das alles ist so gemein, -so grob, so häßlich, und Sie fühlen immer, daß Sie zu den niederen -Chargen gehören -- man läßt Sie das immer fühlen. Darum können Sie auch -nicht verstehen, welch ein Genuß es ist, _à c[oe]ur ouvert_ mit einem -Menschen zu sprechen, wie Sie sind! ... - -Ich verstand nicht im mindesten, was für ein Mensch ich sein sollte, -und darum wußte ich auch nicht, was ich ihm antworten sollte. - -Werden Sie etwas essen? sagte in diesem Augenblick Nikita zu mir, -der unbemerkt in der Dunkelheit zu mir herangeschlichen und, wie ich -wahrnahm, über die Anwesenheit des Gastes ungehalten war. -- Es giebt -nur Quark-Piroggen, und etwas Fleischklops ist noch übrig geblieben. - -Hat der Kapitän schon gegessen? - -Sie schlafen schon lange, antwortete Nikita mürrisch. Auf meinen -Befehl, uns hierher etwas Essen und Schnaps zu bringen, brummte er -unwillig etwas in den Bart und ging schleppend in seine Hütte. Er -brummte auch dort noch weiter, brachte uns aber ein Kästchen; auf das -Kästchen stellte er ein Licht, das er vorher gegen den Wind mit Papier -umwickelt hatte, eine kleine Kasserolle, Mostrich und eine Büchse, -einen Blechbecher mit einem Henkel und eine Flasche Wermut. Nachdem -Nikita alles das hergerichtet hatte, blieb er noch eine Weile in der -Nähe stehen und sah zu, wie Guskow und ich Schnaps tranken, was ihm -offenbar sehr unangenehm war. Bei dem matten Schein, den die Kerze -durch das Papier warf, und bei der Dunkelheit, die uns umgab, sah -man nur das Seehundsleder des Kästchens, das Abendbrot, das darauf -stand, Guskows Gesicht, seine Pelzjacke und seine kleinen roten Hände, -mit denen er die Piroggen aus der Kasserolle herausnahm. Ringsumher -war alles schwarz, und nur, wenn man scharf ausspähte, konnte man -die schwarze Batterie, die ebenso schwarze Gestalt des Wachtpostens, -der über die Brustwehr zu sehen war, an den Seiten die brennenden -Wachtfeuer und über uns die rot schimmernden Sterne unterscheiden. -Guskow lächelte kaum merklich, traurig und verschämt, als wäre es ihm -unbehaglich, mir nach seinem Geständnis in die Augen zu sehen, er -trank noch ein Gläschen Schnaps und aß gierig, indem er die Kasserolle -auskratzte. - -Ja, für Sie ist es doch immerhin eine Erleichterung, sagte ich, um -etwas zu sagen, daß Sie mit dem Adjutanten bekannt sind; ich habe -gehört, er ist ein guter Mensch. - -Ja, antwortete der Degradierte, er ist ein lieber Mensch; aber er -kann kein anderer sein, er kann kein Mensch sein -- bei seiner -Bildung kann man's auch nicht verlangen. Plötzlich schien er zu -erröten. -- Sie haben seine groben Scherze mit dem verdeckten Posten -gehört? -- und obgleich ich zu wiederholten Malen das Gespräch zu -unterbrechen suchte, begann Guskow sich vor mir zu rechtfertigen und -mir auseinanderzusetzen, daß er nicht von seinem Posten weggelaufen -war, und daß er kein Feigling sei, wie das der Adjutant und Sch. hätten -durchblicken lassen. - -Wie ich Ihnen gesagt habe -- fuhr er fort und wischte seine Hände an -seiner Pelzjacke ab -- solche Leute verstehen nicht zart mit einem -Menschen umzugehen, mit einem gemeinen Soldaten, der kein Geld hat; -das geht über Ihre Kräfte. Und in der letzten Zeit, wo ich seit fünf -Monaten, ich weiß nicht warum, von meiner Schwester nichts bekomme, -habe ich beobachtet, wie verändert ihr Benehmen gegen mich ist. Dieser -Pelzrock, den ich von einem Gemeinen gekauft habe und der nicht wärmt, -weil er ganz abgeschabt ist (dabei zeigte er mir den kahlen Schoß) -flößt ihnen nicht Mitleid oder Achtung mit dem Unglück, sondern -Verachtung ein, die sie nicht zu verbergen imstande sind. Meine Not -mag noch so groß sein, wie jetzt, wo ich nichts zu essen habe, als -Soldatengrütze, und nichts anzuziehen, fuhr er mit niedergeschlagenen -Augen fort und goß sich noch ein Gläschen Schnaps ein -- es fällt ihm -nicht ein, mir Geld anzubieten, und er weiß, daß ich es ihm wiedergebe. -Er wartet, bis ich, in meiner Lage, mich an ihn wende. Und Sie werden -begreifen, wie schwer mir das wird, und noch bei ihm! Ihnen zum -Beispiel würde ich gerade heraussagen: _vous êtes au dessus de cela, -mon cher, je n'ai pas le sou_. Und wissen Sie, sagte er und sah mir -plötzlich mit verzweifeltem Blick in die Augen -- Ihnen sage ich es -gerade heraus, ich bin jetzt in einer entsetzlichen Lage: _pouvez-vous -me prêter 10 roubles argent_? Meine Schwester muß mir mit der nächsten -Post schicken, _et mon père_ ... - -Oh, ich bin sehr erfreut! sagte ich, während es mir im Gegenteil -sehr unangenehm und kränkend war, besonders weil ich tags zuvor im -Kartenspiel Verluste gehabt und selbst nicht mehr als fünf Rubel und -einige Kopeken bei Nikita hatte. -- Gleich, sagte ich, und stand auf, -ich will in das Zelt gehen, um es zu holen. - -Nein, später, _ne vous dérangez pas_. - -Ich hörte aber nicht auf ihn und kroch in das zugeknöpfte Zelt, wo mein -Bett stand und der Kapitän schlief. - -Aleksej Iwanytsch, geben Sie mir, bitte, zehn Rubel bis zum -Gehaltstage, sagte ich zu dem Kapitän, während ich ihn aufrüttelte. - -Was, wieder abgebrannt? Und gestern erst haben Sie erklärt, daß Sie -nicht mehr spielen wollen? sagte der Kapitän, halb im Schlafe. - -Nein, ich habe nicht gespielt, ich brauche es so, geben Sie mir's, -bitte. - -Makatjuk! schrie der Kapitän seinem Burschen zu, hole das Geldkästchen -und gieb es her. - -Leiser, leiser, sagte ich. Ich hörte in der Nähe des Zeltes die -gleichmäßigen Schritte Guskows. - -Was? ... warum leiser? - -Der Degradierte hat mich um ein Darlehn gebeten. Er ist da. - -Hätte ich das gewußt, dann hätte ich es nicht gegeben, bemerkte der -Kapitän. Ich habe von ihm gehört: der Bursche ist einer der schlimmsten -Wüstlinge! -- Der Kapitän gab mir aber doch das Geld, befahl die -Schatulle wegzusetzen, das Zelt gut zu verschließen, wiederholte noch -einmal: »Wenn ich gewußt hätte wozu, hätte ich es nicht gegeben« -und zog sich die Decke über den Kopf. -- Nun schulden Sie mir 32, -vergessen Sie nicht! rief er mir nach. Als ich aus dem Zelte trat, -ging Guskow um die Bänkchen herum, und seine kleine Gestalt mit den -krummen Beinen und der scheußlichen Fellmütze mit den langen weißen -Haaren tauchte in der Dunkelheit auf und nieder, wenn er an der Kerze -vorüberkam. Er that, als bemerkte er mich nicht. Ich gab ihm das Geld. -Er sagte _merci_, knitterte den Schein zusammen und steckte ihn in die -Hosentasche. - -Jetzt muß das Spiel bei Pavel Dmitrijewitsch, denke ich, im vollsten -Gange sein! begann er gleich darauf. - -Ja, das denke ich auch. - -Er spielt merkwürdig, immer _à rebours_ und biegt nie ein Paroli, -glückt's, dann ist es gut, wenn es aber nicht gelingt, kann man -furchtbar viel Geld verspielen. Er hat das auch bewiesen. In -diesem Feldzuge hat er, wenn man die Sache berechnet, mehr als -anderthalbtausend verloren. Und mit welcher Mäßigung hat er früher -gespielt, so daß Ihr Offizier da an seiner Ehrenhaftigkeit zu zweifeln -schien. - -Ja, er hat das so ... Nikita, haben wir keinen Most mehr, sagte ich -und fühlte mich sehr erleichtert durch Guskows Redseligkeit. Nikita -brummte immer noch, er brachte uns aber den Wein und sah wieder wütend -zu, wie Guskow sein Glas leerte. In Guskows Benehmen machte sich wieder -die frühere Ungezwungenheit bemerkbar. Ich hätte gewünscht, er wäre -so schnell als möglich gegangen, und es schien mir, als thäte er das -nur deshalb nicht, weil er sich schämte, gleich nachdem er das Geld -bekommen hatte, fortzugehen. Ich sprach kein Wort. - -Wie ist es möglich, daß Sie bei Ihren Mitteln ohne jede Notwendigkeit, -_de gaieté de c[oe]ur_ sich entschlossen haben, im Kaukasus Dienste zu -nehmen? Sehen Sie, das verstehe ich nicht, sagte er zu mir. - -Ich gab mir Mühe, mich wegen dieses für ihn so auffälligen Schrittes zu -rechtfertigen. - -Ich kann mir denken, wie schwer auch für Sie der Verkehr mit diesen -Offizieren ist, mit diesen Menschen, die gar keine Vorstellung von -Bildung haben. Es ist nicht möglich, daß sie für Sie Verständnis haben. -Sie können zehn Jahre hier leben und werden nichts anderes sehen -und hören als Karten, Wein und Unterhaltung über Auszeichnungen und -Feldzüge. - -Es berührte mich unangenehm, daß er verlangte, ich sollte durchaus -seine Behauptung teilen, und ich beteuerte ihm mit voller -Aufrichtigkeit, daß ich Karten, Wein und Gespräche über Feldzüge sehr -gern hätte. Aber er wollte mir nicht glauben. - -Ach, Sie sagen das so, fuhr er fort. Und der Mangel an Frauen, d. h. -ich meine _femmes comme il faut_, ist das nicht eine schreckliche -Entbehrung? Ich weiß nicht, was ich jetzt drum gäbe, wenn ich mich nur -auf einen Augenblick in einen Salon versetzen und auch nur durch ein -Thürspältchen ein reizendes Weib sehen könnte. - -Er schwieg eine Weile und trank noch ein Glas Wein. - -Ach, Gott! Ach, Gott! Vielleicht haben wir noch einmal das Glück, uns -in Petersburg bei Menschen zu begegnen, mit Menschen, mit Frauen zu -verkehren und zu leben. -- Er trank den letzten Rest Wein aus, der -noch in der Flasche geblieben war, dann sagte er: Oh, pardon, Sie -hätten vielleicht auch noch getrunken, ich bin schrecklich zerstreut. -Ich habe, glaube ich, zu viel getrunken, _et je n'ai pas la tête -forte_. Es gab eine Zeit, wo ich auf der Morskaja (in Petersburg) _au -rez de chaussée_ wohnte, ich hatte eine wundervolle kleine Wohnung, -eigene Möbel, müssen Sie wissen, ich habe es verstanden, alles reizend -einzurichten, wenn auch nicht übermäßig teuer. Allerdings, _mon père_ -gab mir Porzellan, Blumen, wundervolles Silber. _Le matin je sortais_, -Besuche machen; _à 5 heures régulièrement_ fuhr ich zu ihr zu Mittag, -oft war sie allein. _Il faut avouer que c'était une femme ravissante!_ -Sie haben sie nicht gekannt, gar nicht? - -Nein. - -Wissen Sie, Weiblichkeit besaß sie im höchsten Maße, Zärtlichkeit, -und erst ihre Liebe! ... Du lieber Gott! Ich habe damals dieses Glück -nicht zu schätzen gewußt. Oder nach dem Theater kehrten wir häufig zu -zweien nach Hause zurück und speisten zu Abend. Nie habe ich bei ihr -Langeweile empfunden, _toujours gaie, toujours aimante_. Ja, ich ahnte -gar nicht, was für ein seltenes Glück das war. _Et j'ai beaucoup à me -reprocher_ ihr gegenüber. _Je l'ai fais souffrir et souvent_, ich war -grausam. Ach, es war eine köstliche Zeit! Langweilt Sie das? - -Nein, keineswegs. - -Dann will ich Ihnen von unseren Abenden erzählen. Ich komme: diese -Treppe, jeden Blumentopf kannte ich, die Thürklinke -- alles so lieb, -so bekannt, dann das Vorzimmer, ihr Zimmer ... Nein, das kommt niemals, -niemals wieder! Sie schreibt mir auch jetzt noch; ich will Ihnen gern -ihre Briefe zeigen. Aber ich bin nicht mehr derselbe -- ich bin ein -Verlorner, ich bin ihrer nicht mehr würdig ... Ja, ich bin für ewig -verloren! _Je suis cassé._ Ich habe keine Energie, keinen Stolz, nichts -mehr. Auch mein Adel ist hin ..., ja, ich bin ein Verlorner! Und kein -Mensch wird je mein Leiden begreifen -- niemand fühlt mit mir. Ich bin -ein gefallener Mensch! Nie kann ich mich wieder erheben, denn ich bin -moralisch gesunken -- in Schmutz gesunken ... In diesem Augenblicke -klang aus seinen Worten aufrichtige, tiefe Verzweiflung; er sah mich -nicht an und saß unbeweglich da. - -Warum so verzweifeln? sagte ich. - -Weil ich abscheulich bin, dies Leben hat mich zu Grunde gerichtet, -was in mir war, alles ist ertötet ... Ich leide nicht mehr mit Stolz, -sondern mit Würdelosigkeit -- die _dignité dans le malheur_ habe ich -nicht mehr. Jeden Augenblick erdulde ich Demütigungen, alles ertrage -ich, ich suche selbst den Weg zur Demütigung. Dieser Schmutz _a déteint -sur moi_, ich bin selbst roh geworden, ich habe vergessen, was ich -gewußt habe, ich kann nicht mehr französisch sprechen, ich fühle, daß -ich gemein und niedrig bin. An Kämpfen kann ich in dieser Umgebung -nicht teilnehmen, um nichts in der Welt; ich wäre vielleicht ein -Held: geben Sie mir ein Regiment, goldene Achselklappen, Trompeter; -aber in Reih und Glied mit dem ersten besten rohen Antonow Bondarenko -und dem und dem zu gehen, und zu denken, daß zwischen ihm und mir -nicht der geringste Unterschied ist, daß es ganz gleich ist, ob er -erschossen wird oder ich -- dieser Gedanke tötet mich. Begreifen Sie, -wie entsetzlich es ist, zu denken, daß der erste beste Lumpenkerl -mich töten soll, einen Menschen, der denkt und fühlt, und daß es ganz -dasselbe ist, ob er den Antonow neben mir tötet, ein Geschöpf, das -sich durch nichts von einem Tiere unterscheidet, und daß es leicht -geschehen kann, daß man gerade mich tötet und nicht Antonow, wie es -immer vorkommt, _une fatalité_ für alles Hohe und Gute. Ich weiß, daß -sie mich einen Feigling nennen: schön, ich mag ein Feigling sein -- -ich bin eben ein Feigling und kann nicht anders sein. Aber nicht genug, -daß ich ein Feigling bin, ich bin nach Ihrer Meinung -- ein Bettler und -ein verachteter Mensch. Sehen Sie, ich habe Sie eben um Geld gebeten, -und Sie haben ein Recht, mich zu verachten. Nein, nehmen Sie Ihr Geld -zurück -- und er streckte mir den zerknitterten Schein entgegen. -- Ich -will, daß Sie mich achten. Er bedeckte sein Gesicht mit den Händen und -brach in Thränen aus; ich wußte nicht, was ich sagen und thun sollte. - -Beruhigen Sie sich, sprach ich zu ihm, Sie sind zu empfindlich, nehmen -Sie sich nicht alles zu Herzen, grübeln Sie nicht, sehen Sie die Dinge -einfacher an. Sie sagen selbst, Sie haben Charakter. Tragen Sie es, Sie -haben nicht mehr lange zu leiden -- sprach ich zu ihm, aber in sehr -unklaren Worten, denn ich war erregt durch ein Gefühl des Mitleids und -ein Gefühl der Reue darüber, daß ich gewagt hatte, in Gedanken einen -wahrhaft und tief unglücklichen Menschen zu verdammen. - -Ja, begann er, wenn ich auch nur einmal seit der Stunde, wo ich in -dieser Hölle bin, auch nur ein einziges Wort der Teilnahme, des Rates, -der Freundschaft gehört hätte -- ein menschliches Wort, ein Wort, wie -ich es von Ihnen höre -- vielleicht könnte ich alles ruhig ertragen, -vielleicht könnte ich es auch auf mich nehmen und sogar ein gemeiner -Soldat sein, aber jetzt ist es entsetzlich ... Wenn ich mit gesundem -Sinne überlege, wünsche ich mir den Tod; warum sollte ich aber auch -dieses schmachvolle Leben und mich selbst lieben, da ich für alles Gute -in der Welt verloren bin? und bei der geringsten Gefahr unwillkürlich -wieder anfange, dieses niederträchtige Leben zu vergöttern und es zu -schonen wie etwas Kostbares? Und ich kann mich nicht überwinden, _je ne -puis pas_ ..., d. h. ich kann es -- fuhr er nach einem minutenlangen -Schweigen wieder fort -- aber es kostet mich zu große Mühe, ungeheure -Mühe, wenn ich allein bin. Mit den anderen, unter den gewöhnlichen -Bedingungen, wie man in den Kampf geht, bin ich tapfer, _j'ai fait mes -preuves_, denn ich bin voll Eigenliebe und Stolz: das ist mein Fehler, -und in Gegenwart anderer ... Wissen Sie, gestatten Sie mir, bei Ihnen -zu übernachten, bei uns wird die ganze Nacht gespielt werden. Mir ist's -gleich, wo, auf dem Fußboden. - -Während Nikita das Bett herrichtete, erhoben wir uns und gingen in der -Dunkelheit wieder auf der Batterie hin und her. Guskow muß wirklich -einen sehr schwachen Kopf gehabt haben, denn er schwankte von den zwei -Gläschen Schnaps und den zwei Glas Wein. Als wir aufstanden und uns -von der Kerze entfernten, beobachtete ich, daß er den Zehnrubelschein, -den er während des ganzen vorangegangenen Gespräches in der Hand -gehalten hatte, wieder in die Tasche schob, aber so, daß ich es nicht -sehen sollte. Er sprach immer weiter, er fühlte, er könnte sich noch -aufrichten, wenn er einen Menschen hätte wie ich, der Mitgefühl mit ihm -habe. - -Wir wollten schon in das Zelt gehen, um uns schlafen zu legen, als -plötzlich über uns eine Kugel dahinpfiff und nicht weit von uns in den -Boden schlug. Es war so sonderbar: dieses stille, in Schlaf versunkene -Lager, unser Gespräch und ... plötzlich die feindliche Kugel, die, Gott -weiß woher, mitten unter unsere Zelte geflogen kam -- so sonderbar, daß -ich mir lange nicht Rechenschaft darüber geben konnte, was eigentlich -vorging. Einer unserer Soldaten, Andrejew, der auf der Batterie Wache -stand, kam auf mich zu. - -Ei, das hat sich herangeschlichen! Hier hat man das Feuer gesehen, -sagte er. - -Wir müssen den Kapitän wecken, sagte ich und sah zu Guskow hinüber. - -Er stand, ganz zu Boden geduckt, da und stammelte, als ob er etwas -sagen wollte: Das ... das ... Feind ... das ... komisch! Weiter sagte -er nichts, und ich hatte nicht bemerkt, wie und wohin er plötzlich -verschwunden war. - -In der Hütte des Kapitäns wurde ein Licht angezündet, sein gewöhnlicher -Husten vor dem Erwachen ließ sich vernehmen, und er kam bald selbst -heraus und forderte eine Lunte, um sein kleines Pfeifchen anzustecken. - -Was ist das heute, Väterchen? sagte er lächelnd, man will mich gar -nicht schlafen lassen, bald Sie mit Ihrem Degradierten, bald Schamyl! -Was ist zu thun, erwidern oder nicht? War darüber nichts gesagt im -Befehl? - -Nein, nichts. Da, wieder, sagte ich, und jetzt aus zweien. - -In der That leuchteten durch die Dunkelheit, rechts vor uns, zwei -Flammen wie zwei Augen auf, und bald flog über unsern Häuptern eine -Kugel und mit lautem, durchdringendem Pfeifen eine leere Granate dahin; -sie war wohl von uns. Aus dem Zelte in der Nachbarschaft kamen die -Soldaten herausgekrochen, man hörte ihr Hüsteln, Recken und Plaudern. - -Schau, er pfeift vor deinen Augen wie eine Nachtigall, bemerkte ein -Artillerist. - -Ruft Nikita! sagte der Kapitän mit seinem gewohnten guten Lächeln. -- -Nikita! Verstecke dich nicht, höre, wie die Bergnachtigallen pfeifen. - -Ach, Euer Hochwohlgeboren, sprach Nikita, der neben dem Kapitän stand, -ich habe sie schon gesehen, die Nachtigallen, ich fürchte mich nicht, -aber der Gast, der eben hier war und Ihren Wein getrunken hat, wie der -sie gehört hat, da hat er schnell Reißaus genommen, an unserem Zelt -vorüber, wie eine Kugel ist er davongerollt, wie ein Tier hat er sich -zusammengeduckt! - -Aber es wird doch nötig sein, zum Oberbefehlshaber der Artillerie -hinunterzureiten, sagte der Kapitän zu mir in ernstem, befehlerischem -Tone, um ihn zu fragen, ob wir das Feuer erwidern sollen oder nicht; es -kann kaum davon die Rede sein, aber man kann doch immerhin hinunter. -Bemühen Sie sich, bitte, hin und fragen Sie ihn. Lassen Sie ein Pferd -satteln, damit es schneller geht, nehmen Sie, wenn nicht anders, meinen -Polkan. - -In fünf Minuten brachte man mir das Pferd, und ich ritt zu dem -Befehlshaber der Artillerie. - -Achten Sie darauf, die Losung ist »Deichsel«, flüsterte mir der -fürsorgliche Kapitän zu, sonst kommen Sie nicht durch die Postenkette. - -Zum Befehlshaber der Artillerie war es eine halbe Werst; der ganze -Weg führte zwischen Zelten hindurch. Sobald ich mich aber von unserem -Wachtfeuer entfernt hatte, wurde es so schwarz, daß ich nicht einmal -die Ohren des Pferdes sah, nur das Flackern der Wachtfeuer, die mir -bald ganz nahe, bald ganz fern erschienen, flimmerten vor meinen -Augen. Ein kleines Stück ritt ich ganz wie mein Pferd wollte, dem ich -die Zügel hängen ließ. Ich konnte nun die weißen, viereckigen Zelte -unterscheiden, dann auch die schwarzen Spuren des Weges; in einer -halben Stunde kam ich bei dem Befehlshaber der Artillerie an. Dreimal -hatte ich nach dem Wege fragen müssen, und viermal war ich über die -Pflöcke der Zelte gestolpert, wofür ich jedesmal Scheltworte aus dem -Zelte zu hören bekam, und zweimal wurde ich von dem Posten angehalten. -Während des Rittes hatte ich noch zwei Schüsse in unserem Lager gehört, -aber die Geschosse hatten nicht bis zu dem Ort getragen, wo der Stab -lag. Der Befehlshaber der Artillerie gab nicht den Befehl, die Schüsse -zu erwidern, umsoweniger, als der Feind aufhörte, und ich machte mich -auf den Heimweg, indem ich mein Pferd am Zügel hielt und mich zu Fuß -zwischen den Zelten der Infanterie durcharbeitete. Oft verlangsamte -ich meinen Schritt, wenn ich an einem Soldatenzelt vorüberkam, in dem -ein Feuerschein leuchtete, oder lauschte auf eine Erzählung, die ein -Spaßvogel vortrug, oder auf ein Buch, das ein Schriftkundiger vorlas, -dem die ganze Abteilung, den Vorleser von Zeit zu Zeit durch allerlei -Bemerkungen unterbrechend, in dichtem Haufen im Zelt und um das Zelt -zusammengedrängt, zuhörte, oder auch nur auf die Gespräche über den -Feldzug, über die Heimat, über die Vorgesetzten. - -Als ich an einem der Bataillonszelte vorüberritt, hörte ich die laute -Stimme Guskows, der sehr angeheitert und lebhaft sprach. Junge, -ebenfalls lustige Stimmen, von vornehmen Herren, nicht von gemeinen -Soldaten, antworteten. Es war offenbar das Zelt der Junker oder der -Feldwebel. Ich blieb stehen. - -Ich kenne ihn schon lange, sprach Guskow. Als ich in Petersburg lebte, -hat er mich häufig besucht, und ich war oft bei ihm. Er hat in der -besten Gesellschaft verkehrt. - -Von wem sprichst du? fragte die Stimme eines Betrunkenen. - -Von dem Fürsten, sagte Guskow. Ich bin ja doch mit ihm verwandt, und -was die Hauptsache ist, wir sind alte Freunde. Es ist gut, meine -Herren, einen solchen Bekannten zu haben, müssen Sie wissen. Er ist ja -schrecklich reich. Hundert Rubel sind nichts bei ihm. Ich habe mir auch -eine Kleinigkeit von ihm geben lassen, bis mir meine Schwester schickt. - -Nun, so laß doch schon holen! ... - -Sofort. Sawjelitsch, Täubchen! erklang die Stimme Guskows, immer mehr -dem Zelteingang sich nähernd. Hier hast du zehn Moneten, geh' zum -Marketender und bringe zwei Flaschen Kachetischen und ... was noch, -meine Herren? Na! -- Und Guskow trat schwankend, mit zerzaustem Haar, -ohne Mütze, aus dem Zelt. Er schlug die Schöße seines Pelzrocks zurück, -steckte die Hände in die Taschen seiner grauen Hose und blieb am -Eingang stehen. Obgleich er im Lichte stand und ich in der Dunkelheit, -zitterte ich doch vor Angst, er könnte mich bemerken, bemühte mich, -jedes Geräusch zu vermeiden und ging weiter. - -Wer da? schrie mich Guskow mit völlig trunkener Stimme an. Die Kälte -hatte ihn offenbar ganz aus Rand und Band gebracht. Was für ein Teufel -schleicht hier mit seinem Pferd herum? - -Ich antwortete nicht und suchte schweigend den Weg. - - - - - -End of the Project Gutenberg EBook of Sewastopol, by Leo N. Tolstoj - -*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK SEWASTOPOL *** - -***** This file should be named 54560-8.txt or 54560-8.zip ***** -This and all associated files of various formats will be found in: - http://www.gutenberg.org/5/4/5/6/54560/ - -Produced by Heike Leichsenring and the Online Distributed -Proofreading Team at http://www.pgdp.net - -Updated editions will replace the previous one--the old editions will -be renamed. - -Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright -law means that no one owns a United States copyright in these works, -so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United -States without permission and without paying copyright -royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part -of this license, apply to copying and distributing Project -Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm -concept and trademark. 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Tolstoj, a Project Gutenberg eBook.</title> - <link rel="coverpage" href="images/cover.jpg" /> - <style type="text/css"> - -body { - margin-left: 10%; - margin-right: 10%; -} - -h1,h2,h3,h4 { - text-align: center; - clear: both; - margin-top: 2em; -} - -h2 {font-size: 120%;} -h3 {font-size: 110%; font-weight: bold;} - -p { - margin-top: .51em; - text-align: justify; - margin-bottom: .49em; - text-indent: 1em; -} - -.p2 {margin-top: 2em; line-height: 1.5;} -.p4 {margin-top: 4em; line-height: 1.5;} -.p6 {margin-top: 6em; line-height: 1.5;} -.antiqua {font-style: italic;} -.hidden {visibility:hidden;} -.center {text-align: center;} -.right {text-align: right;} -.bold {font-weight: bold;} -.small {font-size: 80%;} -.large {font-size: 120%;} -.pagenum { position: absolute; - right: 5%; - font-size: x-small; - text-decoration: none; - font-weight: normal; - font-variant: normal; - font-style: normal; - letter-spacing: normal; - text-indent: 0em; - text-align: right; - visibility: hidden; - } -em {font-style: normal; - letter-spacing: .12em; - padding-left: .12em;} - -table {margin-left: auto; margin-right: auto; border: none;} - td {vertical-align:top; text-align: left;} - .tdr {text-align: right; padding-left: 0.4em; } - .tdc {text-align: center;} - - -.figcenter {text-align: center; margin-top: 2em; margin-bottom: 1em;} - -hr.tb {border: 1.5px dashed; width: 60%;} - -.poem {margin-left: 25%; margin-right: 5%; margin-bottom: 1em; text-align: left;} - .poem p {margin: 0; text-indent: 0em;} - - -a:link { text-decoration:none; } -.fnanchor { - font-size: 60%; - text-decoration: none; - vertical-align: 0.5em; - font-style: normal;} - -.footnote { - font-size: 90%; - text-indent: -1.6em; - padding-left: 1.6em; - border-top: dashed 1px; - border-bottom: dashed 1px; - margin-left: 10%; - margin-right: 10%; - margin-top: 1em; - margin-bottom: 1em; - padding-top: 0.3em; - padding-bottom: 0.3em;} - -.tnote { -border: dashed 1px; -margin-left: 5%; -margin-right: 5%; -padding: 0.5em; -} - -@media handheld { - -body {margin-left: 2%; margin-right: 2%;} - -p {text-indent: 0.3em; margin-top: 0.2em; margin-bottom: 0.2em;} - -} - -</style> - </head> -<body> - - -<pre> - -The Project Gutenberg EBook of Sewastopol, by Leo N. Tolstoj - -This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most -other parts of the world at no cost and with almost no restrictions -whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of -the Project Gutenberg License included with this eBook or online at -www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have -to check the laws of the country where you are located before using this ebook. - -Title: Sewastopol - -Author: Leo N. Tolstoj - -Editor: Raphael Löwenfeld - -Illustrator: J. V. Cissarz - -Release Date: April 17, 2017 [EBook #54560] - -Language: German - -Character set encoding: ISO-8859-1 - -*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK SEWASTOPOL *** - - - - -Produced by Heike Leichsenring and the Online Distributed -Proofreading Team at http://www.pgdp.net - - - - - - -</pre> - - - - -<p class="right">Leo N. Tolstoj</p> -<p class="right">Novellen Band III</p> - -<div class="figcenter"> -<img src="images/002.jpg" width="367" height="700" alt="Titelseite" /> -</div> - -<p class="center large bold p4">Leo N. Tolstoj</p> - -<p class="center large">Sämtliche Werke</p> - -<p class="center"> Von dem Verfasser genehmigte<br /> -Ausgabe von<br /> -Raphael Löwenfeld</p> - -<p class="center">III. Serie</p> - -<p class="center">Dichterische Schriften</p> - -<p class="center">Band<br /> -5</p> - -<p class="center small p2">Mit Buchausstattung von J. B. Cissarz</p> - -<div class="figcenter"> -<img src="images/003.jpg" width="367" height="694" alt="zweite Titelseite" /> -</div> - - -<p class="center large bold p2">Leo N. Tolstoj</p> - -<h1>Sewastopol</h1> - -<p class="center">im Dezember * Sewastopol im Mai * Sewastopol im August * -Der Holzschlag * Begegnung im Felde * Der Überfall</p> - -<p class="center p2">3. Auflage</p> - -<p class="center small p2">Verlegt bei Eugen Diederichs, Leipzig 1901</p> - - - -<div class="figcenter"> -<img src="images/004.jpg" width="367" height="671" alt="Inhalt" /> -</div> - - -<h2 class="p4">Inhalt</h2> - - -<table summary="Inhalt"> -<tr> - <td>Sewastopol im Dezember</td> - <td class="tdr"><a href="#Page_1">1</a></td></tr> -<tr> - <td>Sewastopol im Mai</td> - <td class="tdr"><a href="#Page_34">34</a></td></tr> -<tr> - <td>Sewastopol im August</td> - <td class="tdr"><a href="#Page_105">105</a></td></tr> -<tr> - <td class="tdc" colspan="2"><em>Kaukasische Erzählungen</em></td></tr> -<tr> - <td>Ein Überfall</td> - <td class="tdr"><a href="#Page_217">217</a></td></tr> -<tr> - <td>Der Holzschlag</td> - <td class="tdr"><a href="#Page_267">267</a></td></tr> -<tr> - <td>Begegnung im Felde</td> - <td class="tdr"><a href="#Page_339">339</a></td></tr> -</table> - - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_1" id="Page_1">[Pg 1]</a></span></p> - - - -<div class="figcenter"><img src="images/005.jpg" width="367" height="673" alt="Sewastopol im Dezember 1854, im Mai und August 1855" /></div> - -<h2>Sewastopol im Dezember 1854, im Mai und August 1855</h2> - - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_2" id="Page_2">[Pg 2]</a></span></p> - - - - -<p>Leo Tolstoj war aus dem Kaukasus in die Heimat -zurückgekehrt. Er war Soldat und konnte sich – nach -den kleinen Scharmützeln mit den ungebändigten Gebirgsstämmen, -– auch dem gewaltigen Völkerkriege nicht entziehen, -dessen Schauplatz die Krim ward. Vor Sewastopol -fiel die Entscheidung in diesem ungleichen Kampfe, -den Rußland gegen zwei Großmächte des Westens zu -führen hatte.</p> - -<p>Am 23. September hatten die Russen ihre ganze -Flotte in das Schwarze Meer versenkt, um den Angriff -von der Seeseite her zu vereiteln, und Totlebens Kunst -hatte die Festung durch Aufführung von Forts und -Bastionen zu einer fast uneinnehmbaren gemacht. Die -fortgesetzte Beschießung aber mit ihren Opfern an Menschenleben, -die Abschneidung der Zufuhr von Lebensmitteln -und die gänzliche Ermattung des russischen Heeres -führten endlich am 27. August 1855 nach einem furchtbaren -Sturmangriff zur Uebergabe Sewastopols.</p> - -<p>Alle Leiden des russischen Heeres hatte der junge -Offizier in der vierten Bastion, an einer der gefährlichsten -Stellen der belagerten Festung, mitgemacht. Und -gewohnt, das Erlebte im dichterischen Spiegelbilde festzuhalten, -bannte Leo Tolstoj auch die Leidenstage von -Sewastopol in drei gewaltige Schilderungen, die das -entzückte Rußland mit steigender Bewunderung las, während -noch der Heldenmut seiner Söhne vergeblich um den -Sieg rang. Kaiser Nikolaus selbst, der Urheber des -großen Völkerunglücks, war von dem Werke des jungen<span class="pagenum"><a name="Page_3" id="Page_3">[Pg 3]</a></span> -Offiziers begeistert. Er gab den Befehl, ihn von dem -gefährlichen Orte zu entfernen, damit das Leben eines -zukunftsreichen Talents geschont werde.</p> - -<p>Tolstoj wählte für seine Schilderungen den Anfang, -den Höhepunkt und das Ende der Kämpfe vor Sewastopol, -und benennt sie äußerlich nach der Zeit: Sewastopol -im Dezember, Sewastopol im Mai, Sewastopol -im August.</p> - -<p>Aus diesen drei Augenblicksbildern sprechen mit beredten -Worten das tiefe Mitgefühl mit den Leiden des -Volks, die Bewunderung für seine unwandelbare Tapferkeit -und Leidensfähigkeit, der große Schmerz um den -Völkerwahn des Krieges, die Geringschätzung für Eigenschaften, -die eine hergebrachte Anschauung Tugenden -nennt – genug, all die Grundideen Tolstojscher Ethik, -die auch in seinen anderen dichterischen Werken zum Ausdruck -kommen, und die erst im sechsten Jahrzehnt seines -Lebens sich zu einer systematischen Weltanschauung verdichten -sollten.</p> - -<p>Aber trotz des scheinbar auf sittliche Ziele gerichteten -Inhalts ist die Schilderung von ruhigster Sachlichkeit. -Dem Dichter ist nichts gut, nichts böse; nicht zur Nachahmung -aneifern will er in seinen Schilderungen der -Tapferkeit, nicht abschrecken vom Bösen durch grausige -Darstellung des Entsetzlichen, nicht einmal in den einzelnen -Personen, die er handeln läßt, Muster kriegerischer -Tugenden oder abschreckende Beispiele des Gegenteils -vorführen. Die Menschen alle »können nicht die Uebelthäter, -noch die Helden der Erzählung sein«.</p> - -<p>»Der Held meiner Erzählung – sagt Tolstoj – -den ich mit der ganzen Kraft meiner Seele liebe, den -ich in ganzer Schöne zu schildern bemüht war, und der -immer schön gewesen ist und immer schön sein wird – -ist die Wahrheit.«</p> - -<p>Erscheinen in dieser Hinsicht die Schilderungen der -Sewastopoler Kämpfe gewissermaßen als eine kunstlose -Wiedergabe der Wirklichkeit, so zeigt sich die berechnende -Kunst des Dichters deutlich in der Steigerung, die in der<span class="pagenum"><a name="Page_4" id="Page_4">[Pg 4]</a></span> -Wahl der drei Momente liegt, die von entscheidender -Bedeutung für den Krieg waren: die Zeit der Entwicklung, -der Wendung und des tragischen Abschlusses.</p> - -<p>Alle drei Skizzen sind unter den Eindrücken der -Sewastopoler Leidenstage selbst geschrieben, in den Jahren -1854 und 1855. Zwischen ihnen liegt nur die Abfassung -der kurzen Erzählung: »Der Holzschlag«.</p> - -<p>Die Kritik nahm die Sewastopoler Skizzen mit -Bewunderung auf. Sie waren das erste Werk Leo Tolstojs, -das einen allgemeinen, unbestrittenen Erfolg hatte. -Das lesende Rußland sah in den poetischen Schilderungen -des Grafen Tolstoj nicht bloß interessante Thatsachen in -der Wiedergabe eines Augenzeugen, nicht bloß begeisterte -Erzählungen von Heldenthaten, die auch den Leidenschaftslosesten -hätten fortreißen können; jeder Leser erblickte -darin die Verherrlichung der nationalen Tapferkeit und -die Verewigung ihres Andenkens.</p> - -<p>Nie vorher hatte Rußland Soldatenschilderungen -solcher Art gekannt. Skobelews vielgelesene Erzählungen -waren unter den Vorurteilen einer schönfärberischen -Vaterlandsliebe entstanden und sind die Schöpfungen -einer mittelmäßigen Dichtergabe. Tolstoj strebte nach -einer treuen Wirklichkeitsschilderung und besaß zugleich -die Kraft, dem Alltäglichen den Charakter des Erhabenen -zu geben.</p> - -<p class="right"> -R. L. -</p> - -<div class="figcenter"> -<img src="images/illu-008.jpg" width="300" height="47" alt="* * * * *" /> -</div> - - - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_5" id="Page_5">[Pg 5]</a></span></p> - - - - -<h3><em>Sewastopol</em> im December 1854</h3> - - -<p>Eben beginnt die Morgenröte den Horizont über -dem Ssapunberg zu färben; die dunkelblaue -Meeresfläche hat bereits das nächtliche Dunkel abgestreift -und erwartet den ersten Sonnenstrahl, -um in glänzenden Farben zu spielen; von der -Bucht her weht es kalt und neblig; es liegt kein -Schnee, alles ist schwarz, aber der scharfe Morgenfrost -greift das Gesicht an und macht die Erde -unter den Füßen knirschen; nur das entfernte, -unaufhörliche, bisweilen von rollenden Schüssen in -Sewastopol übertönte Brausen des Meeres unterbricht -die Stille des Morgens. Auf den Schiffen -ist es still; die achte Stunde schlägt.</p> - -<p>Auf der Nordseite beginnt allmählich die Ruhe -der Nacht der Thätigkeit des Tages zu weichen: -hier marschiert eine Wachablösung, mit den Gewehren -klirrend, vorbei; dort eilt ein Arzt schon -ins Lazarett; hier kriecht ein Soldat aus einer -Erdhütte, wäscht sich mit eisigem Wasser das -sonnenverbrannte Gesicht und betet, nach dem sich -rötenden Osten gewendet und sich schnell bekreu<span class="pagenum"><a name="Page_6" id="Page_6">[Pg 6]</a></span>zigend, -zu Gott; hier schleppt knarrend eine hohe, -schwere, mit Kamelen bespannte Madshara (tatarischer -Bauernwagen) blutige Leichen, mit denen -sie fast bis an den Rand beladen ist, zur Beerdigung -auf den Kirchhof ... Wir gehen auf -den Hafen zu, – hier schlägt uns ein eigentümlicher -Geruch von Steinkohlen, Dünger, Feuchtigkeit -und Fleisch entgegen; tausend verschiedenartige -Gegenstände – Brennholz, Fleisch, Schanzkörbe, -Mehl, Eisen u. s. w. – liegen haufenweis am -Hafen; Soldaten verschiedener Regimenter, mit -Säcken und Gewehren, ohne Säcke und ohne Gewehre, -drängen sich hier, rauchen, zanken sich, schleppen -Lasten auf den Dampfer, der rauchend an der -Landungsbrücke liegt; Privatkähne, voll von allerlei -Volk, – von Soldaten, Seeleuten, Kaufleuten, -Weibern, – legen an oder stoßen ab.</p> - -<p>Nach der Grafßkaja, Euer Wohlgeboren, -wenn's gefällig ist! bieten uns zwei oder drei verabschiedete -Matrosen ihre Dienste an, indem sie -in ihren Böten aufstehen.</p> - -<p>Wir wählen den, der uns am nächsten ist, -schreiten über den halbverfaulten Kadaver eines -braunen Pferdes, der hier im Schmutz in der -Nähe des Bootes liegt, und gehen an's Steuerruder. -Wir stoßen vom Ufer ab. Rings um -uns haben wir das schon in der Morgensonne -glänzende Meer, vor uns den alten Matrosen, -in einem Überrock aus Kamelhaar, und einen<span class="pagenum"><a name="Page_7" id="Page_7">[Pg 7]</a></span> -blonden Knaben, die unter Schweigen emsig die -Ruder führen. Wir sehen die vielen segelfertigen -Schiffe, die nah und fern in der Bucht zerstreut -sind, die kleinen, schwarzen Punkte der auf dem -glänzenden Azur des Meeres sich bewegenden Schaluppen -und die auf der andern Seite der Bucht -befindlichen, durch die hellroten Strahlen der -Morgensonne gefärbten, schönen und hellen Häuser -der Stadt; wir sehen die schaumbespritzte Linie -des Molo und der versenkten Schiffe, deren -schwarze Mastenspitzen hie und da düster aus dem -Wasser ragen; unserm Blicke begegnet die entfernte -feindliche Flotte, die am kristallenen Horizont -des Meeres unthätig daliegt, endlich sehen -wir die durch unsere Ruder in den schäumenden -Wellen in die Höhe geworfenen und springenden -Tropfen der Salzflut; wir hören den einförmigen -Laut von Stimmen, die über das Wasser her zu -uns dringen, und die majestätischen Töne der Kanonade, -die, wie uns scheint, immer stärker wird -in Sewastopol.</p> - -<p>Es ist unmöglich, daß bei dem Gedanken: auch -wir sind in Sewastopol, unsere Seele nicht das -Gefühl eines gewissen Mutes und Stolzes durchdringe, -und das Blut nicht schneller in unsern -Adern fließe.</p> - -<p>Euer Wohlgeboren! Steuern Sie direkt auf -den Kistentin (das Schiff »Konstantin«), sagt zu -uns der alte Matrose, indem er sich rückwärts<span class="pagenum"><a name="Page_8" id="Page_8">[Pg 8]</a></span> -wendet, um die Richtung, die wir dem Boote geben, -zu berichtigen, das Steuerruder rechts!</p> - -<p>Und er hat noch all seine Kanonen! bemerkt -der blonde Bursche, während er am Schiffe vorbeirudert -und es betrachtet.</p> - -<p>Freilich. Er ist neu, Kornilow hat ihn befehligt, -bemerkt der Alte, indem er ebenfalls das -Schiff betrachtet.</p> - -<p>Sieh, wie sie geplatzt ist! sagt der Knabe nach -einem längeren Schweigen, indem er auf ein weißes -Wölkchen zerfließenden Rauches sieht, das sich plötzlich -hoch über der südlichen Bucht erhebt und von -dem lauten Krachen einer platzenden Bombe begleitet -ist.</p> - -<p>Er feuert heut aus einer neuen Batterie, fügt -der Alte hinzu, indem er sich gleichmütig in die -Hände spuckt. Nun, Mischka, zugerudert, wir -wollen die Barkasse überholen! ... Und unser -Boot eilt schneller vorwärts über die weite, -wogende Bucht, überholt wirklich die schwere Barkasse, -die mit Säcken beladen ist und von ungeschickten -Soldaten ungleich gerudert wird, und -landet, zwischen einer Menge am Ufer befestigter -Böte, im Grafßkaja-Hafen.</p> - -<p>Auf dem Uferdamm bewegen sich lärmend -Scharen von Soldaten in grauen Mänteln, von -Matrosen in schwarzen Winterröcken und von buntgekleideten -Frauen. Alte Weiber verkaufen Semmeln, -Bauern mit Theemaschinen schreien: »Heißer<span class="pagenum"><a name="Page_9" id="Page_9">[Pg 9]</a></span> -Sbitjen!«<a name="FNanchor_A_1" id="FNanchor_A_1"></a><a href="#Footnote_A_1" class="fnanchor">[A]</a> und dort auf den ersten Stufen der -nach dem Landungsplatz führenden Treppe liegen -verrostete Kanonenkugeln, Bomben, Kartätschen -und gußeiserne Kanonen verschiedenen Kalibers; -etwas weiter ist ein großer Platz, auf dem mächtige -Balken, Kanonenlafetten, schlafende Soldaten -liegen, und Pferde, Fuhrwerke, grüne Pulverkasten -mit Geschützen, und Sturmgeräte der Infanterie -stehen; Soldaten, Matrosen, Offiziere, -Weiber, Kinder und Kaufleute bewegen sich durcheinander; -Bauernwagen mit Heu, mit Säcken und -Fässern kommen angefahren; hier reitet ein Kosak -und ein Offizier, dort fährt ein General in einer -Droschke. Rechts ist die Straße durch eine Barrikade -gesperrt, auf der in Schießscharten kleine Kanonen -stehen; neben diesen sitzt, seine Pfeife rauchend, -ein Matrose. Links erhebt sich ein hübsches -Haus mit römischen Ziffern an der Stirnseite, vor -dem Soldaten neben blutigen Tragbahren stehen, -– überall sehen wir die häßlichen Spuren des -Lagerlebens im Kriege. Der erste Eindruck, den -wir empfinden, ist jedenfalls der unangenehmste; -die eigentümliche Vermischung des Lagerlebens mit -städtischem Leben und Treiben, der schönen Stadt -mit dem schmutzigen Biwak ist nicht nur unschön, -sondern kommt uns wie ein widerwärtiges Durch<span class="pagenum"><a name="Page_10" id="Page_10">[Pg 10]</a></span>einander -vor; es scheinen uns sogar alle bestürzt -und unruhig, und nicht zu wissen, was sie thun -sollen. Aber wenn wir den Menschen, die sich -um uns herum bewegen, näher ins Gesicht sehen, -kommen wir zu einer ganz andern Ansicht. Betrachten -wir nur diesen Train-Soldaten, der seine -drei Braunen zur Tränke führt, und so ruhig -vor sich hinsummt, daß man ihm anmerkt, er wird -sich in dieser bunten Menge, die für ihn nicht existiert, -nicht verirren, er verrichtet seine Arbeit, welche -es immer sei, ob Pferde zu tränken, oder am -Geschütz zu ziehen, ebenso ruhig, selbstvertrauend -und gleichgültig, als wenn das alles irgendwo in -Tula oder Saransk geschehe. Denselben Ausdruck -lesen wir auch auf dem Gesicht des jungen Offiziers, -der in tadellosen weißen Handschuhen vorbeigeht, -auf dem Gesicht des Matrosen, der rauchend -auf der Barrikade sitzt, auf den Gesichtern -der als Träger verwendeten Soldaten, die mit -Bahren auf der Außentreppe des ehemaligen Kasinos -warten, und auf dem Gesicht des Mädchens, -das, in der Furcht, sein rosafarbenes Kleid naß zu -machen, von Stein zu Stein über die Straße -hüpft.</p> - -<div class="footnote"> - -<a name="Footnote_A_1" id="Footnote_A_1"></a><a href="#FNanchor_A_1">[A]</a> Getränk aus Wasser, Honig und Lorbeerblättern -oder Salbei, das von den Aermeren als Thee getrunken -wird. Anm. d. Herausg.</div> - -<p>Wenn wir zum erstenmal in Sewastopol ankommen, -sind wir unbedingt enttäuscht. Wir suchen -vergebens, auch nur auf einem Gesicht, Spuren -von Unruhe und Kopflosigkeit, oder auch von -Begeisterung, Todesmut und Entschlossenheit, –<span class="pagenum"><a name="Page_11" id="Page_11">[Pg 11]</a></span> -nichts von alledem: wir sehen ruhig mit ihrer Alltagsarbeit -beschäftigte Alltagsmenschen, so daß wir -uns vielleicht selbst ein Übermaß von Enthusiasmus -vorwerfen, daß wir leise Zweifel hegen an der -Richtigkeit der Vorstellung von dem Heldenmut -der Verteidiger Sewastopols, die wir uns nach -den Erzählungen, den Beschreibungen gebildet -haben und dem, was wir auf der Nordseite gesehen -und gehört. Aber ehe wir zweifeln, gehen wir -auf die Bastionen, betrachten wir Sewastopols -Verteidiger auf dem Schauplatz der Verteidigung -selber, – oder noch besser, gehen wir direkt in -das Haus gegenüber, das früher das Sewastopoler -Kasinogebäude gewesen und auf dessen Außentreppe -Soldaten mit Tragbahren stehen, – da -werden wir die Verteidiger Sewastopols sehen, -da werden wir schreckliche, traurige, große, Erstaunen -erregende und herzerhebende Szenen sehen.</p> - -<p>Wir wollen in den großen Saal des Kasinos -gehen. Kaum haben wir die Thür geöffnet, da erschreckt -uns plötzlich der Anblick und der Geruch -von vierzig oder fünfzig amputierten, sehr schwer -verwundeten Kranken, die einen auf Pritschen, die -meisten auf der Diele liegend. Wir dürfen dem -Gefühl, das uns an der Schwelle zurückhält, nicht -nachgeben – es ist kein schönes Gefühl; gehen wir -nur vorwärts, schämen wir uns nicht, daß wir -gekommen, von den quälendsten Schmerzen Gepeinigte -zu <em>sehen</em> – schämen wir uns nicht, zu<span class="pagenum"><a name="Page_12" id="Page_12">[Pg 12]</a></span> -ihnen zu gehen und mit ihnen zu sprechen: die -Unglücklichen sehen gern ein mitfühlendes Menschenantlitz, -sprechen gern von ihren Qualen und -hören gern Worte der Liebe und Teilnahme ... -Wir wollen in der Mitte der Lagerstätten entlang -gehen und ein weniger düsteres und schmerzdurchfurchtes -Gesicht suchen, zu dem wir hingehen können, -um zu sprechen.</p> - -<p>Wo bist du verwundet? – fragen wir unentschlossen -und zaghaft einen alten, abgemagerten -Soldaten, der auf einer Pritsche sitzt, uns mit -einem treuherzigen Blicke verfolgt und uns aufzufordern -scheint, an ihn heranzukommen. Ich -sage: zaghaft fragen wir, weil Leiden nicht nur -tiefes Mitgefühl, sondern auch Scheu vor der Möglichkeit -zu beleidigen und Hochachtung vor dem, der -sie erträgt, einflößen.</p> - -<p>Am Bein, antwortet der Soldat, aber zugleich -bemerken wir selber an den Falten der Decke, -daß ihm ein Bein bis zum Knie fehlt. Gott sei -Dank, fügt er hinzu: ich werde jetzt aus dem Lazarett -entlassen werden.</p> - -<p>Und ist es schon lange her, daß du verwundet -worden bist?</p> - -<p>Ja, vor sechs Wochen, Euer Wohlgeboren.</p> - -<p>Schmerzt es dich jetzt?</p> - -<p>Nein, jetzt schmerzt es nicht, – gar nicht; nur -die Wade scheint mir weh zu thun, wenn schlechtes -Wetter ist, das ist alles.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_13" id="Page_13">[Pg 13]</a></span></p> - -<p>Wie und wo bist du verwundet worden?</p> - -<p>Auf der fünften Bastion, Euer Wohlgeboren, -wie das erste Bombardement war, ich hatte das -Geschütz hergerichtet, wollte nach einer anderen -Schießscharte gehen, und da traf er mich ins Bein, -es war mir, als ob ich in eine Grube stürzte, – -fort war das Bein.</p> - -<p>Empfandest du nicht Schmerz in diesem ersten -Augenblick?</p> - -<p>Nein, nur ein Gefühl, als wenn ich mit etwas -Heißem ans Bein gestoßen würde.</p> - -<p>Nun, aber dann?</p> - -<p>Und dann war weiter nichts; nur als man -mir die Haut straff zog, war mir, als ob sie -wund gerieben würde. Das Erste, Euer Wohlgeboren, -ist, <em>an nichts denken</em>; wenn man -nichts denkt, dann ist auch weiter nichts. Alles -kommt daher, daß der Mensch denkt.</p> - -<p>Da tritt an uns eine Frau heran, in einem -grauen gestreiften Kleide, mit einem um den Kopf -gebundenen schwarzen Tuch, sie mischt sich in unser -Gespräch mit dem Matrosen und beginnt von -ihm zu erzählen, von seinen Leiden, dem verzweifelten -Zustande, in dem er sich vier Wochen lang -befunden, – wie er, verwundet, die Tragbahre -hatte anhalten lassen, um die Salve unserer Batterie -zu sehen, wie die Großfürsten mit ihm gesprochen -und ihm 25 Rubel geschenkt, und wie -er ihnen gesagt, daß er wieder auf die Bastion<span class="pagenum"><a name="Page_14" id="Page_14">[Pg 14]</a></span> -wolle, um die jungen Leute zu unterweisen, wenn -er selber nicht mehr arbeiten könnte. Während -die Frau dies in einem Atem hersagt, sieht sie -bald uns, bald den Matrosen an, der, abgewandt -und als wenn er nicht auf sie hörte, auf seinem -Kopfkissen Charpie zupft, – und ihre Augen leuchten -dabei von einem besonderen Entzücken.</p> - -<p>Das ist meine Hausfrau, Euer Wohlgeboren! -bemerkt uns der Matrose, mit einem Ausdrucke, als -wenn er spräche: Sie müssen ihr schon verzeihen, -es ist einmal so, Weiber müssen dummes Zeug -schwatzen.</p> - -<p>Wir beginnen die Verteidiger Sewastopols zu -verstehen, wir schämen uns förmlich vor diesem -Menschen. Wir möchten ihm gar viel sagen, um -ihm unser Mitgefühl und unsere Bewunderung -auszudrücken, aber wir finden keine Worte oder -sind nicht zufrieden mit denen, die uns gerade einfallen, -und beugen uns schweigend vor dieser -schweigsamen und unbewußten Größe und Stärke -des Geistes, dieser Scham vor dem eigenen Werte.</p> - -<p>Nun möge Gott dich bald gesund werden lassen, -sagen wir zu ihm und bleiben vor einem anderen -Kranken stehen, der auf der Diele liegt und in -unerträglichen Schmerzen den Tod zu erwarten -scheint.</p> - -<p>Es ist ein blonder Mensch mit einem geschwollenen -und bleichen Gesicht. Er liegt auf -dem Rücken, den linken Arm hinten unter gelegt,<span class="pagenum"><a name="Page_15" id="Page_15">[Pg 15]</a></span> -in einer Lage, die fürchterliche Schmerzen ausdrückt. -Der vertrocknete, geöffnete Mund stößt -mit Mühe röchelnden Atem aus; die blauen, -glanzlosen Augen rollen nach oben gerichtet, und -aus der umgeschlagenen Decke ragt der mit Binden -umwundene Stumpf des rechten Arms hervor. Der -dumpfige Geruch, den der leblose Körper ausströmt, -fällt uns stark auf die Brust, und die verzehrende, -innerliche Hitze, die alle Glieder des -Dulders durchdringt, bemächtigt sich auch unser.</p> - -<p>Wie, ist er besinnungslos? fragen wir die Frau, -die hinter uns geht und uns, wie Verwandte, -freundlich ansieht.</p> - -<p>Noch nicht, er hört, befindet sich aber sehr -schlecht, fügt sie flüsternd hinzu, ich habe ihm heute -Thee zu trinken gegeben; obwohl er mir fremd -ist, so muß man doch Mitleiden haben, – er -hat fast gar nicht mehr getrunken.</p> - -<p>Wie fühlst du dich? fragen wir ihn.</p> - -<p>Der Verwundete bewegt auf unsere Frage die -Pupillen, aber er sieht und versteht uns nicht.</p> - -<p>Im Herzen brennt's.</p> - -<p>Ein wenig weiter sehen wir einen alten Soldaten, -der die Wäsche wechselt. Sein Gesicht und -Körper sind ziegelfarbig und mager wie bei einem -Skelett. Der eine Arm fehlt ihm gänzlich, er ist -ihm an der Schulter abgenommen worden. Er -sitzt gefaßt da, – er befindet sich auf dem -Wege der Besserung; aber an dem toten, trüben<span class="pagenum"><a name="Page_16" id="Page_16">[Pg 16]</a></span> -Auge, an der schrecklichen Magerkeit und den -Runzeln des Gesichts erkennen wir, daß dieses -Wesen schon den größeren Teil seines Lebens durchlitten -hat.</p> - -<p>Auf der anderen Seite sehen wir auf einer -Pritsche ein leidendes, bleiches und zartes Frauengesicht, -auf dessen Wangen flammende Röte spielt.</p> - -<p>Das ist unsere Matrosenfrau, am 5. hat sie -eine Bombe am Bein getroffen, sagt uns unsere -Führerin, sie brachte ihrem Manne Essen auf die -Bastion.</p> - -<p>Hat man sie amputiert?</p> - -<p>Sie ist über'm Knie amputiert worden.</p> - -<p>Jetzt gehen wir durch eine Thür links, wenn -unsere Nerven stark sind; in diesem Zimmer werden -die Verwundeten verbunden und operiert. Wir -sehen hier die Ärzte mit Blut an den Armen bis -zu den Ellbogen und mit blassen, finsteren Gesichtern -um eine Pritsche beschäftigt, auf der mit -geöffneten Augen und wie im Fieber sinnlose, bisweilen -einfache und rührende Worte sprechend, -ein Verwundeter chloroformiert liegt. Die Ärzte -sind mit einer widerwärtigen, aber wohlthätigen -Arbeit beschäftigt. Wir sehen, wie ein scharfes -krummes Messer in den weißen, gesunden Körper -einschneidet; – wir sehen, wie der Verwundete -mit einem schrecklichen, herzzerreißenden Schrei und -mit Verwünschungen plötzlich zur Besinnung kommt; -– wir sehen, wie der Feldscher den abgeschnittenen<span class="pagenum"><a name="Page_17" id="Page_17">[Pg 17]</a></span> -Arm in eine Ecke wirft; – wir sehen in demselben -Zimmer, auf einer Tragbahre, einen anderen Verwundeten -liegen, der beim Anblick der Operation -des Kameraden sich windet und stöhnt, nicht so -sehr aus körperlichem Schmerz, wie aus Qual und -Erwartung; – wir sehen schreckliche, herzerschütternde -Szenen, wir sehen den Krieg nicht in dem -üblichen schönen und glänzenden Gewande, mit -Musik und Trommelklang, mit wehenden Fahnen -und Generalen hoch zu Rosse, wir sehen den Krieg -in seinem wahren Wesen – in Blut, in Leiden, -in Tod ...</p> - -<p>Treten wir aus diesem Hause der Qualen heraus, -so empfinden wir unfehlbar ein tröstliches -Gefühl, atmen voller die frische Luft ein, empfinden -Vergnügen im Bewußtsein unserer Gesundheit, -schöpfen aber zugleich aus der Anschauung -dieser Leiden das Bewußtsein unserer eigenen -Nichtigkeit und gehen ruhig und entschlossen auf -die Bastionen ...</p> - -<p>»Was bedeutet der Tod und die Leiden eines -so nichtigen Wurmes, wie ich, im Vergleich zu dem -Tode und dem Leiden so vieler?« Aber der -Anblick des klaren Himmels, der strahlenden -Sonne, der schönen Stadt, der geöffneten Kirche -und des Kriegsvolks, das sich nach allen Richtungen -hin bewegt, versetzt unsern Geist schnell -in den normalen Zustand des Leichtsinns, der -Alltagssorgen und des Genusses der Gegenwart.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_18" id="Page_18">[Pg 18]</a></span></p> - -<p>Vielleicht begegnen wir einem aus der Kirche -kommenden Begräbnis eines Offiziers, mit einem -rosafarbenen Sarge, mit Musik und fliegenden -Fahnen; an unser Ohr dringen vielleicht die Töne -der Kanonade von den Bastionen, aber das versetzt -uns nicht in die frühere Stimmung zurück: -das Leichenbegängnis erscheint uns als ein wunderschönes -militärisches Schauspiel, die Töne als ein -minder schönes Kriegsgetön, und wir verknüpfen -weder mit diesem Schauspiel, noch mit diesen Tönen -den klaren, uns selbst betreffenden Gedanken an -Leiden und Tod, wie wir das an dem Verbandort -gethan haben.</p> - -<p>An der Kirche und Barrikade vorüber kommen -wir nach dem belebtesten Stadtteil. Auf beiden -Seiten befinden sich Aushängeschilder von -Verkaufsläden und Gastwirtschaften. Kaufleute, -Frauen in Hüten und Tüchern, stutzerhafte Offiziere, -– alles spricht uns von der Standhaftigkeit, -dem Selbstvertrauen und der Sicherheit der -Einwohner.</p> - -<p>Wir müssen in ein Gasthaus rechter Hand -gehen, wenn wir ein Gespräch von Seeleuten und -Offizieren hören wollen; hier werden jedenfalls -Gespräche über die verflossene Nacht, über Fenjka, -über den 24. geführt, darüber, wie schlecht und -teuer man die Koteletts bekommt, und wie der -und jener Kamerad gefallen ist.</p> - -<p>Hol's der Teufel, wie arg es heut bei uns<span class="pagenum"><a name="Page_19" id="Page_19">[Pg 19]</a></span> -ist! spricht mit Baßstimme ein bartloser Marineoffizier -mit blonden Augenbrauen und Wimpern, -der eine grüne, gestrickte Schärpe trägt.</p> - -<p>Wo ist das – bei uns? fragt ihn ein anderer.</p> - -<p>Auf der vierten Bastion, antwortet der junge -Offizier, und wir betrachten unfehlbar mit großer -Aufmerksamkeit und sogar mit einer gewissen Achtung -den blonden Offizier bei den Worten: »auf -der vierten Bastion«. Seine übermäßige Ausführlichkeit, -sein Herumfuchteln mit den Händen, -sein lautes Lachen und Sprechen, die uns erst keck -erscheinen, erweisen sich als jene besondere prahlerische -Stimmung, die leicht nach einer Gefahr über -junge Leute kommt; wir denken, daß er anfangen -wird, uns zu erzählen, wie arg es auf der vierten -Bastion ist der Bomben und Gewehrkugeln wegen -– weit gefehlt! arg ist es dort, weil es schmutzig -ist. – »Man kann nicht nach der Batterie gehen, -spricht er, indem er auf seine bis über die Waden -mit Schmutz bedeckten Stiefel zeigt. Und heut -habe ich meinen besten Kommandeur verloren, -direkt in die Stirn ist er getroffen worden,« sagt -ein anderer. – »Wer war es? Mitjuchin?« -»Nein ... Nun, wird man mir endlich den Kalbsbraten -geben ... Seid ihr Kanaillen!« fügt er -hinzu, zu der Bedienung des Gasthauses gewandt. -»Nicht Mitjuchin, sondern Abramow. Es war ein -braver Kamerad – sechs Ausfälle hat er mitgemacht!«</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_20" id="Page_20">[Pg 20]</a></span></p> - -<p>Am andern Ende des Tisches sitzen bei Koteletts -mit Schoten und einer Flasche sauren Krimweins, -sogenannten Bordeaux, zwei Offiziere von -der Infanterie: der eine mit rotem Kragen und -zwei Sternen auf dem Mantel, ein junger Mann, -erzählt dem andern, mit schwarzem Kragen und -ohne Sterne, von dem Treffen an der Alma. Der -erstere hat schon ein wenig getrunken, und man -merkt es an den Pausen, die er in seiner Erzählung -macht, an dem unentschlossenen Blick, der -zweifelnd zu fragen scheint, ob man ihm auch -glaube, hauptsächlich aber an der allzu großen -Rolle, die er in allem spielt, und weil alles zu -furchtbar klingt, daß er stark von der strengen -Wiedergabe der Wahrheit abweicht. Aber wir -sind nicht in der Stimmung, diese Erzählungen -mit anzuhören, die wir noch lange an allen Enden -Rußlands werden zu hören bekommen; wir wollen -so schnell als möglich auf die Bastionen, besonders -auf die vierte, von der man uns so vieles und -so verschiedenartiges erzählt hat. Wenn jemand -sagt, er sei auf der vierten Bastion gewesen, so -sagt er das mit besonderer Befriedigung und mit -Stolz; sagt jemand: ich gehe auf die vierte Bastion, -so sieht man ihm sicher eine kleine Erregung oder -allzugroßen Gleichmut an; will man jemanden -necken, so sagt man: dich sollte man in die vierte -Bastion schicken; begegnet man Tragbahren und -fragt: woher? – so bekommt man meist die Ant<span class="pagenum"><a name="Page_21" id="Page_21">[Pg 21]</a></span>wort: -von der vierten Bastion. Es giebt überhaupt -zwei völlig verschiedene Meinungen über -diese schreckliche Bastion: die Meinung solcher, die -nie dort waren und die überzeugt sind, daß die -vierte Bastion das sichere Grab für jeden ist, der -dorthin geht – und solcher, die dort hausen, -wie der blonde Midshipman, und die, wenn sie -von der vierten Bastion sprechen, uns sagen, ob -es in der Erdhütte trocken oder schmutzig, warm -oder kalt ist u. s. w.</p> - -<p>In der halben Stunde, die wir im Gasthaus -zugebracht haben, hat sich das Wetter geändert: -der Nebel, der über das Meer gebreitet lag, hat -sich zu grauen, düsteren, feuchten Wetterwolken -geballt und verhüllt die Sonne; ein trauriger -Staubregen sprüht vom Himmel und netzt die -Dächer, die Straßen und die Soldatenmäntel ...</p> - -<p>Wir gehen noch durch eine Barrikade hindurch, -dann treten wir zur Thür heraus, wenden uns -rechts und steigen auf einer langen Straße bergauf. -Hinter dieser Barrikade sind die Häuser -zu beiden Seiten unbewohnt, Schilder fehlen, die -Thüren sind mit Brettern vernagelt, die Fenster -eingeschlagen, hier ist eine Mauerecke fortgeschossen, -dort ein Dach durchgeschlagen. Die Gebäude gleichen -Veteranen, die alle Not und Sturm erfahren haben, -und scheinen stolz und geringschätzig auf uns herabzusehen. -Unterwegs stolpern wir über herumliegende -Kanonenkugeln und fallen in Löcher voll Wasser,<span class="pagenum"><a name="Page_22" id="Page_22">[Pg 22]</a></span> -welche die Bomben auf dem steinigen Grunde gerissen. -Auf der Straße treffen wir Soldatendetachements, -Grenzkosaken, Offiziere. Bisweilen begegnen wir -einer Frau oder einem Kinde, aber die Frau geht -nicht in Weiberkleidung; sie ist eine Matrosenfrau -und trägt einen alten Pelz und Soldatenstiefel. -Wenn wir auf der Straße weitergehen und unter -eine kleine Anhöhe gelangt sind, bemerken wir -um uns nicht mehr Häuser, sondern sonderbare -Trümmerhaufen – Steine, Bretter, Lehm, Balken; -vor uns sehen wir auf einer steilen Anhöhe -eine schwarze, schmutzige, von Gräben durchzogene -Fläche, und dies vor uns ist die vierte Bastion -... Hier begegnen wir noch weniger Menschen, -Frauen sind gar nicht zu sehen, die Soldaten -gehen schnell, auf dem Wege zeigen sich Blutstropfen, -und unfehlbar treffen wir hier vier Soldaten -mit einer Tragbahre, und auf der Bahre -ein fahlgelbes Gesicht und einen blutigen Mantel. -Wenn wir fragen: »Wo ist er verwundet?« sagen -die Träger ärgerlich, ohne sich zu uns zu wenden, -am Bein oder am Arm, wenn der Kranke leicht -verwundet ist; oder sie schweigen mürrisch, wenn -auf der Bahre der Kopf nicht sichtbar und der -Getragene bereits tot oder schwer verwundet ist.</p> - -<p>Das nahe Pfeifen einer Kanonenkugel oder -Bombe, gerade da wir den Berg zu besteigen -beginnen, überrascht uns in unangenehmer Weise. -Wir begreifen plötzlich, und ganz anders, als wir<span class="pagenum"><a name="Page_23" id="Page_23">[Pg 23]</a></span> -es vorher begriffen haben, die Bedeutung der -Kanonentöne, die wir in der Stadt gehört haben. -Ein friedlich tröstliches Erinnern blitzt in unsern -Gedanken auf; unser eigenes Ich beginnt uns -mehr zu beschäftigen, als die Beobachtungen: die -Aufmerksamkeit für alles, was uns umgiebt, nimmt -ab, und ein unangenehmes Gefühl der Unentschlossenheit -überkommt uns plötzlich. Wir achten -dieser kleinlichen Stimme nicht, die bei dem Anblick -der Gefahr plötzlich in unserm Innern sich -vernehmen läßt, und bringen, – besonders da wir -den Soldaten betrachten, der mit ausgebreiteten -Händen über den flüssigen Kot schnell lachend an -uns vorbei den Berg hinanklimmt, – diese Stimme -zum Schweigen, strecken unwillkürlich die Brust -vor, heben den Kopf empor und klettern den -schlüpfrigen, lehmigen Berg hinauf. Kaum haben -wir uns etwas auf den Berg hinaufgearbeitet, so -beginnen rechts und links Kugeln aus Stutzen zu -pfeifen, und wir denken vielleicht, ob wir nicht besser -thäten, den Laufgraben entlang zu gehen, der -mit dem Wege parallel läuft; aber der Laufgraben -ist <em>so</em> voll von flüssigem, gelbem, übelriechendem, -bis über die Knie reichendem Schmutz, -daß wir unbedingt den Weg auf dem Berge wählen, -umsomehr, als wir alle ihn gehen sehen. Zweihundert -Schritt weiter gelangen wir zu einer aufgerissenen, -schmutzigen Fläche, die auf allen Seiten -von Schanzkörben und von Erdaufschüttungen um<span class="pagenum"><a name="Page_24" id="Page_24">[Pg 24]</a></span>geben -ist, in denen sich Pulverkeller und Erdwohnungen -befinden, und auf denen große gußeiserne -Kanonen, mit regelmäßigen Haufen von -Kugeln daneben, stehen. Das alles scheint uns -ohne Zweck und Ordnung aufgetürmt zu sein. Da -in der Batterie sitzt eine Schar Matrosen, dort -in der Mitte des Platzes liegt eine halb in Schmutz -versunkene, zerschossene Kanone; da geht ein Infanterist -mit seinem Gewehr durch die Batterien -und zieht mit Mühe seine Füße aus dem Schmutz. -Aber überall, auf allen Seiten und allen Punkten, -sehen wir Sprengstücke, nichtgeplatzte Bomben, -Kanonenkugeln, Spuren des Lagerlebens, und -das alles ist in flüssigen, morastigen Schmutz versunken; -wir hören das Aufschlagen einer Kanonenkugel, -hören die verschiedenen Töne der Gewehrkugeln, -die wie Bienen summen, schnell pfeifen -oder wie eine Darmsaite klingen, wir hören furchtbaren -Geschützdonner, der uns alle erschüttert und -mit furchtbarem Entsetzen erfüllt.</p> - -<p>»Das ist also die vierte Bastion, das ist also -der schreckliche, wirklich furchtbare Ort!« denken -wir und empfinden ein kleines Gefühl des Stolzes -und ein großes Gefühl unterdrückter Angst. Aber -wir sind enttäuscht, das ist noch nicht die vierte -Bastion. Das ist die Jasonow-Redoute, ein verhältnismäßig -sehr gefahrloser und durchaus nicht -schrecklicher Platz. Um nach der vierten Bastion -zu gelangen, müssen wir rechts einen engen Lauf<span class="pagenum"><a name="Page_25" id="Page_25">[Pg 25]</a></span>graben -verfolgen, in dem ein Infanterist gebückt -einhergeht. In diesem Graben treffen wir vielleicht -wieder Tragbahren, Matrosen, Soldaten mit -Schaufeln, sehen Leitungen zu Minen, Erdhütten -voll Schmutz, in denen nur zwei Menschen gebückt -herumkriechen können, wir sehen die hier wohnenden -Plastuns<a name="FNanchor_B_2" id="FNanchor_B_2"></a><a href="#Footnote_B_2" class="fnanchor">[B]</a> der Bataillone vom Schwarzen -Meer, die sich dort umkleiden, essen, Tabak rauchen, -wohnen, und sehen wiederum überall denselben -übelriechenden Schmutz, die Spuren des Lagerlebens -und in jedweder Gestalt umherliegendes -Gußeisen. Nach dreihundert Schritten kommen wir -wieder zu einer Batterie, – zu einem kleinen mit -Löchern bedeckten Platze, der von Schanzkörben -voll Erde, von Geschützen auf Plattformen und -von Erdwällen umgeben ist. Hier sehen wir nun -fünf Mann Matrosen, die unter der Brustwehr -Karten spielen, und einen Marineoffizier, der uns, -als neugierigen Neulingen, seine Wirtschaft und -alles uns Interessierende zeigt. Dieser Offizier -dreht sich so ruhig, auf dem Geschütz sitzend, eine -Cigarette aus gelbem Papier, geht so ruhig von -einer Schießscharte zur andern, spricht so ruhig mit -uns, so gänzlich ungezwungen, daß wir ungeachtet -der Gewehrkugeln, die häufiger als früher über uns -pfeifen, kaltblütig bleiben, aufmerksam fragen und -den Erzählungen des Offiziers lauschen. Dieser<span class="pagenum"><a name="Page_26" id="Page_26">[Pg 26]</a></span> -Offizier wird uns, aber nur, wenn wir ihn fragen, -von dem Bombardement am 5. erzählen; er wird -erzählen, wie in seiner Batterie nur ein einziges -Geschütz thätig sein konnte, und von der ganzen -Bedienungsmannschaft nur acht Mann übrig geblieben -waren, und wie er dennoch am folgenden -Morgen, am 6., aus allen Geschützen gefeuert; -er wird uns erzählen, wie am 5. eine Bombe in -eine Matrosen-Erdhütte eingeschlagen und elf -Mann niedergestreckt hat; er wird uns von der -Schießscharte aus die nicht mehr als dreißig bis -vierzig Faden entfernten Batterien und Laufgräben -des Feindes zeigen. Nur das eine fürchte -ich, daß wir, zur Schießscharte hinausgelehnt, um zu -dem Feinde hinüberzuschauen, unter dem Einflusse -des Sausens der Kugeln nichts sehen, und wenn wir -etwas sehen, uns sehr wundern werden, daß dieser -uns so nahe weiße Steinwall, über dem weiße -Rauchwölkchen emporsteigen, der Feind ist – »er«, -wie die Soldaten und Matrosen sagen.</p> - -<div class="footnote"> -<a name="Footnote_B_2" id="Footnote_B_2"></a><a href="#FNanchor_B_2">[B]</a> Plastuns hießen die am östlichen Ufer des Schwarzen -Meeres und am Kuban lebenden Kosaken.</div> - -<p>Es ist sogar leicht möglich, daß der Marineoffizier -aus Eitelkeit oder nur so, um sich ein -Vergnügen zu machen, in unserer Gegenwart ein -wenig schießen lassen will. »Den Kommandor herschicken, -Bedienungsmannschaft ans Geschütz!« – -und an vierzehn Mann Matrosen, der eine seine -Pfeife in die Tasche steckend, der andere Zwieback -kauend, gehen frisch und munter, mit den beschlagenen -Stiefeln auf der Plattform laut auf<span class="pagenum"><a name="Page_27" id="Page_27">[Pg 27]</a></span>tretend, -an die Kanone und laden sie. Wir betrachten -die Züge, die Haltung und die Bewegung -dieser Leute: in jeder Falte dieses verbrannten -Gesichts mit den starken Backenknochen, in jeder -Muskel, in diesen breiten Schultern, in diesen -kräftigen Beinen, die in gewaltigen Stiefeln -stecken, in jeder dieser ruhigen, sicheren, langsamen -Bewegungen erkennt man die Hauptcharakterzüge, -die die Kraft des Russen ausmachen – Schlichtheit -und Festigkeit; aber hier, dünkt uns, hat die -Gefahr, der Zorn und die Leiden des Krieges jedem -Gesicht außer diesen Hauptzügen noch die Spuren -des Bewußtseins des eigenen Wertes, erhabenen -Denkens und Empfindens eingeprägt.</p> - -<p>Plötzlich überrascht uns ein schrecklicher, nicht -nur unser Gehör, sondern unseren ganzen Organismus -erschütternder Knall, so daß wir am -ganzen Leibe erzittern. Gleich darauf hören wir, -wie das Geschoß sich pfeifend entfernt, und dichter -Pulverdampf hüllt uns, die Plattform und die -schwarzen Gestalten der hin- und hergehenden Matrosen -ein. Wir hören verschiedene Gespräche der -Matrosen über diesen Schuß. Wir sehen, wie sie -lebhaft werden und ein Gefühl offenbaren, das -wir kaum erwartet hätten – das Gefühl der Wut, -der Rache am Feinde, das in der Seele eines -jeden verborgen ruht. »Gerade in die Schießscharte -hat es getroffen; wie es scheint, sind zwei -gefallen ... dort trägt man sie heraus,« hören<span class="pagenum"><a name="Page_28" id="Page_28">[Pg 28]</a></span> -wir freudig ausrufen. »Sieh, er ärgert sich, – -gleich wird er hierher schießen,« sagt jemand, und -wirklich sehen wir bald darauf Blitz und Rauch -vor uns; der auf der Brustwehr stehende Posten -schreit: »Kano–one!« und gleich darauf kommt -eine Kanonenkugel an uns vorbeigeflogen, schlägt -auf die Erde auf und wirft, sich trichterförmig -einbohrend, Steine und Erdstücke um sich. Der -Batteriechef, ärgerlich wegen dieser Kugel, befiehlt -ein zweites und drittes Geschütz zu laden, – der -Feind beginnt uns zu antworten, und wir durchleben -interessante Empfindungen, hören und sehen -interessante Dinge. Der Posten schreit wiederum: -»Kanone!« und wir hören denselben Ton und -Schlag, sehen dieselben Erdstücke; oder er schreit: -»Mörser!« – und wir hören ein gleichmäßiges, -ziemlich angenehmes Pfeifen der Bombe, mit dem -man nur mühsam den Gedanken an etwas Furchtbares -in Verbindung bringt, wir hören das Pfeifen, -das sich uns nähert und sich beschleunigt, -dann sehen wir eine schwarze Kugel, ihr Aufschlagen -auf die Erde und das von einem starken -Krach begleitete Platzen der Bombe. Mit Pfeifen -und Zischen fliegen dann die Splitter umher, -schwirren Steine durch die Luft und wir werden -mit Schmutz beworfen. Bei diesen Tönen empfinden -wir ein sonderbares Gefühl, gemischt aus -Angst und Genuß. In dem Augenblicke, wo das -Geschoß auf uns zufliegt, schießt uns unbedingt<span class="pagenum"><a name="Page_29" id="Page_29">[Pg 29]</a></span> -der Gedanke durch den Kopf, daß es uns tötet; -aber das Gefühl der Eigenliebe stachelt uns, und -niemand bemerkt das Messer, das uns ins Fleisch -schneidet. Dafür aber leben wir, wenn das Geschoß -vorübergeflogen ist, ohne uns zu streifen, wieder -auf, und ein erquickendes, unsagbar angenehmes -Gefühl kommt, wenn auch nur einen Augenblick, -über uns, so daß wir an der Gefahr, an diesem -Spiel um Leben und Tod einen besonderen Genuß -finden; wir wünschen, es möchten noch näher und -näher bei uns Kugeln oder Bomben niederfallen. -Da schreit der Posten noch einmal mit seiner lauten, -tiefen Stimme: »Mörser!« – wiederum ertönt -das Pfeifen, Aufschlagen und Platzen der Bombe, -aber zugleich mit diesem Ton erschreckt uns das -Stöhnen eines Menschen. Wir gehen zu gleicher -Zeit mit den Trägern zu dem Verwundeten heran, -der blutig und beschmutzt ein seltsames, nicht -menschliches Aussehen hat. Einem Matrosen ist -ein Teil der Brust fortgerissen worden. In dem -ersten Augenblick ist in seinem mit Schmutz bespritzten -Gesicht nur Schreck und ein unechter, vorzeitiger -Ausdruck von Leiden zu lesen, wie er einem -Menschen in solcher Lage eigen ist; aber in dem -Augenblick, wo man ihm die Tragbahre bringt, -und er sich selbst mit seiner gesunden Seite darauf -legt, bemerken wir, daß dieser Ausdruck sich in -den Ausdruck einer gewissen Begeisterung und eines -erhabenen, unausgesprochenen Gedankens verwan<span class="pagenum"><a name="Page_30" id="Page_30">[Pg 30]</a></span>delt: -die Augen leuchten heller, die Zähne pressen -sich aufeinander, der Kopf richtet sich mit Anstrengung -in die Höhe und in dem Augenblick, -wo man ihn aufhebt, hält er die Bahre an und -spricht mühsam mit zitternder Stimme zu den -Kameraden: »Lebt wohl, Brüder!« – er will -noch etwas sagen, man sieht, er will etwas Rührendes -sagen, aber er wiederholt noch einmal: »Lebt -wohl, Brüder!« Da geht ein Kamerad, ein -Matrose, zu ihm, setzt ihm die Mütze auf den -Kopf, den ihm der Verwundete hinhält, und kehrt -ruhig, gleichmäßig die Arme schwenkend, zu seinem -Geschütz zurück. »So ist es jeden Tag – sieben -oder acht Mann,« sagt uns der Marineoffizier, -indem er uns antwortet auf den Ausdruck des -Entsetzens, das aus unsern Zügen spricht, und -dabei gähnt und aus gelbem Papier eine Cigarette -dreht.</p> - -<hr class="tb" /> - -<p>So haben wir die Verteidiger Sewastopols -an dem Orte der Verteidigung selber gesehen und -gehen zurück, ohne den Kanonen- und Gewehrkugeln, -die den ganzen Weg entlang bis zu dem -niedergeschossenen Theater hin pfeifen, Beachtung -zu schenken, – wir gehen mit ruhiger, erhobener -Seele. Die hauptsächliche, tröstliche Überzeugung, -die wir davontragen, ist die Überzeugung von der -Unmöglichkeit, die Kraft des russischen Volkes an -irgend einem Punkte zu erschüttern. Und diese<span class="pagenum"><a name="Page_31" id="Page_31">[Pg 31]</a></span> -Unmöglichkeit haben wir nicht in der Menge der -Quergänge, der Brustwehren, der kunstvoll gezogenen -Laufgräben, der Minengänge und Geschosse, -die übereinander getürmt sind, gesehen, wovon -wir nichts verstanden haben, nein, wir haben -sie in dem Blick, in der Rede, in dem Gebahren -gesehen, in dem, was man den Geist der Verteidiger -Sewastopols nennt. Was sie thun, thun -sie so schlicht, so ohne Anspannung und Anstrengung, -daß wir die Überzeugung gewinnen, sie -können noch hundertmal mehr – sie können alles. -Wir begreifen, daß das Gefühl, das sie schaffen -heißt, nicht das Gefühl der Kleinlichkeit, der Eitelkeit, -der Unbedachtsamkeit ist, das wir selbst empfunden -haben, sondern ein anderes Gefühl, ein -gewaltigeres, das sie zu Menschen gemacht hat, -die ebenso ruhig unter dem Regen der Kugeln -leben, unter hundert Möglichkeiten des Todes anstatt -der einen, der diese Menschen alle unterworfen -sind, und die unter diesen Bedingungen -leben mitten in ununterbrochener Arbeit, in Wachen -und Schmutz. Um eines Ordens willen, um eines -Titels willen, um des Zwanges willen können -Menschen sich so entsetzlichen Lebensbedingungen -nicht fügen: es muß eine andere, eine erhabenere -Triebfeder sein. Und diese Triebfeder ist ein Gefühl, -das selten, verschämt bei dem Russen in die -Erscheinung tritt, das aber auf dem Grunde der -Seele eines jeden ruht – die Liebe zum Vater<span class="pagenum"><a name="Page_32" id="Page_32">[Pg 32]</a></span>land. -Erst jetzt sind uns die Erzählungen von -den ersten Zeiten der Belagerung Sewastopols, -da es noch keine Befestigungen, keine Armee hatte, -da es physisch unmöglich war, es zu halten, und -doch nicht der mindeste Zweifel bestand, daß es -sich dem Feinde nicht ergeben würde, glaubhaft -geworden, – die Erzählungen von den Zeiten, da -Kornilow, dieser des alten Griechenlands würdige -Held, bei einer Musterung der Truppen sprach: -»Wir wollen sterben, Kinder, aber Sewastopol -nicht übergeben,« und unsere Russen, die kein Talent -zur Phrasenmacherei haben, antworteten: »Wir -wollen sterben! Urra!« – erst jetzt haben die -Erzählungen aus jener Zeit aufgehört, für uns -eine schöne geschichtliche Überlieferung zu sein, und -sind zur Wahrheit, zur Thatsache geworden. Wir -verstehen klar und würdigen die Menschen, die -wir soeben gesehen, als die Helden, die in jener -schweren Zeit den Mut nicht sinken ließen, sondern -steigerten, und die freudig in den Tod gegangen -sind, nicht für die Stadt, sondern für das -Vaterland. Lange wird in Rußland diese Epopöe -von Sewastopol, deren Held das russische Volk -war, tiefe Spuren zurücklassen ...</p> - -<p>Der Tag neigt sich schon. Die Sonne ist vor -ihrem Untergange aus den grauen Wolken hervorgetreten, -die den Himmel bedecken, und beleuchtet -plötzlich mit purpurnem Licht: lilafarbene -Wolken, das mit Schiffen und Böten bedeckte,<span class="pagenum"><a name="Page_33" id="Page_33">[Pg 33]</a></span> -gleichmäßig wogende grünliche Meer, die weißen -Häuser der Stadt und die in den Straßen wogenden -Menschen. Über das Wasser tönen die Klänge -eines alten Walzers, den die Regimentsmusik auf -dem Boulevard spielt, und der Schall der Geschosse -von den Bastionen, der sie seltsam begleitet.</p> - -<p><em>Sewastopol</em>, den 25. April 1885.</p> - - -<div class="figcenter"> -<img src="images/illu-037.jpg" width="300" height="53" alt="* * * * *" /> -</div> - - - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_34" id="Page_34">[Pg 34]</a></span></p> - - - - -<h3><em>Sewastopol</em> im Mai 1855</h3> - - -<h4>I</h4> - -<p>Schon sind sechs Monate vergangen seit der -Zeit, da die erste Kanonenkugel von den Bastionen -Sewastopols pfiff und die Erde in den feindlichen -Werken aufriß, und seit der Zeit sind unaufhörlich -Tausende von Bomben, Kanonen- und Gewehrkugeln -von den Bastionen in die Laufgräben und -aus den Laufgräben nach den Bastionen geflogen, -und unaufhörlich hat der Engel des Todes über -ihnen geschwebt.</p> - -<p>Tausendfach ist hier menschliche Eigenliebe gekränkt, -tausendfach befriedigt und genährt, tausendfach -in den Umarmungen des Todes zum Schweigen -gebracht worden. Wie viel blumengeschmückte -Särge, wie viel linnene Leichentücher! Und noch -immer erschallen dieselben Töne von den Bastionen, -noch immer sehen, mit unwillkürlichem Schrecken -und Zittern, die Franzosen an einem klaren Abende -aus ihrem Lager auf die gelbliche, aufgerissene -Erde der Bastionen Sewastopols und die schwarzen, -auf ihnen umherwogenden Gestalten unserer Matrosen -und zählen die Schießscharten, aus welchen<span class="pagenum"><a name="Page_35" id="Page_35">[Pg 35]</a></span> -gußeiserne Kanonen trutzig hervorragen; noch -immer beobachtet ein Unteroffizier vom Steuer -vom Telegraphenhügel aus durch ein Fernrohr -die bunten Gestalten der Franzosen, ihre Batterien, -ihre Zelte, die Truppenmassen, die sich auf der -grünen Höhe bewegen, und die in den Laufgräben -aufsteigenden Rauchwölkchen, – und immer noch -streben von allen Enden der Welt verschiedene -Menschenscharen mit derselben Glut und mit noch -verschiedenartigeren Wünschen nach dieser schicksalsreichen -Stätte. Und immer noch ist die Frage, -die die Diplomaten nicht gelöst haben, nicht -gelöst durch Pulver und Blut.</p> - - -<h4> -<img src="images/illu-039.jpg" width="300" height="51" alt="II" /> -<span class="hidden">II</span> -</h4> - -<p>In der belagerten Stadt Sewastopol spielte -auf dem Boulevard bei einem Pavillon eine -Regimentskapelle, und Scharen von Soldaten und -Frauen bewegten sich müßig in den Gängen. Die -helle Frühlingssonne, die am Morgen über den -englischen Verschanzungen aufgegangen war, hatte -ihren Weg über die Bastionen, dann über die -Stadt, über die Nikolai-Kaserne zurückgelegt und -allen mit gleicher Freude geleuchtet; jetzt senkte sie -sich zu dem fernen, blauen Meer hinab, dessen gleichmäßig -wogende Wellen im Silberglanze funkelten.</p> - -<p>Ein hochgewachsener, etwas gebückter Infanterieoffizier, -der einen nicht ganz weißen, aber<span class="pagenum"><a name="Page_36" id="Page_36">[Pg 36]</a></span> -sauberen Handschuh über die Hand zog, trat aus -dem Pförtchen eines der kleinen Matrosenhäuschen -heraus, die auf der linken Seite der Seestraße -standen, und ging, nachdenklich seine Füße besehend, -über eine Anhöhe zum Boulevard. Der -Ausdruck des unschönen Gesichts dieses Offiziers -verriet nicht gerade große Geistesanlagen, wohl -aber Geradheit, Besonnenheit, Ehrenhaftigkeit und -Ordnungsliebe. Er war nicht schön gebaut, ein -wenig linkisch, gewissermaßen verschämt in seinen -Bewegungen. Er trug eine noch wenig gebrauchte -Mütze, einen dünnen Mantel von etwas eigentümlicher, -veilchenblauer Farbe, unter dem eine goldene -Uhrkette, Hosen mit Strippen und reine, glänzende -Kalblederstiefeln sichtbar waren. Man hätte ihn -für einen Deutschen halten können, wenn seine Gesichtszüge -nicht seine rein russische Abkunft verraten -hätten, oder für einen Adjutanten oder Regiments-Quartiermeister -(aber dann hätte er Sporen tragen -müssen), oder für einen Offizier, der für die Zeit -des Feldzugs von der Kavallerie, vielleicht auch -von der Garde übergetreten war. Es war wirklich -ein Offizier, der aus der Kavallerie übergetreten -war, und in diesem Augenblick, wo er zum Boulevard -hinaufschritt, dachte er an einen Brief, den -er eben von einem ehemaligen Kameraden, der -jetzt außer Dienst war, einem Gutsbesitzer im -Gouvernement T. und seiner Gattin, der blassen, -blauäugigen Natascha, seiner Busenfreundin, er<span class="pagenum"><a name="Page_37" id="Page_37">[Pg 37]</a></span>halten -hatte. Ihm war eine Stelle des Briefes -eingefallen, in dem der Kamerad schreibt:</p> - -<p>»Wenn der <em>Invalide</em> bei uns eintrifft, stürzt -<em>Pupka</em> (so pflegte der frühere Ulan seine Gattin -zu nennen) kopfüber in das Vorzimmer, greift nach -der Zeitung und rennt damit nach der <em>Plauderecke</em>, -in das <em>Empfangszimmer</em> (in dem wir -so schön die Winterabende zusammen verlebt haben, -weißt du noch, als das Regiment bei uns in der -Stadt lag) und liest mit solchem Feuereifer <em>Euere</em> -Heldenthaten, daß Du Dir's kaum vorstellen kannst. -Sie spricht oft von Dir. ‚Nicht wahr, Michajlow -– sagt sie – ist doch eine <em>Seele von Mensch</em>. -Ich könnte ihn abküssen, wenn ich ihn sehe. <em>Er -kämpft auf den Bastionen</em> und bekommt gewiß -das Georgskreuz, und die Zeitungen werden über -ihn schreiben ...‘ u. s. w. u. s. w., so daß ich -entschieden anfange, auf Dich eifersüchtig zu werden.« -An einer anderen Stelle schreibt er: »Die -Zeitungen bekommen wir schrecklich spät, und wenn -es auch viele mündliche Nachrichten giebt, so kann -man doch nicht allen Glauben schenken. Gestern -z. B. haben die Dir bekannten <em>jungen Damen -mit der Musik</em> erzählt, Napoleon sei schon von -unseren Kosaken gefangen genommen und nach -Petersburg transportiert; aber Du kannst Dir denken, -wie wenig ich das glaube. Ein Fremder aus -Petersburg hat uns erzählt (er ist im Ministerium -für besondere Aufträge, ein reizender Mensch, und<span class="pagenum"><a name="Page_38" id="Page_38">[Pg 38]</a></span> -jetzt, wo niemand in der Stadt ist, eine solche -<em>Ressource</em> für uns, daß Du Dir's kaum vorstellen -kannst ...), er sagt bestimmt, die Unsrigen hätten -Eupatoria genommen, <em>so daß die Franzosen -von Balaklava abgeschnitten</em> sind, und wir -hätten dabei 200 Mann, die Franzosen aber 15000 -Mann verloren. Meine Frau war so entzückt davon, -daß sie die ganze Nacht <em>gezecht</em> hat, sie -meint, Du bist sicher bei diesem Treffen gewesen, -sie ahne das, und hättest Dich ausgezeichnet.«</p> - -<p>Trotz der Worte und Ausdrücke, die ich absichtlich -durch die Schrift ausgezeichnet habe, und -trotz des ganzen Tons dieses Briefes dachte der -Stabskapitän Michajlow mit unsagbar trauriger -Wonne an seine blasse Freundin in der Provinz, -und wie er mit ihr die Abende in dem Erker gesessen -und über »das Gefühl« gesprochen hatte, -er dachte an den guten Kameraden, den Ulan, -wie er böse war und brummte, wenn sie in seinem -Arbeitszimmer um eine Kopeke spielten, wie seine -Gattin über ihn lachte – dachte an die Freundschaft, -die diese Menschen für ihn hatten (vielleicht -glaubte er auch, es sei etwas mehr von seiten -der blassen Freundin); alle diese Personen mit -ihrer Umgebung huschten durch seine Phantasie -in einem wunderbar süßen, beseligend-rosigen -Lichte und, lächelnd bei seinen Erinnerungen, legte -er die Hand an die Tasche, in der dieser ihm so -liebe Brief steckte.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_39" id="Page_39">[Pg 39]</a></span></p> - -<p>Von Erinnerungen ging der Stabskapitän -Michajlow unwillkürlich zu Träumen und Hoffnungen -über. »Wie groß wird Nataschas Verwunderung -und Freude sein – dachte er, während -er durch das schmale Gäßchen dahinschritt, – -wenn sie auf einmal im <em>Invaliden</em> die Schilderung -lesen wird, wie ich zuerst die Kanone erklettert -und das Georgskreuz bekommen habe! -Kapitän muß ich nach altem Brauch werden. -Dann kann ich leicht noch in demselben Jahre -Major in der Linie werden, denn es sind viele -von unseren Leuten gefallen und werden gewiß -noch viele in diesem Feldzug fallen. Und dann -wird es wieder eine Schlacht geben, und ich als -ein berühmter Mann bekomme ein Regiment ... -Oberstleutnant ... den Annenorden um den Hals -... Oberst ...« und er war schon General, und -würdig, Natascha zu besuchen, die Witwe des -Kameraden, der, wie er es sich ausmalte, bis dahin -gestorben war – als die Töne der Boulevard-Musik -deutlicher an sein Ohr schlugen, das drängende -Volk ihm in die Augen fiel und er auf dem -Boulevard erwachte – als der alte Stabskapitän -von der Infanterie.</p> - - -<h4> -<img src="images/illu-043.jpg" width="300" height="53" alt="III" /> -<span class="hidden">III</span> -</h4> - - -<p>Er ging zuerst nach dem Pavillon, neben dem -die Musikanten standen, denen statt der Pulte<span class="pagenum"><a name="Page_40" id="Page_40">[Pg 40]</a></span> -andere Soldaten desselben Regiments die Noten -hielten und umblätterten, und um die, mehr als -Zuschauer, denn als Zuhörer, Schreiber, Junker -und Wärterinnen mit Kindern einen Kreis gebildet -hatten. Rings um den Pavillon standen, -saßen und gingen meistenteils Seeleute, Adjutanten -und Offiziere in weißen Handschuhen. In der -großen Allee des Boulevards spazierten Offiziere -aller Art und Frauen aller Art, hin und wieder -in Hüten, meist aber in Kopftüchern (es gab auch -welche ohne Tücher und ohne Hüte), aber nicht -eine von ihnen war alt, ja, merkwürdig, alle waren -jung. Unten in den schattigen, duftenden Alleen -weißer Akazien gingen und saßen abgesonderte -Gruppen.</p> - -<p>Niemand war sonderlich erfreut, auf dem Boulevard -dem Stabskapitän Michajlow zu begegnen, -ausgenommen vielleicht Kapitän Obshogow und -Kapitän Ssuslikow von seinem Regiment, die ihm -herzlich die Hand schüttelten, aber der erstere war -in Kamelhaar-Beinkleidern, hatte keine Handschuhe -an, einen abgetragenen Mantel und ein -so rotes, schweißtriefendes Gesicht, und der zweite -schrie so laut und ausgelassen, daß es eine Schande -war, mit ihnen zu gehen, besonders vor den Offizieren -in weißen Handschuhen (von diesen begrüßte -Stabskapitän Michajlow den einen Adjutanten, -einen zweiten Stabsoffizier hätte er begrüßen können, -denn er war mit ihm zweimal bei einem ge<span class="pagenum"><a name="Page_41" id="Page_41">[Pg 41]</a></span>meinsamen -Bekannten zusammengetroffen). Im -übrigen aber, welches Vergnügen hätte es für ihn -sein können, mit diesen Herren Obshogow und -Ssuslikow spazieren zu gehen, da er auch so sechsmal -am Tage mit ihnen zusammentraf und ihnen -die Hand drückte? Nicht darum war er <em>zur Musik</em> -gekommen.</p> - -<p>Er wäre gern zu dem Adjutanten herangetreten, -den er begrüßt hatte, und hätte gern mit diesen -Herren geplaudert, keineswegs etwa, damit die -Kapitäne Obshogow und Ssuslikow und der Leutnant -Paschtezki und die anderen sähen, daß er -mit ihnen spricht, sondern einfach, weil sie nette -Menschen waren und zudem alle Neuigkeiten wissen -und sie erzählt hätten.</p> - -<p>Warum aber scheut sich der Stabskapitän -Michajlow, warum entschließt er sich nicht, zu -ihnen heranzutreten? »Wie, wenn sie mich auf -einmal nicht wiedergrüßen – denkt er – oder -wenn sie mich grüßen und in ihrem Gespräch fortfahren, -als ob ich nicht da wäre, oder sich ganz -von mir entfernen und ich allein dort bleibe unter -den <em>Aristokraten</em>?« Das Wort Aristokraten (im -Sinne eines höheren, auserwählten Kreises, gleichviel -in welchem Stande) hat bei uns in Rußland, -wo es, wie man glauben müßte, gar nicht existieren -sollte, seit einiger Zeit eine große Popularität -bekommen und ist in alle Gegenden und in alle -Schichten der Gesellschaft eingedrungen, wo nur<span class="pagenum"><a name="Page_42" id="Page_42">[Pg 42]</a></span> -der Dünkel eingedrungen ist (und in welche Zeit -und in welche Verhältnisse dringt diese klägliche -Sucht nicht ein?): in die Kreise der Kaufleute, -der Beamten, der Schreiber, der Offiziere, in Ssaratow, -in Mamadysch, in Winniza – überall, wo -es Menschen giebt. Und da es in der belagerten -Stadt Sewastopol viel Menschen giebt, giebt es -auch viel Dünkel, d. h. auch viel <em>Aristokraten</em>, -obgleich jede Minute der Tod schwebt über dem -Haupte jedes <em>Aristokraten</em> und <em>Nicht-Aristokraten</em>.</p> - -<p>Für den Kapitän Obshogow ist der Stabskapitän -Michajlow ein Aristokrat, für den Stabskapitän -Michajlow ist der Adjutant Kalugin ein -Aristokrat, weil er Adjutant ist und mit dem -andern Adjutanten auf du und du steht. Für den -Adjutanten Kalugin ist Graf Norden ein Aristokrat, -weil er Flügeladjutant ist.</p> - -<p>Dünkel, Dünkel, Dünkel überall, selbst am Rande -des Grabes und unter Menschen, die bereit sind, -aus einer edlen Überzeugung in den Tod zu gehen, -überall Dünkel. Er ist also wohl ein charakteristischer -Zug und eine besondere Krankheit unseres -Zeitalters. Warum hat man unter den -Menschen vergangener Zeit nichts gehört von dieser -Leidenschaft, wie von den Pocken oder der -Cholera? Warum giebt es in unserer Zeit nur -drei Arten von Menschen: Solche, die die Quelle -des Dünkels als eine notwendigerweise existierende,<span class="pagenum"><a name="Page_43" id="Page_43">[Pg 43]</a></span> -darum berechtigte Thatsache hinnehmen und sich -ihr freiwillig unterwerfen; eine zweite, die sie wie -einen unheilvollen, aber unüberwindlichen Umstand -hinnehmen, und eine dritte, die unbewußt -sklavisch unter ihrem Einflusse handeln? Warum -haben Homer und Shakespeare von Liebe, von -Ruhm, von Leiden gesprochen, und das Schrifttum -unseres Jahrhunderts ist nichts als eine endlose -Erzählung von Snobs und Dünkel?</p> - -<p>Der Stabskapitän ging zweimal an der Gruppe -<em>seiner Aristokraten</em> vorüber, beim drittenmal -überwand er sich und trat zu ihnen heran. Diese -Gruppe bildeten vier Offiziere: der Adjutant Kalugin, -Michajlows Bekannter, der Adjutant Fürst -Galzin, der sogar für Kalugin selbst ein wenig -Aristokrat war, der Oberst Neferdow, einer von -den sogenannten <em>Hundertzweiundzwanzig</em> -Bürgerlichen (Verabschiedete, die für diesen Feldzug -wieder in den Dienst getreten waren) und -der Rittmeister Praßkuchin, auch einer von den -Hundertzweiundzwanzig. Zu Michajlows Glück -war Kalugin in vortrefflicher Stimmung (der General -hatte soeben erst mit ihm höchst vertraulich -gesprochen, und Fürst Galzin, der eben aus Petersburg -gekommen, war bei ihm abgestiegen), er hielt -es nicht für erniedrigend, dem Stabskapitän Michajlow -die Hand zu reichen, was Praßkuchin jedoch -sich nicht entschließen konnte zu thun, obgleich er -sehr häufig mit Michajlow auf der Bastion zu<span class="pagenum"><a name="Page_44" id="Page_44">[Pg 44]</a></span>sammengetroffen -war, mehr als einmal seinen Wein -und Schnaps getrunken hatte und ihm sogar vom -Préférence her zwölf und einen halben Rubel -schuldete. Da er den Fürsten Galzin noch nicht -näher kannte, wollte er vor ihm seine Bekanntschaft -mit einem einfachen Stabskapitän der Infanterie -nicht zeigen. Er grüßte ihn mit einem -leichten Kopfnicken.</p> - -<p>Wie, Kapitän, sagte Kalugin, wann geht's wieder -auf die Bastion? ... Erinnern Sie sich, wie -wir uns auf der Schwarzow-Redoute trafen, es -ging heiß her?</p> - -<p>Ja, es ging heiß her, sagte Michajlow, indem -er sich erinnerte, wie er in jener Nacht im Laufgraben -der Bastion Kalugin getroffen, der kühn -und mutig mit dem Säbel klirrend, vorwärts ging.</p> - -<p>Eigentlich sollte ich erst morgen gehen, da aber -bei uns ein Offizier krank ist, fuhr Michajlow -fort, so ...</p> - -<p>Er wollte sagen, daß die Reihe nicht an ihm -sei; da aber der Kommandeur der achten Kompagnie -krank und in der Kompagnie nur der -Fähnrich übrig sei, hätte er es für seine Pflicht -gehalten, sich für die Stelle des Leutnants Nepschißezki -zu melden und ginge daher heut auf die -Bastion. Kalugin ließ ihn nicht aussprechen.</p> - -<p>Ich fühle, daß es dieser Tage etwas geben -wird, sagte er zum Fürsten Galzin.</p> - -<p>Wie, wird es heut nichts geben? fragte schüch<span class="pagenum"><a name="Page_45" id="Page_45">[Pg 45]</a></span>tern -Michajlow, indem er bald Kalugin, bald -Galzin ansah.</p> - -<p>Niemand antwortete ihm. Fürst Galzin runzelte -nur eigentümlich die Stirn, ließ seinen Blick -an seiner Mütze vorbeischweifen und sagte nach -einer kurzen Pause:</p> - -<p>Ein prächtiges Mädchen, die in dem roten -Tuche. Kennen Sie sie nicht, Kapitän?</p> - -<p>Nicht weit von meiner Wohnung, die Tochter -eines Matrosen, antwortete der Stabskapitän.</p> - -<p>Gehen wir, sehen wir sie uns an.</p> - -<p>Und Fürst Galzin nahm auf der einen Seite -Kalugin, auf der anderen – den Stabskapitän -unter den Arm; er war im voraus überzeugt, daß -dies dem letzteren ein großes Vergnügen bereiten -müsse, was in der That zutreffend war.</p> - -<p>Der Stabskapitän war abergläubisch und hielt -es für eine große Sünde, sich vor einem Kampfe -mit Weibern abzugeben; aber in diesem Falle -spielte er den Schwerenöter, was ihm Fürst Galzin -und Kalugin offenbar nicht glaubten, und was -das Mädchen in dem roten Tuch außerordentlich -verwunderte, da sie öfter bemerkt hatte, wie der -Stabskapitän errötet war, wenn er an ihrem -Fenster vorüberging. Praßkuchin ging hinterdrein, -stieß den Fürsten Galzin am Arm und machte -allerlei Bemerkungen in französischer Sprache; da -es aber nicht möglich war, zu Vieren den schmalen -Weg zu gehen, war er gezwungen, allein zu gehen<span class="pagenum"><a name="Page_46" id="Page_46">[Pg 46]</a></span> -und nahm nur in der zweiten Gruppe den berühmten, -tapferen Marineoffizier Sserwjagin unter -den Arm, der herangekommen war und ein Gespräch -mit ihm begonnen hatte, und der auch den -Wunsch hatte, sich der Gruppe der <em>Aristokraten</em> -anzuschließen. Und der berühmte Held schob mit -Freuden seine nervige, ehrenfeste Hand unter den -Arm Praßkuchins, der allen, auch Sserwjagin selbst, -gut bekannt war, als ein nicht besonders guter -Mensch. Als Praßkuchin dem Fürsten Galzin seine -Bekanntschaft mit <em>diesem</em> Marineoffizier erklärte -und ihm zuraunte, er sei ein berühmter Held, -schenkte Fürst Galzin Sserwjagin doch gar keine -Aufmerksamkeit; er war gestern auf der vierten -Bastion gewesen, hatte dort in einer Entfernung -von zwanzig Schritt eine Bombe krepieren sehen, -hielt sich daher für keinen geringeren Helden, als -dieser Herr war und meinte, so mancher Ruhm -werde für nichts gewonnen.</p> - -<p>Dem Stabskapitän Michajlow machte es so -viel Vergnügen, in dieser Gesellschaft umherzuschlendern, -daß er den <em>lieben</em> Brief aus T. und -die düsteren Gedanken, die ihm bei dem bevorstehenden -Abgange auf die Bastion überkommen -hatten, vergaß. Er blieb so lange in ihrer Gesellschaft, -bis sie ausschließlich untereinander zu -plaudern begannen und seinen Blicken auswichen -und ihm so zu verstehen gaben, daß er gehen -könne, und sich schließlich ganz von ihm entfernten.<span class="pagenum"><a name="Page_47" id="Page_47">[Pg 47]</a></span> -Der Stabskapitän war trotzdem zufrieden und -kränkte sich nicht im mindesten über die verdächtig-hoffärtige -Art, in der der Junker Baron Pest sich -brüstete und die Mütze vor ihm zog, als er an -ihm vorüberging; der Junker war nämlich seit der -gestrigen Nacht, – die er zum ersten Male in -der Blindage der fünften Bastion zugebracht hatte, -weshalb er sich für einen Helden hielt, – besonders -stolz und selbstbewußt.</p> - - -<h4> -<img src="images/illu-051.jpg" width="300" height="55" alt="IV" /> -<span class="hidden">IV</span> -</h4> - - -<p>Kaum aber hatte der Stabskapitän die -Schwelle seiner Wohnung überschritten, als ihm -völlig andere Gedanken in den Sinn kamen. Er -sah sein kleines Zimmerchen mit dem unebnen -Lehmboden und den schiefen, mit Papier beklebten -Fenstern, sein altes Bett mit dem darüber -befestigten Teppich, auf dem eine Reiterin abgebildet -war und über dem zwei Pistolen aus -Tula hingen, die schmutzige, mit einer Kattundecke -versehene Lagerstätte des Junkers, der mit -ihm zusammenwohnte; er sah seinen Nikita, der, -mit verwirrtem, fettigem Haar, sich kratzend, von -der Diele aufstand; er sah seinen alten Mantel, -seine umgestülpten Stiefel und ein Bündel, aus -dem das Ende eines Käses und der Hals einer -großen Flasche mit Branntwein, den er sich für -den Aufenthalt auf der Bastion besorgt, hervor<span class="pagenum"><a name="Page_48" id="Page_48">[Pg 48]</a></span>ragten; -und plötzlich fiel ihm ein, daß er heut -auf die ganze Nacht mit der Kompagnie in die -Schützengräben gehen müsse.</p> - -<p>»Gewiß, ich werde heut sterben müssen, – -dachte der Stabskapitän – ich fühle es. Die -Hauptsache ist, daß ich nicht zu gehen brauchte, -aber mich selbst angeboten habe. Immer fällt -der, der sich selber anbietet. Und was fehlt denn -diesem verfluchten Nepschißezki? Er ist vielleicht -gar nicht krank, und es soll ein anderer für ihn -fallen, ja, gewiß fallen. Übrigens aber, wenn ich -nicht falle, werde ich sicher vorgeschlagen. Ich -habe wohl gemerkt, wie es dem Regimentskommandeur -gefiel, als ich sagte: »Gestatten Sie, daß ich -gehe, wenn Leutnant Nepschißezki krank ist.« Setzt -es nicht den Major, so ist mir der Wladimir gewiß. -Gehe ich doch schon das dreizehnte Mal auf die -Bastion. Ach, dreizehn ist eine böse Zahl. Ich -werde bestimmt fallen – ich fühle es, daß ich -fallen werde. Aber Einer muß doch gehen, ein -Fähnrich kann doch nicht die Kompagnie führen. -Und wenn sich etwas ereignen sollte? ... die -Ehre des Regiments, die Ehre der Armee hängt -ja davon ab. Meine <em>Pflicht</em> war es, ja, meine -heilige Pflicht. Aber ich habe Vorahnungen.« -Der Stabskapitän vergaß, daß er derartige Vorahnungen -mehr oder minder stark schon oft gehabt -hatte, wenn er auf die Bastion gehen sollte, und -wußte nicht, daß dieselbe Vorahnung mehr oder<span class="pagenum"><a name="Page_49" id="Page_49">[Pg 49]</a></span> -minder stark jeder empfindet, der ins Feuer geht. -Beruhigt durch das Pflichtbewußtsein, das bei dem -Stabskapitän besonders entwickelt und stark war, -setzte er sich an den Tisch und begann einen Abschiedsbrief -an seinen Vater zu schreiben. Als -er nach zehn Minuten den Brief beendet, stand -er mit thränenfeuchten Augen vom Tische auf und -begann, im Geiste alle ihm bekannten Gebete -wiederholend, sich umzukleiden. Sein angetrunkener -und grober Diener reichte ihm träge seinen -neuen Rock (der alte, den der Stabskapitän gewöhnlich -anzog, wenn er auf die Bastion ging, -war nicht gereinigt).</p> - -<p>Weshalb ist der Rock nicht gereinigt? Du willst -nur immer schlafen, du! du! rief Michajlow zornig.</p> - -<p>Was schlafen? brummte Nikita; den ganzen -geschlagenen Tag läuft man umher wie ein Hund, -da wird man wohl müde; und dann heißt es: -schlaf' nicht mal ein!</p> - -<p>Du bist wieder betrunken, sehe ich.</p> - -<p>Nicht für Ihr Geld habe ich getrunken, was -machen Sie mir Vorwürfe?</p> - -<p>Schweig', Tölpel, schrie der Stabskapitän und -wollte seinem Diener einen Schlag versetzen. Er -war schon vorher erregt gewesen, jetzt war er -vollends außer sich und erbittert über die Grobheit -Nikitas, den er gern hatte, sogar verwöhnte, -und mit dem er bereits zwölf Jahre zusammen -lebte.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_50" id="Page_50">[Pg 50]</a></span></p> - -<p>Tölpel? Tölpel ... wiederholte der Diener, -und weshalb schimpfen Sie mich Tölpel, Herr? -In solcher Zeit, wie jetzt, ist es nicht recht, zu -schimpfen.</p> - -<p>Michajlow erinnerte sich, wohin er zu gehen -hatte und schämte sich.</p> - -<p>Du bringst einen wirklich um alle Geduld, -Nikita, sprach er mit sanfter Stimme, diesen Brief -an meinen Vater laß auf dem Tische liegen, rühr' -ihn nicht an, fügte er errötend hinzu.</p> - -<p>Zu Befehl, Herr, sprach Nikita, den unter dem -Einflusse des Weines, den er, wie er sagte, für -<em>sein eigenes Geld</em> getrunken hatte, ein Gefühl -der Rührung überkam, und der mit dem ersichtlichen -Wunsche, in Thränen auszubrechen, mit den -Augen zwinkerte.</p> - -<p>Als der Stabskapitän auf der Außentreppe -sagte: lebe wohl, Nikita! brach Nikita plötzlich -in Schluchzen aus und stürzte auf seinen Herrn -zu, um ihm die Hände zu küssen. Leben Sie -wohl, Herr, sprach er schluchzend. Eine alte Matrosenfrau, -die auf der Außentreppe stand, konnte -als Weib dieser Gefühlsszene nicht unbeteiligt zuschauen, -sie wischte sich mit dem schmutzigen Ärmel -die Augen und sprach ihre Verwunderung darüber -aus, warum sich denn die Herren solchen Qualen -aussetzten; sie sagte, sie sei eine arme Witwe, und -erzählte zum hundertsten Male dem betrunkenen -Nikita von ihrem Kummer: wie ihr Mann schon<span class="pagenum"><a name="Page_51" id="Page_51">[Pg 51]</a></span> -beim ersten »Bandirement« getötet und ihr Häuschen -total zerstört worden (das, in dem sie jetzt -wohnte, gehörte nicht ihr) u. s. w. Nachdem der -Herr gegangen war, zündete Nikita sein Pfeifchen -an, bat das Haustöchterchen, Schnaps zu -holen und hörte sehr bald auf zu weinen. Ja, -er begann sogar mit der Alten einen Zank wegen -eines kleinen Eimers, den sie ihm zerschlagen haben -sollte.</p> - -<p>»Vielleicht werde ich nur verwundet, dachte der -Stabskapitän, als er bereits in der Dämmerung -mit der Kompagnie auf die Bastion ging. – -Aber wo, wie: hier oder dort? er hatte den -Leib und die Brust im Sinn. – Wenn hier (er -dachte an den Oberschenkel), würde der Knochen -ganz bleiben ... Wenn aber hier, besonders von -einem Bombensplitter, dann ist es aus!«</p> - -<p>Der Stabskapitän gelangte glücklich durch die -Laufgräben bis zu den Schützengräben, stellte mit -Hilfe eines Sappeuroffiziers bereits in vollständiger -Dunkelheit die Leute zur Arbeit an und -setzte sich in eine kleine Grube unter der Brustwehr. -Es wurde wenig geschossen, nur bisweilen -flammten bald bei uns, bald bei »ihm« Blitze -auf und beschrieb eine leuchtende Bombenröhre -einen feurigen Bogen am dunklen, gestirnten Himmel. -Aber alle Bomben fielen weit hinten und -rechts von dem Schützengraben nieder, in dessen -Grube der Stabskapitän saß. Er trank seinen<span class="pagenum"><a name="Page_52" id="Page_52">[Pg 52]</a></span> -Schnaps, aß seinen Käse, rauchte seine Cigarette -und versuchte, nachdem er sein Gebet verrichtet -hatte, ein wenig zu schlafen.</p> - - -<h4> -<img src="images/illu-056.jpg" width="300" height="52" alt="V" /> -<span class="hidden">V</span> -</h4> - -<p>Fürst Galzin, Oberstleutnant Neferdow und -Praßkuchin, den niemand gerufen hatte, mit dem -niemand sprach, der sich aber immer zu ihnen -hielt, verließen alle drei den Boulevard, um bei -Kalugin Thee zu trinken.</p> - -<p>Nun, du hast mir noch nicht zu Ende erzählt -von Wasjka Mendel, sprach Kalugin; er hatte -den Mantel abgelegt, saß am Fenster auf einem -weichen, bequemen Sessel und knöpfte den Kragen -seines weißen, gestärkten Oberhemdes auf, – wie -hat er sich verheiratet?</p> - -<p>Zum Kranklachen, Kamerad! ... <span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">Je vous dis, -il y avait un temps, on ne parlait que de ça à -Pétersbourg</span>, sagte Fürst Galzin lachend, erhob -sich von dem Klavier, vor dem er saß, und setzte -sich auf das Fenster neben Kalugins Fenster, einfach -zum Kranklachen. Ich kenne die Geschichte -schon ganz genau ...</p> - -<p>Und er begann lustig, witzig und lebendig eine -Liebesgeschichte zu erzählen, die wir hier übergehen, -weil sie für uns nicht interessant ist. Aber merkwürdig -war's, daß nicht bloß Fürst Galzin, sondern -alle diese Herren, die sich's hier bequem ge<span class="pagenum"><a name="Page_53" id="Page_53">[Pg 53]</a></span>macht -hatten, der eine im Fenster, der andere -mit übergeschlagenen Beinen, der dritte am Klavier, -ganz andere Menschen zu sein schienen, als -auf dem Boulevard: frei von der lächerlichen Aufgeblasenheit -und Dünkelhaftigkeit, die sie den Infanterie-Offizieren -gegenüber hatten; hier waren -sie unter sich, gaben sich natürlich und waren, besonders -Kalugin und Fürst Galzin, höchst liebenswürdige, -heitere und gute Jungen. Es war die -Rede von Petersburger Kameraden und Bekannten.</p> - -<p>Was macht Maslowski?</p> - -<p>Welcher: der von den Leib-Ulanen oder von -der Garde-Kavallerie?</p> - -<p>Ich kenne sie beide. Den Gardisten habe ich -noch als Knaben gekannt, wie er eben aus der -Schule kam. Nicht wahr, der ältere ist Rittmeister?</p> - -<p>O, schon lange!</p> - -<p>Geht er noch immer mit seinem Zigeunermädel?</p> - -<p>Nein, die hat er laufen lassen ... oder so -ähnlich.</p> - -<p>Dann setzte sich Fürst Galzin an das Klavier -und sang prächtig ein Zigeunerlied. Praßkuchin, -obwohl von niemand gebeten, begann ihn zu begleiten, -und so gut, daß man ihn bat, in der -Begleitung fortzufahren, was er auch sehr gern -that.</p> - -<p>Ein Diener trat ins Zimmer; er brachte Thee,<span class="pagenum"><a name="Page_54" id="Page_54">[Pg 54]</a></span> -Sahne und Bretzeln auf einem silbernen Präsentierteller.</p> - -<p>Reiche dem Fürsten! sagte Kalugin.</p> - -<p>Es ist doch eigentümlich, daran zu denken, sagte -Galzin, indem er ein Glas nahm und ans Fenster -ging, daß wir hier in der belagerten Stadt, ... -»Klaviergesang«, Thee mit Sahne und eine solche -Wohnung haben, wie ich sie wirklich in Petersburg -haben möchte.</p> - -<p>Ja, wenn auch das noch fehlte, entgegnete der -mit allem unzufriedene alte Oberstleutnant, so wäre -diese beständige Erwartung einfach unerträglich, -– zu sehen, wie jeden Tag die Menschen fallen -und fallen, ohne daß man ein Ende absieht, – -wenn man dabei noch im Schmutz leben müßte -und keine Bequemlichkeit hätte! ...</p> - -<p>Und was sollen unsere Infanterieoffiziere sagen, -rief Kalugin, die auf den Bastionen mit den Soldaten -in den Blindagen liegen und Soldatensuppe -essen? – was sollen die sagen?</p> - -<p>Die? Die wechseln allerdings acht Tage lang -nicht die Wäsche, aber das sind auch Helden, bewunderungswürdige -Menschen.</p> - -<p>In diesem Augenblick kam ein Infanterieoffizier -ins Zimmer.</p> - -<p>Ich ... ich habe Befehl ... kann ich als -Bote des Generals N. den Gen... Seine Excellenz -sprechen? fragte er schüchtern und grüßte.</p> - -<p>Kalugin erhob sich; aber ohne den Gruß des<span class="pagenum"><a name="Page_55" id="Page_55">[Pg 55]</a></span> -Offiziers zu erwidern, fragte er ihn mit beleidigender -Höflichkeit und einem erzwungenen offiziellen -Lächeln, ob es »Ihnen« nicht beliebte zu warten, -dann wandte er sich, ohne ihm die geringste Aufmerksamkeit -zu schenken, an Galzin, sprach mit ihm -französisch, so daß der arme Offizier, der mitten -im Zimmer stehen geblieben war, absolut nicht -wußte, was er mit seiner Person machen sollte.</p> - -<p>In einer äußerst dringenden Angelegenheit, -sagte der Offizier nach einem minutenlangen -Schweigen.</p> - -<p>Ich bitte Sie, mit mir zu kommen, sagte Kalugin, -zog den Mantel an und begleitete den Offizier -zur Thür.</p> - -<p><span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">Oh bien, messieurs, je crois, que cela chauffera -cette nuit!</span> sagte Kalugin, als er vom General -zurückgekommen war.</p> - -<p>Wie? Was? Ein Ausfall? begannen alle zu -fragen.</p> - -<p>Ich weiß nicht, Sie werden selber sehen, -antwortete Kalugin mit einem geheimnisvollen -Lächeln.</p> - -<p>Mein Kommandeur ist auf der Bastion, darum -muß ich wohl auch hingehen, sagte Praßkuchin -und legte den Säbel an.</p> - -<p>Aber niemand antwortete ihm, er mußte selber -wissen, ob er zu gehen habe oder nicht.</p> - -<p>Praßkuchin und Neferdow gingen hinaus, um -sich auf ihre Plätze zu begeben.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_56" id="Page_56">[Pg 56]</a></span></p> - -<p>Leben Sie wohl, meine Herren! Auf Wiedersehen, -meine Herren! Wir werden uns heute Nacht -noch wiedersehen! schrie Kalugin aus dem Fenster, -als Praßkuchin und Neferdow über ihre Kosakensättel -gebeugt, den Weg entlang trabten. Das -Getrabe der Kosakenpferde verklang bald in der -dunklen Straße.</p> - -<p><span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">Non, dites moi, est-ce qu'il y aura véritablement -quelque chose cette nuit?</span> sagte Galzin, während -er mit Kalugin im Fenster lag und die -Bomben betrachtete, die über den Bastionen aufstiegen.</p> - -<p>Dir kann ich's erzählen. Siehst du, ... du -bist ja auf den Bastionen gewesen? – (Galzin -machte ein Zeichen der Zustimmung, obgleich er -nur einmal auf der vierten Bastion gewesen war.) -– Dort, unserer Lunette gegenüber war ein Laufgraben -... und Kalugin, der kein Fachmann war, -trotzdem aber seine strategischen Ansichten für sehr -richtig hielt, begann, ein wenig verwirrt und die -technischen Ausdrücke verdrehend, den Stand unserer -und der feindlichen Werke und den Plan -des beabsichtigten Unternehmens zu schildern.</p> - -<p>Aber um die Schützengräben beginnt es zu -knallen. Oho! Ist das eine von uns oder von -»ihm«? Da platzt sie, riefen sie, indem sie vom -Fenster aus, die feurigen, in der Luft sich kreuzenden -Linien der Bomben, die den dunkelblauen -Himmel auf einen Augenblick erleuchtenden Blitze<span class="pagenum"><a name="Page_57" id="Page_57">[Pg 57]</a></span> -der Schüsse und den weißen Pulverrauch betrachteten -und den Tönen des immer stärker werdenden -Schießens lauschten.</p> - -<p><span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">Quel charmant coup d'oeil, a?</span> sagte Kalugin, -indem er die Aufmerksamkeit seines Gastes auf -dies wirklich schöne Schauspiel lenkte. Weißt du, -bisweilen kann man einen Stern nicht von einer -Bombe unterscheiden.</p> - -<p>Ja, ich dachte soeben, daß das ein Stern sei; -aber er fällt ... sieh, sie ist geplatzt. Und dieser -große Stern ... wie heißt er? – sieht ganz wie -eine Bombe aus.</p> - -<p>Weißt du, ich habe mich so an diese Bomben -gewöhnt, daß mir in Rußland, ich bin davon überzeugt, -in einer Sternennacht alles als Bomben erscheinen -wird, – so gewöhnt man sich daran.</p> - -<p>Soll ich aber nicht lieber diesen Ausfall mitmachen? -sagte Fürst Galzin nach einem minutenlangen -Schweigen.</p> - -<p>Laß nur gut sein, Kamerad, und denk' nicht -daran; ich lasse dich auch nicht fort, antwortete -Kalugin, du kommst schon noch zurecht, Kamerad!</p> - -<p>Im Ernst? ... Du meinst also, ich brauche -nicht zu gehen – wie?</p> - -<p>In diesem Augenblicke ließ sich in der Richtung, -nach der die Herren sahen, auf das Kanonengebrüll, -schreckliches Gewehrgeknatter hören, und Tausende -von kleinen Feuern, die ununterbrochen aufflammten, -blitzten auf der ganzen Linie.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_58" id="Page_58">[Pg 58]</a></span></p> - -<p>So ist's, wenn's richtig losgeht! sagte Kalugin. -Solches Gewehrfeuer kann ich nicht kaltblütig anhören: -weißt du, es erschüttert einem gewissermaßen -die Seele. Horch, das Urra! fügte er -hinzu, indem er auf den entfernten, gedehnten -Ton von Hunderten von Stimmen: »a–a, aa,« -die von der Bastion her zu ihm drangen, horchte.</p> - -<p>Wessen Urra ist das – das ihrige oder das -unsere?</p> - -<p>Ich weiß nicht; aber das Handgemenge ist -schon losgegangen, denn das Feuer schweigt.</p> - -<p>In diesem Augenblick kam ein Offizier, von -einem Kosaken begleitet, unter das Fenster an die -Außentreppe gesprengt und stieg vom Pferde.</p> - -<p>Woher?</p> - -<p>Von der Bastion. Ich muß zum General!</p> - -<p>Gehen wir. Nun, was giebt's?</p> - -<p>Wir haben die Schützengräben angegriffen ... -genommen ... die Franzosen haben zahllose Reserven -herangeführt ... haben die Unsrigen angegriffen -... wir hatten nur zwei Bataillone, -sprach atemlos und nach Worten ringend, nach -der Thür gewandt, derselbe Offizier, der am Abend -dagewesen war.</p> - -<p>Haben wir die Schützengräben geräumt? fragte -Galzin.</p> - -<p>Nein, antwortete ärgerlich der Offizier, ein -Bataillon kam noch zur rechten Zeit, – wir haben -sie zurückgeschlagen; aber der Regimentskomman<span class="pagenum"><a name="Page_59" id="Page_59">[Pg 59]</a></span>deur -ist tot, viele Offiziere, – es ist Befehl gegeben, -um Verstärkung zu bitten.</p> - -<p>Mit diesen Worten ging er, von Kalugin begleitet, -zum General, wohin wir ihm nicht mehr -folgen wollen.</p> - -<p>Schon nach fünf Minuten saß Kalugin auf -einem Kosakenpferde und wieder in der eigentümlichen -<span class="antiqua" lang="la" xml:lang="la">quasi</span>-kosakischen Weise, in der, wie ich beobachtet -habe, alle Adjutanten etwas Besonderes, -Anmutiges sehen, und ritt im Trabe nach der -Bastion, um einige Befehle zu überbringen und -Nachrichten über das endgültige Resultat des Treffens -abzuwarten; Fürst Galzin begab sich unter -dem Eindruck der peinigenden Erregung, welche -die nahen Anzeichen eines Treffens auf einen Zuschauer -zu machen pflegen, der nicht daran teilnimmt, -auf die Straße, um hier ziellos hin- und -herzugehen.</p> - - -<h4> -<img src="images/illu-063.jpg" width="300" height="54" alt="VI" /> -<span class="hidden">VI</span> -</h4> - - -<p>Soldaten brachten Verwundete auf Tragbahren -oder führten sie unterm Arme. Auf der Straße -war es vollständig dunkel; nur selten glänzte Licht -in einem Hospitale oder bei zusammensitzenden -Offizieren. Von den Bastionen her drang der -frühere Geschütz- und Gewehrdonner, und die früheren -Feuer flammten unter dem schwarzen Himmel -auf. Bisweilen hörte man den Hufschlag des Pfer<span class="pagenum"><a name="Page_60" id="Page_60">[Pg 60]</a></span>des -eines fortgesprengten Ordonnanz-Offiziers, das -Stöhnen eines Verwundeten, die Schritte und das -Gemurmel von Krankenträgern und die Reden -bestürzter Einwohner, die auf die Außentreppe gegangen -waren und sich die Kanonade mit ansahen.</p> - -<p>Unter den letzteren befand sich auch der uns -bekannte Nikita, die alte Matrosenfrau, mit der -er sich schon versöhnt hatte, und deren zehnjährige -Tochter. »Herr Gott, heil'ge Mutter Gottes!« -sprach seufzend die Alte vor sich hin, als sie die -Bomben sah, die wie Feuerbälle unaufhörlich von -einer Seite nach der anderen flogen; schrecklich, -wie schrecklich! ... i–i–hi–hi ... So schlimm -war's nicht beim ersten »Bandirement«. Sieh, wo -die Verfluchte geplatzt ist! gerade über unserm -Hause in der Vorstadt.</p> - -<p>Nein, weiter, zur Tante Arinka fallen alle in -den Garten, sprach das Mädchen.</p> - -<p>Und wo, wo ist jetzt mein Herr? sagte Nikita -mit etwas singender Stimme und noch ein wenig -betrunken. Wie ich diesen Herrn liebe, das kann -ich gar nicht sagen, – ich liebe ihn so, wenn man -ihn, was Gott verhüte, sündhaft töten sollte, -dann, glauben Sie mir, liebe Tante, weiß ich -selber nicht, was ich mit mir anfangen soll, – bei -Gott! Ein solcher Herr ist er, daß ... mit -einem Worte! Soll ich ihn denn mit denen vertauschen, -die da Karten spielen? ... Was? –<span class="pagenum"><a name="Page_61" id="Page_61">[Pg 61]</a></span> -pfui, mit einem Worte! schloß Nikita und zeigte -dabei auf das erleuchtete Fenster im Zimmer seines -Herrn, wohin Junker Shwadtschewskij, während -der Abwesenheit des Stabskapitäns, zur Feier -seiner Dekoration den Oberstleutnant Ugrowitsch -und den Oberstleutnant Nepschißezki, der an Reißen -litt, zu einem Festmahl geladen hatte ...</p> - -<p>Wie die Sternchen, die Sternchen fliegen! -unterbrach, nach dem Himmel sehend, das Mädchen -das Nikitas Worten folgende Schweigen: sieh, -sieh, dort springt es noch! Weshalb ist das so, -liebe Mutter?</p> - -<p>Sie werden unser Häuschen ganz und gar vernichten, -sprach seufzend und ohne auf die Frage -des Mädchens zu antworten, die Alte.</p> - -<p>Und wie ich heut mit der Tante dorthin ging, -Mütterchen, fuhr das im singenden Tone sprechende -Mädchen fort, da lag eine große Kanonenkugel in -der Stube neben dem Schranke, sie hatte, wie -man sah, den Vorraum durchgeschlagen und war -in die Stube geflogen ... So groß, daß man -sie nicht aufheben konnte!</p> - -<p>Wer einen Mann hatte und Geld, der ist -fortgezogen, – hier haben sie auch das letzte -Häuschen zu Schanden geschossen, sagte die Alte. -Sieh, sieh, wie er feuert, der Bösewicht! Herr -Gott! Herr Gott!</p> - -<p>Und wie wir gerade fortgehen, kommt eine -Bombe geflogen, sie platzt und überschüttet uns<span class="pagenum"><a name="Page_62" id="Page_62">[Pg 62]</a></span> -mit Erde, fast hätte mich und die Tante ein Stück -getroffen.</p> - - -<h4> -<img src="images/illu-066.jpg" width="300" height="51" alt="VII" /> -<span class="hidden">VII</span> -</h4> - -<p>Immer mehr und mehr Verwundete auf Tragbahren -und zu Fuß, die einen von den andern -gestützt und laut untereinander sprechend, kamen -dem Fürsten Galzin entgegen.</p> - -<p>Wie sie herangestürzt kamen, Kameraden, sprach -mit Baßstimme ein großer Soldat, der zwei Gewehre -auf dem Rücken trug, wie sie herangestürzt -kamen und losschrien: »Allah, Allah!«<a name="FNanchor_C_3" id="FNanchor_C_3"></a><a href="#Footnote_C_3" class="fnanchor">[C]</a> so klettert -einer über den andern weg. Schlägt man die -einen tot, gleich kommen andere hinterdrein geklettert -– da ist nichts zu machen. Kopf an -Kopf ...</p> - -<div class="footnote"> - -<a name="Footnote_C_3" id="Footnote_C_3"></a><a href="#FNanchor_C_3">[C]</a> Unsere Soldaten waren aus den Türkenkriegen so an -diesen Schlachtruf gewöhnt, daß sie jetzt immer erzählen, -die Franzosen schreien auch Allah.</div> - -<p>An dieser Stelle seiner Erzählung unterbrach -ihn Galzin.</p> - -<p>Kommst du von der Bastion?</p> - -<p>Jawohl, Euer Wohlgeboren.</p> - -<p>Nun, was gab's dort? Erzähle.</p> - -<p>Was es dort gab? Ihre »Macht« rückte -heran, Euer Wohlgeboren, sie klettern auf den -Wall und aus war's. Sie haben vollständig gesiegt, -Euer Wohlgeboren!</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_63" id="Page_63">[Pg 63]</a></span></p> - -<p>Was? gesiegt? ... Ihr habt sie ja doch zurückgeschlagen?</p> - -<p>Wie soll man »ihn« zurückschlagen, wenn »seine« -ganze »Macht« heranrückt! Er hat alle Unsrigen -getötet, und Hilfe kommt nicht.</p> - -<p>Der Soldat hatte sich geirrt, denn der Laufgraben -war in unserem Besitz; aber das ist eine -Eigentümlichkeit, die jeder beobachten kann: ein -Soldat, der in einer Schlacht verwundet worden -ist, hält sie stets für verloren und für schrecklich -blutig.</p> - -<p>Wie hat man mir da sagen können, daß Ihr -den Feind zurückgeschlagen habt? sagte Galzin unwillig. -Vielleicht ist er, nachdem du fort warst, -zurückgeschlagen worden? Bist du schon lange von -dort fort?</p> - -<p>Diesen Augenblick, Euer Wohlgeboren! antwortete -der Soldat, er ist schwerlich zurückgeschlagen; -der Laufgraben ist jedenfalls in seinen -Händen. – Er hat vollständig gesiegt.</p> - -<p>Nun, und ihr schämt euch nicht, den Laufgraben -geräumt zu haben? Das ist schrecklich! -sagte Galzin, empört über diese Gleichgültigkeit.</p> - -<p>Was soll man thun gegen die »Macht«? -brummte der Soldat.</p> - -<p>Euer Wohlgeboren, sprach in diesem Augenblick -neben ihnen ein Soldat von einer Tragbahre -herab, wie soll man nicht weichen, wenn er bei<span class="pagenum"><a name="Page_64" id="Page_64">[Pg 64]</a></span>nahe -alle getötet hat. Wäre unsere Macht dagewesen, -wir würden lebend nicht zurückgegangen -sein. Was will man aber machen? Den einen -habe ich niedergestoßen, da bekam ich auch sogleich -einen Hieb ... O – ach, ruhiger, Brüderchen, -gleichmäßiger, geh langsamer ... O–o–o! stöhnte -der Verwundete.</p> - -<p>Hier geht in der That, glaub' ich, viel überflüssig -Volk, sagte Galzin, indem er den langen -Soldaten mit den zwei Gewehren wieder zurückhielt. -Warum gehst du fort? He, du, still gestanden!</p> - -<p>Der Soldat blieb stehen und nahm mit der -linken Hand die Mütze ab.</p> - -<p>Wohin gehst du und weshalb? schrie er ihn -barsch an. Verf...</p> - -<p>Aber in diesem Augenblick war er ganz nah -herangekommen, und bemerkte, daß sein rechter -Arm über dem Aufschlag bis über den Ellbogen -hinaus blutig war.</p> - -<p>Bin verwundet, Euer Wohlgeboren.</p> - -<p>Wodurch verwundet?</p> - -<p>Hier, wohl durch eine Gewehrkugel, sagte der -Soldat, auf seinen Arm zeigend, und hier, aber -ich kann nicht sagen, was mich hier an den Kopf -getroffen hat, er beugte den Kopf vor und zeigte -die blutigen, zusammenklebenden Haare am Hinterkopf.</p> - -<p>Und wem gehört das zweite Gewehr?</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_65" id="Page_65">[Pg 65]</a></span></p> - -<p>Ein französischer Stutzen, Euer Wohlgeboren, -ich habe es einem fortgenommen. Ja, ich wäre -auch nicht fortgegangen, wenn ich nicht diesen Soldaten -hätte führen wollen, sonst fällt er, fügte -er hinzu, indem er auf einen Soldaten wies, der -ein wenig vor ihm ging, sich auf das Gewehr -stützte und mit Mühe das linke Bein schleppend -vorwärts bewegte.</p> - -<p>Fürst Galzin schämte sich auf einmal sehr wegen -seines ungerechten Verdachts. Er fühlte, wie er -rot wurde, wandte sich ab und ging, ohne die -Verwundeten weiter auszufragen oder zu beobachten, -nach dem Verbandplatz.</p> - -<p>Mit Mühe wand sich Galzin auf der Außentreppe -durch die zu Fuß gehenden Verwundeten -und durch die Krankenträger, die Verwundete -brachten und Tote forttrugen, hindurch; dann ging -er in das erste Zimmer, warf einen Blick hinein, -wandte sich sogleich unwillkürlich zurück und eilte -hinaus ins Freie – das war zu schrecklich!</p> - - -<h4> -<img src="images/illu-069.jpg" width="300" height="55" alt="VIII" /> -<span class="hidden">VIII</span> -</h4> - -<p>Der große, hohe, dunkle Saal, nur von vier -oder fünf Kerzen erleuchtet, bei deren Licht die -Ärzte die Verwundeten besichtigten, war buchstäblich -voll. Die Krankenträger brachten fortwährend -Verwundete, legten sie nebeneinander auf die Diele, -auf der es schon so eng war, daß die Unglücklichen<span class="pagenum"><a name="Page_66" id="Page_66">[Pg 66]</a></span> -sich stießen und einer in des andern Blute lag, -und holten neue. Die auf den nicht besetzten -Stellen der Diele sichtbaren Blutlachen, der fieberheiße -Atem von einigen Hunderten Menschen und -die Ausdünstungen der Träger erzeugten einen -eigentümlichen, drückenden, dicken, übelriechenden -Dunst, in dem die Lichte an den verschiedenen -Enden des Saales trübe brannten. Stöhnen, -Seufzen, Röcheln, bisweilen durch einen durchdringenden -Schrei unterbrochen, erfüllte den ganzen -Saal. Die »Schwestern« schritten mit ruhigen -Gesichtern und mit dem Ausdruck thätiger, praktischer -Teilnahme, nicht mit dem des wertlosen, -frauenhaften, krankhaft-thränenreichen Mitleids, -bald hierhin, bald dorthin durch die Reihen der -Verwundeten mit Arznei, mit Wasser, mit Binden, -mit Charpie, und tauchten zwischen blutigen Mänteln -und Hemden auf. Die Ärzte knieten mit aufgestreiften -Ärmeln vor den Verwundeten, in deren -Nähe die Feldscher Lichte hielten, und untersuchten, -befühlten, und sondierten die Wunden, ohne auf -das schreckliche Stöhnen der Dulder zu achten. -Einer der Ärzte saß in der Nähe der Thür an -einem kleinen Tisch und trug in dem Augenblick, -da Galzin ins Zimmer trat, bereits den 532ten -Verwundeten in die Liste ein.</p> - -<p>Iwan Bogajew, Gemeiner der dritten Kompagnie -des S..-Regiments, <span class="antiqua" lang="la" xml:lang="la">fractura femuris complicata</span>, -rief ein anderer vom Ende des Saales<span class="pagenum"><a name="Page_67" id="Page_67">[Pg 67]</a></span> -her, indem er das zerschossene Bein befühlte. Dreh' -ihn um.</p> - -<p>O weh, Väterchen, mein liebes Väterchen! schrie -der Soldat und flehte, man möchte ihn nicht anrühren.</p> - -<p><span class="antiqua" lang="la" xml:lang="la">Perforatio capitis!</span></p> - -<p>Ssemjon Neferdow, Oberstleutnant im N..-Infanterieregiment. -Sie müssen ein wenig Geduld -haben, Oberst, sonst geht es nicht: ich lasse Sie -sonst liegen, sprach ein dritter, indem er mit einem -Häkchen in dem Kopfe des Oberstleutnants hin- und hertastete.</p> - -<p>Ach, nicht doch! O, um Gotteswillen, schneller, -schneller, um ... A–a–a–a–a!</p> - -<p><span class="antiqua" lang="la" xml:lang="la">Perforatio pectoris!</span> ... Sewastjan Ssereda, -Gemeiner ... von welchem Regiment? ... Lassen -Sie das Schreiben: <span class="antiqua" lang="la" xml:lang="la">moritur</span>. Tragt ihn weg, -sagte der Arzt, und ging von dem Soldaten fort, -der mit brechenden Augen dalag und schon röchelte.</p> - -<p>Vierzig Mann, als Träger verwendete Soldaten, -standen an der Thür, um die Verbundenen -ins Lazarett, die Toten in die Kapelle zu tragen, -und betrachteten von Zeit zu Zeit schwer seufzend -dieses Bild ...</p> - - -<h4> -<img src="images/illu-071.jpg" width="300" height="53" alt="IX" /> -<span class="hidden">IX</span> -</h4> - -<p>Auf dem Wege zur Bastion traf Kalugin viele -Verwundete; da er aber aus Erfahrung wußte,<span class="pagenum"><a name="Page_68" id="Page_68">[Pg 68]</a></span> -wie schlecht in der Schlacht ein solches Schauspiel -auf den Geist eines Menschen wirkt, so blieb er -nicht nur nicht stehen, um sie zu befragen, sondern -suchte vielmehr sie gar nicht zu beachten. Unten -am Berge begegnete ihm ein Ordonnanz-Offizier, -der in gestrecktem Galopp von der Bastion gesprengt -kam.</p> - -<p>Sobkin! Sobkin! ... halten Sie einen Augenblick.</p> - -<p>Nun, was giebt's?</p> - -<p>Wo kommen Sie her?</p> - -<p>Aus den Schützengräben.</p> - -<p>Nun, wie geht's dort zu, heiß?</p> - -<p>Ach, entsetzlich!</p> - -<p>In der That hatte, obwohl das Gewehrfeuer -schwächer geworden, die Kanonade mit neuer -Heftigkeit und Wut begonnen.</p> - -<p>»Ach, gräßlich!« dachte Kalugin, indem er ein -unangenehmes Gefühl empfand, und ihn auch eine -Vorahnung, ein sehr natürlicher Gedanke – der -Gedanke an den Tod überkam. Aber Kalugin war -ehrgeizig und mit stählernen Nerven begabt, mit -einem Wort, was man tapfer nennt. Er gab sich -nicht der ersten Empfindung hin und suchte sich -Mut zu machen, er erinnerte sich eines Adjutanten, -ich glaube Napoleons, der in dem Augenblick, -wo er den Befehl zum Galopp weiter gab, mit -blutendem Kopfe zu Napoleon herangesprengt -kam.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_69" id="Page_69">[Pg 69]</a></span></p> - -<p><span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">Vous êtes blessé?</span> sagte Napoleon zu ihm. – -»<span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">Je vous demande pardon, Sire, je suis mort.</span>« -Und der Adjutant sank vom Pferde und war auf -der Stelle tot.</p> - -<p>Das erschien ihm sehr schön, und in seiner -Einbildung kam er sich selbst ein wenig wie dieser -Adjutant vor, er schlug sein Pferd mit der Peitsche, -und gab sich noch mehr die kecke »Kosakenpose«, -warf einen Blick zurück auf den Kosaken, der in -den Steigbügeln aufrecht stehend hinter ihm her -trabte, und kam als ein ganzer Held an der Stelle -an, wo er vom Pferde steigen sollte. Hier traf -er vier Soldaten, die auf Steinen saßen und ihre -Pfeifen rauchten.</p> - -<p>Was macht ihr hier? schrie er sie an.</p> - -<p>Wir haben einen Verwundeten fortgebracht, -Euer Wohlgeboren, und haben uns hingesetzt, um -auszuruhen, antwortete der eine von ihnen, indem -er seine Pfeife hinter dem Rücken verbarg und die -Mütze abnahm.</p> - -<p>Ja, ausruhen ... Marsch, an eure Plätze!</p> - -<p>Er ging mit ihnen zusammen den Laufgraben -entlang den Berg hinauf, wobei er auf Schritt -und Tritt Verwundeten begegnete. Auf der Höhe -des Berges wandte er sich links und befand sich, -nachdem er einige Schritte gegangen war, ganz -allein. Ein Bombensplitter sauste ganz nahe an -ihm vorbei und schlug in den Laufgraben ein. -Eine andere Bombe stieg vor ihm auf und kam,<span class="pagenum"><a name="Page_70" id="Page_70">[Pg 70]</a></span> -wie ihm schien, gerade auf ihn zu geflogen. Plötzlich -wurde ihm schrecklich zu Mute: er lief trabend -fünf Schritte weit und legte sich auf die Erde -nieder. Als die Bombe platzte, und zwar entfernt -von ihm, war er auf sich selber sehr böse, -er stand auf und sah sich um, ob jemand -sein Niederlegen bemerkt hätte; aber niemand -war da.</p> - -<p>Wenn die Furcht sich einmal der Seele bemächtigt -hat, weicht sie nicht bald einem anderen -Gefühle. Er, der sich immer gebrüstet hatte, daß -er sich niemals bücke, ging jetzt mit beschleunigten -Schritten und fast kriechend den Laufgraben entlang. -»Ach, schlimm! dachte er, als er stolperte, -ich werde unfehlbar getötet,« er fühlte, wie schwer -es ihm wurde, zu atmen, und wie der Schweiß -an seinem ganzen Körper hervortrat, und wunderte -sich über sich selber, versuchte aber nicht -mehr, seiner Empfindung Herr zu werden.</p> - -<p>Plötzlich ließen sich Schritte vor ihm hören. -Schnell richtete er sich auf, hob den Kopf in die -Höhe und ging, munter mit dem Säbel klirrend, -nicht mehr mit den früheren schnellen Schritten -einher. Er erkannte sich selbst nicht wieder. Als -er einem Sappeuroffizier und einem Matrosen begegnete -und der erstere ihm zurief: »Duck dich!« -indem er auf den leuchtenden Punkt einer Bombe -zeigte, die immer heller und heller, immer schneller -und schneller sich näherte und in der Nähe des<span class="pagenum"><a name="Page_71" id="Page_71">[Pg 71]</a></span> -Laufgrabens platzte, – bog er nur ein wenig und -unwillkürlich, unter dem Einfluß des warnenden -Schreies, den Kopf und ging weiter.</p> - -<p>Sieh da, der ist tapfer! sagte der Matrose, -der ruhig die fallende Bombe betrachtet und mit -erfahrenem Blick sofort berechnet hatte, daß ihre -Splitter in den Laufgraben nicht einschlagen konnten, -er duckt sich nicht einmal!</p> - -<p>Nur noch einige Schritte hatte Kalugin über -einen kleinen Platz bis zur Blindage des Kommandeurs -der Bastion zu gehen, als ihn wieder -das dumpfe Gefühl und die thörichte Furcht von -vorhin überkam; sein Herz schlug stärker, das -Blut strömte ihm nach dem Kopfe, und er mußte -sich zusammennehmen, um nach der Blindage zu -laufen.</p> - -<p>Warum sind Sie so außer Atem? sagte der -General, als er ihm die Befehle überbrachte.</p> - -<p>Ich bin sehr schnell gegangen, Excellenz!</p> - -<p>Wollen Sie nicht ein Glas Wein?</p> - -<p>Kalugin trank ein Glas Wein und rauchte -eine Cigarette an. Das Gefecht hatte bereits aufgehört, -nur die starke Kanonade dauerte auf beiden -Seiten fort. In der Blindage saß der General -N., der Kommandeur der Bastion und sechs -Offiziere, unter ihnen auch Praßkuchin, und sprachen -über verschiedene Einzelheiten des Gefechts. -Als Kalugin in diesem behaglichen Zimmer saß, -das mit hellblauen Tapeten ausgeschlagen war,<span class="pagenum"><a name="Page_72" id="Page_72">[Pg 72]</a></span> -das ein Sofa, einen Tisch, auf dem Papiere lagen, -ein Bett, eine Wanduhr und ein Heiligenbild, -vor dem eine Lampe brannte, enthielt, – als er -diese Zeichen der Wohnlichkeit und die fast drei -Fuß dicken Balken der Decke sah und die in der -Blindage nur schwach tönenden Schüsse hörte, – -konnte er gar nicht begreifen, wie er sich zweimal -von einer so unverzeihlichen Schwäche hatte können -übermannen lassen. Er war über sich selber erzürnt -und sehnte sich nach der Gefahr, um sich -von neuem zu prüfen.</p> - -<p>Ich freue mich, daß auch Sie hier sind, Kapitän, -sagte er zu einem Marineoffizier im Stabsoffiziersmantel -mit einem starken Schnurrbart und dem -Georgskreuz, der inzwischen in die Blindage gekommen -war und den General bat, ihm Arbeiter -zu geben, um zwei auf seiner Batterie verschüttete -Schießscharten wieder herzustellen. Der General -hat mir befohlen, mich zu informieren, fuhr Kalugin -fort, als der Batteriekommandeur aufgehört -hatte, mit dem General zu sprechen, ob Ihre Geschütze -den Laufgraben mit Kartätschen beschießen -können.</p> - -<p>Nur ein Geschütz kann es, antwortete mürrisch -der Kapitän.</p> - -<p>Jedenfalls wollen wir hingehen und nachsehen.</p> - -<p>Der Kapitän runzelte die Stirn und schrie -zornig:</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_73" id="Page_73">[Pg 73]</a></span></p> - -<p>Schon die ganze Nacht habe ich dort gestanden -und bin hierher gekommen, um nur ein wenig auszuruhen, -können Sie nicht allein hinuntergehen? -Mein Stellvertreter, der Leutnant Karz, ist dort, -er wird Ihnen alles zeigen.</p> - -<p>Der Kapitän kommandierte schon seit sechs Monaten -diese Batterie, eine der gefährlichsten, wohnte -sogar schon seit Anfang der Belagerung, da es -noch keine Blindagen gab, ununterbrochen auf der -Bastion und hatte unter den Seeleuten den Ruf -der Tapferkeit. Daher setzte seine Weigerung -Kalugin nicht wenig in Erstaunen und Verwunderung. -»Was bedeutet der Ruf!« dachte er.</p> - -<p>Nun, so werde ich allein gehen, wenn Sie -gestatten, entgegnete er in etwas spöttischem Tone -dem Kapitän, der jedoch seine Worte nicht weiter -beachtete.</p> - -<p>Kalugin bedachte aber nicht, daß er zu verschiedenen -Zeiten alles in allem nur an fünfzig -Stunden auf den Bastionen zugebracht, während -der Kapitän sechs Monate dort gewohnt hatte. -Kalugin trieb noch die Eitelkeit, der Wunsch zu -glänzen, die Hoffnung auf Auszeichnungen, auf -Ruhm und der Reiz der Gefahr; der Kapitän -hatte all das schon durchgemacht: auch er hatte -der Eitelkeit, der Tapferkeit, der Gefahr nachgestrebt, -der Hoffnung auf Auszeichnungen und -Ruhm, und hatte auch beide errungen, jetzt aber -hatten alle diese Reizmittel ihre Macht über ihn<span class="pagenum"><a name="Page_74" id="Page_74">[Pg 74]</a></span> -verloren, und er betrachtete den Krieg mit anderen -Augen: er erfüllte aufs pünktlichste seine Pflicht, -war sich aber dessen wohl bewußt, wie wenig Aussichten -ihm für das Leben blieben, und setzte darum -nach einem Aufenthalte von sechs Monaten auf -der Bastion diese Aussichten nicht ohne die dringendste -Not aufs Spiel, so daß der junge Leutnant, -der vor acht Tagen bei der Batterie eingetreten -war, der sie jetzt Kalugin zeigte, sich mit ihm unnützerweise -zur Schießscharte hinauslehnte und auf -die Banketts kletterte, ihm zehnmal tapferer erschien, -als der Kapitän.</p> - -<p>Als Kalugin die Batterie besichtigt hatte und -nach der Blindage zurückging, stieß er in der -Finsternis auf den General, der sich mit seinen -Ordonnanzoffizieren auf die Höhe begab.</p> - -<p>Rittmeister Praßkuchin! sagte der General, -gehen Sie gefälligst in den rechten Schützengraben -hinunter und sagen Sie dem zweiten Bataillon -des M.-Regiments, das dort auf Arbeit ist, daß -es die Arbeit abbrechen, ohne Lärm abmarschieren -und sich mit seinem Regiment vereinigen soll, das -unten am Berge in Reserve steht ... Verstehen -Sie? Sie werden es selbst zum Regiment -führen.</p> - -<p>Zu Befehl.</p> - -<p>Und Praßkuchin lief im Trabe zum Schützengraben.</p> - -<p>Das Feuer wurde stärker.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_75" id="Page_75">[Pg 75]</a></span></p> - - -<h4> -<img src="images/illu-079.jpg" width="300" height="53" alt="X" /> -<span class="hidden">X</span> -</h4> - -<p>Ist dies das zweite Bataillon des M.-Regiments? -fragte Praßkuchin, als er, an Ort und -Stelle gekommen war und auf Soldaten stieß, -die in Säcken Erde trugen.</p> - -<p>Jawohl, Herr.</p> - -<p>Wo ist der Kommandeur?</p> - -<p>Michajlow war in dem Glauben, daß nach -dem Kompagniekommandeur gefragt würde, kam -aus seiner Grube herauf und ging, mit der Hand -am Mützenschirm, an Praßkuchin heran, den er -für einen Vorgesetzten hielt.</p> - -<p>Der General hat befohlen, schnell ... und -vor allem still zurückzugehen ... nein, nicht zurück, -sondern zur Reserve, sprach Praßkuchin, indem er -nach dem feindlichen Feuer schielte.</p> - -<p>Als Michajlow Praßkuchin erkannt hatte, ließ -er die Hand sinken und gab, nachdem er erfahren, -worum es sich handelte, den Befehl weiter; das -Bataillon hörte auf zu arbeiten, ergriff die Gewehre, -zog die Mäntel an und setzte sich in Bewegung.</p> - -<p>Wer es nicht kennen gelernt hat, kann sich die -Freude nicht vorstellen, die ein Mensch empfindet, -der nach einem dreistündigen Bombardement einen -so gefährlichen Platz, wie ein Schützengraben ist, -verläßt. Michajlow, der während dieser drei Stun<span class="pagenum"><a name="Page_76" id="Page_76">[Pg 76]</a></span>den -mehr als einmal nicht ohne Grund geglaubt, -daß sein <em>Ende</em> gekommen, hatte sich schon mit -dem Gedanken vertraut gemacht, daß er unzweifelhaft -fallen müsse und daß er nicht mehr dieser -Welt angehöre. Aber trotzdem kostete es ihm -große Mühe, seine Beine vom Laufen zurückzuhalten, -als er neben Praßkuchin an der Spitze -der Kompagnie aus dem Schützengraben ging.</p> - -<p>Auf Wiedersehen! rief ihm ein Major zu, der -Kommandeur eines anderen Bataillons, das in -den Schützengräben zurückblieb, und mit dem er -in der Grube an der Brustwehr gesessen und Käse -gegessen hatte. Glück auf den Weg!</p> - -<p>Und Ihnen wünsche ich, glücklich Ihre Position -zu halten. Jetzt ist es, wie mir scheint, ruhig -geworden.</p> - -<p>Kaum aber hatte er dies gesagt, als der Feind, -der jedenfalls die Bewegung in den Gräben bemerkt -hatte, immer stärker und stärker zu feuern -begann. Die Unsrigen antworteten ihm, und -wiederum erhob sich eine starke Kanonade. Die -Sterne standen hoch am Himmel, glänzten aber -nicht hell. Die Nacht war so dunkel, daß man -die Hand vor den Augen nicht sah, nur die Feuer -der Schüsse und die platzenden Bomben erhellten -auf einen Augenblick die Gegenstände. Die Soldaten -gingen schnell und schweigend und suchten -unwillkürlich einander zuvorzukommen; nach dem -unaufhörlichen Rollen der Schüsse wurden nur die<span class="pagenum"><a name="Page_77" id="Page_77">[Pg 77]</a></span> -gemessenen Schritte der Soldaten auf dem trockenen -Wege, das Klirren der Bajonette oder das -Seufzen und das Gebet eines Soldaten: »Herr, -Herr! Was ist das?« gehört. Bisweilen ließ -sich das Stöhnen eines Verwundeten und der Ruf: -»Tragbahre!« vernehmen. (In der Kompagnie, -die Michajlow befehligte, wurden allein durch Artilleriefeuer -in der Nacht 26 Mann getötet.) Ein -Blitz flammte am dunklen, fernen Horizonte -auf, die Schildwache auf der Bastion schrie: -»Kano–o–ne!« und die Kugel sauste über die -Kompagnie hin, riß die Erde auf und warf Steine -in die Höhe.</p> - -<p>»Hol's der Teufel! wie langsam sie gehen, -dachte Praßkuchin, indem er neben Michajlow einherschritt -und fortwährend zurückblickte. Wahrhaftig, -ich laufe lieber voraus; den Befehl habe -ich ja überbracht ... Übrigens, nein: man könnte -ja sagen, daß ich ein Feigling bin. Mag geschehen, -was will, – ich gehe mit den übrigen.«</p> - -<p>»Und weshalb folgt er mir? dachte seinerseits -Michajlow. – Soviel ich bemerkt habe, bringt -er immer Unglück. Da kommt eine geflogen, -schnurstracks hierher, wie mir scheint.«</p> - -<p>Als sie einige hundert Schritt gegangen waren, -stießen sie auf Kalugin, der, mit dem Säbel klirrend, -gemessenen Schrittes nach den Schützengräben -ging, um auf Befehl des Generals sich zu erkundigen, -wie weit die Arbeiten dort gediehen<span class="pagenum"><a name="Page_78" id="Page_78">[Pg 78]</a></span> -seien. Als er aber Michajlow traf, fiel ihm ein, -er könne, anstatt selbst in diesem schrecklichen Feuer -dorthin zu gehen, was ihm auch nicht befohlen -worden war, einen Offizier, der dort gewesen, nach -allem ausfragen. Und wirklich erzählte ihm -Michajlow ausführlich von dem Stand der Arbeiten. -Dann ging Kalugin noch einige Schritte -mit ihm und bog in den zur Blindage führenden -Laufgraben ein.</p> - -<p>Nun, was giebt's Neues? fragte ein Offizier, -der allein im Zimmer saß und Abendbrot aß.</p> - -<p>Nichts, es scheint, daß es kein Gefecht mehr -geben wird.</p> - -<p>Wie, kein Gefecht mehr? ... Im Gegenteil, -der General ist soeben wieder auf den Wachtturm -gegangen. Noch ein Regiment ist gekommen. Da -geht's ja los ... hören Sie das Gewehrfeuer? -Sie werden doch nicht gehen? Wozu das? fügte -der Offizier hinzu, als er die Bewegung bemerkte, -die Kalugin machte.</p> - -<p>»Eigentlich müßte ich jedenfalls dabei sein, -dachte Kalugin, aber ich habe mich in dieser Nacht -schon vielen Gefahren ausgesetzt; das Feuer ist -schrecklich.«</p> - -<p>Ich werde sie in der That lieber hier erwarten, -sagte er.</p> - -<p>Wirklich kehrten nach zwanzig Minuten der -General und die bei ihm befindlichen Offiziere -zurück; unter ihnen befand sich der Junker Baron<span class="pagenum"><a name="Page_79" id="Page_79">[Pg 79]</a></span> -Pest, aber Praßkuchin fehlte. Die Schützengräben -waren von den Unsrigen genommen und besetzt -worden.</p> - -<p>Nachdem Kalugin ausführliche Nachrichten über -das Gefecht erhalten, verließ er mit Pest die -Blindage.</p> - - -<h4> -<img src="images/illu-083.jpg" width="300" height="53" alt="XI" /> -<span class="hidden">XI</span> -</h4> - -<p>Ihr Mantel ist blutig, sind Sie denn im Handgemenge -gewesen? fragte ihn Kalugin.</p> - -<p>Ach, schrecklich! Sie können sich vorstellen ...</p> - -<p>Und Pest begann zu erzählen, wie er seine -Kompagnie geführt, wie der Kompagniekommandeur -getötet worden, wie er einen Franzosen niedergestochen -und wie ... wäre er nicht gewesen, -das Gefecht verloren wäre.</p> - -<p>Das Wesentliche dieser Erzählung, daß der -Kommandeur getötet war und daß Pest einen -Franzosen getötet hatte, war richtig; aber in der -Schilderung der Einzelheiten war der Junker erfinderisch -und prahlsüchtig.</p> - -<p>Er prahlte unwillkürlich, da er sich während des -ganzen Gefechts in einer Art Rausch und Besinnungslosigkeit -befunden hatte, so daß alles, was -geschah, ihm so vorkam, als wäre es irgendwo, -irgendwann und mit irgend jemandem geschehen; -und es war natürlich, daß er sich Mühe gab, -diese Einzelheiten in einer für ihn vorteilhaften<span class="pagenum"><a name="Page_80" id="Page_80">[Pg 80]</a></span> -Weise darzustellen. Wie aber war es in Wirklichkeit -gewesen?</p> - -<p>Das Bataillon, dem der Junker während des -Ausfalls zugeteilt war, stand zwei Stunden im -Feuer, in der Nähe einer Wand, dann gab der -Bataillonskommandeur vor der Front einen Befehl, -die Hauptleute trugen ihn weiter, das Bataillon -setzte sich in Bewegung, marschierte vor -die Brustwehr und machte nach hundert Schritten -Halt, um sich in Kompagniekolonnen zu formieren. -Pest wurde beordert, sich auf den rechten Flügel -der zweiten Kompagnie zu stellen.</p> - -<p>Ohne sich Rechenschaft darüber zu geben, wo er -sich befinde und weshalb er da sei, stellte sich der -Junker an seinen Platz und sah mit unwillkürlich -verhaltenem Atem und mit kaltem, über den Rücken -laufendem Zittern bewußtlos vor sich hin, in die -dunkle Ferne hinaus, etwas Schreckliches erwartend. -Übrigens war ihm nicht so schrecklich zu Mute, -denn es wurde nicht geschossen, vielmehr war ihm -der Gedanke eigentümlich, seltsam, sich außerhalb -der Festung, auf freiem Felde zu befinden. Wiederum -gab der Bataillonskommandeur einen Befehl -vor der Front, wiederum überbrachten ihn -flüsternd die Offiziere, und plötzlich senkte sich die -schwarze Wand der ersten Kompagnie, – es war -befohlen worden, sich niederzulegen. Die zweite -Kompagnie legte sich ebenfalls, wobei sich Pest -die Hand an einem Dornstrauch verletzte. Nur<span class="pagenum"><a name="Page_81" id="Page_81">[Pg 81]</a></span> -der Hauptmann der zweiten Kompagnie legte sich -nicht. Seine kleine Gestalt, mit dem gezogenen -Degen, den er unter fortwährendem Sprechen hin- und -herschwang, bewegte sich vor der Kompagnie.</p> - -<p>Kinder! Das sag' ich euch, haltet euch brav! -Aus dem Gewehr keinen Schuß, mit den Bajonetten -auf die Kanaillen! Wenn ich »Urra« -schreie, dann mir nach und nicht zurückgeblieben! -... Frisch drauf los ist die Hauptsache ... Wir -wollen uns sehen lassen, nicht mit der Nase in -den Staub! Nicht wahr, Kinder? Für den Zaren, -den Vater! ...</p> - -<p>Wie heißt unser Kompagniekommandeur? -fragte Pest den Junker, der neben ihm lag, er -ist wirklich tapfer!</p> - -<p>Ja, er ist's immer, wenn es zum Kampfe -kommt, antwortete der Junker, Lißinkowski -heißt er.</p> - -<p>Da blitzte dicht vor der Kompagnie eine -Flamme auf, ein Krach ertönte, der die ganze -Kompagnie betäubte, hoch in die Luft schwirrten -Steine und Sprengstücke (wenigstens fiel nach fünfzig -Sekunden ein Stein nieder und zerschmetterte -einem Soldaten das Bein). Das war eine Bombe -aus der Elevationslafette, und ihr Einfallen in -die Kompagnie bewies, daß die Franzosen die -Kolonne bemerkt hatten.</p> - -<p>Mit Bomben schießt er! ... Laß uns nur -erst an dich heran sein, dann sollst du, Verfluchter,<span class="pagenum"><a name="Page_82" id="Page_82">[Pg 82]</a></span> -das dreikantige russische Bajonett kosten! rief der -Hauptmann so laut, daß der Bataillonskommandeur -ihm befehlen mußte zu schweigen und nicht -so viel zu lärmen.</p> - -<p>Bald darauf erhob sich die erste Kompagnie, -nach ihr die zweite. Es wurde befohlen, das -Gewehr zum Angriff in die rechte Hand zu nehmen, -und das Bataillon ging vorwärts. Pest -hatte vor Furcht das Bewußtsein verloren, wie -betrunken ging er mit. Aber plötzlich blitzte von -allen Seiten eine Million von Feuern auf, pfiff -und krachte es. Er schrie und lief vorwärts, weil -alle liefen und schrien. Dann stolperte er und -fiel auf etwas. Das war der Kompagnieführer, -... er war vor der Kompagnie verwundet worden, -er hielt den Junker für einen Franzosen und packte -ihn am Bein. Als er sein Bein befreit und sich -erhoben hatte, stieß in der Finsternis ein Mensch -mit dem Rücken ihn an und hätte ihn fast wieder -zu Boden geworfen; da schrie ein anderer: »Stich -ihn nieder! Was gaffst du?« Er nahm das Gewehr -und stieß das Bajonett in etwas Weiches. -»<span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">Ah Dieu!</span>« schrie jemand mit schrecklicher, durchdringender -Stimme, und erst da begriff Pest, daß -er einen Franzosen erstochen hatte. – Kalter -Schweiß trat an seinem ganzen Körper hervor, -er schüttelte sich wie im Fieber und warf das -Gewehr fort. Aber nur einen Augenblick dauerte -dies: sogleich kam ihm der Gedanke in den Kopf,<span class="pagenum"><a name="Page_83" id="Page_83">[Pg 83]</a></span> -daß er ein Held sei. Er hob das Gewehr und lief -»Urra« schreiend mit der Menge von dem getöteten -Franzosen fort. Nachdem er zwanzig -Schritte gelaufen war, kam er in einen Laufgraben. -Dort waren die Unsrigen und der Bataillonskommandeur.</p> - -<p>Ich habe einen erstochen! sagte er zu dem -Bataillonskommandeur.</p> - -<p>Brav, Baron!</p> - - -<h4> -<img src="images/illu-087.jpg" width="300" height="54" alt="XII" /> -<span class="hidden">XII</span> -</h4> - -<p>Und wissen Sie, Praßkuchin ist tot! sagte Pest, -als er Kalugin, der nach Hause ging, begleitete.</p> - -<p>Nicht möglich!</p> - -<p>Warum? Ich habe es selbst gesehen.</p> - -<p>Leben Sie wohl, ich habe Eile!</p> - -<p>Ich bin sehr zufrieden, dachte Kalugin auf -dem Heimwege, zum erstenmal habe ich während -meines Tagdienstes Glück gehabt. Es ist mir -vortrefflich gegangen: ich bin am Leben und unverletzt, -Auszeichnungen wird es auch geben und -jedenfalls einen goldenen Säbel. Übrigens habe -ich es verdient.</p> - -<p>Nachdem er dem General alles Notwendige -gemeldet hatte, ging er in sein Zimmer.</p> - -<p>Mit außerordentlichem Behagen fühlte sich Kalugin -zu Hause außer Gefahr; nachdem er ein -Nachthemd angezogen und sich ins Bett gelegt,<span class="pagenum"><a name="Page_84" id="Page_84">[Pg 84]</a></span> -erzählte er Galzin die Einzelheiten des Gefechts; -er schilderte sie sehr natürlich von dem Gesichtspunkte -aus, von dem die Einzelheiten bewiesen, -daß er, Kalugin, ein sehr tüchtiger und tapferer -Offizier sei, was, wie ich meine, gar nicht nötig -war zu betonen, da alle Welt das wußte und -niemand ein Recht oder einen Grund hatte, daran -zu zweifeln, außer dem seligen Rittmeister Praßkuchin -vielleicht, der, obgleich er es oft später als -ein Glück betrachtete, Arm in Arm mit Kalugin -zu gehen, gestern einem Freunde unter Diskretion -erzählt hatte, Kalugin sei ein trefflicher Mensch, -gehe aber, unter uns gesagt, furchtbar ungern auf -die Bastion.</p> - -<p>Kaum hatte sich Praßkuchin, neben Michajlow -gehend, von Kalugin getrennt und schon angefangen, -etwas aufzuleben, weil er nach einem -weniger gefährlichen Platz ging, als er einen hellstrahlenden -Blitz hinter sich sah, und den Schrei -der Schildwache: »Mörser!« sowie die Worte eines -hinter ihm gehenden Soldaten: »Direkt nach der -Bastion fliegt sie!« hörte.</p> - -<p>Michajlow sah sich um. Der glänzende Punkt -der Bombe schien in seinem Zenith stehen zu -bleiben, in einer Stellung, daß es entschieden unmöglich -war, seine Richtung zu bestimmen. Aber -das dauerte nur einen Augenblick: die Bombe -kam immer schneller und näher, so daß schon die -Funken der Röhre sichtbar waren und das ver<span class="pagenum"><a name="Page_85" id="Page_85">[Pg 85]</a></span>hängnisvolle -Pfeifen hörbar, – gerade mitten -unter das Bataillon fiel sie nieder.</p> - -<p>Legt euch! rief eine Stimme.</p> - -<p>Michajlow und Praßkuchin legten sich auf die -Erde. Praßkuchin kniff die Augen zu und hörte -nur, wie die Bombe ganz in seiner Nähe auf die -feste Erde aufschlug. Es verging eine Sekunde, -die ihm wie eine Stunde erschien, – die Bombe -platzte nicht. Praßkuchin erschrak: sollte er unnötig -feig gewesen sein? War vielleicht die Bombe -weit von ihm niedergefallen, und war es ihm -nur so vorgekommen, als ob ihre Röhre in seiner -Nähe gezischt? Er öffnete die Augen und sah mit -Befriedigung Michajlow dicht an seinen Füßen -unbeweglich liegen. Aber da begegnete seinen -Augen auf einen Moment die leuchtende Röhre -der nur eine Elle entfernt von ihm sich drehenden -Bombe.</p> - -<p>Ein Schreck – ein kalter, alles Denken und -Fühlen lähmender Schreck – ergriff sein ganzes -Wesen. Er bedeckte das Gesicht mit beiden Händen.</p> - -<p>Noch eine Sekunde verging – eine Sekunde, -in der eine ganze Welt von Gefühlen, Gedanken, -Hoffnungen, Erinnerungen an seinem Geiste vorüberblitzte.</p> - -<p>»Wen wird sie treffen, mich oder Michajlow, -oder beide zusammen? Und wenn mich, dann wo? -Am Kopf, dann ist alles vorbei; am Bein, dann -wird es abgeschnitten – und dann werde ich bitten,<span class="pagenum"><a name="Page_86" id="Page_86">[Pg 86]</a></span> -daß man mich chloroformiert und kann noch am -Leben bleiben. Vielleicht aber tötet sie nur Michajlow, -dann werde ich erzählen, wie wir zusammen -gegangen, wie er getroffen worden, und sein Blut -mich bespritzt hat. Nein, mir ist sie näher ... -mich tötet sie!«</p> - -<p>Da fielen ihm die zwölf Rubel ein, die er -Michajlow schuldig war, und noch eine Schuld -in Petersburg, die er längst hätte bezahlen müssen; -ein Zigeunermotiv, das er gestern abend gesungen -hatte, huschte ihm durch den Kopf. Das Weib, -das er liebte, stand vor seiner Phantasie in einer -Haube mit lila Bändern; der Mensch, der ihn -vor fünf Jahren beleidigt und dem er diese Beleidigung -nicht heimgezahlt hatte, fiel ihm ein, obgleich, -untrennbar von dieser und tausend anderen -Erinnerungen, das Gefühl der Gegenwart – die -Erwartung des Todes – ihn nicht einen Augenblick -verließ. »Übrigens, vielleicht platzt sie nicht«, dachte -er und wollte mit verzweifelter Entschlossenheit -die Augen öffnen. Aber in diesem Augenblick traf -ihn durch die geschlossenen Lider ein roter Feuerschein, -und mit entsetzlichem Krachen schlug ihm -etwas mitten in die Brust; er stürzte vorwärts, -stolperte über den Säbel, der ihm zwischen -die Beine geraten war, und fiel auf die -Seite.</p> - -<p>»Gott sei Dank, es ist nur ein Streifschuß!« -war sein erster Gedanke, und er wollte mit den<span class="pagenum"><a name="Page_87" id="Page_87">[Pg 87]</a></span> -Händen seine Brust befühlen; aber seine Hände -waren wie gelähmt und sein Kopf wie in einen -Schraubstock eingeklemmt. Vor seinen Augen huschten -die Soldaten vorüber, und bewußtlos zählte er -sie: »Eins, zwei, drei Mann; da einer in den -Mantel gehüllt, ein Offizier,« dachte er. Dann -flammte ein Blitz vor seinen Augen auf, und er -dachte darüber nach, woher der Schuß wohl kommt: -aus einem Mörser oder aus einer Kanone? Wahrscheinlich -aus einer Kanone. Da neue Schüsse; -da noch Soldaten: fünf, sechs, sieben Mann, alle -gehen vorüber. Plötzlich wurde ihm furchtbar zu -Mut, als ob ihn jemand würgte. Er wollte -schreien, er habe einen Streifschuß bekommen, aber -sein Mund war so vertrocknet, daß ihm die Zunge -am Gaumen klebte, und ein schrecklicher Durst ihn -quälte. Er fühlte, wie naß er um die Brust war: -dieses Gefühl der Nässe rief ihm das Wasser in -Erinnerung, und er hätte auch das trinken mögen, -wovon seine Brust naß war.</p> - -<p>»Wahrscheinlich habe ich mich blutig geschlagen, -als ich fiel,« dachte er. Er überließ sich immer -mehr und mehr der Furcht, daß die Soldaten, -die an ihm vorüberhuschten, ihn erwürgen würden. -Er nahm alle Kräfte zusammen und wollte schreien: -»Nehmt mich mit!« Aber anstatt dessen stöhnte er -so schrecklich, daß es ihm fürchterlich war, sich zu -hören. Dann hüpften rote Flämmchen vor seinen -Augen, und es war ihm, als legten Soldaten<span class="pagenum"><a name="Page_88" id="Page_88">[Pg 88]</a></span> -Steine über ihn; die Flämmchen hüpften immer -schneller und schneller, die Steine, die man über -ihn legte, drückten immer schwerer und schwerer. -Er machte eine Anstrengung, um die Steine abzuwälzen, -streckte sich aus, und dann sah, hörte, -dachte und fühlte er nichts mehr. Er war durch -einen Bombensplitter mitten in die Brust getroffen -und auf der Stelle getötet worden.</p> - - -<h4> -<img src="images/illu-092.jpg" width="300" height="52" alt="XIII" /> -<span class="hidden">XIII</span> -</h4> - -<p>Michajlow war, als er die Bombe sah, auf -die Erde niedergefallen; während der zwei Sekunden, -in welchen die Bombe ungeborsten dalag, -dachte und fühlte er ebenso viel, wie Praßkuchin. -Er betete in Gedanken zu Gott und wiederholte -fortwährend: »Dein Wille geschehe! Und wozu -bin ich in den Dienst getreten – dachte er gleichzeitig -– und noch dazu in die Infanterie, um an -dem Feldzuge teilzunehmen? Wäre es nicht besser -gewesen, im Ulanenregiment zu bleiben in T. -und meine Zeit bei meiner lieben Natascha zuzubringen? -Jetzt ...« Und er begann zu zählen: -eins, zwei, drei, vier und sagte sich, gerade heißt -lebendig bleiben, ungerade tot: »Nun ist alles zu -Ende, ich bin tödlich getroffen!« dachte er, als -die Bombe platzte, und er einen Schlag an den -Kopf bekam und einen rasenden Schmerz empfand. -»Herr, verzeih' mir meine Sünden,« rief er mit<span class="pagenum"><a name="Page_89" id="Page_89">[Pg 89]</a></span> -gefalteten Händen, wollte sich erheben, fiel aber -besinnungslos auf den Rücken.</p> - -<p>Das erste, was er fühlte, als er wieder zu sich -kam, war das Blut, das ihm über die Nase strömte, -und der bei weitem schwächer gewordene Schmerz -am Kopf. »Die Seele entflieht, dachte er. – -Wie wird es »dort« sein? ... Herr, nimm meine -Seele in Frieden auf. Nur das Eine ist sonderbar, -dachte er, daß ich sterbend so deutlich die Schritte -der Soldaten und die Schüsse höre.«</p> - -<p>Eine Bahre her ... he ... unser Hauptmann -ist tot! schrie über seinem Kopfe eine Stimme, die -er unwillkürlich als die des Trommlers Ignatjew -erkannte.</p> - -<p>Da faßte ihn jemand bei den Schultern. Er -versuchte, die Augen zu öffnen und sah über seinem -Kopf den dunkelblauen Himmel, Sterngruppen und -zwei über ihn hinfliegende Bomben, die um die -Wette weitereilten – er sah Ignatjew, Soldaten -mit Tragbahren und Gewehren, den Wall des -Laufgrabens, und überzeugte sich plötzlich, daß er -noch nicht im Jenseits sei.</p> - -<p>Er war leicht von einem Stein am Kopf verwundet. -Seine allererste Empfindung war etwas -wie Bedauern: er hatte sich so gut und ruhig auf -den Übergang »dorthin« vorbereitet, daß ihn die -Rückkehr in die Wirklichkeit mit ihren Bomben, -Laufgräben und Blute unangenehm berührte; seine -zweite Empfindung war die unbewußte Freude<span class="pagenum"><a name="Page_90" id="Page_90">[Pg 90]</a></span> -darüber, daß er lebendig war; die dritte – der -Wunsch, so bald als möglich die Bastion zu verlassen. -Der Trommler verband seinem Hauptmann -den Kopf mit einem Tuche, nahm den Verwundeten -unter den Arm und wollte ihn nach dem Verbandort -führen.</p> - -<p>»Wohin und weshalb ich aber gehe? dachte -der Stabskapitän, als er etwas zu sich gekommen -war. Meine Pflicht ist, bei der Kompagnie zu -bleiben und nicht vorzeitig fortzugehen, umsomehr, -als sie bald aus dem Feuer herauskommen wird,« -flüsterte eine innere Stimme ihm zu.</p> - -<p>Es ist nicht nötig, Bruder, sagte er, indem er -seinen Arm dem dienstfertigen Trommler entzog, -ich werde nicht nach dem Verbandort gehen, sondern -bei der Kompagnie bleiben.</p> - -<p>Und er wandte sich zurück.</p> - -<p>Sie thäten besser, sich ordentlich verbinden zu -lassen, Euer Wohlgeboren, sagte Ignatjew, – nur -in der ersten Hitze scheint das nichts zu sein; Sie -machen es bloß schlimmer; hier giebt's ein ganz -gehöriges Feuer ... gewiß, Euer Wohlgeboren!</p> - -<p>Michajlow blieb einen Augenblick unentschlossen -stehen und würde wahrscheinlich Ignatjews Rat -befolgt haben, wenn er nicht bedacht hätte, wieviel -Schwerverwundete am Verbandort sein -würden.</p> - -<p>»Vielleicht werden die Doktoren über meine -Schramme nur lächeln,« dachte der Stabskapitän<span class="pagenum"><a name="Page_91" id="Page_91">[Pg 91]</a></span> -und ging, trotz der Gründe des Trommlers, entschlossen -zur Kompagnie zurück.</p> - -<p>Wo ist der Ordonnanzoffizier Praßkuchin, der -mit mir gegangen war? fragte er den Fähnrich, -der die Kompagnie führte.</p> - -<p>Ich weiß nicht ... tot, glaube ich, antwortete -mürrisch der Fähnrich, tot oder verwundet.</p> - -<p>Wie können Sie das nicht wissen, er ist ja mit -uns gegangen? Und weshalb haben Sie ihn nicht -mitgenommen?</p> - -<p>Wie soll man ihn mitnehmen, wenn's ein solches -Feuer giebt!</p> - -<p>Ach! so sind Sie, Michail Iwanytsch, rief zornig -Michajlow, wie konnten Sie ihn liegen lassen, -wenn er noch lebt; ja, wenn er auch tot ist, mußten -Sie doch den Leichnam mitnehmen.</p> - -<p>Wie kann er leben, wenn ich Ihnen sage, ich -selber habe ihn gesehen! sagte der Fähnrich. Ich -bitte Sie! wenn wir nur erst unsere eigenen Leute -fortgeschafft hätten! ... Sieh' da, jetzt schießt -die Kanaille mit Kanonenkugeln! fügte er hinzu.</p> - -<p>Michajlow setzte sich und faßte sich an den -Kopf, der ihm von der Bewegung aufs heftigste -schmerzte.</p> - -<p>Nein, wir müssen jedenfalls hin und ihn mitnehmen; -vielleicht lebt er noch, sagte Michajlow. -– Das ist unsere <em>Schuldigkeit</em>, Michail Iwanytsch!</p> - -<p>Michail Iwanytsch antwortete nicht.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_92" id="Page_92">[Pg 92]</a></span></p> - -<p>»Der hat ihn vorhin nicht mitgenommen, und -jetzt muß ich die Soldaten allein schicken; aber -darf ich sie schicken? – Bei solch einem schrecklichen -Feuer können sie zwecklos getötet werden,« -dachte Michajlow.</p> - -<p>Kinder! wir müssen zurückgehen, um einen Offizier -mitzunehmen, der dort im Graben verwundet -worden ist, rief er nicht allzu laut und befehlend, -da er fühlte, wie unangenehm den Soldaten die -Erfüllung dieses Befehls sein würde, – und wirklich, -da er niemand mit Namen bezeichnet hatte, -trat keiner vor, dem Geheiß nachzukommen.</p> - -<p>»Es ist wahr: vielleicht ist er schon tot und es -<em>lohnt</em> sich nicht, die Leute einer unnötigen Gefahr -auszusetzen; nur an mir liegt die Schuld, weshalb -habe ich mich um ihn nicht bekümmert. Ich -werde selber gehen, mich zu überzeugen, ob er -noch lebt. Das ist meine <em>Schuldigkeit</em>,« sprach -Michajlow zu sich selbst.</p> - -<p>Michail Iwanytsch! führen Sie die Kompagnie, -ich werde nachkommen, sagte er und lief, mit der -einen Hand den Mantel aufhebend, mit der andern -das Bild des heiligen Mitrophan, zu dem -er ein besonderes Vertrauen hatte, fortwährend -berührend, im Trabe den Laufgraben entlang.</p> - -<p>Nachdem sich Michajlow überzeugt, daß Praßkuchin -tot war, schleppte er sich, keuchend und mit -der Hand den locker gewordenen Verband und -den heftig schmerzenden Kopf haltend, zurück. Als<span class="pagenum"><a name="Page_93" id="Page_93">[Pg 93]</a></span> -er sein Bataillon erreichte, stand es bereits unten -am Berge an Ort und Stelle und fast außerhalb -Schußweite. Ich sage: <em>fast</em>, nicht außerhalb -Schußweite, weil bisweilen auch bis dahin sich -Bomben verirrten.</p> - -<p>»Aber morgen muß ich mich am Verbandort -als verwundet einschreiben lassen,« dachte der -Stabskapitän, als der herbeigekommene Feldscher -ihn verband.</p> - - -<h4> -<img src="images/illu-097.jpg" width="300" height="54" alt="XIV" /> -<span class="hidden">XIV</span> -</h4> - -<p>Hunderte von frischen, blutigen Menschenkörpern, -die vor zwei Stunden noch von den mannigfaltigsten, -erhabenen und kleinlichen Hoffnungen und -Wünschen erfüllt waren, lagen mit erstarrten Gliedern -in dem betauten, blumenreichen Thale, das -die Bastion vom Laufgraben trennte, und auf -dem ebenen Fußboden der Totenkapelle in Sewastopol; -Hunderte von Menschen, mit Verwünschungen -und Gebeten auf den vertrockneten Lippen, -krochen, wanden sich und stöhnten: die einen zwischen -den Leichnamen im blumenreichen Thal, die -anderen auf Tragbahren, Pritschen und der -blutigen Diele des Verbandortes; und gerade so, -wie an früheren Tagen, stand Wetterleuchten -über dem Ssapunberg, erbleichten die glänzenden -Sterne, kam ein weißer Nebel vom brausenden, -dunkeln Meere daher gezogen, flammte die helle<span class="pagenum"><a name="Page_94" id="Page_94">[Pg 94]</a></span> -Morgenröte im Osten auf, zerstreuten sich die -dunklen Gewitterwölkchen am hellblauen Horizont, -und gerade so wie an den früheren Tagen tauchte, -der ganzen erwachenden Welt Freude, Liebe und -Glück verheißend, das mächtige, schöne Tagesgestirn -empor.</p> - - -<h4> -<img src="images/illu-098.jpg" width="300" height="53" alt="XV" /> -<span class="hidden">XV</span> -</h4> - -<p>Am folgenden Tage, gegen Abend, spielte wieder -eine Jägerkapelle auf dem Boulevard, und -wieder spazierten Offiziere, Junker, Soldaten und -junge Frauenzimmer müßig in der Nähe des Pavillons -und in den niedrigen, von blühenden, wohlriechenden, -weißen Akazien gebildeten Alleen.</p> - -<p>Kalugin, Fürst Galzin und ein Oberst gingen -Arm in Arm um den Pavillon und sprachen von -dem Gefecht des vergangenen Tages.</p> - -<p>Der leitende Faden ihres Gesprächs war, wie -es immer in ähnlichen Fällen zu sein pflegt, nicht -das Gefecht selbst, sondern der Anteil, den der -Erzählende an dem Gefecht genommen hatte. Ihr -Aussehen und der Klang ihrer Stimme war ernst, -beinahe traurig, als ob die Verluste des gestrigen -Tages jeden von ihnen berührten und schmerzten; -in Wahrheit aber war dieser Ausdruck der Trauer, -da niemand von ihnen einen nahestehenden Menschen -verloren hatte, der offizielle Ausdruck, den -sie für ihre Pflicht hielten zur Schau zu tragen.<span class="pagenum"><a name="Page_95" id="Page_95">[Pg 95]</a></span> -Kalugin und der Oberst wären jeden Tag bereit -gewesen, ein solches Gefecht mitzumachen, wenn -sie nur jedesmal einen goldenen Säbel oder den -Generalmajor bekommen hätten, obgleich sie sehr -nette Menschen waren. Ich höre es gern, wenn -man einen Eroberer wegen seines Ehrgeizes, der -Millionen zu Grunde richtet, einen Unmenschen -nennt. Man frage aber den Fähnrich Petruschow -und den Unterleutnant Antonow und andere aufs -Gewissen, dann ist jeder von uns ein kleiner Napoleon, -ein kleiner Unmensch, und jeden Augenblick -bereit, einen Kampf aufzunehmen und hunderte -Menschen zu töten, nur um einen unnützen -Orden oder ein Drittel seiner Gage zu bekommen.</p> - -<p>Nein, entschuldigen Sie, sagte der Oberst, erst -ist es auf dem linken Flügel losgegangen, <em>ich bin -ja dort gewesen</em>.</p> - -<p>Vielleicht, antwortete Kalugin. <em>Ich war -mehr auf dem rechten; ich bin zweimal hingekommen: -Einmal suchte ich den General -und das andere Mal ging ich so hin – die -Verschanzung anzusehen. Da ging es heiß -her.</em></p> - -<p>Ja, gewiß, so ist es, Kalugin weiß es, sagte -Fürst Galzin zu dem Oberst. Weißt du, heute -hat mir W... von dir gesagt, du seist ein -tapfrer ...</p> - -<p>Aber Verluste, schreckliche Verluste, sagte der -Oberst. <em>Von meinem Regiment</em> sind 400<span class="pagenum"><a name="Page_96" id="Page_96">[Pg 96]</a></span> -Mann gefallen. Ein Wunder, <em>daß ich lebendig -davongekommen bin</em>.</p> - -<p>Da zeigte sich am andern Ende des Boulevards -die Gestalt Michajlows mit verbundenem Kopfe; -er ging auf sie zu.</p> - -<p>Wie, Sie sind verwundet, Kapitän? sagte -Kalugin.</p> - -<p>Ja, ein wenig, durch einen Stein, antwortete -Michajlow.</p> - -<p><span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">Est ce que pavillon est baissé déjà?</span> fragte -Fürst Galzin und sah dabei nach der Mütze des -Stabskapitäns, ohne sich an eine bestimmte Person -zu wenden.</p> - -<p><span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">Non, pas encore</span>, antwortete Michajlow, der -gern zeigen wollte, daß er französisch verstehe und -spreche.</p> - -<p>Dauert denn der Waffenstillstand noch fort? -sagte Galzin russisch, und wandte sich an den Kapitän, -um dadurch, wie dem Stabskapitän schien, -auszudrücken, es muß Ihnen wohl schwer fallen, -französisch zu sprechen und ist doch wohl besser -geradezu ... Und damit entfernten sich die Adjutanten -von ihm. Der Stabskapitän fühlte sich, -wie gestern, außerordentlich vereinsamt, begrüßte -mehrere, und da er sich zu den einen nicht gesellen -wollte und zu den andern heranzutreten sich nicht -entschließen konnte, setzte er sich in der Nähe des -Kasarskij-Denkmals nieder und rauchte eine Cigarette -an.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_97" id="Page_97">[Pg 97]</a></span></p> - -<p>Baron Pest kam ebenfalls auf den Boulevard. -Er erzählte, er habe den Verhandlungen über den -Waffenstillstand beigewohnt und mit französischen -Offizieren gesprochen; ein Offizier habe ihm gesagt: -<span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">S'il n'avait pas fait clair encore pendant -une demi-heure, les embuscades auraient été -reprises</span>, und er habe ihm geantwortet: <span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">Monsieur, -je ne dis pas non, pour ne pas vous donnez un -démenti</span>, so vortrefflich habe er ihm geantwortet -u. s. w.</p> - -<p>In Wirklichkeit aber hatte er, obwohl er bei -den Verhandlungen gewesen war, gar keine Gelegenheit -gehabt, dort etwas besonderes zu sagen, -obwohl er große Lust hatte, mit den Franzosen -zu sprechen. (Es ist doch ein ungeheures Vergnügen, -mit Franzosen zu sprechen.) Der Junker -Baron Pest war lange die Linie entlang gegangen -und hatte alle Franzosen, die in seiner Nähe waren, -gefragt: <span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">De quel régiment êtes-vous?</span> Sie antworteten -ihm – und das war alles. Als er -sich aber zu weit über die Linie hinauswagte, -schimpfte der französische Wachtposten, der nicht -vermutete, daß dieser Soldat französisch verstehen -könnte, ihn in der dritten Person aus: »<span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">Il vient -regarder nos travaux ce sacré ...</span>« sagte er. -Und da der Junker Baron Pest infolgedessen kein -Vergnügen mehr fand an den Verhandlungen, war -er nach Hause geritten und hatte unterwegs über -die französischen Sätze nachgedacht, die er jetzt<span class="pagenum"><a name="Page_98" id="Page_98">[Pg 98]</a></span> -vorbrachte. Auf dem Boulevard stand auch Kapitän -Sobow in lautem Gespräch und Kapitän -Obshogow, der ganz erregt aussah, und der Artilleriekapitän, -der keines Menschen Gunst suchte, -und der in seiner Liebe glückliche Junker und -alle die Personen von gestern, immer noch mit -denselben Wünschen und Trieben. Nur Praßkuchin, -Neferdow und noch einer fehlten, und es -wurde ihrer jetzt, wo ihre Körper noch nicht gewaschen, -geschmückt und in die Erde verscharrt -waren, kaum gedacht oder erwähnt.</p> - - -<h4> -<img src="images/illu-102.jpg" width="300" height="52" alt="XVI" /> -<span class="hidden">XVI</span> -</h4> - -<p>Auf unserer Bastion und dem französischen -Laufgraben sind weiße Flaggen aufgesteckt, und -zwischen ihnen, im blumenreichen Thale, liegen -haufenweis, ohne Stiefel, in grauen und blauen -Uniformen, verstümmelte Leichen, die Arbeiter zusammentragen -und auf Wagen legen. Der Geruch -der toten Körper erfüllt die Luft. Aus Sewastopol -und aus dem französischen Lager strömen Menschenscharen -herbei, um dieses Schauspiel anzusehen, -und mit brennender, wohlwollender Neugierde eilt -die eine Schar zur andern.</p> - -<p>Hören wir, was diese Leute untereinander -sprechen.</p> - -<p>Dort, in einem Kreise von Russen und Franzosen, -betrachtet ein junger Offizier, der zwar<span class="pagenum"><a name="Page_99" id="Page_99">[Pg 99]</a></span> -schlecht, aber hinreichend französisch spricht, um verstanden -zu werden, eine Gardepatrontasche.</p> - -<p>Eh seßi purkua se uaso lië? sagt er.</p> - -<p><span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">Par ce que c'est un giberne d'un régiment -de la garde, Monsieur, qui porte l'aigle impérial.</span></p> - -<p>Eh wu de la gard?</p> - -<p><span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">Pardon, Monsieur, du 6<sup>ème</sup> de ligne.</span></p> - -<p>Eh seßi u aschte? fragt der Offizier, indem er -auf eine hölzerne gelbe Cigarrenspitze zeigt, aus -der der Franzose eine Cigarette raucht.</p> - -<p><span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">A Balaclava, Monsieur! C'est tout simple en -bois de palme.</span></p> - -<p>Sholi, sagt der Offizier, der sich in seinem -Gespräch weniger von seinem Willen leiten läßt, -als von den Worten, die er kennt.</p> - -<p><span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">Si vous voulez bien garder cela comme souvenir -de cette rencontre, vous m'obligerez.</span></p> - -<p>Und der höfliche Franzose bläst die Cigarette -heraus und überreicht dem Offizier mit einer leichten -Verbeugung die Spitze. Der Offizier giebt -ihm die seinige, und alle Leute in der Gruppe, -sowohl Franzosen, wie Russen, scheinen sehr vergnügt -darüber zu sein und zu lächeln.</p> - -<p>Dort ist ein kecker Infanterist, in einem rosa -Hemd und mit umgeworfenem Mantel, in Begleitung -anderer Soldaten, die, die Hände auf -dem Rücken, mit frohen, neugierigen Gesichtern -hinter ihm stehen, an einen Franzosen herangegangen -und bittet ihn um Feuer für seine Pfeife.<span class="pagenum"><a name="Page_100" id="Page_100">[Pg 100]</a></span> -Der Franzose bläst seine Pfeife stärker an, stochert -den Tabak auf und schüttet Feuer in des Russen -Pfeife.</p> - -<p>Tabak bun, sagt der Soldat im rosa Hemd, -und die Zuschauer lächeln.</p> - -<p><span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">Oui, bon tabac, tabac turc</span>, sagt der Franzose, -<span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">et chez vous autres, tabac – russe? bon?</span></p> - -<p>Ruß – bun, sagt der Soldat im rosa Hemd, -und die Anwesenden schütteln sich vor Lachen. -Franße nicht bun, bonshur mussje! sagt der Soldat -im rosa Hemd, indem er seinen ganzen Vorrat -von Sprachkenntnissen auf einmal erschöpft, -und klopft lachend dem Franzosen auf den Bauch.</p> - -<p><span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">Ils ne sont pas jolis ces b... de Russes</span>, -sagt ein Zuave mitten aus dem Franzosenhaufen.</p> - -<p><span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">De quoi de ce qu'ils rient donc?</span> sagt ein anderer, -ein dunkelbrauner Geselle mit italienischer -Aussprache, und kommt auf die Unsrigen zu.</p> - -<p>Kaftan bun, sagt der kecke Soldat, indem er -die gestickten Schöße des Zuaven betrachtet – -und wieder lachen alle.</p> - -<p><span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">Ne sors pas de la ligne, à vos places, sacré -nom!</span> schreit der französische Korporal, und die -Soldaten gehen mit sichtlicher Unzufriedenheit auseinander.</p> - -<p>Da drüben, im Kreise französischer Offiziere, -steht ein junger Kavallerieoffizier von uns und löst -sich in Liebenswürdigkeiten auf. Es ist die Rede -von einem gewissen <span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">comte Sazonoff, que j'ai beau<span class="pagenum"><a name="Page_101" id="Page_101">[Pg 101]</a></span>coup -connu, M.</span>, sagt ein französischer Offizier, dem -eine Achselklappe fehlt; <span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">c'est un de ces vrais -comtes russes, comme nous les aimons</span>.</p> - -<p><span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">Il y a un Sazonoff, que j'ai connu</span>, sagt der -Kavallerist, <span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">mais il n'est pas comte, à moins, -que je sache; un petit brun de votre âge à -peu près</span>.</p> - -<p><span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">C'est ça, M. c'est lui. Oh, que je voudrais -le voir ce cher comte. Si vous le voyez, je -vous prie bien de lui faire mes compliments. – -Capitaine Latour</span>, sagt er mit einer Verbeugung.</p> - -<p><span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">N'est-ce pas terrible la triste besogne, que -nous faisons? Ça chauffait cette nuit, n'est-ce -pas?</span> sagt der Kavallerist, der die Unterhaltung -fortzusetzen wünscht, und zeigt auf die Leichen.</p> - -<p><span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">Oh, M. c'est affreux! Mais quels gaillards -vos soldats, quels gaillards! C'est un plaisir, que -de se battre avec des gaillards comme eux.</span></p> - -<p><span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">Il faut avouer que les votres ne se mouchent -pas du pied non plus</span> – sagt der Kavallerist, verbeugt -sich und glaubt sehr liebenswürdig zu sein.</p> - -<p>Aber genug.</p> - -<p>Betrachten wir lieber den zehnjährigen Knaben, -der in einer alten, jedenfalls von seinem Vater -stammenden Mütze, mit Schuhen an den nackten -Füßen und in Nankinghosen, die nur durch einen -Riemen gehalten werden, gleich nach Beginn des -Waffenstillstandes über den Wall gekommen ist, -sich lange in der Schlucht aufgehalten, mit stumpfer<span class="pagenum"><a name="Page_102" id="Page_102">[Pg 102]</a></span> -Neugierde die Franzosen und die auf der Erde -liegenden Leichname betrachtet und blaue Feldblumen -gepflückt hat, von denen dieses Thal übersät -ist. Da er mit dem großen Blumenstrauß nach -Hause zurückgeht, hält er die Nase zu vor dem -Geruch, den ihm der Wind zuträgt, bleibt bei -einem Haufen zusammengetragener Körper stehen -und betrachtet lange einen schrecklichen, kopflosen -Leichnam, der in seiner Nähe liegt. Nachdem er -ziemlich lange gestanden, tritt er näher heran und -berührt mit dem Fuß den ausgestreckten erstarrten -Arm des Leichnams, – der Arm bewegt sich ein -wenig. Er berührt ihn noch einmal, stärker, – -der Arm bewegt sich und kehrt wieder in seine -Lage zurück. Der Knabe schreit plötzlich auf, -verbirgt das Gesicht in den Blumen und läuft -spornstreichs fort nach der Festung.</p> - -<p>Ja, auf der Bastion und im Laufgraben sind -weiße Flaggen aufgesteckt, das blumenreiche Thal -ist voll von toten Körpern, die schöne Sonne sinkt -ins blaue Meer, und das blaue Meer wogt und -glänzt in den Strahlen der Sonne. Tausende -von Menschen drängen sich, schauen, sprechen und -lächeln einander zu. Und diese Menschen sind -Christen, die das eine große Gebot der Liebe -und Selbstverleugnung bekennen, und fallen beim -Anblick dessen, was sie gethan, nicht voll Reue -mit einem Schlage auf die Knie vor Dem, der, -als er ihnen das Leben gab, in die Seele eines<span class="pagenum"><a name="Page_103" id="Page_103">[Pg 103]</a></span> -jeden, zugleich mit der Todesfurcht, die Liebe zum -Guten und Schönen gelegt hat, und umarmen sich -nicht mit Thränen der Freude und des Glücks als -Brüder? ... Die weißen Flaggen sind entfernt, -und von neuem pfeifen die Geschosse, Tod und Verderben -bringend, von neuem wird unschuldiges -Blut vergossen und Stöhnen und Fluchen laut.</p> - -<div class="figcenter"> -<img src="images/illu-107.jpg" width="300" height="51" alt="* * * * *" /> -</div> - -<p>So hätte ich denn gesagt, was ich für dieses -Mal zu sagen hatte. Aber ein drückender Zweifel -überkommt mich. Vielleicht hätte ich das nicht -aussprechen sollen, vielleicht gehört das, was ich -gesagt habe, zu jenen schlimmen Wahrheiten, die -unbewußt in der Seele eines jeden schlummern und -nicht ausgesprochen werden dürfen, um nicht schädlich -zu werden, wie der Bodensatz des Weines, -den man nicht aufschütteln darf, um den Wein -nicht zu zerstören.</p> - -<p>Wo ist in dieser Erzählung das Abbild des -Bösen, das wir vermeiden sollen? Wo das Abbild -des Guten, dem wir nachahmen sollen? Wer -ist ihr Bösewicht, wer ihr Held? – Alle sind gut -und alle sind schlecht.</p> - -<p>Weder Kalugin mit seiner glänzenden Tapferkeit -– <span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">bravoure de gentilhomme</span> – und Ruhmsucht, -der Urheber in Aller Handlungen, noch Praßkuchin, -der eitle, harmlose Mensch, obgleich er im<span class="pagenum"><a name="Page_104" id="Page_104">[Pg 104]</a></span> -Kampfe für den Glauben und für Thron und -Vaterland gefallen ist, noch Michajlow mit seiner -Schüchternheit, noch Pest, dieses Kind ohne feste -Überzeugung und Grundsätze – sie alle können -nicht die Bösewichter, noch die Helden der Erzählung -sein.</p> - -<p>Der Held meiner Erzählung, den ich mit der -ganzen Kraft meiner Seele liebe, den ich in ganzer -Schöne zu schildern bemüht war, und der immer -schön gewesen ist und immer schön sein wird, – -ist die Wahrheit.</p> - - -<div class="figcenter"> -<img src="images/illu-108.jpg" width="300" height="52" alt="* * * * *" /> -</div> - - - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_105" id="Page_105">[Pg 105]</a></span></p> - - - - -<h3><em>Sewastopol</em> im August 1855</h3> - - -<h4>I</h4> - -<p>Gegen Ende August fuhr auf der zerklüfteten -Sewastopoler Heerstraße zwischen Duwanka -(der letzten Station vor Sewastopol) und Bachtschißaraj, -in dichtem und heißem Staube, langsam -ein Offizierswägelchen (von jener besondern Art, -die man sonst nirgends sieht und die die Mitte -hält zwischen einer Judenbritschke, einem russischen -Wagen und einem Korb).</p> - -<p>Vorn im Fuhrwerk hockte ein Offiziersbursche -in einem Nankingrock und einer vollständig abgetragenen -alten Offiziersmütze und führte die -Zügel; hinten saß auf Bündeln und Ballen, die -mit einem Soldatenmantel bedeckt waren, ein Infanterieoffizier -in einem Sommermantel. Der -Offizier war, so weit man das bei seiner sitzenden -Stellung beurteilen konnte, von mittlerer Gestalt, -aber nicht so sehr in den Schultern, als über -Brust und Rücken breit und stämmig; Hals und -Nacken waren bei ihm sehr entwickelt und hervorstehend. -Eine sogenannte Taille – den Ein<span class="pagenum"><a name="Page_106" id="Page_106">[Pg 106]</a></span>schnitt -in der Mitte des Rückens – hatte er -nicht, er hatte aber auch keinen Bauch; im Gegenteil, -er war eher mager, besonders im Gesicht, das -von einem ungesunden gelblichen Braun bedeckt -war. Sein Gesicht hätte man schön nennen können, -wäre es nicht aufgedunsen gewesen, und hätte es -nicht große, wenn auch nicht greisenhafte Runzeln -gehabt, die die Züge verwischten und vergrößerten -und dem ganzen Gesicht den allgemeinen Ausdruck -mangelnder Frische und Zartheit gaben. Seine -Augen waren klein, grau, ungewöhnlich lebhaft, -sogar stechend; der Schnurrbart sehr dicht, aber -nicht breit und abgebissen, das Kinn, besonders -die Kinnbacken, von einem außerordentlich starken, -üppigen, schwarzen, zwei Tage alten Barte bedeckt. -Der Offizier war am 10. Mai durch einen Bombensplitter -am Kopfe verwundet worden und trug -ihn noch immer verbunden. Jetzt, da er sich seit -acht Tagen vollständig gesund fühlte, fuhr er aus -dem Lazarett von Ssimferopol nach seinem Regiment, -das dort irgendwo lag, woher die Schüsse -kamen; ob in Sewastopol selbst, oder auf der -Nordseite, hatte er noch von niemand genau erfahren -können. Die Schüsse hörte man, besonders -wenn keine Berge dazwischen lagen und der Wind -sie weitertrug, außerordentlich deutlich, häufig und, -wie es schien, nahe: bald erschütterte eine Explosion -die Luft und machte ihn unwillkürlich erzittern, -bald folgten aufeinander schwächere Töne, wie<span class="pagenum"><a name="Page_107" id="Page_107">[Pg 107]</a></span> -Trommelschlag, der bisweilen durch ein erschütterndes -Getöse unterbrochen wird; bald verschmolz -alles in ein rollendes Krachen, Donnerschlägen ähnlich, -wenn das Gewitter am stärksten ist und sich -der Platzregen ergießt. Alle sprachen von einem -fürchterlichen Bombardement, das auch wirklich hörbar -war. Der Offizier trieb den Burschen an, er -wollte, wie es schien, so schnell als möglich an Ort -und Stelle sein. Ein langer Wagenzug, den Bauern -führten, die Proviant nach Sewastopol geschafft -hatten, kam ihm entgegen; die Wagen kehrten -jetzt von dort zurück und waren von kranken und -verwundeten Soldaten in grauen Mänteln, Matrosen -in schwarzen Überröcken, Freiwilligen in -rotem Fez und bärtigen Landwehrleuten angefüllt. -Das Offiziersfuhrwerk mußte in einer dicken, unbeweglichen, -durch den Wagenzug aufgewirbelten -Staubwolke halten, und der Offizier blinzelte und -verzog das Gesicht von dem Staub, der ihm in -Augen und Mund eindrang, und betrachtete die -Gesichter der an ihm vorüberziehenden Kranken -und Verwundeten.</p> - -<p>Ah, das ist ein kranker Soldat unserer Kompagnie, -rief der Bursche zu seinem Herrn gewandt -und zeigte auf ein mit Verwundeten angefülltes -Fuhrwerk, das eben ganz nahe herangekommen -war.</p> - -<p>Vorn auf dem Fuhrwerk saß seitwärts ein -echtrussischer Breitbart in einem Filzhut und band<span class="pagenum"><a name="Page_108" id="Page_108">[Pg 108]</a></span> -die Peitsche zusammen, deren Stiel er im Arme -hielt. Hinter ihm im Wagen wurden fünf Mann, -in verschiedenen Stellungen, tüchtig gerüttelt. Der -eine, mit verbundenem Arm, in Hemd und umgeworfenem -Mantel, saß, obwohl blaß und mager, doch -gefaßt in der Mitte des Bauernwagens und wollte, -als er den Offizier sah, nach der Mütze greifen; -aber er erinnerte sich wohl, daß er verwundet war -und that, als ob er sich nur den Kopf kratzen -wollte. Ein anderer lag neben ihm auf dem -Boden des Fuhrwerks: man sah nur seine beiden -Hände, mit denen er sich an den Wagenrändern -festhielt, und die in die Höhe gestreckten Knie, -die wie Lindenbast nach allen Seiten schwankten. -Ein dritter, mit geschwollenem Gesicht und verbundenem -Kopfe, auf dem eine Soldatenmütze in -die Höhe ragte, saß an der Seite, die Beine hielt -er baumelnd nach außen; er schien, die Ellbogen auf -die Knie gestützt, zu schlummern. An diesen wandte -sich der ankommende Offizier.</p> - -<p>Dolshnikow! schrie er.</p> - -<p>Ich – o! antwortete der Soldat, indem er -die Augen öffnete und die Mütze abnahm, mit -einem so tiefen und lauten Baß, als wenn zwanzig -Mann Soldaten zusammen schrien.</p> - -<p>Wann bist du verwundet worden, Brüderchen?</p> - -<p>Die bleiernen, verschwommenen Augen des -Soldaten belebten sich: er erkannte augenscheinlich -seinen Offizier wieder.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_109" id="Page_109">[Pg 109]</a></span></p> - -<p>Wir wünschen Euer Wohlgeboren Gesundheit! -sagte er in demselben schwerfälligen Baß.</p> - -<p>Wo steht jetzt das Regiment?</p> - -<p>Hat in Sewastopol gestanden, wollte am Mittwoch -abmarschieren, Euer Wohlgeboren.</p> - -<p>Wohin?</p> - -<p>Unbekannt ... jedenfalls nach der Nordseite, -Euer Wohlgeboren! Jetzt, Euer Wohlgeboren, -fügte er mit gedehnter Stimme und die Mütze -aufsetzend hinzu, hat er bereits überall zu feuern -angefangen, am meisten aus Bomben, sogar die -Bucht beschießt er; jetzt trifft er so, daß es ein -wahres Unglück ist, sogar ...</p> - -<p>Was der Soldat weiter sprach, war nicht zu -hören, aber aus dem Ausdrucke seines Gesichts -und aus seiner Haltung war ersichtlich, daß er -mit der einem leidenden Menschen eigenen Gereiztheit -trostlose Dinge erzählte.</p> - -<p>Der reisende Offizier, Leutnant Koselzow, war -kein Dutzend-Offizier. Er gehörte nicht zu denen, -die so leben und so handeln, weil die anderen so -leben und so handeln: er that alles, wozu er Lust -hatte, und die anderen thaten dasselbe, und waren -überzeugt, daß es gut war. Er war von Natur -reich ausgestattet mit kleinen Gaben: er sang schön, -er spielte die Guitarre, er sprach sehr lebhaft, er -schrieb sehr leicht, besonders amtliche Schriftstücke, -in deren Abfassung er sich eine große Leichtigkeit -angeeignet hatte, als er Bataillons-Adjutant war;<span class="pagenum"><a name="Page_110" id="Page_110">[Pg 110]</a></span> -vor allem aber war sein Wesen bemerkenswert -durch eine ichsüchtige Energie, die, obgleich sie vor -allem auf dieser kleinen Begabung beruhte, an -sich ein entscheidender und überraschender Charakterzug -war. Er besaß einen Ehrgeiz, der in so hohem -Grade mit dem Leben in eins verschmolzen war -und der sich am häufigsten in Kreisen von Männern, -besonders von Militärs, entwickelt, daß er -etwas anderes, als der erste zu sein oder nichts zu -sein, gar nicht verstand, und daß sein Ehrgeiz auch -der Hebel seiner inneren Triebe war: er in eigener -Person war gern der erste unter den Menschen, -die er sich gleichstellte.</p> - -<p>Wie? ich werde mich gerade um das kümmern, -was <em>Moskau</em><a name="FNanchor_D_4" id="FNanchor_D_4"></a><a href="#Footnote_D_4" class="fnanchor">[D]</a> schwatzt! ... brummte er, und -er empfand einen gewissen Druck von Apathie auf -dem Herzen und Verschwommenheit im Denken; -der Anblick der Verwundeten und die Worte des -Soldaten, deren Bedeutung durch die Töne des -Bombardement verstärkt und bestätigt wurde, -hatten diese Gefühle in ihm zurückgelassen. <em>Dies -Moskau ist lächerlich!</em> ... Vorwärts, Nikolajew! -Rühr' dich ... Was, du bist eingeschlafen? -... fuhr er den Burschen an, indem er die Schöße -seines Mantels in Ordnung brachte.</p> - -<div class="footnote"> - -<a name="Footnote_D_4" id="Footnote_D_4"></a><a href="#FNanchor_D_4">[D]</a> In vielen Linienregimentern nennen die Offiziere halb -verächtlich, halb schmeichelhaft die Soldaten »Moskau« -oder auch »Eid«.</div> - -<p>Nikolajew zog die Zügel an, schnalzte mit der<span class="pagenum"><a name="Page_111" id="Page_111">[Pg 111]</a></span> -Zunge, und das Fuhrwerk rollte im Trabe -weiter.</p> - -<p>Nur einen Augenblick füttern – und sogleich, -heute noch, weiter, sagte der Offizier.</p> - - -<h4> -<img src="images/illu-115.jpg" width="300" height="52" alt="II" /> -<span class="hidden">II</span> -</h4> - -<p>Als Leutnant Koselzow bereits in eine Straße -von Duwanka eingebogen war, an deren Seiten -die Trümmerhaufen der steinernen Mauern von -Tartarenhäusern standen, wurde er durch einen -Wagenzug mit Bomben und Kanonenkugeln, der -nach Sewastopol ging und sich auf dem Wege zusammendrängte, -aufgehalten.</p> - -<p>Zwei Infanteristen saßen im dichtesten Staube -auf den Steinen eines zertrümmerten Zaunes am -Wege und aßen eine Wassermelone und Brot.</p> - -<p>Weit her, Landsmann? sagte der eine von -ihnen, während er sein Brot kaute, zu einem Soldaten, -der mit einem kleinen Sack auf dem Rücken -bei ihnen stehen geblieben war.</p> - -<p>Wir gehen zur Kompagnie, kommen aus dem -Gouvernement, antwortete der Soldat, indem er -von der Wassermelone fortsah und den Sack auf -seinem Rücken zurechtschob. Wir waren dort drei -Wochen bei dem Heu der Kompagnie, aber jetzt, -siehst du, hat man alle wieder zurückberufen; es -ist uns aber unbekannt, wo das Regiment gegenwärtig -steht. Es heißt, die Unsrigen sind in<span class="pagenum"><a name="Page_112" id="Page_112">[Pg 112]</a></span> -vergangener Woche nach der Korabelnaja abmarschiert. -Haben Sie nichts gehört, meine -Herren?</p> - -<p>In der Stadt, Brüderchen, steht es, in der -Stadt! sprach der andere, ein alter Trainsoldat, -der mit einem Taschenmesser in der unreifen, weißlichen -Wassermelone wühlte. Wir sind erst seit -Mittag von dort fort. Es ist wirklich schrecklich, -mein Brüderchen!</p> - -<p>Weshalb denn, meine Herren?</p> - -<p>Hörst du denn nicht, wie <em>er</em> jetzt ringsumher -feuert? Es giebt keinen unversehrten Platz. Wieviel -er von unsern Leuten getötet hat – das läßt -sich gar nicht sagen.</p> - -<p>Und der Sprechende machte mit der Hand eine -abwehrende Bewegung und setzte sich die Mütze -zurecht.</p> - -<p>Der wandernde Soldat schüttelte nachdenklich -den Kopf, schnalzte mit der Zunge, nahm dann -aus dem Stiefelschaft eine Pfeife, stocherte, ohne -sie frisch zu stopfen, den angebrannten Tabak in -ihr auf, zündete ein Stück Feuerschwamm bei einem -rauchenden Soldaten an und lüftete die Mütze.</p> - -<p>Niemand wie Gott, meine Herren! Bitte um -Verzeihung! sagte er und ging, den Sack auf -dem Rücken, weiter.</p> - -<p>Ei, thätest besser zu warten! rief zuredend der -Soldat, der in der Melone stocherte.</p> - -<p>Alles eins! brummte der Wanderer, indem er<span class="pagenum"><a name="Page_113" id="Page_113">[Pg 113]</a></span> -sich zwischen den Rädern der zusammengedrängten -Fuhrwerke hindurchwand.</p> - - -<h4> -<img src="images/illu-117.jpg" width="300" height="52" alt="III" /> -<span class="hidden">III</span> -</h4> - -<p>Die Station war voll von Menschen, als -Koselzow sie erreichte. Die erste Person, die ihm -schon auf der Außentreppe begegnete, war ein -magerer, sehr junger Mensch, der Vorsteher, der -sich mit zwei nachfolgenden Offizieren stritt.</p> - -<p>Nicht dreimal vierundzwanzig Stunden, sondern -zehnmal vierundzwanzig Stunden werden Sie warten -müssen! ... Auch Generale warten, mein -Lieber! rief der Vorsteher. Ich werde mich für -Sie nicht einspannen lassen.</p> - -<p>Niemand kann Pferde bekommen, wenn es -keine giebt! ... Aber weshalb hat der Bediente -da welche bekommen? schrie der ältere -von den beiden Offizieren, der mit einem Glas -Thee in der Hand dastand; er vermied absichtlich -das Fürwort und wollte damit andeuten, daß -man zum Vorsteher ohne weiteres auch <em>du</em> sagen -könnte.</p> - -<p>Sie werden doch selber einsehen, Herr Vorsteher, -entgegnete stockend der andere, jüngere Offizier, -daß wir nicht zu unserm eigenen Vergnügen -reisen. Wir sind ja doch jedenfalls notwendig, -da man nach uns verlangt hat. Sonst werde ich es -wahrhaftig dem General sagen. Was ist denn<span class="pagenum"><a name="Page_114" id="Page_114">[Pg 114]</a></span> -das eigentlich? ... Sie achten den Offiziersstand -nicht.</p> - -<p>Sie verderben immer alles! unterbrach ihn -unwillig der ältere: Sie hindern mich nur; man -muß mit ihm zu reden verstehen. Er hat alle -Achtung vor uns verloren ... Pferde, diesen -Augenblick, sag' ich.</p> - -<p>Würde sie gern geben, Väterchen, aber woher -nehmen? ...</p> - -<p>Der Vorsteher schwieg eine Weile, dann begann -er sich plötzlich zu ereifern und sprach, mit den -Händen fuchtelnd:</p> - -<p>Ich selbst, Väterchen, verstehe das und weiß -alles, aber was will man thun? Lassen Sie mich -nur ... (auf den Gesichtern der Offiziere malte -sich Hoffnung) lassen Sie mich nur das Ende des -Monats abwarten, dann werde ich nicht mehr hier -sein. Lieber will ich auf den Malachow-Hügel -gehen, als hier bleiben, bei Gott! Mögen Sie -machen, was Sie wollen. Auf der ganzen Station -giebt es jetzt kein einziges festes Fuhrwerk, und -ein Büschel Heu haben die Pferde schon seit drei -Tagen nicht gesehen.</p> - -<p>Und der Vorsteher verschwand durch die Hausthür.</p> - -<p>Koselzow ging mit den Offizieren ins Zimmer.</p> - -<p>Was ist da weiter, sagte vollständig ruhig der -ältere Offizier zum jüngeren, obgleich er eine Minute -vorher wütend gewesen war, drei Monate<span class="pagenum"><a name="Page_115" id="Page_115">[Pg 115]</a></span> -sind wir schon unterwegs, – warten wir noch. -'s ist kein Unglück, wir kommen schon noch zurecht.</p> - -<p>Das verräucherte, schmutzige Zimmer war so -voll von Offizieren und Koffern, daß Koselzow -nur mit Mühe einen Platz am Fenster fand, wo -er sich niedersetzte; er betrachtete die Gesichter, -hörte die Gespräche an und begann sich eine Cigarette -zu drehen.</p> - -<p>Rechts von der Thür, um einen schiefen, schmutzigen -Tisch, auf dem zwei kupferne Ssamoware standen, -die hie und da schon grün geworden waren, und -Zucker in verschiedenen Papieren lag, saß die Hauptgruppe: -ein junger, bartloser Offizier in einem -neuen gesteppten Rock aus buntem Baumwollenzeug; -vier gleichfalls junge Offiziere befanden sich -in verschiedenen Ecken des Zimmers: der eine schlief, -mit einem Pelz unter dem Kopf, auf dem Sofa; -ein anderer stand am Tisch und schnitt Hammelbraten -für einen an dem Tische sitzenden Offizier, -dem ein Arm fehlte. Zwei Offiziere, der eine im -Adjutantenmantel, der andere mit einem Infanteriemantel, -der aber sehr fein war, und mit einer -Tasche über der Schulter, saßen in der Nähe der -Ofenbank; und schon daran, wie sie die anderen -ansahen, und wie der mit der Tasche seine -Cigaretten rauchte, konnte man sehen, daß sie nicht -Offiziere von der Linien-Infanterie waren, und -daß dies ihnen Selbstbewußtsein gab. Nicht etwa, -als ob in ihren Manieren Geringschätzung gelegen<span class="pagenum"><a name="Page_116" id="Page_116">[Pg 116]</a></span> -hätte, wohl aber eine gewisse selbstzufriedene -Sicherheit, die sich zum Teil auf ihr Geld, zum -Teil auf ihre nahen Beziehungen zu dem General -stützten – ein Bewußtsein der Vornehmheit, das -sogar bis zu dem Wunsche ging, sie zu verbergen. -Ein noch junger Arzt, mit dicken Lippen, und -ein Artillerist mit deutscher Physiognomie saßen -fast auf den Beinen des auf dem Sofa schlafenden -jungen Offiziers. Von den Offiziersburschen -schlummerten die einen, während die anderen mit -Koffern und Bündeln an der Thür hantierten. -Koselzow fand unter allen Gesichtern kein einziges -bekanntes; aber er begann neugierig den Gesprächen -zu lauschen. Die jungen Offiziere, die, -wie er auf den ersten Blick erkannte, soeben erst von -der Kriegsschule gekommen waren, gefielen ihm, -und, was die Hauptsache war, sie erinnerten ihn -daran, daß sein Bruder ebenfalls in diesen Tagen -aus der Kriegsschule nach einer der Batterien Sewastopols -kommen sollte. An dem Offizier aber -mit der Tasche, dessen Gesicht er irgendwo gesehen -hatten, erschien ihm alles widerwärtig und frech. -Er ging sogar mit dem Gedanken, ihm heimzuleuchten, -wenn ihm etwa einfallen sollte, ein Wort -zu sagen, von dem Fenster zur Ofenbank und -setzte sich dorthin. Als reiner Liniensoldat und -guter Offizier hatte er überhaupt die »Stabsleute« -nicht gern, und als solche hatte er auf den ersten -Blick diese beiden Offiziere anerkannt.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_117" id="Page_117">[Pg 117]</a></span></p> - - -<h4> -<img src="images/illu-121.jpg" width="300" height="51" alt="IV" /> -<span class="hidden">IV</span> -</h4> - -<p>Das ist aber schrecklich ärgerlich! sagte einer -der jungen Offiziere, schon so nahe, und nicht -hinkommen können. Vielleicht giebt's heute etwas, -und wir sind nicht dabei.</p> - -<p>Aus der kreischenden Stimme und den roten -Flecken, die das Gesicht des Offiziers belebten, -während er das sagte, sprach die liebenswürdige, -jugendliche Schüchternheit eines Menschen, der beständig -in der Furcht ist, es könnte ihm ein Wort -mißglücken.</p> - -<p>Der Offizier ohne Arm sah ihn lächelnd an.</p> - -<p>Sie werden schon noch zur rechten Zeit hinkommen, -glauben Sie nur, sagte er.</p> - -<p>Der junge Offizier sah dem Kameraden ohne -Arm mit Achtung in das abgemagerte Gesicht, -in dem plötzlich ein Lächeln aufleuchtete, verstummte -und beschäftigte sich wieder mit dem Thee. -In der That sprach aus den Zügen des Offiziers -ohne Arm, aus seiner Haltung und besonders aus -seinem leeren Ärmel jener ruhige Gleichmut, den -man so erklären kann, als ob er bei jeder Handlung, -die er mit ansah, oder bei jedem Gespräch, -das er anhörte, sagte: »Das ist alles schön, das -weiß ich alles, ich kann auch all das thun, wenn -ich nur wollte.«</p> - -<p>Wie machen wir's also, sagte jetzt der junge<span class="pagenum"><a name="Page_118" id="Page_118">[Pg 118]</a></span> -Offizier zu seinem Kameraden im baumwollenen -Rock: wollen wir hier übernachten oder mit unserm -eigenen Pferde fahren?</p> - -<p>Der Kamerad wollte nicht fahren.</p> - -<p>Sie können sich vorstellen, Kapitän, fuhr er -fort, nachdem er Thee eingegossen; dabei wandte -er sich zu dem Offizier ohne Arm und hob das -Messer auf, das dieser hatte fallen lassen, man -hat uns gesagt, daß die Pferde in Sewastopol sehr -teuer sind, – daher haben wir beide gemeinsam -ein Pferd in Ssimferopol gekauft.</p> - -<p>Man wird Sie wohl gehörig gerupft haben?</p> - -<p>Ich weiß wirklich nicht, Kapitän; wir haben -für Pferd und Fuhrwerk neunzig Rubel bezahlt. -Ist das sehr teuer? fuhr er fort, zu allen und -zu Koselzow, der ihn ansah, gewandt.</p> - -<p>Nicht teuer, wenn das Pferd jung ist, sagte -Koselzow.</p> - -<p>Nicht wahr? ... Und uns hat man gesagt, -daß es teuer ist. Nur lahmt es ein wenig, das -wird aber vorübergehen. Man hat uns gesagt, -es ist recht stark.</p> - -<p>Aus welcher Kriegsschule sind Sie? fragte -Koselzow, der sich nach seinem Bruder erkundigen -wollte.</p> - -<p>Wir kommen jetzt aus dem adligen Regiment; -wir sind unser sechs und gehen alle auf unsern -eigenen Wunsch nach Sewastopol, antwortete der -redselige junge Offizier; nur wissen wir nicht, wo<span class="pagenum"><a name="Page_119" id="Page_119">[Pg 119]</a></span> -unsere Batterien stehen: die einen sagen in Sewastopol, -und andere meinen in Odessa.</p> - -<p>Und konnten Sie's denn in Ssimferopol nicht -erfahren? fragte Koselzow weiter.</p> - -<p>Man weiß es nicht ... Können Sie sich vorstellen, -mein Kamerad ist in die Kanzlei gegangen: -Grobheiten hat man ihm da gesagt ... Sie -können sich denken, wie unangenehm uns das war! -... Ist Ihnen eine fertige Cigarette gefällig? -fragte er zugleich den Offizier ohne Arm, der -seine Cigarettentasche hervorholen wollte.</p> - -<p>Er war ihm mit einem gewissen leidenschaftlichen -Entzücken gefällig.</p> - -<p>Und Sie sind auch aus Sewastopol? fuhr er -fort. Ach, mein Gott, wie erstaunlich! Wie oft -haben wir alle, in Petersburg, an Sie, an all die -Helden gedacht! rief er, mit Achtung und treuherziger -Schmeichelei zu Koselzow gewandt.</p> - -<p>Wenn Sie nun aber zurückreisen müßten? fragte -der Leutnant.</p> - -<p>Sehen Sie, das fürchten wir auch. Können -Sie sich vorstellen, nachdem wir das Pferd gekauft -und uns mit dem Notwendigen – einer -Spiritus-Kaffeemaschine und noch verschiedenen -Kleinigkeiten versehen haben, ist uns gar kein Geld -übrig geblieben, sagte er mit leiser Stimme und -nach seinen Kameraden sich umsehend: wenn wir -zurückreisen müßten, wissen wir nicht, was wir thun -sollen.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_120" id="Page_120">[Pg 120]</a></span></p> - -<p>Haben Sie denn keine Reisegelder erhalten? -fragte Koselzow.</p> - -<p>Nein, antwortete er flüsternd, man hat uns -nur versprochen, daß wir sie hier bekommen.</p> - -<p>Und haben Sie eine Bescheinigung?</p> - -<p>Ich weiß, die Hauptsache ist eine Bescheinigung; -aber in Moskau hat mir ein Senator, mein Onkel, -gesagt, als ich bei ihm war, man würde es uns -hier geben; sonst hätte er selbst es mir gegeben ... -So wird man es uns hier geben?</p> - -<p>Ganz bestimmt.</p> - -<p>Auch ich glaube, wir werden es hier erhalten, -sagte er in einem Tone, der bewies, daß er jetzt, -wo er auf dreißig Stationen ein und dasselbe -gefragt und überall eine andere Antwort erhalten -hatte, niemandem mehr recht glaubte.</p> - - -<h4> -<img src="images/illu-124.jpg" width="300" height="53" alt="V" /> -<span class="hidden">V</span> -</h4> - -<p>Wer hat die Kohlsuppe verlangt? rief die -ziemlich schmutzige Wirtin, ein dickes Weib von -etwa vierzig Jahren, die mit einer Schüssel Suppe -ins Zimmer trat.</p> - -<p>Das Gespräch verstummte im Augenblick, und -alle Anwesenden hefteten ihre Blicke auf die Schenkwirtin. -Einer der Offiziere blinzelte sogar, mit -einem Blick nach ihr, einem Kameraden zu.</p> - -<p>Ach, Koselzow hat sie verlangt! antwortete der -junge Offizier: man muß ihn wecken. Steh auf,<span class="pagenum"><a name="Page_121" id="Page_121">[Pg 121]</a></span> -um zu essen! rief er, ging zu dem auf dem Sofa -Schlafenden und rüttelte ihn an der Schulter.</p> - -<p>Ein junger Mensch von siebzehn Jahren, mit -muntern schwarzen Augen und roten Wangen, -sprang vom Sofa auf und blieb, sich die Augen -reibend, mitten im Zimmer stehen.</p> - -<p>Ach, entschuldigen Sie gefälligst, sagte er zum -Doktor, den er beim Aufstehen angestoßen hatte.</p> - -<p>Leutnant Koselzow hatte sogleich seinen Bruder -erkannt und ging auf ihn zu.</p> - -<p>Erkennst du mich nicht? fragte er lächelnd.</p> - -<p>Ah–ah–ah! rief der jüngere Bruder, das -ist ja wunderbar! und küßte den Bruder.</p> - -<p>Sie küßten sich dreimal, beim dritten Male -aber stockten sie, als wäre beiden der Gedanke -gekommen: warum muß es durchaus dreimal sein?</p> - -<p>Wie freue ich mich! sagte der ältere, indem er -den Bruder betrachtete. Gehen wir auf die Außentreppe, -– um uns auszusprechen.</p> - -<p>Gehen wir, gehen wir. Ich will keine Suppe -... Iß du sie, Federson! sagte er zu einem -Kameraden.</p> - -<p>Du wolltest ja doch essen?</p> - -<p>Ich will nichts.</p> - -<p>Auf der Außentreppe fragte der jüngere den -älteren immer wieder: »Sag', wie geht's, wie -steht's? Erzähle,« und wiederholte unaufhörlich, -wie er sich freue, ihn wiederzusehen, erzählte aber -selbst nichts.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_122" id="Page_122">[Pg 122]</a></span></p> - -<p>Nach fünf Minuten, in denen sie beide geschwiegen -hatten, fragte der ältere Bruder den -jüngeren, weshalb er nicht bei der Garde eingetreten -wäre, wie dies alle erwartet haben.</p> - -<p>Ich wollte schnell nach Sewastopol kommen: -geht es hier gut, so kann man noch besser vorwärts -kommen, als bei der Garde, da kann man -zehn Jahre auf den Hauptmann warten; hier -aber hat's Totleben in zwei Jahren vom Oberstleutnant -zum General gebracht. Nun, und falle -ich auch, was ist da weiter ...</p> - -<p>Ei, wie du bist, meinte der Bruder lächelnd.</p> - -<p>Aber hauptsächlich, weißt du, Bruder, fuhr der -Jüngere lächelnd und errötend fort, als hätte er -etwas sehr Verschämtes zu sagen: das ist alles -Unsinn; hauptsächlich habe ich deshalb drum gebeten, -weil man sich doch schämt, in Petersburg -zu leben, wenn hier die Menschen fürs Vaterland -sterben. Und dann, es verlangte mich auch, mit -dir zusammen zu sein, fügte er noch schüchterner -hinzu.</p> - -<p>Wie komisch du bist! rief der ältere Bruder, -indem er seine Cigarrentasche hervorholte, ohne -ihn anzusehen. Es ist nur schade, daß wir nicht -zusammen sein werden.</p> - -<p>Aber sage mir die Wahrheit, ist es so schrecklich -auf den Bastionen? fragte plötzlich der -Jüngere.</p> - -<p>Anfangs ist's schrecklich, dann gewöhnt man sich<span class="pagenum"><a name="Page_123" id="Page_123">[Pg 123]</a></span> -daran, und es ist weiter nichts. Du wirst selber -sehen.</p> - -<p>Aber sag' mir noch das Eine: was glaubst du, -wird man Sewastopol nehmen? Ich glaube, es -wird niemals genommen.</p> - -<p>Gott weiß.</p> - -<p>Nur das Eine ist ärgerlich ... Stelle dir -vor, welches Unglück ich gehabt habe: unterwegs -ist uns ein ganzes Bündel gestohlen worden, darin -war auch mein Tschako, so daß ich jetzt in einer -fatalen Lage bin und nicht weiß, wie ich mich -melden soll.</p> - -<p>Koselzow der Zweite, Wladimir, war seinem -Bruder Michail sehr ähnlich, aber die Ähnlichkeit -war die einer blühenden Rose mit einer abgeblühten -Heckenrose. Er hatte auch blondes Haar, aber -es war dicht und an den Schläfen gelockt. Auf -seinem weißen zarten Nacken hatte er ein blondes -Zöpfchen – ein Zeichen des Glücks, wie die Ammen -sagen. Auf seiner zarten weißen Gesichtsfarbe lag -nicht immer, sondern loderte nur von Zeit zu Zeit -ein vollblütiges jugendliches Rot auf, das jede -Regung der Seele verriet. Er hatte dieselben -Augen wie sein Bruder, aber seine waren offener -und heller, und das kam hauptsächlich daher, weil -sie häufig von einer leichten Feuchtigkeit bedeckt -waren. Ein blonder Flaum sproßte auf den Wangen -und über den roten Lippen, die sich sehr -häufig zu einem schüchternen Lächeln falteten und<span class="pagenum"><a name="Page_124" id="Page_124">[Pg 124]</a></span> -die weißen glänzenden Zähne sehen ließen. Wie -er so in seiner hohen Gestalt mit seinem breiten -Rücken, in dem offenen Mantel, unter dem ein -rotes Hemd mit einem schrägen Kragen hervorschimmerte, -mit der Cigarette in der Hand an das -Geländer der Treppe gelehnt, mit der naiven -Freude in den Zügen und im Gebaren, vor seinem -Bruder stand, war er ein so angenehmer, hübscher -junger Mann, daß man ihn immer hätte anschauen -mögen. Er freute sich außerordentlich mit -dem Bruder, betrachtete ihn mit Achtung und -Stolz und sah in ihm einen Helden; aber in -mancher Beziehung, z. B. in Hinsicht der weltlichen -Bildung, des Französischsprechens, des Verkehrs -mit gesellschaftlich hochstehenden Leuten, des -Tanzens u. s. w. schämte er sich ein wenig für -ihn, sah von oben auf ihn herab und hatte sogar -die Hoffnung, ihn womöglich fortzubilden. Alle -seine Eindrücke waren noch petersburgisch, sie -stammten aus dem Hause einer Dame, die hübsche -junge Leute gern hatte und ihn an den Feiertagen -zu sich zu laden pflegte, und aus dem Hause eines -Senators in Moskau, wo er einmal auf einem -großen Balle getanzt hatte.</p> - - -<h4> -<img src="images/illu-128.jpg" width="300" height="54" alt="VI" /> -<span class="hidden">VI</span> -</h4> - -<p>Die Brüder hatten sich nahezu ausgeplaudert -und waren endlich bei dem Gefühl angelangt, das<span class="pagenum"><a name="Page_125" id="Page_125">[Pg 125]</a></span> -man oft empfindet, wenn man wenig Gemeinsames -hat, obwohl man einander liebt; sie schwiegen -nun ziemlich lange.</p> - -<p>So nimm deine Sachen, wir wollen sogleich -fortfahren, entgegnete der Ältere.</p> - -<p>Der Jüngere errötete plötzlich und schwieg.</p> - -<p>Direkt nach Sewastopol fahren? fragte er nach -einem minutenlangen Schweigen.</p> - -<p>Nun ja. Du hast ja nicht viel Sachen, ich -glaube, wir können sie unterbringen.</p> - -<p>Schön! ... Wir wollen sogleich fahren, rief -der Jüngere mit einem Seufzer und wandte sich -nach dem Zimmer.</p> - -<p>Aber ohne die Thür zu öffnen, blieb er auf -dem Flur stehen, ließ traurig den Kopf hängen -und dachte:</p> - -<p>»Sogleich direkt nach Sewastopol, unter die -Bomben; schrecklich! Aber gleichviel, einmal muß -es doch geschehen. Jetzt geschieht's wenigstens mit -dem Bruder zusammen ...«</p> - -<p>Die Sache war die. Jetzt erst, bei dem Gedanken, -daß er das Fuhrwerk bestieg, um es nie -wieder zu verlassen, ehe er in Sewastopol ankomme, -und daß kein Zufall ihn jetzt noch zurückhalten -könne, stand die Gefahr, die er gesucht hatte, deutlich -vor seiner Seele, und er war betrübt bei dem -bloßen Gedanken an ihre Nähe. Als er sich ein -wenig beruhigt hatte, ging er in das Zimmer;<span class="pagenum"><a name="Page_126" id="Page_126">[Pg 126]</a></span> -aber es war schon eine Viertelstunde vergangen, -und er kam noch immer nicht zu dem Bruder heraus, -so daß dieser endlich die Thür öffnete, um -ihn zu rufen. Der jüngere Koselzow sprach in der -Stellung eines Schülers, der etwas verschuldet hat, -mit dem Offizier P. Als der Bruder die Thür -öffnete, verlor er vollständig die Fassung.</p> - -<p>Ich komme, ich komme gleich! begann er und -wehrte den Bruder mit der Hand ab, erwarte -mich dort drin.</p> - -<p>Eine Minute später kam er wirklich heraus -und trat mit einem tiefen Seufzer auf seinen -Bruder zu.</p> - -<p>Denke dir, ich kann nicht mit dir fahren, Bruder, -sagte er.</p> - -<p>Wie? ... Was ist das für Unsinn!</p> - -<p>Ich will dir die ganze Wahrheit sagen, Mischa -... Von uns hat keiner mehr Geld, und wir -alle sind in der Schuld bei dem Stabskapitän, den -du da gesehen hast. Ich schäme mich schrecklich!</p> - -<p>Der ältere Bruder runzelte die Stirn und brach -lange Zeit das Schweigen nicht.</p> - -<p>Bist du viel schuldig? fragte er und sah von -unten herauf den Bruder an.</p> - -<p>Ja, viel ... Nein, nicht sehr viel; aber ich -schäme mich schrecklich. Auf drei Stationen hat -er für mich bezahlt. Sein ganzer Zucker ist drauf -gegangen, so daß ich nicht weiß ... Auch Pré<span class="pagenum"><a name="Page_127" id="Page_127">[Pg 127]</a></span>férence -haben wir gespielt – ich blieb ihm etwas -schuldig ...</p> - -<p>Das ist häßlich, Wolodja! Was hättest du -denn angefangen, wenn du mich nicht getroffen -hättest? sagte streng der ältere Bruder, ohne den -jüngeren anzusehen.</p> - -<p>Ich glaubte, Bruder, ich würde in Sewastopol -das Zehrgeld bekommen. Dann hätte ich es ihm -wiedergegeben. Das kann man doch machen? ... -So ist's besser, ich komme morgen mit ihm nach.</p> - -<p>Der ältere Bruder zog seinen Geldbeutel und -nahm mit zitternden Fingern zwei Zehnrubel- und -einen Dreirubelschein heraus.</p> - -<p>Das ist mein Geld! sagte er, wieviel bist du -schuldig?</p> - -<p>Wenn Koselzow sagte, dies sei all sein Geld, -sprach er nicht die volle Wahrheit: er hatte noch -vier Goldstücke, die er für alle Fälle in seinem -Ärmelaufschlag eingenäht hatte, er hatte sich aber -das Wort gegeben, sie nicht anzurühren.</p> - -<p>Es zeigte sich, daß Koselzow vom Préférence -und für den Zucker im ganzen acht Rubel schuldig -war. Der ältere Bruder gab sie ihm und bemerkte -nur, daß man, wenn man kein Geld habe, -nicht noch Préférence spielen dürfe.</p> - -<p>Worauf hast du gespielt?</p> - -<p>Der jüngere Bruder sagte kein Wort. Die -Frage seines Bruders erschien ihm wie ein Zweifel -an seiner Ehrenhaftigkeit ... Der Ärger, den er<span class="pagenum"><a name="Page_128" id="Page_128">[Pg 128]</a></span> -gegen sich selbst empfand, die Scham wegen einer -Handlung, die seinem Bruder, den er so liebte, -solche Verdächtigungen und Beleidigungen abringen -konnten, riefen bei seiner eindrucksfähigen Natur -ein so schmerzliches Gefühl in ihm hervor, daß er -nichts antwortete. Da er empfand, daß er nicht imstande -sein würde, die vor Thränen zitternden -Laute zu unterdrücken, die ihm die Kehle würgten, -nahm er, ohne hinzusehen, das Geld und ging zu -den Kameraden.</p> - - -<h4> -<img src="images/illu-132.jpg" width="300" height="51" alt="VII" /> -<span class="hidden">VII</span> -</h4> - -<p>Nikolajew, der sich in Duwanka durch zwei -Kannen Branntwein gestärkt hatte, die er bei -einem Soldaten auf der Brücke gekauft, führte die -Zügel, das Fuhrwerk holperte auf der steinigen, -stellenweis schattigen Straße dahin, die den Belbek -entlang nach Sewastopol führte; die Brüder stießen -mit den Beinen aneinander, schwiegen aber hartnäckig, -obwohl sie beständig einer an den andern -dachten.</p> - -<p>»Warum hat er mich gekränkt? dachte der -Jüngere, konnte er nicht darüber hinweggehen, -ohne ein Wort zu sprechen? Gerade als ob er -glaubte, ich sei ein Dieb, und auch jetzt noch scheint -er böse zu sein, so daß wir für immer auseinander -sind. Und wie prächtig wäre es für uns gewesen, -zusammen in Sewastopol! Zwei Brüder, die sich<span class="pagenum"><a name="Page_129" id="Page_129">[Pg 129]</a></span> -innig lieben, beide im Kampfe gegen den Feind: -der eine, der Ältere, zwar nicht übermäßig gebildet, -aber ein tapferer Krieger, und der andere, -der Jüngere ... doch auch ein braver Soldat -... In der ersten Woche hätte ich allen bewiesen, -daß ich gar nicht mehr so sehr jung bin! Ich werde -dann nicht mehr erröten, in meinen Zügen wird -Männlichkeit liegen, und bis dahin wird mein -Schnurrbart zwar nicht groß, aber doch tüchtig gewachsen -sein.« Und er zwickte an dem Flaum, der -an den Rändern seines Mundes sproßte. »Vielleicht -komme ich heute hin und sofort in das Gefecht zusammen -mit dem Bruder. Und er ist sicher ausdauernd -und höchst tapfer, so ein Mann, der -nicht viel spricht, aber mehr als die anderen thut. -Ich möchte gern wissen – fuhr er fort – ob er -mich absichtlich oder unabsichtlich an den äußersten -Rand des Wagens drängt. Er fühlt doch gewiß, -daß ich unbequem sitze, und thut so, als ob er -mich nicht bemerkte. Wir kommen also heute an -– fuhr er in seinen Gedanken fort und drückte sich -an den Rand des Wagens; er scheute sich, sich zu -rühren, um den Bruder nicht merken zu lassen, -daß er unbequem sitze – und auf einmal schnurstracks -auf die Bastion: ich mit Geschützen, mein -Bruder mit der Kompagnie, und wir ziehen zusammen. -Plötzlich stürzen sich die Franzosen auf -uns. Ich schieße: ich töte furchtbar viele; aber -sie kommen gerade auf mich losgestürzt. Da hilft<span class="pagenum"><a name="Page_130" id="Page_130">[Pg 130]</a></span> -kein Schießen mehr, ich bin rettungslos verloren; -plötzlich aber stürzt der Bruder hervor, mit dem -Säbel in der Hand, die Franzosen stürzen sich -auf meinen Bruder. Ich renne hin und töte einen -Franzosen, noch einen, und rette den Bruder. Ich -werde an einem Arm verwundet. Ich fasse die -Flinte mit der andern Hand und renne vorwärts. -Da wird mein Bruder neben mir von einer Kugel -hingestreckt, ich stehe einen Augenblick still, sehe -ihn an, so traurig, dann fasse ich mich und rufe: -‚Mir nach! Rache! ... Ich habe meinen Bruder -über alles in der Welt geliebt‘ – sage ich – ‚und -ich habe ihn verloren. Rächen wir ihn, vernichten -wir den Feind oder bleiben wir alle auf dem -Platze!‘ Alle schreien und stürzen mir nach. Das -ganze Heer der Franzosen kommt heran. Pelissier -selbst. Wir machen alle nieder; aber am Ende -werde ich zum zweiten Male verwundet, zum dritten -Male, und sinke tödlich getroffen zu Boden. Da -kommen alle zu mir herangestürzt, Gortschakow -kommt heran und fragt, was ich will. Ich sage, -ich will nichts, ich wünsche nur, daß man mich -neben meinen Bruder lege, daß ich mit ihm sterben -will. Man nimmt mich auf und legt mich neben -den blutbespritzten Leichnam meines Bruders. Ich -richte mich auf und sage nur: ‚O ja, – ihr habt -zwei Menschen, die ihr Vaterland wahrhaft geliebt -haben, nicht zu schätzen gewußt; nun sind -sie beide gefallen; Gott möge euch verzeihen!‘ –<span class="pagenum"><a name="Page_131" id="Page_131">[Pg 131]</a></span> -und ich sterbe. Wer weiß, wie viele von diesen -Gedanken wahr werden!«</p> - -<p>Sag', bist du schon einmal im Handgemenge -gewesen? fragte er plötzlich seinen Bruder; er -hatte ganz vergessen, daß er nicht mit ihm sprechen -wollte.</p> - -<p>Nein, kein einziges Mal, antwortete der Ältere. -Von unserm Regiment sind zweitausend Mann -gefallen, und alle nur bei den Arbeiten, und auch -ich bin bei der Arbeit verwundet worden. Krieg -wird ganz anders geführt, als du glaubst, -Wolodja!</p> - -<p>Das Wort Wolodja rührte den jüngeren Bruder: -er hatte den Wunsch, sich mit seinem Bruder -auseinanderzusetzen, der auch nicht im entferntesten -daran dachte, daß er Wolodja gekränkt hätte.</p> - -<p>Du bist mir nicht böse, Mischa, sagte er nach -einem langen Schweigen.</p> - -<p>Weshalb?</p> - -<p>Ich, ich meinte so ... von vorhin, so ... -das ist gut.</p> - -<p>Nicht im mindesten, antwortete der Ältere, -wandte sich zu ihm und klopfte ihm auf das -Bein.</p> - -<p>So vergieb mir, Mischa, wenn ich dich gekränkt -habe.</p> - -<p>Und der jüngere Bruder wandte sich ab, um -die Thränen zu verbergen, die ihm plötzlich in -die Augen traten.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_132" id="Page_132">[Pg 132]</a></span></p> - - -<h4> -<img src="images/illu-136.jpg" width="300" height="54" alt="VIII" /> -<span class="hidden">VIII</span> -</h4> - -<p>Ist dies schon Sewastopol? fragte der jüngere -Bruder, als sie oben angekommen waren.</p> - -<p>Und vor ihnen lag die Bucht mit den Masten -der Schiffe, das Meer mit der entfernten feindlichen -Flotte, die weißen Strandbatterien, die Kasernen, -Wasserleitungen, die Docks, die Gebäude -der Stadt und weißblaue Rauchwolken, die ununterbrochen -auf den gelben Höhen aufstiegen, die -die Stadt umgaben; der Himmel war blau, und -die Sonne, deren Glanz sich im Westen abspiegelte, -senkte sich mit rosafarbenen Strahlen zum Horizont -des dunklen Meeres nieder.</p> - -<p>Wolodja sah ohne das geringste Schaudern -diesen Ort der Schrecken, an den er so viel gedacht -hatte; er betrachtete vielmehr mit ästhetischem Genuß -und dem heroischen Gefühl des Selbstbewußtseins, -daß ja auch er in einer halben Stunde -dort sein würde, dieses wahrhaft reizvoll-originelle -Schauspiel, und betrachtete es mit gespannter Aufmerksamkeit -bis zu dem Augenblick, wo sie auf -die Nordseite zu dem Train des Regiment seines -Bruders gekommen waren; hier mußten sie genau -den Standort des Regiments und der Batterie -erfahren.</p> - -<p>Der Offizier, der den Train kommandierte, -wohnte in der Nähe des sogenannten neuen Städt<span class="pagenum"><a name="Page_133" id="Page_133">[Pg 133]</a></span>chens -– hölzerner, durch Matrosenfamilien errichteter -Baracken – in einem Zelt, das mit einer -ziemlich großen, aus grünen, noch nicht ganz vertrockneten -Eichenzweigen errichteten Hütte verbunden -war.</p> - -<p>Die Brüder trafen den Offizier vor einem -schmutzigen Tische, auf dem ein Glas kalten Thees, -ein Brett mit Schnaps, mit Kaviarkörnchen und -Brotkrümel stand, bloß mit einem gelblich-schmutzigen -Hemde bekleidet; er zählte an einem großen -Rechenbrett einen ungeheuren Haufen Banknoten. -Ehe wir aber von der Persönlichkeit des Offiziers -und seiner Unterhaltung etwas sagen, müssen wir -uns genauer das Innere seiner Hütte ansehen und -uns ein wenig mit seiner Lebensweise und seiner -Beschäftigung bekannt machen. Die neue Hütte war -so groß, so dicht geflochten und so gut gebaut, mit -Tischen und Bänken versehen, die mit Rasen bedeckt -waren, wie man sie nur für Generale und -Regimentskommandeure macht; die Seitenwände -und die Decke waren, damit die Blätter nicht herunterfallen, -mit drei Teppichen behängt, die zwar -sehr häßlich, aber neu und jedenfalls teuer waren. -Auf dem eisernen Bett, das unter dem Hauptteppich -stand, auf dem eine Reiterin abgebildet -war, lag eine hellrote Plüschdecke, ein schmutziges, -zerrissenes Kissen und ein Schuppenpelz. Auf dem -Tisch stand ein Spiegel in einem Silberrahmen; -eine silberne, schrecklich schmutzige Bürste, ein zer<span class="pagenum"><a name="Page_134" id="Page_134">[Pg 134]</a></span>brochener, -mit öligen Haaren besetzter Hornkamm, -ein silberner Leuchter, eine Likörflasche mit einer -riesigen goldenen roten Marke, eine goldene Uhr -mit dem Bilde Peters des Großen, zwei goldene -Federn, ein Körbchen mit Kapseln, eine Brotrinde, -ein auseinandergeworfenes altes Kartenspiel und -unter dem Bett allerlei leere und volle Flaschen. -Dieser Offizier hatte den Train des Regiment und -die Verpflegung der Pferde unter sich. Mit ihm -zusammen wohnte sein Busenfreund, der Kommissionär, -der sich mit den Geschäften befaßte. Er -schlief in dem Augenblick, wo die Brüder eintraten, -in der Hütte, der Train-Offizier aber zählte -Kronsgelder, da das Ende des Monats vor der -Thür stand. Die Erscheinung des Train-Offiziers -war sehr schön und kriegerisch: eine hohe Gestalt, -ein tüchtiger Schnauzbart, adelige Stattlichkeit. -Unangenehm war an ihm nur sein schweißiges, -aufgedunsenes Gesicht, das kaum die kleinen grauen -Augen sehen ließ (als ob es ganz mit Porter begossen -wäre), und die außerordentliche Unsauberkeit, -von dem dünnen, öligen Haar bis zu den -großen nackten Füßen, die er in Hermelinpantoffeln -trug.</p> - -<p>Ist das Geld! Ist das Geld! sagte Koselzow -I., als er in die Hütte trat und mit unwillkürlicher -Gier die Augen auf den Haufen Banknoten -richtete. Wenn Sie mir nur die Hälfte -borgen wollten, Wassilij Michajlytsch!</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_135" id="Page_135">[Pg 135]</a></span></p> - -<p>Der Train-Offizier machte beim Anblick der -Gäste einen krummen Rücken und grüßte sie, ohne -aufzustehen, indem er das Geld zusammenstrich.</p> - -<p>Ach, wenn das mein wäre! ... Es ist -Kronsgeld, mein Lieber! Wen bringen Sie mit? -fragte er, indem er das Geld in eine neben ihm -stehende Schatulle legte und Wolodja ansah.</p> - -<p>Das ist mein Bruder, er ist von der Kriegsschule -hierher gekommen. Wir wollten von Ihnen -erfahren, wo das Regiment steht.</p> - -<p>Setzen Sie sich, meine Herren, sagte er, erhob -sich und ging, ohne den Gästen Aufmerksamkeit -zu schenken, ins Zelt. Wollen Sie nicht etwas -trinken? vielleicht Porter? fragte er im Zelt.</p> - -<p>Kann nicht schaden, Wassilij Michajlytsch!</p> - -<p>Wolodja war überrascht von der Würde des -Train-Offiziers, seinem ungezwungenen Wesen und -von der Achtung, die sein Bruder ihm entgegenbrachte.</p> - -<p>»Das muß ein vortrefflicher Offizier sein, den -alle hochschätzen: gewiß einfach, aber gastfrei und -tapfer,« dachte er und setzte sich bescheiden und -schüchtern auf das Sofa.</p> - -<p>Wo steht denn unser Regiment? fragte von -neuem der ältere Bruder.</p> - -<p>Wie?</p> - -<p>Er wiederholte die Frage.</p> - -<p>Heut ist Seifer bei mir gewesen: er sagte, es -ist auf die fünfte Bastion gezogen.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_136" id="Page_136">[Pg 136]</a></span></p> - -<p>Bestimmt?</p> - -<p>Wenn ich es sage, ist es jedenfalls bestimmt; -übrigens, der Teufel weiß! es kommt ihm auf -eine Lüge nicht an. Wie ist's, werden Sie Porter -trinken? sagte der Train-Offizier, immer aus dem -Zelte heraus.</p> - -<p>Ich trinke, sagte Koselzow.</p> - -<p>Trinken Sie mit, Ossip Ignatjewitsch? fuhr -die Stimme im Zelt fort, jedenfalls zu dem -schlafenden Kommissionär gewandt. Sie haben -genug geschlafen, – es ist bald fünf Uhr.</p> - -<p>Was lassen Sie mich nicht in Ruh! ... Ich -schlafe nicht, antwortete eine faule, dünne Stimme.</p> - -<p>Nun, so stehen Sie auf! Ich langweile mich -ohne Sie.</p> - -<p>Und der Train-Offizier ging zu den Gästen.</p> - -<p>Gieb von dem Porter von Ssimferopol! -schrie er.</p> - -<p>Der Bursche kam, wie es Wolodja schien, mit -Stolz in die Hütte, holte den Porter unter der -Bank hervor, und stieß dabei Wolodja.</p> - -<p>Die Flasche Porter war bereits ausgetrunken, -und das Gespräch dauerte noch in der früheren -Weise fort, als die Vorhänge des Zeltes auseinandergeschlagen -wurden, und ein kleiner, frischer -Mann in einem blauen Schlafrock mit Quasten -und in einer Dienstmütze mit rotem Rand und -Kokarde aus ihm hervortrat. Er drehte sich beim -Eintreten seinen kleinen schwarzen Schnurrbart und<span class="pagenum"><a name="Page_137" id="Page_137">[Pg 137]</a></span> -beantwortete, indem er immer nach einem Punkt -des Teppichs starrte, mit einer kaum bemerklichen -Bewegung der Schulter den Gruß der Offiziere.</p> - -<p>Laßt mich auch ein Gläschen trinken! sagte -er, indem er sich an den Tisch setzte. Sie kommen -wohl aus Petersburg, junger Mann? sagte er, -sich freundlich zu Wolodja wendend.</p> - -<p>Ja, ich gehe nach Sewastopol.</p> - -<p>Haben Sie selber darum gebeten?</p> - -<p>Ja.</p> - -<p>Ich begreife nicht, was Sie davon haben, meine -Herren! fuhr der Kommissionär fort. Ich würde -jetzt, glaube ich, gern zu Fuß nach Petersburg -gehen, wenn man mich fortließe. Ich habe, bei -Gott, dies verfluchte Leben satt!</p> - -<p>Was fehlt Ihnen hier? fragte der ältere Koselzow, -sich zu ihm wendend: wenn <em>Sie</em> hier kein -gutes Leben führen!</p> - -<p>Der Kommissionär sah ihn an und wandte -sich ab.</p> - -<p>Diese Gefahren, Entbehrungen, man kann nichts -bekommen ... fuhr er fort, zu Wolodja gewandt. -Und was Sie davon haben, begreife ich entschieden -nicht, meine Herren! Wenn Sie noch irgend welche -Vorteile davon hätten, aber so! Ist es etwa gut, -in Ihren Jahren, plötzlich fürs ganze Leben zum -Krüppel zu werden?</p> - -<p>Der eine macht Geschäfte, der andere dient der<span class="pagenum"><a name="Page_138" id="Page_138">[Pg 138]</a></span> -Ehre halber ... mischte sich im Tone des Unwillens -der ältere Koselzow wieder ein.</p> - -<p>Schöne Ehre, wenn man nichts zu essen hat, -sagte der Kommissionär mit verächtlichem Lachen, -zu dem Train-Offizier gewandt, der auch darüber -lachte.</p> - -<p>Stell' sie auf »Lucia«, wir hören zu, sagte -er und zeigte auf eine Spieldose. Ich höre sie -gern.</p> - -<p>Ist er ein guter Mensch, dieser Wassilij Michajlytsch? -fragte Wolodja seinen Bruder, als sie, -bereits in der Dämmerung, die Hütte verließen -und nach Sewastopol weiter fuhren.</p> - -<p>Es geht an, aber er ist ein schrecklicher Geizhals! -Und diesen Kommissionär kann ich nicht -ausstehen ... Den prügele ich noch einmal durch.</p> - - -<h4> -<img src="images/illu-142.jpg" width="300" height="52" alt="IX" /> -<span class="hidden">IX</span> -</h4> - -<p>Wolodja war zwar nicht in schlechter Stimmung, -als er, bereits bei Anbruch der Nacht, zu -der großen, über die Bucht führenden Brücke kam, -fühlte aber eine gewisse Beklommenheit im Herzen. -Alles, was er sah und hörte, wich sehr ab von -den früheren, eben erst verlassenen Eindrücken: dem -hellen, getäfelten Prüfungssaal, dem lustigen, -harmlosen Lachen der Kameraden, der neuen Uniform, -dem geliebten Zaren, den er sieben Jahre -hindurch gesehen und der sie Kinder genannt, als<span class="pagenum"><a name="Page_139" id="Page_139">[Pg 139]</a></span> -er mit Thränen in den Augen von ihnen Abschied -nahm – so wenig glich alles seinen schönen, buntschillernden, -hochherzigen Träumen.</p> - -<p>Nun, sieh, wir sind an Ort und Stelle! sagte -der ältere Bruder, als sie zur Michajlow-Batterie -kamen und aus dem Fuhrwerk stiegen. Wenn -man uns über die Brücke läßt, gehen wir sogleich -in die Nikolajew-Kaserne. Dort bleibst du bis -morgen früh; und ich werde zum Regiment gehen, -um zu erfahren, wo deine Batterie steht; morgen -werde ich dich abholen.</p> - -<p>Warum denn? gehen wir lieber zusammen, -meinte Wolodja. Ich werde mit dir auf die -Bastion gehen. Es ist ja jetzt ganz gleich: ich -muß mich daran gewöhnen. Wenn <em>du</em> gehst, kann -ich es auch.</p> - -<p>Besser ist es, du gehst nicht.</p> - -<p>Aber ich bitte dich! So werde ich wenigstens -kennen lernen, wie ...</p> - -<p>Ich rate dir, geh nicht; aber willst du ...</p> - -<p>Der Himmel war wolkenfrei und dunkel; die -Sterne und die unaufhörlich leuchtenden Feuer -der Bomben und Schüsse glänzten hell in der -Finsternis. Das große, weiße Gebäude der Batterie -und der Anfang der Brücke traten aus der -Dunkelheit hervor. Buchstäblich jede Sekunde erschütterten -einige Gewehrschüsse und Explosionen, -entweder schnell aufeinander folgend oder zusammen, -lauter und deutlicher die Luft. Diesem<span class="pagenum"><a name="Page_140" id="Page_140">[Pg 140]</a></span> -Getöse folgte, wie eine Begleitung, das dumpfe -Brausen der Bucht. Vom Meere her wehte ein -schwacher Wind und trug Feuchtigkeit daher. Die -Brüder gingen an die Brücke. Ein Landwehrmann -schlug schwerfällig mit dem Gewehr auf und rief:</p> - -<p>Wer da?</p> - -<p>Soldat.</p> - -<p>Ist verboten, durchzulassen.</p> - -<p>Was? wir müssen ...</p> - -<p>Fragen Sie den Offizier.</p> - -<p>Der Offizier, der auf einem Ackerfeld sitzend geschlummert -hatte, erhob sich und befahl, sie durchzulassen.</p> - -<p>Dorthin ist es erlaubt, aber nicht von dorther. -Wo wollt ihr hin? Alle auf einmal! schrie er -den mit Schanzkörben beladenen Regimentsfuhrwerken -zu, die sich vor der Brücke zusammengedrängt -hatten.</p> - -<p>Die Brüder stiegen zum ersten Ponton nieder -und stießen auf Soldaten, die in lauter Unterhaltung -von der anderen Seite her kamen.</p> - -<p>Wenn er das Geld zur Ausrüstung bekommen -hat, dann hat er nichts mehr zu fordern.</p> - -<p>Ach Brüderchen! sagte eine andere Stimme, -wenn man auf die Nordseite hinübergeht, da sieht -man die Welt, bei Gott! Eine ganz andere Luft!</p> - -<p>Schwatz' nur immer zu! ... sagte der erste, -vor kurzem kam so eine Verfluchte herübergeflogen; -zwei Matrosen hat sie die Beine weggerissen ...</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_141" id="Page_141">[Pg 141]</a></span></p> - -<p>Die Brüder gingen über das erste Ponton -und blieben, ihr Fuhrwerk erwartend, auf dem -zweiten stehen, das stellenweise bereits überschwemmt -war. Der Wind, der landeinwärts -schwach erschien, war hier sehr stark und reißend; -die Brücke schaukelte, und die Wellen, die mit -Geräusch an die Balken schlugen und an den -Ankern und Tauen sich brachen, überschwemmten -die Bretter des Pontons. Rechts rauschte und -dunkelte in verräterischen Nebel gehüllt die See -und hob sich durch einen schweren Streif von dem -gestirnten lichtgrau strahlenden Horizont ab; in -der Ferne glänzten Lichter auf der feindlichen -Flotte. Links zeigten sich die schwarzen Maste -eines unserer Schiffe, und man hörte die Wellen -an seinen Bord anschlagen. Ein Dampfer ward -sichtbar, der geräuschvoll und schnell von der Nordseite -herankam. Das Feuer einer in seiner Nähe -platzenden Bombe erhellte auf einen Augenblick -die auf dem Verdeck hoch aufgeschichteten Schanzkörbe, -die beiden Leute, die oben standen, und -den weißen Schaum und den Sprühregen der von -dem Dampfer durchschnittenen grünlichen Wellen. -Am Rande der Brücke saß, mit den Füßen im -Wasser, ein Mann im bloßen Hemd und machte -etwas auf dem Ponton. Vor ihnen, über Sewastopol, -ließ sich das frühere Feuer hören, und -immer lauter drangen von da schreckliche Töne -herüber. Eine hoch aufspritzende Welle ergoß sich<span class="pagenum"><a name="Page_142" id="Page_142">[Pg 142]</a></span> -über die rechte Brückenseite und machte Wolodjas -Füße naß; zwei Soldaten gingen, im Wasser -watend, an ihm vorbei. Plötzlich beleuchtete etwas -unter Krachen die Brücke, das vorn auf ihr -fahrende Fuhrwerk und einen Reiter, und die -Bombensplitter fielen, mit Pfeifen Schaum aufwerfend, -ins Wasser.</p> - -<p>Ah, Michajlo Ssemjonytsch! sagte der Reiter, -indem er sein Pferd vor dem älteren Koselzow -hielt: sind Sie schon vollständig wieder hergestellt?</p> - -<p>Wie Sie sehen. Wohin führt Sie Gott?</p> - -<p>Auf die Nordseite, nach Patronen: ich vertrete -ja jetzt den Regimentsadjutanten ... Sturm -erwarten wir von Stunde zu Stunde.</p> - -<p>Und wo ist Marzow?</p> - -<p>Gestern ist ihm ein Fuß fortgerissen worden -... Er schlief in der Stadt im Zimmer ... Sie -kennen ihn wohl?</p> - -<p>Das Regiment steht auf der Fünften, nicht -wahr?</p> - -<p>Ja, es ist an Stelle des M.-Regimentes dorthin -gekommen. Gehen Sie nach dem Verbandort: -dort finden Sie welche von uns, die werden Sie -führen.</p> - -<p>Nun, und mein Quartier auf der Seestraße, -ist das unbeschädigt?</p> - -<p>I, mein Lieber! Schon längst ganz von Bomben -zertrümmert ... Sie erkennen jetzt Sewastopol<span class="pagenum"><a name="Page_143" id="Page_143">[Pg 143]</a></span> -nicht mehr wieder: keine Seele von einem Frauenzimmer, -keinen Gastwirt, keine Musik giebt es mehr. -Gestern ist der letzte Ausschank fortgezogen. Jetzt -ist es schrecklich öde ... Leben Sie wohl!</p> - -<p>Und der Offizier ritt im Trabe weiter.</p> - -<p>Wolodja wurde plötzlich ganz trübselig zu Mut: -es schien ihm immer, als ob augenblicklich eine -Kanonenkugel oder ein Bombensplitter geflogen -kommen und ihn gerade an den Kopf treffen -müßte.</p> - -<p>Dieser feuchte Nebel, alle diese Stimmen, besonders -das grollende Plätschern der Wellen, -schienen ihm zu sagen, er solle nicht weiter gehen, -es harre seiner hier nichts Gutes, sein Fuß würde -nie wieder den Boden jenseits der Bucht betreten, -er möchte auf der Stelle umkehren und fliehen -– weit, weit von diesem furchtbaren Orte des -Todes. »Aber vielleicht ist es schon zu spät, vielleicht -ist es schon so beschlossen,« dachte er und -erbebte, teils über diesen Gedanken, teils, weil -ihm das Wasser durch die Stiefel drang und seine -Füße feucht machte.</p> - -<p>»Herr! werde ich wirklich fallen, – gerade -ich? Herr, erbarme dich meiner!« murmelte er -flüsternd und bekreuzte sich.</p> - -<p>Nun, gehen wir, Wolodja! sagte der ältere -Bruder, als ihr Fuhrwerk auf die Brücke gekommen -war. Hast du die Bombe gesehen?</p> - -<p>Auf der Brücke begegneten den Brüdern Wagen<span class="pagenum"><a name="Page_144" id="Page_144">[Pg 144]</a></span> -mit Verwundeten, mit Schanzkörben, und einer -mit Möbeln, den eine Frau führte. Auf der -andern Seite der Bucht wurden sie von niemand -zurückgehalten.</p> - -<p>Die Brüder hielten sich instinktiv dicht an die -Wand der Nikolajew-Batterie und kamen, indem -sie schweigend auf die Töne der hier über ihren -Köpfen platzenden Bomben und das Brausen der -niederfallenden Sprengstücke hörten, zu dem Platz -der Batterie, wo das Heiligenbild stand. Hier -erfuhren sie, daß die fünfte leichte, der Wolodja -zugeteilt war, in der Korabelnaja stand, und beschlossen, -trotz der Gefahr, zum ältern Bruder auf -die fünfte Bastion übernachten zu gehen und von -dort, am folgenden Tage, nach der Batterie. Sie -bogen in den Flur ein, schritten über die Beine -schlafender Soldaten, die längs der ganzen Batteriewand -lagen, hinweg und kamen endlich zum -Verbandplatz.</p> - - -<h4> -<img src="images/illu-148.jpg" width="300" height="54" alt="X" /> -<span class="hidden">X</span> -</h4> - -<p>Sie traten in das erste Zimmer, das voll von -Pritschen war, auf denen Verwundete lagen, und -das von einem beklemmenden, widerwärtigen Lazarettgeruch -erfüllt war, und trafen zwei barmherzige -Schwestern, die ihnen entgegenkamen.</p> - -<p>Die eine, eine Frau von ungefähr fünfzig Jahren, -mit dunklen Augen und strengen Gesichts<span class="pagenum"><a name="Page_145" id="Page_145">[Pg 145]</a></span>zügen, -trug Binden und Charpie, und erteilte einem -jungen Burschen, einem Feldscher, der hinter ihr -ging, ihre Befehle; die andere, ein sehr hübsches -Mädchen von ungefähr zwanzig Jahren, mit einem -zarten, blonden Gesichtchen, das außerordentlich -reizvoll in seiner Hilflosigkeit unter dem weißen -Häubchen hervorsah, ging, die Hände in den -Schürzentaschen, neben der Alten und schien zu -fürchten, sie könnte hinter ihr zurückbleiben.</p> - -<p>Koselzow wandte sich an sie mit der Frage, -ob sie nicht wüßten, wo Marzow liege, der gestern -ein Bein verloren habe.</p> - -<p>Er ist wohl vom P.-Regiment? fragte die Alte, -ist er ein Verwandter von Ihnen?</p> - -<p>Nein, ein Kamerad.</p> - -<p>Führen Sie die Herren, sagte sie zu der -jungen Schwester französisch, ... hierherum, und -sie ging selbst mit dem Feldscher auf den Verwundeten -zu.</p> - -<p>Gehen wir nur ... was zauderst du? rief -Koselzow zu Wolodja, der die Augenbrauen mit -einem Ausdruck des Schmerzes in die Höhe zog -und nicht die Kraft hatte, seinen Blick von den -Verwundeten abzuwenden. Gehen wir nur!</p> - -<p>Wolodja ging mit dem Bruder, sah sich aber -immer um und wiederholte unbewußt:</p> - -<p>Ach, mein Gott! Ach, mein Gott!</p> - -<p>Sie sind gewiß noch nicht lange hier? fragte -die Schwester Koselzow, indem sie auf Wolodja<span class="pagenum"><a name="Page_146" id="Page_146">[Pg 146]</a></span> -wies, der Ach! rufend und seufzend im Zwischengange -hinter ihnen schritt.</p> - -<p>Er ist soeben erst angekommen.</p> - -<p>Die hübsche Schwester sah Wolodja an und -brach plötzlich in Thränen aus. »Mein Gott, -mein Gott! wann wird das alles ein Ende haben,« -sagte sie in verzweifelndem Tone. Sie kamen in -den Krankensaal der Offiziere. Marzow lag auf -dem Rücken, die sehnigen, bis zu den Ellbogen entblößten -Arme über den Kopf lang ausgestreckt, -in seinem gelben Gesicht malte sich der Ausdruck -eines Menschen, der die Zähne zusammenpreßt, -um vor Schmerz nicht zu schreien. Das gesunde -Bein, mit einem Strumpfe bekleidet, war unter -der Decke hervorgestreckt, und man sah, wie er -krampfhaft die Zehen hin- und herbewegte.</p> - -<p>Nun, wie geht es Ihnen? fragte die Schwester, -indem sie mit ihren dünnen zarten Fingern – -an dem einen bemerkte Wolodja einen Ring – -seinen etwas kahlen Kopf in die Höhe hob und -das Kissen zurechtrückte. Kameraden von Ihnen -sind gekommen, Sie zu besuchen.</p> - -<p>Natürlich habe ich Schmerzen! sagte er ärgerlich. -Lassen Sie's nur, so ist's gut! ... Die -Zehen im Strumpfe bewegten sich noch schneller. -Guten Tag! Wie heißen Sie? Entschuldigen Sie, -sprach er zu Koselzow gewandt ... Ach, ja, Sie -müssen verzeihen, – hier vergißt man alles, fuhr -er fort, als dieser ihm seinen Namen gesagt hatte.<span class="pagenum"><a name="Page_147" id="Page_147">[Pg 147]</a></span> -Habe ich nicht mit dir zusammen gewohnt? fügte -er hinzu, indem er, ohne jeglichen Ausdruck der -Freude, Wolodja fragend ansah.</p> - -<p>Das ist mein Bruder, er ist heute von Petersburg -gekommen.</p> - -<p>Hm! ... Ich habe mir die volle Pension verdient -... sagte er mit gerunzelter Stirn. Ach, -was für Schmerzen! ... Ja, es wäre am besten, -wenn's bald zu Ende wäre ...</p> - -<p>Er zog die Beine in die Höhe, bewegte die -Zehen mit vermehrter Schnelligkeit hin und her -und bedeckte das Gesicht mit beiden Händen.</p> - -<p>Wir müssen ihn verlassen, sagte flüsternd die -Schwester, mit Thränen in den Augen, er befindet -sich schon sehr schlecht.</p> - -<p>Noch auf der Nordseite hatten die Brüder beschlossen, -auf die fünfte Bastion zu gehen; als sie -aber die Nikolajew-Batterie verließen, beschlossen -sie, – als ob sie sich verabredet hätten, sich keiner -unnützen Gefahr anzusetzen, ohne daß sie nur ein -Wort miteinander darüber gesprochen hatten, – -jeder einzeln zu gehen.</p> - -<p>Aber ... wie wirst du dich zurechtfinden, Wolodja? -sagte der Ältere. Übrigens kann dich Nikolajew -nach der Korabelnaja begleiten, ich werde -allein gehen und morgen bei dir sein.</p> - -<p>Weiter wurde kein Wort gesprochen bei diesem -letzten Abschied der beiden Brüder.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_148" id="Page_148">[Pg 148]</a></span></p> - - -<h4> -<img src="images/illu-152.jpg" width="300" height="52" alt="XI" /> -<span class="hidden">XI</span> -</h4> - -<p>Der Kanonendonner dauerte mit der früheren -Stärke fort, aber die Katharinenstraße, durch die -Wolodja mit dem ihm schweigend folgenden Nikolajew -ging, war still und öde. In der Dunkelheit -sah er nur die breite Straße, mit den weißen, -an vielen Stellen zertrümmerten Mauern großer -Häuser, und das Steintrottoir, auf dem er ging; -bisweilen trafen sie Soldaten und Offiziere. Er -ging auf der linken Seite der Straße und sah -bei dem Schein eines hellen Feuers, das hinter -einer Mauer brannte, die längs des Trottoirs -gepflanzten Akazien mit ihren grünen Pfählen und -ihren verkümmerten, bestaubten Blättern. Deutlich -hörte er seine Schritte und die Nikolajews, -der hinter ihm ging und schwer atmete. Er dachte -an nichts. Die hübsche Schwester, Marzows Bein -mit den beweglichen Zehen unter dem Strumpf, -die Dunkelheit und die mannigfachen Formen des -Todes zogen traurig an seinem Geiste vorüber. -Seine ganze junge, eindrucksfähige Seele krampfte -und preßte sich zusammen unter dem Einflusse des -Gefühls der Verlassenheit und der allgemeinen -Gleichgültigkeit gegen sein Schicksal in der Gefahr! -»Ich kann getötet werden, Qualen erdulden, leiden, -und niemand weint um mich.« Und all das statt -des thatenreichen und bewunderten Lebens eines<span class="pagenum"><a name="Page_149" id="Page_149">[Pg 149]</a></span> -Helden, das er sich so herrlich ausgemalt hatte. -Näher und näher platzten und pfiffen die Bomben. -Nikolajew seufzte noch häufiger, ohne jedoch das -Schweigen zu unterbrechen. Als er über die Brücke -ging, die nach der Korabelnaja führte, sah Wolodja, -wie unweit von ihm etwas pfeifend in die -Bucht flog, auf eine Sekunde die blauen Wellen -purpurrot beleuchtete und dann mit Schaum wieder -in die Höhe flog.</p> - -<p>Sieh, sie ist nicht erstickt! ... rief heiser Nikolajew.</p> - -<p>Ja, antwortete er ganz unwillkürlich und -sich selbst unerwartet mit dünner, piepsender -Stimme.</p> - -<p>Sie begegneten Tragbahren mit Verwundeten -und wiederum Regimentswagen mit Schanzkörben. -Auf der Korabelnaja trafen sie ein Regiment, und -Reiter ritten vorüber. Einer von ihnen war ein -Offizier in Begleitung eines Kosaken. Er ritt -im Trab, als er aber Wolodja bemerkte, hielt -er neben ihm, sah ihm ins Gesicht, wandte um, -gab dem Pferde einen Schlag und ritt davon. -»Allein, allein; es ist allen ganz gleichgültig, ob -ich da bin oder nicht,« dachte der Jüngling und -hatte ernstlich Lust zu weinen.</p> - -<p>Er schritt bergauf, an einer weißen Mauer -vorüber, und kam in eine Straße zerstörter, unaufhörlich -von Bomben beleuchteter Häuschen. Da -stieß er auf ein betrunkenes, zerlumptes Weib,<span class="pagenum"><a name="Page_150" id="Page_150">[Pg 150]</a></span> -das mit einem Matrosen aus einem Pförtchen -herauskam.</p> - -<p>Denn, w–w–wenn er ein Ehrenm–m–mann -w–wäre, – lallte sie – <span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">pardon</span>, Ew. Wohlgeboren, -Herr Offizier!</p> - -<p>Dem armen Jüngling ward das Herz immer -mehr und mehr bedrückt; und am schwarzen Horizont -flammten immer häufiger Blitze auf, und -immer häufiger pfiffen und krachten Bomben in -seiner Nähe. Nikolajew seufzte auf und begann -plötzlich, wie es Wolodja schien, mit bestürzter, -gepreßter Stimme:</p> - -<p>Und da haben sie sich beeilt, das Gouvernement -zu verlassen! Hierher, nur hierher! ... -Das verlohnt sich gerade!</p> - -<p>Warum nicht, der Bruder ist ja jetzt wieder -gesund, antwortete Wolodja, in der Hoffnung, -wenigstens durch ein Gespräch das schreckliche Gefühl, -das ihn beherrschte, zu verscheuchen.</p> - -<p>Gesund ... Schöne Gesundheit, wenn er ganz -und gar krank ist!? Auch wer wirklich gesund ist, -thäte am besten, in solcher Zeit im Lazarett zu -leben. Giebt's hier etwa viel Freude? Entweder -wird einem das Bein oder der Arm abgerissen – -das ist alles! Ein Unglück ist schnell geschehen! -Hier, in der Stadt, ist es noch nicht so wie auf -der Bastion, dort geht es wahrhaft schrecklich zu. -Wenn man geht, thut man weiter nichts, als beten. -Sieh, die Bestie, wie sie an einem vorbeihuscht!<span class="pagenum"><a name="Page_151" id="Page_151">[Pg 151]</a></span> -fügte er hinzu, und richtete seine Aufmerksamkeit -auf einen nahe vorbeisausenden Bombensplitter. -Jetzt hat man mir befohlen, fuhr Nikolajew fort, -Ew. Wohlgeboren zu führen. Wie's unsereinem -geht, das weiß man ja: was befohlen wird, muß -man ausführen; da überläßt man dem ersten besten -Soldaten den Wagen, und das Bündel ist offen. -Aber du geh, geh mit; und was an Sachen verloren -geht – Nikolajew, steh dafür ein!</p> - -<p>Noch einige Schritte weiter, und sie kamen auf -einen Platz. Nikolajew schwieg und seufzte.</p> - -<p>Da steht Ihre Artillerie, Ew. Wohlgeboren! -sagte er plötzlich, fragen Sie den Posten, er wird -Ihnen den Weg zeigen.</p> - -<p>Als Wolodja einige Schritte weiter gegangen -war, hörte er die Seufzertöne Nikolajews nicht -mehr hinter sich.</p> - -<p>Er fühlte sich plötzlich vollständig, ganz und gar -allein. Dieses Bewußtsein der Vereinsamung in -der Gefahr vor dem Tode, wie er glaubte, lag -ihm wie ein entsetzlich schwerer, kalter Stein auf -der Brust. Er blieb mitten auf dem Platze stehen -und schaute sich um, ob ihn nicht jemand sehe, griff -sich an den Kopf, sprach vor sich hin und dachte -mit Entsetzen: »Herr Gott! Bin ich denn ein -Feigling, ein elender, abscheulicher, niedriger Feigling -– gilt es nicht das Vaterland, den Zaren, -für den ich gestern noch mit Wonne zu sterben -wähnte? Nein, ich bin ein unglückliches, bejam<span class="pagenum"><a name="Page_152" id="Page_152">[Pg 152]</a></span>mernswertes -Geschöpf!« Und mit einem wahren Gefühl -der Verzweiflung und der Enttäuschung über -sich selbst, fragte Wolodja den Posten nach dem -Hause des Batteriekommandeurs und ging in der -Richtung, die er ihm wies.</p> - - -<h4> -<img src="images/illu-156.jpg" width="300" height="51" alt="XII" /> -<span class="hidden">XII</span> -</h4> - -<p>Die Wohnung des Batteriekommandeurs, die -ihm der Posten gezeigt hatte, war ein kleines, -zweistöckige Haus, mit dem Eingange vom Hofe -her. Durch das mit Papier verklebte Fenster schimmerte -das schwache Licht einer Kerze. Der Bursche -saß auf der Außentreppe und rauchte seine Pfeife. -Er ging dem Batteriekommandeur Meldung zu -machen und führte Wolodja ins Zimmer. Im -Zimmer standen, zwischen zwei Fenstern, unter -einem zerbrochenen Spiegel, ein mit amtlichen Papieren -über und über bedeckter Tisch, einige Stühle -und eine eiserne Bettstelle mit reiner Bettwäsche -und einem kleinen Teppich davor.</p> - -<p>Dicht an der Thür stand ein hübscher Mann -mit starkem Schnurrbart – der Feldwebel, mit -dem Seitengewehr und einem Mantel, auf dem -ein Kreuz und die Medaille für den ungarischen -Feldzug hingen. In der Mitte des Zimmers -ging ein kleiner, etwa vierzigjähriger Stabsoffizier, -mit einer verbundenen, geschwollenen Backe, in -einem dünnen, alten Mantel hin und her.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_153" id="Page_153">[Pg 153]</a></span></p> - -<p>Ich habe die Ehre, mich zu melden, zur fünften -Leichten kommandiert, Fähnrich Koselzow II! sagte -Wolodja seine eingelernte Phrase her, als er ins -Zimmer trat.</p> - -<p>Der Batteriekommandeur beantwortete kühl seinen -Gruß und forderte Wolodja, ohne ihm die -Hand zu geben, auf, sich zu setzen.</p> - -<p>Wolodja ließ sich schüchtern auf einen Stuhl -neben dem Schreibtisch nieder und spielte mit einer -Schere, die ihm in die Hand fiel. Der Batteriekommandeur -ging, mit gesenktem Kopf, die Hände -auf dem Rücken, unaufhörlich, ohne ein Wort zu -sprechen, im Zimmer auf und nieder, mit dem -Aussehen eines Menschen, der sich etwas in Erinnerung -rufen will, und warf nur von Zeit zu -Zeit einen Blick auf die Hände, die mit der Schere -spielten.</p> - -<p>Der Batteriekommandeur war ein ziemlich beleibter -Mann mit einer großen Glatze auf dem -Wirbel, einem dichten Schnauzer, der gerade heruntergekämmt -war und den Mund bedeckte, und -mit freundlichen grauen Augen; er hatte schöne, -reine, rundliche Hände, seine Beine waren stark -nach außen gekehrt, er trat mit Zuversicht und -einer gewissen Stutzerhaftigkeit auf, die andeutete, -daß der Batteriekommandeur nicht gerade schüchtern -war.</p> - -<p>Ja, sagte er und blieb vor dem Feldwebel -stehen, der Geschützmannschaft wird man von mor<span class="pagenum"><a name="Page_154" id="Page_154">[Pg 154]</a></span>gen -ab noch einen Topf zugeben müssen, sie werden -zu schlecht behandelt. Was meinst du?</p> - -<p>Gewiß, man kann ihnen noch was geben, Euer -Hochwohlgeboren! Jetzt ist der Hafer billiger geworden, -antwortete der Feldwebel und bewegte -dabei die Finger an den Händen, die er an den -Nähten hielt, die aber offenbar gern seine Rede -mit ihrer Gebärde unterstützten. Gestern hat mir -auch unser Fourageur Frantschuk vom Train ein -Schreiben geschickt, Euer Hochwohlgeboren, wir -müßten unbedingt dort Ochsen kaufen, meint er. -Es heißt, sie sollen billig sein. Wenn Sie befehlen?</p> - -<p>Nun ja, kaufen wir: er hat das Geld. Und -der Batteriekommandeur begann wieder im Zimmer -auf und nieder zu gehen. – Und wo sind -Ihre Sachen? fragte er plötzlich Wolodja und -blieb vor ihm stehen.</p> - -<p>Den armen Wolodja hatte der Gedanke, daß -er ein Feigling sei, so niedergedrückt, daß er in -jedem Augenblick, in jedem Wort Verachtung gegen -sich, als einen kläglichen Feigling, sah. Es war -ihm, als hätte der Batteriekommandeur schon sein -Geheimnis durchschaut und spotte seiner. Er antwortete -verlegen, die Sachen seien auf der Grafßkaja -und der Bruder hätte versprochen, sie ihm -morgen zu schicken.</p> - -<p>Der Oberst aber hörte kaum auf ihn und fragte, -zu dem Feldwebel gewandt:</p> - -<p>Wo werden wir den Fähnrich unterbringen?</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_155" id="Page_155">[Pg 155]</a></span></p> - -<p>Den Fähnrich? sagte der Feldwebel, und machte -Wolodja noch mehr verlegen durch den flüchtigen -Blick, den er ihm zuwarf und der gewissermaßen -die Frage ausdrückte: »Was ist das für ein Fähnrich?« -– Ja, unten, Euer Hochwohlgeboren, beim -Stabskapitän können Seine Wohlgeboren sich einquartieren, -fuhr er fort, nachdem er ein wenig -nachgedacht hatte; der Stabskapitän sind jetzt auf -der Bastion, so daß seine Pritsche leer steht.</p> - -<p>Beliebt es Ihnen einstweilen so? fragte der -Batteriekommandeur. Sie müssen, denk' ich, müde -sein; morgen werden wir es besser einrichten.</p> - -<p>Wolodja stand auf und verbeugte sich.</p> - -<p>Ist Ihnen nicht Thee gefällig? fragte der -Batteriekommandeur, als er bereits bis zur Thür -gegangen war. Man kann eine Theemaschine -aufstellen.</p> - -<p>Wolodja verbeugte sich und ging hinaus. Der -Bursche des Obersten begleitete ihn nach unten -und führte ihn in ein kahles, schmutziges Zimmer, -in dem allerlei Gerümpel umherlag und ein eisernes -Bett ohne Wäsche und Decke stand. Auf dem -Bett, mit einem dicken Mantel zugedeckt, schlief -jemand in einem rosa Hemd.</p> - -<p>Wolodja hielt ihn für einen gemeinen Soldaten.</p> - -<p>Peter Nikolajewitsch! rief der Offiziersbursche, -indem er den Schläfer an der Schulter rüttelte. -Hier werden sich der Fähnrich hinlegen ... Das<span class="pagenum"><a name="Page_156" id="Page_156">[Pg 156]</a></span> -ist unser Junker, fügte er, zum Fähnrich gewandt, -hinzu.</p> - -<p>Ach, lassen Sie sich nicht stören, bitte! sagte -Wolodja; aber der Junker, ein hochgewachsener, -stattlicher junger Mann mit hübschen, aber sehr -dummen Zügen, stand vom Bett auf, warf sich -den Mantel um und ging, augenscheinlich noch -halb im Schlafe, aus dem Zimmer.</p> - -<p>Schadet nichts, ich werde mich draußen hinlegen, -brummte er.</p> - - -<h4> -<img src="images/illu-160.jpg" width="300" height="52" alt="XIII" /> -<span class="hidden">XIII</span> -</h4> - -<p>Als Wolodja mit seinen Gedanken allein geblieben -war, war sein erstes Gefühl die Angst -vor dem wirren, trostlosen Zustand, in dem sich -sein Gemüt befand. Er hatte den Wunsch, einzuschlafen -und alles ringsumher, vor allem aber sich -selbst, zu vergessen. Er löschte das Licht, legte -sich auf das Bett und zog seinen Mantel über -den Kopf, um sich zu schützen gegen die Angst vor -der Dunkelheit, die ihm seit frühester Jugend anhaftete. -Plötzlich aber fiel ihm ein, es könnte -eine Bombe geflogen kommen, das Dach durchschlagen -und ihn töten ... Er horchte auf; gerade -über ihm erklangen die Schritte des Batteriekommandeurs.</p> - -<p>»Übrigens, wenn eine geflogen kommt – dachte -er – trifft sie erst oben und dann mich – also<span class="pagenum"><a name="Page_157" id="Page_157">[Pg 157]</a></span> -wenigstens nicht mich allein.« Dieser Gedanke beruhigte -ihn ein wenig, er war im Begriff, einzuschlummern. -»Wie aber, wenn plötzlich in der -Nacht Sewastopol genommen wird, und die Franzosen -hier eindringen? Womit werde ich mich verteidigen?« -Er stand wieder auf und ging im -Zimmer auf und nieder. Die Angst vor der wirklichen -Gefahr hatte die geheimnisvolle Angst vor -der Finsternis verschlungen. Außer einem Sattel -und einem Ssamowar war im Zimmer nichts -Festes. »Ich bin ein Elender, ein Feigling, ein -abscheulicher Feigling,« dachte er plötzlich, und -wieder überkam ihn das drückende Gefühl der Verachtung, -des Abscheus sogar vor sich selbst. Er -legte sich wieder hin und gab sich Mühe, nichts -zu denken. Da tauchten unwillkürlich die Eindrücke -des Tages in seiner Phantasie wieder auf, begleitet -von ununterbrochenen Tönen, die die Scheiben -in dem einzigen Fenster klirren machten, und -erinnerten ihn wieder an die Gefahr. Bald phantasierte -er von Verwundeten und von Blut, bald -von Bomben und Splittern, die ins Zimmer -fliegen, bald von der hübschen, barmherzigen -Schwester, die ihm, dem Sterbenden, einen Verband -anlegt und über ihn weint, bald von seiner -Mutter, die in der Kreisstadt an seiner Seite -geht und inbrünstig unter Thränen vor dem -wunderthätigen Bilde betet, und wieder scheint -ihm der Schlaf unmöglich. Plötzlich trat der Ge<span class="pagenum"><a name="Page_158" id="Page_158">[Pg 158]</a></span>danke -an Gott, den Allmächtigen, der alles wirken -und jedes Gebet erhören kann, klar vor seine -Seele. Er kniete nieder, bekreuzte sich und faltete -die Hände, ganz so, wie man ihn in der Kindheit -beten gelehrt hatte. Diese Gebärde versetzte ihn -mit einem Schlage in eine längst vergangene, tröstliche -Stimmung.</p> - -<p>»Wenn ich sterben muß, wenn es sein muß, -daß ich vergehe, laß es geschehen, Herr – dachte -er – laß es schnell geschehen! ... Bedarf es -aber der Tapferkeit, bedarf es der Standhaftigkeit, -die ich nicht habe, so gieb sie mir, schütze mich vor -Schmach und Schande, die ich nicht ertragen kann, -lehre mich, was ich zu thun habe, um Deinen -Willen zu erfüllen.«</p> - -<p>Seine kindliche, eingeschüchterte, geängstigte -Seele ward plötzlich von Mannesmut erfüllt. -Sie wurde heller und sah neue, weite, lichte Horizonte. -Noch vieles dachte und empfand er in -diesem kurzen Augenblick, den diese Stimmung -währte; er schlief bald ruhig und furchtlos ein, -mitten unter den Tönen des fortdauernden Getöses -des Bombardements und des Klirrens der -Scheiben.</p> - -<p>Großer Gott! Nur du allein hast gehört und -kennst die einfältigen, aber inbrünstigen und verzweifelten -Gebete der Unwissenheit und irrenden -Reue, die Bitten um Heilung des Körpers und -Erleuchtung der Seele, die zu dir von diesem schreck<span class="pagenum"><a name="Page_159" id="Page_159">[Pg 159]</a></span>lichen -Orte des Todes emporgestiegen sind, aus -dem Herzen des Generals, der eben an das Georgskreuz -gedacht hat und mit Bangen Deine Nähe -ahnt, wie des einfachen Soldaten, der sich auf dem -nackten Boden der Nikolajew-Batterie wälzt und -Dich bittet, ihm im Jenseits Belohnung zu gewähren -für alle Leiden! ...</p> - - -<h4> -<img src="images/illu-163.jpg" width="300" height="54" alt="XIV" /> -<span class="hidden">XIV</span> -</h4> - -<p>Der ältere Koselzow hatte auf der Straße -einen Soldaten seines Regiments getroffen und -ging zusammen mit ihm geradewegs nach der fünften -Bastion.</p> - -<p>Halten Sie sich an die Mauer, Euer Wohlgeboren! -sagte der Soldat.</p> - -<p>Weshalb?</p> - -<p>Es ist gefährlich, Euer Wohlgeboren: sehen -Sie, da fliegt sie schon hinüber! sagte der -Soldat, indem er auf den pfeifenden Ton einer -Kanonenkugel horchte, die auf dem trockenen -Weg auf der anderen Seite der Straße einschlug.</p> - -<p>Koselzow ging, ohne auf den Soldaten zu -hören, kühn in der Mitte der Straße.</p> - -<p>Es waren dieselben Straßen, dasselbe sogar -noch häufigere Feuern, dasselbe Stöhnen, Vorübertragen -von Verwundeten und dieselben Batterien, -Brustwehren und Laufgräben, wie im Früh<span class="pagenum"><a name="Page_160" id="Page_160">[Pg 160]</a></span>jahr, -da er in Sewastopol gewesen; aber das -alles war jetzt noch trauriger und zugleich energischer: -es gab noch mehr durchgeschlagene Dächer, -Licht in den Fenstern war gar nicht mehr sichtbar, -außer in Kuschtschins Hause (dem Lazarett), -Frauen sah man gar nicht mehr auf der Straße, -auf allem lag nicht mehr der frühere Charakter -des Alltäglichen und der Sorglosigkeit, sondern -der Stempel einer bangen Erwartung und -Müdigkeit.</p> - -<p>Aber da ist schon der letzte Laufgraben, da -tönt auch die Stimme eines Soldaten vom P.-Regiment, -der seinen früheren Hauptmann erkannt -hat; da steht auch das dritte Bataillon in der -Dunkelheit, an die Wand gelehnt, bisweilen auf -einen Augenblick durch Schüsse beleuchtet und seine -Gegenwart nur durch gedämpftes Murmeln und -das Klirren der Gewehre verratend.</p> - -<p>Wo ist der Regimentskommandeur? fragte -Koselzow.</p> - -<p>In der Blindage, Euer Wohlgeboren, bei den -Seeleuten, antwortete ein dienstfertiger Soldat. -Bitte, ich werde Sie führen.</p> - -<p>Von Laufgraben zu Laufgraben führte der -Soldat Koselzow zu einem kleinen Graben in einem -Laufgraben. Im Graben saß ein Matrose, der -seine Pfeife rauchte; hinter ihm war eine Thür -sichtbar, durch deren Spalt Licht schimmerte.</p> - -<p>Darf man eintreten?</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_161" id="Page_161">[Pg 161]</a></span></p> - -<p>Werde Sie sogleich melden! und der Soldat -trat zur Thür ein.</p> - -<p>Drinnen sprachen zwei Stimmen.</p> - -<p>Wenn Preußen die Neutralität bewahrt, sagte -die eine Stimme, so wird auch Österreich ...</p> - -<p>Ach was, Österreich, sagte die andere, wenn -die slavischen Völker ... Laß eintreten.</p> - -<p>Koselzow war nie in dieser Blindage gewesen. -Sie frappierte ihn durch ihren Luxus. Der Fußboden -war getäfelt, an der Thür hielt eine spanische -Wand den Wind ab. Zwei Betten waren an den -Wänden aufgestellt; in einer Ecke stand ein großes -Bild der Gottesmutter in goldenen Gewändern, -und vor ihm brannte eine rosa Lampe. Auf dem -einen Bett schlief ein Marineoffizier, vollständig -angekleidet; auf dem andern saßen vor einem -Tisch, auf dem zwei halbvolle Flaschen Wein standen, -der neue Regimentskommandeur im Gespräch -mit seinem Adjutanten. Obgleich Koselzow durchaus -kein Feigling war und sich weder der Behörde, -noch dem Regimentskommandeur gegenüber einer -Schuld bewußt war, wurde er doch zaghaft bei -dem Anblick des Hauptmanns, der vor kurzem -noch sein Kamerad gewesen war; so stolz erhob -sich dieser Hauptmann, um ihn auszufragen. »Sonderbar, -dachte Koselzow, während er seinen Kommandeur -ansah, sieben Wochen sind es erst, daß -er das Regiment bekommen hat, und wie deutlich -spricht schon aus allem, was ihn umgiebt, aus seiner<span class="pagenum"><a name="Page_162" id="Page_162">[Pg 162]</a></span> -Kleidung, aus seinem Gebahren, aus seinem Blick, die -Würde des Regimentskommandeurs. Vor kurzem – -dachte er – hat dieser Batteriechef noch mit uns gezecht, -an Wochentagen ein dunkles Zitzhemd getragen, -das länger rein hält, nie jemand zu sich eingeladen, -und immer und ewig Klops und Quarkpiroggen -gegessen, und jetzt? ... Und im Blick dieser Ausdruck -kalten Hochmuts, der zu sagen scheint: wenn -ich auch dein Kamerad bin, weil ich Regimentskommandeur -neuer Schule bin, glaube nur, ich -weiß, wie gern du dein halbes Leben hingäbest, -um an meiner Stelle zu sein!«</p> - -<p>Sie haben sich recht lange kurieren lassen, sagte -der Oberst zu Koselzow und sah ihn kühl an.</p> - -<p>Ich bin krank gewesen, Oberst! Die Wunde -ist jetzt noch nicht ganz geschlossen.</p> - -<p>So sind Sie unnütz gekommen, sagte der Oberst -und betrachtete mißtrauisch die volle Gestalt des -Offiziers. Sie können aber doch den Dienst versehen?</p> - -<p>Gewiß kann ich das!</p> - -<p>Nun, ich freue mich sehr. So übernehmen Sie -vom Fähnrich Sajzow die neunte Kompagnie – -Ihre frühere; sogleich werden Sie die Ordre erhalten.</p> - -<p>Zu Befehl!</p> - -<p>Wollen Sie die Güte haben, wenn Sie fortgehen, -den Regimentsadjutanten zu mir zu schicken, -schloß der Regimentskommandeur, und gab durch<span class="pagenum"><a name="Page_163" id="Page_163">[Pg 163]</a></span> -eine leichte Verbeugung zu verstehen, daß die Audienz -beendet sei.</p> - -<p>Während Koselzow aus der Blindage herausging, -brummte er etwas vor sich hin und zog die -Schultern hoch, als bereite ihm etwas Schmerz, -Unbehagen oder Ärger – Ärger nicht über den -Regimentskommandeur (der hatte ihm keinen -Grund gegeben); er war mit sich selbst, mit allem, -was um ihn her vorging, unzufrieden.</p> - - -<h4> -<img src="images/illu-167.jpg" width="300" height="51" alt="XV" /> -<span class="hidden">XV</span> -</h4> - -<p>Bevor Koselzow sich zu seinen Regimentskameraden -begab, ging er, seine Kompagnie zu begrüßen -und zu sehen, wo sie stand. Die aus -Schanzkörben gebildeten Brustwehren, die Anlage -der Laufgräben, die Kanonen, an denen er -vorbeikam, sogar die Splitter der Bomben, über -die er unterwegs stolperte, – das alles, unaufhörlich -durch das Feuer der Schüsse erhellt, war -ihm bekannt; das alles hatte sich vor drei Monaten, -im Verlauf der vierzehn Tage, die er ununterbrochen -auf derselben Bastion zugebracht, seinem -Gedächtnisse lebhaft eingeprägt. Obwohl viel -Schreckliches in der Erinnerung lag, hatte sie doch -auch den großen Zauber des Vergangenen, und -er sah mit Vergnügen, als wären die hier zugebrachten -vierzehn Tage angenehme gewesen, die -bekannten Orte und Gegenstände wieder. Die<span class="pagenum"><a name="Page_164" id="Page_164">[Pg 164]</a></span> -Kompagnie lag an der Verteidigungswand, bei -der sechsten Bastion.</p> - -<p>Koselzow ging in eine lange, vom Eingange -her vollständig offene Blindage, in der, wie man -ihm sagte, die neunte Kompagnie stand. In der -ganzen Blindage war buchstäblich kein Fuß breit -Platz: so voll war sie vom Eingang ab von Soldaten. -Auf der einen Seite brannte ein kurzes -Talglicht. Das Licht hielt, liegend, ein Soldat -und beleuchtete ein Buch, das ein anderer buchstabierend -las. Um das Licht waren in dem -trüben Halbdunkel der Blindage erhobene Köpfe -sichtbar, die gespannt dem Leser zuhörten. Das -Buch war ein ABC-Buch. Als Koselzow in die -Blindage eintrat, hörte er folgendes:</p> - -<p>»Ge–bet nach Be–en–di–gung des Un–terrichts. -Ich dan–ke Dir Schöp–fer ...«</p> - -<p>Putzt doch das Licht! rief eine Stimme. Das -Buch ist prächtig ... »Mein ... Gott ...« fuhr -der Vorleser fort.</p> - -<p>Als Koselzow nach dem Feldwebel fragte, verstummte -der Vorleser, die Soldaten gerieten in -Bewegung, husteten, schnäuzten sich, wie stets nach -einem anhaltenden Schweigen. Der Feldwebel erhob -sich, seinen Mantel zuknöpfend, von seinem -Platz in der Nähe des Vorlesers und kam, über -die Füße und auf den Füßen derer, die nicht -Zeit hatten, sie wegzuziehen, schreitend, an den -Offizier heran.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_165" id="Page_165">[Pg 165]</a></span></p> - -<p>Guten Tag, Brüderchen! Ist das alles unsere -Kompagnie?</p> - -<p>Wir wünschen Gesundheit! Wir gratulieren zur -Ankunft, antwortete der Feldwebel, indem er heiter -und freundlich Koselzow ansah. – Hat sich Ihr -Befinden gebessert? Nun Gott sei Dank. Wir -haben uns sehr nach Ihnen gesehnt.</p> - -<p>Man sah gleich, daß Koselzow bei der Kompagnie -beliebt war.</p> - -<p>Im Hintergrunde der Blindage ließen sich -Stimmen hören: der frühere Kompagniekommandeur -ist wieder da, der verwundet war, Koselzow, -Michail Ssemjonytsch ist wieder da u. dgl.; einige -gingen sogar auf ihn zu, der Trommler begrüßte -ihn.</p> - -<p>Guten Tag, Obantschuck? sagte Koselzow. Unversehrt? -... Wünsch' euch Gesundheit, Kinder, -rief er darauf mit erhobener Stimme.</p> - -<p>Wir wünschen Ihnen Gesundheit! tönte es -tosend in der Blindage.</p> - -<p>Wie geht's euch, Kinder?</p> - -<p>Schlecht, Euer Wohlgeboren; der Franzose hat -die Oberhand, – er schießt so bös von den Schanzen -her – und damit basta, ins Feld wagt er sich -nicht.</p> - -<p>Vielleicht giebt's Gott, zu meinem Glück, daß -sie auch ins Feld kommen, Kinder! erwiderte Koselzow. -Ich bin ja nicht das erstemal bei euch: wir -werden sie wieder ausklopfen.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_166" id="Page_166">[Pg 166]</a></span></p> - -<p>An uns soll's nicht fehlen, Euer Wohlgeboren! -antworteten einige Stimmen.</p> - -<p>Na, aber sie sind tapfer! sagte eine Stimme.</p> - -<p>Furchtbar tapfer! sagte der Trommler nicht -laut, aber so, daß es hörbar war, zu einem anderen -Soldaten gewandt, als wenn er vor diesem -die Worte des Kompagnieführers rechtfertigen und -ihn überzeugen wollte, daß in diesen Worten nichts -Prahlerisches und Unwahrscheinliches liege.</p> - -<p>Von den Soldaten ging Koselzow in die Kaserne -der Verteidigungstruppen zu den Offizieren, -seinen Kameraden.</p> - - -<h4> -<img src="images/illu-170.jpg" width="300" height="53" alt="XVI" /> -<span class="hidden">XVI</span> -</h4> - -<p>In dem großen Zimmer der Kaserne waren -eine Menge Leute: Marine-, Artillerie- und Infanterieoffiziere. -Die einen schliefen, andere unterhielten -sich, auf dem Pulverkasten und der Lafette -einer Festungskanone sitzend; die dritten bildeten -im Alkoven eine große und laute Gruppe, sie -saßen auf der Diele auf zwei ausbreiteten Filzmänteln, -tranken Porter und spielten Karten.</p> - -<p>Ah, Koselzow, Koselzow ... Gut, daß du -gekommen bist. Brav! ... Was macht die -Wunde? ließ sich von verschiedenen Seiten hören. -Auch hier konnte man sehen, daß man ihn gern -hatte und sich über seine Ankunft freute.</p> - -<p>Koselzow schüttelte seinen Bekannten die Hand<span class="pagenum"><a name="Page_167" id="Page_167">[Pg 167]</a></span> -und gesellte sich zu der lauten Gruppe, die aus -mehreren Offizieren bestand, die Karten spielten. -Es waren auch Bekannte von ihm darunter. Ein -hübscher, magerer, brünetter Mann mit einer -langen, hageren Nase und einem starken Schnauzbart, -der lang von den Wangen herabhing, hielt -die Bank mit seinen weißen, hageren Fingern, auf -einem der Finger trug er einen großen goldenen -Siegelring mit einem Wappen. Er legte die -Karten gerade vor sich hin, ohne Sorgfalt, er war -offenbar erregt und wollte nur sorglos erscheinen. -Neben ihm zur Rechten war, auf den Ellbogen gestützt, -ein grauköpfiger Major hingestreckt, setzte -mit erheuchelter Kaltblütigkeit immer einen halben -Rubel und zahlte sofort aus. Zur linken Hand -saß kauernd ein hübscher junger Offizier mit -schweißigem Gesicht, lächelte gezwungen und scherzte. -Wenn seine Karte dran war, bewegte er unaufhörlich -die eine Hand in seiner leeren Hosentasche. Er -spielte um hohen Einsatz, aber offenbar nicht mehr -um Tausende, was den hübschen, brünetten Herrn -wurmte. Ein kahlköpfiger Offizier mit riesiger -Nase und großem Mund, ein hagerer und blasser -Mann, ging im Zimmer auf und nieder, hielt -einen großen Haufen Banknoten in der Hand, -spielte immer mit barem Gelde <span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">va banque</span> und -gewann immer.</p> - -<p>Koselzow trank einen Schnaps und setzte sich -zu den Spielern.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_168" id="Page_168">[Pg 168]</a></span></p> - -<p>Setzen Sie doch, Michail Ssemjonytsch! sagte -der Bankhalter zu ihm. Geld, meine ich, müssen -Sie die Menge mitgebracht haben.</p> - -<p>Wie soll ich zu Geld kommen? Im Gegenteil, -ich habe das letzte in der Stadt gelassen.</p> - -<p>Wie? Sie haben doch gewiß jemanden in -Ssimferopol aufsitzen lassen.</p> - -<p>Wahrhaftig, ich habe nicht viel, sagte Koselzow, -aber er wünschte offenbar nicht, daß man ihm -glaube, knöpfte den Rock auf und nahm die alten -Karten zur Hand.</p> - -<p>Ein Versuch kann nicht schaden. Man muß -das Schicksal versuchen! Jedes Tierchen hat sein -Plaisierchen! ... Sie müssen nur eins trinken, -sich Mut zu machen.</p> - -<p>Er trank ein zweites Gläschen Schnaps und -etwas Porter, und hatte in kurzer Zeit seine letzten -drei Rubel verspielt.</p> - -<p>Der kleine schweißige Offizier war mit hundertfünfzig -Rubel in der Kreide.</p> - -<p>Nein, es will nicht glücken, sagte er und griff -nachlässig nach einer neuen Karte.</p> - -<p>Wollen Sie einsetzen, sagte der Bankhalter zu -ihm, hielt einen Augenblick inne und sah ihn an.</p> - -<p>Gestatten Sie mir, morgen zu setzen, antwortete -der schweißige Offizier, erhob sich und bewegte -noch lebhafter seine Hand in der leeren Tasche.</p> - -<p>Hm ... brummte der Bankhalter, warf sich -ärgerlich nach rechts und nach links und führte die<span class="pagenum"><a name="Page_169" id="Page_169">[Pg 169]</a></span> -Taille zu Ende. – Aber nein, so geht's nicht, sagte -er und legte die Karten hin. Ich passe. So -geht's nicht, Sachar Iwanytsch, fügte er hinzu. -Wir haben auf bar gespielt und nicht auf -Kreide.</p> - -<p>Wie, zweifeln Sie an mir? ... Merkwürdig, -wahrhaftig!</p> - -<p>Von wem wünschen Sie Geld? brummte der -Major, der etwa acht Rubel gewonnen hatte. Ich -habe schon mehr als zwanzig Rubel gesetzt, und -habe gewonnen, aber ich bekomme nichts.</p> - -<p>Woher soll ich denn zahlen, sagte der Bankhalter, -wenn kein Geld auf dem Tische ist.</p> - -<p>Was kümmert das mich? schrie der Major -und erhob sich, ich spiele mit Ihnen und nicht -mit dem da.</p> - -<p>Der schweißige Offizier wurde plötzlich hitzig.</p> - -<p>Ich sage, ich bezahle morgen – wie können -Sie es wagen, mir Grobheiten zu sagen.</p> - -<p>Ich sage, was ich will! So handelt man nicht, -wissen Sie's nun? schrie der Major.</p> - -<p>Lassen Sie gut sein, Fjodor Fjodorytsch, begannen -alle und hielten den Major zurück.</p> - -<p>Aber senken wir schnell den Vorhang über dieses -Schauspiel. Morgen, heute schon wird vielleicht -jeder dieser Menschen heiter und stolz dem -Tode entgegengehen und standhaft und ruhig sterben; -aber der einzige Lebenstrost in diesen, auch -die kühlste Einbildungskraft entsetzenden Verhält<span class="pagenum"><a name="Page_170" id="Page_170">[Pg 170]</a></span>nissen -des Mangels alles Menschlichen und der -Aussichtslosigkeit einer Besserung, der einzige Trost -ist Vergessen, Vernichtung des Bewußtseins. Auf -dem Grunde der Seele eines jeden ruht der edle -Funke, der einen Helden aus ihm macht; aber -dieser Funke hört auf hell zu glimmen – kommt -die entscheidende Stunde, dann lodert er flammend -auf und beleuchtet große Thaten.</p> - - -<h4> -<img src="images/illu-174.jpg" width="300" height="53" alt="XVII" /> -<span class="hidden">XVII</span> -</h4> - -<p>Am folgenden Tage dauerte das Bombardement -mit gleicher Stärke fort. Gegen elf Uhr -morgens saß Wolodja Koselzow in dem Kreise -der Batterieoffiziere; er hatte sich schon ein wenig -an sie gewöhnt und betrachtete die neuen Gesichter, -beobachtete, fragte und erzählte. Das bescheidene, -in gewissem Sinne auf Gelehrsamkeit Anspruch -machende Gespräch der Artillerieoffiziere flößte ihm -Achtung ein und gefiel ihm. Das schamhafte, unschuldige -und hübsche Äußere Wolodjas machte -ihm die Offiziere geneigt. Der älteste Offizier -in der Batterie, ein Kapitän, ein Mann von kleiner -Gestalt und rötlichem Haar mit einem Schopf und -glattgekämmten Schläfen, in den alten Überlieferungen -der Artillerie aufgewachsen, ein Ritter der -Damen und sozusagen ein Gelehrter, fragte Wolodja -nach seinen Kenntnissen in der Artillerie und -nach neuen Erfindungen, spöttelte liebenswürdig<span class="pagenum"><a name="Page_171" id="Page_171">[Pg 171]</a></span> -über sein hübsches Gesichtchen und ging mit ihm -im allgemeinen wie ein Vater mit seinem Sohne -um, was Wolodja sehr wohl that. Der Unterleutnant -Djadjenko, ein junger Offizier, der mit -kleinrussischem Accent sprach, in einem zerrissenen -Mantel und mit zerzaustem Haar, sprach zwar -sehr laut, suchte immer eine Gelegenheit, giftig -zu sein und hatte eckige Bewegungen, gefiel aber -trotzdem Wolodja, der unter dieser herben Außenseite -natürlich einen sehr prächtigen und guten -Menschen sah. Djadjenko bot Wolodja fortwährend -seine Dienste an und setzte ihm auseinander, -daß alle Geschütze in Sewastopol nicht regelrecht -aufgestellt seien. Leutnant Tschernowizkij mit den -hochgezogenen Brauen gefiel Wolodja nicht, er -war zwar höflicher als die anderen und trug einen -ziemlich sauberen, wenn auch nicht neuen, doch -aber sorgfältig geflickten Rock und ließ auf seiner -Atlasweste eine goldene Kette sehen. Er wurde -nicht müde zu fragen, was der Kaiser und der -Kriegsminister machen, und erzählte ihm unaufhörlich -mit erkünstelter Begeisterung von den Heldenthaten -vor Sewastopol, klagte darüber, daß es -so wenig Patrioten gebe und ließ überhaupt viel -Wissen, Geist und edles Empfinden durchblicken; -aber es berührte doch alles Wolodja unangenehm -und unnatürlich. Vor allem bemerkte er, daß -die übrigen Offiziere mit Tschernowizkij fast gar -nicht sprachen. Der Junker Wlang, den er gestern<span class="pagenum"><a name="Page_172" id="Page_172">[Pg 172]</a></span> -geweckt hatte, war ebenfalls da. Er sprach nichts, -sondern saß bescheiden in einer Ecke und lachte, -wenn etwas Spaßhaftes erzählt und dabei etwas -vergessen wurde, dessen er sich erinnerte, reichte -Branntwein herum und machte für alle Offiziere -Cigaretten. Mochte das bescheidene, höfliche Betragen -Wolodjas, der mit ihm gerade so verkehrte, -wie mit den Offizieren, und ihn nicht wie einen -Knaben behandelte, oder sein angenehmes Äußere -»Wlanga«, wie ihn die Soldaten nannten, indem -sie seinen Namen zu einem Femininum umbildeten, -fesseln, er konnte seine gutmütigen, großen Augen -von dem Gesicht des neuen Offiziers nicht abwenden, -indem er alle seine Wünsche zu erraten -und ihnen zuvorzukommen suchte, und sich ununterbrochen -in einer Extase der Verliebtheit befand, -die natürlich von den Offizieren bemerkt und verspottet -wurde.</p> - -<p>Vor dem Mittagessen wurde ein Stabskapitän -von der Bastion abgelöst und schloß sich ihrer -Gesellschaft an. Stabskapitän Kraut war ein blonder, -hübscher, fescher Offizier mit großem rötlichen -Schnurrbart und Backenbart; er sprach das Russische -vortrefflich, aber zu regelrecht und schön für -einen Russen. Im Dienst und im Leben war er -ganz wie in seiner Sprache: im Dienst ausgezeichnet, -ein vortrefflicher Kamerad, der zuverlässigste Mann -in Geldangelegenheiten, aber einfach als Mensch, -und gerade deshalb, weil alles in einem gewissen<span class="pagenum"><a name="Page_173" id="Page_173">[Pg 173]</a></span> -Sinne gut an ihm war, fehlte ihm etwas. Wie -alle russischen Deutschen war er, ein sonderbarer -Gegensatz zu den »idealen« Deutschen, im höchsten -Grade »praktisch«.</p> - -<p>Da erscheint unser Held! rief der Kapitän, als -Kraut, die Arme schwenkend und mit den Sporen -klirrend, ins Zimmer kam.</p> - -<p>Was wünschen Sie, Thee oder Schnaps?</p> - -<p>Ich habe schon befohlen, den Ssamowar aufzustellen, -antwortete er. Aber einen Schnaps kann -man inzwischen schon genehmigen, denn der erfreut -des Menschen Herz. Freut mich sehr, Ihre Bekanntschaft -zu machen; ich bitte Sie, uns Freund -und Gönner zu sein, sagte er zu Wolodja, der -aufgestanden war und sich vor ihm verneigte. -Stabskapitän Kraut ... Der Feuerwerker hat -mir auf der Bastion gesagt, daß Sie schon gestern -angekommen sind.</p> - -<p>Ich danke Ihnen sehr für Ihr Bett; ich habe -die Nacht darauf geschlafen.</p> - -<p>Aber auch gut? ... Ein Fuß ist abgebrochen, -und beim Belagerungszustande findet sich niemand, -ihn auszubessern, – man muß was unterlegen.</p> - -<p>Nun, wie war's, haben Sie glücklichen Tagesdienst -gehabt? fragte Djadjenko.</p> - -<p>Ja, es war weiter nichts; nur Skworzow hat -was abbekommen, auch eine Lafette mußte ausgebessert -werden: ihre Wand ist in tausend Stücke -geschossen worden.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_174" id="Page_174">[Pg 174]</a></span></p> - -<p>Er erhob sich von seinem Platz und begann -hin- und herzugehen: es war ihm anzumerken, -daß er sich unter dem Einflusse der angenehmen -Stimmung eines Menschen befand, der soeben einer -Gefahr entronnen ist.</p> - -<p>Na, Dmitrij Gawrilytsch, sagte er und klopfte -dem Kapitän auf die Knie. Wie geht's, Väterchen? -Noch keine Antwort auf den Vorschlag zur -Beförderung?</p> - -<p>Noch nichts.</p> - -<p>Es kommt auch nichts, begann Djadjenko, ich -habe es Ihnen vorher klar gemacht.</p> - -<p>Warum denn nicht?</p> - -<p>Warum? weil die Relation nicht so abgefaßt -ist.</p> - -<p>Ach Sie, Sie sind ein Streithahn, ein rechter -Streithahn! sagte Kraut und lächelte fröhlich. Ein -echter, hartnäckiger Chacholl (Spitzname für die -Kleinrussen), aber Ihnen zum Possen wird der -Leutnant herauskommen.</p> - -<p>Nein, er wird nicht herauskommen.</p> - -<p>Wlang! bringen Sie mir doch meine Pfeife -her und stopfen Sie sie mir, sagte er zu dem -Junker gewandt, der sofort bereitwillig nach der -Pfeife lief.</p> - -<p>Kraut brachte Leben in die Gesellschaft. Er -erzählte vom Bombardement, fragte, was in seiner -Abwesenheit geschehen war und plauderte mit -allen.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_175" id="Page_175">[Pg 175]</a></span></p> - - -<h4> -<img src="images/illu-179.jpg" width="300" height="54" alt="XVIII" /> -<span class="hidden">XVIII</span> -</h4> - -<p>Na, wie haben Sie sich bei uns schon eingerichtet? -fragte Kraut Wolodja. Verzeihen Sie, -wie ist Ihr Vor- und Vatersname? Bei uns in -der Artillerie ist es einmal so Sitte ... Haben -Sie schon ein Reitpferd angeschafft?</p> - -<p>Nein, sagte Wolodja, ich weiß nicht, was werden -wird. Ich habe dem Kapitän gesagt ... ich -habe kein Pferd, ich habe aber auch kein Geld, -so lange ich nicht Zehr- und Reisegelder bekomme.</p> - -<p>Apollon Sergjeitsch? – er brachte mit den -Lippen einen Laut hervor, der starken Zweifel -ausdrückte und sah den Kapitän an, – kaum!</p> - -<p>Je nun, schlägt er's ab, ist's auch kein Unglück, -sagte der Kapitän, hier braucht man eigentlich -kein Pferd, aber man kann's immerhin versuchen, -ich will heute fragen.</p> - -<p>Wie, kennen Sie ihn nicht? mischte sich Djadjenko -ein, etwas anderes kann er abschlagen, aber -Ihnen wird er keineswegs ... Wollen Sie -wetten?</p> - -<p>Na ja, Sie müssen natürlich immer widersprechen.</p> - -<p>Ich widerspreche, weil ich weiß: in anderen -Dingen ist er geizig, aber ein Pferd giebt er, er -hat ja auch keinen Vorteil von der Ablehnung.</p> - -<p>Gewiß hat er Vorteil davon, wenn ihm hier<span class="pagenum"><a name="Page_176" id="Page_176">[Pg 176]</a></span> -der Hafer acht Rubel zu stehen kommt, sagte Kraut. -Man hat Vorteil, wenn man keine überflüssigen -Pferde hält.</p> - -<p>Bitten Sie um den Staar, Wladimir Ssemjonytsch, -sagte Wlang, der mit Krauts Pfeifchen -zurückkam, ein ausgezeichnetes Pferd!</p> - -<p>Mit dem Sie in Ssoroki in den Graben gefallen -sind, Wlanga, hm? bemerkte der Stabskapitän.</p> - -<p>Nein, aber was sprechen Sie da, acht Rubel -der Hafer, fuhr Djadjenko fort im Streit, wo -er seine Rechnung mit zehneinhalb macht? ... -Natürlich, hat er keinen Vorteil davon.</p> - -<p>Das wäre schön, wenn ihm nicht noch was -übrig bliebe! Wenn Sie, so Gott will, Batteriekommandeur -sind, so geben Sie kein Pferd, nach -der Stadt zu reiten.</p> - -<p>Wenn ich Batteriekommandeur bin, Väterchen, -soll jedes Pferd vier Maß Futter haben, ich werde -keine Gelder zusammenscharren, haben Sie keine -Sorge.</p> - -<p>Wer's erlebt, wird's sehen ... sagte der Stabskapitän. -Und Sie werden ebenso handeln, und -Sie auch, wenn Sie eine Batterie kommandieren -werden, fügte er hinzu und zeigte auf Wolodja.</p> - -<p>Warum glauben Sie, Friedrich Christianytsch, -daß auch Sie Profit machen wollen? mischte sich -Tschernowizkij ein. Vielleicht haben Sie Vermögen, -wozu sollten Sie Vorteil suchen?</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_177" id="Page_177">[Pg 177]</a></span></p> - -<p>Nicht doch, ich halte ... Verzeihen Sie mir, -Kapitän, sagte Wolodja und wurde bis über die -Ohren rot, ich halte das für unehrenhaft.</p> - -<p>Aha, wie heikel er ist! sagte Kraut.</p> - -<p>Das ist ganz gleich: ich meine nur, wenn es -nicht mein Geld ist, darf ich's auch nicht nehmen.</p> - -<p>Und ich sage Ihnen nur so viel, junger Mann, -begann der Stabskapitän in ernsterem Ton, Sie -müssen wissen, wenn Sie eine Batterie kommandieren, -wenn Sie da Ihre Sache gut machen, -dann ist alles in Ordnung; in die Ernährung der -Truppen mischt sich der Batteriekommandeur nicht: -das wird in der Artillerie von altersher so gehalten. -Sind Sie ein schlechter Wirt, so behalten -Sie nichts übrig. Hier müssen Sie Ausgaben -machen, im Widerspruch mit Ihren Verhältnissen, -für Hufbeschlag – das ist eins (er bog einen -Finger ein), für die Apotheke – das ist zwei -(er bog einen zweiten Finger ein), für die Kanzlei, -drei, für Handpferde an die fünfhundert zahlen, -Väterchen – das ist vier, Sie müssen den Soldaten -neue Kragen geben, Kohlen brauchen Sie -viel, Tisch für die Offiziere müssen Sie halten. -Sind Sie Batteriekommandeur, so müssen Sie anständig -leben, Sie müssen einen Wagen haben, -einen Pelz und noch zwei, drei, zehn andere Dinge -... Was ist da viel zu reden!</p> - -<p>Die Hauptsache aber, fiel der Kapitän ein, -der die ganze Zeit geschwiegen hatte, die Haupt<span class="pagenum"><a name="Page_178" id="Page_178">[Pg 178]</a></span>sache, -Wladimir Ssemjonytsch, ist die: stellen Sie -sich vor, ein Mensch, wie ich zum Beispiel, dient -zwanzig Jahre, erst für zwei-, dann für dreihundert -Rubel Gehalt; soll man ihm für seinen -Dienst nicht wenigstens ein Stück Brot im Alter -geben?</p> - -<p>Ach, was soll das! begann wieder der Stabskapitän, -urteilen Sie nicht voreilig, kommt Zeit, -kommt Rat, leisten Sie nur Ihren Dienst.</p> - -<p>Wolodja überkam eine schreckliche Scham, weil -er so unüberlegt gesprochen hatte, er brummte -etwas in den Bart und dann hörte er weiter -schweigend zu, wie Djadjenko im höchsten Eifer -wieder zu streiten begann und das Entgegengesetzte -behauptete.</p> - -<p>Der Streit wurde durch den Eintritt des Hauptmannsburschen -unterbrochen, der zum Essen rief.</p> - -<p>Aber sagen Sie heute Appollon Sergjeewitsch, -er solle Wein geben, sagte Tschernowizkij zum Kapitän -und knöpfte sich den Rock zu. Was knausert -er? Sind wir erst tot, kriegt keiner was!</p> - -<p>Sagen Sie's ihm selbst.</p> - -<p>Das geht nicht. Sie sind der älteste Offizier. -Alles muß seine Ordnung haben.</p> - - -<h4> -<img src="images/illu-182.jpg" width="300" height="53" alt="XIX" /> -<span class="hidden">XIX</span> -</h4> - -<p>In dem Zimmer, in dem sich Tags zuvor -Wolodja beim Obersten gemeldet hatte, war der<span class="pagenum"><a name="Page_179" id="Page_179">[Pg 179]</a></span> -Tisch von der Wand abgerückt und mit einem -schmutzigen Tischtuch bedeckt. Diesmal gab ihm -der Batteriekommandeur die Hand und fragte ihn -über Petersburg und seine Reise aus.</p> - -<p>Nun, meine Herren, wer Branntwein trinkt, -den bitte ich zuzugreifen. Die Fähnriche trinken -keinen, fügte er lächelnd hinzu.</p> - -<p>Überhaupt zeigte sich der Batteriekommandeur -heute durchaus nicht so mürrisch, wie Tags zuvor: -er hatte im Gegenteil das Benehmen eines guten, -gastfreien Wirts und eines älteren Kameraden -unter den Offizieren. Aber trotzdem bezeigten ihm -alle Offiziere die größte Achtung, vom alten Kapitän -an bis zum Fähnrich Djadjenko, die sich -darin kundgab, wie sie mit einem höflichen Blick -auf den Kommandeur sprachen und wie sie einer -nach dem andern zögernd herantraten und den -Schnaps tranken.</p> - -<p>Das Mittagessen bestand aus einer großen -Schüssel Kohlsuppe, in der fette Stücke Rindfleisch -schwammen, und die mit einer ungeheuren Menge -von Pfeffer und Lorbeerblättern gewürzt war, -aus polnischen Zrazy mit Senf und aus Kaldaunen -mit nicht ganz frischer Butter. Servietten gab es -nicht, die Löffel waren aus Blech und Holz, Gläser -gab es zwei, und auf dem Tische stand eine Karaffe -Wasser mit abgebrochenem Halse; aber das Mittagmahl -war recht heiter: die Unterhaltung verstummte -keinen Augenblick. Zuerst war von dem<span class="pagenum"><a name="Page_180" id="Page_180">[Pg 180]</a></span> -Treffen bei Inkermann die Rede, an dem die -Batterie teilgenommen hatte, und jeder erzählte -seine Eindrücke und sprach seine Meinung über -die Ursache des Mißerfolges aus und verstummte, -sobald der Batteriekommandeur selbst zu sprechen -begann; dann ging das Gespräch ungezwungen -auf die Unzulänglichkeit des Kalibers der leichten -Geschütze über, zu den neuen leichteren Kanonen, -und Wolodja hatte dabei Gelegenheit, seine Kenntnisse -in der Artillerie zu zeigen. Aber bei der -gegenwärtigen, entsetzlichen Lage Sewastopols blieb -das Gespräch nicht stehen, als ob jeder viel zu -sehr an diesen Gegenstand dachte, als daß er noch -darüber sprechen sollte. Auch von den Pflichten -des Dienstes, die Wolodja auf sich nehmen sollte, -war zu seinem Erstaunen und Verdruß gar nicht -die Rede, als ob er nach Sewastopol gekommen -wäre, nur um über die leichteren Geschütze zu plaudern -und bei dem Batteriekommandeur Mittag -zu speisen. Während des Essens fiel unweit des -Hauses, in dem sie saßen, eine Bombe nieder. Der -Fußboden und die Wände zitterten, wie von einem -Erdbeben, und die Fenster wurden vom Pulverdampf -verdunkelt.</p> - -<p>Das haben Sie wohl in Petersburg nicht gesehen, -hier sind solche Überraschungen häufig, sagte -der Batteriekommandeur. Wlang, sehen Sie nach, -wo sie geplatzt ist.</p> - -<p>Wlang sah nach und meldete: auf dem Platze,<span class="pagenum"><a name="Page_181" id="Page_181">[Pg 181]</a></span> -und weiter war von der Bombe nicht mehr die -Rede.</p> - -<p>Kurz vor Ende des Mittagessens kam ein alter -Batterieschreiber ins Zimmer mit drei versiegelten -Briefen und übergab sie dem Batteriekommandeur.</p> - -<p>Das hier ist sehr dringlich, soeben hat es ein -Kosak vom Oberbefehlshaber der Artillerie überbracht.</p> - -<p>Alle Offiziere blickten mit ungeduldiger Erwartung -auf die in solchen Dingen geübten Finger -des Batteriekommandeurs, die das Siegel erbrachen -und das »sehr dringliche« Schriftstück herauszogen. -»Was kann das wohl sein?« stellte sich jeder die -Frage. Es konnte der Befehl zum Ausmarsch aus -Sewastopol sein, um auszuruhen, es konnte aber -auch die Beorderung der ganzen Batterie auf die -Bastionen sein.</p> - -<p>Wieder! sprach der Batteriekommandeur und -warf zornig das Papier auf den Tisch.</p> - -<p>Was enthält es, Apollon Ssergjeewitsch? -fragte der älteste Offizier.</p> - -<p>Man verlangt einen Offizier mit Bedienungsmannschaft -für eine Mörserbatterie ... Ich habe -im ganzen nicht mehr als vier Offiziere, und meine -Bedienungsmannschaft ist nicht vollzählig, brummte -der Batteriekommandeur, und da verlangt man -noch das! Aber einer muß gehen, meine Herren, -rief er nach einem kurzen Schweigen. Der Befehl -lautet, um sieben Uhr auf der Schanze sein ...<span class="pagenum"><a name="Page_182" id="Page_182">[Pg 182]</a></span> -Den Feldwebel herschicken! Wer geht, meine Herren? -entscheiden Sie, wiederholte er.</p> - -<p>Nun, Sie sind ja noch nirgends gewesen, sagte -Tschernowizkij auf Wolodja zeigend.</p> - -<p>Der Batteriekommandeur antwortete nichts.</p> - -<p>Ja, ich gehe gern, sagte Wolodja und fühlte, -wie ihm kalter Schweiß auf dem Rücken und am -Halse hervortrat.</p> - -<p>Nein, weshalb! fiel der Kapitän ein. Natürlich -wird sich niemand weigern, aber es ist kein -Grund, sich selbst anzubieten; da es uns Apollon -Ssergjeewitsch freistellt, so wollen wir losen, wie -wir es damals gethan haben.</p> - -<p>Alle waren einverstanden. Kraut schnitt -Papierstreifen, rollte sie zusammen und warf sie -in eine Mütze. Der Kapitän scherzte dabei und -entschloß sich sogar bei dieser Gelegenheit, den -Oberst um Branntwein zu bitten, »um tapfer zu -bleiben«, wie er sich ausdrückte. Djadjenko saß -finster da, Wolodja lächelte, Tschernowizkij behauptete, -es werde bestimmt ihn treffen. Kraut war -vollständig ruhig.</p> - -<p>Wolodja ließ man zuerst wählen. Er nahm -einen Papierstreifen, der war sehr lang; da fiel -es ihm ein, einen andern zu wählen, – er zog -einen zweiten, kleineren und dünneren, entfaltete -ihn und las: »gehen«.</p> - -<p>Ich! sagte er seufzend.</p> - -<p>Nun, mit Gott. So bekommen Sie bald Ihre<span class="pagenum"><a name="Page_183" id="Page_183">[Pg 183]</a></span> -Feuertaufe, sagte der Kommandeur, indem er mit -einem gutmütigen Lächeln dem Fähnrich in das -verlegene Gesicht sah, machen Sie sich nur bald -fertig. Und damit Sie sich nicht langweilen, wird -Wlang als Feuerwerker mit Ihnen gehen.</p> - - -<h4> -<img src="images/illu-187.jpg" width="300" height="53" alt="XX" /> -<span class="hidden">XX</span> -</h4> - -<p>Wlang war mit diesem Befehl außerordentlich -zufrieden, er machte sich schnell fertig, um Wolodja -zu helfen, und redete ihm zu, das Bett, den Pelz, -eine alte Nummer der »Vaterländischen Annalen«, -die Spiritusmaschine zum Kaffeekochen und andere -unwichtige Dinge mitzunehmen. Der Kapitän riet -Wolodja, zunächst im »Handbuch«<a name="FNanchor_E_5" id="FNanchor_E_5"></a><a href="#Footnote_E_5" class="fnanchor">[E]</a> den Abschnitt -über das Schießen aus Mörsern zu lesen und sich -die Schießtabellen herauszuschreiben. Wolodja -ging sofort ans Werk und bemerkte zu seiner Verwunderung -und Freude, daß, obwohl das Gefühl -der Furcht vor der Gefahr und noch mehr davor, -sich feig zu erweisen, ihn noch immer ein wenig -beunruhigte, dies doch nicht in dem Grade der -Fall war, wie am Abend vorher. Zum Teil -lag das an den Eindrücken des Tages und seiner -Thätigkeit, zum Teil, und zwar zum größeren Teil -daran, daß die Furcht, wie jedes starke Gefühl, -nicht lange in gleichem Grade dauern kann. Mit<span class="pagenum"><a name="Page_184" id="Page_184">[Pg 184]</a></span> -einem Worte, er war schon so weit, daß er den -Furchthöhepunkt hinter sich hatte. In der siebenten -Stunde, da sich eben die Sonne hinter der Nikolajewkaserne -verbarg, kam der Feldwebel zu ihm -mit der Meldung, die Leute seien bereit und -warten.</p> - -<div class="footnote"> - -<a name="Footnote_E_5" id="Footnote_E_5"></a><a href="#FNanchor_E_5">[E]</a> »Handbuch für die Offiziere der Artillerie« von -Bezaque.</div> - -<p>Ich habe »Wlanga« die Namensliste übergeben. -Belieben Sie, ihn zu fragen, Euer Wohlgeboren! -sagte er.</p> - -<p>Zwanzig Artilleristen mit Seitengewehren, -ohne Lederzeug, standen an einer Ecke des -Hauses. Wolodja ging mit dem Junker an sie -heran. Ob man ihnen eine kleine Rede hält oder -einfach sagt: Wünsch' euch Gesundheit, Kinder! -– oder sagt man gar nichts? dachte er. Aber -warum soll man nicht einfach sagen: Wünsch' euch -Gesundheit! Das ist sogar das Richtige. Und er -rief keck mit seiner klangvollen, jugendlichen -Stimme: Wünsch' euch Gesundheit, Kinder!</p> - -<p>Die Soldaten antworteten munter; die jugendliche, -frische Stimme tönte angenehm in dem Ohr -eines jeden. Wolodja ging den Soldaten kühn -voran, und, obwohl sein Herz so klopfte, als wenn -er einige Werst aus Leibeskräften gelaufen wäre, -war sein Gang doch leicht und sein Gesicht heiter. -Bereits dicht an dem Malachowhügel und die Höhe -hinaufsteigend, bemerkte er, wie Wlang, der keinen -Schritt von ihm wich und sich zu Hause so tapfer -gezeigt hatte, beständig auf die Seite ging und<span class="pagenum"><a name="Page_185" id="Page_185">[Pg 185]</a></span> -den Kopf beugte, als wenn all die Bomben und -Kanonenkugeln, die hier schon sehr häufig pfiffen, -gerade auf ihn zugeflogen kämen. Einige Soldaten -thaten dasselbe, überhaupt drückte sich auf -den meisten ihrer Gesichter wenn auch nicht Furcht, -so doch Unruhe aus. Diese Umstände beruhigten -und ermutigten Wolodja vollständig.</p> - -<p>»So bin denn auch ich auf dem Malachowhügel, -den ich mir tausendmal schrecklicher vorgestellt -habe! Und ich gehe auf ihm, ohne mich -vor Kanonenkugeln zu bücken und bin weit mutiger -als andere ... Also bin ich kein Feigling?« dachte -er mit Vergnügen, ja mit einem gewissen Entzücken -des Selbstbewußtseins.</p> - -<p>Aber dieses Gefühl wurde bald erschüttert durch -das Schauspiel, das ihm entgegentrat, als er in -der Dämmerung auf der Kornilowbatterie den Befehlshaber -der Bastion aufsuchte. Vier Mann Matrosen -standen an der Brustwehr und hielten einen -blutigen Leichnam ohne Stiefel und Mantel an -Füßen und Händen und schwenkten ihn hin und -her, um ihn über die Brustwehr zu werfen. (Am -zweiten Tage des Bombardement hatte man nicht -überall die Körper auf den Bastionen sammeln -können und warf sie in den Graben, damit sie -auf den Batterien nicht hinderten.) Wolodja erstarrte -einen Augenblick, als er sah, wie der Leichnam -auf der Höhe der Brustwehr aufschlug und -dann von dort in den Graben kollerte; aber hier<span class="pagenum"><a name="Page_186" id="Page_186">[Pg 186]</a></span> -traf ihn zum Glück der Befehlshaber der Bastion, -erteilte ihm Befehle und gab ihm einen Führer -nach der Batterie und der für die Bedienungsmannschaft -bestimmten Blindage mit. Wir wollen -nicht erzählen, wie viel Gefahren, Enttäuschungen -unser Held an diesem Abend noch erlebt hat: wie -er, statt den Schießübungen auf dem Wolkowofeld -unter allen Bedingungen der Pünktlichkeit und -Ordnung, die er hier zu finden erwartete, zwei -außer Stand gesetzte Mörser fand; die Mündung -des einen war durch eine Kanonenkugel platt geschlagen, -der andere stand nur auf den Splittern -einer zerschossenen Plattform, und vor dem Morgen -waren keine Arbeiter zu erlangen, um die -Plattform ausbessern. Nicht ein Geschoß hatte -das Gewicht, das das Handbuch vorschrieb. Hier -wurden zwei Soldaten seines Kommandos verwundet, -und er selbst war zwanzigmal während -dieses Abends um ein Haar dem Tode nahe. Zum -Glück war zu seiner Hilfe ein Kommandor von -hünenhafter Gestalt bestimmt worden, ein Seemann, -der von Anfang der Belagerung bei den -Mörsern diente; dieser überzeugte ihn von der -Möglichkeit, aus ihnen zu schießen, führte ihn -nachts mit einer Laterne auf der ganzen Bastion, -wie in seinem Garten, herum, und versprach, bis -zum Morgen alles in Stand zu setzen. Die Blindage, -zu der ihn sein Führer geleitete, war eine -in steinigem Boden ausgegrabene, zwei Klafter<span class="pagenum"><a name="Page_187" id="Page_187">[Pg 187]</a></span> -lange und mit ellendicken Eichenbalken bedeckte -längliche Grube. Hier quartierte er sich mit seinen -sämtlichen Soldaten ein. Kaum hatte Wlang die -niedrige, eine Elle hohe Thür der Blindage gesehen, -als er kopfüber allen voran auf sie zulief, -stark an die eiserne Decke anrannte und sich -in einem Winkel versteckte, aus dem er nicht -mehr hervorkam. Wolodja dagegen schlug, als -alle Soldaten sich längs der Wände auf den Boden -gelagert und einige ihre Pfeifen angezündet hatten, -sein Bett in einer Ecke auf, zündete Licht an und -legte sich, eine Cigarette rauchend, auf seine -Pritsche. Über der Blindage hörte man ununterbrochen -Schüsse, die aber nicht sehr laut tönten, -ausgenommen die einer in der nächsten Nähe stehenden -Kanone, die mit ihrem Donner die Blindage -erschütterte. In der Blindage selber war's still; -die Soldaten, die sich vor dem neuen Offizier noch -scheuten, sprachen nur bisweilen miteinander, indem -der eine den andern bat, etwas Platz zu -machen oder ihm Feuer für die Pfeife zu geben. -Eine Ratte nagte irgendwo zwischen den Steinen. -Wlang, der noch nicht zu sich gekommen war und -sich noch scheu umsah, seufzte auf einmal laut. -Wolodja, auf seinem Bette in dem stillen, dichtbevölkerten, -nur von einer Kerze erhellten Winkelchen, -empfand dasselbe Gefühl des Glückes, das -er damals gehabt hatte, wo er als Kind beim -Versteckenspiel in den Schrank oder unter Mamas<span class="pagenum"><a name="Page_188" id="Page_188">[Pg 188]</a></span> -Kleid gekrochen war, und horchte mit verhaltenem -Atem auf, ängstigte sich in der Finsternis und war -zugleich voll freudiger Erwartung. Es war ihm -schwer und heiter zugleich zu Mute.</p> - - -<h4> -<img src="images/illu-192.jpg" width="300" height="51" alt="XXI" /> -<span class="hidden">XXI</span> -</h4> - -<p>Im Laufe einer Viertelstunde fühlten sich die -Soldaten heimisch und wurden gesprächig. Dem -Licht und dem Bette des Offiziers am nächsten -hatten sich die bedeutenderen Leute gelagert: zwei -Feuerwerker, der eine ein grauhaariger Alter mit -allen Medaillen und Kreuzen, ausgenommen das -Georgskreuz; der andere, ein junger Mensch und -Soldatenkind, der gedrehte Cigaretten rauchte. Der -Trommler hatte, wie überall, die Obliegenheit auf -sich genommen, den Offizier zu bedienen. Die -Bombardiere und die Reiter saßen in der Mitte; -und dort im Schatten am Eingange hatten sich -die »Gehorsamen«<a name="FNanchor_F_6" id="FNanchor_F_6"></a><a href="#Footnote_F_6" class="fnanchor">[F]</a> untergebracht. Unter diesen -begann auch das Gespräch. Die Veranlassung dazu -gab der Lärm, den ein in die Blindage stürzender -Mensch verursachte.</p> - -<div class="footnote"> - -<a name="Footnote_F_6" id="Footnote_F_6"></a><a href="#FNanchor_F_6">[F]</a> S. »Der Holzschlag« II. Anm. d. Herausg.</div> - -<p>Weshalb bist du nicht auf der Straße geblieben, -Brüderchen? ... Singen denn die Mädchen -nicht lustig? fragte man ihn.</p> - -<p>Sie singen so wunderbare Lieder, wie man -sie auf dem Lande niemals gehört hat ... ent<span class="pagenum"><a name="Page_189" id="Page_189">[Pg 189]</a></span>gegnete -lachend der Mann, der in die Blindage -gekommen war.</p> - -<p>Ah, Waßin hat die Bomben nicht gern, sagte -einer aus der Aristokratenecke, – ach, er hat sie -nicht gern!</p> - -<p>Wie so? Wenn es sein muß, ist es eine ganz -andere Sache, entgegnete langsam Waßin, bei dessen -Worten alle übrigen zu schweigen pflegten. Am -24. haben wir ordentlich im Feuer gestanden, da -ging's nicht anders; aber weshalb soll man es -zwecklos thun? ... Man wird unnütz totgeschossen, -und die Vorgesetzten sagen einem nicht einmal -dank' schön dafür.</p> - -<p>Bei diesen Worten Waßins lachten alle.</p> - -<p>Mjelnikow sitzt vielleicht noch draußen, sagte -jemand.</p> - -<p>Schicken Sie ihn hierher, den Mjelnikow, fügte -der alte Feuerwerker hinzu, er wird sonst wirklich -zwecklos totgeschossen.</p> - -<p>Wer ist dieser Mjelnikow? fragte Wolodja.</p> - -<p>Wir haben hier einen einfältigen Soldaten, -Euer Wohlgeboren. Er fürchtet sich vor nichts -in der Welt und geht jetzt immer draußen umher. -Belieben Sie, ihn sich anzusehen: der Kerl sieht -wie ein Bär aus.</p> - -<p>Er kann besprechen, sagte Waßins träge -Stimme.</p> - -<p>Mjelnikow trat in die Blindage. Er war ein -dicker Mann (eine außerordentliche Seltenheit bei<span class="pagenum"><a name="Page_190" id="Page_190">[Pg 190]</a></span> -Soldaten) mit rotem Haar und Gesicht, ungemein -vorstehender Stirn und hervortretenden hellblauen -Augen.</p> - -<p>Wie, fürchtest du dich vor den Bomben? fragte -ihn Wolodja.</p> - -<p>Weshalb soll ich mich vor den Bomben fürchten? -antwortete Mjelnikow, indem er einen krummen -Rücken machte und sich kratzte; durch eine Bombe -sterbe ich nicht, das weiß ich.</p> - -<p>So möchtest du hier wohnen?</p> - -<p>Gewiß, ich möchte schon. Hier ist's heiter! -entgegnete er, indem er plötzlich in Lachen ausbrach.</p> - -<p>O, da muß man dich zu einem Ausfall mitnehmen. -Wenn du willst, sage ich es dem General, -sagte Wolodja, obgleich er hier nicht einen -General kannte.</p> - -<p>Warum soll ich's nicht wollen, – ich will's.</p> - -<p>Und Mjelnikow verbarg sich hinter den anderen.</p> - -<p>Laßt uns »Nase« spielen, Kinder! Wer hat -Karten? ließ sich seine hastige Stimme vernehmen.</p> - -<p>Wirklich begann bald in der hintern Ecke das -Spiel, – man hörte die Schläge auf die Nase, -Lachen und Trumpfen. Wolodja goß sich Thee -aus dem Ssamowar ein, den ihm der Trommler -aufgestellt hatte, lud die Feuerwerker ein, scherzte -und sprach mit ihnen; er hatte den Wunsch, sich -populär zu machen und war sehr befriedigt von -der Achtung, die ihm entgegengebracht wurde. Als<span class="pagenum"><a name="Page_191" id="Page_191">[Pg 191]</a></span> -die Soldaten bemerkten, daß er ein leutseliger -Herr war, fingen auch sie an, gesprächig zu -werden.</p> - -<p>Einer erzählte, die Belagerung Sewastopols -werde bald ein Ende haben, denn ein zuverlässiger -Mann von der Marine habe erzählt, wie Konstantin, -der Bruder des Zaren, mit der amerikanischen -Flotte uns zu Hilfe komme, ferner, daß -bald ein Vertrag kommen würde, zwei Wochen -lang nicht zu feuern und Ruhe zu halten, wenn -aber einer feuern sollte, müßte er für jeden Schuß -75 Kopeken zahlen.</p> - -<p>Waßin war, wie Wolodja Gelegenheit hatte -zu sehen, ein kleiner, bärtiger Mann mit großen, -gutmütigen Augen, er erzählte, erst unter allgemeinem -Schweigen, dann unter Gelächter, wie sie -sich, als er auf Urlaub nach Hause kam, anfangs -mit ihm gefreut hätten, wie ihn der Vater dann -auf Arbeit geschickt und der Forstmeister ihm seinen -Wagen gestellt hätte, um seine Frau abzuholen.</p> - -<p>Alles das vergnügte Wolodja außerordentlich. -Er fühlte nicht nur nicht die mindeste Furcht oder -Unbehaglichkeit vor der Enge und dem auf die -Brust fallenden Geruch in der Blindage, es war -ihm sogar außerordentlich heiter und angenehm -zu Mut.</p> - -<p>Viele Soldaten schnarchten schon. Wlang hatte -sich ebenfalls auf dem Boden ausgestreckt, und<span class="pagenum"><a name="Page_192" id="Page_192">[Pg 192]</a></span> -der alte Feuerwerker murmelte, nachdem er seinen -Mantel ausgebreitet und sich bekreuzigt hatte, vor -dem Einschlafen Gebete, als Wolodja auf einmal -den Wunsch empfand, aus der Blindage zu gehen, -um zu sehen, was draußen vorging.</p> - -<p>Zieh' die Füße weg! schrieen, kaum daß er -aufgestanden war, die Soldaten einander zu; sie -zogen die Füße an sich und ließen ihm den -Weg frei.</p> - -<p>Wlang, der sich schlafend gestellt, erhob plötzlich -den Kopf und faßte Wolodja an den Schößen -des Mantels.</p> - -<p>Lassen Sie das, gehen Sie nicht, – wie kann -man nur! sagte er in weinerlichem, überredendem -Tone. Sie kennen das noch nicht. Dort schlagen -unaufhörlich die Kugeln ein. Bleiben Sie lieber -hier.</p> - -<p>Aber ohne Wlangs Bitten zu beachten, drängte -sich Wolodja aus der Blindage und setzte sich auf -die Schwelle, auf der Mjelnikow saß.</p> - -<p>Die Luft war rein und frisch, besonders nach -der Luft in der Blindage; die Nacht war hell -und ruhig. Nach dem Getöse der Schüsse hörte -man das Geräusch der Fuhrwerke, die Schanzkörbe -herbeibrachten, und das Geplauder der Leute, -die an einem Pulverkeller arbeiteten. Droben -wölbte sich der hohe, gestirnte Himmel, an dem -die feurigen Streifen der Bomben ununterbrochen -dahinflogen. Links führte eine kleine, eine Elle<span class="pagenum"><a name="Page_193" id="Page_193">[Pg 193]</a></span> -hohe Öffnung in eine andere Blindage, in dem die -Füße und Rücken der dort wohnenden Matrosen -sichtbar und ihre Stimmen hörbar waren; vor sich -sah Wolodja die Erhöhung eines Pulverkellers, -neben dem die Gestalten gebückter Leute auftauchten, -und auf dem, gerade in die Höhe, unter -den Gewehrkugeln und Bomben, die unaufhörlich -an diesem Platze pfiffen, eine hohe Gestalt in -einem schwarzen Überrock stand, die Hände in den -Taschen und mit den Füßen die Erde festtretend, -die andere Leute in Säcken dorthin trugen. Bomben -kamen häufig dorthin geflogen und platzten -ganz nahe bei dem Keller. Die Soldaten, die -die Erde schleppten, beugten sich nieder und wichen -zur Seite; die schwarze Gestalt bewegte sich nicht -fort, trat ruhig mit den Füßen die Erde fest und -blieb immer in derselben Stellung an Ort und -Stelle.</p> - -<p>Wer ist dieser Schwarze? fragte Wolodja -Mjelnikow.</p> - -<p>Ich weiß es nicht; ich werde hingehen, nachsehen.</p> - -<p>Geh nicht! Es ist nicht nötig.</p> - -<p>Mjelnikow aber hörte nicht und stand auf, -ging an die schwarze Gestalt heran und stand -sehr lange, ebenso gleichmütig und unbeweglich -neben ihr.</p> - -<p>Das ist der Kellermeister, Euer Wohlgeboren! -sagte er, zurückgekehrt, eine Bombe hat den Pul<span class="pagenum"><a name="Page_194" id="Page_194">[Pg 194]</a></span>verkeller -beschädigt, darum tragen Infanteristen -Erde dorthin.</p> - -<p>Bisweilen flogen, wie es schien, Bomben direkt -nach der Thür der Blindage. Da drückte sich -Wolodja in eine Ecke und kam von neuem hervor, -um in die Höhe zu sehen, ob nicht noch eine -geflogen käme.</p> - -<p>Obwohl Wlang einigemal aus der Blindage heraus -Wolodja bat, zurückzukehren, saß dieser doch an -drei Stunden auf der Schwelle, er fand ein gewisses -Vergnügen daran, das Geschick zu versuchen -und den Flug der Bomben zu beobachten. Gegen -Ende des Abends wußte er bereits, woher so viele -Geschütze feuerten und wo ihre Geschosse sich niedersenkten.</p> - - -<h4> -<img src="images/illu-198.jpg" width="300" height="54" alt="XXII" /> -<span class="hidden">XXII</span> -</h4> - -<p>Am andern Tage, dem 27. August, ging Wolodja, -nach einem zehnstündigen Schlaf, frisch und -munter frühmorgens über die Schwelle der Blindage. -Wlang war mit ihm zusammen hinausgekrochen, -aber beim ersten Kanonenschusse stürzte -er spornstreichs, indem er sich mit dem Kopf den -Weg bahnte, nach der Öffnung der Blindage zurück, -unter dem allgemeinen Gelächter der zum -größten Teil ebenfalls an die Luft gekommenen -Soldaten. Nur Wlang, der alte Feuerwerker und -einige andere gingen selten in den Laufgraben<span class="pagenum"><a name="Page_195" id="Page_195">[Pg 195]</a></span> -hinaus, die übrigen aber ließen sich nicht abhalten: -sie traten alle aus der übelriechenden Blindage -an die frische Morgenluft, lagerten sich, trotzdem -das Bombardement ebenso heftig war wie tags zuvor, -teils an der Schwelle, teils unter der Brustwehr. -Mjelnikow ging bereits seit der Morgendämmerung -auf den Batterien spazieren, indem er gleichgültig -in die Luft sah.</p> - -<p>An der Schwelle saßen zwei alte Soldaten -und ein junger, kraushaariger, jüdischer Soldat, -der von der Infanterie abkommandiert war. Dieser -Soldat hatte eine der herumliegenden Gewehrkugeln -aufgehoben, sie mit einem Sprengstück an -einem Steine plattgeschlagen und schnitt nun aus ihr -mit einem Messer ein Kreuz in der Art des Georgskreuzes; -die andern sahen plaudernd seiner Arbeit -zu. Wirklich kam ein sehr hübsches Kreuz heraus.</p> - -<p>Wenn wir hier noch einige Zeit stehen, sagte -der eine von ihnen, wird man dann uns allen -nach dem Friedensschlusse den Abschied geben?</p> - -<p>Wo denkst du hin! ich hatte im ganzen vier -Jahre bis zu meiner Verabschiedung zu dienen, -und stehe jetzt fünf Monate in Sewastopol.</p> - -<p>Wir werden also nicht den Abschied erhalten? -fragte ein anderer.</p> - -<p>Da pfiff eine Kanonenkugel über den Köpfen -der Sprechenden und schlug eine Elle weit von -Mjelnikow ein, der im Laufgraben auf sie zukam.</p> - -<p>Sie hätte bald Mjelnikow getötet! rief der eine.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_196" id="Page_196">[Pg 196]</a></span></p> - -<p>Mich tötet sie nicht, antwortete Mjelnikow.</p> - -<p>Da hast du das Kreuz für deine Tapferkeit! -sagte der junge Soldat, der das Kreuz gemacht -hatte, und gab es Mjelnikow.</p> - -<p>Nein, Brüderchen, der Monat wird für ein -ganzes Jahr gerechnet, so ist's befohlen, ging das -Gespräch fort.</p> - -<p>In jedem Falle wird nach dem Friedensschlusse -eine Kaiserparade in Warschau abgehalten, und -werden wir nicht verabschiedet, so werden wir doch -auf unbestimmte Zeit beurlaubt.</p> - -<p>Da flog eine Gewehrkugel mit Zischen über -die Köpfe der Sprechenden hin und schlug an -einen Stein an.</p> - -<p>Seht, noch vor Abend kann's mit einem »aus« -sein, Soldaten.</p> - -<p>Alle lachten. Und nicht erst vor Abend, sondern -schon nach zwei Stunden war es mit zweien von -ihnen »aus« und fünf waren verwundet; aber die -übrigen scherzten wie früher.</p> - -<p>Wirklich waren am Morgen die beiden Mörser -wieder soweit ausgebessert, daß aus ihnen geschossen -werden konnte. Gegen zehn Uhr rief Wolodja, -auf Befehl des Kommandeurs der Bastion, sein -Kommando zusammen und begab sich mit ihm -nach der Batterie.</p> - -<p>An den Leuten war auch nicht eine Spur des -Furchtgefühls zu entdecken, das sich tags zuvor -gezeigt hatte, sobald sie an die Arbeit gingen.<span class="pagenum"><a name="Page_197" id="Page_197">[Pg 197]</a></span> -Nur Wlang konnte sich nicht überwinden: er versteckte -und bückte sich noch immer, ja, auch Waßin -hatte ein wenig seine Ruhe verloren, er war unruhig -und duckte sich fortwährend nieder. Wolodja -war in außerordentlicher Begeisterung: nicht der -geringste Gedanke an Gefahr beunruhigte ihn. Die -Freude, daß er seine Pflicht erfülle, daß er nicht -nur nicht feig, sondern sogar tapfer sei, das Gefühl -des Kommandierens und die Gegenwart von -zwanzig Mann, die, wie er wußte, mit Neugierde -auf ihn sahen, machten aus ihm einen vollkommen -mutigen Menschen. Er prahlte sogar mit seiner -Tapferkeit, kletterte auf die Brustwehrbank hinaus -und knöpfte absichtlich den Mantel auf, um -besser bemerkbar zu sein. Der Kommandeur der -Bastion, der zu dieser Zeit seine Wirtschaft, wie -er es nannte, musterte, konnte, wie sehr er auch -im Verlauf von acht Monaten daran gewöhnt war, -alle Arten von Tapferkeit zu sehen, nicht umhin, -mit Wohlgefallen diesen hübschen jungen Menschen -zu betrachten, mit dem aufgeknöpften Mantel, -unter dem ein, einen weißen zarten Hals umschließendes, -rotes Hemd sichtbar war, wie er mit flammendem -Gesicht und Augen in die Hände klatschte -und mit tönender Stimme kommandierte: »das -erste, das zweite!« und heiter auf die Brustwehr -lief, um zu sehen, wohin seine Bomben gefallen -waren. Um halb zwölf hörte das Schießen auf -beiden Seiten auf, und punkt zwölf Uhr begann<span class="pagenum"><a name="Page_198" id="Page_198">[Pg 198]</a></span> -der Sturm auf den Malachow-Hügel – die zweite, -dritte und fünfte Bastion.</p> - - -<h4> -<img src="images/illu-202.jpg" width="300" height="52" alt="XXIII" /> -<span class="hidden">XXIII</span> -</h4> - -<p>Diesseit der Bucht, zwischen Inkermann und -den Befestigungen der Nordseite, auf dem Telegraphenhügel, -standen um die Mittagszeit zwei -Seeleute: ein Offizier, der durch ein Fernrohr -nach Sewastopol hinübersah, und ein zweiter, der -soeben zu Pferde mit einem Kosaken zu der hohen -Signalstange gekommen war.</p> - -<p>Die Sonne stand hell und hoch über der Bucht, -die im heitern und warmen Glanz mit den Böten -und den Schiffen und ihren bewegten Segeln -spielte. Ein schwacher Wind trieb leicht die -Blätter der vertrockneten Eichensträucher um den -Telegraphen, blähte die Segel der Böte und erregte -die Wellen des Meeres. Sewastopol, noch -immer dasselbe, mit seiner unvollendeten Kirche, -seiner Säule, seinem Hafendamm, dem grünen -Boulevard auf der Höhe, dem schönen Bau der -Bibliothek, mit seinen kleinen, azurblauen, von -Masten angefüllten Buchten, den malerischen Bögen -der Wasserleitung und mit den Wolken blauen -Pulverdampfes, bisweilen von der roten Flamme -der Schüsse beleuchtet – noch immer schön, feiertäglich, -stolz, umgeben auf der einen Seite von -gelben, rauchenden Bergen, auf der andern von<span class="pagenum"><a name="Page_199" id="Page_199">[Pg 199]</a></span> -dem hellblauen, in der Sonne schillernden Meer -– Sewastopol war jenseits der Bucht sichtbar. -Wo das Meer dem Gesichtskreis entschwand, war -ein Streifen dichten Rauches sichtbar, den ein -Dampfer verursachte; zogen langgestreckte weiße -Wolken hin, die Wind ankündigten. Auf der -ganzen Linie der Befestigungen, besonders auf den -Höhen der linken Seite, bildeten sich unaufhörlich, -unter Blitzen, die bisweilen sogar in der Mittagssonne -leuchteten, dichte, zusammengeballte, weiße -Rauchmassen, die sich ausbreiteten, in mannigfachen -Formen in die Höhe stiegen und sich am Himmel -dunkler färbten. Diese Rauchwolken zeigten sich -bald hier, bald dort, auf den Höhen, in den feindlichen -Batterien, in der Stadt und hoch oben am -Himmel. Die Explosionen verstummten nicht und -erschütterten, ineinander fließend, die Luft. ...</p> - -<p>Um zwölf Uhr begannen die Rauchwolken sich -seltener zu zeigen, die Luft wurde weniger von -Getöse erschüttert.</p> - -<p>Aber die zweite Bastion antwortet gar nicht -mehr, rief der zu Pferde sitzende Husarenoffizier, -sie ist ganz zusammengeschossen. ... Schrecklich.</p> - -<p>Ja, auch der Malachow schickt ihnen auf drei -Schüsse nur einen zur Antwort, entgegnete der -mit dem Fernrohr. Das macht mich rasend, daß -er schweigt. Der Feind trifft ganz direkt in die -Kornilow-Batterie, und man antwortet ihm nicht.</p> - -<p>Aber sieh, um zwölf Uhr hört er immer mit<span class="pagenum"><a name="Page_200" id="Page_200">[Pg 200]</a></span> -dem Bombardement auf, wie ich gesagt habe. So -ist's auch heute. Gehen wir lieber frühstücken, – -man erwartet uns jetzt schon. ... Es ist nichts zu -sehen.</p> - -<p>Wart', stör' mich nicht! antwortete der mit -dem Fernrohr, indem er mit besonderer Gespanntheit -nach Sewastopol hinübersah.</p> - -<p>Was ist da, was?</p> - -<p>Bewegung in den Laufgräben. Dichte Kolonnen -rücken vor.</p> - -<p>Das sieht man auch so. Sie rücken in Kolonnen -an.</p> - -<p>Wir müssen das Signal geben. ...</p> - -<p>Sieh, sieh! sie sind aus den Laufgräben herausgekommen!</p> - -<p>In der That konnte man mit bloßem Auge -sehen, wie sich dunkle Flecken bergab von den -französischen Batterien durch das Thal nach den -Bastionen bewegten. Vor diesen Flecken sah man -dunkle Streifen schon in der Nähe unserer Gefechtslinie. -Auf den Bastionen flammten an verschiedenen -Stellen, wie vorübergehend, weiße Rauchwolken -von Schüssen auf. Der Wind trug die -Töne des beiderseitigen Gewehrfeuers, das so häufig -war, wie wenn Hagel an die Fenster schlägt, -hinüber. Die schwarzen Streifen bewegten sich -in dichtem Rauch immer näher und näher. Die -immer stärker werdenden Töne des Gewehrfeuers -schmolzen in ein ununterbrochenes, rollendes Kra<span class="pagenum"><a name="Page_201" id="Page_201">[Pg 201]</a></span>chen -zusammen. Der immer häufiger emporsteigende -Rauch verbreitete sich schnell über die -ganze Linie und verschmolz endlich in eine dunkelblaue -Wolke, die auf- und abwogte, und durch -die Feuer und schwarze Punkte hindurchschimmerten; -alle Töne vereinigten sich zu einem einzigen -rollenden Donner.</p> - -<p>Sturm! sagte der Offizier und gab mit -bleichem Gesicht dem Seemann das Fernrohr -zurück.</p> - -<p>Kosaken sprengten den Weg entlang; der -Höchstkommandierende kam in einer Kalesche vorbeigefahren, -die Offiziere seines Gefolges begleiteten -ihn zu Pferde. Auf allen Gesichtern lag -sorgenvolle Unruhe und Erwartung.</p> - -<p>Es ist unmöglich, daß sie ihn genommen haben! -sagte der Offizier zu Pferde.</p> - -<p>Bei Gott, die Fahne! ... Sieh, sieh! entgegnete -der andere, indem er seufzte und vom -Fernrohr fortging: die französische Fahne weht -auf dem Malachow.</p> - -<p>Es ist unmöglich!</p> - - -<h4> -<img src="images/illu-205.jpg" width="300" height="52" alt="XXIV" /> -<span class="hidden">XXIV</span> -</h4> - -<p>Der ältere Koselzow, der in der Nacht noch -tüchtig gespielt und erst gewonnen, dann wieder -alles verloren hatte, sogar die in den Ärmel eingenähten -Goldstücke, schlief noch am Morgen einen<span class="pagenum"><a name="Page_202" id="Page_202">[Pg 202]</a></span> -ungesunden, schweren, aber festen Schlaf in der -Verteidigungskaserne der fünften Bastion, als von -verschiedenen Stimmen wiederholt der verhängnisvolle -Schrei ertönte:</p> - -<p>Alarm!</p> - -<p>Was schlafen Sie, Michajlo Ssemjonytsch! -Sturm! schrie ihm plötzlich eine Stimme zu.</p> - -<p>Gewiß ein Schulbube ... murmelte er, die -Augen öffnend, er glaubte es nicht.</p> - -<p>Plötzlich aber sah er einen Offizier ohne jeden -ersichtlichen Zweck mit einem so bleichen Gesicht -aus einer Ecke nach der andern laufen, daß er -alles begriff. Der Gedanke, daß man ihn für -einen Feigling halten könnte, der in so kritischer -Stunde nicht zur Kompagnie gehen wolle, machte -ihn ganz bestürzt. Er lief aus Leibeskräften zur -Kompagnie. Das Geschützfeuer hatte aufgehört, -das Gewehrgeknatter dagegen seinen Höhepunkt -erreicht. Die Kugeln pfiffen nicht einzeln, wie -aus Stutzen, sondern flogen, wie Scharen von -Herbstvögeln, in Schwärmen über die Köpfe. Der -ganze Platz, auf dem gestern sein Bataillon gestanden, -war in Rauch gehüllt. Wirres Schreien -und Rufen ließ sich hören. Verwundete und nicht -verwundete Soldaten begegneten ihm in Scharen. -Dreißig Schritte weiter sah er seine Kompagnie, -die sich an eine Wand gestellt hatte.</p> - -<p>Sie haben die Schwarz-Redoute genommen, -rief ein junger Offizier. Alles ist verloren!</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_203" id="Page_203">[Pg 203]</a></span></p> - -<p>Unsinn! sagte er zornig, faßte seinen kleinen, -eisernen, stumpfen Säbel und schrie:</p> - -<p>Vorwärts, Kinder! Urra–a!</p> - -<p>Die Stimme war klangvoll und kräftig, und -regte Koselzow selber an. Er stürzte vorwärts -den Querwall entlang; fünfzig Mann Soldaten -eilten mit Geschrei hinter ihm her. Er lief hinter -dem Querwall hervor auf einen offenen Platz. -Die Kugeln flogen hageldicht.</p> - -<p>Zwei trafen ihn, aber wo und was sie ihm -gethan, ob sie ihn gestreift oder verwundet, hatte -er keine Zeit zu untersuchen. Vor ihm im Pulverdampf -waren bereits blaue Waffenröcke und rote -Hosen zu sehen und Geschrei zu hören, das nicht -russisch war; ein Franzose stand auf der Brustwehr, -schwenkte den Degen und schrie. Koselzow -war überzeugt, daß er fallen werde: das verlieh -ihm Tapferkeit. Er lief immer vorwärts und -vorwärts. Einige Soldaten überholten ihn; andere -zeigten sich von der Seite her und liefen ebenfalls -mit. Die blauen Uniformen blieben in derselben -Entfernung, indem sie vor ihm nach ihren -Laufgräben zurückliefen; aber seine Füße stießen -an Verwundete und Tote.</p> - -<p>Als Koselzow bereits den Außengraben laufend -erreicht hatte, wurde es ihm schwarz vor den Augen, -und er fühlte einen Schmerz in der Brust.</p> - -<p>Eine halbe Stunde darauf lag er auf einer -Tragbahre bei der Nikolajew-Kaserne und wußte,<span class="pagenum"><a name="Page_204" id="Page_204">[Pg 204]</a></span> -daß er verwundet war, fühlte aber fast keinen -Schmerz; er wollte nur etwas Kaltes trinken und -ruhig liegen.</p> - -<p>Ein kleiner dicker Doktor mit schwarzem Vollbart -kam zu ihm und knöpfte ihm den Mantel auf. -Koselzow sah über das Kinn auf das, was der -Doktor mit seiner Wunde machte, und auf das -Gesicht des Doktors, empfand aber keinen Schmerz. -Der Doktor bedeckte die Wunde mit dem Hemd, -wischte sich die Finger an den Schößen seines -Überrocks ab und ging schweigend, ohne den Verwundeten -anzusehen, zu einem andern. Koselzow -verfolgte unbewußt mit den Augen, was um ihn -vorging, und da er sich erinnerte, was auf der -fünften Bastion geschehen war, dachte er mit einem -ungemein tröstenden Gefühl daran, wie er seine -Pflicht brav erfüllt, wie er zum erstenmal während -seiner ganzen Dienstzeit sich so gut als möglich -benommen, und ihm niemand einen Vorwurf -machen könne. Der Doktor, der einen andern -verwundeten Offizier verband, sagte, auf Koselzow -zeigend, etwas zu einem Geistlichen mit einem -großen roten Barte, der mit einem Kreuze in -der Hand dastand.</p> - -<p>Werde ich sterben? fragte Koselzow den Geistlichen, -als dieser zu ihm herangekommen war.</p> - -<p>Der Geistliche sprach, ohne zu antworten, ein -Gebet und reichte dem Verwundeten das Kreuz -zum Kuß.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_205" id="Page_205">[Pg 205]</a></span></p> - -<p>Der Tod erschreckte Koselzow nicht. Er nahm -mit schwachen Händen das Kreuz, drückte es an -seine Lippen und begann zu weinen.</p> - -<p>Sind die Franzosen zurückgeworfen? fragte er -mit fester Stimme den Geistlichen.</p> - -<p>Der Sieg ist überall den Unsrigen geblieben, -antwortete der Geistliche, um den Verwundeten -zu trösten. Er verbarg ihm, daß auf dem Malachow-Hügel -bereits die französische Fahne wehte.</p> - -<p>Gott sei gelobt! rief der Verwundete und fühlte -nicht, wie ihm die Thränen über die Wangen -rannen.</p> - -<p>Der Gedanke an den Bruder blitzte einen -Augenblick in seinem Kopfe auf. »Gott gebe ihm -ein ebensolches Glück!« dachte er.</p> - - -<h4> -<img src="images/illu-209.jpg" width="300" height="52" alt="XXV" /> -<span class="hidden">XXV</span> -</h4> - -<p>Aber ein solches Geschick erwartete Wolodja -nicht. Er lauschte gerade einem Märchen, das -ihm Waßin erzählte, als man plötzlich schrie: »Die -Franzosen kommen!« Das Blut strömte ihm -augenblicklich nach dem Herzen, er fühlte, wie seine -Wangen kalt und bleich wurden. Eine Sekunde -blieb er unbeweglich; als er sich aber umsah, beobachtete -er, wie die Soldaten ziemlich ruhig ihre -Mäntel zuknöpften und einer nach dem andern -herauskrochen, – der eine, wie es schien, war es -Mjelnikow, sagte sogar scherzend:</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_206" id="Page_206">[Pg 206]</a></span></p> - -<p>Bringt ihm Salz und Brot entgegen, Kinder!</p> - -<p>Wolodja kroch mit Wlang, der keinen Schritt -von ihm wich, aus der Blindage heraus und lief -zur Batterie. Das Artilleriefeuer war weder diesseits -noch jenseits zu hören. Nicht so sehr das -ruhige Aussehen der Soldaten, als vielmehr die -klägliche, unverhohlene Feigheit des Junkers ermutigte -ihn. »Darf ich denn wie dieser sein?« -dachte er und lief frohen Muts zur Brustwehr, -an der seine Mörser standen. Er konnte deutlich -erkennen, wie die Franzosen über einen freien Platz -gerade auf ihn zuliefen, und wie sich ihre Scharen, -mit den in der Sonne blitzenden Bajonetten, in -den nächsten Laufgräben bewegten. Ein kleiner -breitschultriger Mann in Zuavenuniform, mit einem -Degen, lief voran und sprang über die Gruben.</p> - -<p>Mit Kartätschen schießen! schrie Wolodja und -stieg eilig von der Brustwehrbank herab; aber -die Soldaten waren ihm zuvorgekommen, und der -metallene Ton einer abgeschossenen Kartätsche pfiff -über seinen Kopf hin, zuerst aus einem, dann aus -einem zweiten Mörser. »Das erste! das zweite!« -kommandierte Wolodja, indem er die Linie entlang -von einem Mörser zum andern lief und vollständig -die Gefahr vergaß. Von der Seite her -ließ sich das nahe Gewehrfeuer unserer Bedeckungsmannschaft -und unruhiges Geschrei hören.</p> - -<p>Plötzlich ertönte links, von einigen Stimmen -wiederholt, ein erschütternder Schrei der Verzweif<span class="pagenum"><a name="Page_207" id="Page_207">[Pg 207]</a></span>lung: -»Wir sind umzingelt, umzingelt!« Wolodja -sah sich auf den Schrei um. Zwanzig Mann -Franzosen zeigten sich im Rücken. Einer von ihnen, -ein hübscher Mann mit schwarzem Bart, war allen -voran bis auf zehn Schritt an die Batterie herangekommen, -hier blieb er stehen, feuerte direkt auf -Wolodja und lief dann wieder auf ihn zu. Eine -Sekunde stand Wolodja wie versteinert da und -glaubte seinen Augen nicht. Als er wieder zu sich -kam und sich umsah, befanden sich vor ihm auf -der Brustwehr bereits blaue Uniformen; zehn -Schritte von ihm vernagelten sogar zwei Franzosen -eine Kanone. In seiner Nähe war außer -Mjelnikow, der neben ihm von einer Gewehrkugel -gefallen, und Wlang, der einen Geschützhebel -erfaßt und mit wütendem Gesichtsausdruck -und gesenkten Augen vorwärts stürzte, niemand -mehr. »Mir nach, Wladimir Ssemjonytsch, mir -nach!« schrie die verzweifelte Stimme Wlangs, -der mit dem Hebel gegen die Franzosen ausholte, -die von hinten gekommen waren. Des Junkers -wütende Gestalt machte ihn stutzig. Einem der -vordersten schlug er über den Kopf, und die anderen -blieben unwillkürlich stehen. Wlang, der -sich immer noch umsah und schrie: »Mir nach, -Wladimir Ssemjonytsch! Was bleiben Sie stehen! -Fliehen Sie!« – lief zum Laufgraben, in dem -unsere Infanterie lag und auf die Franzosen schoß. -Er sprang in den Laufgraben, dann streckte er<span class="pagenum"><a name="Page_208" id="Page_208">[Pg 208]</a></span> -den Kopf wieder hervor, um zu sehen, was sein -vergötterter Fähnrich mache.</p> - -<p>Auf dem Platze, wo Wolodja gestanden hatte, -lag, mit dem Gesicht zur Erde, etwas im Mantel, -und dieser ganze Platz war voll von Franzosen, -die auf die Unsrigen schossen.</p> - - -<h4> -<img src="images/illu-212.jpg" width="300" height="54" alt="XXVI" /> -<span class="hidden">XXVI</span> -</h4> - -<p>Wlang fand seine Batterie in der zweiten Verteidigungslinie. -Von den zwanzig Soldaten, die -bei der Mörserbatterie gewesen, hatten sich nur -acht gerettet.</p> - -<p>In der neunten Abendstunde setzte Wlang mit -der Batterie auf einem mit Soldaten, Kanonen, -Pferden und Verwundeten angefüllten Dampfer -nach der Nordseite über. Die Schüsse hatten überall -aufgehört. Die Sterne glänzten, wie in der -vergangenen Nacht, hell am Himmel; aber ein -heftiger Wind peitschte das Meer. Auf der ersten -und zweiten Bastion flammten längs der Erde -Blitze auf; Explosionen erschütterten die Luft und -erhellten ringsumher schwarze, seltsame Gegenstände -und in die Luft fliegende Steine. In der -Nähe der Docks war ein Brand, und die rote -Flamme spiegelte sich im Wasser. Die von Menschen -überfüllte Brücke war durch ein auf der -Nikolaj-Batterie brennendes Feuer erleuchtet. Die -große Flamme schien über dem Wasser auf der<span class="pagenum"><a name="Page_209" id="Page_209">[Pg 209]</a></span> -fernen Landzunge der Alexander-Batterie zu stehen -und erhellte den unteren Teil einer Rauchwolke, -die über ihr lag, und wie gestern schimmerten -die ruhigen, herausfordernden, fernen Lichter im -Meer auf der feindlichen Flotte. Eine frische Brise -bewegte die Bucht. Bei dem Scheine der Brände -waren die Masten unserer immer tiefer und tiefer -ins Wasser versenkten Schiffe sichtbar. Gespräch -ließ sich auf dem Verdeck nicht hören; nur hörte -man durch das gleichmäßige Geräusch der zerteilten -Wellen und des Dampfes auf der Fähre -die Pferde schnauben und mit den Füßen stampfen, -die Kommandoworte des Kapitäns und das -Stöhnen der Verwundeten. Wlang, der den -ganzen Tag nichts gegessen hatte, holte sich ein -Stück Brot aus der Tasche und begann es zu -kauen; plötzlich aber erinnerte er sich Wolodjas -und begann so laut zu weinen, daß die Soldaten -in seiner Nähe es hörten.</p> - -<p>Sieh, unser Wlanga ißt Brot und weint dabei! -sagte Waßin.</p> - -<p>'s ist wunderbar! entgegnete ein anderer.</p> - -<p>Sieh, auch unsere Kasernen haben sie angezündet -... fuhr er seufzend fort. Daran, daß -von unsereinem so viele dort gefallen, hat der -Franzose noch nicht genug!</p> - -<p>Mit knapper Not sind wir lebend von dort -fortgekommen, und dafür sei dem Herrn Dank! -sagte Waßin.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_210" id="Page_210">[Pg 210]</a></span></p> - -<p>Aber doch ist es kränkend ...</p> - -<p>Ach was, kränkend? Wird »er« denn dort -herumspazieren? Wo denkst du hin? ... Gieb' -acht, die Unsrigen werden ihm schon alles wieder -abnehmen. Wieviel von unsereinem auch dort zu -Grunde gegangen, aber, so wahr Gott heilig ist, -wenn der Kaiser befiehlt – wird's ihm abgenommen! -Werden's ihm denn die Unsrigen so -lassen? Gewiß nicht! ... Behalt dir nur die -nackten Wände, die Schanzen sind sämtlich in die -Luft gesprengt ... Auf dem Hügel hat er sein -Fähnchen aufgesteckt, aber in die Stadt wagt er -sich nicht.</p> - -<p>Wart' nur, mit dir wird schon noch abgerechnet -werden ... Laß uns nur Zeit! schloß er, zu den -Franzosen gewandt.</p> - -<p>Gewiß wird das geschehen! sagte der andere -mit Überzeugung.</p> - -<p>Auf der ganzen Linie der Sewastopoler -Bastionen, die viele Monate hindurch der Schauplatz -strotzenden, energischen Lebens gewesen war, -die so viele Monate hindurch mit angesehen hatten, -wie die Soldaten, einer nach dem andern, hinstarben, -die so viele Monate die Furcht, den Haß -und endlich das Entzücken der Feinde erregt hatten, -auf den Bastionen von Sewastopol war niemand -mehr zu sehen. Alles war tot, öde, schrecklich, -aber nicht still, – noch immer wurde das -Werk der Zerstörung fortgesetzt. Auf der durch<span class="pagenum"><a name="Page_211" id="Page_211">[Pg 211]</a></span> -frische Explosionen aufgerissenen und eingestürzten -Erde lagen überall zerbogene Lafetten auf russischen -und feindlichen Leichen, – schwere gußeiserne, -für immer verstummte Kanonen, die durch eine -fürchterliche Gewalt in Gruben geworfen und halb -mit Erde überschüttet waren, – Bomben, Kanonenkugeln, -wiederum Leichen, Gruben, Bruchstücke -von Balken aus den Blindagen, und wieder -stumme Leichen in grauen und blauen Mänteln. -Das alles zitterte noch häufig nach und wurde -durch die Purpurflamme der Explosion beleuchtet, -die fortgesetzt die Luft erschütterte.</p> - -<p>Die Feinde sahen, daß etwas Unbegreifliches -in dem schrecklichen Sewastopol geschehen war. -Diese Explosionen und das Schweigen des Todes -auf den Bastionen machten sie erzittern; sie wagten -aber unter dem Eindruck des kräftigen, mutigen -Widerstands des Tages noch nicht zu glauben, -daß ihr unerschütterlicher Feind verschwunden sei, -und erwarteten, ohne sich zu rühren, mit Beben -das Ende der finstern Nacht.</p> - -<p>Wie das Meer in stürmischer, finstrer Nacht -auf- und abschwillt und ängstlich erbebt in seiner -ganzen Fülle und am Ufer brandet, so bewegte -sich das Heer von Sewastopol langsam in undurchdringlicher -Finsternis über die Brücke auf der -Nordseite – fort von dem Ort, auf dem es so -viel tapfere Brüder gelassen, von dem Ort, der -von seinem Blute getränkt war, von dem Ort,<span class="pagenum"><a name="Page_212" id="Page_212">[Pg 212]</a></span> -den es elf Monate lang gegen einen doppelt stärkeren -Feind verteidigt und jetzt auf Befehl ohne -Kampf verlassen mußte.</p> - -<p>Unbegreiflich und schwer war für jeden Russen -der erste Eindruck dieses Befehls. Das zweite -Gefühl war die Furcht vor Verfolgung. Die Leute -fühlten sich widerstandsunfähig, sobald sie die Orte -verlassen hatten, an denen sie zu kämpfen gewohnt -waren, und drängten sich unruhig in der Finsternis -am Anfang der Brücke zusammen, die von einem -starken Wind hin- und hergeschaukelt wurde. Die -Infanterie staute sich, ihre Bajonette stießen aneinander, -die Regimenter, Wagen und Milizen -drängten sich zusammen; berittene Offiziere mit -Befehlen brachen sich Bahn; es weinten und baten -die Einwohner und Offiziersburschen, deren beladene -Wagen nicht durchgelassen wurden; mit -Rädergerassel arbeitete sich die Artillerie zur Bucht -durch, um so schnell als möglich davonzukommen. -Obgleich alle von den verschiedensten unwichtigen -Dingen in Anspruch genommen waren, war doch -das Gefühl der Selbsterhaltung und der Wunsch, -so schnell als möglich von diesem furchtbaren Orte -des Todes hinwegzukommen, in der Seele eines -jeden. Dieses Gefühl hatte der tödlich verwundete -Gemeine, der unter fünfhunderten solcher Verwundeter -auf dem Pflaster des Pauldammes lag -und Gott um seinen Tod bat, der Landwehrmann, -der sich mit äußerster Kraftanstrengung in die dichte<span class="pagenum"><a name="Page_213" id="Page_213">[Pg 213]</a></span> -Menge drängte, um dem vorüberreitenden General -den Weg freizumachen, der General, der standhaft -den Übergang leitete und gegen die Hast der Soldaten -ankämpfte, der Matrose, der in ein marschierendes -Bataillon geraten war und von der -wogenden Menge so zusammengepreßt wurde, daß -ihm der Atem verging, der verwundete Offizier, -den vier Gemeine auf einer Bahre trugen und -bei der Nikolai-Batterie niederließen, weil die gestaute -Menschenmasse ihnen den Weg verstellte, -der Artillerist, der sechzehn Jahre sein Geschütz -bedient hatte und der es auf den Befehl der Führung, -der ihm unverständlich war, mit Hilfe der -Kameraden den steilen Abhang der Bucht hinabgestürzt -hatte, die Seeleute, die eben das Wasser -in die Schiffe einließen und in ihren Barkassen -mit schnellem Ruderschlag davonfuhren. Fast jeder -Soldat, der an das jenseitige Ufer gelangt war, -nahm die Mütze ab und bekreuzte sich. Aber -diesem Gefühl folgte ein anderes, schweres, nagendes -und tieferes Gefühl: es war ein Gefühl der -Reue, der Scham und der Wut. Fast jeder Soldat, -der von der Nordseite aus nach dem verlassenen -Sewastopol hinüberblickte, seufzte mit unsagbarer -Trübsal im Herzen und drohte den Feinden.</p> - -<div class="figcenter"> -<img src="images/illu-217.jpg" width="300" height="51" alt="* * * * *" /> -</div> - - - - - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_214" id="Page_214">[Pg 214]</a></span></p> - -<div class="figcenter"> -<img src="images/218.jpg" width="383" height="700" alt="Kaukasische Erzählungen - Ein Ueberfall - Der Holzschlag - -Begegnung im Felde" /> -</div> - -<h2> -Kaukasische Erzählungen - Ein Ueberfall - Der Holzschlag - -Begegnung im Felde -</h2> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_215" id="Page_215">[Pg 215]</a></span></p> - - -<p>Vom Sommer 1851 bis zum Herbst 1853 war Leo -Tolstoj als Offizier im Kaukasus. Die neue Welt, -die ihn hier umgab, wirkte auf den Dichter mit solcher -Macht ein, daß auch die kurze Zeit seines Aufenthalts -ungemein reiche Früchte trug.</p> - -<p>Der Kaukasus lebte in der Vorstellung des gebildeten -Russen als ein fernes Paradies, in dem der seelenkranke -Westeuropäer Gesundung findet. Diese romantische -Vorstellung von den Gebirgsländern, die an der -Scheide Europas und Asiens liegen, hatten die Lyrik -Puschkins, die Erzählerkunst Lermontows und die Romanschilderungen -Marlinskijs erzeugt. Leo Tolstoj tritt -an die neue Welt, die sich ihm aufthut, mit unverschleiertem -Blick heran und entkleidet sie ihres erborgten -Reizes. Nicht geringer ist für ihn die Majestät der -Natur, nicht schwächer die Eindrücke, die der Mensch der -Unkultur und der unter ihrem Einflusse veränderte -russische Mann aus den niederen Schichten des Volks -auf ihn machen. Aber anders <em>geartet</em> ist alles. Es ist -der Unterschied des Wirklichkeitsbildes und der idealisierenden, -absichtsvollen Selbsttäuschung.</p> - -<p>Die Werke, die dieser Zeit ihre Anregung verdanken, -sind: »Ein Ueberfall«, »Der Holzschlag«, »Eine Begegnung -im Felde mit einem Moskauer Bekannten« und -»Die Kosaken«. Ich habe alle vier (in meiner Biographie -Leo Tolstojs) unter dem gemeinsamen Titel »<em>Kaukasische -Erzählungen</em>« zusammengefaßt. Nicht alle vier -sind im Kaukasus selbst niedergeschrieben: »Ein Ueberfall« -ist aus dem Jahre 1852, »Der Holzschlag« ist in den<span class="pagenum"><a name="Page_216" id="Page_216">[Pg 216]</a></span> -Jahren 1854/55 zu Papier gebracht, mitten unter den -Stürmen der Sewastopoler Kämpfe, »Eine Begegnung -im Felde« stammt aus dem Jahre 1856, und »Die Kosaken« -sind gar erst ein Jahrzehnt später (1861) zum -Abschluß gediehen und im Jahre 1863 veröffentlicht.</p> - -<p>Alle diese Erzählungen durchzieht als leitender Gedanke: -die Abneigung gegen die Kultur und <em>die</em> Gesellschaftsschicht, -die sich als ihre ausschließliche Eigentümerin -fühlt, und die Liebe zu dem schlichten Volk, das -unbewußt Tugenden bewahrt hat, die dem Gebildeten -fehlen. Hie und da bricht auch schon ernster die Verabscheuung -des Krieges hindurch, eine Idee, die später, -gestützt auf den Satz des Evangeliums: »daß ihr nicht -widerstreben sollt dem Uebel« zu einer der wichtigsten -Grundsätze Tolstojscher Weltanschauung geworden ist.</p> - -<p class="right"> -R. L. -</p> - -<div class="figcenter"> -<img src="images/illu-220.jpg" width="300" height="47" alt="* * * * *" /> -</div> - - - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_217" id="Page_217">[Pg 217]</a></span></p> - -<div class="figcenter"><img src="images/221.jpg" width="385" height="700" alt="Ein Ueberfall - Erzählung eines Freiwilligen" /></div> - -<h3 > - -Ein Ueberfall - Erzählung eines Freiwilligen -</h3> - - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_218" id="Page_218">[Pg 218]</a></span></p> - - -<h4>I</h4> - -<p>Es war am 12. Juli, Kapitän Chlopow trat -in Epauletten und Säbel – einer Uniform, -in der ich ihn seit meiner Ankunft im Kaukasus -noch nie gesehen hatte – durch die niedrige Thür -meiner Erdhütte ein.</p> - -<p>Ich komme direkt vom Obersten, antwortete er -auf den fragenden Blick, mit dem ich ihm entgegenkam. -Morgen rückt unser Bataillon aus.</p> - -<p>Wohin? fragte ich.</p> - -<p>Nach N. N., dort sollen sich die Truppen -sammeln.</p> - -<p>Und von da wird es gewiß einen Marsch geben.</p> - -<p>Wahrscheinlich.</p> - -<p>Wohin aber, was glauben Sie?</p> - -<p>Was ich glaube? Ich sage Ihnen, was ich -weiß. Gestern Nacht kam ein Tatar vom General -hergesprengt und brachte den Befehl, das Bataillon -solle ausrücken und für zwei Tage Zwieback mitnehmen; -wohin es geht, weshalb und wie lange, -danach, Freundchen, fragt man nicht; der Befehl -ist da, und das genügt.</p> - -<p>Wenn aber nur für zwei Tage Zwieback mit<span class="pagenum"><a name="Page_219" id="Page_219">[Pg 219]</a></span>genommen -werden soll, so werden wohl auch die -Mannschaften nicht länger unterwegs bleiben?</p> - -<p>Nun, das will noch gar nichts sagen ...</p> - -<p>Wie denn aber? fragte ich verwundert.</p> - -<p>Das ist einmal so! Wir marschierten nach -Dargi, für acht Tage nahmen wir Zwieback mit -und blieben fast einen Monat dort.</p> - -<p>Werde ich mit Ihnen mitgehen dürfen? fragte -ich nach einer kurzen Pause.</p> - -<p>Dürfen werden Sie schon, aber ich rate Ihnen, -gehen Sie lieber nicht mit. Warum sollen Sie -Ihr Leben aufs Spiel setzen? ...</p> - -<p>Nein, Sie müssen mir schon gestatten, Ihrem -Rate nicht zu folgen. Ich habe hier einen ganzen -Monat ausgehalten, um endlich die Gelegenheit -abzuwarten, ein Gefecht mit anzusehen, und nun -wollen Sie, daß ich sie vorübergehen lasse.</p> - -<p>Bitte, kommen Sie mit; aber, wahrhaftig, ist -es nicht gescheiter, Sie bleiben hier? Sie könnten -hier abwarten, bis wir wiederkommen, Sie könnten -jagen, und wir werden mit Gott ausrücken. Das -wäre prächtig! – sagte er in so überzeugendem -Tone, daß es mir im ersten Augenblick wirklich so -vorkam, als wäre das herrlich; dann sagte ich entschlossen, -daß ich um keinen Preis zurückbleibe.</p> - -<p>Und was wollen Sie denn dort sehen? fuhr -der Kapitän fort mir zuzureden. Sie möchten -gern wissen, wie es in einer Schlacht zugeht? Lesen -Sie Michajlowskij-Danilewskijs »Beschreibung des<span class="pagenum"><a name="Page_220" id="Page_220">[Pg 220]</a></span> -Kriegs«, ein wundervolles Buch! Da ist alles -ausführlich beschrieben: wo die einzelnen Korps -gestanden haben, wie die Schlachten vor sich -gehen.</p> - -<p>O nein, das interessiert mich nicht, antwortete -ich.</p> - -<p>Nun was denn: Sie wollen also, wie es scheint, -einfach mit ansehen, wie man Menschen totschlägt? -... Da war hier im Jahre 32 auch so ein Civilist, -ein Spanier war es, glaube ich. Zwei Feldzüge -hat er mit uns mitgemacht, in seinem blauen -Mäntelchen – schließlich haben sie den Burschen -abgemurkst. Hier, Väterchen, wird kein Mensch -dich viel bewundern ...</p> - -<p>So peinlich es mir auch war, daß der Kapitän -meine Absicht in so häßlichem Sinne auslegte, -gab ich mir doch keine Mühe, ihm eine andere -Überzeugung beizubringen.</p> - -<p>War er tapfer? fragte ich ihn.</p> - -<p>Das weiß Gott: er war immer in den ersten -Reihen; wo man Gewehrknattern hörte, sah -man ihn.</p> - -<p>Er muß also wohl tapfer gewesen sein, sagte ich.</p> - -<p>Nein, das nennt man nicht tapfer, wenn einer -überall herumrennt, wo man ihn nicht braucht ...</p> - -<p>Was nennen Sie also tapfer?</p> - -<p>Tapfer? ... Tapfer? wiederholte der Kapitän, -mit der Miene eines Menschen, dem eine solche -Frage zum erstenmal vorgelegt wird: <em>Tapfer</em> ist,<span class="pagenum"><a name="Page_221" id="Page_221">[Pg 221]</a></span> -<em>wer sich so benimmt, wie sich's gehört</em>, sagte -er nach einigem Nachdenken.</p> - -<p>Mir fiel ein, daß Plato die Tapferkeit definiert -als »die Kenntnis dessen, was man zu fürchten -hat und was man nicht zu fürchten hat«, und trotz -der Allgemeinheit und Unklarheit des Ausdrucks -in der Definition des Kapitäns, meinte ich, der -Grundgedanke beider sei gar nicht so schlecht, wie -es scheinen mochte, ja die Definition des Kapitäns -sei sogar richtiger, als die Definition des griechischen -Philosophen; denn hätte er sich so auszudrücken -verstanden, wie Plato, so würde er sicher -gesagt haben: Tapfer ist, wer nur das fürchtet, -<em>was man fürchten muß</em>, und nicht das, <em>was -man nicht zu fürchten braucht</em>.</p> - -<p>Ich hatte Lust, dem Kapitän meinen Gedanken -klarzumachen.</p> - -<p>Ja, sagte ich, in jeder Gefahr, glaube ich, haben -wir eine Wahl, und eine Wahl, die z. B. unter -dem Einfluß des Pflichtgefühls getroffen ist, ist -Tapferkeit, und eine Wahl, die unter dem Einfluß -eines niedrigen Gefühls getroffen ist, ist Feigheit; -darum kann man einen Menschen, der aus -Eitelkeit, aus Neugier oder aus Habsucht sein Leben -aufs Spiel setzt, nicht tapfer nennen, und umgekehrt -einen Menschen, der unter dem Einfluß -des ehrenwerten Gefühls von Familienpflicht oder -einfach der Überzeugung – einer Gefahr aus dem -Wege geht, nicht einen Feigling nennen.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_222" id="Page_222">[Pg 222]</a></span></p> - -<p>Der Kapitän sah mich, während ich sprach, -mit einem sonderbaren Blick an.</p> - -<p>Ja, das verstehe ich nicht mehr, sagte er und -stopfte dabei sein Pfeifchen; aber wir haben hier -einen Junker, der philosophiert euch gern. Mit -dem müssen Sie sprechen. Er macht auch Verse.</p> - -<p>Ich hatte den Kapitän erst im Kaukasus kennen -gelernt, aber gekannt hatte ich ihn schon in Rußland. -Seine Mutter, Maria Iwanowna Chlopowa, -war Besitzerin eines kleinen Gütchens, zwei -Werst von meiner Besitzung. Vor meiner Abreise -nach dem Kaukasus war ich bei ihr gewesen; die -Alte war sehr erfreut, daß ich ihren Paschenka (wie -sie den alten, grauen Kapitän nannte) aufsuchen -wollte und – ein lebendiger Brief – ihm von -ihrem Leben und Treiben erzählen und ein Päckchen -überbringen konnte. Sie hatte mir einen vorzüglichen -Pirogg und Spickgans vorgesetzt, dann -ging sie in ihr Schlafzimmer und kam von da mit -einem schwarzen, ziemlich großen Heiligenbilde zurück, -an dem ein Seidenbändchen befestigt war.</p> - -<p>Das ist das Bild unserer Mutter Gottes, der -Fürsprecherin, vom brennenden Dornbusch, sagte -sie, bekreuzte sich, küßte das Bild der Gottesmutter -und überreichte es mir: überbringen Sie ihm das, -Väterchen. Sehen Sie, als er nach dem Kaukasus -ging, habe ich eine Messe lesen lassen und ein Gelübde -gethan, wenn er gesund und unversehrt -bleibt, dieses Mutter-Gottesbild zu bestellen. Nun<span class="pagenum"><a name="Page_223" id="Page_223">[Pg 223]</a></span> -sind es schon achtzehn Jahre, daß die barmherzige -Fürsprecherin und die Heiligen ihn schützen; nicht -ein einziges Mal war er verwundet, und in wieviel -Schlachten ist er schon gewesen! ... Wie mir -Michajlo, der mit ihm war, zu erzählen anfing, -glauben Sie mir, die Haare stehen einem zu Berge; -sehen Sie, was ich von ihm weiß, weiß ich alles -nur von fremden Leuten, er selbst, mein Täubchen, -schreibt nichts von seinen Kriegszügen – er fürchtet -mich zu ängstigen.</p> - -<p>(Schon im Kaukasus hatte ich erfahren, und -zwar nicht von dem Kapitän selbst, daß er viermal -schwer verwundet gewesen, und es versteht -sich von selbst, daß er über die Verwundungen -wie über die Feldzüge nie seiner Mutter ein Wort -geschrieben hatte.)</p> - -<p>Dieses Heiligenbild soll er nun auf seiner Brust -tragen, fuhr sie fort, ich segne ihn damit.</p> - -<p>Die heilige Fürsprecherin wird ihn beschützen! -Besonders in der Schlacht soll er es immer tragen. -Sag's ihm, Väterchen, das läßt dir deine Mutter -sagen.</p> - -<p>Ich versprach ihren Auftrag pünktlich auszuführen.</p> - -<p>Ich weiß, Sie werden ihn liebgewinnen, meinen -Paschenka, fuhr die Alte fort, er ist ein so prächtiger -Mensch! Wollen Sie glauben, kein Jahr -geht vorüber, in dem er mir nicht Geld schickt, -und meine Tochter, die Annuschka, unterstützt er<span class="pagenum"><a name="Page_224" id="Page_224">[Pg 224]</a></span> -auch sehr; und alles nur von seinem Gehalt! Mein -ganzes Leben werde ich Gott danken, schloß sie -mit Thränen in den Augen, daß er mir ein solches -Kind geschenkt hat.</p> - -<p>Schreibt er Ihnen oft? fragte ich.</p> - -<p>Selten, Väterchen, so einmal im Jahre, wenn -er Geld schickt, schreibt er wohl ein Wörtchen, sonst -nicht. Wenn ich dir nicht schreibe Mütterchen, sagt -er, dann bin ich gesund und munter, und wenn, -was Gott verhüte, etwas passiert, so wirst du -es auch so erfahren.</p> - -<p>Als ich dem Kapitän das Geschenk der Mutter -überreichte (es war in meinem Zimmer), bat er -mich um Umschlagpapier, hüllte es sorgfältig ein -und steckte es in die Tasche. Ich erzählte ihm viel -und ausführlich über das Leben seiner Mutter – -der Kapitän schwieg. Als ich mit meiner Erzählung -zu Ende war, ging er in die Ecke und stopfte auffallend -lange sein Pfeifchen.</p> - -<p>Ja, eine prächtige Frau! sagte er von dort -her mit etwas dumpfer Stimme. Ob's mir Gott -noch vergönnt, sie wiederzusehen? In diesen einfachen -Worten lag sehr viel Liebe und Sehnsucht.</p> - -<p>Warum dienen Sie hier? sagte ich.</p> - -<p>Man muß doch dienen, antwortete er mit Überzeugung, -für einen armen Teufel wie unsereins -will das doppelte Gehalt viel sagen.</p> - -<p>Der Kapitän lebte sparsam: Karten spielte er -nicht, Wein trank er selten und rauchte einen ein<span class="pagenum"><a name="Page_225" id="Page_225">[Pg 225]</a></span>fachen -Tabak, den er, ich weiß nicht warum, nicht -Rauchtabak, sondern sambrotalischen Tabak nannte. -Der Kapitän hatte mir schon früher gefallen: er -hatte eine von den schlichten, ruhigen, russischen -Physiognomien, denen man mit Vergnügen und -leicht gerade in die Augen sieht; nach dieser Unterhaltung -aber empfand ich vor ihm wahre Hochachtung.</p> - - -<h4> -<img src="images/illu-229.jpg" width="300" height="53" alt="II" /> -<span class="hidden">II</span> -</h4> - - -<p>Am folgenden Tage, um vier Uhr morgens, -kam der Kapitän, mich abzuholen. Er trug einen -alten, abgetragenen Rock ohne Epauletten, breite -Hosen, eine weiße Fellmütze, mit ausgegangenem, -gelbgewordenem Schafpelz und einen unansehnlichen, -asiatischen Säbel über die Schulter.</p> - -<p>Der kleine Schimmel, den er ritt, ging mit -gesenktem Kopfe in ruhigem Schritt und schlug -beständig mit seinem dünnen Schweife um sich. -Obgleich in der Erscheinung des guten Kapitäns -nicht nur wenig Kriegerisches, sondern auch wenig -Schönes lag, sprach aus ihr doch so viel Gleichgültigkeit -gegen alles, was ihn umgab, daß sie -unwillkürlich Achtung einflößte.</p> - -<p>Ich ließ ihn nicht einen Augenblick warten, -bestieg sofort mein Pferd, und wir ritten zusammen -zum Festungsthore hinaus.</p> - -<p>Das Bataillon war uns schon 200 Faden vor<span class="pagenum"><a name="Page_226" id="Page_226">[Pg 226]</a></span>aus -und sah wie eine schwarze, kompakte, schwankende -Masse aus. Nur <em>daran</em> konnte man erkennen, -daß es Infanterie war, daß die Bajonette -wie dichte, lange Nadeln zu sehen waren; von -Zeit zu Zeit schlugen die Töne eines Soldatenliedes, -einer Trommel oder eines prächtigen -Tenors aus der sechsten Kompagnie, den ich schon -oft in der Festung mit Entzücken gehört hatte, an -unser Ohr. Der Weg ging mitten durch einen -tiefen und breiten Engpaß am Ufer eines kleinen -Flüßchens entlang, der gerade um diese Zeit -»spielte«, d. h. über die Ufer trat. Scharen wilder -Tauben flatterten um den Fluß: bald setzten -sie sich auf das steinige Ufer, bald beschrieben sie -in der Luft schnelle Kreise und entschwanden unsern -Blicken.</p> - -<p>Die Sonne war noch nicht zu sehen, aber der -Gipfel der rechten Seite des Engpasses wurde -heller und heller. Die grauen und weißlichen -Steine, das gelbgrüne Moos, die taubedeckten -Sträucher des Kreuzdorns, der Mispel und der -Korkulme traten mit außerordentlicher Deutlichkeit -und Plastik in dem durchsichtigen, goldigen -Licht der aufgehenden Sonne hervor; dagegen -war die andere Seite und der Hohlweg in dichten -Nebel gehüllt, der in rauchartigen ungleichen Schichten -wogte, feucht und düster, und boten ein unbestimmbares -Gemisch von Farben: blaßlila, fast -schwarz, dunkelgrün und weiß.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_227" id="Page_227">[Pg 227]</a></span></p> - -<p>Dicht vor uns an dem dunklen Azur des Horizonts -schimmerten in überraschender Helligkeit die -hellweißen, matten Massen der Schneeberge mit -ihren wunderlichen, bis in die kleinsten Einzelheiten -schönen Schatten und Umrissen. Grillen, Heuschrecken -und tausend andere Insekten erwachten im -hohen Grase und erfüllten die Luft mit ihrem -hellen, ununterbrochenen Klingen: es war, als ob -eine zahllose Menge winziger Glöckchen in unsern -eigenen Ohren tönte. Die Luft duftete nach Wasser, -Gras und Nebel, mit einem Wort, sie duftete -nach einem schönen Sommermorgen. Der Kapitän -schlug Feuer und zündete sein Pfeifchen an, der -Geruch des sambrotalischen Tabaks und des Zunders -kam mir außerordentlich angenehm vor.</p> - -<p>Wir ritten neben dem Weg einher, um die -Infanterie schneller einzuholen. Der Kapitän schien -nachdenklicher als gewöhnlich, ließ sein daghestanisches -Pfeifchen nicht aus dem Munde und stieß -bei jedem Schritt mit den Fersen sein Pferd an, -das, von einer Seite auf die andere schwankend, -eine kaum merkliche, dunkelgrüne Spur in dem -feuchten, hohen Grase zurückließ. Unter seinen -Füßen flog mit Gackern und mit dem Flügelschlage, -bei dem der Jäger unwillkürlich zusammenzuckt, -ein Fasan auf und stieg langsam in die Höhe. -Der Kapitän schenkte ihm nicht die geringste Aufmerksamkeit.</p> - -<p>Wir hatten das Bataillon beinahe schon ein<span class="pagenum"><a name="Page_228" id="Page_228">[Pg 228]</a></span>geholt, -als hinter uns der Hufschlag eines heransprengenden -Pferdes hörbar wurde, und in demselben -Augenblick sprengte ein sehr hübscher, junger -Bursche in Offiziersuniform und in einer hohen, -weißen Fellmütze vorüber. Als er uns erreicht -hatte, lächelte er, nickte dem Kapitän zu und -schwang sein Peitschchen ... Ich hatte Zeit zu -bemerken, daß er mit besonderer Anmut im Sattel -saß und die Zügel hielt, und daß er schöne, schwarze -Augen, eine feine Nase und ein eben sprossendes -Schnurrbärtchen hatte. Besonders hatte mir an -ihm gefallen, daß er das Lächeln nicht hatte unterdrücken -können, nachdem er gesehen, daß wir -Freude an seinem Anblick hatten. Aus diesem -Lächeln allein hätte man schon schließen können, -daß er noch sehr jung war.</p> - -<p>Wohin eilt er? brummte der Kapitän mit -mürrischer Miene, ohne den Tschibuck aus dem -Munde zu nehmen.</p> - -<p>Wer ist das? fragte ich.</p> - -<p>Der Fähnrich Alanin, ein Subaltern-Offizier -meiner Kompagnie ... Er ist erst im vorigen -Monat aus dem Kadettenkorps hierher gekommen.</p> - -<p>Er geht gewiß zum erstenmal in eine Schlacht? -sagte ich.</p> - -<p>Darum ist er auch so glücklich ... – antwortete -der Kapitän, tiefsinnig den Kopf wiegend. -O, die Jugend!</p> - -<p>Warum sollte er denn nicht froh sein? Ich<span class="pagenum"><a name="Page_229" id="Page_229">[Pg 229]</a></span> -kann mir wohl denken, daß das für einen jungen -Mann sehr interessant sein muß.</p> - -<p>Der Kapitän schwieg einige Minuten.</p> - -<p>Ja, ja, ich sage: die Jugend! fuhr er in tiefem -Tone fort, wie kann man sich freuen, ehe man -noch etwas gesehen hat? Wenn du erst öfter ins -Feld gezogen bist, wirst du dich nicht mehr freuen. -Wir sind jetzt, sagen wir, zwanzig Offiziere, einer -oder der andere fällt oder wird verwundet, das -ist gewiß. Heut gilt es mir, morgen gilt es dir, -übermorgen einem dritten: was giebt es da für -einen Grund zur Freude?</p> - - -<h4> -<img src="images/illu-233.jpg" width="300" height="51" alt="III" /> -<span class="hidden">III</span> -</h4> - -<p>Die helle Sonne war kaum hinter dem Berge -hervorgekommen und ergoß ihr Licht in das Thal, -durch das wir zogen, die wogenden Nebelwolken -zerstreuten sich, und es wurde heiß. Die Soldaten -marschierten mit ihren Gewehren und Säbeln auf -dem Rücken langsam die staubige Straße dahin, -in den Reihen hörte man von Zeit zu Zeit ein -Gespräch in kleinrussischer Mundart und Gelächter. -Einige alte Soldaten in weißen Kitteln, – meist -Unteroffiziere –, gingen neben dem Wege, mit -dem Pfeifchen im Munde, und plauderten ruhig. -Vollgepackte, dreispännige Fuhren bewegten sich -Schritt für Schritt vorwärts und wirbelten den -dichten, schwerfälligen Staub auf. Die Offiziere<span class="pagenum"><a name="Page_230" id="Page_230">[Pg 230]</a></span> -ritten voran: die einen dshigitierten, wie man -im Kaukasus sagt, d. h. sie schlugen das Pferd -mit der Peitsche und ließen es vier, fünf Sprünge -machen, dann parierten sie es auf der Stelle und -schwenkten den Kopf nach rückwärts. Die anderen -schenkten den Spielleuten ihre Aufmerksamkeit, die -trotz Glut und Stickluft unermüdlich ein Lied nach -dem andern spielten.</p> - -<p>Gegen 100 Faden vor der Infanterie ritt auf -einem großen Schimmel neben den berittenen Tataren -ein schlanker und schöner Offizier in asiatischer -Tracht; er war im ganzen Regiment wegen seiner -tollkühnen Tapferkeit bekannt und als ein Mann, -»der jedem die Wahrheit in die Augen wirft«. -Er trug ein schwarzes Beschmet mit Silberborte, -ebensolche Beinkleider, neue, eng an den Füßen -anliegende Stiefel mit Tschirasen (Galons), einen -gelben Tscherkessenrock und eine hohe nach hinten -eingedrückte Fellmütze. Über Brust und Rücken -liefen silberne Borten, daran hingen auf dem -Rücken Pulverhorn und Pistole; eine zweite Pistole -und ein Dolchmesser in silberner Scheide hingen -am Gürtel. Über der Kleidung war sein Säbel -in schöner Saffianscheide mit Silberbesatz umgürtet, -über die Schultern hing die Windbüchse -in schwarzem Überzug. Aus seiner Tracht, seiner -Haltung und aus seinem ganzen Gebahren, überhaupt -an allen seinen Bewegungen war ersichtlich, -daß er sich Mühe gab, wie ein Tatar auszusehen.<span class="pagenum"><a name="Page_231" id="Page_231">[Pg 231]</a></span> -Er sprach auch mit den Tataren, die neben ihm -ritten, in einer mir unbekannten Sprache; aber -an den verwunderten, spöttischen Blicken, die diese -letzteren einander zuwarfen, glaubte ich zu erkennen, -daß sie ihn nicht verstanden. Es war einer -von unseren jungen Offizieren, einer der kühnen -Ritter und Dshigiten, die sich an dem Muster von -Marlinskij und Lermontow schulen. Diese Leute -sehen den Kaukasus nur durch das Prisma der -Helden unserer Zeit, eines Mulla Nur und ähnlicher -und lassen sich in allen ihren Handlungen -nicht von den eigenen Neigungen leiten, sondern -von dem Beispiel dieser Vorbilder.</p> - -<p>Der Leutnant z. B. war vielleicht gern in Gesellschaft -anständiger Frauen und ernster Männer: -Generale, Obersten, Adjutanten – ja, ich bin überzeugt, -daß er sehr gern in solcher Gesellschaft war, -denn er war im höchsten Grade eitel; aber er hielt -es für seine unbedingte Pflicht, allen ernsten Männern -seine rauhe Seite zuzukehren, wenn er auch -in seiner Derbheit sehr maßvoll war; und ließ sich -eine Dame in der Festung sehen, so hielt er es für -seine Pflicht, mit seinen Kameraden bloß in einem -roten Hemd und mit Fußlappen an den nackten -Beinen an ihrem Fenster vorüberzugehen und so -laut als möglich zu schreien und zu schelten, -weniger in der Absicht, sie zu kränken, als in der -Absicht, zu zeigen, was er für schöne weiße Füße -habe, und wie man sich in ihn verlieben könnte,<span class="pagenum"><a name="Page_232" id="Page_232">[Pg 232]</a></span> -wenn er das nur wollte. Oder er zog häufig -mit zwei, drei russenfreundlichen Tataren ganze -Nächte in die Berge und lagerte am Wege, um -den feindlichen Tataren, die vorüberkamen, aufzulauern -und sie zu töten; und obgleich ihm sein -Herz oft genug sagte, daß darin nichts Heldenhaftes -liege, hielt er sich für verpflichtet, den -Menschen Leid zuzufügen, die ihm, wie er meinte, -Enttäuschungen bereitet, und die er verachtete und -haßte. Zwei Dinge legte er nie ab: ein ungeheueres -Heiligenbild, das er um den Hals trug, -und das Dolchmesser, das über dem Hemd hing, -und mit dem er sich auch zu Bette legte. Er war -aufrichtig davon überzeugt, daß er Feinde habe. -Sich selbst zu überzeugen, daß er an jemandem -Rache zu nehmen und mit Blut eine Beleidigung -zu sühnen habe, war für ihn der höchste Genuß. -Er war überzeugt, daß die Gefühle des Hasses, -der Rache und der Verachtung des Menschengeschlechts -die erhebendsten poetischen Gefühle seien. -Seine Geliebte aber, – natürlich eine Tscherkessin -– mit der ich später zufällig zusammentraf, erzählte, -er sei der beste und sanfteste Mensch, und -er schreibe jeden Abend seine düsteren Aufzeichnungen -nieder, trage auf Rechnungspapier seine -Ausgaben und Einnahmen ein und knie jeden -Abend zum Gebete nieder. Und wieviel hatte -er gelitten, nur um vor sich selbst als das zu erscheinen, -was er sein wollte, weil seine Kameraden<span class="pagenum"><a name="Page_233" id="Page_233">[Pg 233]</a></span> -und die Soldaten ihn nicht verstehen konnten, wie -er gern verstanden sein mochte! Einst auf einem -seiner nächtlichen Straßenstreifzüge mit den Genossen, -verwundete er mit einer Kugel einen feindlichen -Tschetschenzen am Fuß und nahm ihn gefangen. -Dieser Tschetschenze lebte dann sieben -Wochen bei dem Leutnant, er behandelte ihn, -pflegte ihn wie seinen besten Freund, und als er -geheilt war, entließ er ihn mit Geschenken. Später -einmal, während eines Kriegszugs, als der Leutnant -mit der Vorpostenkette zurückwich und sich -gegen den Feind durch Schießen verteidigte, hörte -er aus den Reihen der Feinde seinen Namen rufen, -und sein verwundeter Freund kam hervorgeritten -und forderte den Leutnant durch Geberden auf, -dasselbe zu thun. Der Leutnant ritt zu seinem -Kunak (Freunde) heran und drückte ihm die Hand. -Die Bergbewohner standen in der Nähe und -schossen nicht; als aber der Leutnant sein Pferd -umwandte, schossen mehrere Mann auf ihn, und -eine Kugel streifte ihn unterhalb des Rückens. Ein -andermal habe ich selbst gesehen, wie in der -Festung zur Nacht Feuer ausbrach. Zwei Kompagnien -Soldaten waren mit dem Löschen beschäftigt, -plötzlich erschien mitten in der Menge, -beleuchtet von dem Purpurschein des Brandes, -die hohe Gestalt eines Mannes auf einem Rappen. -Die Gestalt drängte die Menge auseinander und -ritt mitten auf das Feuer zu. Als der Leutnant<span class="pagenum"><a name="Page_234" id="Page_234">[Pg 234]</a></span> -ganz nahe herangekommen war, sprang er vom -Pferde und stürzte in das Haus, das von einer -Seite lichterloh brannte. Fünf Minuten später -kam der Leutnant mit versengten Haaren und mit -angebranntem Ellbogen zurück und trug zwei -Tauben unter der Achsel, die er aus den Flammen -gerettet hatte.</p> - -<p>Er hieß Rosenkranz; er sprach aber oft von -seiner Herkunft, leitete sie von den Warägern ab -und suchte klar zu beweisen, daß er und seine Vorfahren -echte Russen waren.</p> - - -<h4> -<img src="images/illu-238.jpg" width="300" height="53" alt="IV" /> -<span class="hidden">IV</span> -</h4> - -<p>Die Sonne hatte die Hälfte ihres Wegs zurückgelegt -und sandte ihre glühenden Strahlen durch -die erhitzte Luft auf die trockene Erde herab. Der -dunkelblaue Himmel war vollkommen klar, nur -der Fuß der Schneeberge begann sich in ein weißes, -leichtes Wolkengewand zu hüllen. Die regungslose -Luft schien von einem durchsichtigen Staub -erfüllt zu sein, es war unerträglich heiß geworden. -Als die Truppen an einen kleinen Bach gekommen -waren, der auf der Hälfte unseres Weges floß, hielten -sie Rast. Die Soldaten stellten die Gewehre zusammen -und rannten an den Bach; der Bataillons-Kommandeur -setzte sich im Schatten auf eine Trommel -nieder, gab seinem vollen Gesicht die ganze -Würde seiner Stellung und machte sich mit einigen<span class="pagenum"><a name="Page_235" id="Page_235">[Pg 235]</a></span> -Offizieren zum Imbiß bereit; der Kapitän legte -sich im Grase unter einem Fouragewagen nieder; -der tapfere Leutnant Rosenkranz und noch einige -andere junge Offiziere lagerten sich auf ihre ausgebreiteten -Filzmäntel und trafen Anstalten zum -Zechen, wie man aus den herumstehenden Flaschen -sehen konnte, besonders aber aus der angeregten -Stimmung der Spielleute, die im Halbkreise -um sie herumstanden und mit Pfeifenbegleitung -ein kaukasisches Tanzlied nach der Weise -der Lesginka spielten:</p> - -<div class="poem"> -<p>Schamyl wollte revoltiren</p> -<p>In vergangnen Jahren,</p> -<p>Traj–raj, ra–ta–taj ...</p> -<p>In vergangenen Jahren.</p> -</div> - -<p>Unter diesen Offizieren war auch der blutjunge -Fähnrich, der uns am Morgen vorausgeritten war. -Er war sehr drollig: seine Augen leuchteten, seine -Zunge lallte; er wollte alle Leute küssen und -ihnen seine Liebe gestehen ... Armer Junge! er -wußte noch nicht, daß man in diesem Zustande -lächerlich sein kann, daß seine Offenheit und die -Zärtlichkeit, die er allen aufdrängte, die anderen -nicht zu der Liebe stimmte, nach der er sich sehnte, -sondern zum Spott. – Er wußte auch nicht, daß -er nachher, als er sich in glühender Erregung endlich -auf seinen Filzmantel warf, sich in die Hand stützte -und sein schwarzes, dichtes Haar zurückwarf, außerordentlich -hübsch war.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_236" id="Page_236">[Pg 236]</a></span></p> - -<p>Zwei Offiziere saßen unter dem Fouragewagen -und spielten auf ihren Reisekästchen Karten.</p> - -<p>Neugierig lauschte ich auf die Gespräche der -Soldaten und Offiziere und betrachtete aufmerksam -ihren Gesichtsausdruck; aber ich konnte bei niemandem -auch nur einen Schatten der Unruhe bemerken, -die ich empfand: Scherze, Gelächter, Erzählungen -deuteten auf eine allgemeine Sorglosigkeit -und Gleichgültigkeit gegen die bevorstehende -Gefahr hin. Als könnte man gar nicht vermuten, -daß vielen von ihnen bestimmt sein sollte, nicht -wieder auf diesem Wege zurückzukommen.</p> - - -<h4> -<img src="images/illu-240.jpg" width="300" height="52" alt="V" /> -<span class="hidden">V</span> -</h4> - -<p>Um 7 Uhr abends zogen wir staubbedeckt und -müde durch das breite, befestigte Thor der Festung -N. N. ein. Die Sonne hatte sich gesenkt und warf -ihre schrägen, rosigen Strahlen auf die malerischen -Geschützstände und die Gärten mit den hohen Pappeln, -die die Festung umgaben, auf die bestellten, -gelblich schimmernden Felder und auf die weißen -Wolken, die sich auf den Schneebergen türmten, -als ob sie es ihnen nachthun wollten, und eine -nicht minder wunderliche und schöne Kette bildeten. -Der junge Halbmond schimmerte wie ein -durchsichtiges Wölkchen am Horizont. Im Aul, -der vor dem Thore lag, rief ein Tatar, der auf -dem Dach einer Erdhütte stand, die Rechtgläubigen<span class="pagenum"><a name="Page_237" id="Page_237">[Pg 237]</a></span> -zum Gebet; die Spielleute setzten mit neuem Mut -und mit frischer Kraft ein.</p> - -<p>Nachdem ich ein wenig ausgeruht und mich -zurechtgemacht hatte, ging ich zu einem mir bekannten -Adjutanten. Ich wollte ihn bitten, dem -General von meiner Absicht Meldung zu machen. -Auf dem Wege von der Vorstadt, wo ich Quartier -genommen hatte, hatte ich Gelegenheit, in -der Festung N. N. manches zu beobachten, was -ich keineswegs erwartet hatte. Eine hübsche, zweisitzige -Kutsche, in der ein neumodisches Hütchen -zu sehen und französische Unterhaltung zu hören -war, fuhr an mir vorüber. Aus dem geöffneten -Fenster des Kommandanturgebäudes drangen die -Klänge einer »Lieschen«- oder »Käthchenpolka«, die -auf einem schlechten, verstimmten Klavier gespielt -wurden. In dem Gasthaus, an dem ich vorüberkam, -saßen, die Cigaretten in den Händen, einige -Schreiber beim Glase Wein, und ich hörte, wie -der eine zum andern sagte: »Ich muß sehr bitten, -was die Politik betrifft, war Maria Grigorjewna -bei uns die erste Dame.« Ein buckliger Jude -in einem abgetragenen Rock und von kränklichem -Aussehen schleppte mühsam einen krächzenden, zerbrochenen -Leierkasten, und über die ganze Vorstadt -erklangen die Töne des Finales aus Lucia. -Zwei Frauen in rauschenden Kleidern und seidenen -Halstüchern mit hellfarbigen Sonnenschirmen -in den Händen gingen auf dem Fußsteig von<span class="pagenum"><a name="Page_238" id="Page_238">[Pg 238]</a></span> -Holz leichten Schritts an mir vorüber. Zwei junge -Mädchen, eine in einem rosa, die andere in einem -blauen Kleide, standen unbedeckten Hauptes an -dem Erdaufwurf eines niedrigen Häuschens und -lachten mit einem unnatürlichen, hellen Lachen; -sie wünschten offenbar die Aufmerksamkeit der vorübergehenden -Offiziere auf sich zu lenken. Offiziere -in neuen Röcken, weißen Handschuhen und -glänzenden Achselbändern stolzierten durch die -Straße und über den Boulevard.</p> - -<p>Ich traf meinen Bekannten im Erdgeschoß des -Generalsgebäudes. Kaum hatte ich ihm meinen -Wunsch klar gemacht, und er mir gesagt, daß er -sehr leicht erfüllt werden könne, als an dem Fenster, -an dem wir saßen, die hübsche Kutsche vorübergerollt -kam, die ich auf dem Wege bemerkt hatte. -Aus der Kutsche stieg ein schlanker, sehr stattlicher -Mann in Infanterie-Uniform mit Majorsepauletten -und ging zum General.</p> - -<p>Ach, verzeihen Sie, bitte, sagte der Adjutant -und erhob sich von seinem Platze, ich muß unbedingt -dem General Meldung machen.</p> - -<p>Wer ist denn angekommen? fragte ich.</p> - -<p>Die Gräfin, antwortete er, knöpfte die Uniform -zu und eilte hinauf.</p> - -<p>Nach wenigen Minuten kam ein untersetzter, -sehr hübscher Mann in einem Rock ohne Epauletten -mit einem weißen Kreuz im Knopfloch auf die -Freitreppe hinaus. Ihm folgte der Major, der<span class="pagenum"><a name="Page_239" id="Page_239">[Pg 239]</a></span> -Adjutant und noch zwei andere Offiziere. Aus -dem Gange, aus der Stimme, aus allen Bewegungen -des Generals sprach ein Mensch, der sich -seines hohen Wertes wohl bewußt ist.</p> - -<p><span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">Bon soir, madame la comtesse</span>, sagte er und -reichte ihr durch das Wagenfenster die Hand.</p> - -<p>Eine kleine Hand in einem Handschuh aus -feinem Hundeleder drückte seine Hand, und ein -hübsches, lächelndes Gesichtchen in gelbem Hut erschien -an dem Fenster des Wagens.</p> - -<p>Von dem ganzen Gespräch, das nur wenige -Minuten dauerte, hörte ich nur im Vorübergehen, -wie der General lächelnd sagte:</p> - -<p><span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">Vous savez, que je fait vœu de combattre -les infidèles, prenez donc garde de le devenir.</span></p> - -<p>Im Wagen erklang ein Lachen.</p> - -<p><span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">Adieu donc, cher général.</span></p> - -<p><span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">Non, au revoir</span>, sagte der General, indem er -die Stufen der Treppe hinausging, <span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">n'oubliez pas, -que je m'invite pour la soirée de demain</span>.</p> - -<p>Der Wagen rollte weiter.</p> - -<p>»Das ist doch noch ein Mensch, dachte ich auf -dem Heimwege, der alles hat, was man in Rußland -erreichen kann: Stellung, Reichtum, Ansehen; -und dieser Mensch scherzt vor einer Schlacht, deren -Ausgang Gott allein kennt, mit einer hübschen -Dame, verspricht ihr, am nächsten Tage zum Thee -zu kommen, gerade so, als ob er mit ihr auf einem -Balle zusammengetroffen wäre.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_240" id="Page_240">[Pg 240]</a></span></p> - -<p>Hier bei dem Adjutanten traf ich auch noch -einen andern Menschen, der mich noch mehr in -Erstaunen setzte, ein junger Leutnant vom K. -Regiment, der sich durch seine fast frauenhafte -Sanftmut und Schüchternheit anzeichnete.</p> - -<p>Er war zu dem Adjutanten gekommen, um -seinem Ärger und seinem Unwillen über die Leute -Luft zu machen, die, wie er meinte, gegen ihn -intriguieren, damit er nicht an dem bevorstehenden -Kampfe teilnehme. Es sei häßlich, so zu handeln, -sagt er, es sei nicht kameradschaftlich, er werde es -ihnen schon gedenken u. s. w. So scharf ich auch -seine Züge beobachtete, so aufmerksam ich auf -den Klang seiner Stimme lauschte, ich mußte die -Überzeugung gewinnen, daß er sich keineswegs verstellte, -daß er vielmehr tief erregt und erbittert -darüber war, daß man ihm nicht gestatten wollte, -auf die Tscherkessen zu schießen und sich ihren -Geschossen auszusetzen; er war so erbittert, wie ein -Kind erbittert zu sein pflegt, das man eben unverdient -gezüchtigt hat ... Mir war das alles -gänzlich unverständlich.</p> - - -<h4> -<img src="images/illu-244.jpg" width="300" height="52" alt="VI" /> -<span class="hidden">VI</span> -</h4> - -<p>Um 10 Uhr abends sollten die Truppen ausrücken. -Um halb neun stieg ich zu Pferde und -ritt zum General. Da ich aber annahm, daß er -und sein Adjutant beschäftigt seien, hielt ich an<span class="pagenum"><a name="Page_241" id="Page_241">[Pg 241]</a></span> -der Straße, band mein Pferd an den Zaun und -setzte mich auf den Erdaufwurf, in der Absicht, -dem General nachzueilen, wenn er ausreiten würde.</p> - -<p>Die Glut und der helle Glanz der Sonne waren -schon der Kühle der Nacht und dem matten Lichte -des jungen Monds gewichen, der rings um sich -her einen blassen, leuchtenden Halbkreis auf dem -dunklen Blau des Sternenhimmels bildete und -niederzugehen begann; durch die Fenster der -Häuser und durch die Ritzen der Läden der Erdhütten -schimmerten Lichter. Die schlanken Pappeln -der Gärten, die sich am Horizont hinter den weißgetünchten, -vom Mondlicht bestrahlten Erdhütten -mit den Schilddächern abhoben, erschienen noch -höher und dunkler.</p> - -<p>Die langen Schatten der Häuser, der Bäume, -der Zäune breiteten sich schön über den hellen -staubigen Weg ... Vom Fluß her tönte ohne -Unterlaß das Quarren der Frösche.<a name="FNanchor_G_7" id="FNanchor_G_7"></a><a href="#Footnote_G_7" class="fnanchor">[G]</a> Auf den -Straßen hörte man bald eilige Schritte und Gespräche, -bald den Hufschlag von Pferden. Aus -der Vorstadt klangen von Zeit zu Zeit die Klänge -einer Drehorgel herüber: bald »Es wehen die -Winde«, bald so was wie ein »Aurora-Walzer«.</p> - -<div class="footnote"> - -<a name="Footnote_G_7" id="Footnote_G_7"></a><a href="#FNanchor_G_7">[G]</a> Die Frösche im Kaukasus bringen einen Laut hervor, -der nichts gemein hat mit dem Quaken unserer Frösche.</div> - -<p>Ich werde nicht sagen, was mich in Gedanken -versunken beschäftigte: erstens weil ich mich schämen -würde zu gestehen, daß es düstere Gedanken waren,<span class="pagenum"><a name="Page_242" id="Page_242">[Pg 242]</a></span> -die mich in unabweisbaren Scharen beschlichen, -während ich rings um mich her nur Heiterkeit und -Frohsinn beobachtete; zweitens aber, weil das nicht -zu meiner Erzählung gehört. Ich war so in Gedanken -versunken, daß ich nicht einmal bemerkte, -daß die Glocke elf schlug und der General mit -seinem Gefolge an mir vorüberritt.</p> - -<p>Die Nachhut war noch in dem Festungsthore. -Mit Mühe gelang es mir, über die Brücke zwischen -den zusammengedrängten Geschützen, Pulverkasten, -Kompagniewagen und der geräuschvoll kommandierenden -Offiziere hindurchzukommen. Als ich -durch das Thor hindurchgekommen war, setzte ich -mein Pferd in Trab, ritt an den Truppen entlang, -die sich nahezu eine Werst hinzogen und sich -schweigend in der Dunkelheit vorwärts bewegten, -und erreichte den General. Als ich an der Artillerie -vorüberkam, die sich in gerader Linie hinzog, -und an den Offizieren, die zwischen den Geschützen -ritten, traf mich wie ein beleidigender Mißklang -mitten durch die Stille und feierliche Harmonie -die Stimme eines Deutschen. Er schrie: -»Achtillechist, gieb mir die Lunte«, und die Stimme -eines Soldaten schrie eilfertig: »Schewtschenko, der -Herr Leutnant wünscht Feuer.«</p> - -<p>Der größte Teil des Himmels hatte sich mit -langen, dunklen, grauen Wolken bedeckt; hie und -da nur schimmerten zwischen ihnen matte Sterne -hindurch. Der Mond hatte sich schon hinter dem<span class="pagenum"><a name="Page_243" id="Page_243">[Pg 243]</a></span> -nahen Horizont der dunklen Berge verborgen, die -zur Rechten sichtbar waren, und warf über ihren -Gipfel ein schwaches, zitterndes Dämmerlicht, das -sich scharf von dem undurchdringlichen Dunkel abhob, -das über ihren Fuß gebreitet lag. Die Luft -war warm und so still, daß sich nicht ein Gräschen, -nicht ein Wölkchen regte. Es war so finster, daß -man selbst in nächster Nähe die Gegenstände nicht -unterscheiden konnte. Rechts und links vom Wege -sah ich bald Felsen, bald Tiere, bald Menschen -von sonderbarem Wesen – und ich erkannte erst -dann, daß es Sträucher waren, wenn ich ihr -Rascheln hörte und die Frische des Taus empfand, -der an ihren Blättern hing. Vor mir sah ich -eine dichte, wogende, schwarze Wand, hinter der -einige bewegliche Punkte waren. Das war die -Infanterie. In der ganzen Abteilung herrschte -eine solche Stille, daß man deutlich all die verschwimmenden, -von geheimnisvollem Zauber erfüllten -Stimmen der Nacht hörte: das ferne, klagende -Geheul der Schakale, das bald wie verzweifeltes -Weinen, bald wie Lachen klang, das -helle, einförmige Zirpen der Grillen, das Quaken -der Frösche, den Schlag der Wachtel, einen herankommenden -dumpfen Ton, dessen Ursprung ich mir -nicht erklären konnte; und all die nächtlichen, kaum -vernehmbaren Regungen der Natur, die man weder -begreifen, noch näher erklären kann, flossen zusammen -in den vollen Wohlklang, den wir Stille<span class="pagenum"><a name="Page_244" id="Page_244">[Pg 244]</a></span> -der Nacht nennen. Diese Stille der Nacht wurde -unterbrochen oder, richtiger gesagt, floß zusammen -mit dem dumpfen Hufschlag und dem Rascheln -des hohen Grases, das die langsam vorwärtsgehende -Abteilung hervorrief.</p> - -<p>Von Zeit zu Zeit nur hörte man in den Reihen -das Getöse eines schweren Geschützes, das Klirren -aneinanderschlagender Bajonette, unterdrücktes -Plaudern und das Schnauben der Pferde.</p> - -<p>Die Natur atmete seelenbeschwichtigend Schönheit -und Kraft.</p> - -<p>Ist den Menschen wirklich das Leben zu eng -in dieser schönen Welt, unter diesem unermeßlichen -Sternenhimmel? Kann inmitten dieser bezaubernden -Natur in der Seele des Menschen das Gefühl -der Bosheit, der Rache oder der leidenschaftliche -Trieb der Vernichtung von Seinesgleichen -fortbestehen? Alles Ungute im Herzen des Menschen -müßte, meine ich, sich verflüchtigen bei der -Berührung mit der Natur – diesem unmittelbaren -Ausdruck des Schönen und Guten.</p> - - -<h4> -<img src="images/illu-248.jpg" width="300" height="53" alt="VII" /> -<span class="hidden">VII</span> -</h4> - -<p>Wir waren schon mehr als zwei Stunden zu -Pferde, mich durchrieselte ein Frostschauer und ich -hatte Neigung zum Schlafen. In der Finsternis -sah ich dieselben dunklen Gegenstände unklar vor -mir: in geringer Entfernung die schwarze Wand,<span class="pagenum"><a name="Page_245" id="Page_245">[Pg 245]</a></span> -schwarze bewegliche Flecke; ganz nahe neben mir -die Kruppe eines Schimmels, der mit dem Schweife -wedelte und die Hinterfüße breit auseinander setzte, -einen Rücken in weißer Tscherkeska, über dem eine -Flinte in schwarzem Futteral zu sehen war und -der weiße Griff einer Pistole in einem gestickten -Pistolenschuh schimmerte; das Feuer einer Cigarette, -das einen blonden Schnurrbart, einen -Biberkragen und eine Hand in einem Lederhandschuh -beleuchtete. Ich neigte mich zu dem Halse -meines Pferdes, schloß die Augen und versank -einige Augenblicke in Träume; da plötzlich traf -bekannter Hufschlag und Rauschen mein Ohr: ich -sah mich um, und mir war's, ich stünde fest auf -einem Platz und die schwarze Wand, die vor mir -lag, komme auf mich zu, oder diese Wand stünde -fest, und ich ritt gerade auf sie zu. In einem -dieser Augenblicke überraschte mich das herannahende, -dumpfe Getöse, dessen Ursache ich nicht -zu erraten vermochte, noch stärker – es war das -Rauschen des Wassers. Wir gelangten in eine -tiefe Schlucht und näherten uns einem Bergfluß, -dessen Überschwemmungszeit gerade den Höhepunkt -erreicht hatte.<a name="FNanchor_H_8" id="FNanchor_H_8"></a><a href="#Footnote_H_8" class="fnanchor">[H]</a> Das Getöse wuchs, das feuchte -Gras wurde dichter und höher, die Sträucher wurden -seltener, der Horizont wurde enger und enger. -Von Zeit zu Zeit leuchteten auf dem dunklen<span class="pagenum"><a name="Page_246" id="Page_246">[Pg 246]</a></span> -Hintergrunde der Berge an verschiedenen Stellen -helle Feuer auf und erloschen sofort wieder.</p> - -<div class="footnote"> - -<a name="Footnote_H_8" id="Footnote_H_8"></a><a href="#FNanchor_H_8">[H]</a> Die Ueberschwemmungszeit der Flüsse im Kaukasus ist -der Juli.</div> - -<p>Sagen Sie mir, bitte, was sind das für Feuer? -fragte ich flüsternd den Tataren, der neben -mir ritt.</p> - -<p>Ei, weißt du das nicht? antwortete er.</p> - -<p>Nein.</p> - -<p>Da haben die Bergleute Stroh an die -Stange gebunden und werden den Feuerbrand -werfen.</p> - -<p>Warum denn?</p> - -<p>Damit jedermann wisse, der Russe ist da. Jetzt, -fügte er lachend hinzu, herrscht in den Auls Tomascha.<a name="FNanchor_I_9" id="FNanchor_I_9"></a><a href="#Footnote_I_9" class="fnanchor">[I]</a> -Ei, ei, alle Churda-Murda<a name="FNanchor_J_10" id="FNanchor_J_10"></a><a href="#Footnote_J_10" class="fnanchor">[J]</a> wird -er in die Schlucht schleppen.</p> - -<div class="footnote"> - -<a name="Footnote_I_9" id="Footnote_I_9"></a><a href="#FNanchor_I_9">[I]</a> Tomascha bedeutet Unfrieden in der eigentümlichen -Mundart, die die Russen und Tataren in ihrem gegenseitigen -Verkehr erfunden haben. Diese Mundart kennt -viele Worte, deren Wurzel weder aus dem Russischen, -noch aus den tatarischen Sprachen zu erklären sind.</div> - -<div class="footnote"> - -<a name="Footnote_J_10" id="Footnote_J_10"></a><a href="#FNanchor_J_10">[J]</a> Churda-Murda bedeutet in demselben Mundart Hab -und Gut.</div> - -<p>Wissen sie denn in den Bergen schon, daß -eine Abteilung herankommt? fragte ich.</p> - -<p>Ja, wie soll er das nicht wissen, er weiß es -immer, die Unseren sind solch ein Volk!</p> - -<p>So rüstet sich jetzt auch Schamyl zum Kriegszug? -fragte ich.</p> - -<p>Jok,<a name="FNanchor_K_11" id="FNanchor_K_11"></a><a href="#Footnote_K_11" class="fnanchor">[K]</a> antwortete er und schüttelte den Kopf -zum Zeichen der Verneinung. Schamyl wird nicht -ins Feld ziehen; Schamyl wird die Naïbs<a name="FNanchor_L_12" id="FNanchor_L_12"></a><a href="#Footnote_L_12" class="fnanchor">[L]</a> schicken -und wird selbst durch ein Glas sehen, vom Berg -herunter.</p> - -<div class="footnote"> -<a name="Footnote_K_11" id="Footnote_K_11"></a><a href="#FNanchor_K_11">[K]</a> Jok ist das tatarische »Nein«.</div> - -<div class="footnote"> -<a name="Footnote_L_12" id="Footnote_L_12"></a><a href="#FNanchor_L_12">[L]</a> Naïbs sind Leute, welchen Schamyl irgend einen -Teil der Verwaltung anvertraut hat.</div> - -<p>Wohnt er weit von hier?</p> - -<p>Weit nicht, hier links, zehn Werst können's -sein.</p> - -<p>Woher weißt du? ... fragte ich, warst du -denn dort?</p> - -<p>O ja, unsere Leute sind alle in den Bergen -gewesen.</p> - -<p>Und hast du Schamyl gesehen?</p> - -<p>Pah, Schamyl bekommt unsereiner nicht zu -sehen. Hundert, dreihundert, tausend Muriden<a name="FNanchor_M_13" id="FNanchor_M_13"></a><a href="#Footnote_M_13" class="fnanchor">[M]</a> -sind um ihn. Schamyl ist in der Mitte! -sagte er mit dem Ausdruck unterwürfigster Hochachtung.</p> - -<div class="footnote"> - -<a name="Footnote_M_13" id="Footnote_M_13"></a><a href="#FNanchor_M_13">[M]</a> Das Wort Muriden hat viele Bedeutungen, aber -in dem Sinne, in dem es hier gebraucht ist, bezeichnet -es ein Mittelding zwischen einem Adjutanten und einem -Mitglied der Leibwache.</div> - -<p>Wenn man emporsah, konnte man bemerken, -daß der lichter werdende Himmel im Osten zu -leuchten begann und der kleine Bär sich zum Horizont -herabsenkte; aber in der Schlucht, durch die -wir zogen, war es feucht und dunkel.</p> - -<p>Plötzlich flammten nicht weit vor uns in der<span class="pagenum"><a name="Page_248" id="Page_248">[Pg 248]</a></span> -Dunkelheit einige Lichter auf; in diesem Augenblick -schwirrten Kugeln pfeifend durch die Luft, -und mitten durch die Stille, die uns umgab, erklangen -weither Schüsse und lautes, durchdringendes -Geschrei. Es war das Vorhutpikett des Feindes. -Die Tataren, die es bildeten, erhoben ein -Feldgeschrei, schossen aufs Geratewohl und stoben -aneinander.</p> - -<p>Rings wurde es still. Der General rief den -Dolmetsch heran. Ein Tatar in weißer Tscherkeska -kam auf ihn zugeritten und sprach mit ihm flüsternd -mit lebhafter Gebärde eine lange Zeit.</p> - -<p>Oberst Chassanow, lassen Sie die Schützenkette -ausschwärmen! sagte der General mit leiser, gedehnter, -aber eindringlicher Stimme.</p> - -<p>Die Abteilung näherte sich dem Flusse; die -schwarzen Berge, die Schluchten blieben im Rücken; -es begann Tag zu werden. Der Himmelsbogen, -an dem die blassen, matten Sterne kaum zu sehen -waren, erschien höher; die Morgenröte begann -im Osten hell aufzuleuchten, ein frischer, durchdringender -Wind kam vom Westen her und ein -heller Nebel stieg wie Dampf über dem rauschenden -Flusse auf.</p> - - -<h4> -<img src="images/illu-252.jpg" width="300" height="55" alt="VIII" /> -<span class="hidden">VIII</span> -</h4> - -<p>Der Führer brachte uns an eine Furth, und -die Vorhut der Reiterei, ihr nach auch der General<span class="pagenum"><a name="Page_249" id="Page_249">[Pg 249]</a></span> -mit seinem Gefolge, überschritt den Fluß. Das -Wasser ging den Pferden bis an die Brust. Mit -außerordentlicher Kraft stürzte es zwischen den -weißen Steinen dahin, die hie und da aus der -Wasserfläche hervorschimmerten, und bildete um -die Beine der Pferde schäumende, rauschende -Strudel. Die Pferde stutzten bei dem Rauschen -des Wassers, richteten die Köpfe empor, spitzten -die Ohren, gingen aber langsamen und vorsichtigen -Schrittes gegen die Strömung über den unebenen -Grund. Die Reiterei zog die Beine und die Waffen -in die Höhe, die Fußsoldaten, die buchstäblich -nur mit einem Hemd bekleidet waren, hielten die -Gewehre, an denen sie die Kleiderbündel befestigt -hatten, über dem Wasser, faßten sich je zwanzig -Hand an Hand und kämpften mit einer Anstrengung, -die auf ihren angespannten Gesichtern -ausgeprägt war, gegen die Strömung an. Die -berittenen Artilleristen trieben ihre Pferde im Trab -mit großem Geschrei in das Wasser. Die Geschütze -und die Pulverkasten, über die von Zeit zu Zeit -das Wasser hinspritzte, klirrten auf dem steinigen -Boden; aber die guten Kosakenpferde zogen wacker -die Stränge, teilten die schäumende Flut und erklommen -mit feuchtem Schweif und feuchter Mähne -das andere Ufer.</p> - -<p>Sobald der Übergang vollzogen war, lag plötzlich -auf dem Antlitz des Generals eine gewisse -ernste Nachdenklichkeit, er wandte sein Pferd<span class="pagenum"><a name="Page_250" id="Page_250">[Pg 250]</a></span> -und ritt im Trab mit der Reiterei über die -von dem Walde umsäumte Wiese dahin, die -sich vor den Unsrigen aufthat. Berittene Kosaken-Vorposten -schwärmten am Waldesrand -entlang.</p> - -<p>Im Walde taucht ein Mann im Tscherkessenrock -und Schafspelzmütze, ein Fußgänger, auf, ein -zweiter, ein dritter ... einer von den Offizieren -sagt: »Das sind die Tataren.« Da wird auch -ein leichter Rauch hinter dem Baum sichtbar ... -Ein Schuß, ein zweiter ... Unser rasches Schießen -übertönt das feindliche Feuer. Selten nur sagt -uns eine Kugel, die mit gedehntem Klang, ähnlich -dem Summen der Bienen, vorüberfliegt, daß nicht -alle Schüsse von den Unsrigen kommen. Im Laufschritt -ist das Fußvolk, im Trab die Geschütze in -die Schlachtlinie eingerückt; man hört den dröhnenden -Kanonendonner, den metallischen Klang der -fliegenden Kartätschen, das Zischen der Raketen, -das Knattern der Gewehre. Die Reiterei, das -Fußvolk und die Geschützmannschaft tauchen von -allen Seiten auf der weiten Wiese auf. Die Rauchwölkchen -der Gewehre, der Raketen und Kanonen -fließen mit dem taubedeckten Grün und dem Nebel -in eins zusammen. Oberst Chassanow sprengt an -den General heran und hält sein Pferd in vollem -Ritt plötzlich an.</p> - -<p>Euer Excellenz! sagt er, die Hand an die Mütze -gelegt, befehlen Sie, daß die Kavallerie vorrückt?<span class="pagenum"><a name="Page_251" id="Page_251">[Pg 251]</a></span> -Es sind Zeichen<a name="FNanchor_N_14" id="FNanchor_N_14"></a><a href="#Footnote_N_14" class="fnanchor">[N]</a> aufgetaucht ... und er zeigt -mit der Peitsche auf die berittenen Tataren, denen -zwei Mann mit roten und blauen Fähnchen an -den Lanzen, auf weißen Rossen vorausreiten.</p> - -<div class="footnote"> - -<a name="Footnote_N_14" id="Footnote_N_14"></a><a href="#FNanchor_N_14">[N]</a> Die Zeichen haben bei den Bergvölkern beinahe die -Bedeutung von Fahnen, nur mit dem Unterschied, daß -jeder Dshigit sich seine eigenen Zeichen machen und führen -kann.</div> - -<p>Mit Gott, Iwan Chassanow! sagt der General.</p> - -<p>Der Oberst wendet auf der Stelle sein Pferd, -zieht seinen Säbel und ruft: »Urrah!«</p> - -<p>Urrah, urrah, urrah, ... tönt es durch die -Reihen, und die Reiterei stürmt ihm nach.</p> - -<p>Alle schauen mit Teilnahme hin: da ist ein -Zeichen, ein zweites, ein drittes, ein viertes ... -Der Feind verschwindet, ohne den Angriff abzuwarten, -im Walde und eröffnet von hier aus ein -Gewehrfeuer. Die Kugeln kommen dichter geflogen.</p> - -<p><span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">Quel charmant coup d'œil!</span> sagt der General, -indem er seinen dünnbeinigen Rappen auf englische -Art leichte Sprünge machen läßt.</p> - -<p><span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">Charmant!</span> antwortet der Major mit schnarrendem -R, giebt seinem Pferd einen Hieb mit der -Gerte und reitet zu dem General heran. <span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">C'est un -vrai plaisir, la guerre dans un aussi beau pays</span>, -sagt er.</p> - -<p><span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">Et surtout en bonne compagnie</span>, fügt der -General mit anmutigem Lächeln hinzu.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_252" id="Page_252">[Pg 252]</a></span></p> - -<p>Der Major verneigte sich.</p> - -<p>In diesem Augenblick fliegt mit raschem, häßlichem -Zischen eine feindliche Kugel vorbei und -schlägt irgendwo ein; hinter uns hört man das -Stöhnen eines Verwundeten. Dieses Stöhnen ergreift -mich so sonderbar, daß das kriegerische Bild -im Augenblick all seinen Zauber für mich verliert; -aber niemand außer mir scheint das zu bemerken: -der Major lacht, wie ich glaube, aus vollem Halse; -ein anderer Offizier wiederholt vollkommen ruhig -die Anfangsworte seiner Rede; der General sieht -auf die entgegengesetzte Seite hinüber und sagt -mit dem ruhigsten Lächeln etwas auf französisch.</p> - -<p>Befehlen Sie ihre Schüsse zu erwidern? fragt -heransprengend der Befehlshaber der Artillerie.</p> - -<p>Ja, jagen Sie ihnen einen Schrecken ein, sagt -der General nachlässig und raucht eine Cigarette an.</p> - -<p>Die Batterie formiert sich, und das Feuer beginnt. -Die Erde stöhnt unter dem Geschützdonner, -ununterbrochen blitzen die Feuer auf, und ein -Rauch, durch den man kaum die hin- und hergehende -Bedienungsmannschaft der Geschütze unterscheiden -kann, lagert sich vor unserem Blick.</p> - -<p>Der Aul wird beschossen. Wieder kommt Oberst -Chassanow herangeritten und fliegt auf Befehl -des Generals nach dem Aul. Das Kriegsgeschrei -erschallt von neuem, und die Reiterei verschwindet -in der Staubwolke, die sie selbst aufwirbelt.</p> - -<p>Das Schauspiel war wahrhaft großartig. Eines<span class="pagenum"><a name="Page_253" id="Page_253">[Pg 253]</a></span> -nur störte mir, als einem Menschen, der an dem -Kampf nicht teilnahm und dem all das neu war, -den Eindruck, weil es überflüssig erschien – diese -Lebhaftigkeit, diese Begeisterung, dies Geschrei. -Unwillkürlich drängte sich mir der Vergleich auf -mit einem Menschen, der mit aller Wucht ausholt, -um mit einem Beile die Luft zu spalten.</p> - - -<h4> -<img src="images/illu-257.jpg" width="300" height="53" alt="IX" /> -<span class="hidden">IX</span> -</h4> - -<p>Unsere Truppen hatten schon den Aul besetzt, -und nicht eine Seele war vom Feinde zurückgeblieben, -als der General mit seinem Gefolge, -in das auch ich mich gemischt hatte, herangeritten -kam.</p> - -<p>Die langen, reinlichen Hütten mit den flachen -Lehmdächern und den hübschen Schornsteinen lagen -auf unebenen, steinigen Hügeln zerstreut, zwischen -denen ein kleines Flüßchen hinfloß. Auf der einen -Seite schimmerten im hellen Sonnenlicht die grünen -Gärten mit den ungeheuren Birnen- und Pflaumenbäumen; -auf der andern ragten sonderbare -Schatten empor, senkrechtstehende hohe Steine eines -Kirchhofs und lange hölzerne Stangen, an deren -Enden Kugeln und buntfarbige Fähnlein befestigt -waren. (Das waren die Gräber der Dshigiten.)</p> - -<p>Die Truppen standen in Reih und Glied vor -dem Thore.</p> - -<p>Eine Minute später zerstreuten sich die Dra<span class="pagenum"><a name="Page_254" id="Page_254">[Pg 254]</a></span>goner, -Kosaken, Fußgänger mit sichtlicher Freude -durch die schiefen Gassen, und der öde Aul war -im Augenblick belebt. Da wird ein Dach niedergerissen, -schlägt eine Axt gegen das starke Holz, -und die Bretterthür wird erbrochen; hier wird -ein Heuschober, ein Zaun, eine Hütte in Brand -gesteckt, und dichte Rauchwolken steigen in Säulen -in die klare Luft empor. Da schleppt ein Kosak -einen Sack Mehl und einen Teppich; ein Soldat -trägt mit freudestrahlendem Gesicht aus der Hütte -ein blechernes Waschbecken und einen Fetzen Tuch -heraus; ein anderer müht sich mit ausgebreiteten -Armen zwei Hennen einzufangen, die gackernd um -den Zaun herumflattern; ein dritter hat irgendwo -einen ungeheuren Topf mit Milch entdeckt, er trinkt -daraus, und wirft ihn dann mit schallendem Lachen -zu Boden.</p> - -<p>Das Bataillon, mit dem ich die Festung N. -verlassen hatte, war auch im Aul. Der Kapitän -saß auf dem Dach einer Hütte und blies aus seinem -kurzen Pfeifchen die Rauchwölkchen seines <em>sambrotalischen</em> -Tabaks mit so gleichgültiger Miene -in die Luft, daß ich bei seinem Anblick vergaß, -daß ich mich in einem feindlichen Aul befinde und -das Gefühl hatte, als sei ich hier völlig zu Hause.</p> - -<p>Ach, auch Sie hier? sagte er, als er mich bemerkte.</p> - -<p>Die hohe Gestalt des Leutnants Rosenkranz -tauchte bald hier, bald dort im Aul auf: er war<span class="pagenum"><a name="Page_255" id="Page_255">[Pg 255]</a></span> -ununterbrochen in Thätigkeit und hatte das Aussehen -eines Menschen, der von einer Sorge sehr in -Anspruch genommen ist. Ich sah, wie er mit feierlicher -Miene aus einer Hütte herauskam; ihm -folgten zwei Soldaten, die einen alten Tataren gebunden -führten. Der Alte, dessen ganze Kleidung -ein buntes Beschmet, das in Lumpen herabhing, -und zerfetzte Beinkleider bildeten, war so gebrechlich, -daß seine fest auf dem Rücken zusammengeschnürten -knochigen Arme sich kaum an den Schultern zu -halten schienen, und seine krummen, nackten Beine -sich nur mit Mühe vorwärts bewegten. Sein Gesicht, -ja sogar ein Teil seines rasierten Kopfes war -von tiefen Furchen durchzogen. Der schiefgezogene, -zahnlose Mund, den ein grauer, kurzgeschnittener -Schnurrbart und Backenbart umgab, bewegte sich -unaufhörlich, als ob er etwas kaute; aber aus -den roten, wimperlosen Augen leuchtete noch das -Feuer und prägte sich deutlich des Alters Gleichgültigkeit -gegen das Leben aus.</p> - -<p>Rosenkranz fragte ihn mit Hilfe des Dolmetschs, -warum er nicht mit den andern geflohen sei.</p> - -<p>Wohin soll ich fliehen? sagte er und blickte -ruhig nach der Seite.</p> - -<p>Wo die andern hingeflohen sind, bemerkte -jemand.</p> - -<p>Die Dshigiten sind mit den Russen in den -Kampf gezogen, aber ich bin ein alter Mann.</p> - -<p>Fürchtest du dich denn nicht vor den Russen?</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_256" id="Page_256">[Pg 256]</a></span></p> - -<p>Was können mir die Russen thun? Ich bin -ein alter Mann, sagte er wieder und sah teilnahmslos -in dem Kreise umher, der sich um ihn -gebildet hatte.</p> - -<p>Als ich wieder zurückkehrte, sah ich, wie dieser -alte Mann ohne Mütze mit gebundenen Händen -zitternd hinter dem Sattel eines Linienkosaken saß -und mit demselben leidenschaftslosen Ausdruck um -sich sah. Er war zum Austausch der Gefangenen -unentbehrlich.</p> - -<p>Ich kletterte auf das Dach und ließ mich neben -dem Kapitän nieder.</p> - -<p>Der Feind scheint nicht stark an Zahl gewesen -zu sein, sagte ich zu ihm, denn ich wollte seine -Meinung hören über den eben beendeten Kampf.</p> - -<p>Der Feind? wiederholte er verwundert. Es -hat ja gar keinen Feind gegeben. Nennt man das -etwa einen Feind? ... Abends werden Sie sehen, -wenn wir den Rückzug antreten, dann sollen Sie -sehen, wie sie uns begleiten werden: wie sie da -hervorkommen werden! fügte er hinzu und zeigte -mit dem Glase nach dem Waldwege, den wir des -Morgens gegangen waren.</p> - -<p>Was ist dort? fragte ich beunruhigt und unterbrach -den Kapitän, indem ich auf die Don'schen -Kosaken hinzeigte, die sich unweit von uns gesammelt -hatten.</p> - -<p>Aus ihrer Schar klang etwas wie das Weinen -eines Kindes herüber und die Worte: eh, schlagt<span class="pagenum"><a name="Page_257" id="Page_257">[Pg 257]</a></span> -nicht ... halt ... man könnte es sehen ... hast -du ein Messer, Ewstignjeïtsch? ... Gieb das -Messer her ...</p> - -<p>Sie teilen etwas, die verfluchten Kerle, sagte -der Kapitän ruhig.</p> - -<p>Aber in demselben Augenblick kam plötzlich mit -glühendem, erregtem Gesicht der hübsche Fähnrich -um die Ecke gestürmt und stürzte, mit den Armen -durch die Luft fahrend, auf die Kosaken zu.</p> - -<p>Rührt ihn nicht an, schlagt ihn nicht! rief er -mit kindlicher Stimme.</p> - -<p>Als die Kosaken den Offizier erblickten, gingen -sie auseinander und ließen einen weißen Ziegenbock -los. Der junge Fähnrich wurde äußerst verlegen, -murmelte etwas vor sich hin und blieb mit -verlegener Miene vor ihnen stehen. Als er mich -und den Kapitän auf dem Dache erblickte, errötete -er noch mehr und kam in hüpfenden Schritten zu -uns heran.</p> - -<p>Ich glaubte, sie wollten ein Kind töten, sagte -er mit schüchternem Lächeln.</p> - - -<h4> -<img src="images/illu-261.jpg" width="300" height="54" alt="X" /> -<span class="hidden">X</span> -</h4> - -<p>Der General ritt mit der Reiterei voraus. -Das Bataillon, mit dem ich die Festung N. verlassen -hatte, blieb in der Nachhut. Die Kompagnie -des Kapitäns Chlopow und des Leutnants -Rosenkranz rückten gleichzeitig aus.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_258" id="Page_258">[Pg 258]</a></span></p> - -<p>Die Prophezeiung des Kapitäns ging vollständig -in Erfüllung. Wir hatten kaum den -schmalen Waldweg betreten, von dem er gesprochen -hatte, als von beiden Seiten unaufhörlich Bergbewohner -zu Pferde und zu Fuß vorüberhuschten, -und in solcher Nähe, daß ich ganz deutlich sah, -wie einige zusammengekauert, die Büchse in der -Hand, von einem Baum zum andern hinüberrannten.</p> - -<p>Der Kapitän entblößte sein Haupt und bekreuzte -sich andächtig; einige alte Soldaten thaten -das Gleiche. Im Walde hörte man wildes Kriegsgeschrei -und die Worte: »Iaj, giaur! uruß iaj!« -Knatternde kurze Büchsenschüsse folgten einer dem -andern, und die Kugeln pfiffen von beiden Seiten. -Die Unseren erwiderten schweigend im Lauffeuer. -Nur selten hörte man in ihren Reihen Bemerkungen -wie die: »<em>Er</em><a name="FNanchor_O_15" id="FNanchor_O_15"></a><a href="#Footnote_O_15" class="fnanchor">[O]</a> feuert von da, <em>er</em> hat es -leicht, hinter den Bäumen versteckt, <em>Kanonen</em> -müßten wir haben ...« u. s. w.</p> - -<div class="footnote"> - -<a name="Footnote_O_15" id="Footnote_O_15"></a><a href="#FNanchor_O_15">[O]</a> <em>Er</em> ist ein Sammelname, unter dem die kaukasischen -Soldaten den Feind im Allgemeinen zu verstehen pflegen.</div> - -<p>Die Geschütze rückten in die Schlachtlinie ein. -Nach einigen Kartätschensalven schien der Feind -zu ermatten, aber nach einem kurzen Augenblick -und mit jedem Schritt, den die Truppen machten, -wurde das Feuer, das Geschrei und das Kriegsgeheul -wieder stärker.</p> - -<p>Wir hatten uns kaum 300 Faden von dem<span class="pagenum"><a name="Page_259" id="Page_259">[Pg 259]</a></span> -Aul zurückgezogen, als die feindlichen Kugeln pfeifend -über unsern Häuptern zu schwirren begannen. -Ich sah, wie ein Soldat von einer Kugel hingestreckt -wurde ... Aber wozu die Einzelheiten -dieses schrecklichen Bildes wiedererzählen, da ich -doch selbst viel dafür gäbe, wenn ich es vergessen -könnte.</p> - -<p>Leutnant Rosenkranz selbst schoß, ohne auch nur -einen Augenblick zu unterbrechen, aus seiner Büchse, -schrie mit heiserer Stimme die Soldaten an und -sprengte im vollen Lauf von einem Flügel zum -andern. Er war ein wenig blaß, und das stand -seinem kriegerischen Gesicht sehr gut.</p> - -<p>Der hübsche Fähnrich war entzückt. Seine -schönen schwarzen Augen strahlten vor Kühnheit, -seinen Mund umspielte ein leichtes Lächeln; immer -wieder kam er zu dem Kapitän herangeritten und -bat um die Erlaubnis, mit Urrah im Sturme -vorzugehen.</p> - -<p>Wir werfen sie zurück, sagte er mit innerer -Überzeugung. Wahrhaftig, wir werfen sie zurück.</p> - -<p>Nicht nötig, erwiderte der Hauptmann ruhig, -wir müssen zurückgehen.</p> - -<p>Die Kompagnie des Kapitäns hielt den Waldesrand -besetzt und erwiderte das feindliche Feuer -liegend. Der Kapitän, in seinem abgetragenen -Überrock und in seiner zerzausten Mütze, hatte -seinem Paßgänger, einem Schimmel, die Zügel -hängen lassen und seine Beine in dem kurzen Steig<span class="pagenum"><a name="Page_260" id="Page_260">[Pg 260]</a></span>bügel -zusammengezogen; so stand er schweigend -an einer und derselben Stelle. (Die Soldaten -wußten so gut, was sie zu thun hatten, und führten -es so gut aus, daß man ihnen nicht zu befehlen -brauchte.) Von Zeit zu Zeit nur erhob er seine -Stimme lauter und schrie die an, die die Köpfe -emporhoben. Die Gestalt des Kapitäns hatte -wenig Kriegerisches an sich, dafür aber lag in -ihr soviel Aufrichtigkeit und Schlichtheit, daß sie -mich außerordentlich berührte. »Das heißt wahrhaft -tapfer«, sprach es unwillkürlich in mir.</p> - -<p>Er war <em>ganz so, wie ich ihn immer sah</em>. -Dieselben sicheren Bewegungen, dieselbe ruhige -Stimme, derselbe Ausdruck von Gradheit in seinem -unschönen, aber schlichten Gesicht. Nur in dem -Blick, der leuchtender war, als gewöhnlich, konnte -man an ihm die Aufmerksamkeit eines Menschen -beobachten, der ruhig seiner Sache hingegeben ist. -Es sagt sich leicht: <em>ganz so wie immer</em>; aber -wie mannigfache Abstufungen habe ich bei andern -wahrnehmen können: der eine will ruhiger, der -andere ernster erscheinen, ein dritter heiterer als -gewöhnlich; an dem Gesicht des Kapitäns aber -konnte man merken, daß er gar nicht begreifen -konnte, warum man etwas scheinen sollte.</p> - -<p>Der Franzose, der bei Waterloo sagte: »<span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">La -garde meurt, mais ne se rend pas</span>« und andere, -besonders französische Helden, die denkwürdige -Worte gesprochen haben, waren tapfer und haben<span class="pagenum"><a name="Page_261" id="Page_261">[Pg 261]</a></span> -wirklich denkwürdige Worte gesprochen; aber zwischen -ihrer Tapferkeit und der Tapferkeit des Kapitäns -ist der Unterschied, daß er, wenn sich auch -ein großes Wort, gleichviel bei welcher Gelegenheit, -in der Seele meines Helden geregt hätte, er es -– davon bin ich überzeugt – nicht ausgesprochen -hätte: erstens, weil er gefürchtet hätte, durch das -große Wort selbst, wenn er es aussprach, das große -Werk zu zerstören; zweitens, weil, wenn ein Mensch -die Kraft in sich fühlt, ein großes Werk zu vollbringen, -jedes Wort überflüssig ist. Dies ist nach -meiner Meinung das besondere und große Merkmal -der russischen Tapferkeit; und wie soll demnach -ein russisches Herz nicht bluten, wenn man -unter unseren jungen Kriegern fade französische -Phrasen hört, die es dem veralteten französischen -Rittertum gleich zu thun streben? ...</p> - -<p>Plötzlich erklang von der Seite, wo der hübsche -Fähnrich mit seinem Zuge stand, ein vereinzeltes -und schwaches Urrah. Ich sah mich um bei dem -Rufe und erblickte etwa 30 Mann, die mit dem -Gewehr in der Hand und dem Sack auf dem -Rücken mit Mühe und Not über ein bebautes -Ackerfeld liefen. Sie stolperten, kamen aber doch -alle mit lautem Geschrei vorwärts. Ihnen voraus -sprengte mit gezücktem Säbel der junge Fähnrich.</p> - -<p>Alles verschwand im Walde.</p> - -<p>Nach einem Kriegsgeschrei und Gewehrknattern -von mehreren Minuten kam aus dem Walde ein<span class="pagenum"><a name="Page_262" id="Page_262">[Pg 262]</a></span> -scheues Pferd hervorgestürzt, und am Saum erschienen -Soldaten, die die Gefallenen und Verwundeten -heraustrugen; unter den Letzteren war -der junge Fähnrich. Zwei Soldaten hielten ihn -unter den Arm gestützt. Er war bleich wie ein -Tuch, und sein hübsches Köpfchen, auf dem nur -ein Schatten jener kriegerischen Begeisterung sichtbar -war, die es eine Minute vorher beseelt hatte, -war schrecklich zwischen den Schultern eingesunken -und hing auf die Brust herab. Auf dem weißen -Hemd unter dem aufgeknöpften Rock sah man -einen kleinen blutigen Fleck.</p> - -<p>Ach, welch ein Jammer, sagte ich unwillkürlich -und wandte mich von diesem traurigen Schauspiel -ab.</p> - -<p>Oh ja, es ist bejammernswert, sagte der alte -Soldat, der mit düsterer Miene, den Ellbogen -auf das Gewehr gestützt, neben mir stand. Er -fürchtet sich vor nichts, wie kann man nur so sein! -fügte er hinzu und blickte unverwandt zu dem Verwundeten -hinüber. Er ist noch nicht gescheit und -hat es büßen müssen.</p> - -<p>Fürchtest du dich denn? fragte ich.</p> - -<p>Etwa nicht?</p> - - -<h4> -<img src="images/illu-266.jpg" width="300" height="52" alt="XI" /> -<span class="hidden">XI</span> -</h4> - - -<p>Vier Soldaten trugen den Fähnrich auf einer -Tragbahre; hinter ihm führte ein Trainsoldat ein<span class="pagenum"><a name="Page_263" id="Page_263">[Pg 263]</a></span> -hageres, abgetriebenes Pferd, dem zwei grüne -Kasten aufgeladen waren, in denen die Werkzeuge -des Feldschers aufbewahrt lagen. Man erwartete -den Arzt. Die Offiziere kamen zu der Tragbahre -herangeritten und gaben sich Mühe, den Verwundeten -zu ermuntern, aufzurichten und zu trösten.</p> - -<p>Nun, Bruder Alanin, du wirst nicht so bald -wieder mit den Castagnetten tanzen können, sagte -lächelnd heranreitend Leutnant Rosenkranz.</p> - -<p>Er glaubte wahrscheinlich, diese Worte würden -den Mut des hübschen Fähnrichs aufrichten; aber -soviel man aus dem kalt-traurigen Ausdruck des -Blicks des Letzteren sehen konnte, hatten diese -Worte die erwartete Wirkung nicht.</p> - -<p>Auch der Kapitän kam herangeritten. Er betrachtete -den Verwundeten unverwandt, und in -seinen stets gleichmütig-kühlen Zügen prägte sich -aufrichtiges Mitleid aus.</p> - -<p>Nun, mein teurer Anatolij Iwanytsch, sagte -er mit einer Stimme, die von so zärtlicher Teilnahme -erfüllt war, wie ich es nie von ihm erwartet -hätte. Gott hat es offenbar so gewollt.</p> - -<p>Der Verwundete sah sich um; sein bleiches -Gesicht belebte ein trauriges Lächeln.</p> - -<p>Ja, ich habe Ihnen nicht gefolgt.</p> - -<p>Sagen Sie lieber, Gott hat es so gewollt, -wiederholte der Kapitän.</p> - -<p>Der Arzt war gekommen, er nahm von dem -Feldscher die Binden, die Sonde und was er sonst<span class="pagenum"><a name="Page_264" id="Page_264">[Pg 264]</a></span> -noch brauchte, streifte die Ärmel auf und trat mit -einem ermunternden Lächeln an den Verwundeten -heran.</p> - -<p>Nun, auch Ihnen haben sie, wie es scheint, -ein Loch an einer heilen Stelle gemacht? sagte er -in scherzhaft-leichtem Ton. Zeigen Sie mal her.</p> - -<p>Der Fähnrich gehorchte; aber in dem Ausdruck, -mit dem er den lustigen Arzt ansah, lag Verwunderung -und Vorwurf. Der Arzt bemerkte das -nicht. Er sondierte die Wunde und besah sie von -allen Seiten; der Verwundete aber wurde ungeduldig -und schob die Hand des Arztes mit -schwerem Stöhnen zurück.</p> - -<p>Lassen Sie mich, sagte er mit kaum vernehmbarer -Stimme. Es ist ganz gleich, ich sterbe.</p> - -<p>Mit diesen Worten fiel er zurück, und fünf Minuten -später, als ich an die Gruppe, die sich um -ihn gebildet hatte, herantrat und einen Soldaten -fragte: »Wie steht's mit dem Fähnrich?« antwortete -man mir: »Er geht hinüber.«</p> - - -<h4> -<img src="images/illu-268.jpg" width="300" height="53" alt="XII" /> -<span class="hidden">XII</span> -</h4> - -<p>Es war schon spät, als die Abteilung, in Reih -und Glied, mit klingendem Spiel sich der Festung -näherte. Die Sonne war hinter dem schneebedeckten -Bergrücken versunken und warf ihre -letzten rosigen Strahlen auf eine lange, zarte -Wolke, die an dem hellen, lichten Horizont stand.<span class="pagenum"><a name="Page_265" id="Page_265">[Pg 265]</a></span> -Die Schneeberge begannen sich in bläulichen Nebel -zu hüllen; nur ihre höchsten Umrisse hoben sich -mit außerordentlicher Klarheit von dem Purpurlicht -des Sonnenunterganges ab. Der längst aufgegangene, -durchsichtige Mond begann das dunkle -Blau mit seinem hellen Schimmer zu beleuchten. -Das Grün des Grases und der Bäume wurde -schwärzlich und bedeckte sich mit Tau. Die dunklen -Heeresmassen bewegten sich mit gleichmäßigem Laut -über die duftigen Wiesen; von allen Seiten tönten -Glockenspiel, Trommel und lustige Lieder. Der -Stimmführer der sechsten Kompagnie ließ seine -Stimme mit voller Kraft erschallen, die Töne seines -reinen vollen Tenors, voll Empfindung und Kraft, -erklangen weithin durch die klare Abendluft.</p> - -<div class="figcenter"> -<img src="images/illu-269.jpg" width="300" height="47" alt="* * * * *" /> -</div> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_266" id="Page_266">[Pg 266]</a></span></p> - -<div class="figcenter"> -<img src="images/illu-270.jpg" width="100" height="99" -alt="* * * * *" /> -</div> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_267" id="Page_267">[Pg 267]</a></span></p> - -<div class="figcenter"><img src="images/271.jpg" width="386" height="700" alt="Der Holzschlag - Erzählung eines Junkers" /></div> - -<h3>Der Holzschlag - Erzählung eines Junkers -</h3> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_268" id="Page_268">[Pg 268]</a></span></p> - - -<h4>I</h4> - -<p>Es war um die Mitte des Winters 185., -eine Division unserer Batterie stand im Felde -in der großen Tschetschnja. Am Abend des 14. Februar -hatte ich erfahren, daß der Zug, den ich -in Abwesenheit des Offiziers kommandierte, zu -der Kolonne befehligt war, die morgen zum Waldausholzen -gehen sollte. Ich hatte schon am Abend -die nötigen Befehle empfangen und weitergegeben -und mich früher als gewöhnlich in mein Zelt begeben, -und da ich nicht die schlechte Gewohnheit -hatte, es mit glühenden Kohlen zu heizen, legte -ich mich bekleidet, wie ich war, auf mein Bett, das -auf Pflöcken hergerichtet war, zog die Fellmütze -über die Augen, wickelte mich in meinen Pelz -ein und versank in den eigentümlichen, festen und -schweren Schlaf, den man im Augenblick der Erregung -und Unruhe vor der Gefahr schläft. Die -Erwartung des Unternehmen von morgen hatte -mich in diesen Zustand versetzt.</p> - -<p>Um drei Uhr morgens, als es noch ganz dunkel -war, riß mir jemand den warm gewordenen Schaf<span class="pagenum"><a name="Page_269" id="Page_269">[Pg 269]</a></span>pelz -herunter, und die rötliche Farbe der Kerzen -traf meine verschlafenen Augen schmerzhaft.</p> - -<p>Belieben Sie aufzustehen, sagte eine Stimme. -Ich schloß die Augen, zog unbewußt den Schafpelz -wieder herauf und schlief ein. Belieben Sie -aufzustehen, wiederholte Dmitrij von neuem und -rüttelte mich erbarmungslos an der Schulter, die -Infanterie rückt aus. Da wurde mir auf einmal -die Wirklichkeit klar, ich schüttelte mich und sprang -auf die Beine. Schnell trank ich mein Glas Thee, -wusch mich mit dem eiskalten Wasser, kroch aus -meinem Zelt und ging in den Park (der Ort, -wo die Geschütze stehen). Es war dunkel, neblig -und kalt. Die nächtlichen Wachtfeuer beleuchteten -die Soldaten, die um sie herum gelagert waren, -und verstärkten die Dunkelheit durch ihren matten -Purpurschein. In der Nähe war ein gleichmäßiges -ruhiges Schnarchen zu hören, in der Ferne die Bewegungen, -das Gespräch und das Waffengeklirr -des Fußvolks, das sich zum Aufbruch rüstete; es -roch nach Rauch, Lunte und Nebel; der Schauer -der Morgenkühle lief mir über den Rücken -und meine Zähne schlugen unwillkürlich gegeneinander.</p> - -<p>Nur an dem Schnauben und von Zeit zu Zeit -erklingendem Hufschlag konnte man in dieser undurchdringlichen -Dunkelheit erkennen, wo die bespannten -Protzwagen und Pulverkästen, und an -den leuchtenden Punkten der Lunten, wo die Ge<span class="pagenum"><a name="Page_270" id="Page_270">[Pg 270]</a></span>schütze -standen. Mit den Worten: »Mit Gott!« -erklirrte das erste Geschütz, hinterdrein rasselte der -Pulverkasten, und der Zug setzte sich in Bewegung. -Wir nahmen alle unsere Mützen ab und bekreuzten -uns. Als der Zug den freien Raum zwischen den -Infanterie-Abteilungen eingenommen hatte, machte -er Halt und wartete etwa eine Viertelstunde, bis -die ganze Kolonne sich gesammelt und der Befehlshaber -gekommen war.</p> - -<p>Bei uns fehlt ein Soldat, Nikolaj Petrowitsch, -sagte eine dunkle Gestalt, die auf mich zuschritt, -und die ich nur an der Stimme als den Zugfeuerwerker -Maksimow erkannte.</p> - -<p>Wer?</p> - -<p>Welentschuk fehlt. Als angespannt wurde, war -er da, – ich habe ihn gesehen –, jetzt -fehlt er.</p> - -<p>Da nicht anzunehmen war, daß die Kolonne -sich sofort in Bewegung setzen würde, beschlossen -wir, den Liniengefreiten Antonow auszuschicken, -um Welentschuk zu suchen. Gleich darauf trabten -an uns in der Dunkelheit zwei Reiter vorüber: -es war der Befehlshaber mit seinem Gefolge, und -in diesem Augenblick rührte sich die Spitze der -Kolonne und setzte sich in Bewegung, endlich auch -wir; Antonow aber und Welentschuk waren nicht -da. Wir waren aber kaum hundert Schritt vorwärts -gekommen, als beide Soldaten uns einholten.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_271" id="Page_271">[Pg 271]</a></span></p> - -<p>Wo war er? fragte ich Antonow.</p> - -<p>Er hat im Park geschlafen!</p> - -<p>Wie, hat er denn einen Rausch?</p> - -<p>Ei, Gott bewahre.</p> - -<p>Warum ist er denn aber eingeschlafen?</p> - -<p>Das weiß ich nicht.</p> - -<p>Drei Stunden lang bewegten wir uns langsam -ohne einen Laut durch den Nebel über unbeackerte, -schneelose Felder und niedriges Gesträuch dahin, -das unter den Rädern der Geschütze knirschte. -Endlich, als wir den flachen, aber außerordentlich -reißenden Bach überschritten hatten, wurde Halt -befohlen, und in der Vorhut ertönten abgerissene -Büchsenschüsse. Diese Laute wirkten wie immer -besonders erregend auf alle. Die Abteilung schien -aus dem Schlaf zu erwachen. In den Reihen ertönte -Geplauder, Bewegung und Lachen. Von -den Soldaten rang der eine mit dem Kameraden, -der eine hüpfte von einem Bein auf das andere, -ein dritter kaute Zwieback oder übte zum Zeitvertreib: -Präsentiert das Gewehr, oder: Gewehr -bei Fuß. Dabei begann der Nebel im Osten -sichtlich heller zu werden, die Feuchtigkeit wurde -fühlbarer, und die Gegenstände rings um uns -her traten aus dem Dunkel hervor. Ich konnte -schon die grünen Lafetten und Pulverkästen unterscheiden, -das von der Nebelfeuchtigkeit bedeckte -Erz der Geschütze, die bekannten, ohne meinen -Willen bis in die kleinste Einzelheit mir vertraut<span class="pagenum"><a name="Page_272" id="Page_272">[Pg 272]</a></span> -gewordenen Gestalten meiner Soldaten, die -braunen Pferde und die Reihen der Infanterie -mit ihren blitzenden Bajonetten, Brotsäcken, Kugelausziehern -und Kesseln auf dem Rücken.</p> - -<p>Bald wurde uns befohlen, vorwärts zu gehen, -und nachdem wir einige hundert Schritt ohne bestimmtes -Ziel gemacht hatten, wurde uns ein Platz -angewiesen. Rechts schimmerte das steile Ufer des -schlangenartigen Flüßchens und die hohen hölzernen -Säulen eines tatarischen Kirchhofs; links und vor -uns blinkte durch den Nebel ein dunkler Streifen -hindurch. Der Zug protzte ab. Die achte Kompagnie, -die uns Deckung bot, stellte die Gewehre -zusammen, und ein Bataillon Soldaten ging mit -Gewehren und Äxten in den Wald.</p> - -<p>Es waren kaum fünf Minuten vergangen, als -von allen Seiten die Wachtfeuer zu knistern und -zu qualmen begannen. Die Soldaten hatten sich -zerstreut, fachten die Feuer mit den Händen und -Füßen an, schleppten Reisig und Holz heran, und -unaufhörlich schallte durch den Wald der Klang -von hundert Äxten und gefällten Bäumen.</p> - -<p>Die Artilleristen hatten in einem gewissen Wetteifer -mit der Infanterie ihr eigenes Wachtfeuer -angezündet, und obgleich es schon in solcher Glut -loderte, daß man ihm nicht auf zwei Schritt nahe -kommen konnte, und der dichte, schwarze Rauch -durch die eisbehängten Zweige emporstieg, von -welchen die Tropfen herabfielen und im Feuer<span class="pagenum"><a name="Page_273" id="Page_273">[Pg 273]</a></span> -zischten, und welche die Soldaten in die Flamme -hineinlegten, sich unten Kohlen und absterbendes -weißes Gras rings um das Feuer bildete, schien -doch alles den Soldaten noch zu wenig. Sie -schleppten ganze Stämme heran, legten Gras -unter und fachten das Feuer immer mehr und -mehr an.</p> - -<p>Als ich an das Wachtfeuer herantrat, um eine -Cigarette anzuzünden, holte Welentschuk, der stets -eifrig war, jetzt aber in seinem Schuldbewußtsein, -sich mehr als andere beim Feuer zu schaffen machte, -in einem Anfall von Übereifer ganz aus der Mitte -mit bloßer Hand eine Kohle, indem er sie ein- und -zweimal von einer Hand auf die andere und -dann auf die Erde warf.</p> - -<p>Zünde doch ein Reis an und reiche es hin, -sagte ein anderer.</p> - -<p>Die Lunte, Kameraden, reicht hin, sagte ein -dritter. Als ich endlich ohne die Hilfe Welentschuks, -der wieder mit den Händen eine Kohle -nehmen wollte, eine Cigarette angeraucht hatte, -rieb er die verbrannten Finger an den hinteren -Schößen seines Schafpelzes und hob, wahrscheinlich, -um irgend etwas zu thun, einen großen -Cedernklotz auf und schleuderte ihn aus voller -Kraft in das Feuer. Als er endlich glaubte, ausruhen -zu dürfen, ging er ganz nahe an die Glut -heran, faltete den Mantel, den er wie einen Dolman -auf dem Hinterkopf trug, aneinander, spreizte<span class="pagenum"><a name="Page_274" id="Page_274">[Pg 274]</a></span> -die Beine, streckte seine großen schwarzen Hände -vor, verzog leicht seinen Mund und kniff die -Augen zusammen.</p> - -<p>Ei der Tausend! Ich habe mein Pfeifchen -vergessen. Ach, das ist schlimm, Kameraden, sagte -er, nachdem er eine Weile geschwiegen hatte, ohne -sich an einen Bestimmten unter ihnen zu wenden.</p> - - -<h4> -<img src="images/illu-278.jpg" width="300" height="57" alt="II" /> -<span class="hidden">II</span> -</h4> - -<p>In Rußland giebt es drei hervorstechende -Soldatentypen, unter die man die Mannschaften -aller Truppengattungen einordnen kann: der -kaukasischen, armenischen, der Garde, der Infanterie, -der Kavallerie, der Artillerie u. s. w.</p> - -<p>Diese Haupttypen, die wiederum viele Unterabteilungen -und viel Gemeinschaftliches haben, -sind:</p> - -<p>1. die Gehorsamen,</p> - -<p>2. die Befehlerischen und</p> - -<p>3. die Tollkühnen.</p> - -<p>Die Gehorsamen zerfallen in a) die kaltblütig -Gehorsame und b) in die eifrig Gehorsame.</p> - -<p>Die Befehlerischen zerfallen in a) Schroffbefehlerische -und b) Höflichbefehlerische.</p> - -<p>Die Tollkühnen zerfallen in a) in die lustigen -Tollkühnen und b) in die ausschweifenden Tollkühnen.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_275" id="Page_275">[Pg 275]</a></span></p> - -<p>Der Typus, der am häufigsten vorkommt – -der liebenswürdigste, sympathischste und meist mit -den besten christlichen Tugenden, mit Sanftmut, -Frömmigkeit, Geduld und Ergebenheit in den -Willen Gottes verbundene Typus – ist der Typus -der Gehorsamen schlechtweg. Der hervorstechende -Zug des kaltblütig Gehorsamen ist die durch nichts -zu erschütternde Ruhe und Verachtung aller Schicksalsschläge, -die ihn treffen können. Das hervorstechende -Merkmal des gehorsamen Trunkenbolds -ist eine stille Neigung zum Poetischen und Empfindsamkeit; -das hervorstechende Merkmal der -Eifrigen – die Beschränktheit der Geistesgaben, -verbunden mit zwecklosem Fleiß und Geschäftigkeit.</p> - -<p>Der Typus der Befehlerischen schlechtweg kommt -vornehmlich in den höheren Soldatenkreisen vor: -bei Gefreiten, Unteroffizieren, Feldwebeln u. s. w. -und ist, in der ersten Unterabteilung der schroff -Befehlerischen, ein sehr edler, energischer, vornehmlich -kriegerischer Typus, der auch einen hohen -poetischen Schwung nicht ausschließt. (Zu diesem -Typus gehörte der Gefreite Antonow, mit dem -ich den Leser bekannt machen will.) Die zweite -Unterabteilung bilden die höflich Befehlerischen, -die seit einiger Zeit stark an Zahl zu wachsen -beginnen. Der höflich Befehlerische ist stets bereit, -kann lesen und schreiben, trägt ein rosa Hemd, -ißt nicht aus dem gemeinsamen Kessel, raucht zu<span class="pagenum"><a name="Page_276" id="Page_276">[Pg 276]</a></span>weilen -feingeriebenen Tabak, hält sich für etwas -unvergleichlich Höheres als den gewöhnlichen Soldaten -und pflegt selbst selten ein so guter Soldat -zu sein, wie die Befehlerischen der ersten -Klasse.</p> - -<p>Der Typus der Tollkühnen ist ganz wie der -Typus der Befehlshaberischen in seiner ersten Abteilung -gut: in der Abteilung der lustigen Tollkühnen, -deren unterscheidendes Merkmal eine unerschütternde -Heiterkeit, außerordentliche Fähigkeit -zu allem, reiche Naturanlagen und Kühnheit sind -– und ebenso entsetzlich schlecht in der zweiten Abteilung: -der der ausschweifenden Tollkühnen, die -indessen, wie zur Ehre des russischen Heeres gesagt -werden muß, höchst selten vorkommen, und -wenn sie vorkommen, von der Soldatengemeinschaft -selbst aus der Kameradschaft ausgeschlossen -werden. Unglaube und eine gewisse Kühnheit -im Laster sind die Hauptcharakterzüge dieser Abteilung.</p> - -<p>Welentschuk gehörte zu der Kategorie der eifrig -Gehorsamen. Er war Kleinrusse von Geburt, -diente schon 15 Jahre und war ein unansehnlicher -und ungewandter Soldat, aber treuherzig, gut, -außerordentlich eifrig, wenn auch meist an unpassender -Stelle, und außerordentlich ehrenhaft. -Ich sage: außerordentlich ehrenhaft, weil er im -vorigen Jahre, bei einer bestimmten Gelegenheit, -höchst augenscheinlich diese charakteristische Eigen<span class="pagenum"><a name="Page_277" id="Page_277">[Pg 277]</a></span>schaft -hervortreten ließ. Ich muß bemerken, daß -fast jeder von den Soldaten ein Handwerk versteht. -Die verbreitetsten Handwerke sind die -Schneiderei und die Schuhmacherei. Welentschuk -selbst hatte das erstere Handwerk gelernt und, wenn -man danach urteilt, daß Michail Dorofeïtsch, der -Feldwebel selbst, ihm seine eigenen Kleider zu -machen gab, einen gewissen Grad der Vollkommenheit -erreicht. Im vergangenen Jahre hatte -Welentschuk im Lager einen feinen Mantel für -Michail Dorofeïtsch zu machen übernommen; aber -in der Nacht, in der er das Tuch zerschnitten und -das Futter angemessen und beides im Zelt unter -sein Kopfkissen gelegt hatte, geschah ihm ein Unglück. -Das Tuch, das <em>sieben Rubel</em> kostete, war -in der Nacht verloren gegangen! Welentschuk -machte dem Feldwebel, mit Thränen in den Augen, -mit zitternden, bleichen Lippen und verhaltenem -Schluchzen Meldung. Michail Dorofeïtsch wurde -wütend. Im ersten Augenblick seines Zornes -drohte er dem Schneider, dann ließ er die Sache, -als ein Mann von Wohlstand und Güte, sein und -forderte von Welentschuk nicht, daß er ihm den -Wert des Mantels ersetze. So eifrig auch der -eifrige Welentschuk war, soviel er auch weinte und -den Leuten von seinem Unglück vorerzählte, der -Dieb war nicht zu finden. Obgleich man starken -Verdacht auf einen ausschweifenden, tollkühnen -Soldaten, Tschernow, hatte, der mit ihm in einem<span class="pagenum"><a name="Page_278" id="Page_278">[Pg 278]</a></span> -Zelte schlief, hatte man doch keine positiven Beweise. -Der höflichbefehlerische Michail Dorofeïtsch -hatte, als ein Mann von Wohlhabenheit, der mit -dem Kapitän <span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">d'armes</span> und dem Leiter der Artel, -den Aristokraten der Batterie, Geschäfte hatte, -bald den Verlust seines Privatmantels vergessen; -Welentschuk dagegen hatte sein Unglück nicht vergessen. -Die Soldaten sagten, sie hätten damals -für ihn gefürchtet, ob er nicht etwa Hand an -sich legen oder in die Berge laufen werde, – -so stark hatte dies Unglück auf ihn eingewirkt. -Er trank nicht, er aß nicht, selbst zur Arbeit war -er unfähig und weinte beständig. Nach drei Tagen -kam er zu Michail Dorofeïtsch, ganz bleich, zog -mit zitternder Hand einen Gulden aus dem Ärmelaufschlag -und reichte ihn ihm. Bei Gott, es ist -mein letztes, Michail Dorofeïtsch, und auch das -habe ich von Shdanow borgen müssen, sagte er -und schluchzte wieder; und noch zwei Rubel bringe -ich, bei Gott, sobald ich sie verdient habe. Er (wer -»er« war, wußte Welentschuk selbst nicht) hat mich -vor ihren Augen zu einem Schurken gemacht. Er -– die giftige, gemeine Seele! – hat seinem -Bruder und Kameraden das letzte Hemd vom -Leibe genommen; fünfzehn Jahre diene ich -und ...« Zu Michail Dorofeïtschs Ehre muß ich -sagen, daß er von Welentschuk die fehlenden zwei -Rubel nicht nahm, obgleich sie ihm Welentschuk -zwei Monate später brachte.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_279" id="Page_279">[Pg 279]</a></span></p> - - -<h4> -<img src="images/illu-283.jpg" width="300" height="53" alt="III" /> -<span class="hidden">III</span> -</h4> - -<p>Außer Welentschuk wärmten sich am Wachtfeuer -noch fünf Mann meines Zuges.</p> - -<p>An der besten Stelle, wo man gegen den Wind -geschützt war, saß auf einem Holzfäßchen der -Feuerwerker des Zuges Maksimow und rauchte -sein Pfeifchen. In der Haltung, in dem Blick, -in allen Bewegungen dieses Mannes konnte man -die Gewohnheit zu befehlen, und das Bewußtsein -des eignen Wertes lesen, abgesehen sogar von -dem Holzfäßchen, auf dem er saß, das in der -Raststätte das Abzeichen der Macht bildete, und -den Nanking-überzogenen Pelzrock.</p> - -<p>Als ich herankam, wandte er mir sein Gesicht -zu; seine Augen aber blieben auf das Feuer gerichtet, -und erst viel später wandte sich sein Blick, -der Richtung des Gesichts folgend, mir zu. Maksimow -war ein Einhöfer. Er besaß Vermögen, -er hatte in der Lehrbrigade Unterricht erhalten -und sich Gelehrsamkeit angeeignet. Er war ungeheuer -reich und ungeheuer gelehrt, wie die Soldaten -sagten. Ich erinnere mich, wie er einmal -bei einer Übung im Scheibenschießen mit dem Quadranten -den Soldaten, die sich um ihn gesammelt -hatten, erklärte, daß die Wasserwage »nichts anderes -sei, als das atmosphärische Quecksilber seine -Bewegung hat«. In Wirklichkeit war Maksimow<span class="pagenum"><a name="Page_280" id="Page_280">[Pg 280]</a></span> -keineswegs dumm und verstand seine Sache vortrefflich; -aber er hatte die unglückselige Eigentümlichkeit, -bisweilen mit Absicht so zu sprechen, daß -man ihn unmöglich verstehen konnte, und daß er -selbst, wie ich überzeugt bin, seine eigenen Worte -nicht verstand. Besonders gebrauchte er gern die -Worte: »hervorgehen« und »fortfahren« und wenn -er anfing: daraus geht hervor oder fortfahrend, -dann wußte ich schon vorher, daß ich von allem, -was dann kam, nichts verstehen würde. Die Soldaten -aber hörten, wie ich bemerken konnte, sein -»fortfahrend« mit Vergnügen und vermuteten dahinter -einen tiefen Sinn, obgleich sie, ganz wie ich, -kein Wort verstanden. Aber diesen Mangel des -Verständnisse setzten sie auf Rechnung ihrer eigenen -Dummheit, und ihre Achtung vor Fjodor Maksimytsch -war nur um so größer. Mit einem Worte, -Maksimow war einer von den Höflichbefehlerischen.</p> - -<p>Der zweite Soldat, der in der Nähe des Feuers -die Stiefel auf seine sehnigen, roten Beine zog, -war Antonow, der Bombardier Antonow, der schon -im Jahre 37, als er mit zwei Kameraden bei einem -Geschütz ohne Deckung zurückgeblieben war, den -starken Feind abgeschlagen und mit zwei Kugeln -im Schenkel das Geschütz weiter bedient und geladen -hatte. »Er hätte längst Feuerwerker sein -müssen, wenn er einen anderen Charakter hätte,« -sagten die Soldaten von ihm. Und er hatte in -der That einen sonderbaren Charakter. War er<span class="pagenum"><a name="Page_281" id="Page_281">[Pg 281]</a></span> -nüchtern, so gab es keinen ruhigeren, friedlicheren -und ordentlicheren Menschen, hatte er aber getrunken, -so wurde er ein ganz anderer Mensch. -Er erkannte keine Obrigkeit an, raufte sich, trieb -allerlei Unfug und wurde ein ganz unbrauchbarer -Soldat. Erst vor acht Tagen hatte er in der -Butterwoche tüchtig getrunken, und trotz aller Drohungen, -Mahnungen, trotzdem er ans Geschütz gebunden -wurde, hörte er nicht auf zu saufen und -Unfug zu treiben bis zum Fastenmontag. Die -ganze Fastenzeit hindurch aber nährte er sich, trotz -des Befehls, daß die ganze Mannschaft keine -Fastenspeise essen solle, nur von Zwieback, nahm -sogar in der ersten Woche nicht einmal die ihm -zukommende Ration Branntwein. Übrigens mußte -man diese gedrungene, eisenfeste Gestalt mit den -kurzen, nach auswärts gebogenen Beinen und der -glänzenden, bärtigen Fratze sehen, wenn er im -Rausch die Balalajka in die sehnige Hand nahm, -geringschätzig nach allen Seiten umhersah und die -»Herrin« zu spielen begann, oder wenn er den -Mantel, an dem die Orden baumelten, kühn umwarf -und, die Hände in die Tasche der blauen -Nankinghosen gesteckt, über die Straße ging – -man mußte den Ausdruck soldatischen Stolzes und -der Geringschätzung alles Nicht-Soldatischen sehen, -der dann um seine Züge spielte, um zu begreifen, -daß es für ihn ganz unmöglich war, in einem -solchen Augenblick nicht mit einem grobwerdenden<span class="pagenum"><a name="Page_282" id="Page_282">[Pg 282]</a></span> -oder einfach zufällig in den Weg kommenden Burschen, -Kosaken, Infanteristen oder Kolonisten, kurz -Nicht-Artilleristen, zu raufen. Er raufte und trieb -seinen Unfug nicht so sehr zum eigenen Vergnügen -als zur Aufrechterhaltung des Geistes und des -gesamten Soldatentums, als dessen Vertreter er -sich fühlte.</p> - -<p>Der dritte Soldat, der zusammengekauert an -dem Wachtfeuer saß, war der Fahrer Tschikin. -Er trug einen Ring im Ohr, hatte ein borstiges -Schnurrbärtchen, ein Vogelgesicht und hielt eine -Porzellanpfeife im Munde. Tschikin, der liebe, -gute Tschikin, wie ihn die Soldaten zu nennen -pflegten, war ein <em>Spaßmacher</em>. Im furchtbarsten -Frost, im tiefsten Schmutz, zwei Tage ohne Essen -auf dem Marsche, bei der Musterung, bei der -Übung, immer und überall schnitt der gute, liebe -Tschikin Gesichter, trieb mit seinen Beinen allerlei -Späße und trieb solche Scherze, daß der ganze -Zug sich vor Lachen schüttelte. Auf der Raststätte -oder im Lager bildete sich um Tschikin immer ein -Kreis junger Soldaten. Er begann mit ihnen ein -Kartenspiel oder erzählte Geschichten von dem -schlauen Soldaten und dem englischen Mylord, -oder er spielte einen Tataren, einen Deutschen oder -er machte auch einfach seine Bemerkungen, über die -sich alle zu Tode lachen konnten. Allerdings war -sein Ruf als eines Spaßmachers in der Batterie -schon so gefestigt, daß er nur den Mund zu öffnen<span class="pagenum"><a name="Page_283" id="Page_283">[Pg 283]</a></span> -und mit den Augen zu blinzeln brauchte, um ein -allgemeines Gelächter hervorzurufen, aber er hatte -wirklich viel echt Komisches und Überraschendes an -sich. Er verstand in jedem Dinge etwas Besonderes -zu sehen, etwas, was anderen gar nicht in den -Sinn kam, und was die Hauptsache war, diese -Fähigkeit, in allem etwas Komisches zu sehen, -widerstand keiner Versuchung.</p> - -<p>Der vierte Soldat war ein junger, unansehnlicher -Bursche, ein Rekrut der vorjährigen Aushebung, -der zum erstenmal an einem Feldzuge teilnahm. -Er stand mitten im Rauch und so nahe am -Feuer, daß man glauben konnte, sein fadenscheiniger -Pelzrock müsse jeden Augenblick Feuer fangen, trotzdem -aber konnte man an seinen zurückgeschlagenen -Schößen, an seiner ruhigen, selbstzufriedenen Haltung -und den hervortretenden Waden erkennen, -daß er ein großes Behagen empfand.</p> - -<p>Der fünfte Soldat endlich, der ein wenig entfernt -von dem Wachtfeuer saß und ein Stäbchen -schnitzte, war Onkelchen Shdanow. Shdanow war -an Dienstjahren der älteste von allen Soldaten -in der Batterie. Er hatte sie alle als Rekruten -gekannt, und alle nannten ihn nach einer alten -Gewohnheit Onkelchen. Er trank nie, wie die -Leute sagten, er rauchte nie, er spielte nie Karten -(nicht einmal »Nase«), er brauchte nie ein häßliches -Schimpfwort. Die ganze dienstfreie Zeit beschäftigte -er sich mit Schuhmacherei. An den Feier<span class="pagenum"><a name="Page_284" id="Page_284">[Pg 284]</a></span>tagen -besuchte er die Kirche, wo es möglich war, -oder er stellte eine Kopekenkerze vor das Heiligenbild -und schlug den Psalter auf, das einzige Buch, -in dem er lesen konnte. Mit den Soldaten ließ -er sich wenig ein. Mit denen, die im Rang höher -standen, wenn sie auch jünger an Jahren waren, -war er von kühler Ehrerbietung, mit Gleichgestellten -hatte er als Nichttrinker wenig Gelegenheit -zusammenzukommen; besonders aber hatte er -die Rekruten und die jungen Soldaten gern: die -nahm er stets unter seine Obhut, las ihnen die -Instruktionen vor und half ihnen häufig. Alle -Leute in der Batterie hielten ihn für einen reichen -Mann, weil er 25 Rubel besaß, die er gern einem -Soldaten lieh, der wirklich in Not war. Maksimow, -derselbe Maksimow, der jetzt Feuerwerker -war, erzählte mir, als er einst vor zehn Jahren -als Rekrut eingetreten war, und die alten, trinklustigen -Kameraden mit ihm sein Geld vertrunken -hatten, habe Shdanow, der seine unglückliche Lage -bemerkte, ihn zu sich gerufen, ihm einen strengen -Verweis wegen seiner Aufführung erteilt, ihn sogar -geschlagen, ihm die Instruktionen vorgelesen, -wie der Soldat sich zu führen habe, dann habe er -ihm ein Hemd gegeben, da Maksimow keines mehr -hatte, und einen halben Rubel, und ihn fortgeschickt. -»Er hat einen Menschen aus mir gemacht,« pflegte -Maksimow stets von ihm mit Achtung und Dankbarkeit -zu sagen. Er war es auch, der Welentschuk,<span class="pagenum"><a name="Page_285" id="Page_285">[Pg 285]</a></span> -der sich stets seines Schutzes erfreute, schon von der -Rekrutenzeit her bei dem Unglück wie bei dem Verluste -des Mantels geholfen hatte, und so vielen -anderen während seiner 25jährigen Dienstzeit.</p> - -<p>Was den Dienst betrifft, so konnte man keinen -Soldaten finden, der seine Sache besser verstand, -der tapferer und ordentlicher war als er; aber er -war zu ruhig und unansehnlich, um zum Feuerwerker -ernannt zu werden, obwohl er schon fünfzehn -Jahre Bombardier war. Shdanows einzige -Freude, ja seine Leidenschaft, war der Gesang. -Einige Lieder besonders hatte er sehr gern, er -suchte sich immer einen Kreis von Sängern unter -den jüngeren Soldaten und stand mitten unter -ihnen, obgleich er selbst nicht singen konnte, hielt -die Hände in den Taschen des Pelzrocks, kniff -die Augen zusammen und drückte durch Bewegungen -des Kopfes und der Kiefern seine Teilnahme -aus. Ich weiß nicht, warum ich in dieser -gleichmäßigen Bewegung der Kiefern unter dem -Ohre, die ich nur bei ihm beobachtet habe, außerordentlich -viel Ausdruck fand. Der schneeweiße -Kopf, der gewichste, schwarze Schnauzbart und das -gebräunte, faltenreiche Gesicht gaben ihm auf den -ersten Blick ein strenges, rauhes Aussehen; aber -sah man tiefer in seine großen runden Augen, besonders -wenn sie lachten (mit den Lippen lachte er -nie), so wurde man plötzlich durch etwas außerordentlich -Mildes, fast Kindliches überrascht.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_286" id="Page_286">[Pg 286]</a></span></p> - - -<h4> -<img src="images/illu-290.jpg" width="300" height="53" alt="IV" /> -<span class="hidden">IV</span> -</h4> - -<p>Ach, da habe ich meine Pfeife vergessen. Das -ist schlimm, Kameraden! sagte Welentschuk immer -wieder.</p> - -<p>Du solltest Cigarren rauchen, lieber Freund, -begann Tschikin; dabei verzog er den Mund und -blinzelte mit den Augen – ich rauche zu Hause auch -immer Cigarren, die schmecken süßer.</p> - -<p>Selbstverständlich schüttelten sich alle vor Lachen.</p> - -<p>Da hat er die Pfeife vergessen, fiel Maksimow -ein, ohne das allgemeine Gelächter zu beachten, -und klopfte mit der Miene eines Vorgesetzten stolz -seine Pfeife auf der Fläche der linken Hand aus. -Wo bist du denn eigentlich gewesen, Welentschuk, -he?</p> - -<p>Welentschuk kehrte sich halb zu ihm um, erhob -die Hand zur Mütze, ließ sie aber bald wieder -sinken.</p> - -<p>Man sieht's, hast von gestern noch nicht ausgeschlafen, -daß du im Stehen einnickst. Dafür -wird man euresgleichen keinen Dank sagen.</p> - -<p>Zerreißt mich hier auf der Stelle, Fjodor -Maksimowitsch, wenn ich nur ein Tröpfchen im -Munde gehabt habe; ich weiß selbst nicht, was -mit mir geschehen ist, antwortete Welentschuk. Was -hat's denn so Gutes gegeben, daß ich mich hätte -betrinken sollen? brummte er vor sich hin.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_287" id="Page_287">[Pg 287]</a></span></p> - -<p>Das ist's ja eben, da ist man für euresgleichen -seinem Vorgesetzten verantwortlich, und ihr bleibt -immer dabei ... Das hat keine Art! schloß der -beredte Maksimow schon in viel ruhigerem Tone.</p> - -<p>Ist's nicht ein Wunder, Kameraden, fuhr Welentschuk -nach einem minutenlangen Schweigen fort, -dabei kratzte er sich im Nacken und wandte sich an -niemanden insbesondere, wahrhaftig, ein Wunder -ist's! Kameraden. Sechzehn Jahre bin ich im -Dienst, aber so etwas ist mir noch nie passiert. -Als es hieß zum Appell antreten, da war ich zur -Stelle, wie sich's gehört – ganz in der Ordnung -– da plötzlich beim Park packt es mich ... packt -mich und wirft mich zu Boden, und fertig. Und -wie ich eingeschlafen bin, weiß ich nicht, Kameraden! -Es muß die Schlafsucht selbst gewesen sein, schloß er.</p> - -<p>Ich habe dich ja kaum wach kriegen können, -sagte Antonow, während er sich den Stiefel aufzog. -Ich rüttelte und rüttelte dich ... wie ein Stück -Holz.</p> - -<p>Siehst du, bemerkte Welentschuk, ich muß tüchtig -betrunken gewesen sein ...</p> - -<p>So gab's bei uns zu Hause ein Weib, begann -Tschikin, die lag euch zwei Jahre, zwei Jahre, sag' -ich, auf dem Ofen. Man weckte sie – sie schläft, -denken die Leute – und sie liegt euch tot da; sie -bekam auch immer die Schlafsucht. Ja so, lieber -Freund.</p> - -<p>Aber erzähl' doch, Tschikin, wie du während<span class="pagenum"><a name="Page_288" id="Page_288">[Pg 288]</a></span> -des Urlaubs den Ton angegeben hast, sagte Maksimow -lächelnd und sah mich an, als wollte er -sagen: »Beliebt es Ihnen nicht auch, einem dummen -Menschen zuzuhören?«</p> - -<p>Was für einen Ton, Fjodor Maksimytsch? -sagte Tschikin und warf mir schielend einen Blick -zu. Das weiß ja jeder. Ich habe erzählt, wie -es im Kaukasus aussieht.</p> - -<p>Nun ja, wie denn, wie denn? Verstell dich -nur nicht, erzähle, wie du sie »angeführt« hast.</p> - -<p>Das ist bekannt, wie ich sie angeführt habe ... -Sie fragten, wie wir leben – begann Tschikin in -überstürzter Rede mit der Miene eines Menschen, -der schon oft dasselbe erzählt hat. – Wir leben -gut, lieber Freund, sage ich, unsern Proviant empfangen -wir reichlich. Morgens und abends kommt -eine Tasse Schickolaten auf den Soldaten, zu Mittag -giebt es herrschaftliche Suppe aus Perlgraupen -und statt des Branntweins bekommt jeder ein -Gläschen Modera – Modera Divirje, der ohne -Flasche zweiundvierzig Kopeken kostet.</p> - -<p>Feiner Modera, fiel Welentschuk ein und schüttelte -sich mehr als die anderen vor Lachen, das -nenne ich einen Modera!</p> - -<p>Na und was hast du von den Asiaten erzählt? -fuhr Maksimow fort zu fragen, als das allgemeine -Lachen ein wenig zu verstummen begann.</p> - -<p>Tschikin beugte sich zu dem Feuer vor, nahm -mit einem Stäbchen eine kleine Kohle, legte sie<span class="pagenum"><a name="Page_289" id="Page_289">[Pg 289]</a></span> -auf sein Pfeifchen und setzte schweigend, als bemerkte -er die sprachlose Neugier, die er in seinen -Hörern erregt hatte, nicht, langsam sein Tabakstengelchen -in Brand. Als er endlich Rauch genug -bekommen hatte, warf er die Kohle fort, schob -seine Mütze noch tiefer in den Nacken und fuhr -mit einem Achselzucken und einem leichten Lächeln -fort:</p> - -<p>Sie fragen mich auch, was das da für ein -kleiner Tscherkeß ist, oder, sagt er, schlägt man bei -euch im Kaukasus den Türken? Bei uns, sag' ich, -lieber Freund, giebt's nicht <em>einen</em> Tscherkessen, sondern -viele. Es giebt solche Tawlinzen, die in -Felsbergen wohnen und Steine statt Brot essen. -Die sind so groß, sag' ich, wie ein tüchtiger Klotz, -haben ein Auge auf der Stirn und tragen rote -Mützen, die brennen nur so, ganz wie deine, lieber -Freund! fügte er hinzu, zu einem jungen Rekruten -gewandt, der wirklich eine hochkomische Mütze mit -rotem Deckel trug.</p> - -<p>Der junge Rekrut setzte sich bei dieser unerwarteten -Ansprache plötzlich auf die Erde, schlug sich -die Knie und brach in ein solches Lachen und -Husten aus, daß er nur mit tonloser Stimme hervorbringen -konnte: »Das sind die Tawlinzen!«</p> - -<p>Und dann, sage ich, giebt es noch die Mumren -– fuhr Tschikin fort und rückte mit einer Kopfbewegung -seine Mütze in die Stirn, – das sind -wieder andere, kleine Zwillinge ... Immer zu<span class="pagenum"><a name="Page_290" id="Page_290">[Pg 290]</a></span> -Paaren, sage ich, halten sie sich bei den Händen -und rennen, sag' ich, so wie der Wind, daß man -sie zu Pferde nicht einholen kann. – Wie, sagt -er, wie ist das bei den Mumren, kommen sie so -auf die Welt, Hand in Hand, oder wie? sagte er -mit kehlartiger Baßstimme und glaubte einem -Bauern nachzuahmen. Ja, sag' ich, lieber Freund, -so ist er von Natura. Versucht nur, die Hände -auseinanderzureißen, dann kommt Blut, grad wie -bei den Chinesen, nimm ihm die Mütze ab, gleich -kommt Blut. – Aber sag' uns, Kleiner, wie schlagen -sie sich, sagt er. – Ei so, sag' ich: Sie packen -dich, schlitzen dir den Bauch auf und wickeln sich -deine Gedärme um den Arm und wickeln und -wickeln ... sie wickeln, und du lachst, bis dir -die Seele aus dem Leibe ...</p> - -<p>Ei wie, haben sie dir denn Glauben geschenkt? -sagte Maksimow mit leichtem Lächeln, während -die anderen sich halb tot lachten.</p> - -<p>Das sonderbare Volk glaubt wahrhaftig alles, -Fjodor Maksimytsch – bei Gott, sie glauben alles! -... Dann erzählte ich ihnen vom Berge Kasbek, -daß da den ganzen Sommer über der Schnee nicht -schmilzt, da lachten sie mich tüchtig aus, guter -Freund! – Was faselst du, Kleiner? Hat man -so etwas gesehen, ein großer Berg und darauf soll -der Schnee nicht schmelzen? Bei uns, Kleiner, -schmilzt im Tauwetter der kleinste Hügel – und -der taut zuerst auf, und im Hohlweg bleibt der<span class="pagenum"><a name="Page_291" id="Page_291">[Pg 291]</a></span> -Schnee noch liegen. – Da hast du's! – schloß -Tschikin und blinzelte mit den Augen.</p> - - -<h4> -<img src="images/illu-295.jpg" width="300" height="52" alt="V" /> -<span class="hidden">V</span> -</h4> - -<p>Der leuchtende Sonnenball, dessen Strahlen -durch den milchweißen Nebel hindurchdrangen, war -schon ziemlich hoch emporgestiegen; der graublaue -Horizont erweiterte sich allmählich und war, wenn -auch bedeutend weiter, aber doch ebenso scharf von -der täuschenden weißen Nebelwand begrenzt.</p> - -<p>Vor uns that sich jenseits des ausgeholzten -Waldes ein ziemlich weites Feld auf. Über das -Feld breitete sich von allen Seiten her ein schwarzer, -dort ein milchweißer oder violetter Rauch -von Wachtfeuern, und die weißen Schichten des -Nebels wogten in wunderlichen Gestalten. Weit -vorn erschienen von Zeit zu Zeit Gruppen berittener -Tataren, hörte man in Zwischenräumen -die Schüsse aus unsern Stutzen, aus ihren Büchsen -und Geschützen.</p> - -<p>»Das war noch kein Gefecht, sondern nur ein -Scherz,« wie der gute Kapitän Chlopow sagt.</p> - -<p>Der Kommandeur der neunten Jägerkompagnie, -der sich bei uns in der Deckung befand, trat -zu seinen Geschützen heran, zeigte auf drei berittene -Tataren, die in diesem Augenblick am Walde vorüberkamen, -mehr als sechshundert Faden von uns -entfernt, und bat, nach der allen Infanterieoffi<span class="pagenum"><a name="Page_292" id="Page_292">[Pg 292]</a></span>zieren -eigenen Vorliebe für Artilleriefeuer, eine -Kugel oder Granate auf sie zu schleudern.</p> - -<p>Sehen Sie, sagte er mit einem guten und -überzeugenden Lächeln und streckte die Hand über -meine Schulter, dort, wo die zwei großen Bäume -stehen, vorn ... Einer auf einem weißen Pferd -und im schwarzen Tscherkessenrock, und dort hinten -noch zwei, sehen Sie, könnte man nicht, bitte ...</p> - -<p>Und da reiten noch drei am Waldessaum, fügte -Antonow, der sich durch ein wunderbares Auge -auszeichnete, hinzu, indem er auf uns zukam und -die Pfeife, die er gerade rauchte, hinter seinem -Rücken verbarg. Der Vordere nimmt eben seine -Büchse aus dem Futteral. Man sieht's ganz deutlich, -Euer Wohl'boren!</p> - -<p>Ei sieh, er hat losgedrückt, Kameraden! da -steigt ein weißes Rauchwölkchen auf, sagte Welentschuk -zu einer Gruppe von Soldaten, die ein -wenig hinter uns standen.</p> - -<p>Gewiß auf unsere Vorpostenkette, der Dreckfink, -bemerkte ein anderer.</p> - -<p>Sieh nur, wie viele da hinter dem Walde -hervorkommen! Sie besichtigen gewiß den Ort -– wollen ein Geschütz aufstellen, fügte ein dritter -hinzu. – Wenn man ihnen eine Granate mitten -in den Haufen hinüberschickte, die würden euch -spucken ...</p> - -<p>Was denkst du, wird sie bis dahin tragen? -fragte Tschikin.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_293" id="Page_293">[Pg 293]</a></span></p> - -<p>Fünfhundert oder fünfhundertundzwanzig Faden, -mehr sind's nicht, sagte Maksimow kaltblütig, -als ob er mit sich selbst spräche, obgleich man ihm -anmerkte, daß er nicht weniger Lust hatte, loszufeuern, -als die anderen, wenn man fünfundvierzig -Linien aus dem Einhorn giebt, so muß man ganz -genau treffen, d. h. ganz vollständig.</p> - -<p>Wissen Sie, wenn man jetzt auf dieses Häufchen -zielt, so muß man unbedingt jemanden treffen. -Da, da, jetzt, wie eng sie mit den Pferden zusammenstehen, -befehlen Sie doch jetzt, so schnell -als möglich zu schießen, bat mich der Kompagniekommandeur -unaufhörlich.</p> - -<p>Befehlen Sie das Geschütz zu richten? fragte -plötzlich Antonow mit seiner schwerfälligen Baßstimme -und mit einer Miene finsteren Zornes.</p> - -<p>Ich gestehe, ich hatte selbst große Lust -dazu, und ich befahl, das zweite Geschütz zu -richten.</p> - -<p>Kaum hatte ich das Wort ausgesprochen, so -war auch schon die Granate mit Pulver bestreut -und eingeführt, und Antonow kommandierte schon, -an die Lafettenwand gelehnt und seine dicken Finger -auf das Hinterteil des Geschützes stützend: -Protzstock rechts und links.</p> - -<p>Ein ganz klein wenig nach links ... Eine -Spur nach rechts ... noch, noch ein wenig ... -So ist's recht, sagte er und trat mit stolzer Miene -von dem Geschütz zurück.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_294" id="Page_294">[Pg 294]</a></span></p> - -<p>Der Infanterieoffizier, ich und Maksimow legten -uns einer nach dem andern an das Visir, und -jeder sprach seine abweichende Meinung aus.</p> - -<p>Bei Gott, es trägt hinüber, bemerkte Welentschuk -und schnalzte mit der Zunge, obgleich er -nur über Antonows Schulter hinweggeblickt und -daher gar keinen Grund hatte, das anzunehmen. -Bei Gott, sie trägt schnurstracks hinüber, in den -Baum dort muß sie einschlagen, Kameraden!</p> - -<p>Zweites Geschütz, kommandierte ich.</p> - -<p>Die Bedienungsmannschaft trat auseinander. -Antonow lief nach der Seite, um den Flug des -Geschosses zu verfolgen; das Zündrohr flammte -auf, das Erz erdröhnte. In diesem Augenblick -hüllte uns Pulverdampf ein, und von den erschütternden, -dumpfen Tönen des Schusses löste sich -der metallische, summende Klang der mit Blitzesschnelle -dahinfliegenden Kugel, der inmitten des -gemeinen Schweigens in der Ferne erstarb.</p> - -<p>Ein wenig hinter der Gruppe der Reiter wurde -ein weißer Rauch sichtbar, die Tataren sprengten -nach allen Seiten aneinander und der Klang -der krepierten Granate klang zu uns herüber.</p> - -<p>Das war schön! Wie sie fortmachen! Die -Teufelskerle, das haben sie nicht gern! ließen sich -Beifall und Scherze in den Reihen der Artilleristen -und der Infanteristen hören.</p> - -<p>Hätte man's ein bißchen niedriger gerichtet, so -hätte sie ganz genau getroffen, bemerkte Welen<span class="pagenum"><a name="Page_295" id="Page_295">[Pg 295]</a></span>tschuk. -Ich habe gesagt, es trifft den Baum, -und so war's auch – nach rechts ist sie gegangen.</p> - - -<h4> -<img src="images/illu-299.jpg" width="300" height="54" alt="VI" /> -<span class="hidden">VI</span> -</h4> - -<p>Ich verließ die Soldaten, während sie darüber -sprachen, wie die Tataren davongesprengt waren, -als sie die Granate erblickt, und weshalb sie hier -herumritten, und ob wohl ihrer viele im Walde -wären, ging mit dem Kompagnieführer wenige -Schritte davon, setzte mich unter einen Baum, -und erwartete die aufgewärmten Klopse, die er -mir angeboten hatte. Der Kompagnieführer Bolchow -war einer von den Offizieren, die man im -Regiment die »Bonjours« nannte. Er besaß Vermögen, -hatte früher in der Garde gedient und -sprach französisch. Aber trotzdem hatten ihn die -Kameraden gern. Er war recht gescheit und besaß -Takt genug, um einen Petersburger Rock zu tragen, -gut zu Mittag zu speisen und französisch zu sprechen, -ohne das Offizierskorps übermäßig zu beleidigen. -Wir sprachen über das Wetter, über die Kriegsereignisse -und die gemeinsamen Bekannten unter -den Offizieren und gewannen aus den Fragen -und Antworten und aus der Auffassung der Dinge -die Überzeugung, daß wir in unseren Ansichten -ziemlich übereinstimmten, und so gingen wir unwillkürlich -zu einem vertraulicheren Gespräch über. -Im Kaukasus pflegt, wenn Menschen einer Gesell<span class="pagenum"><a name="Page_296" id="Page_296">[Pg 296]</a></span>schaftsklasse -sich begegnen, wenn auch unausgesprochen, -so doch ziemlich klar, die Frage aufzutauchen: -weshalb sind Sie hier? und auf diese -meine unausgesprochene Frage schien mein Genosse -die Antwort geben zu wollen.</p> - -<p>Wann wird dieser Feldzug ein Ende nehmen! -sagte er träge – langweilig!</p> - -<p>Ich langweile mich nicht, sagte ich. Im Stabe -ist's ja noch langweiliger.</p> - -<p>Ach, im Stabe ist es zehntausendmal schlimmer, -sagte er wütend. Aber nein, wann wird das -alles ein Ende nehmen?</p> - -<p>Aber was soll denn, nach Ihrer Meinung, -ein Ende nehmen? fragte ich.</p> - -<p>Alles, ganz und gar! ... He, Nikolajew, sind -die Klopse fertig? fragte er.</p> - -<p>Warum haben Sie eigentlich im Kaukasus -Dienste gesucht, sagte ich, wenn Ihnen hier so -wenig gefällt?</p> - -<p>Wissen Sie warum? antwortete er mit entschlossener -Offenheit, weil es so hergebracht ist. -In Rußland giebt es doch eine besondere Tradition -vom Kaukasus, als sei hier das gelobte Land -für unglückliche Menschen jeder Art.</p> - -<p>Ja, das hat etwas Wahres, sagte ich, die -meisten von uns ...</p> - -<p>Was aber das Beste ist, unterbrach er mich, -wir alle, die wir dieser Tradition gemäß nach dem -Kaukasus gehen, verrechnen uns entsetzlich, und ich<span class="pagenum"><a name="Page_297" id="Page_297">[Pg 297]</a></span> -kann ganz und gar nicht einsehen, warum wir nach -einer unglücklichen Liebe oder bei zerrütteten Verhältnissen -lieber in den Kaukasus gehen, um Dienste -zu nehmen, als nach Kasanj oder nach Kaluga. -In Rußland stellt man sich den Kaukasus als -etwas Erhabenes vor, mit ewig jungfräulichen -Gletschern, mit reißenden Strömen, mit Dolchen, -Filzmänteln, Tscherkessenmädchen – alles das hat -etwas Grauenerregendes, in Wirklichkeit aber liegt -darin nichts Lustiges. Wenn sie wenigstens wüßten, -daß wir nie zu dem jungfräulichen Eise gelangen, ja, -daß es gar kein Vergnügen ist, dahin zu kommen, -und daß der Kaukasus in Provinzen geteilt ist: -in Stawropol, in Tiflis u. s. w. ...</p> - -<p>Ja, sagte ich lachend, wir sehen in Rußland -den Kaukasus mit ganz anderen Augen an als -hier. Haben Sie das schon einmal an sich erfahren? -Wenn man Verse liest in einer Sprache, -die man nicht gut versteht, stellt man sie sich viel -hübscher vor, als sie sind.</p> - -<p>Ich weiß wahrhaftig nicht. Aber mir mißfällt -der Kaukasus im höchsten Grade, unterbrach er mich.</p> - -<p>Oh nein, der Kaukasus ist für mich auch jetzt -schön, nur in anderem Sinne.</p> - -<p>Er mag vielleicht auch schön sein, fuhr er mit -einer gewissen Gereiztheit fort. Ich weiß nur, -daß ich mir im Kaukasus nicht gefalle.</p> - -<p>Aber warum das? sagte ich, um doch etwas -zu sagen.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_298" id="Page_298">[Pg 298]</a></span></p> - -<p>Nun, erstens, weil <em>er</em> mich getäuscht hat. Alles -das, wovon ich Heilung hoffte im Kaukasus nach -der Tradition, alles hat mich hierher begleitet, -nur mit dem Unterschied, daß all dies früher auf -der großen Vordertreppe war und jetzt auf einer -kleinen, schmutzigen Hintertreppe ist, auf deren einzelnen -Stufen ich Millionen kleiner Aufregungen, -Gemeinheiten, Kränkungen finde; zweitens, weil -ich fühle, wie ich mit jedem Tage moralisch sinke, -tiefer und tiefer, und vor allem, weil ich mich für -den Dienst in diesem Lande unfähig fühle: ich -kann keine Gefahren ertragen – kurz, ich bin nicht -tapfer ...</p> - -<p>Obgleich dies unerbetene Bekenntnis mich -außerordentlich in Erstaunen setzte, widersprach ich -nicht, wie mein Genosse offenbar wünschte, sondern -erwartete von ihm selbst die Widerlegung -seiner Worte, wie das immer in solchen Fällen zu -sein pflegt.</p> - -<p>Sie müssen wissen, ich bin bei dem jetzigen -Feldzuge zum erstenmal im Feuer, fuhr er fort, -und Sie können sich nicht vorstellen, was mir -gestern begegnet ist. Als der Feldwebel den Befehl -brachte, daß meine Kompagnie für die Abteilung -bestimmt sei, wurde ich bleich wie Leinewand -und konnte vor Erregung kein Wort hervorbringen. -Und wüßten Sie, wie ich die Nacht -zugebracht habe! Wenn es wahr ist, daß Menschen -vor Angst grau werden, so müßte ich heute<span class="pagenum"><a name="Page_299" id="Page_299">[Pg 299]</a></span> -ganz weiß sein, denn sicherlich hat noch kein zum -Tode Verurteilter in einer Nacht so viel gelitten, -wie ich; sogar jetzt fühle ich noch etwas hier -drinnen, wenn mir auch ein wenig leichter ist, -als heute Nacht! fügte er hinzu und bewegte die -Faust vor seiner Brust hin und her. Das Lächerlichste -ist, fuhr er fort, daß sich hier das schrecklichste -Drama abspielt, und man selbst Klopse mit Lauch -ißt und sich einredet, es sei sehr lustig ... Giebt's -Wein, Nikolajew? fügte er gähnend hinzu.</p> - -<p>Das ist <em>er</em>, Kameraden, erklang in diesem -Augenblick die erregte Stimme eines Soldaten. -Alle Augen richteten sich auf den Saum des fernen -Waldes.</p> - -<p>Eine bläuliche Rauchwolke erhob sich vom -Winde getrieben in der Ferne und wurde größer -und größer. Als ich begriffen hatte, daß es ein -Schuß des Feindes gewesen, nahm plötzlich alles, -was in diesem Augenblick vor meinen Augen stand, -einen neuen, erhabenen Charakter an. Die zusammengestellten -Gewehre, der Rauch der Wachtfeuer, -der blaue Himmel, die grünen Geschützgestelle, -Nikolajews verbranntes Gesicht mit dem -großen Schnauzbart – all dies schien mir zu sagen, -daß die Kugel, die schon aus dem Rauch herausgeflogen -war und in diesem Augenblick in der -freien Luft schwebte, vielleicht geradewegs auf -meine Brust gerichtet sein könnte.</p> - -<p>Wo haben Sie den Wein hergenommen? fragte<span class="pagenum"><a name="Page_300" id="Page_300">[Pg 300]</a></span> -ich Bolchow nachlässig, während im Innersten meiner -Seele zwei Stimmen gleich vernehmlich sprachen: -die eine »Herr, nimm meine Seele in Frieden -auf«, die andere »Ich hoffe mich nicht zu bücken, -sondern zu lächeln, wenn die Kugel vorüberkommt«, -– und in diesem Augenblick pfiff etwas wirklich -Unangenehmes über unsere Köpfe hin, und zwei -Schritt von uns schlug die Kugel ein.</p> - -<p>Sehen Sie, wenn ich Napoleon oder Friedrich -wäre, sagte Bolchow in diesem Augenblick und -wandte sich vollkommen kaltblütig zu mir, hätte -ich unbedingt irgend eine Liebenswürdigkeit -gesagt.</p> - -<p>Sie haben sie ja auch jetzt gesagt, antwortete -ich und konnte nur mit Mühe die Unruhe verbergen, -die die überstandene Gefahr in mir hervorgerufen -hatte.</p> - -<p>Nun ja, gesagt schon, aber niederschreiben wird -es niemand.</p> - -<p>So werde ich es niederschreiben.</p> - -<p>Wenn Sie es auch niederschreiben, so geschieht -es doch nur zur Kritik, wie Mischtschenkow sagt, -fügte er lächelnd hinzu.</p> - -<p>Pfui, du Verfluchte! sagte in diesem Augenblick -hinter uns Antonow und spie ärgerlich zur -Seite aus, um ein Haar hätte sie meine Beine -gepackt.</p> - -<p>Alle meine Bemühungen, kaltblütig zu erscheinen -und alle unsere künstlichen Phrasen er<span class="pagenum"><a name="Page_301" id="Page_301">[Pg 301]</a></span>schienen -mir plötzlich unerträglich dumm nach diesem -gutherzigen Ausruf.</p> - - -<h4> -<img src="images/illu-305.jpg" width="300" height="51" alt="VII" /> -<span class="hidden">VII</span> -</h4> - -<p>Der Feind hatte wirklich zwei Geschütze an -der Stelle aufgepflanzt, wo die Tataren patrouilliert -hatten, und gab alle 20 oder 30 Minuten -Schüsse auf unsere Holzfäller ab. Mein Zug wurde -nach der Wiese vorausgeschickt und erhielt den Befehl, -das Feuer zu erwidern. Am Waldessaum -stieg leichter Rauch auf, man hörte einen Schuß, -ein Pfeifen, und eine Kugel fiel hinter uns oder -vor uns nieder. Die feindlichen Geschosse fielen -glücklich, und wir hatten keinen Verlust.</p> - -<p>Die Artilleristen hielten sich, wie immer, vortrefflich: -sie luden rasch, richteten sorgfältig nach -dem aufsteigenden Rauch und scherzten ruhig untereinander. -Die Infanteriedeckung lag in schweigsamer -Unthätigkeit in unserer Nähe und wartete, -bis sie an die Reihe kam.</p> - -<p>Die Holzfäller machten ihre Arbeit: die Äxte -erklangen schneller und häufiger im Walde, nur -in dem Augenblick, wo sich das Pfeifen eines Geschosses -hören ließ, verstummte plötzlich alles, und -durch die Totenstille erklangen ein wenig erregte -Stimmen: »Bückt euch, Kinder!« – und alle -Augen richteten sich auf die Kugel, die an die -Wachtfeuer und an die abgehauenen Äste anschlug.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_302" id="Page_302">[Pg 302]</a></span></p> - -<p>Der Nebel hatte sich ganz gehoben, nahm immer -mehr die Gestalt von Wolken an und verschwand -allmählich in dem tiefdunklen Blau des Himmels; -die hervortretende Sonne leuchtete hell und warf -ihren heiteren Schimmer auf den Stahl der Bajonette, -das Erz der Geschütze, auf die auftauchende -Erde und den glänzenden Reif. In der Luft fühlte -man die Frische des Morgenfrostes zugleich mit -der Wärme der Frühlingssonne; tausend verschiedene -Schatten und Farben flossen in dem -trockenen Laub der Bäume zusammen, und auf -den ausgefahrenen, glänzenden Wegen wurden die -Spuren der Räder und der Hufeisendornen deutlich -sichtbar.</p> - -<p>Die Bewegung unter den Truppen wurde -immer stärker und deutlicher. Von allen Seiten -sah man immer häufiger die bläulichen Rauchwolken -der Schüsse. Die Dragoner mit den flatternden -Fähnlein an den Lanzen ritten an der -Spitze; in den Reihen der Infanterie ertönten -Lieder, und der Wagenzug mit dem Holz formierte -sich in der Nachhut. Da kam zu unserem -Zuge der General herangeritten und befahl, sich -zum Rückzuge zu rüsten. Der Feind hatte sich in -den Gebüschen unserem linken Flügel gegenüber -festgesetzt und begann uns durch ein Gewehrfeuer -stark zu beunruhigen. Von links aus dem Walde -her kam eine Kugel vorübergesaust und schlug -in das Geschützgestell, dann eine zweite, eine dritte<span class="pagenum"><a name="Page_303" id="Page_303">[Pg 303]</a></span> -... die Infanteriedeckung, die in unserer Nähe -lag, sprang lärmend auf die Beine, griff zu den -Gewehren und nahm Stellung in der Vorpostenkette. -Das Gewehrfeuer wurde stärker, die Kugeln -kamen häufiger geflogen. Der Rückzug begann, -folglich auch das eigentliche Gefecht, wie es im -Kaukasus immer zu sein pflegt.</p> - -<p>Aus allem konnte man erkennen, daß den Artilleristen -die Gewehrkugeln unbehaglicher waren, -als vorhin den Infanteristen die Kanonen. Antonow -machte ein verdrießliches Gesicht. Tschikin -äffte das Summen der Kugeln nach und trieb -seinen Spaß mit ihnen; aber man sah wohl, daß -sie ihm nicht behagten. Bei einer sagte er: »Wie -eilig sie's hat,« eine andere nannte er »Bienchen«, -eine dritte, die mit einem seltsam trägen und -klagenden Laut über uns hinflog, nannte er eine -»Waise« und rief damit allgemeines Gelächter -hervor.</p> - -<p>Der junge Rekrut bog, da er es noch nicht gewohnt -war, bei jeder Kugel den Kopf beiseite -und reckte den Hals, und auch das rief bei den -Soldaten Gelächter hervor. »Wie, ist das eine -Bekannte von dir, daß du sie grüßest?« sagten -sie zu ihm. Auch Welentschuk, der immer außerordentlich -gleichmütig war in Gefahren, befand -sich jetzt in erregtem Zustand: es kränkte ihn offenbar, -daß wir nicht mit Kartätschen nach der Richtung -schossen, wo die Gewehrkugeln hergeflogen<span class="pagenum"><a name="Page_304" id="Page_304">[Pg 304]</a></span> -kamen. Er wiederholte mehrere Male mit verdrießlicher -Stimme: »Soll <em>er</em> uns so ungestraft -schlagen? Wenn man dorthin ein Geschütz richten -wollte und eine Kartätsche hinüberblasen, dann -würde er schon stumm werden.«</p> - -<p>In der That, es war Zeit, das zu thun: ich -gab Befehl, die letzte Granate zu werfen und -Kartätschen zu laden.</p> - -<p>Kartätschen! rief Antonow und trat munter -im Rauch mit dem Stückputzer an das Geschütz -heran, kaum daß die Ladung heraus war.</p> - -<p>In diesem Augenblick hörte ich ein wenig hinter -mir den raschen summenden Laut einer Gewehrkugel, -der plötzlich mit einem trockenen Schlag -abriß. Mein Herz krampfte sich zusammen. »Es -scheint jemand von den Unsrigen getroffen zu -haben,« dachte ich, scheute mich indessen zurückzublicken, -unter dem Eindruck einer beängstigenden -Ahnung. Wirklich hörte man nach diesem Laut -das schwere Fallen eines Körpers und »oh–oh oh -oh–oi!« – das herzzerreißende Stöhnen eines -Verwundeten. »Getroffen, Kameraden!« sagte -mühsam eine Stimme, die ich erkannte. Es war -Welentschuk. Er lag auf dem Rücken zwischen dem -Protzkasten und dem Geschütz. Der Ranzen, den -er getragen hatte, war nach der Seite geschleudert. -Seine Stirn war ganz blutig, und über das rechte -Auge und die Nase floß ein dichter roter Strom. -Er hatte eine Wunde im Leibe, aber es war fast<span class="pagenum"><a name="Page_305" id="Page_305">[Pg 305]</a></span> -kein Blut daran; die Stirn hatte er sich beim -Fallen an einen Baumstumpf zerschlagen.</p> - -<p>Alles das ward mir viel später erst klar; im -ersten Augenblick sah ich nur eine deutliche Masse -und, wie mir schien, furchtbar viel Blut.</p> - -<p>Keiner von den Soldaten, die das Geschütz geladen -hatten, sprach ein Wort. Nur der junge -Rekrut brummte etwas vor sich hin wie: »Sieh -mal dieses Blut,« und Antonow ächzte mit düsterer -Miene ärgerlich; aber an allem war zu erkennen, -daß der Gedanke an den Tod allen durch die Seele -zog. Alle gingen mit noch größerer Geschäftigkeit -ans Werk. Das Geschütz war in einem Augenblick -geladen, und der Wagenführer, der die Kartätschen -brachte, ging zwei, drei Schritte um die Stelle -herum, an der der Verwundete lag und fort und -fort stöhnte.</p> - - -<h4> -<img src="images/illu-309.jpg" width="300" height="54" alt="VIII" /> -<span class="hidden">VIII</span> -</h4> - -<p>Jeder, der einmal in einer Schlacht gewesen ist, -hat gewiß das seltsame, wenn auch nicht logische -und doch starke Gefühl des Abscheus vor einer -Stelle empfunden, an der ein Mensch getötet oder -verwundet wurde. Diesem Gefühl erlagen sichtlich -im ersten Augenblick meine Soldaten, als es galt, -Welentschuk aufzuheben und ihn auf den Wagen -zu laden, der herangekommen war. Tschikin -näherte sich ärgerlich dem Verwundeten, faßte ihn,<span class="pagenum"><a name="Page_306" id="Page_306">[Pg 306]</a></span> -ohne auf sein stärker werdendes Geschrei zu achten, -unter der Achsel und hob ihn auf. – »Was steht -ihr da, greift an,« schrie er, und schnell umringten -den Verwundeten an die zehn Mann, Helfer, die -kaum noch nötig waren. Aber sie hatten ihn -kaum von der Stelle gebracht, als Welentschuk -entsetzlich zu schreien und um sich zu schlagen begann.</p> - -<p>Was schreist du wie ein Hase? sagte Antonow -und packte ihn derb am Bein, willst du nicht, -lassen wir dich liegen.</p> - -<p>Und der Verwundete verstummte wirklich und -sagte nur von Zeit zu Zeit: »Ach, das ist mein -Tod! Ah – ach Kameraden!«</p> - -<p>Als sie ihn aber auf den Wagen gelegt hatten, -hörte er sogar auf zu ächzen, und ich hörte, daß er -mit leiser, aber deutlicher Stimme zu den Kameraden -sprach – wahrscheinlich nahm er Abschied -von ihnen.</p> - -<p>Im Gefecht sieht niemand gern einen Verwundeten, -und instinktiv beeilte ich mich, von diesem -Schauspiel fortzukommen, befahl, ihn so schnell -als möglich auf den Verbandplatz zu bringen, und -ging zu den Geschützen; nach einigen Minuten aber -sagte man mir, Welentschuk wünsche mich zu sprechen, -und ich ging auf den Wagen zu.</p> - -<p>Der Verwundete lag auf dem Boden des -Wagens und hielt sich mit beiden Händen am Rand. -Sein gesundes, breites Gesicht hatte sich in wenigen -Sekunden vollständig verändert. Es war, als ob<span class="pagenum"><a name="Page_307" id="Page_307">[Pg 307]</a></span> -er abgemagert und um einige Jahre älter geworden -wäre; seine Lippen waren dünn, blaß -und mit sichtbarer Anstrengung zusammengepreßt; -an die Stelle des unstäten und stumpfen Ausdrucks -seiner Augen war ein heller, ruhiger Glanz getreten, -und auf der blutbefleckten Stirn und Nase -lagen schon die Züge des Todes.</p> - -<p>Obgleich ihm auch die kleinste Bewegung unbeschreibliche -Schmerzen verursachte, bat er, man -möchte von seinem linken Bein sein Geldtscheres<a name="FNanchor_P_16" id="FNanchor_P_16"></a><a href="#Footnote_P_16" class="fnanchor">[P]</a> -abnehmen.</p> - -<div class="footnote"> - -<a name="Footnote_P_16" id="Footnote_P_16"></a><a href="#FNanchor_P_16">[P]</a> Tscheres ist ein Beutelchen in der Form eines kleinen -Gürtels, den die Soldaten gewöhnlich unterhalb des -Knies tragen.</div> - -<p>Ein entsetzlich niederdrückendes Gefühl rief der -Anblick seines nackten, weißen und gesunden Beines -in mir hervor, als man ihm den Stiefel abzog -und den Tscheres losband.</p> - -<p>Drei Moneten sind drin und ein halber Rubel, -sagte er mir in dem Augenblick, wo ich den Tscheres -in die Hand nahm. Sie werden schon so gut sein, -sie aufzubewahren.</p> - -<p>Der Wagen hatte sich in Bewegung gesetzt, -aber er ließ ihn halten.</p> - -<p>Ich habe dem Leutnant Sulimowskij einen -Mantel gearbeitet, und Sie haben mir zwei Moneten -gegeben. Für anderthalb habe ich Knöpfe -gekauft, und den halben Rubel habe ich im Beutel -liegen mitsamt den Knöpfen. Geben Sie sie zurück.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_308" id="Page_308">[Pg 308]</a></span></p> - -<p>Schön, schön, sagte ich, werde nur gesund, -Kamerad.</p> - -<p>Er antwortete mir nicht, der Wagen setzte sich -in Bewegung, und er begann wieder mit entsetzlichster, -herzzerreißender Stimme zu stöhnen und -zu ächzen. Als hätte er nun, nachdem die weltlichen -Dinge geordnet waren, keine Ursache mehr, -sich zu überwinden, hielt er jetzt diese Erleichterung, -die er sich schaffte, für erlaubt.</p> - - -<h4> -<img src="images/illu-312.jpg" width="300" height="52" alt="IX" /> -<span class="hidden">IX</span> -</h4> - -<p>Ei, wohin? ... Zurück! Wo willst du hin? -rief ich den Rekruten an, der seine Reservelunte -unter den Arm genommen hatte und mit einem -Stöckchen in der Hand mit größter Kaltblütigkeit -dem Wagen folgte, auf dem der Verwundete fortgeführt -wurde.</p> - -<p>Der Rekrut aber warf mir nur einen trägen -Blick zu, brummte etwas vor sich hin und ging -weiter, so daß ich einen Soldaten hinschicken mußte, -um ihn zurückzubringen. Er nahm sein rotes -Mützchen ab, lächelte tölpelhaft und sah mich an.</p> - -<p>Wo hast du hinwollen? fragte ich.</p> - -<p>Ins Lager.</p> - -<p>Warum das?</p> - -<p>Wie? ... Welentschuk ist verwundet, sagte -er wieder lächelnd.</p> - -<p>Was geht das dich an? Du hast hierzubleiben.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_309" id="Page_309">[Pg 309]</a></span></p> - -<p>Er sah mich erstaunt an, dann drehte er sich -kaltblütig um, setzte seine Mütze auf und ging -auf seinen Platz.</p> - -<div class="figcenter"> -<img src="images/illu-313.jpg" width="300" height="52" alt="* * * * *" /> -</div> - -<p>Der Kampf war im allgemeinen ein glücklicher. -Die Kosaken hatten, wie es hieß, einen vortrefflichen -Angriff gemacht und drei Tataren eingebracht; -die Infanterie hatte sich mit Holz versorgt -und zählte im ganzen sechs Verwundete; -bei der Artillerie war der Mannschaft nur der -eine, Welentschuk, und zwei Pferde verloren gegangen. -Dafür hatte man etwa drei Werst Waldes -ausgeholzt und den Platz so gesäubert, daß -man ihn nicht wieder erkannte; an der Stelle des -dichten Waldsaums, den man früher dort gesehen -hatte, öffnete sich eine ungeheure Wiesenfläche, bedeckt -von rauchenden Wachtfeuern, von Kavallerie -und Infanterie, die sich auf das Lager zu bewegte. -Obgleich der Feind nicht aufhörte, uns mit Geschütz- und -Gewehrfeuer zu verfolgen, bis an das -Flüßchen und den Kirchhof, den wir des Morgens -durchschritten hatten, vollzog sich der Rückzug glücklich. -Meine Gedanken waren schon bei der Kohlsuppe -und der Hammelrippe mit Grütze, die meiner -im Lager harrten, als die Nachricht kam, der General -habe befohlen, am Flüßchen eine Schanze -aufzuschütten und bis morgen das dritte Bataillon<span class="pagenum"><a name="Page_310" id="Page_310">[Pg 310]</a></span> -des K.-Regiments und den Zug der vierten Batterie -dort lagern zu lassen. Die Wagen mit dem -Holz und den Verwundeten, die Kosaken, die Artillerie, -das Fußvolk mit den Gewehren und dem -Holz über den Schultern – alles zog mit Lärmen -und Gesang an uns vorüber. Auf allen Gesichtern -lag Begeisterung und Freude, wie sie die überstandene -Gefahr und die Erwartung der Ruhe -hervorgerufen hatten. Nur wir und das dritte -Bataillon mußten auf diese angenehmen Gefühle -noch bis morgen warten.</p> - - -<h4> -<img src="images/illu-314.jpg" width="300" height="52" alt="X" /> -<span class="hidden">X</span> -</h4> - -<p>Während wir, die Artilleristen, um die Geschütze -beschäftigt waren, während wir die Protzkasten, -die Pulverkasten aufstellten und den Pferden -die Fußstricke lösten, hatte die Infanterie schon -die Gewehre zusammengestellt, die Wachtfeuer hergerichtet, -aus Ästen und Maisstroh Hütten gebaut -und angefangen die Grütze zu kochen.</p> - -<p>Es begann zu dämmern. Am Himmel zogen -blauweiße Wolken hin. Die Dunkelheit hatte sich -in einen feinen feuchten Nebel verwandelt und -netzte den Boden und die Mäntel der Soldaten; -der Gesichtskreis wurde enger, und die ganze Umgegend -hüllte sich in düstere Schatten. Die Feuchtigkeit, -die ich durch die Stiefel hindurch und im -Nacken fühlte, die ununterbrochene Bewegung und<span class="pagenum"><a name="Page_311" id="Page_311">[Pg 311]</a></span> -das nie verstummende Gespräch, an dem ich keinen -Anteil nahm, der lehmige Boden, auf dem meine -Füße ausglitten und der leere Magen brachten -mich in die drückendste, unangenehmste Stimmung, -nach einem Tage physischer und moralischer Ermattung. -Welentschuk wollte mir nicht aus dem -Sinn. Die ganze einfache Geschichte eines Soldatenlebens -drängte sich unabweislich meiner Phantasie -auf.</p> - -<p>Seine letzten Augenblicke waren ebenso klar und -ruhig gewesen wie sein ganzes Leben. Er hatte -zu ehrlich und einfach gelebt, als daß sein einfältiger -Glaube an ein zukünftiges, himmlisches -Dasein in dem entscheidenden Augenblicke hätte -schwanken können.</p> - -<p>Grüß Gott, sagte Nikolajew, indem er auf -mich zutrat, wollen Sie sich gefälligst zum Kapitän -bemühen, er bittet Sie, mit ihm Thee zu trinken.</p> - -<p>Ich drängte mich, so gut es ging, zwischen -den zusammengestellten Gewehren und Wachtfeuern -hindurch, ging, Nikolajew folgend, zu Bolchow und -dachte mit Vergnügen an das Glas heißen Thees -und an die fröhliche Unterhaltung, die meine -düsteren Gedanken vertreiben würden.</p> - -<p>Gefunden? ertönte Bolchows Stimme aus der -Maishütte, in der ein Flämmchen schimmerte.</p> - -<p>Ich habe ihn hergebracht, Euer Wohlgeboren, -antwortete Nikolajew in tiefem Baß.</p> - -<p>Bolchow saß im Zelt auf einem trockenen Filz<span class="pagenum"><a name="Page_312" id="Page_312">[Pg 312]</a></span>mantel -mit aufgeknöpftem Rock und ohne seine -Pelzmütze. Neben ihm brodelte ein Ssamowar und -stand eine Trommel mit allerlei Imbiß. In dem -Fußboden steckte ein Bajonett mit einem Licht.</p> - -<p>Wie? sagte er mit Stolz und ließ seinen Blick -über seinen gemütlichen Haushalt schweifen. In -der That war es in dem Zelt so hübsch, daß ich -beim Thee der Feuchtigkeit, der Dunkelheit und -des verwundeten Welentschuk ganz vergaß. Wir -kamen in ein Gespräch über Moskau, über Dinge, -die in gar keiner Beziehung zum Kriege und zum -Kaukasus standen.</p> - -<p>Nach einem jener Augenblicke des Schweigens, -die bisweilen selbst die belebtesten Unterhaltungen -unterbrechen, sah mich Bolchow lächelnd an.</p> - -<p>Ich muß glauben, unser Gespräch von heute -morgen ist Ihnen sehr sonderbar vorgekommen? -sagte er.</p> - -<p>Oh nein, warum das? Es schien mir nur, -als seien Sie allzu offenherzig. Es giebt eben -Dinge, die wir alle wissen, von denen man aber -nie sprechen darf.</p> - -<p>Warum nicht? Wenn es irgend eine Möglichkeit -gäbe, dieses Leben selbst mit dem abgeschmacktesten -und ärmlichsten Leben, nur ohne Gefahr -und ohne den Dienst, zu vertauschen, ich würde -mir's keinen Augenblick überlegen.</p> - -<p>Warum gehen Sie nicht nach Rußland? -sagte ich.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_313" id="Page_313">[Pg 313]</a></span></p> - -<p>Warum? wiederholte er. O, wie lange habe -ich schon daran gedacht. Ich kann jetzt nicht eher -nach Rußland zurück, als bis ich den Wladimirorden, -den Annenorden um den Hals und den -Majorsrang bekommen, wie ich es erwartete, als -ich herging.</p> - -<p>Warum aber, wenn Sie sich, wie Sie sagen, -für den hiesigen Dienst untauglich fühlen?</p> - -<p>Wenn ich mich aber noch weniger fähig fühlte, -nach Rußland so zurückzukehren, wie ich hergekommen -bin? Das ist auch eine von den Überlieferungen, -die in Rußland von Mund zu Mund -gehen, denen Passek, Sljepzow und Andere Dauer -gegeben haben, daß man nur nach dem Kaukasus -zu gehen braucht, um mit Belohnungen überschüttet -zu werden. Und von uns erwarten und verlangen -das alle; und ich bin nun zwei Jahre hier, habe -zwei Expeditionen mitgemacht und habe nichts bekommen. -Aber ich besitze doch soviel Eigenliebe, -daß ich um keinen Preis von hier fortgehe, ehe -ich Major bin, den Wladimir- und den Annenorden -um den Hals bekomme. Ich habe mich schon -so in diesen Gedanken hineingelebt, daß es mich -wurmt, wenn Gnilokischkin eine Auszeichnung bekommt, -und ich nicht. Und dann, wie soll ich in -Rußland meinem Starosten, dem Kaufmann Kotjelnikow, -dem ich mein Getreide verkaufe, meiner -Tante in Moskau und all den Herren vor die -Augen treten, wenn ich nach zweijährigem Dienste<span class="pagenum"><a name="Page_314" id="Page_314">[Pg 314]</a></span> -im Kaukasus ohne jede Auszeichnung zurückkomme? -Freilich mag ich von diesen Herrschaften nichts wissen, -und sie werden sich gewiß auch sehr wenig um -mich kümmern; aber der Mensch ist nun einmal -so beschaffen, daß ich von ihnen nichts wissen mag, -und doch um ihretwillen meine schönsten Jahre -vergeude, all mein Lebensglück, all meine Zukunft -zerstöre.</p> - - -<h4> -<img src="images/illu-318.jpg" width="300" height="51" alt="XI" /> -<span class="hidden">XI</span> -</h4> - -<p>In diesem Augenblick klang von draußen die -Stimme des Bataillonskommandeurs herein:</p> - -<p>Mit wem plaudern Sie, Nikolaj Fjodorowitsch?</p> - -<p>Bolchow nannte meinen Namen, und gleich darauf -kamen drei Offiziere in die Hütte gekrochen: -der Major Kirssanow, der Adjutant seines Bataillons -und der Kompagniekommandeur Trossenko.</p> - -<p>Kirssanow war ein kleiner, wohlbeleibter Mann -mit einem kleinen Schnurrbart, roten Wangen und -verschwommenen kleinen Augen. Diese kleinen -Augen waren der hervorstechendste Zug in seiner -Physiognomie. Wenn er lachte, so sah man nur -zwei feuchte, glänzende Sternchen, und diese Sternchen -nahmen zugleich mit den gespannten Lippen -und dem langgereckten Halse einen höchst sonderbaren -Ausdruck von Blödigkeit an. Kirssanow -hatte im Regiment die beste Aufführung und Hal<span class="pagenum"><a name="Page_315" id="Page_315">[Pg 315]</a></span>tung. -Die Untergebenen schalten ihn nicht, die -Vorgesetzten achteten ihn, obgleich die allgemeine -Meinung über ihn war, er sei nicht weit her. Er -verstand seinen Dienst, war pünktlich und eifrig, -war immer bei Gelde, besaß eine Kalesche und -einen Koch und verstand auf sehr natürliche Weise -den Stolzen zu spielen.</p> - -<p>Wovon sprechen Sie, Nikolaj Fjodorowitsch? -sagte er beim Eintreten.</p> - -<p>Wir sprechen von den Annehmlichkeiten des -hiesigen Dienstes.</p> - -<p>Aber in diesem Augenblick hatte Kirssanow -mich – einen Junker – bemerkt, darum fragte -er, um mich seine Bedeutung fühlen zu lassen, als -hätte er Bolchows Antwort nicht gehört, mit einem -Blicke auf die Trommel:</p> - -<p>Wie, sind Sie müde, Nikolaj Fjodorowitsch?</p> - -<p>Nein, wir waren ja ... wollte Bolchow beginnen.</p> - -<p>Aber die Würde des Bataillonskommandeurs -erforderte wahrscheinlich, daß er wieder unterbreche -und eine neue Frage stellte:</p> - -<p>Es war doch ein prächtiges Gefecht heute?</p> - -<p>Der Bataillonsadjutant war ein junger Fähnrich, -der vor kurzem noch Junker gewesen war, -ein bescheidener und stiller junger Mann mit einem -verschämten und gutmütig freundlichen Gesicht. Ich -hatte ihn früher schon bei Bolchow gesehen. Der -junge Mann besuchte ihn häufig, er machte seine<span class="pagenum"><a name="Page_316" id="Page_316">[Pg 316]</a></span> -Verbeugung, setzte sich in die Ecke, schwieg stundenlang, -drehte sich Cigaretten und rauchte sie, dann -erhob er sich wieder, verbeugte sich und ging. -Es war der Typus eines armen, russischen jungen -Edelmanns, der die militärische Laufbahn als die -einzige seiner Bildung entsprechende gewählt hatte -und seinen Offiziersberuf höher stellte als alles -in der Welt – ein gutmütiger und liebenswürdiger -Typus, trotz der von ihm unzertrennlichen lächerlichen -Eigentümlichkeiten: des Tabaksbeutels, des -Schlafrocks, der Guitarre, des Schnurrbartbürstchens, -ohne die wir uns ihn nicht vorstellen können. -Im Regiment erzählte man von ihm, er prahle -damit, daß er gegen seinen Burschen gerecht, aber -streng sei. – »Ich strafe selten, pflegte er zu -sagen, aber wenn's dazu kommt, dann wehe.« Und -als sein betrunkener Bursche ihm einmal alles gestohlen -hatte und noch seinen Herrn zu schimpfen -begonnen, habe er ihn auf die Hauptwache gebracht -und Befehl gegeben, alles zu seiner Bestrafung -vorzubereiten, sei aber bei dem Anblick -der Vorbereitungen so verlegen geworden, daß er -nur die Worte hervorbringen konnte: »Na, siehst -du ... ich könnte doch ...« dann sei er ganz -fassungslos nach Hause gerannt, und scheue sich -von dieser Stunde an, seinem Tschernow in die -Augen zu sehen. Die Kameraden ließen ihm keine -Ruhe und neckten ihn damit, und ich habe oftmals -gehört, wie der gute Junge sich verteidigte und,<span class="pagenum"><a name="Page_317" id="Page_317">[Pg 317]</a></span> -bis über die Ohren errötend, versicherte, das gerade -Gegenteil sei wahr.</p> - -<p>Die dritte Person, Kapitän Trossenko, war ein -alter Kaukasier in der ganzen Bedeutung dieses -Wortes, d. h. ein Mensch, für den die Kompagnie, -die er kommandierte, zur Familie, die Festung, in -der der Stab lag, zur Heimat und die Spielleute -zur einzigen Freude seines Lebens geworden sind -– ein Mensch, für den alles, was nicht der Kaukasus -ist, unbeachtenswert, ja kaum glaubwürdig -ist; alles aber, was Kaukasus war, zerfiel in zwei -Hälften, unsere und nicht unsere: die eine liebte -er, die andere haßte er mit aller Kraft seiner Seele, -und was die Hauptsache war, er war ein Mensch -von erprobter, ruhiger Tapferkeit, von seltener -Güte im Umgang mit seinen Kameraden und -Untergebenen und von verzweifelter Gradheit, ja -sogar Keckheit im Verkehr mit den ihm aus irgend -einem Grunde verhaßten Adjutanten und Bonjours. -Als er in die Hütte trat, stieß er beinahe -mit dem Kopf das Dach durch, dann ließ er sich -schnell nieder und setzte sich auf die Erde.</p> - -<p>Nun, wie? sagte er; da bemerkte er plötzlich -mein ihm unbekanntes Gesicht, stockte und heftete -seinen trüben Blick unverwandt auf mich.</p> - -<p>Worüber also haben Sie geplaudert? fragte -der Major, zog seine Uhr und sah nach ihr, obgleich -er, wie ich fest überzeugt bin, gar nicht das -Bedürfnis hatte, das zu thun.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_318" id="Page_318">[Pg 318]</a></span></p> - -<p>Ja, er hat mich gefragt, weshalb ich hier -diene ...</p> - -<p>Selbstverständlich will sich Nikolaj Fjodorowitsch -hier auszeichnen, und dann geht's nach Haus.</p> - -<p>Und Sie, Abram Iljitsch, sagen Sie mir, weshalb -dienen Sie im Kaukasus?</p> - -<p>Ich, wissen Sie, weil wir erstens alle die Pflicht -haben zu dienen. Hm? fügte er hinzu, obgleich -alle schwiegen. – Gestern bekam ich einen Brief -aus Rußland, fuhr er fort. Er hatte offenbar -den Wunsch, den Gesprächsgegenstand zu wechseln. -Man schreibt mir ... man stellt mir so sonderbare -Fragen.</p> - -<p>Was für Fragen denn? fragte Bolchow.</p> - -<p>Er lachte.</p> - -<p>Wahrhaftig, sonderbare Fragen ... Man -schreibt mir, ob es Eifersucht geben kann ohne -Liebe? ... Hm? fragte er und ließ seine Blicke -über uns hinschweifen.</p> - -<p>Ei was, sagte Bolchow lächelnd.</p> - -<p>In Rußland, müssen Sie wissen, da ist es schön, -fuhr er fort, als ob seine Phrasen ganz natürlich -eine aus der anderen folgten. – Als ich im Jahre -52 in Tambow war, wurde ich überall wie ein -Flügeladjutant aufgenommen. Wollen Sie mir -glauben, auf dem Ball beim Gouverneur, wie -ich eintrat, wissen Sie ... ich wurde sehr gut aufgenommen. -Die Frau Gouverneurin selber, müssen -Sie wissen, unterhielt sich mit mir und fragte<span class="pagenum"><a name="Page_319" id="Page_319">[Pg 319]</a></span> -mich aus über den Kaukasus und alle ... was -ich nicht alles wußte! ... Meinen goldenen Säbel -besah man, wie eine Rarität, dann fragte man -mich: wofür ich den Säbel bekommen habe, wofür -den Annen-, wofür den Wladimirorden, – und -ich erzählte ihnen alles Mögliche ... Hm? ... -Sehen Sie, das ist das Schöne am Kaukasus, -Nikolaj Fjodorowitsch, fuhr er fort, ohne eine -Antwort abzuwarten. Dort sieht man uns Kaukasier -hoch an. Ein junger Mann, müssen Sie -wissen, der Stabsoffizier ist, der den Annen- und -Wladimirorden hat – das will viel heißen in -Rußland ... Hm?</p> - -<p>Und Sie haben auch ein bißchen aufgeschnitten, -meine ich, Abram Iljitsch? sagte Bolchow.</p> - -<p>Hi–hi–hi, lachte er mit seinem dummen -Lachen. Ja wissen Sie, das gehört dazu. Und -wie vortrefflich habe ich die zwei Monate gegessen -und getrunken.</p> - -<p>Ei was, schön ist's dort in Rußland? sagte -Trossenko; er fragte nach Rußland, wie man nach -China oder Japan fragt.</p> - -<p>Das will ich meinen, was wir dort in zwei -Monaten Champagner getrunken haben, furchtbar!</p> - -<p>Was Sie sagen! Sie haben gewiß Limonade -getrunken. Ich würde schon loslegen, damit die -Leute wüßten, wie die Kaukasier trinken! Ich -würde den Ruf schon wahr machen. Ich würde<span class="pagenum"><a name="Page_320" id="Page_320">[Pg 320]</a></span> -zeigen, wie man trinkt ... Was, Bolchow? fügte -er hinzu.</p> - -<p>Du bist ja doch schon zehn Jahre im Kaukasus, -Onkelchen, sagte Bolchow, denkst du noch, -was Jermolow gesagt hat? ... Abram Iljitsch -aber ist erst sechs ...</p> - -<p>Warum nicht gar! zehn? ... Es werden bald -sechzehn.</p> - -<p>Laß doch Salvai bringen, Bolchow, es ist feucht, -brr ... Was? fügte er lächelnd hinzu. Wir trinken, -Major!</p> - -<p>Der Major aber war schon das erste Mal, -als der alte Kapitän sich an ihn wandte, ärgerlich -gewesen. Jetzt wurde er sichtlich böse und suchte -in seiner eignen Würde Zuflucht. Er summte -ein Liedchen vor sich hin und sah wieder nach -der Uhr.</p> - -<p>Ich komme sowieso niemals wieder hin, fuhr -Trossenko fort, ohne dem schmollenden Major Aufmerksamkeit -zu schenken. Ich hab's verlernt, russisch -zu gehen und zu sprechen. Was für ein -Wundertier ist da gekommen? werden die Leute -sagen. Asien wird es heißen. Nicht wahr, Nikolaj -Fjodorowitsch? Was sollte ich auch in Rußland? -Mir ist's gleich, einmal wird man doch -totgeschossen. Dann werden die Leute fragen: -Wo ist Trossenko? Totgeschossen. Was werden -Sie dann mit der achten Kompagnie anfangen, -he? fügte er hinzu, immer zu dem Major gewandt.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_321" id="Page_321">[Pg 321]</a></span></p> - -<p>Man schicke den Dienstthuenden vom Bataillon! -schrie Kirssanow, ohne dem Kapitän zu antworten, -obwohl er, wie ich auch diesmal überzeugt war, -gar nicht nötig hatte, irgend einen Befehl zu erteilen.</p> - -<p>Und Sie, junger Mann, meine ich, sind jetzt -froh, daß Sie doppeltes Gehalt haben? sagte der -Major nach einigen Minuten des Schweigens zu -dem Bataillonsadjutanten.</p> - -<p>Gewiß, sehr.</p> - -<p>Ich finde, unser Gehalt ist jetzt sehr groß, -Nikolaj Fjodorowitsch, fuhr er fort. Ein junger -Mann kann dabei sehr anständig leben und sich -sogar manchen Luxus gestatten.</p> - -<p>Nein, wahrhaftig, Abram Iljitsch, sagte schüchtern -der Adjutant, wenn's auch das Doppelte ist, -es ist doch nur so ... man muß doch ein Pferd -halten ...</p> - -<p>Was sagen Sie mir da, junger Mann! Ich -war selbst Fähnrich und weiß das. Glauben Sie, -wenn man haushälterisch lebt, geht's sehr gut. -Lassen Sie uns rechnen, fügte er hinzu und bog -den kleinen Finger der linken Hand ein.</p> - -<p>Wir nehmen das Gehalt immer voraus, da -haben Sie die Rechnung! sagte Trossenko und -leerte dabei ein Glas Schnaps.</p> - -<p>Nun, was wollen Sie damit sagen ... wie?</p> - -<p>In diesem Augenblick schob sich ein weißer Kopf -mit einer plattgedrückten Nase durch die Öffnung<span class="pagenum"><a name="Page_322" id="Page_322">[Pg 322]</a></span> -der Hütte, und eine scharfe Stimme sagte mit -deutscher Betonung:</p> - -<p>Sind Sie da, Abram Iljitsch? Der Dienstthuende -sucht Sie.</p> - -<p>Treten Sie ein, Kraft! sagte Bolchow.</p> - -<p>Eine lange Gestalt in Generalstabsuniform kam -durch die Thür gekrochen und drückte allen mit -besonderer Herzlichkeit die Hand.</p> - -<p>Ei, lieber Kapitän, auch Sie hier? sagte er -zu Trossenko gewandt.</p> - -<p>Der neue Gast kroch trotz der Dunkelheit zu -ihm hin und küßte ihn, wie mir schien, zu seiner -größten Verwunderung und Unzufriedenheit, auf -den Mund.</p> - -<p>»Das ist ein Deutscher, der ein guter Kamerad -sein will,« dachte ich.</p> - - -<h4> -<img src="images/illu-326.jpg" width="300" height="54" alt="XII" /> -<span class="hidden">XII</span> -</h4> - -<p>Meine Vermutung bestätigte sich bald. Kapitän -Kraft bat um Schnaps, nannte ihn »Branntwein«, -krächzte furchtbar und warf den Kopf zurück, während -er das Glas leerte.</p> - -<p>Nun, meine Herren, was sind wir heute in den -Ebnen der Tschetschnja herumkutschiert ... hatte -er eben begonnen; als er aber den dienstthuenden -Offizier erblickte, wurde er sofort still und ließ -den Major erst seine Befehle geben.</p> - -<p>Haben Sie die Vorpostenkette besichtigt?</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_323" id="Page_323">[Pg 323]</a></span></p> - -<p>Zu Befehl, Herr Major.</p> - -<p>Sind die gedeckten Posten ausgesandt?</p> - -<p>Zu Befehl, Herr Major.</p> - -<p>So geben Sie dem Kompagniekommandeur den -Befehl, so vorsichtig als möglich zu sein.</p> - -<p>Zu Befehl, Herr Major.</p> - -<p>Der Major kniff die Augen zusammen und -versank in ein tiefes Nachsinnen.</p> - -<p>Und sagen Sie den Leuten, daß sie jetzt ihre -Grütze kochen können.</p> - -<p>Sie kochen sie schon.</p> - -<p>Schön, Sie können gehen.</p> - -<p>Nun, wir waren dabei, zu berechnen, was ein -Offizier braucht, fuhr der Major fort und wandte -sich mit einem leutseligen Lächeln zu uns. Rechnen -wir.</p> - -<p>Sie brauchen einen Waffenrock und eine Hose, -richtig?</p> - -<p>Richtig, nehmen wir an: fünfzig Rubel auf -zwei Jahre, im Jahr also fünfundzwanzig Rubel -für die Kleidung; dann kommt Essen, täglich zwei -Abas ... richtig?</p> - -<p>Richtig, das ist sogar viel.</p> - -<p>Nun, ich will es ansetzen ... Dann kommt -das Pferd mit Sattel zur Remonte 30 Rubel – -das ist alles. Das macht im ganzen 25 und 120 -und 30 = 175, bleibt Ihnen immer noch für Luxusausgaben, -für Thee und Zucker, für Tabak<span class="pagenum"><a name="Page_324" id="Page_324">[Pg 324]</a></span> -20 Rubel. – Sehen Sie nun? ... Habe ich -recht, Nikolaj Fjodorowitsch?</p> - -<p>Nein, Abram Iljitsch, verzeihen Sie! sagte -schüchtern der Adjutant. Nichts bleibt für Thee -und Zucker übrig. Sie setzen ein Paar auf zwei -Jahre an. Aber hier auf unseren Kriegszügen -kann man ja gar nicht genug Beinkleider haben -... Und Stiefel? ... Ich brauche ja fast jeden -Monat ein Paar auf. Dann erst Wäsche, Hemden, -Handtücher, Fußlappen, das muß man doch alles -bezahlen. Und wenn man's zusammenrechnet, -bleibt nichts übrig. Das ist bei Gott so, Abram -Iljitsch.</p> - -<p>Ja, Fußlappen sind ein vorzügliches Tragen, -sagte plötzlich Kraft nach einer minutenlangen -Pause, und sprach das Wort »Fußlappen« mit -besonders liebevollem Ton. Sehen Sie, das ist -einfach, russisch.</p> - -<p>Ich will Ihnen was sagen, bemerkte Trossenko. -Rechnen Sie, wie Sie wollen, es kommt immer -darauf hinaus, daß unsereiner die Zähne in den -Kasten legen muß. In Wirklichkeit aber leben -wir alle, trinken unseren Thee, rauchen unseren -Tabak und trinken unseren Schnaps. Dient so -lange wie ich, fuhr er fort, an den Fähnrich gewandt, -dann lernt Ihr auch, wie man leben muß. -Wissen Sie denn, meine Herren, wie er mit dem -Burschen umgeht?</p> - -<p>Und Trossenko erzählte uns die ganze Geschichte<span class="pagenum"><a name="Page_325" id="Page_325">[Pg 325]</a></span> -von dem Fähnrich und seinem Burschen, obgleich -wir sie alle schon tausendmal gehört hatten, und -lachte sich halb tot dabei.</p> - -<p>Warum schaust du denn wie eine Rose aus, -Bruderherz? fuhr er fort zum Fähnrich gewandt, -der ganz rot geworden war und schwitzte und -lächelte, daß es ein Erbarmen war, ihn anzusehen. -– Thut nichts, Bruderherz, ich war ebenso wie -du, und jetzt siehst du, was ich für ein Kerl geworden -bin. Laß doch mal so einen Jüngling -aus Rußland herkommen – wir haben ja viele -gesehen – Krämpfe kriegt er und Reißen; ich -aber habe mich hier eingesessen – ich habe hier -mein Häuschen, mein Bett, alles. Siehst du ...</p> - -<p>Dabei trank er noch ein Gläschen Schnaps.</p> - -<p>He? fügte er hinzu und sah Kraft unverwandt -in die Augen.</p> - -<p>Sehen Sie, das acht' ich hoch! Das ist ein -echter, alter Kaukasier! Geben Sie mir Ihre -Hand!</p> - -<p>Und Kraft stieß uns alle fort, drängte sich -zu Trossenko durch, ergriff seine Hand und schüttelte -sie mit besonderer Liebe.</p> - -<p>Ja, wir können sagen, wir haben hier alles -kennen gelernt, fuhr er fort. – Im Jahre 45 ... -Sie waren ja auch dabei, Kapitän? Denken Sie -noch, die Nacht vom 12. auf den 13., wie wir -bis an die Knie im Schmutz Nachtlager hielten, -und den Tag darauf die Verschanzung stürmten?<span class="pagenum"><a name="Page_326" id="Page_326">[Pg 326]</a></span> -Ich war damals beim Höchstkommandierenden, und -wir nahmen an einem Tage 15 Schanzen. Erinnern -Sie sich noch, Kapitän?</p> - -<p>Trossenko machte mit dem Kopf ein Zeichen -der Zustimmung, streckte die Unterlippe vor und -kniff die Augen zusammen.</p> - -<p>Sehen Sie doch ... begann Kraft mit ungewöhnlicher -Lebhaftigkeit zum Major gewandt -und machte mit den Händen ungeschickte Bewegungen -...</p> - -<p>Der Major aber, der diese Erzählung wohl -schon öfter gehört hatte, sah plötzlich seinen Nachbar -mit so matten, stumpfen Augen an, daß Kraft -sich von ihm abwandte und sich mir zukehrte, -indem er abwechselnd bald den einen, bald den -anderen von uns ansah. Trossenko aber sah er -während der ganzen Erzählung nicht mit einem -Blicke an.</p> - -<p>Sehen Sie also, wie wir des Morgens auszogen, -sagt der Höchstkommandierende zu mir: -»Kraft, nimm diese Schanze.« Sie wissen, wie's -im Dienst ist, da giebt's keine Erörterungen – -Hand an die Mütze: »Zu Befehl, Euer Erlaucht!« -und marsch! Wie wir zu der ersten Schanze kamen, -wandte ich mich um und sagte zu den Soldaten: -»Kinder, ohne Furcht, Augen offen! Wer zurückbleibt, -den haue ich mit eigner Hand in Stücke.« -Mit dem russischen Soldaten, wissen Sie, muß -man geradezu reden. Plötzlich kommt eine Gra<span class="pagenum"><a name="Page_327" id="Page_327">[Pg 327]</a></span>nate -... Ich sehe – ein Mann, ein zweiter, -ein dritter ... Dann kommen Gewehrkugeln ... -sch, sch, sch! ... »Vorwärts, Kinder, sage ich, -mir nach!« Wie wir herangekommen waren, wissen -Sie, und hinsehen, bemerke ich, wie nennt man -das ... wissen Sie ... wie heißt das? – und -der Erzähler fuchtelte mit den Händen durch die -Luft und suchte nach dem Wort.</p> - -<p>Ein Graben, sagte Bolchow vor.</p> - -<p>Nein, ach, wie heißt es doch? Du lieber Gott, -wie heißt es doch? ... Ein Graben! sagte er -schnell. Also ... Gewehr in die Balance ... -urra! ta–ra–ta–ta–ta! Keine Spur vom Feind -... Wissen Sie, alles war überrascht. Also ... -schön. Wir gehen weiter – zweite Schanze. Das -war ein ganz ander Ding. Uns war schon das -Herz heiß geworden, wissen Sie. Wir kommen -heran, schauen, ich sehe – eine zweite Schanze: -weiter geht's nicht. Da – wie nennt man das -– nun wie heißt das ... Ach! wie ...</p> - -<p>Wieder ein Graben, sagte ich vor.</p> - -<p>Keineswegs, fuhr er beherzt fort, kein Graben, -sondern ... Nun Gott, wie heißt denn das? – -und er machte mit der Hand eine linkische Bewegung. -– Ach, du lieber Gott, wie ...</p> - -<p>Er quälte sich offenbar so sehr, daß man unwillkürlich -den Wunsch hatte, ihm vorzusagen.</p> - -<p>Ein Fluß vielleicht? sagte Bolchow.</p> - -<p>Nein, einfach ein Graben. Aber kaum sind<span class="pagenum"><a name="Page_328" id="Page_328">[Pg 328]</a></span> -wir da, wollen Sie's glauben, geht ein solches -Feuer los, ein Höllenfeuer ...</p> - -<p>In diesem Augenblick fragte draußen jemand -nach mir. Es war Maksimow. Und da mir, -nachdem ich die abwechselungsreiche Geschichte von -den zwei Schanzen gehört hatte, noch dreizehn -geblieben waren, war ich froh, diese Gelegenheit -ergreifen zu können, um zu meinem Zuge zurückzugehen. -Trossenko ging mit mir zusammen -hinaus.</p> - -<p>Alles erlogen, sagte er mir, als wir einige -Schritte von der Hütte entfernt waren. Er ist -gar nicht auf den Schanzen gewesen ... – Und -Trossenko lachte so herzlich, daß auch mich das -Lachen überkam.</p> - - -<h4> -<img src="images/illu-332.jpg" width="300" height="52" alt="XIII" /> -<span class="hidden">XIII</span> -</h4> - -<p>Es war schon dunkle Nacht, und nur die Wachtfeuer -beleuchteten mit mattem Schein das Lager, -als ich, nach der Stallzeit, zu meinen Soldaten -herankam. Ein großer Baumstamm lag glimmend -auf den Kohlen. Um ihn herum saßen drei Mann: -Antonow, der über dem Feuer einen kleinen Kessel -drehte, in dem aufgeweichter Zwieback mit Fett -kochte, Shdanow, der nachdenklich mit einem -Zweige die Asche aufscharrte, und Tschikin mit -seinem ewig feuerlosen Pfeifchen. Die anderen -hatten sich schon zur Ruhe gelagert: die einen<span class="pagenum"><a name="Page_329" id="Page_329">[Pg 329]</a></span> -unter dem Pulverkasten, die anderen auf Heu, -noch andere um die Wachtfeuer herum. Bei dem -matten Lichte der Kohlen unterschied ich die mir -bekannten Rücken, Füße und Köpfe; unter den -letzten war auch der kleine Rekrut, er lag dicht -am Feuer und schien schon zu schlafen. Antonow -machte mir Platz. Ich setzte mich neben ihn und -rauchte eine Cigarette an. Der Geruch des Nebels -und des qualmenden feuchten Holzes erfüllte ringsum -die Luft und biß in die Augen, und noch -immer tröpfelte feuchter Nebel von dem tiefdunklen -Himmel.</p> - -<p>Neben uns hörten wir das gleichmäßige Schnarchen, -das Knistern der Reiser im Feuer, flüchtiges -Gespräch und von Zeit zu Zeit das Klirren der -Gewehre der Infanterie. Ringsumher loderten -die Wachtfeuer und beleuchteten im nahen Umkreis -die schwarzen Schatten der Soldaten. Bei -den nächstgelegenen Wachtfeuern unterschied ich an -hellbeleuchteten Stellen die Gestalten nackter Soldaten, -die ihre Hemden über der Flamme hin- und -herschwenkten. Viele von den Leuten schliefen -noch nicht und bewegten sich in einem Umkreis -von fünfzehn Quadratfaden plaudernd hin und -her; aber die düstere, dumpfe Nacht gab dieser -ganzen Bewegung ihren eignen, geheimnisvollen -Klang, als fühlte jeder die düstere Stille und -scheute sich, ihre friedliche Harmonie anzutasten. -Wenn ich ein Wort sprach, fühlte ich, daß meine<span class="pagenum"><a name="Page_330" id="Page_330">[Pg 330]</a></span> -Stimme anders klinge. In den Gesichtern der -Soldaten, die um das Feuer herumlagen, las ich -dieselbe Stimmung. Ich dachte, sie hätten bis -zu meiner Ankunft von dem verwundeten Kameraden -gesprochen; aber keineswegs. Tschikin hatte -von dem Eintreffen seiner Sachen in Tiflis und -von den Schulknaben der Stadt erzählt.</p> - -<p>Ich habe immer und überall, besonders im -Kaukasus, bei unseren Soldaten einen besonderen -Takt beobachtet – in der Zeit der Gefahr alles -zu unterdrücken und zu vermeiden, was unvorteilhaft -auf den Geist der Kameraden einwirken -könnte. Der Geist des russischen Soldaten beruht -nicht, wie die Tapferkeit der südlichen Völker, auf -einer schnell entflammten und erkaltenden Begeisterung: -er ist ebenso schwer zu entflammen, wie -geneigt den Mut sinken zu lassen. Er bedarf -keiner Effekte, keiner Reden, keines Kriegsgeschreis, -keiner Lieder und Trommelwirbel; er bedarf vielmehr -der Ruhe, der Ordnung, der Vermeidung -alles Erkünstelten. Bei dem russischen, bei dem -echt russischen Soldaten wird man nie Prahlerei, -Bravour, den Wunsch, sich im Augenblick der Gefahr -zu betäuben, zu erregen wahrnehmen. Im -Gegenteil. Bescheidenheit, Schlichtheit und die -Fähigkeit, in der Gefahr etwas ganz anderes zu -sehen als die Gefahr, bilden die unterscheidenden -Merkmale seines Charakters. Ich habe einen Soldaten -gesehen, der am Bein verwundet war und<span class="pagenum"><a name="Page_331" id="Page_331">[Pg 331]</a></span> -dem im ersten Augenblick nur der zerfetzte neue -Pelz leid that; einen Reiter, der unter dem Pferde -hervorkroch, das ihm unter dem Leibe erschossen -worden war, und der den Gurt abschnallte, um -den Sattel herunterzunehmen. Wer erinnert sich -nicht des Vorfalls bei der Belagerung von Gergebel, -wo im Laboratorium das Zündrohr einer -gefüllten Bombe Feuer fing, und der Feuerwerker -zwei Soldaten befahl, die Bombe zu ergreifen, -mit ihr davonzurennen und sie in den Graben -zu werfen, und die Soldaten sie nicht in nächster -Nähe bei dem Zelt des Obersten niederwarfen, -das am Rande des Grabens stand, sondern weiter -forttrugen, um die Herren nicht zu wecken, die im -Zelte schliefen, und beide in Stücke zerrissen wurden? -Ich erinnere mich noch, es war im Feldzuge -1852, wie einer der jungen Soldaten zu einem -anderen während des Kampfes sagte, der Zug -würde wohl kaum hier wieder fortkommen, und wie -der ganze Zug wütend über ihn herfiel wegen der -dummen Redensarten, die sie nicht einmal wiederholen -wollten. Und so hörten jetzt, wo jedem -Welentschuk hätte im Sinne liegen müssen, und -wo jeden Augenblick die heranschleichenden Tataren -auf uns hätten feuern können, alle der lebendigen -Erzählung Tschikins zu, und niemand gedachte mit -einem Worte des heutigen Gefechts, noch der bevorstehenden -Gefahr, noch des Verwundeten. Als -ob das weiß Gott wie lange hinter uns läge, oder<span class="pagenum"><a name="Page_332" id="Page_332">[Pg 332]</a></span> -gar nie gewesen wäre. Mir aber schien es, als -wären ihre Gesichter nur finsterer als gewöhnlich. -Sie hörten nicht allzu aufmerksam auf Tschikins -Erzählung hin, und Tschikin fühlte sogar, daß man -ihm nicht zuhörte, sprach aber immer ruhig weiter.</p> - -<p>Da trat Maksimow an das Wachtfeuer heran -und setzte sich neben mir nieder. Tschikin machte -ihm Platz, hörte auf zu sprechen und begann wieder -sein Pfeifchen zu schmauchen.</p> - -<p>Die Infanteristen haben nach Schnaps ins -Lager geschickt, sagte Maksimow nach ziemlich langem -Schweigen, sie sind eben zurückgekommen. – -Er spie ins Feuer. – Ein Unteroffizier hat erzählt, -sie haben unsern Verwundeten gesehen.</p> - -<p>Wie, lebt er noch? fragte Antonow und drehte -das Kesselchen herum.</p> - -<p>Nein, er ist tot.</p> - -<p>Der junge Rekrut erhob plötzlich seinen kleinen -Kopf mit dem roten Mützchen über das Feuer -empor, sah einen Augenblick Maksimow und mich -aufmerksam an, dann ließ er ihn schnell sinken -und hüllte sich in seinen Mantel.</p> - -<p>Siehst du, nicht umsonst ist der Tod heut früh -zu ihm gekommen, wie ich ihn im Park wecken -wollte, sagte Antonow.</p> - -<p>Leeres Geschwätz, sagte Shdanow und drehte -den glimmenden Baumstamm um; alle verstummten.</p> - -<p>Mitten durch die allgemeine Stille ertönte<span class="pagenum"><a name="Page_333" id="Page_333">[Pg 333]</a></span> -hinter uns im Lager ein Schuß. Unsere Trommler -meldeten sich und schlugen den Zapfenstreich. Als -der letzte Wirbel verklungen war, erhob sich zuerst -Shdanow und zog seine Mütze. Wir alle -folgten seinem Beispiel.</p> - -<p>Durch die tiefe Stille der Nacht erklang der -harmonische Chor der Männerstimmen:</p> - -<p>»Vater unser, der du bist im Himmel, geheiliget -sei dein Name, zu uns komme dein Reich, dein -Wille geschehe wie im Himmel also auch auf Erden; -unser täglich Brot gieb uns heut, und vergieb uns -unsere Schuld, wie wir vergeben unsern Schuldigern; -führe uns nicht in Versuchung und erlöse -uns von dem Übel.«</p> - -<p>So ist auch einer von uns im Jahre 45 an -derselben Stelle verwundet worden ... sagte Antonow, -als wir die Mütze aufgesetzt und uns wieder -um das Feuer gelagert hatten. Zwei Tage haben -wir ihn auf dem Geschütz herumgefahren, weißt -du noch, Shdanow, den Schewtschenko? Dann -haben wir ihn unter einem Baum niedergelassen.</p> - -<p>In diesem Augenblick kam ein Gemeiner von -der Infanterie mit mächtigem Backen- und -Schnauzbart, mit Gewehr und Lanze auf unser -Wachtfeuer zu.</p> - -<p>Gebt mir doch Feuer, Landsleute, das Pfeifchen -anzurauchen, sagte er.</p> - -<p>Ei nun, rauchen Sie's nur an, an Feuer fehlt's -nicht, bemerkte Tschikin.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_334" id="Page_334">[Pg 334]</a></span></p> - -<p>Ihr sprecht gewiß von Dargi, Landsmann, -wandte sich der Infanterist an Antonow.</p> - -<p>Vom Jahre 45, von Dargi, antwortete -Antonow.</p> - -<p>Der Infanterist schüttelte den Kopf, kniff -die Augen zusammen und hockte neben uns -nieder.</p> - -<p>Ja, da ging es hoch her! bemerkte er.</p> - -<p>Warum aber habt ihr ihn liegen lassen? fragte -ihn Antonow.</p> - -<p>Er hatte furchtbare Schmerzen im Leib. Wenn -wir stille standen, ging's, wenn wir uns aber vom -Fleck rührten, da schrie er furchtbar auf. Er beschwor -uns bei Gott, wir sollten ihn liegen lassen, -aber es war doch ein Jammer. Na, als <em>er</em> uns -dann auf den Leib rückte, drei von unserer Geschützmannschaft -tötete, und wir unsere Batterie mit -Mühe hielten ... 's war eine Not, wir glaubten -kaum mit dem Geschütz davonzukommen. Es war -ein Schmutz.</p> - -<p>Das Schlimmste war, daß es am Fuß des -Indierbergs schmutzig war, bemerkte einer der -Soldaten.</p> - -<p>Ja, da wurde ihm auch noch viel schlimmer! -Anoschenka, – es war ein alter Feuerwerker – -Anoschenka und ich dachten: was sollen wir thun, -leben kann er nicht, und beschwört uns bei Gott -– lassen wir ihn also hier liegen. Und so thaten -wir auch. Ein Baum wuchs da mit großen breiten<span class="pagenum"><a name="Page_335" id="Page_335">[Pg 335]</a></span> -Ästen. Wir nahmen ihn, legten ihm geweichten -Zwieback hin – Shdanow hatte welche mit – -lehnten ihn an den Baum, zogen ihm ein reines -Hemd an, nahmen Abschied von ihm, wie sich's -gehört, und ließen ihn so liegen.</p> - -<p>Und war's ein tüchtiger Soldat?</p> - -<p>Je nun, ein guter Soldat, bemerkte Shdanow.</p> - -<p>Und was mit ihm geschehen sein mag, weiß -Gott, fuhr Antonow fort. Dort sind gar viele -von den Kameraden geblieben!</p> - -<p>In Dargi? fragte der Infanterist, dabei erhob -er sich, kratzte seine Pfeife aus, kniff wieder -die Augen zusammen und wiegte den Kopf hin -und her. Da ging es hoch her!</p> - -<p>Damit ging er von uns.</p> - -<p>Giebt's in unserer Batterie noch viele Soldaten, -die bei Dargi gewesen sind? fragte ich.</p> - -<p>Viele? Shdanow, ich, Pazan, der jetzt auf -Urlaub ist, und etwa noch sechs Mann. Mehr -werden's nicht sein.</p> - -<p>Ei was, unser Pazan bummelt auf Urlaub? -sagte Tschikin, streckte die Beine und legte sich -mit dem Kopf auf einen Klotz. Es muß bald ein -Jahr sein, daß er fort ist.</p> - -<p>Hast du Jahresurlaub genommen? fragte ich -Shdanow.</p> - -<p>Nein, ich habe keinen genommen, antwortete -er unwillig.</p> - -<p>Es ist schön, Urlaub nehmen, sagte Antonow,<span class="pagenum"><a name="Page_336" id="Page_336">[Pg 336]</a></span> -wenn man aus reichem Hause ist, oder wenn -man selbst die Kraft hat zu arbeiten; da ist -es ja angenehm, und zu Hause freut man sich -mit dir.</p> - -<p>Was soll man gehen, wenn man zwei Brüder -hat? fuhr Shdanow fort. Sie haben Mühe, sich -selbst zu ernähren, nicht noch unsereinen zu füttern. -Man ist eine schlechte Hilfe, wenn man schon -25 Jahre gedient hat. Und wer weiß, ob sie -noch leben?</p> - -<p>Hast du denn nicht geschrieben? fragte ich.</p> - -<p>Ei gewiß! Zwei Briefe habe ich fortgeschickt, -aber Antworten schicken sie nicht! Ob sie -gestorben sind, ob sie so nicht schreiben, weil -sie nämlich selbst in Armut leben – wie soll ich -da hin?</p> - -<p>Ist es lange her, daß du geschrieben hast?</p> - -<p>Als ich von Dargi kam, das war der letzte -Brief.</p> - -<p>Du solltest uns das Lied von der Birke singen, -sagte Shdanow zu Antonow, der in diesem Augenblick, -die Ellbogen auf die Knie gestützt, ein Liedchen -vor sich hinsummte.</p> - -<p>Antonow stimmte »Die Birke« an.</p> - -<p>Siehst du, das ist das Lieblingslied von Onkel -Shdanow, sagte mir Tschikin leise und zog mich -am Mantel. Manchmal, wenn Philipp Antonytsch -es spielt, da weint er wohl gar.</p> - -<p>Shdanow saß zuerst ganz unbeweglich da, die<span class="pagenum"><a name="Page_337" id="Page_337">[Pg 337]</a></span> -Augen auf die glimmenden Kohlen geheftet, und -sein Gesicht sah im Schimmer des rötlichen Lichts -außerordentlich düster aus; dann begannen seine -Kinnbacken unter den Ohren sich immer schneller -und schneller zu bewegen und endlich erhob er sich, -breitete seinen Mantel aus und legte sich im -Schatten hinter dem Wachtfeuer nieder.</p> - -<p>War es, weil er sich hin- und herwälzte und -ächzte, während er sich schlafen legte, war es Welentschuks -Tod und dieses traurige Wetter, das mich -so stimmte, genug, ich glaubte wirklich, daß er -weine.</p> - -<p>Der untere Teil des Baumstamms, der sich in -Kohle verwandelt hatte, flackerte von Zeit zu Zeit -auf, beleuchtete die Gestalt Antonows mit seinem -grauen Schnurrbart, mit der roten Fratze und -dem Orden auf dem umgehängten Mantel, und -Stiefel, Kopf und Rücken eines anderen. Von -oben fiel noch immer der trübe Nebel herab, die -Luft war noch immer von dem Duft der Feuchtigkeit -und des Rauchs erfüllt, ringsumher waren -noch immer die hellen Punkte der verlöschenden -Wachtfeuer zu sehen und durch die allgemeine -Stille die Klänge des schwermütigen Liedes zu -hören, das Antonow sang; und wenn es auf einen -Augenblick verstummte, antworteten ihm die -Klänge der schwachen nächtlichen Bewegung des -Lagers, des Schnarchens und Waffengeklirrs der -Wachtposten und des leisen Gesprächs.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_338" id="Page_338">[Pg 338]</a></span></p> - -<p>Zweite Ablösung vor, Makatjuk und Shdanow! -kommandierte Maksimow.</p> - -<p>Antonow hörte auf zu singen, Shdanow erhob -sich, seufzte, schritt über den Baum hinweg und -ging zu den Geschützen.</p> - -<p>15. Juni 1855.</p> - -<div class="figcenter"> -<img src="images/illu-342.jpg" width="300" height="46" alt="* * * * *" /> -</div> - - - - - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_339" id="Page_339">[Pg 339]</a></span></p> - - -<div class="figcenter"><img src="images/343.jpg" width="388" height="700" alt=">Eine -Begegnung im Felde mit einem Moskauer Bekannten (Aus den kaukasischen Aufzeichnungen -des Fürsten Nechljudow)" /></div> - -<h3 >Eine -Begegnung im Felde mit einem Moskauer Bekannten (Aus den kaukasischen Aufzeichnungen -des Fürsten Nechljudow) -</h3> - - - - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_340" id="Page_340">[Pg 340]</a></span></p> - - - - -<div class="figcenter"> -<img src="images/illu-344.jpg" width="300" height="126" alt="* * * * *" /> -</div> - - -<p>Wir standen im Felde. Die Kämpfe gingen -schon ihrem Ende entgegen, wir hatten die -Waldrodung hergestellt und erwarteten jeden Tag -vom Stabe den Befehl zum Rückzuge in die -Festung. Unsere Division der Batteriegeschütze -stand am Abhang eines steilen Bergrückens, der -von dem reißenden Gebirgsbach Metschik begrenzt -war, und hatte die Aufgabe, die vor uns ausgebreitete -Ebene zu beschießen. Auf dieser malerischen -Ebene zeigten sich außer Schußweite von -Zeit zu Zeit, besonders vor Abend, hie und da, -nicht in feindseliger Absicht, Gruppen berittener -Bergbewohner, die aus Neugier herbeigeströmt -waren, um das russische Lager zu betrachten. Es -war ein klarer, stiller und frischer Abend, wie die -Dezemberabende im Kaukasus zu sein pflegen; die -Sonne war hinter den steilen Gebirgsausläufern -zur Linken versunken und warf ihre rosigen Strahlen -auf die Zelthütten, die über den Berg zerstreut -lagen, auf die Soldatengruppen, die sich -hin- und herbewegten und auf unsere beiden Geschütze, -die schwerfällig, wie mit ausgereckten Hälsen, -unbeweglich zwei Schritt vor uns auf einer Erd<span class="pagenum"><a name="Page_341" id="Page_341">[Pg 341]</a></span>batterie -standen. Ein Infanteriepiket, das auf -dem Hügel zur Linken zerstreut lag, war mit seinen -zusammengestellten Gewehren, mit der Gestalt des -Wachtpostens, einer Gruppe Soldaten und dem -Rauch des aufgeschichteten Wachtfeuers in dem -durchsichtigen Licht des Sonnenuntergang deutlich -zu erkennen. Rechts und links auf der halben -Höhe des Berges schimmerten auf dem schwarzen, -ausgetretenen Boden die weißen Zelte, und hinter -den Zelten die dunklen, entblätterten Stämme des -Platanenwaldes, in dem unaufhörlich Äxte klangen, -Wachtfeuer knisterten und gefällte Bäume krachend -niederstürzten. Bläulicher Dampf stieg von allen -Seiten in Säulen zu dem hellblauen Winterhimmel -empor. An dem Zelte und in der Niederung am -Rande des Baches zogen mit Pferdegetrappel und -Gewieher die Kosaken, die Dragoner und die Artillerie -dahin, die von der Tränke zurückkamen. Es -begann zu frieren; jeder Laut war ganz deutlich -zu hören, und das Auge sah in der reinen, klaren -Luft weithin über die Ebene. Die Häuflein der -Feinde, die nun nicht mehr die Neugierde der Soldaten -erregten, ritten ruhig über die hellgelben -Stoppeln der Maisfelder hin; hie und da schimmerten -hinter den Bäumen die hohen Säulen der -Kirchhöfe und die rauchenden Auls herüber.</p> - -<p>Unser Zelt stand unweit der Geschütze an einem -trocknen und hochgelegenen Ort, von dem die Aussicht -besonders weit war. Neben dem Zelt, ganz<span class="pagenum"><a name="Page_342" id="Page_342">[Pg 342]</a></span> -in der Nähe der Batterie, hatten wir auf einem -gesäuberten Plätzchen ein Holzklötzchenspiel hergerichtet. -Dienstfertige Soldaten hatten uns hier -geflochtene Bänke und einen kleinen Tisch hergesetzt. -Wegen aller dieser Bequemlichkeiten kamen -Artillerieoffiziere, unsere Kameraden, und einige -Herren von der Infanterie abends gern zu unserer -Batterie und nannten den Ort den Klub.</p> - -<p>Es war ein prächtiger Abend. Die besten -Spieler waren versammelt, und wir spielten Klötzchen. -Ich, der Fähnrich D. und der Leutnant O. -hatten hintereinander zwei Partien verspielt und -zum allgemeinen Vergnügen und Gelächter der zuschauenden -Offiziere, der Soldaten und Burschen, -die uns aus ihren Zelten zusahen, zweimal die Gewinner -auf unserem Rücken von einem Ende bis -zum anderen getragen. Besonders drollig war -die Stellung des kolossalen dicken Stabskapitäns -Sch., der keuchend und gutmütig lächelnd und die -Beine am Boden nachschleppend, auf dem kleinen, -schwächlichen Leutnant O. ritt. Es war aber schon -spät geworden. Die Burschen brachten für sechs -Mann, die wir waren, drei Glas Thee ohne Untersätze. -Wir brachen das Spiel ab und gingen zu -den geflochtenen Bänken. Da stand ein uns unbekannter -mittelgroßer Mann mit krummen Beinen -in einem Pelz ohne Überzug und in einer Fellmütze -mit langem, herabhängendem weißen Haar. Als -wir nahe an ihn herangekommen waren, zog er<span class="pagenum"><a name="Page_343" id="Page_343">[Pg 343]</a></span> -einige Mal zögernd die Mütze und setzte sie wieder -auf, dann schickte er sich immer wieder an, zu uns -heranzukommen und machte immer wieder Halt. -Da der unbekannte Mann aber wohl glauben -mußte, daß er nicht mehr unbemerkt bleiben könne, -zog er die Mütze, ging im Bogen um uns herum -und trat auf den Stabskapitän Sch. zu.</p> - -<p>Ah, Guscantini! Wie geht's, Väterchen? sagte -Sch. zu ihm und lächelte gutmütig, immer noch -unter dem Eindruck seines Rittes.</p> - -<p>Guscantini, wie er ihn genannt hatte, setzte -sofort seine Mütze auf und machte eine Bewegung, -als ob er die Hände in die Taschen seines Pelzes -stecken wollte; auf der Seite aber, die er mir zukehrte, -hatte der Pelz keine Taschen, und seine -kleine rote Hand blieb in einer ungeschickten Lage. -Ich hätte gern erraten, was dieser Mensch wohl -sei (ein Junker oder ein Degradierter), und ohne -zu bemerken, daß mein Blick (d. h. der Blick eines -unbekannten Offiziers) ihn verlegen machte, betrachtete -ich aufmerksam seine Kleidung und sein -Äußeres. Er mochte dreißig Jahre zählen. Seine -kleinen, grauen, runden Augen schauten wie schläfrig -und doch gleichzeitig unruhig unter dem -schmutzigen, weißen Schafpelz der Mütze hervor, -der ihm in die Stirn hineinhing. Die dicke, unregelmäßige -Nase zwischen den eingefallenen Wangen -verriet eine krankhafte, unnatürliche Magerkeit, -die Lippen, die sehr spärlich von einem dünnen,<span class="pagenum"><a name="Page_344" id="Page_344">[Pg 344]</a></span> -weichen, häßlichen Schnurrbart bedeckt waren, befanden -sich unaufhörlich in einem unruhigen Zustand, -als wollten sie bald diesen, bald jenen Ausdruck -annehmen. Aber jedem Ausdruck haftete -etwas Unfertiges an – in seinen Zügen blieb -beständig der eine Ausdruck der Angst und der -Hast vorherrschend. Sein hagerer, von Adern -durchzogener Hals war mit einem grünseidenen -Tuch umbunden, das unter dem Pelz verborgen -war. Der Pelz war abgenutzt und kurz, am Kragen -und an den falschen Taschen mit Hundsfell besetzt, -die Beinkleider waren karriert, aschgrau, die Stiefel -hatten kurze, ungeschwärzte Soldatenschäfte.</p> - -<p>Machen Sie keine Umstände, bitte, sagte ich -ihm, als er wieder, mit einem scheuen Blick auf -mich, die Mütze gezogen hatte.</p> - -<p>Er verneigte sich mit einem Ausdruck der Dankbarkeit, -setzte die Mütze auf, zog einen schmutzigen, -kattunenen Beutel mit Schnüren aus der Tasche -und begann eine Cigarette zu drehen.</p> - -<p>Ich war selbst vor kurzem Junker gewesen, -ein alter Junker, der nicht mehr dazu taugte, jüngeren -Kameraden gutmütig Gefälligkeiten zu erweisen, -und ein Junker ohne Vermögen. Ich -kannte daher sehr gut den ganzen moralischen Druck -einer solchen Lage für einen nicht mehr jungen -und von Eigenliebe beherrschten Mann, hatte Teilnahme -für jeden, der sich in ähnlicher Lage befand, -und gab mir Mühe, mir seinen Charakter, den<span class="pagenum"><a name="Page_345" id="Page_345">[Pg 345]</a></span> -Grad und die Richtung seiner geistigen Fähigkeiten -zu erklären, um darnach den Grad seiner moralischen -Leiden zu beurteilen. Dieser Junker oder -Degradierte schien mir nach seinem unruhigen Blick -und dem absichtlichen, unaufhörlichen Wechsel des -Gesichtsausdrucks, den ich an ihm beobachtet hatte, -ein sehr kluger, höchst selbstbewußter und darum -höchst bedauernswerter Mensch zu sein.</p> - -<p>Der Stabskapitän Sch. machte uns den Vorschlag, -noch eine Partie Klötzchen zu spielen; die -verlierende Partei sollte außer dem Umritt einige -Flaschen Rotwein, Rum, Zucker, Zimmt und Nelken -zu Glühwein stellen, der in diesem Winter -wegen der großen Kälte auf unserem Feldzuge in -Mode war. Guscantini, wie ihn Sch. wieder -nannte, wurde auch zur Partie aufgefordert; ehe -jedoch das Spiel begann, führte er, offenbar in -einem Kampf zwischen der Freude, die ihm diese -Einladung machte, und einer gewissen Angst, den -Stabskapitän Sch. auf die Seite und flüsterte -ihm etwas ins Ohr. Der gutmütige Stabskapitän -klopfte ihm mit seiner fleischigen, großen Hand -auf die Schulter und antwortete laut: »Thut -nichts, Väterchen, ich traue Ihnen.«</p> - -<p>Als das Spiel zu Ende war und die Partei, -zu der der unbekannte Subalterne gehörte, gewonnen -hatte, und er nun auf einem von unseren -Offizieren, dem Fähnrich D., reiten sollte, wurde -der Fähnrich rot, ging zu dem Bänkchen hin und<span class="pagenum"><a name="Page_346" id="Page_346">[Pg 346]</a></span> -bot dem Subalternen eine Cigarette als Lösegeld -an. Während der Glühwein besorgt wurde und -in dem Burschenzelt das emsige Wirtschaften Nikitas -zu hören war, der einen Boten nach Zimmt -und Nelken geschickt hatte und dessen Rücken die -schmutzige Zeltdecke bald hierhin, bald dorthin zog, -nahmen wir sieben Mann bei dem Bänkchen Platz, -tranken abwechselnd Thee aus den drei Gläsern, -betrachteten die Ebene vor uns, die sich gerade in -Dämmerung hüllen wollte, und plauderten und -lachten über die verschiedenen Wechselfälle des -Spiels. Der unbekannte Mann im Pelzrock nahm -nicht Teil an dem Gespräch, lehnte hartnäckig den -Thee ab, den ich ihm mehrere Male angeboten -hatte, drehte, in tatarischer Weise auf dem Boden -sitzend, aus feingeschnittenem Tabak eine Cigarette -nach der anderen und rauchte sie, wie man leicht -sehen konnte, nicht so sehr zu seinem Vergnügen, -als um sich den Anschein eines mit etwas beschäftigten -Menschen zu geben. Als man davon -sprach, daß morgen der Rückzug vielleicht auch ohne -Gefecht stattfinden könnte, richtete er sich auf die -Knie auf und sagte, nur zu dem Stabskapitän Sch. -gewandt, er sei jetzt bei dem Adjutanten zu Hause -und habe selbst den Befehl zum Rückzuge für morgen -geschrieben. Wir schwiegen alle, während er -sprach, und obgleich er deutlich seine Schüchternheit -verriet, veranlaßten wir ihn, diese für uns -außerordentliche Mitteilung zu wiederholen. Er<span class="pagenum"><a name="Page_347" id="Page_347">[Pg 347]</a></span> -wiederholte, was er gesagt hatte, fügte jedoch hinzu, -er <em>sei</em> bei dem Adjutanten <em>gewesen</em>, mit dem er -<em>zusammen wohne</em>, und habe dort <em>gesessen</em>, -gerade als man den Befehl brachte.</p> - -<p>Sehen Sie, wenn Sie nicht lügen, Väterchen, -so muß ich zu meiner Kompagnie gehen und zu -morgen einen Befehl geben, sagte der Kapitän Sch.</p> - -<p>Nein ... Weshalb auch ... Wie kann man! -Ich habe gewiß ... begann der Subalterne, aber -er verstummte bald, schien entschlossen, den Beleidigten -zu spielen, verzog unnatürlich die Stirn, -brummte etwas in den Bart und begann wieder -eine Cigarette zu drehen. Aber der feine Tabak -in seinem kattunenen Beutel reichte nicht mehr -und er bat Sch., ihm eine <em>Cigarette zu leihen</em>. -Wir setzten dieses einförmige Gespräch über den -Krieg, das jeder kennt, der einmal an Feldzügen -teilgenommen hat, ziemlich lange fort, beklagten -uns alle mit denselben Worten über die Langeweile -und die Länge des Feldzugs, urteilten alle -in gleicher Weise über die Vorgesetzten, lobten alle, -wie schon oft vorher, den einen Kameraden, bedauerten -den anderen, sprachen unsere Verwunderung -darüber aus, wieviel dieser gewonnen, wieviel -jener verloren hatte u. s. w. u. s. w.</p> - -<p>Siehst du, Väterchen, unser Adjutant, der ist -'reingefallen, tüchtig 'reingefallen! sagte der Stabskapitän -Sch. Beim Stabe war er immer im Gewinn. -Mit wem er auch setzte, immer legte er ihn<span class="pagenum"><a name="Page_348" id="Page_348">[Pg 348]</a></span> -'rein und jetzt verliert er seit zwei Monaten beständig. -Dieser Feldzug hat ihm wenig Glück -gebracht. Ich glaube, er ist 2000 Moneten losgeworden -und Sachen für 500 Moneten, den Teppich, -den er Muchin abgewonnen hat, die Pistolen -von Nikita, die goldene Uhr von Ssada, die ihm -Worinzew geschenkt hat – alles ist er losgeworden.</p> - -<p>Geschieht ihm recht, sagte Leutnant O., er hat -die anderen alle tüchtig gerupft. Es war gar -nicht zu spielen mit ihm.</p> - -<p>Erst hat er alle gerupft, und nun ist er in die -Luft geflogen – dabei schlug der Stabskapitän -Sch. ein gutmütiges Lachen an. Der Guskow -wohnt bei ihm, den hätte er beinahe auch verspielt, -wahrhaftig, ist's nicht wahr, Väterchen? wandte -er sich an Guskow.</p> - -<p>Guskow lachte. Sein Lachen war traurig und -schmerzlich und veränderte seine Züge vollkommen. -Bei dieser Veränderung war es mir, als müßte -ich diesen Menschen früher einmal gekannt und -gesehen haben, zudem war mir sein eigentlicher -Name, Guskow, nicht fremd. Aber wie und wann -ich ihn gekannt, und wo ich ihm begegnet war, -dessen konnte ich mich durchaus nicht erinnern.</p> - -<p>Ja, sagte Guskow und hob dabei unaufhörlich -die Finger zu seinem Schnurrbart, ließ sie aber -wieder sinken, ohne ihn zu berühren. Pavel Dmitrijewitsch -hat in diesem Feldzuge kein Glück ge<span class="pagenum"><a name="Page_349" id="Page_349">[Pg 349]</a></span>habt, -eine solche <span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">veine de malheur</span> – fügte er -mit etwas mühsamer, aber reiner französischer Aussprache -hinzu, und dabei war es mir wieder, als -hätte ich ihn schon irgendwo gesehen. – Ich kenne -Pavel Dmitrijewitsch genau, er vertraut mir alles -an, fuhr er fort.</p> - -<p>Wir sind alte Bekannte, d. h. er hat mich -gern, fügte er hinzu, offenbar erschrocken über die -allzu kühne Behauptung, daß er ein alter Bekannter -des Adjutanten sei. Pavel Dmitrijewitsch -spielt vortrefflich, jetzt – merkwürdig, was mit -ihm vorgeht – jetzt ist er ganz außer sich, <span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">la -chance a tourné</span>, fügte er hinzu, vornehmlich zu -mir gewandt.</p> - -<p>Wir hatten Guskow anfangs mit höflicher Aufmerksamkeit -zugehört, sobald er aber noch diese -französische Redensart ausgesprochen hatte, wandten -wir uns unwillkürlich von ihm ab.</p> - -<p>Ich habe tausendmal mit ihm gespielt, und -Sie werden mir doch zugeben, es ist sonderbar, -sagte der Leutnant mit besonderer Betonung des -Wörtchens <em>sonderbar</em>: ich habe nicht ein einziges -Mal mit ihm gewonnen, nicht einen Abas. -Warum gewinne ich mit anderen?</p> - -<p>Pavel Dmitrijewitsch spielt vorzüglich, ich kenne -ihn schon lange, sagte ich. Wirklich kannte ich -den Adjutanten schon mehrere Jahre, hatte ihm -schon oft zugesehen bei seinem Spiel, das für die -Verhältnisse der Offiziere hoch zu nennen war, und<span class="pagenum"><a name="Page_350" id="Page_350">[Pg 350]</a></span> -war immer entzückt gewesen von seinen schönen, -ein wenig düsteren und stets unveränderten Zügen, -seiner gedehnten, kleinrussischen Aussprache, seinen -schönen Sachen und Pferden, seiner gemessenen -südrussischen Ritterlichkeit und besonders von seiner -Kunst, das Spiel so schön, klar, verständlich und -anmutig zu führen. Manchmal – ich bekenne -es reuig – wenn ich seine vollen weißen Hände -mit dem Brillantring am Zeigefinger betrachtete, -die mir eine Karte nach der anderen schlugen, -wurde ich wütend über diesen Ring, über die -weißen Hände, über die ganze Persönlichkeit des -Adjutanten, und es tauchten schlimme Gedanken -gegen ihn in mir auf; wenn ich aber dann mit -ruhigem Blute überlegte, überzeugte ich mich, daß -er einfach ein gewandterer Spieler war als alle -die, mit denen er gerade spielte. Wenn man seine -allgemeinen Betrachtungen über das Spiel hörte, -darüber, wie man kein Paroli biegen dürfe, wie -man von einem kleinen Einsatz zu einem größeren -fortschreiten, wie man in gewissen Fällen passen -müsse, wie es eine erste Spielregel sei, nur mit Barem -zu spielen u. s. w., wurde es einem immer klarer, -daß er nur darum stets im Gewinnen war, weil er -geschickter und kaltblütiger war, als wir alle. Und -jetzt zeigte sich, daß dieser zurückhaltende, selbstsichere -Spieler während des Feldzugs alles bis -auf den letzten Heller verloren hatte, und nicht -nur Geld, sondern auch Sachen, was für einen<span class="pagenum"><a name="Page_351" id="Page_351">[Pg 351]</a></span> -Offizier den äußersten Grad des Spielverlusts bedeutet.</p> - -<p>Mit mir geht es ihm immer verteufelt, fuhr -der Leutnant O. fort, ich habe mir schon das -Wort gegeben, nicht mehr mit ihm zu spielen.</p> - -<p>Was sind Sie für ein komischer Kauz, Väterchen, -sagte Sch., zwinkerte mir mit dem ganzen -Kopfe nickend zu und wandte sich an O. Sie haben -300 Moneten an ihn verloren, nicht wahr, soviel -haben Sie verloren?</p> - -<p>Mehr, sagte der Leutnant ärgerlich.</p> - -<p>Und jetzt ist Ihnen ein Licht aufgegangen, zu -spät, Väterchen! Das weiß alle Welt längst, daß -er unser Regimentsfalschspieler ist, sagte Sch., er -konnte sich kaum halten vor Lachen und war äußerst -befriedigt von seinem Einfall. Da sehen Sie Guskow -vor sich, der richtet ihm die Karten her. -Darum sind Sie auch so befreundet, liebes Väterchen. -Und der Stabskapitän Sch. brach in ein -so gutmütiges Lachen aus und schüttelte sich so -mit dem ganzen Körper, daß er das Glas Glühwein -verschüttete, das er gerade in der Hand hielt. -Auf Guskows gelbem, abgemagertem Gesicht zeigte -sich eine Röte; er versuchte mehrere Male den -Mund zu öffnen, hob die Finger zum Schnurrbart -und ließ sie wieder zu der Stelle herabsinken, -wo andere Leute Taschen haben, erhob -sich und setzte sich wieder und sagte endlich wie -mit fremder Stimme zu Sch.: Das ist kein Scherz,<span class="pagenum"><a name="Page_352" id="Page_352">[Pg 352]</a></span> -Nikolaj Iwanytsch. Sie sprechen hier solche Dinge -und vor Leuten, die mich nicht kennen, und die -mich in einem fadenscheinigen Pelzrock sehen, weil -... seine Stimme stockte, und wieder gingen seine -kleinen roten Händchen mit den schmutzigen Nägeln -von dem Pelz zum Gesicht und fuhren über den -Schnurrbart, das Haar und die Nase, oder wischten -die Augen klar, oder kratzten ohne alles Bedürfnis -die Backen.</p> - -<p>Was ist da viel zu reden, das wissen ja alle, -Väterchen! fuhr Sch. fort, aufs innerste befriedigt -von seinem Scherz und ohne im geringsten Guskows -Erregung zu bemerken. Guskow flüsterte -noch ein paar Worte, stützte den Ellbogen des -rechten Arms auf das Knie des linken Beins, -betrachtete in der unnatürlichsten Stellung Sch. -und nahm eine Miene an, als ob er verächtlich -lächelte.</p> - -<p>»Nein, – sagte ich innerlich überzeugt, während -ich dieses Lachen beobachtete – ich habe ihn -nicht nur irgendwo gesehen, sondern auch mit ihm -gesprochen.«</p> - -<p>Wir sind uns schon einmal begegnet, sagte ich -zu ihm, als Sch.s Lachen unter dem Eindruck des -allgemeinen Schweigens sich zu legen begann. Guskows -veränderliches Gesicht leuchtete plötzlich auf, -und seine Augen hefteten sich zum erstenmal mit -einem herzensfrohen Ausdruck auf mich.</p> - -<p>Gewiß, ich habe Sie sogleich erkannt, begann<span class="pagenum"><a name="Page_353" id="Page_353">[Pg 353]</a></span> -er französisch. Im Jahre 48 hatte ich ziemlich -oft das Vergnügen, Sie in Moskau bei meiner -Schwester Iwaschina zu treffen.</p> - -<p>Ich entschuldigte mich, daß ich ihn in dieser -Tracht und in dieser neuen Kleidung nicht sofort -erkannt hätte. Er erhob sich, trat auf mich zu, -drückte mir mit seiner feuchten Hand zögernd, -schwach die meinige und setzte sich neben mich. -Anstatt mich anzusehen, den er so froh zu sein -schien wiederzufinden, blickte er mit dem Ausdruck -einer unbehaglichen Prahlsucht im Kreise der Offiziere -umher. Geschah es, weil ich in ihm einen -Mann erkannt, dem ich vor einigen Jahren im -Frack im Salon begegnet war, oder weil er bei -dieser Erinnerung plötzlich in seiner eigenen Meinung -gestiegen war, genug mir schien, als hätte -sich sein Gesicht, ja sogar seine Bewegungen, plötzlich -verändert: sie zeigten jetzt einen lebhaften Geist, -kindliche Selbstzufriedenheit im Bewußtsein dieses -Geistes und eine gewisse geringschätzige Nachlässigkeit, -so daß mein alter Bekannter – ich gestehe -es – trotz seiner bedauernswerten Lage mir nicht -mehr Mitleid einflößte, sondern ein gewisses Gefühl -der Feindseligkeit.</p> - -<p>Ich erinnerte mich lebhaft zurück an unsere -erste Begegnung. Im Jahre 48 besuchte ich, während -meines Aufenthaltes in Moskau, häufig -Iwaschin, mit dem ich aufgewachsen war und mit -dem mich eine alte Freundschaft verband. Seine<span class="pagenum"><a name="Page_354" id="Page_354">[Pg 354]</a></span> -Gattin war eine angenehme Wirtin, eine liebenswürdige -Frau, wie man zu sagen pflegt, mir aber -hat sie nie gefallen ... In dem Winter, in dem -ich bei ihnen verkehrte, sprach sie oft mit schlecht -verhehltem Stolz von ihrem Bruder, der vor kurzem -seine Studien abgeschlossen und, wie sie sagte, -einer der gebildetsten und in der guten Gesellschaft -Petersburgs beliebtesten jungen Leute sei. -Da ich vom Hörensagen Guskows Vater kannte, -der sehr reich war und eine angesehene Stellung -einnahm, und da ich die Anschauungsweise der -Schwester kannte, kam ich dem jungen Guskow -mit einem Vorurteil entgegen. Eines Abends, -als ich Iwaschin besuchte, traf ich bei ihm einen -mittelgroßen, nach seiner äußeren Erscheinung sehr -angenehmen jungen Mann in schwarzem Frack, -in weißer Weste und heller Binde, mit dem der -Hausherr mich bekannt zu machen vergaß. Der -junge Mann, der sich offenbar anschickte, auf einen -Ball zu gehen, stand mit dem Hute in der Hand -vor Iwaschin und disputierte hitzig, aber höflich -mit ihm über einen unserer gemeinsamen Bekannten, -der sich damals im ungarischen Feldzuge -ausgezeichnet hatte. Er meinte, dieser Bekannte -sei durchaus kein Held und nicht für den Krieg -geschaffen, wie man von ihm sage, sondern nur -ein kluger und gebildeter Mann. Ich erinnere -mich, ich nahm in dem Streit gegen Guskow -Partei, und ließ mich fortreißen, ihm sogar zu<span class="pagenum"><a name="Page_355" id="Page_355">[Pg 355]</a></span> -beweisen, daß Klugheit und Bildung stets im umgekehrten -Verhältnisse zur Tapferkeit ständen, und -ich erinnere mich, wie Guskow in liebenswürdiger -und kluger Weise mir auseinandersetzte, daß -Tapferkeit die notwendige Folge der Klugheit und -eines gewissen Grades geistiger Entwicklung sei, -und daß ich dem, da ich mich selbst für einen -klugen und gebildeten Mann hielt, nicht anders -als zustimmen konnte! Ich erinnere mich, daß -mich Frau Iwaschina am Schlusse unseres Gesprächs -mit ihrem Bruder bekannt machte, und er -mir mit einem herablassenden Lächeln seine kleine -Hand reichte, auf die er den weißen Handschuh -erst halb gezogen hatte, und daß er mir ebenso -schwach und zögernd wie jetzt die Hand gedrückt -hatte. Obgleich ich gegen ihn voreingenommen -war, mußte ich damals Guskow Gerechtigkeit -widerfahren lassen und seiner Schwester darin beistimmen, -daß er wirklich ein kluger und liebenswürdiger -junger Mann war, der in der Gesellschaft -Erfolge haben müsse. Er war außerordentlich -sauber und gut gekleidet, jugendfrisch, hatte -sichere, bescheidene Manieren und ein ungemein -jugendliches, fast kindliches Aussehen, um dessentwillen -man ihm unwillkürlich den Ausdruck der -Selbstgefälligkeit und den Wunsch, anderen seine -Überlegenheit empfinden zu lassen, den sein kluges -Gesicht und besonders sein Lächeln beständig zur -Schau trug, gern verzeihen mochte. Man erzählte<span class="pagenum"><a name="Page_356" id="Page_356">[Pg 356]</a></span> -sich, er habe in diesem Winter große Erfolge bei -den Moskauer Damen gehabt. Da ich ihn bei -seiner Schwester sah, konnte ich nur aus dem Ausdruck -von Glück und Zufriedenheit, den sein jugendliches -Äußeres beständig zeigte, und aus seinen bisweilen -unbescheidenen Erzählungen schließen, bis -zu welchem Grade das berechtigt war. Wir begegneten -einander wohl sechsmal und sprachen ziemlich -viel miteinander, oder genauer gesagt, er sprach -meist französisch in vorzüglicher Ausdrucksweise, sehr -gewählt und bilderreich, und verstand es, anderen -in der Unterhaltung in gefälliger, höflicher Weise -ins Wort zu fallen. Er verkehrte überhaupt mit -allen, auch mit mir, ziemlich von oben herab; und, -wie es mir immer geht im Umgange mit Menschen, -die mit der festen Überzeugung auftreten, daß -man mit mir von oben herab verkehren könne -und mit denen ich nicht genauer bekannt bin, -fühlte ich auch hier, daß er in diesem Punkte -ganz im Rechte war.</p> - -<p>Jetzt, da er sich zu mir setzte und mir selbst -die Hand reichte, erkannte ich in ihm den früheren -hochmütigen Ausdruck lebhaft wieder, und es schien -mir, als nütze er in nicht ganz ehrenhafter Weise -den Vorteil seiner Lage als eines Subalternen dem -Offizier gegenüber aus, indem er mich so leichthin -fragte, was ich die ganze Zeit hindurch gemacht -habe und wie ich hierher gekommen sei. Obgleich -ich auf jede Frage russisch antwortete, begann er<span class="pagenum"><a name="Page_357" id="Page_357">[Pg 357]</a></span> -immer wieder französisch; aber er drückte sich offenbar -nicht mehr so geläufig in dieser Sprache aus -wie früher. Von sich erzählte er mir so nebenbei, -er habe nach seiner unglückseligen, dummen Geschichte -(was das für eine Geschichte war, weiß -ich nicht und hat er mir auch nicht erzählt) drei -Monate im Arrest gesessen, dann sei er in den -Kaukasus in das N.-Regiment geschickt worden und -diene jetzt schon drei Jahre als Gemeiner in diesem -Regimente.</p> - -<p>Sie werden es nicht glauben, sagte er zu mir -französisch, was ich alles in diesen Regimentern -von den Offizieren habe leiden müssen! Ein Glück -für mich, daß ich von früher her den Adjutanten -gekannt habe, von dem wir eben gesprochen haben; -er ist ein guter Mensch, wirklich, bemerkte er in -höflichem Tone – ich wohne bei ihm und für mich -ist das immer eine kleine Erleichterung. <span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">Oui, mon -cher, les jours se suivent, mais ne se ressemblent -pas</span>, fügte er hinzu, aber er stockte, wurde rot und -erhob sich, denn er hatte bemerkt, daß eben der -Adjutant, von dem wir sprachen, auf uns zukam.</p> - -<p>Welch eine Freude, einem Menschen zu begegnen, -wie Sie! sagte Guskow zu mir im Flüstertone, -während er sich von mir entfernte, ich hätte -viel, viel mit Ihnen zu sprechen.</p> - -<p>Ich sagte, ich sei sehr erfreut, in Wirklichkeit -aber, muß ich bekennen, flößte mir Guskow ein -unsympathisches, drückendes Mitgefühl ein.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_358" id="Page_358">[Pg 358]</a></span></p> - -<p>Ich hatte eine Ahnung, daß ich mich mit ihm -unter vier Augen unbehaglich fühlen würde, aber -ich hätte gern mancherlei von ihm gehört, besonders -wie es komme, daß er bei dem Reichtum seines -Vaters in Armut lebe, wie man seiner Kleidung -und seinem Auftreten anmerkte.</p> - -<p>Der Adjutant begrüßte uns alle, nur Guskow -nicht, und setzte sich neben mich an die Stelle, die -der Degradierte eingenommen hatte. Stets ein -ruhiger und langsamer, gleichmütiger Spieler und -ein vermögender Mann, war Pavel Dmitrijewitsch -jetzt ein ganz anderer geworden, als ich ihn in -der Blütezeit seines Spielens gekannt hatte – er -schien immer Eile zu haben und ließ seine Blicke -umherschweifen, und es waren nicht fünf Minuten -vergangen, als er, der sonst immer das Spiel -ablehnte, dem Leutnant O. den Vorschlag machte, -ein Bänkchen aufzulegen. Leutnant O. lehnte unter -dem Vorwande ab, daß er vom Dienst in Anspruch -genommen sei, in Wirklichkeit aber, weil -er wußte, wie wenig Geld und Gut Pavel Dmitrijewitsch -geblieben war, und weil er es für unvernünftig -hielt, seine dreihundert Rubel aufs Spiel -zu setzen gegen die hundert und vielleicht auch -weniger, die er gewinnen konnte.</p> - -<p>Sagen Sie, Pavel Dmitrijewitsch, begann der -Leutnant, der offenbar den Wunsch hatte, einer -Wiederholung der Bitte aus dem Wege zu gehen, -ist es wahr, es heißt, wir sollen morgen ausrücken?</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_359" id="Page_359">[Pg 359]</a></span></p> - -<p>Ich weiß nicht, bemerkte Pavel Dmitrijewitsch, -es ist nur der Befehl gekommen, daß wir uns bereit -halten sollen. – Aber wirklich, es ist besser, wir -machen ein Spielchen, ich verpfände euch meinen -Kabardiner.</p> - -<p>Nein, es ist heute schon ...</p> - -<p>Den Grauen, wenn es nicht anders ist, oder -wenn Sie wollen, um Geld. Nun? ...</p> - -<p>Nun ja ... Ich wäre schon bereit, Sie dürfen -nicht glauben, ... begann Leutnant O., indem -er seine eignen Zweifel beantwortete. Aber morgen -giebt es vielleicht einen Überfall oder einen -Marsch, da muß man ausschlafen.</p> - -<p>Der Adjutant erhob sich und ging, die Hände -in den Taschen, auf dem gereinigten Platze hin -und her. Sein Gesicht nahm den gewohnten Ausdruck -der Kühle und eines gewissen Stolzes an, -den ich gern an ihm sah.</p> - -<p>Wollen Sie nicht ein Gläschen Glühwein? sagte -ich zu ihm.</p> - -<p>Gern! – Und er kam auf mich zu. Guskow -aber nahm mir schnell das Glas aus der Hand -und brachte es dem Adjutanten entgegen; dabei -gab er sich Mühe, ihn nicht anzusehen. Er übersah -den Strick, der das Zelt zusammenhielt, stolperte -darüber, ließ das Glas fallen und stürzte -vornüber.</p> - -<p>So ein Hanswurst! sagte der Adjutant, der -schon seine Hand nach dem Glase ausgestreckt hatte.<span class="pagenum"><a name="Page_360" id="Page_360">[Pg 360]</a></span> -Alle lachten laut auf, Guskow nicht ausgenommen; -dabei rieb er sein hageres Knie, das er bei dem -Falle nicht im geringsten verletzt haben konnte, -mit der einen Hand.</p> - -<p>Wie der Bär den Einsiedler bedient hat, fuhr -der Adjutant fort. So bedient er mich jeden Tag! -Alle Pflöcke im Zelt hat er schon umgerissen, -– immer stolpert er.</p> - -<p>Guskow entschuldigte sich vor uns, ohne auf -ihn zu hören, und sah mich mit einem kaum merklichen -traurigen Lächeln an, mit dem er sagen -zu wollen schien, ich allein wäre imstande, ihn zu -verstehen. Er war beklagenswert, und der Adjutant, -sein Beschützer, schien aus irgend einem -Grunde erzürnt auf seinen Zeltgenossen zu sein -und wollte ihn durchaus nicht in Ruhe lassen.</p> - -<p>Nun, Sie geschickter Jüngling, wo fallen Sie -denn nicht?</p> - -<p>Wer stolpert nicht über diese Pflöcke, Pavel -Dmitrijewitsch, sagte Guskow, Sie sind selbst vorgestern -gestolpert.</p> - -<p>Ich, Väterchen, bin kein Subalterner, von mir -verlangt man keine Geschicklichkeit.</p> - -<p>Er darf schwere Beine haben, fiel der Stabskapitän -ein, aber ein Subalterner muß springen -können ...</p> - -<p>Merkwürdige Scherze! ... sagte Guskow beinahe -flüsternd und schlug die Augen nieder. Der -Adjutant war offenbar nicht gut gelaunt gegen<span class="pagenum"><a name="Page_361" id="Page_361">[Pg 361]</a></span> -seinen Zeltgenossen. Er horchte begierig auf jedes -seiner Worte.</p> - -<p>Man wird ihn wieder auf einen gedeckten -Posten schicken müssen, sagte er zu Sch. gewandt, -mit Zwinkern auf den Degradierten weisend.</p> - -<p>Da wird's wieder Thränen geben, sagte Sch. -lächelnd. Guskows Augen waren nicht mehr auf -mich gerichtet, er that, als ob er Tabak aus dem -Beutel nähme, in dem längst nichts mehr war.</p> - -<p>Machen Sie sich bereit, auf gedeckten Posten -zu ziehen, sagte Sch. unter Lachen. Die Kundschafter -haben heute gemeldet, es würde einen Angriff -auf das Lager geben, da heißt es sichere Leute -bestimmen.</p> - -<p>Guskow lächelte unentschlossen, als bereitete er -sich vor, etwas zu sagen, und richtete mehrere Male -flehentliche Blicke auf Sch.</p> - -<p>Nun ja, ich bin ja schon manchmal gegangen, -und ich werde wieder gehen, wenn man mich schickt, -stammelte er hervor.</p> - -<p>Man wird Sie schicken.</p> - -<p>So werde ich gehen. Was soll ich thun?</p> - -<p>Ja, wie in Argun: wo Sie vom Posten weggelaufen -sind und das Gewehr fortgeworfen haben -... sagte der Adjutant, dann wandte er sich von -ihm ab und begann, uns die Befehle für morgen -auseinanderzusetzen.</p> - -<p>In der That erwartete man in der Nacht eine -Beschießung des Lagers von Seiten des Feindes<span class="pagenum"><a name="Page_362" id="Page_362">[Pg 362]</a></span> -und am folgenden Tage irgend eine Bewegung. -Der Adjutant sprach noch von allerlei allgemeinen -Dingen, plötzlich schlug er, wie zufällig, als ob -es ihm eben eingefallen wäre, dem Leutnant O. -vor, ein kleines Spielchen zu machen. Leutnant -O. war wider Erwarten vollständig einverstanden, -und sie gingen mit Sch. und dem Fähnrich in das -Zelt des Adjutanten, der einen grünen Spieltisch -und Karten hatte. Der Kapitän, der Kommandeur -unserer Abteilung, ging in sein Zelt schlafen, -auch die anderen Herren gingen auseinander und -ich blieb mit Guskow allein. Ich hatte mich nicht -getäuscht – ich fühlte mich wirklich unbehaglich -unter vier Augen mit ihm. Unwillkürlich stand -ich auf und begann auf der Batterie auf- und -niederzugehen. Guskow ging schweigend neben mir -her und machte hastige und unruhige Bewegungen, -um nicht hinter mir zurückzubleiben und mir nicht -vorauszueilen.</p> - -<p>Ich störe Sie doch nicht? sagte er mit sanfter, -klagender Stimme.</p> - -<p>So viel ich in der Dunkelheit sein Gesicht sehen -konnte, schien es mir tief nachdenklich und traurig.</p> - -<p>Nicht im mindesten, antwortete ich; da er aber -nicht zu sprechen begann, und ich nicht wußte, was -ich ihm sagen sollte, gingen wir ziemlich lange -schweigend hin und her.</p> - -<p>Die Dämmerung war schon vollständig dem -Dunkel der Nacht gewichen, über dem schwarzen<span class="pagenum"><a name="Page_363" id="Page_363">[Pg 363]</a></span> -Umriß des Gebirgs flammte helles Abendwetterleuchten, -über unseren Häuptern funkelten am hellblauen -Winterhimmel kleine Sterne, von allen Seiten -loderten in rotem Schein die Flammen der -rauchenden Wachtfeuer, nah vor uns schimmerten -die grauen Zelte und der düstere, schwarze Erdwall -unserer Batterie durch den Nebel. Vor dem nächsten -Wachtfeuer, um das unsere Burschen sich zum -Wärmen gelagert hatten und leise plauderten, -glänzte von Zeit zu Zeit auf der Batterie das -Erz unserer schweren Geschütze und erschien in -ihrem umgehängten Mantel die Gestalt des Wachtpostens, -die sich gemessenen Schrittes unterhalb -des Erdwalls hin- und herbewegte.</p> - -<p>Sie können sich nicht vorstellen, welche Freude -es für mich ist, mit einem Menschen wie Sie -zu sprechen! sagte Guskow zu mir, obgleich er -mit mir noch nichts gesprochen hatte. Das kann -nur der begreifen, der einmal in meiner Lage gewesen -ist.</p> - -<p>Ich wußte nicht, was ich ihm antworten sollte, -und wir schwiegen wieder beide, obgleich er offenbar -Lust hatte sich auszusprechen, und ich ihn anzuhören.</p> - -<p>Wofür sind Sie ... Wofür haben Sie leiden -müssen? fragte ich ihn endlich, da mir nichts Besseres -einfiel, um das Gespräch zu beginnen.</p> - -<p>Haben Sie nichts gehört von der unglückseligen -Geschichte mit Metenin?</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_364" id="Page_364">[Pg 364]</a></span></p> - -<p>Ja, ein Duell, glaube ich, war es; ich habe -flüchtig davon gehört, antwortete ich, ich bin ja -schon lange im Kaukasus.</p> - -<p>Nein, kein Duell; es ist diese dumme, schreckliche -Geschichte! Ich will Ihnen alles erzählen, -wenn Sie es nicht wissen. Es war in demselben -Jahre, als ich Sie bei meiner Schwester traf, ich -lebte damals in Petersburg. Sie müssen wissen, -ich hatte damals, was man <span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">une position dans le -monde</span> nennt, und eine recht gute, um nicht zu -sagen glänzende. <span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">Mon père me donnait 10000 par -an.</span> Im Jahre 49 wurde mir Aussicht auf eine -Stellung bei der Gesandtschaft in Turin gemacht: -mein Onkel mütterlicherseits konnte sehr viel für -mich thun und war stets gern dazu bereit. Es -ist jetzt schon lange her, <span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">j'étais reçu dans la -meilleure société de Pétersbourg, je pouvais -prétendre</span> auf eine vortreffliche Partie. Ich hatte -gelernt, was wir alle in der Schule lernen, so daß -ich eine besondere Bildung nicht hatte; ich habe -zwar später viel gelesen, <span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">mais j'avais surtout ce -jargon du monde</span>, Sie wissen schon; und wie dem -auch war, ich galt, Gott weiß warum, für einen -der ersten jungen Leute Petersburgs. Was mir -in der öffentlichen Meinung eine besondere Stellung -gab, <span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">c'est cette liaison avec Mme. D.</span>, über -die in Petersburg viel gesprochen wurde; aber -ich war schrecklich jung und schätzte damals alle -diese Vorteile gering. Ich war einfach jung und<span class="pagenum"><a name="Page_365" id="Page_365">[Pg 365]</a></span> -dumm. Was brauchte ich mehr? Damals hatte -in Petersburg dieser Metenin Ruf ... – und -Guskow fuhr immer weiter so fort und erzählte -mir die Geschichte seines Unglücks, die ich aber -hier übergehen will, weil sie ganz uninteressant ist. -– Zwei Monate saß ich im Gefängnis, fuhr er -fort, ganz allein, und was habe ich in dieser Zeit -nicht alles durchdacht! Aber wissen Sie, als alles -vorüber war, als sozusagen schon endgültig jede -Verbindung mit der Vergangenheit gelöst war, -da war mir leichter zu Mute. <span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">Mon père, vous -en avez entendu parler</span>, sicherlich, er ist ein Mann -von eisernem Charakter und mit festen Überzeugungen, -<span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">il m'a deshérité</span> und hat alle Beziehungen -mit mir abgebrochen. Nach seiner Überzeugung -hat er so handeln müssen, und ich will -ihm keineswegs Vorwürfe machen: <span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">il a été conséquent</span>. -Dafür habe auch ich keinen Schritt gethan, -um ihn seinem Entschluß untreu zu machen. -Meine Schwester war im Auslande. Mme. D. -war die Einzige, die mir schrieb, als man es ihr -erlaubte, und mir ihre Hilfe anbot; aber Sie -werden begreifen, daß ich ablehnte, und daß ich -Mangel hatte an all den Kleinigkeiten, die in -einer solchen Lage ein wenig Erleichterung gewähren: -ich hatte weder Bücher, noch Wäsche, -noch Kost – nichts. Ich habe viel, sehr viel -damals nachgedacht. Ich begann alles mit andern -Augen anzusehen: der Lärm z. B., das Gerede<span class="pagenum"><a name="Page_366" id="Page_366">[Pg 366]</a></span> -der Gesellschaft über mich in Petersburg kümmerte -mich nicht – schmeichelte mir nicht im geringsten -– alles das kam mir lächerlich vor. Ich fühlte, -daß ich selbst schuld war, daß ich unvorsichtig, -jung gewesen war, daß ich meine Laufbahn zerstört -hatte, und dachte nur darüber nach, wie ich -es wieder gut machen könnte. Ich fühlte die Kraft -und die Energie dazu in mir. Aus dem Gefängnis -wurde ich, wie ich Ihnen sagte, hierher in den -Kaukasus zum N.-Regiment geschickt. Ich hatte -geglaubt – fuhr er fort und wurde immer lebhafter -– hier im Kaukasus sei <span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">la vie de camp</span>, -seien schlichte und brave Menschen, mit denen ich -verkehren werde, gäbe es Kriegsgefahren – alles -das würde zu meiner Gemütsstimmung gerade -passen, und ich würde ein neues Leben beginnen. -<span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">On me verra au feu</span> – man wird mich lieb gewinnen, -mich schätzen lernen, nicht bloß meines -Namens wegen – mir Orden geben, mich zum -Unteroffizier machen, die Strafe aufheben, und -ich werde wieder in die Heimat zurückkehren, <span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">et -vous savez avec ce prestige du malheur</span>. Aber -<span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">quel désenchantement</span>! Sie können sich nicht vorstellen, -wie ich mich getäuscht habe! ... Sie kennen -das Offizierkorps unseres Regiments? – Er -schwieg ziemlich lange und schien zu erwarten, daß -ich ihm sagte, ich wüßte, wie schlecht die hiesigen -Offiziere seien. Aber ich antwortete ihm nicht. -Es widerte mich an, daß er, wahrscheinlich, weil<span class="pagenum"><a name="Page_367" id="Page_367">[Pg 367]</a></span> -ich französisch verstand, voraussetzte, ich müßte -gegen das Offizierskorps eingenommen sein, während -ich im Gegenteil durch meinen längern Aufenthalt -im Kaukasus dahin gekommen war, es -nach seinem Werte zu beurteilen und tausendmal -höher zu schätzen, als den Kreis, aus dem Herr -Guskow hervorgegangen war. Ich wollte ihm -das sagen, aber seine Lage fesselte mir die Zunge. -– Im N.-Regiment ist das Offizierskorps tausendmal -schlimmer als im hiesigen, fuhr er fort. -<span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">J'espère, que c'est beaucoup dire</span>, d. h. Sie können -sich nicht vorstellen, wie es ist! Ich will gar nicht -von den Junkern und den Gemeinen sprechen. Das -ist eine entsetzliche Gesellschaft! Sie nahmen mich -anfangs gut auf, das ist wahr, aber später, als sie -sahen, daß sie mir verächtlich sein mußten, an den -unmerklichen, kleinen Beziehungen sahen sie das, -Sie wissen schon, daß ich ein ganz anderer Mensch -sei, der weit über ihnen stand, da wurden sie böse -auf mich und fingen an, mir mit allerlei kleinen -Demütigungen heimzuzahlen. <span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">Ce que j'ai eu à -souffrir, vous ne vous faites pas une idée.</span> Dann -der unwillkürliche Verkehr mit den Junkern, besonders -<span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">avec les petits moyens, que j'avais, je -manquais de tout</span>, ich hatte nur, was meine -Schwester mir schickte. Ein Beweis für das, was -ich zu leiden hatte, ich, bei meinem Charakter, -<span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">avec ma fierté, j'ai écris à mon père</span>, ich flehte -ihn an, mir wenigstem etwas zu schicken ... Ich<span class="pagenum"><a name="Page_368" id="Page_368">[Pg 368]</a></span> -begreife wohl, wenn man fünf Jahre ein solches -Leben geführt hat, kann man so werden, wie unser -Degradierter Dromow, der mit den Gemeinen -trinkt und allen Offizieren Briefe schreibt, in denen -er bittet, ihm drei Rubel zu »leihen«, und die -er <span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">tout à vous</span> Dromow unterschreibt. Man muß -einen Charakter wie meinen haben, um in dieser -schrecklichen Lage nicht ganz zu versumpfen. – Er -ging lange schweigend neben mir her. – <span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">Avez -vous un papiros?</span> sagte er. – Ja, wo bin ich -stehen geblieben? ... Ja. Ich konnte das nicht -aushalten, nicht körperlich; denn war es auch -schrecklich, plagte mich auch Kälte und Hunger, -führte ich auch das Leben eines gemeinen Soldaten, -so hatten doch die Offiziere eine gewisse -Achtung vor mir – auch besaß ich noch für sie ein -gewisses <span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">prestige</span>. Sie schickten mich nicht auf -Wachtposten, auf Übung. Ich hätte das nicht -ertragen. Aber seelisch litt ich entsetzlich. Und -vor allem – ich sah keinen Ausweg aus dieser -Lage. Ich schrieb an meinen Onkel, ich flehte -ihn an, mich in das hiesige Regiment zu versetzen, -das wenigstens die Feldzüge mitmacht, und dachte, -hier ist Pavel Dmitrijewitsch, <span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">qui est le fils de -l'intendant de mon père</span>, der wird mir wenigstens -nützlich sein können. Mein Onkel that das für -mich – ich wurde versetzt. Nach jenem Regiment -kam mir dieses wie eine Versammlung von Kammerherren -vor. Dann war Pavel Dmitrijewitsch<span class="pagenum"><a name="Page_369" id="Page_369">[Pg 369]</a></span> -da, er wußte, wer ich war, und ich wurde vortrefflich -aufgenommen. Auf die Bitte meines -Onkels ... Guskow, <span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">vous savez</span>? ... Aber ich -machte die Beobachtung, daß mit diesen Menschen -ohne Bildung und Intelligenz – sie können einen -Menschen nicht achten und ihm ihre Achtung bezeigen, -wenn er nicht den Strahlenkranz des Reichtums, -des Ansehens hat. Ich machte die Beobachtung, -wie allmählich, als sie erkannt hatten, -daß ich arm war, ihr Verkehr mit mir immer -nachlässiger und nachlässiger und endlich nahezu -geringschätzig wurde. Das ist entsetzlich, aber es ist -die volle Wahrheit.</p> - -<p>Hier habe ich an den Feldzügen teilgenommen, -ich habe mich geschlagen, <span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">on m'a vu au feu</span>, fuhr -er fort – aber wann wird das ein Ende haben? -Ich glaube, nie; und meine Kräfte und meine -Energie fangen an sich zu erschöpfen. Dann habe -ich mir <span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">la guerre, la vie de camp</span> ausgemalt, aber -ich sehe, es ist alles ganz anders: in der Pelzjacke, -ungewaschen, in Soldatenstiefeln geht man -auf verdeckten Posten und liegt die ganze Nacht -hindurch in einem Hohlweg mit dem ersten besten -Antonow, der wegen Trunksucht unter die Soldaten -gesteckt ist, und jeden Augenblick kann man -vom Gebüsch her totgeschossen werden – ich oder -Antonow, das ist ganz gleich ... Da thut's keine -Tapferkeit, das ist entsetzlich, <span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">c'est affreux, ça tue</span>.</p> - -<p>Nun ja, Sie können aber jetzt für den Feld<span class="pagenum"><a name="Page_370" id="Page_370">[Pg 370]</a></span>zug -Unteroffizier und im nächsten Jahr Fähnrich -werden, sagte ich.</p> - -<p>Ja, ich kann es, man hat es mir versprochen, -aber es sind noch zwei Jahre hin, und vielleicht -auch dann nicht, und was das heißt, solche zwei -Jahre, wenn das einer wüßte! Stellen Sie sich -ein Leben mit diesem Pavel Dmitrijewitsch vor: -Kartenspiel, grobe Späße, Saufgelage ... Sie -wollen etwas sagen, was Ihnen das Herz abdrückt, -es versteht Sie niemand, oder Sie werden -gar noch ausgelacht. Man spricht mit Ihnen nicht, -um Ihnen einen Gedanken mitzuteilen, sondern -um aus Ihnen womöglich noch einen Narren zu -machen. Und das alles ist so gemein, so grob, -so häßlich, und Sie fühlen immer, daß Sie zu -den niederen Chargen gehören – man läßt Sie -das immer fühlen. Darum können Sie auch nicht -verstehen, welch ein Genuß es ist, <span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">à cœur ouvert</span> -mit einem Menschen zu sprechen, wie Sie sind! ...</p> - -<p>Ich verstand nicht im mindesten, was für ein -Mensch ich sein sollte, und darum wußte ich auch -nicht, was ich ihm antworten sollte.</p> - -<p>Werden Sie etwas essen? sagte in diesem -Augenblick Nikita zu mir, der unbemerkt in der -Dunkelheit zu mir herangeschlichen und, wie ich -wahrnahm, über die Anwesenheit des Gastes ungehalten -war. – Es giebt nur Quark-Piroggen, -und etwas Fleischklops ist noch übrig geblieben.</p> - -<p>Hat der Kapitän schon gegessen?</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_371" id="Page_371">[Pg 371]</a></span></p> - -<p>Sie schlafen schon lange, antwortete Nikita -mürrisch. Auf meinen Befehl, uns hierher etwas -Essen und Schnaps zu bringen, brummte er unwillig -etwas in den Bart und ging schleppend in -seine Hütte. Er brummte auch dort noch weiter, -brachte uns aber ein Kästchen; auf das Kästchen -stellte er ein Licht, das er vorher gegen den Wind -mit Papier umwickelt hatte, eine kleine Kasserolle, -Mostrich und eine Büchse, einen Blechbecher mit -einem Henkel und eine Flasche Wermut. Nachdem -Nikita alles das hergerichtet hatte, blieb er -noch eine Weile in der Nähe stehen und sah zu, -wie Guskow und ich Schnaps tranken, was ihm -offenbar sehr unangenehm war. Bei dem matten -Schein, den die Kerze durch das Papier warf, -und bei der Dunkelheit, die uns umgab, sah man -nur das Seehundsleder des Kästchens, das Abendbrot, -das darauf stand, Guskows Gesicht, seine -Pelzjacke und seine kleinen roten Hände, mit denen -er die Piroggen aus der Kasserolle herausnahm. -Ringsumher war alles schwarz, und nur, wenn -man scharf ausspähte, konnte man die schwarze -Batterie, die ebenso schwarze Gestalt des Wachtpostens, -der über die Brustwehr zu sehen war, -an den Seiten die brennenden Wachtfeuer und -über uns die rot schimmernden Sterne unterscheiden. -Guskow lächelte kaum merklich, traurig -und verschämt, als wäre es ihm unbehaglich, mir -nach seinem Geständnis in die Augen zu sehen,<span class="pagenum"><a name="Page_372" id="Page_372">[Pg 372]</a></span> -er trank noch ein Gläschen Schnaps und aß gierig, -indem er die Kasserolle auskratzte.</p> - -<p>Ja, für Sie ist es doch immerhin eine Erleichterung, -sagte ich, um etwas zu sagen, daß -Sie mit dem Adjutanten bekannt sind; ich habe -gehört, er ist ein guter Mensch.</p> - -<p>Ja, antwortete der Degradierte, er ist ein lieber -Mensch; aber er kann kein anderer sein, er kann -kein Mensch sein – bei seiner Bildung kann man's -auch nicht verlangen. Plötzlich schien er zu erröten. -– Sie haben seine groben Scherze mit dem verdeckten -Posten gehört? – und obgleich ich zu -wiederholten Malen das Gespräch zu unterbrechen -suchte, begann Guskow sich vor mir zu rechtfertigen -und mir auseinanderzusetzen, daß er nicht -von seinem Posten weggelaufen war, und daß -er kein Feigling sei, wie das der Adjutant und -Sch. hätten durchblicken lassen.</p> - -<p>Wie ich Ihnen gesagt habe – fuhr er fort -und wischte seine Hände an seiner Pelzjacke ab -– solche Leute verstehen nicht zart mit einem -Menschen umzugehen, mit einem gemeinen Soldaten, -der kein Geld hat; das geht über Ihre -Kräfte. Und in der letzten Zeit, wo ich seit -fünf Monaten, ich weiß nicht warum, von meiner -Schwester nichts bekomme, habe ich beobachtet, -wie verändert ihr Benehmen gegen mich ist. Dieser -Pelzrock, den ich von einem Gemeinen gekauft -habe und der nicht wärmt, weil er ganz abgeschabt<span class="pagenum"><a name="Page_373" id="Page_373">[Pg 373]</a></span> -ist (dabei zeigte er mir den kahlen Schoß) flößt -ihnen nicht Mitleid oder Achtung mit dem Unglück, -sondern Verachtung ein, die sie nicht zu -verbergen imstande sind. Meine Not mag noch -so groß sein, wie jetzt, wo ich nichts zu essen habe, -als Soldatengrütze, und nichts anzuziehen, fuhr -er mit niedergeschlagenen Augen fort und goß -sich noch ein Gläschen Schnaps ein – es fällt -ihm nicht ein, mir Geld anzubieten, und er weiß, -daß ich es ihm wiedergebe. Er wartet, bis ich, -in meiner Lage, mich an ihn wende. Und Sie -werden begreifen, wie schwer mir das wird, und -noch bei ihm! Ihnen zum Beispiel würde ich -gerade heraussagen: <span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">vous êtes au dessus de cela, -mon cher, je n'ai pas le sou</span>. Und wissen Sie, -sagte er und sah mir plötzlich mit verzweifeltem -Blick in die Augen – Ihnen sage ich es gerade -heraus, ich bin jetzt in einer entsetzlichen Lage: -<span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">pouvez-vous me prêter 10 roubles argent</span>? Meine -Schwester muß mir mit der nächsten Post schicken, -<span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">et mon père</span> ...</p> - -<p>Oh, ich bin sehr erfreut! sagte ich, während -es mir im Gegenteil sehr unangenehm und kränkend -war, besonders weil ich tags zuvor im Kartenspiel -Verluste gehabt und selbst nicht mehr als -fünf Rubel und einige Kopeken bei Nikita hatte. -– Gleich, sagte ich, und stand auf, ich will in -das Zelt gehen, um es zu holen.</p> - -<p>Nein, später, <span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">ne vous dérangez pas</span>.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_374" id="Page_374">[Pg 374]</a></span></p> - -<p>Ich hörte aber nicht auf ihn und kroch in -das zugeknöpfte Zelt, wo mein Bett stand und -der Kapitän schlief.</p> - -<p>Aleksej Iwanytsch, geben Sie mir, bitte, zehn -Rubel bis zum Gehaltstage, sagte ich zu dem -Kapitän, während ich ihn aufrüttelte.</p> - -<p>Was, wieder abgebrannt? Und gestern erst -haben Sie erklärt, daß Sie nicht mehr spielen -wollen? sagte der Kapitän, halb im Schlafe.</p> - -<p>Nein, ich habe nicht gespielt, ich brauche es so, -geben Sie mir's, bitte.</p> - -<p>Makatjuk! schrie der Kapitän seinem Burschen -zu, hole das Geldkästchen und gieb es her.</p> - -<p>Leiser, leiser, sagte ich. Ich hörte in der Nähe -des Zeltes die gleichmäßigen Schritte Guskows.</p> - -<p>Was? ... warum leiser?</p> - -<p>Der Degradierte hat mich um ein Darlehn -gebeten. Er ist da.</p> - -<p>Hätte ich das gewußt, dann hätte ich es nicht -gegeben, bemerkte der Kapitän. Ich habe von -ihm gehört: der Bursche ist einer der schlimmsten -Wüstlinge! – Der Kapitän gab mir aber doch -das Geld, befahl die Schatulle wegzusetzen, das -Zelt gut zu verschließen, wiederholte noch einmal: -»Wenn ich gewußt hätte wozu, hätte ich es nicht -gegeben« und zog sich die Decke über den Kopf. -– Nun schulden Sie mir 32, vergessen Sie nicht! -rief er mir nach. Als ich aus dem Zelte trat, ging -Guskow um die Bänkchen herum, und seine kleine<span class="pagenum"><a name="Page_375" id="Page_375">[Pg 375]</a></span> -Gestalt mit den krummen Beinen und der scheußlichen -Fellmütze mit den langen weißen Haaren -tauchte in der Dunkelheit auf und nieder, wenn -er an der Kerze vorüberkam. Er that, als bemerkte -er mich nicht. Ich gab ihm das Geld. -Er sagte <span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">merci</span>, knitterte den Schein zusammen -und steckte ihn in die Hosentasche.</p> - -<p>Jetzt muß das Spiel bei Pavel Dmitrijewitsch, -denke ich, im vollsten Gange sein! begann er gleich -darauf.</p> - -<p>Ja, das denke ich auch.</p> - -<p>Er spielt merkwürdig, immer <span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">à rebours</span> und -biegt nie ein Paroli, glückt's, dann ist es gut, -wenn es aber nicht gelingt, kann man furchtbar -viel Geld verspielen. Er hat das auch bewiesen. -In diesem Feldzuge hat er, wenn man die Sache -berechnet, mehr als anderthalbtausend verloren. -Und mit welcher Mäßigung hat er früher gespielt, -so daß Ihr Offizier da an seiner Ehrenhaftigkeit -zu zweifeln schien.</p> - -<p>Ja, er hat das so ... Nikita, haben wir -keinen Most mehr, sagte ich und fühlte mich sehr -erleichtert durch Guskows Redseligkeit. Nikita -brummte immer noch, er brachte uns aber den -Wein und sah wieder wütend zu, wie Guskow sein -Glas leerte. In Guskows Benehmen machte sich -wieder die frühere Ungezwungenheit bemerkbar. -Ich hätte gewünscht, er wäre so schnell als möglich -gegangen, und es schien mir, als thäte er das nur<span class="pagenum"><a name="Page_376" id="Page_376">[Pg 376]</a></span> -deshalb nicht, weil er sich schämte, gleich nachdem -er das Geld bekommen hatte, fortzugehen. Ich -sprach kein Wort.</p> - -<p>Wie ist es möglich, daß Sie bei Ihren Mitteln -ohne jede Notwendigkeit, <span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">de gaieté de cœur</span> sich -entschlossen haben, im Kaukasus Dienste zu nehmen? -Sehen Sie, das verstehe ich nicht, sagte -er zu mir.</p> - -<p>Ich gab mir Mühe, mich wegen dieses für -ihn so auffälligen Schrittes zu rechtfertigen.</p> - -<p>Ich kann mir denken, wie schwer auch für Sie -der Verkehr mit diesen Offizieren ist, mit diesen -Menschen, die gar keine Vorstellung von Bildung -haben. Es ist nicht möglich, daß sie für Sie Verständnis -haben. Sie können zehn Jahre hier leben -und werden nichts anderes sehen und hören als -Karten, Wein und Unterhaltung über Auszeichnungen -und Feldzüge.</p> - -<p>Es berührte mich unangenehm, daß er verlangte, -ich sollte durchaus seine Behauptung teilen, -und ich beteuerte ihm mit voller Aufrichtigkeit, -daß ich Karten, Wein und Gespräche über Feldzüge -sehr gern hätte. Aber er wollte mir nicht -glauben.</p> - -<p>Ach, Sie sagen das so, fuhr er fort. Und der -Mangel an Frauen, d. h. ich meine <span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">femmes comme -il faut</span>, ist das nicht eine schreckliche Entbehrung? -Ich weiß nicht, was ich jetzt drum gäbe, wenn -ich mich nur auf einen Augenblick in einen Salon<span class="pagenum"><a name="Page_377" id="Page_377">[Pg 377]</a></span> -versetzen und auch nur durch ein Thürspältchen -ein reizendes Weib sehen könnte.</p> - -<p>Er schwieg eine Weile und trank noch ein Glas -Wein.</p> - -<p>Ach, Gott! Ach, Gott! Vielleicht haben wir -noch einmal das Glück, uns in Petersburg bei -Menschen zu begegnen, mit Menschen, mit Frauen -zu verkehren und zu leben. – Er trank den letzten -Rest Wein aus, der noch in der Flasche geblieben -war, dann sagte er: Oh, pardon, Sie hätten vielleicht -auch noch getrunken, ich bin schrecklich zerstreut. -Ich habe, glaube ich, zu viel getrunken, -<span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">et je n'ai pas la tête forte</span>. Es gab eine Zeit, -wo ich auf der Morskaja (in Petersburg) <span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">au rez -de chaussée</span> wohnte, ich hatte eine wundervolle -kleine Wohnung, eigene Möbel, müssen Sie wissen, -ich habe es verstanden, alles reizend einzurichten, -wenn auch nicht übermäßig teuer. Allerdings, -<span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">mon père</span> gab mir Porzellan, Blumen, wundervolles -Silber. <span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">Le matin je sortais</span>, Besuche -machen; <span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">à 5 heures régulièrement</span> fuhr ich zu ihr -zu Mittag, oft war sie allein. <span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">Il faut avouer -que c'était une femme ravissante!</span> Sie haben sie -nicht gekannt, gar nicht?</p> - -<p>Nein.</p> - -<p>Wissen Sie, Weiblichkeit besaß sie im höchsten -Maße, Zärtlichkeit, und erst ihre Liebe! ... Du -lieber Gott! Ich habe damals dieses Glück nicht -zu schätzen gewußt. Oder nach dem Theater kehr<span class="pagenum"><a name="Page_378" id="Page_378">[Pg 378]</a></span>ten -wir häufig zu zweien nach Hause zurück und -speisten zu Abend. Nie habe ich bei ihr Langeweile -empfunden, <span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">toujours gaie, toujours aimante</span>. Ja, -ich ahnte gar nicht, was für ein seltenes Glück -das war. <span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">Et j'ai beaucoup à me reprocher</span> ihr -gegenüber. <span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">Je l'ai fais souffrir et souvent</span>, ich -war grausam. Ach, es war eine köstliche Zeit! -Langweilt Sie das?</p> - -<p>Nein, keineswegs.</p> - -<p>Dann will ich Ihnen von unseren Abenden -erzählen. Ich komme: diese Treppe, jeden Blumentopf -kannte ich, die Thürklinke – alles so -lieb, so bekannt, dann das Vorzimmer, ihr Zimmer -... Nein, das kommt niemals, niemals wieder! -Sie schreibt mir auch jetzt noch; ich will -Ihnen gern ihre Briefe zeigen. Aber ich bin -nicht mehr derselbe – ich bin ein Verlorner, ich -bin ihrer nicht mehr würdig ... Ja, ich bin für -ewig verloren! <span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">Je suis cassé.</span> Ich habe keine -Energie, keinen Stolz, nichts mehr. Auch mein -Adel ist hin ..., ja, ich bin ein Verlorner! Und -kein Mensch wird je mein Leiden begreifen – -niemand fühlt mit mir. Ich bin ein gefallener -Mensch! Nie kann ich mich wieder erheben, denn -ich bin moralisch gesunken – in Schmutz gesunken -... In diesem Augenblicke klang aus seinen Worten -aufrichtige, tiefe Verzweiflung; er sah mich -nicht an und saß unbeweglich da.</p> - -<p>Warum so verzweifeln? sagte ich.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_379" id="Page_379">[Pg 379]</a></span></p> - -<p>Weil ich abscheulich bin, dies Leben hat mich -zu Grunde gerichtet, was in mir war, alles ist -ertötet ... Ich leide nicht mehr mit Stolz, sondern -mit Würdelosigkeit – die <span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">dignité dans le -malheur</span> habe ich nicht mehr. Jeden Augenblick -erdulde ich Demütigungen, alles ertrage ich, ich -suche selbst den Weg zur Demütigung. Dieser -Schmutz <span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">a déteint sur moi</span>, ich bin selbst roh geworden, -ich habe vergessen, was ich gewußt habe, -ich kann nicht mehr französisch sprechen, ich fühle, -daß ich gemein und niedrig bin. An Kämpfen -kann ich in dieser Umgebung nicht teilnehmen, -um nichts in der Welt; ich wäre vielleicht ein -Held: geben Sie mir ein Regiment, goldene Achselklappen, -Trompeter; aber in Reih und Glied mit -dem ersten besten rohen Antonow Bondarenko und -dem und dem zu gehen, und zu denken, daß zwischen -ihm und mir nicht der geringste Unterschied ist, -daß es ganz gleich ist, ob er erschossen wird oder -ich – dieser Gedanke tötet mich. Begreifen Sie, -wie entsetzlich es ist, zu denken, daß der erste -beste Lumpenkerl mich töten soll, einen Menschen, -der denkt und fühlt, und daß es ganz dasselbe -ist, ob er den Antonow neben mir tötet, ein Geschöpf, -das sich durch nichts von einem Tiere unterscheidet, -und daß es leicht geschehen kann, daß man -gerade mich tötet und nicht Antonow, wie es immer -vorkommt, <span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">une fatalité</span> für alles Hohe und Gute. -Ich weiß, daß sie mich einen Feigling nennen:<span class="pagenum"><a name="Page_380" id="Page_380">[Pg 380]</a></span> -schön, ich mag ein Feigling sein – ich bin eben -ein Feigling und kann nicht anders sein. Aber -nicht genug, daß ich ein Feigling bin, ich bin nach -Ihrer Meinung – ein Bettler und ein verachteter -Mensch. Sehen Sie, ich habe Sie eben um Geld -gebeten, und Sie haben ein Recht, mich zu verachten. -Nein, nehmen Sie Ihr Geld zurück – -und er streckte mir den zerknitterten Schein entgegen. -– Ich will, daß Sie mich achten. Er -bedeckte sein Gesicht mit den Händen und brach -in Thränen aus; ich wußte nicht, was ich sagen -und thun sollte.</p> - -<p>Beruhigen Sie sich, sprach ich zu ihm, Sie -sind zu empfindlich, nehmen Sie sich nicht alles -zu Herzen, grübeln Sie nicht, sehen Sie die Dinge -einfacher an. Sie sagen selbst, Sie haben Charakter. -Tragen Sie es, Sie haben nicht mehr -lange zu leiden – sprach ich zu ihm, aber in sehr -unklaren Worten, denn ich war erregt durch ein -Gefühl des Mitleids und ein Gefühl der Reue -darüber, daß ich gewagt hatte, in Gedanken einen -wahrhaft und tief unglücklichen Menschen zu verdammen.</p> - -<p>Ja, begann er, wenn ich auch nur einmal seit -der Stunde, wo ich in dieser Hölle bin, auch nur -ein einziges Wort der Teilnahme, des Rates, der -Freundschaft gehört hätte – ein menschliches Wort, -ein Wort, wie ich es von Ihnen höre – vielleicht -könnte ich alles ruhig ertragen, vielleicht könnte<span class="pagenum"><a name="Page_381" id="Page_381">[Pg 381]</a></span> -ich es auch auf mich nehmen und sogar ein gemeiner -Soldat sein, aber jetzt ist es entsetzlich ... -Wenn ich mit gesundem Sinne überlege, wünsche -ich mir den Tod; warum sollte ich aber auch dieses -schmachvolle Leben und mich selbst lieben, da ich -für alles Gute in der Welt verloren bin? und -bei der geringsten Gefahr unwillkürlich wieder anfange, -dieses niederträchtige Leben zu vergöttern -und es zu schonen wie etwas Kostbares? Und ich -kann mich nicht überwinden, <span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">je ne puis pas</span> ..., -d. h. ich kann es – fuhr er nach einem minutenlangen -Schweigen wieder fort – aber es kostet -mich zu große Mühe, ungeheure Mühe, wenn ich -allein bin. Mit den anderen, unter den gewöhnlichen -Bedingungen, wie man in den Kampf geht, -bin ich tapfer, <span class="antiqua" lang="fr" xml:lang="fr">j'ai fait mes preuves</span>, denn ich bin -voll Eigenliebe und Stolz: das ist mein Fehler, -und in Gegenwart anderer ... Wissen Sie, gestatten -Sie mir, bei Ihnen zu übernachten, bei -uns wird die ganze Nacht gespielt werden. Mir -ist's gleich, wo, auf dem Fußboden.</p> - -<p>Während Nikita das Bett herrichtete, erhoben -wir uns und gingen in der Dunkelheit wieder -auf der Batterie hin und her. Guskow muß -wirklich einen sehr schwachen Kopf gehabt haben, -denn er schwankte von den zwei Gläschen Schnaps -und den zwei Glas Wein. Als wir aufstanden und -uns von der Kerze entfernten, beobachtete ich, -daß er den Zehnrubelschein, den er während des<span class="pagenum"><a name="Page_382" id="Page_382">[Pg 382]</a></span> -ganzen vorangegangenen Gespräches in der Hand -gehalten hatte, wieder in die Tasche schob, aber so, -daß ich es nicht sehen sollte. Er sprach immer -weiter, er fühlte, er könnte sich noch aufrichten, -wenn er einen Menschen hätte wie ich, der Mitgefühl -mit ihm habe.</p> - -<p>Wir wollten schon in das Zelt gehen, um uns -schlafen zu legen, als plötzlich über uns eine Kugel -dahinpfiff und nicht weit von uns in den Boden -schlug. Es war so sonderbar: dieses stille, in Schlaf -versunkene Lager, unser Gespräch und ... plötzlich -die feindliche Kugel, die, Gott weiß woher, -mitten unter unsere Zelte geflogen kam – so -sonderbar, daß ich mir lange nicht Rechenschaft -darüber geben konnte, was eigentlich vorging. -Einer unserer Soldaten, Andrejew, der auf der -Batterie Wache stand, kam auf mich zu.</p> - -<p>Ei, das hat sich herangeschlichen! Hier hat -man das Feuer gesehen, sagte er.</p> - -<p>Wir müssen den Kapitän wecken, sagte ich und -sah zu Guskow hinüber.</p> - -<p>Er stand, ganz zu Boden geduckt, da und stammelte, -als ob er etwas sagen wollte: Das ... -das ... Feind ... das ... komisch! Weiter -sagte er nichts, und ich hatte nicht bemerkt, wie -und wohin er plötzlich verschwunden war.</p> - -<p>In der Hütte des Kapitäns wurde ein Licht -angezündet, sein gewöhnlicher Husten vor dem Erwachen -ließ sich vernehmen, und er kam bald selbst<span class="pagenum"><a name="Page_383" id="Page_383">[Pg 383]</a></span> -heraus und forderte eine Lunte, um sein kleines -Pfeifchen anzustecken.</p> - -<p>Was ist das heute, Väterchen? sagte er lächelnd, -man will mich gar nicht schlafen lassen, bald Sie -mit Ihrem Degradierten, bald Schamyl! Was ist -zu thun, erwidern oder nicht? War darüber nichts -gesagt im Befehl?</p> - -<p>Nein, nichts. Da, wieder, sagte ich, und jetzt -aus zweien.</p> - -<p>In der That leuchteten durch die Dunkelheit, -rechts vor uns, zwei Flammen wie zwei Augen -auf, und bald flog über unsern Häuptern eine -Kugel und mit lautem, durchdringendem Pfeifen -eine leere Granate dahin; sie war wohl von uns. -Aus dem Zelte in der Nachbarschaft kamen die -Soldaten herausgekrochen, man hörte ihr Hüsteln, -Recken und Plaudern.</p> - -<p>Schau, er pfeift vor deinen Augen wie eine -Nachtigall, bemerkte ein Artillerist.</p> - -<p>Ruft Nikita! sagte der Kapitän mit seinem -gewohnten guten Lächeln. – Nikita! Verstecke -dich nicht, höre, wie die Bergnachtigallen -pfeifen.</p> - -<p>Ach, Euer Hochwohlgeboren, sprach Nikita, der -neben dem Kapitän stand, ich habe sie schon gesehen, -die Nachtigallen, ich fürchte mich nicht, aber -der Gast, der eben hier war und Ihren Wein -getrunken hat, wie der sie gehört hat, da hat er -schnell Reißaus genommen, an unserem Zelt vor<span class="pagenum"><a name="Page_384" id="Page_384">[Pg 384]</a></span>über, -wie eine Kugel ist er davongerollt, wie ein -Tier hat er sich zusammengeduckt!</p> - -<p>Aber es wird doch nötig sein, zum Oberbefehlshaber -der Artillerie hinunterzureiten, sagte der -Kapitän zu mir in ernstem, befehlerischem Tone, -um ihn zu fragen, ob wir das Feuer erwidern -sollen oder nicht; es kann kaum davon die Rede -sein, aber man kann doch immerhin hinunter. Bemühen -Sie sich, bitte, hin und fragen Sie ihn. -Lassen Sie ein Pferd satteln, damit es schneller -geht, nehmen Sie, wenn nicht anders, meinen -Polkan.</p> - -<p>In fünf Minuten brachte man mir das Pferd, -und ich ritt zu dem Befehlshaber der Artillerie.</p> - -<p>Achten Sie darauf, die Losung ist »Deichsel«, -flüsterte mir der fürsorgliche Kapitän zu, sonst -kommen Sie nicht durch die Postenkette.</p> - -<p>Zum Befehlshaber der Artillerie war es eine -halbe Werst; der ganze Weg führte zwischen Zelten -hindurch. Sobald ich mich aber von unserem -Wachtfeuer entfernt hatte, wurde es so schwarz, -daß ich nicht einmal die Ohren des Pferdes sah, -nur das Flackern der Wachtfeuer, die mir bald -ganz nahe, bald ganz fern erschienen, flimmerten -vor meinen Augen. Ein kleines Stück ritt ich -ganz wie mein Pferd wollte, dem ich die Zügel -hängen ließ. Ich konnte nun die weißen, viereckigen -Zelte unterscheiden, dann auch die schwarzen -Spuren des Weges; in einer halben Stunde kam<span class="pagenum"><a name="Page_385" id="Page_385">[Pg 385]</a></span> -ich bei dem Befehlshaber der Artillerie an. Dreimal -hatte ich nach dem Wege fragen müssen, und -viermal war ich über die Pflöcke der Zelte gestolpert, -wofür ich jedesmal Scheltworte aus dem -Zelte zu hören bekam, und zweimal wurde ich -von dem Posten angehalten. Während des Rittes -hatte ich noch zwei Schüsse in unserem Lager gehört, -aber die Geschosse hatten nicht bis zu dem -Ort getragen, wo der Stab lag. Der Befehlshaber -der Artillerie gab nicht den Befehl, die -Schüsse zu erwidern, umsoweniger, als der Feind -aufhörte, und ich machte mich auf den Heimweg, -indem ich mein Pferd am Zügel hielt und mich zu -Fuß zwischen den Zelten der Infanterie durcharbeitete. -Oft verlangsamte ich meinen Schritt, -wenn ich an einem Soldatenzelt vorüberkam, in -dem ein Feuerschein leuchtete, oder lauschte auf -eine Erzählung, die ein Spaßvogel vortrug, oder -auf ein Buch, das ein Schriftkundiger vorlas, dem -die ganze Abteilung, den Vorleser von Zeit zu -Zeit durch allerlei Bemerkungen unterbrechend, in -dichtem Haufen im Zelt und um das Zelt zusammengedrängt, -zuhörte, oder auch nur auf die -Gespräche über den Feldzug, über die Heimat, -über die Vorgesetzten.</p> - -<p>Als ich an einem der Bataillonszelte vorüberritt, -hörte ich die laute Stimme Guskows, der -sehr angeheitert und lebhaft sprach. Junge, ebenfalls -lustige Stimmen, von vornehmen Herren, nicht<span class="pagenum"><a name="Page_386" id="Page_386">[Pg 386]</a></span> -von gemeinen Soldaten, antworteten. Es war -offenbar das Zelt der Junker oder der Feldwebel. -Ich blieb stehen.</p> - -<p>Ich kenne ihn schon lange, sprach Guskow. -Als ich in Petersburg lebte, hat er mich häufig -besucht, und ich war oft bei ihm. Er hat in der -besten Gesellschaft verkehrt.</p> - -<p>Von wem sprichst du? fragte die Stimme eines -Betrunkenen.</p> - -<p>Von dem Fürsten, sagte Guskow. Ich bin -ja doch mit ihm verwandt, und was die Hauptsache -ist, wir sind alte Freunde. Es ist gut, meine -Herren, einen solchen Bekannten zu haben, müssen -Sie wissen. Er ist ja schrecklich reich. Hundert -Rubel sind nichts bei ihm. Ich habe mir auch eine -Kleinigkeit von ihm geben lassen, bis mir meine -Schwester schickt.</p> - -<p>Nun, so laß doch schon holen! ...</p> - -<p>Sofort. Sawjelitsch, Täubchen! erklang die -Stimme Guskows, immer mehr dem Zelteingang -sich nähernd. Hier hast du zehn Moneten, geh' -zum Marketender und bringe zwei Flaschen Kachetischen -und ... was noch, meine Herren? Na! -– Und Guskow trat schwankend, mit zerzaustem -Haar, ohne Mütze, aus dem Zelt. Er schlug die -Schöße seines Pelzrocks zurück, steckte die Hände -in die Taschen seiner grauen Hose und blieb am -Eingang stehen. Obgleich er im Lichte stand und -ich in der Dunkelheit, zitterte ich doch vor Angst,<span class="pagenum"><a name="Page_387" id="Page_387">[Pg 387]</a></span> -er könnte mich bemerken, bemühte mich, jedes Geräusch -zu vermeiden und ging weiter.</p> - -<p>Wer da? schrie mich Guskow mit völlig trunkener -Stimme an. Die Kälte hatte ihn offenbar -ganz aus Rand und Band gebracht. Was für -ein Teufel schleicht hier mit seinem Pferd herum?</p> - -<p>Ich antwortete nicht und suchte schweigend den -Weg.</p> - -<div class="p2 tnote"> - -<p class="bold">Anmerkungen zur Transkription:</p> - -<p>Kursiv dargestellte Texte sind im Original in einer anderen Schriftart (Antiqua) als der Haupttext (Fraktur) gedruckt.</p> - -<p>Offensichtliche Druckfehler wurden berichtigt. Im Übrigen wurden -Inkonsistenzen in der Interpunktion und Schreibweise einzelner Wörter -belassen.</p> - -</div> - - - - - - - -<pre> - - - - - -End of the Project Gutenberg EBook of Sewastopol, by Leo N. Tolstoj - -*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK SEWASTOPOL *** - -***** This file should be named 54560-h.htm or 54560-h.zip ***** -This and all associated files of various formats will be found in: - http://www.gutenberg.org/5/4/5/6/54560/ - -Produced by Heike Leichsenring and the Online Distributed -Proofreading Team at http://www.pgdp.net - -Updated editions will replace the previous one--the old editions will -be renamed. - -Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright -law means that no one owns a United States copyright in these works, -so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United -States without permission and without paying copyright -royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part -of this license, apply to copying and distributing Project -Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm -concept and trademark. 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Redistribution is subject to the -trademark license, especially commercial redistribution. - -START: FULL LICENSE - -THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE -PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK - -To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free -distribution of electronic works, by using or distributing this work -(or any other work associated in any way with the phrase "Project -Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full -Project Gutenberg-tm License available with this file or online at -www.gutenberg.org/license. - -Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project -Gutenberg-tm electronic works - -1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm -electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to -and accept all the terms of this license and intellectual property -(trademark/copyright) agreement. 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INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the -trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone -providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in -accordance with this agreement, and any volunteers associated with the -production, promotion and distribution of Project Gutenberg-tm -electronic works, harmless from all liability, costs and expenses, -including legal fees, that arise directly or indirectly from any of -the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this -or any Project Gutenberg-tm work, (b) alteration, modification, or -additions or deletions to any Project Gutenberg-tm work, and (c) any -Defect you cause. - -Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm - -Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of -electronic works in formats readable by the widest variety of -computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It -exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations -from people in all walks of life. - -Volunteers and financial support to provide volunteers with the -assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's -goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will -remain freely available for generations to come. In 2001, the Project -Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure -and permanent future for Project Gutenberg-tm and future -generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary -Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see -Sections 3 and 4 and the Foundation information page at -www.gutenberg.org - - - -Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation - -The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit -501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the -state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal -Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification -number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary -Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by -U.S. federal laws and your state's laws. - -The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the -mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its -volunteers and employees are scattered throughout numerous -locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt -Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to -date contact information can be found at the Foundation's web site and -official page at www.gutenberg.org/contact - -For additional contact information: - - Dr. Gregory B. Newby - Chief Executive and Director - gbnewby@pglaf.org - -Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg -Literary Archive Foundation - -Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide -spread public support and donations to carry out its mission of -increasing the number of public domain and licensed works that can be -freely distributed in machine readable form accessible by the widest -array of equipment including outdated equipment. Many small donations -($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt -status with the IRS. - -The Foundation is committed to complying with the laws regulating -charities and charitable donations in all 50 states of the United -States. 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Thus, we do not -necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper -edition. - -Most people start at our Web site which has the main PG search -facility: www.gutenberg.org - -This Web site includes information about Project Gutenberg-tm, -including how to make donations to the Project Gutenberg Literary -Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to -subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks. - - - -</pre> - -</body> -</html> diff --git a/old/54560-h/images/002.jpg b/old/54560-h/images/002.jpg Binary files differdeleted file mode 100644 index ed966e7..0000000 --- a/old/54560-h/images/002.jpg +++ /dev/null diff --git a/old/54560-h/images/003.jpg b/old/54560-h/images/003.jpg Binary files differdeleted file mode 100644 index 7a1744e..0000000 --- a/old/54560-h/images/003.jpg +++ /dev/null diff --git a/old/54560-h/images/004.jpg b/old/54560-h/images/004.jpg Binary files differdeleted file mode 100644 index 3b26b50..0000000 --- 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