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+*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 56991 ***
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+ Mene tekel!
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+ Eine Entdeckungsreise nach Europa.
+
+ Von
+ Arnold v. d. Passer.
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+ Erfurt und Leipzig.
+ Bacmeister's Verlag.
+ 1893.
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+ Alle Rechte vorbehalten.
+
+ Der Verfasser.
+
+
+ Buchdruckerei Albert Limbach, Braunschweig.
+
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+ Vorwort.
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+
+Das Buch des genialen Amerikaners Bellamy, welches den socialistischen
+Zukunftsstaat im günstigsten Lichte schildert, hat zahlreiche Schriften
+zu Tage gefördert, die den entgegengesetzten Zweck verfolgen, nämlich
+den Socialstaat mit den düstersten Farben auszumalen und auf diese Weise
+Stimmung gegen die Socialdemokratie zu machen.
+
+Bellamy sowohl als seine Gegner gehen indessen von dem nämlichen Punkte
+aus. Sie nehmen sämmtlich an, daß über kurz oder lang ein Moment
+eintreten werde, in welchem die capitalistische Gesellschaft
+ausgewirthschaftet haben und von der socialistischen abgelöst werden
+wird. Der Unterschied ist nur der, daß bei Bellamy das Experiment
+günstig, bei seinen Widersachern aber höchst unglücklich ausfällt.
+
+Die eifrigsten Gegner der Socialdemokratie scheinen demnach selbst der
+Ansicht zu leben, daß die capitalistische Gesellschaft eines Tages am
+Abschluß ihrer Laufbahn angelangt sein werde, allerdings nur
+vorübergehend, um alsdann neu verjüngt aus der Asche des Socialstaates
+emporzusteigen -- und ihr Spiel von Neuem zu beginnen; diesmal natürlich
+nicht mehr genirt von den praktisch _ad absurdum_ geführten Bestrebungen
+der Socialdemokratie. Die Letztere wird, so hoffen sie, sich selbst
+vernichten und der ungestörten capitalistischen Entwicklung werde nichts
+mehr im Wege stehen.
+
+Was hindert uns aber anzunehmen, daß dieser von den Gegnern der
+Socialdemokratie gewiß als sehr wünschenswerth angesehene Zustand einer
+gänzlich ungehinderten capitalistischen Wirthschaft schon früher
+eintrete, nicht herbeigeführt durch die Socialdemokratie selbst, sondern
+durch die mit Erfolg gekrönten Bestrebungen aller Jener, welche sie
+jetzt mit ihrer glühenden Feindschaft beehren und sie lieber heute als
+morgen gänzlich vernichten würden?
+
+Nehmen wir einmal an, der Einfluß und die Beredsamkeit des Herrn Eugen
+Richter sei wirklich so groß, daß vor dem Runzeln seiner Brauen die
+Socialdemokratie in Staub zerfallen werde. Dann wird es
+selbstverständlich in jenem Momente, den Bellamy und selbst seine Gegner
+prophezeien, keine Socialisten geben und was alsdann eintritt -- das
+soll eben mein Buch schildern!
+
+Vielleicht trägt es dazu bei, auch Anderen die Ueberzeugung
+beizubringen, die sich mir schon längst aufgedrängt hat, daß nämlich
+diejenigen, welche, wie Herr Eugen Richter, die Socialdemokratie bis
+aufs Messer bekämpft wissen möchten, weitaus staatsgefährlicher, als die
+ungestümsten Socialisten und zum mindesten ebenso culturfeindlich sind,
+als die schwärzesten Clerikalen.
+
+Wenn die socialistische Bewegung, diese großartigste aller
+Culturströmungen, seit es eine Menschheit giebt, nicht schon bestände,
+sie müßte geradezu von Staats wegen geschaffen werden, um die
+Civilisation vor jenem Abgrunde zu retten, auf den wir, wenn es nach
+Herrn Richter geht, ohne Bedenken zulaufen.
+
+Die capitalistische Productionsweise ist früher oder später dem
+Untergange geweiht; Sache der Gesellschaft ist es, Sorge zu tragen, daß
+diese Umwälzung sie nicht unvorbereitet treffe, daß das Volk erzogen
+werde für diesen Moment, und Niemand kann dieses Erziehungswerk
+vollziehen, als die Socialdemokratie. Wer sie daran hindert, ist
+entweder ein Wahnsinniger oder ein Verbrecher!
+
+Was nun mein Buch anbelangt, so erlaube ich mir, noch einige Bemerkungen
+über dessen Inhalt vorauszuschicken. Ich erblicke in dem Freilandstaate,
+wie er vorläufig von Herrn Hertzka projectirt ist, noch lange kein
+Ideal; nehme aber die Möglichkeit an, daß er sich nach und nach auf rein
+socialistischen Grundlagen zu einem solchen ausgestalten könne. Auf
+jeden Fall dürfte er besser und vernunftgemäßer eingerichtet werden, als
+andere uns näher liegende Staatengebilde.
+
+Daß meine Freilandleute hie und da Gebrauch von ihren Waffen machen,
+wird man ihnen wohl, angesichts des Umstandes, daß es nur im Zustande
+der Nothwehr geschieht, verzeihen. Wenn mein Büchlein auch nur einen
+einzigen Gegner der Socialdemokratie _zum Nachdenken_ -- mehr
+beanspruche ich nicht -- veranlassen sollte, so hat es seinen Zweck
+erfüllt.
+
+Obermais bei Meran, Neujahr 1893.
+
+ Arnold v. d. Passer.
+
+
+
+
+ 1. Capitel.
+
+ Ein Fest am Victoria-Nyanza, Anno 2398 n. Chr. -- Die Bewässerung
+ der Sahara. -- Der Freilandstaat in Gefahr. -- Verlassene
+ Colonien. -- Eine Volksabstimmung. -- Das verödete Weltmeer. --
+ Ein Riesencanal. -- Die Flotte des Freilandstaates.
+
+
+Die große Volkshalle in Thomasville am Victoria-Nyanza-See, der
+Metropole des Freilandstaates, war am Abend des 17. März 2398 bis auf
+das letzte Plätzchen gefüllt. Von den Eisensparren des riesigen domartig
+gewölbten Raumes hingen in anmuthigen Bogen Guirlanden herab, durchwirkt
+von den Kelchen tausender und abertausender buntschillernder tropischer
+Blumen; in zauberischem Glanze wogte von der Kuppel hernieder ein Strom
+bläulich-weißen elektrischen Lichtes auf die unzählbare, festlich
+gekleidete Menge, welche den Klängen eines fünfhundertköpfigen
+Sängerchores lauschte. Wie Gesang himmlischer Heerschaaren fielen in die
+imposante Tonfülle plötzlich hundert liebliche Kinderstimmen ein, dann
+schloß sich brausend und rauschend der Klang einer unsichtbaren Orgel
+an, und in mächtigen Accorden endete das Musikstück, gefolgt vom
+Beifallssturm der tief ergriffenen Menge.
+
+Nach einer Pause, während welcher die allgemeine Erregung wieder
+erwartungsvoller Stille Platz gemacht hatte, betrat der erste Präsident
+der wissenschaftlichen Academie zu Thomasville, der in weitesten Kreisen
+berühmte und gefeierte Professor Bellmann, die in der Mitte des
+Orchesterraumes errichtete Rednerbühne und seine kraftvolle Stimme drang
+in wohlgesetzter Rede bis in die fernsten Winkel des colossalen Raumes.
+Er besprach zunächst die Ursache des heutigen, an allen bewohnten
+Stätten des Continentes gleichzeitig gefeierten Festes. Heute vor 500
+Jahren, am 17. März 1898 hatten jene weitblickenden und hochherzigen
+Männer, welche von Europa herübergefahren waren, um im Herzen Afrika's
+den Freilandstaat zu gründen, den Boden des dunklen Welttheiles
+betreten. Ihnen ist es zu verdanken, daß Afrika jenen Namen schon seit
+Jahrhunderten nicht mehr verdient, daß es vielmehr allen Anspruch
+erheben kann, der »glückliche« Welttheil genannt zu werden. Und nun
+schilderte der Redner in kurzen Umrissen die Geschichte der letzten
+fünfhundert Jahre, wie das kleine, am Keniagebirge unter Schwierigkeiten
+und Hindernissen aller Art gegründete Gemeinwesen, Dank den richtigen
+und humanen Grundsätzen, von denen es geleitet wurde, immer mehr und
+mehr sich entwickelte und aufblühte, wie seine Grenzen sich ausdehnten,
+und wie es endlich so weit kam, den ganzen großen Continent von der
+Küste des Mittelmeeres bis hinab zum Cap der guten Hoffnung und
+Millionen friedlicher, gesitteter Menschen zu umschließen.
+
+Schon seit Jahrhunderten waren die großen Wildnisse des Innern
+erschlossen und die Negerbevölkerung hatte sich so culturfähig gezeigt,
+daß aus ihrer Mitte seither eine große Zahl vortrefflicher Künstler und
+Gelehrter hervorgegangen waren. Die grausamen Sklavenjagden vergangener
+Zeiten lebten nur noch wie halbverschollene Sagen in der Ueberlieferung
+der jetzigen Generation. An den großen Seen, wo früher blutige
+Schlachten zwischen den sich befehdenden Stämmen geliefert worden waren,
+breitete sich eine Kette anmuthiger Ortschaften aus und als Perle unter
+ihnen die prächtige, glanzvolle Hauptstadt Thomasville, dem großen
+Utopisten des Reformationszeitalters, Thomas Moore, zu Ehren so genannt.
+Die Sahara hatte die Bewohner von Freiland ebenso wenig in ihrem
+Culturwerk aufzuhalten vermocht, als die riesigen Urwälder am Aruwimi,
+welche Stanley einst mit seinen halbverhungerten Schaaren durchzog.
+Erstere war schon seit zweihundert Jahren in ihrer ganzen Ausdehnung
+bewässert und jetzt ein unabsehbares Fruchtgefilde, mit reizenden
+Palmenhainen geschmückt, die sich in den kühlen Fluthen der Canäle
+spiegelten, von denen das Land allenthalben durchzogen wurde. Viele
+hunderte blühender Städte und Dörfer lagen jetzt dort, wo einst der
+Samum mit den Gebeinen verschmachteter Karawanen sein Spiel getrieben
+hatte. Der Urwald am Aruwimi aber war schon längst in einen Riesenpark
+verwandelt, von Straßen und Eisenbahnen durchzogen und nicht mehr von
+Canibalen und Zwergen, sondern von schöngebauten, hochcultivirten
+Menschen bewohnt. Fast ungestört hatte sich dieses großartige Culturwerk
+im Laufe der Jahrhunderte vollzogen; erst langsam, dann schnell und
+immer schneller. Nur ein einziges Mal, gegen Ende des 20. Jahrhunderts,
+schwebte der Freilandstaat in Gefahr, vernichtet zu werden, nicht durch
+die Schaaren der Eingeborenen oder der räuberischen Araber, sondern
+durch große bewaffnete Expeditionen, welche von Europa aus abgesendet
+worden waren, um dem jungen Gemeinwesen die Oberhoheit und die Gesetze
+der alternden Staaten jenseits des Mittelmeeres aufzuzwingen.
+
+Damals kam es zwischen der Küste und den großen Seen zum
+Entscheidungskampfe, in dem die Begeisterung der Freiland-Schaaren einen
+glänzenden Sieg davontrug. Das war der erste und letzte Versuch gewesen,
+die Schrecken des Krieges in das friedliche Staatswesen im Innern
+Afrika's zu tragen; immer weiter und weiter schob es seine Ansiedlungen
+gegen die Küsten vor und gegen Mitte des 23. Jahrhunderts fanden die
+Freilandbürger, daß diese Küsten in ihrer ganzen Ausdehnung fast
+menschenleer waren. Die einst mit so großen Opfern gegründeten und
+unterhaltenen europäischen Colonien waren aus unerfindlichen Ursachen
+verlassen und dem Ruine preisgegeben worden; nur an jenen Punkten, wo
+die europäische Cultur einst den festesten Fuß gefaßt hatte, wie in
+Unteregypten, in Algier und am Cap der guten Hoffnung, lebte noch in den
+Ruinen verfallener Städte ein kümmerliches entartetes Geschlecht, das
+noch einige Reste alter Cultur sich bewahrt, und dessen europäische
+Abkunft sich nicht gänzlich verwischt hatte.
+
+Als man diese überraschende Entdeckung gemacht hatte und inne geworden
+war, daß, soweit das afrikanische Festland reichte, der Entwicklung des
+Freilandstaates nichts mehr im Wege liege, wurde allgemein das Verlangen
+laut, den Ursachen dieses Umstandes auf die Spur zu gehen.
+
+Von den Küsten abgeschlossen, hatte das junge Staatswesen bisher sein
+ganzes Augenmerk lediglich auf seine innere Entwicklung und Festigung
+gerichtet und keinerlei Versuch gemacht, mit außerafrikanischen Völkern
+in Verkehr zu treten. Hatten die ersten Ansiedler-Generationen noch
+einige Beziehungen zur alten Heimath unterhalten, so war auch dieses
+lose Band im Laufe der Zeit gänzlich gelöst worden. Seit mehr als 200
+Jahren war nur hie und da eine dunkle Kunde von Europa und seinen
+Zuständen ins Innere des afrikanischen Continentes gedrungen, und so war
+es leicht begreiflich, daß jetzt das Verlangen sich regte, das Versäumte
+nachzuholen und neue Beziehungen zu dem alten Mutterlande herzustellen.
+Eine Flotte sollte gebaut und ausgerüstet werden mit der Bestimmung, die
+Haupthandelsplätze der anderen Welttheile, namentlich Europa's,
+aufzusuchen und über die Zustände dortselbst genau Bericht zu erstatten.
+
+Diesem Verlangen widersetzte sich jedoch die Oberleitung des Staates
+sehr energisch und zwar aus schwerwiegenden Gründen. Noch waren die
+Kräfte des jungen Staatswesens bei Weitem nicht derart entwickelt, daß
+dasselbe gegen jede Einwirkung von außen her als gefeit angesehen werden
+konnte. Noch war die Hauptmacht des Staates im Innern des Welttheiles
+concentrirt; an den Küsten existirten nur vorgeschobene Posten, welche
+für den Fall, daß von Europa aus wiederum feindselige Absichten zur
+Durchführung gelangt wären, der Vernichtung fast mit Sicherheit
+ausgesetzt waren, noch lagen weite uncultivirte, oder nur dürftig
+bevölkerte Länderstrecken zwischen dem Innern und der Küste und große,
+die Thatkraft und den Fleiß der Bevölkerung auf Generationen hinaus in
+Anspruch nehmende Culturaufgaben waren zu bewältigen. Ihre Hauptaufgabe
+erblickte die oberste Staatsleitung indessen darin, einen etwaigen
+Rückfall des Freilandstaates in die veralteten Geleise der
+capitalistischen Productionsweise unter allen Umständen unmöglich zu
+machen und sie fürchtete vielleicht nicht mit Unrecht, daß die Eröffnung
+von Handelsbeziehungen zu den alten Staaten im Stande sei, in dieser
+Hinsicht unberechenbare Gefahren herauf zu beschwören, denen auf alle
+Fälle vorläufig aus dem Wege gegangen werden müsse, und zwar umsomehr,
+als Afrika bis zu diesem Augenblicke alles was seine Bewohner bedurften,
+selbst zu produciren befähigt war. Mit dieser vielleicht etwas
+engherzigen Ansicht befand sich die Freiland-Regierung -- zum ersten
+Male seit ihrem Bestande -- in Widerspruch mit einem großen Theile der
+Bevölkerung, aber die Gründe, welche sie leiteten, wurden dennoch von
+der Mehrheit als einleuchtend anerkannt und der Regierungsantrag, die
+Expedition nach Europa bis zum Jahre 2398, dem fünfhundertjährigen
+Jubiläum von Freiland, zu verschieben, fand bei der allgemeinen
+Volksabstimmung die Majorität für sich. Man war entschlossen, keine von
+Europa aus etwa angeknüpften Beziehungen zurückzuweisen, aber ebenso
+entschlossen, von sich selbst aus derartige Beziehungen vor dem
+genannten Zeitpunkte nicht aufzusuchen. Wenn die Anhänger der
+Expeditionsidee aber nun gehofft hatten, daß von Europa oder anderen
+Welttheilen aus früher oder später ein Versuch gemacht werden möge, mit
+dem immer schöner aufblühenden afrikanischen Staate in Verkehr zu
+treten, so hatten sie sich gänzlich getäuscht. Seltsamerweise unterblieb
+ein solcher Annäherungsversuch und von allen Küsten Afrika's kam
+jahraus, jahrein die Meldung, daß das weite Weltmeer öde und verlassen
+daliege, daß auch am fernsten Horizonte nicht die Spur eines Segels zu
+entdecken sei. Inzwischen ging die Cultivirung Afrika's mit
+Riesenschritten vorwärts, und als die ersten 500 Jahre seit der Gründung
+des Freilandstaates sich ihrem Ende zuneigten, war der einst so
+unwirthliche Erdtheil von einem Ende bis zum anderen ein Garten, ein
+Paradies, geschmückt mit allen Errungenschaften menschlicher Arbeit und
+bewohnt von Millionen zufriedener gesitteter Menschen.
+
+Schon lange vor diesem Zeitpunkte war eine Riesenarbeit in Angriff
+genommen worden, welche den Zweck hatte, den Victoria-Nyanza direct mit
+dem Meere in Verbindung zu setzen: ein Schifffahrtskanal, für die
+größten Seeschiffe passirbar, wurde vom Westgestade des Sees bis zum
+Congo angelegt, der Riesenstrom selbst in seiner ganzen Länge vom Meere
+bis zum Einfluß des Aruwimi, dessen Unterlauf selbst einen Theil des
+großen Canals bildete, regulirt und canalisirt und als die
+Freilandflotte, bestehend aus 50 stattlichen Schiffen neuester
+Construction, auf dem Victoria-Nyanza zum Auslaufen bereit lag, war der
+Canal, durch den sie ihren Weg zum Meere nehmen sollte, bis auf den
+letzten Nagel in der letzten Schleuse fertig. Am morgigen Tage, so
+schloß Professor Bellmann seine Rede, werde der Präsident des
+Freilandstaates unter großen Feierlichkeiten diesen letzten Nagel
+eigenhändig einschlagen und die Flotte sodann augenblicklich ihre Reise
+nach den europäischen Küsten antreten. »Ausgerüstet mit dem Besten, was
+die vereinte Arbeit der Freilandbürger geschaffen, wird sie, begleitet
+von unseren Segenswünschen, hinausfahren bis zu dem Gestade des alten,
+für uns schon fast verschollenen Mutterlandes und den Bewohnern
+desselben die Kunde überbringen, daß hier in Afrika die Nachkommen jener
+vor fünf Jahrhunderten gelandeten Ansiedler ein mächtiges blühendes
+Gemeinwesen sich geschaffen haben, in dem Jeder die Früchte seines
+Fleißes voll und ganz genießen kann, in dem man nur aus den
+Ueberlieferungen einer fünfhundertjährigen Vergangenheit noch weiß, daß
+die Menschheit einst in Reiche und Arme geschieden war, und daß es
+Zeiten gab, in denen der Mensch seinen Nebenmenschen verhungern ließ,
+während er selbst in Ueberfluß schwelgte.«
+
+»Diese Zeiten sind, für unsere Gesellschaft wenigstens, auf immer vorbei
+und mit berechtigtem Stolze können wir hinweisen auf die Früchte unserer
+segensreichen, selbstgeschaffenen Institutionen. Und sollte man jenseits
+des Meeres noch immer nicht den Segen derartiger Einrichtungen kennen,
+so möge unsere Flotte dort den Keim legen zu einer neuen besseren
+Zukunft, auf daß nicht bloß dieser Erdtheil, sondern das ganze Erdenrund
+des Glückes theilhaftig werde, das wir schon längst genießen.«
+
+So schloß Professor Bellmann unter rauschendem Beifall seine Festrede.
+
+
+
+
+ 2. Capitel.
+
+ Europäische Reliquien. -- An der Elbemündung. -- Im Hafen von
+ Hamburg. -- Ruinenstadt und Todtenschiffe. -- Eine Begegnung mit
+ Eingeborenen.
+
+
+Ohne an irgend einem Punkte der europäischen Küsten zu landen, war die
+afrikanische Flotte durch den atlantischen Ocean und den Canal bis in
+die Nordsee gesegelt und schwamm in einer windstillen Frühlingsnacht,
+angesichts der deutschen Küste, ihrem ersten Ziele, der Elbemündung, zu,
+um im Hafen von Hamburg vor Anker zu gehen. Der Mondschein lag hell auf
+der weiten Wasserfläche, über der ein leichter nebliger Dunst wallte,
+kein Laut war weit und breit hörbar als das leise Gurgeln und Klatschen
+der Wellen am Kiel und das dumpfe, gleichförmige Dröhnen der mächtigen
+Schiffsmaschinen. In weiter Ferne, kaum unterscheidbar, streckte sich
+der schwarze dünne Streifen der norddeutschen Küste hin, aber vergebens
+spähte der Blick nach einem freundlichen Lichtscheine; dunkel und
+glanzlos lag das Land, soweit die Augen es erfaßten.
+
+An der Brüstung eines der majestätisch dahingleitenden Schiffe lehnten
+zwei junge Seeleute, mit gespannter Aufmerksamkeit zu jenem dunkeln
+Streifen in der Ferne hinüberlugend.
+
+»Kein Licht weit und breit! Weder ein Leuchtthurm noch eine Bake! Das
+scheint mir eine nette Wirthschaft zu sein!« brummte der Eine, eine
+hochgewachsene schlanke Gestalt.
+
+»Die Hamburger sind vermuthlich auf unseren Besuch nicht gefaßt, oder
+die Lootsen hier zu Lande kriechen mit den Hühnern in's Bett«, erwiderte
+sein Kamerad, »Deine Verwandten, Kurt, liegen gewiß auch längst in den
+Federn!« -- »Kannst Recht haben, Willy, wenn sie überhaupt existiren«,
+sprach wieder der Erste, »bin auch verdammt neugierig, was sie für Augen
+machen werden, wenn der Vetter aus Afrika daherkommt!«
+
+»'S ist mir nur nicht recht klar«, meinte Willy, »wie Du ihre Spur
+finden willst in dem Lande, wo wir keinen Menschen kennen!«
+
+»Das ist vielleicht nicht so schwer, als Du glaubst. In meiner Familie
+haben sich viele Reliquien aus Europa erhalten, aus jener Zeit, als die
+Gründer unseres Staates diesen Erdtheil noch nicht verlassen hatten. Ein
+Urahne meines Vaters hatte noch in Europa eine Art von Familienarchiv
+angelegt, in welchem er alle Erinnerungsstücke seiner Familie, sowie
+seines eigenen Lebens sammelte. Dieses Archiv, welches schon damals
+einen Schatz an werthvollen interessanten Handschriften, Portraits und
+Andenken aller Art umfaßte, brachte er mit nach Afrika und es ist
+seitdem in unserer Familie heilige Pflicht geworden, dasselbe zu
+erhalten und nach Möglichkeit zu vermehren. 'S war für mich auch stets
+ein Hauptvergnügen, in diesen Schätzen zu wühlen. Wie ich nun aus einem
+Tagebuch eines meiner Vorfahren ersah, stammt unsere Familie aus
+Thüringen. Nach unserer Landung werde ich mir gleich Urlaub erbitten, um
+mit dem ersten Blitzzuge dorthin zu reisen. Wenn Du Lust hast, Willy, so
+kannst Du mich begleiten.« »Einverstanden, alter Junge«, rief Willy,
+»und wenn Du in Thüringen ein hübsches Bäschen findest, so überläßt Du
+sie mir, das bedinge ich mir aus.«
+
+Er hatte kaum ausgesprochen, als ein heftiger Stoß das Schiff in allen
+seinen Theilen erzittern ließ. Die Freunde eilten der Commandobrücke zu,
+von wo aus die Stimme des Capitäns in den Maschinenraum hinabgellte:
+»Halt! Rückwärts! Langsam!« -- »Was ist los, Capitän?« rief Willy
+hinauf. -- »Wir sind aufgefahren«, tönte es zurück, »es muß eine Untiefe
+im Fahrwasser sein, verdammt, daß man uns keinen Lootsen schickt!«
+Inzwischen war das Zeichen zum Halten auch den anderen Schiffen gegeben
+und eiligst untersucht worden, ob das Schiff beim Anlaufen etwa Schaden
+gelitten. Alles fand sich im besten Stand, aber der Commandant der
+Flotte war doch der Ansicht, daß es rathsamer sei, auf dem Platz bis zum
+Morgen zu verharren und vor der Weiterfahrt das unsichere Fahrwasser
+genau zu untersuchen. Alles verwunderte sich indeß, daß in unmittelbarer
+Nähe der Elbemündung, an einer sicherlich viel befahrenen Route, kein
+einziges Warnungssignal diese gefährliche Stelle bezeichnete. Der
+Vorsicht halber und um einen etwaigen Zusammenstoß mit anderen Schiffen
+zu verhüten, ließ man das electrische Licht nach allen Seiten weithin
+über die See spielen, aber die Sorge war unnütz, das weite Meer war wie
+ausgestorben und nicht einmal eine Fischerbarke kreuzte, soweit die
+Blicke reichten. Also wurden die Anker ausgeworfen, die in geringer
+Tiefe Grund fanden und der Morgen abgewartet.
+
+Das Erste, als der Morgen kam, war, Boote auszusetzen und das Fahrwasser
+nach allen Richtungen hin abzulothen. Das Ergebniß war kein besonders
+erfreuliches. Ueberall, wo man auch das Senkblei hinabließ, fand man in
+der Tiefe von wenigen Metern Grund, nirgends aber genügendes Fahrwasser
+für die Schiffskolosse der afrikanischen Flotte. Es war kein Zweifel
+mehr: die Elbemündung, einst die Einfahrtsstraße unzähliger Schiffe
+jeder Größe, war total versandet und nur noch mit Booten zu befahren.
+Kopfschüttelnd hatte der Commandant diese Meldung vernommen und dann die
+Capitäne der übrigen Schiffe zu sich beschieden, um Rath zu halten. Das
+Ergebniß der Berathung war endlich, daß zwölf wohlbemannte Boote, mit
+Waffen und mit Proviant auf zehn Tage versehen, in See gelassen wurden,
+um die Räthsel, welche sich hier darboten, womöglich zu lösen. Es
+braucht kaum erwähnt zu werden, daß die beiden Freunde Willy und Kurt
+sich ebenfalls bei der Expedition befanden, ja dem Ersteren war sogar
+die Ehre zu Theil geworden, mit dem Befehle über die kleine Flotille
+betraut zu werden. Mit sichtlichem Eifer und in erwartungsvoller Stille
+trafen die zur Einschiffung bestimmten Männer ihre Vorbereitungen. Alle
+waren gespannt auf die Entdeckungen, welche sich ihnen darbieten
+sollten, gar mancher aber konnte sich eines unbestimmten bangen Gefühls
+nicht erwehren.
+
+Am 1. Mai 2398 setzte sich um 11 Uhr Vormittags die Expedition in
+Bewegung. In jedem der zwölf Boote befanden sich einundzwanzig Mann; es
+waren also, ohne die beiden Freunde, gerade zweihundertundfünfzig
+vortrefflich bewaffnete und geschulte, kräftige Männer bei der
+Expedition, eine Macht, mit der man gegebenen Falles auch ernsten
+Eventualitäten schon mit einiger Zuversicht in's Auge sehen konnte.
+Signalapparate von äußerst sinnreicher Construction, deren jedes Boot
+mit sich führte, ermöglichten es außerdem, sich mit der vor der Barre
+ankernden Flotte im Falle der Noth auf sehr weite Distanzen zu
+verständigen. Drei Boote bildeten die Vor- und drei die Nachhut der
+Flotille, während zwischen beiden Abtheilungen, einige hundert Meter von
+einer jeden entfernt, das Gros der Expedition, sechs Boote stark,
+einherfuhr.
+
+Die Boote wurden nicht durch Ruder, sondern durch kleine, aber sehr
+kräftige Electromotoren in Bewegung gesetzt und waren einer großen
+Geschwindigkeit fähig. Da man sich jedoch hier in einem gänzlich
+unbekannten Fahrwasser befand -- die mitgebrachten Karten erwiesen sich
+als veraltet -- und noch nicht wußte, auf welche Hindernisse man
+vielleicht stoßen werde, so hatte Willy den Befehl ertheilt, mit mäßiger
+Geschwindigkeit vorwärts zu fahren. Anfangs bot sich den Blicken nichts
+Bemerkenswerthes dar; niedere flache Ufer, mit Buschwerk bewachsen,
+dehnten sich zu beiden Seiten des mächtig dahinfluthenden Stromes aus;
+je weiter man aber kam, desto deutlicher drängte sich Allen die
+Gewißheit auf, daß hier im Laufe der letzten Jahrhunderte furchtbare
+Veränderungen Platz gegriffen hatten. Jeder Mann der Freilandflotte
+hatte sich mit der Ueberzeugung der deutschen Küste genähert, daß er ein
+reich bevölkertes, mit blühenden Städten und Dörfern bedecktes Land
+finden werde, gesegnet mit allen Errungenschaften einer
+zweitausendjährigen Cultur und namentlich von Hamburg, der großen und
+reichen Handelsstadt, hatten sich alle diese, aus dem Innern Afrika's
+stammenden Männer die glänzendsten Vorstellungen gemacht. Aber nichts
+von dem fand sich hier verwirklicht. Das ganze Land schien eine einzige
+trostlose Einöde, eine menschenleere Wüste zu sein. Auf den niederen
+Hügeln, die sich bei der Weiterfahrt zeigten, wucherte wildes Gestrüpp,
+das hier und da einzelne rauchgeschwärzte Reste uralter Ruinen mit
+tausend Ranken umklammerte und überwucherte. Nirgends ein menschliches
+Wesen, oder auch nur die Spur eines solchen. Schaaren flüchtiger Möven
+schienen das einzig Lebendige weit und breit zu sein. So hatte man
+diejenige Stelle des Flusses erreicht, an welcher sich, den Karten
+zufolge, der Hafen befinden sollte, der große berühmte Hamburger Hafen,
+der Stapelplatz unermeßlicher Schätze aller Welttheile. Was sich den
+Blicken hier darbot, war ein Bild grauenhafter Verwüstung und
+Verwilderung. Das weite Hafenbassin war mit einer grünen filzigen Masse
+bedeckt, durch welche sich die Boote nur mit Mühe vorwärts bewegten. Wo
+der Kiel diese Masse durchschnitt, stiegen faulige, pestilenzialische
+Dünste empor. Von dem Mastenwald, der einst hier zu finden gewesen, war
+nichts zu sehen, als die Wracks einiger großer Dampfer alterthümlicher
+Bauart, welche, dick mit Rost und Moder überzogen, an den verfallenen
+Quais lagen. Längs dieser Quais mußten vor Zeiten ganze Reihen
+prächtiger Paläste gestanden sein; davon legten noch die imposanten
+Ruinen Zeugniß ab, die sich in weitem Umkreise den Ufern entlang zogen.
+
+»Das habe ich mir anders vorgestellt«, flüsterte Willy seinem Freunde
+zu, »ob's wohl in Thüringen bei Deinen Verwandten ebenso ausschaut?« --
+Die Boote der Expedition befanden sich jetzt alle in engem Kreise
+versammelt, und Willy ertheilte den Befehl zur Landung. Fünfzig Mann
+wurden an der Landungsstelle als Reserve und zur Bewachung der Boote
+zurückgelassen. Die übrigen formirten vier Abtheilungen von je fünfzig
+Mann und drangen nach verschiedenen Richtungen in die Straßen der
+Ruinenstadt vor. Ehe sie sich in Bewegung setzten, kam eine kleine
+Abtheilung, welche der Commandant zur Untersuchung der alten Schiffe
+entsendet hatte, zurück. Die Leute zeigten auffallend verstörte Mienen
+und ihr Führer meldete, daß sich ihnen im Innern eines Wracks ein
+furchtbarer Anblick dargeboten habe. Haufen von Skeletten, manche davon
+noch die Klinge oder den Revolver in der Faust, lägen auf Verdeck und in
+den Cajüten, und der Anblick dieser mit grünem Schimmel halb
+überzogenen, vermoderten Ueberreste sei so grauenhaft, daß er einen
+Menschen um den Verstand bringen könne. Vor vielen Jahren müsse dort ein
+Kampf auf Tod und Leben stattgefunden haben, in dem die
+Schiffsmannschaft vermuthlich bis auf den letzten Mann ihr Ende
+gefunden.
+
+Der Vormarsch der einzelnen Abtheilungen begann nun; bei derjenigen
+Truppe, welche der Commandant selbst führte, befand sich natürlich auch
+Kurt. Man wählte zunächst eine ziemlich breite, in südwestlicher
+Richtung sich hinziehende Straße, deren halb oder ganz verfallene
+Gebäude noch die Spuren einstiger Pracht deutlich zeigten. Der Boden
+dieser Straße war einst mit Asphalt oder einer ähnlichen Masse
+gepflastert gewesen; diese Masse hatte durch Frost und Hitze unzählige
+tiefe Risse erhalten, in denen der Same von Pflanzen aller Art Wurzel
+geschlagen hatte. So war der ganze Boden allenthalben mit Gestrüpp,
+Disteln und Schlingpflanzen überwuchert und das Vorwärtskommen ziemlich
+beschwerlich. Vor Zeiten hatten vierfache Baumreihen, zwischen denen in
+gewissen Abständen eiserne Laternensäulen sich erhoben, der Straße zur
+Zierde gereicht. Von diesen Bäumen hatten sich einzelne inmitten der
+allgemeinen Zerstörung frisch und lebendig erhalten, aber ihre Kronen
+hatten einen gewaltigen Umfang erreicht und ihre Wurzeln den Asphalt auf
+weite Strecken hin gespalten und in Schollen, wie Gletschereis,
+emporgehoben; die eisernen Candelaber jedoch waren von unten bis oben
+mit Waldrebe und wildem Hopfen dicht umsponnen. Obwohl überall eine
+unheimliche Stille herrschte und nirgends die Spur eines menschlichen
+Wesens zu erblicken war, so schien Vorsicht doch geboten, da man nicht
+wissen konnte, ob dieses Trümmermeer in Wahrheit unbewohnt sei und falls
+es Bewohner barg, so -- Kurt an der Seite seines Freundes
+dahinschreitend, hatte diesen Gedanken kaum ausgedacht, als eine
+vorausgeschickte Patrouille aus einer Seitengasse in Laufschritt quer
+auf sie zukam:
+
+»Herr Commandant, da drin sind Menschen, wir haben sie deutlich
+gesehen,« rief der Führer athemlos. Sofort ließ Willy das Signal »Halt!«
+gebieten und drang dann selbst an der Spitze der Hälfte seiner
+Mannschaft in die bezeichnete Gasse vor.
+
+Nachdem ein Schutthaufen, der den Eingang der Gasse wie eine Barrikade
+versperrte, erklommen war, sahen sie weit hinein in einen schauerlichen
+Engpaß zwischen verfallenen, hochaufragenden Häusern. Das Licht der
+Nachmittagssonne berührte nur die obersten Ränder der von Alter und
+Wetter geschwärzten Massen, die jeden Augenblick mit dem Einsturz
+zu drohen schienen. »Dort hinten standen sie,« begann der
+Patrouillenführer, »ich habe sie deutlich gesehen, obwohl es nur ein
+Moment war.«
+
+»Wie sahen sie aus?« forschte Willy, indem er vergeblich mit
+vorgehaltener Hand die Dämmerung, welche in der Tiefe dieses Schlundes
+herrschte, mit den Blicken zu durchdringen suchte.
+
+»Mir schien es ein Mann und ein Weib zu sein, in Lumpen gehüllt, mit
+wirren Haaren. Sie flohen wie der Blitz, als sie uns erblickten.«
+
+»Also vorwärts,« commandirte Willy, »wir müssen das Geheimniß
+ergründen!«
+
+
+
+
+ 3. Capitel.
+
+ Ein Marsch durch Schutt und Sumpf. -- Bivouak in den Ruinen. --
+ Unheimliche Gestalten. -- Die Expedition wird belagert. -- Ein
+ Nachtgefecht. -- Steinbombardement. -- Hülfe zur rechten Zeit.
+
+
+Unter unsäglichen Schwierigkeiten drangen sie nun vor, ohne daß sich
+etwas Bemerkenswerthes gezeigt hätte. Die engen Gassen, durch welche man
+sich bewegte, waren mit Schutt aller Art bedeckt. Mühsam und unter
+steter Lebensgefahr mußten diese Hügel, die noch dazu mannshohes
+Gestrüpp bedeckte, überklettert werden. An anderen Stellen hinderten
+Canäle voll fauligen Wassers, die, in ihrem Laufe behindert, alles
+weithin überfluthet hatten, den Vormarsch, dann blieb nichts übrig, als
+mit unsäglicher Mühe einen weiten Umweg zurückzulegen, um schließlich
+auf den Resten eines morschen Brückenbogens vorsichtig, Mann für Mann,
+das andere Ufer zu gewinnen.
+
+Mit einbrechender Dunkelheit, zu Tode erschöpft, erreichte man einen
+kleinen, leidlich gangbaren Platz, auf dem der Commandant mit seiner
+Mannschaft die Nacht zu verbringen beschloß. Wunderbarerweise hatte sich
+auf dem ganzen halsbrecherischen Marsche kein ernster Unfall ereignet;
+einige Matrosen waren wohl durch fallendes Mauerwerk leicht verletzt
+worden, aber diese Wunden waren ganz unbedenklicher Natur. Die
+Vorbereitungen zum Bivouak waren bald getroffen; aus vorgefundenen
+Holzresten nährten die Seeleute einige Feuer, welche gegen die
+Nachtkühle hinreichend Schutz gewährten. Dem mitgenommenen Proviant
+wurde tüchtig zugesprochen, nur an trinkbarem Wasser war fühlbarer
+Mangel und der Durst konnte nur theilweise durch einige Schlucke kalten
+Thee's, welchen Jeder in hinreichender Menge bei sich führte, befriedigt
+werden. Vorsichtshalber ließ Willy aus den umherliegenden Steinen und
+Balken eine Art Brustwehr rings um das Lager aufführen und an den
+Ausgängen des Platzes Doppelposten ausstellen. Als so für die Sicherheit
+der kleinen Schaar nach Möglichkeit gesorgt worden, streckten sich die
+beiden Freunde auf ihre Mäntel in der Nähe eines Feuers nieder und
+verfielen, ermüdet von den Anstrengungen des Tages, bald in festen
+Schlummer.
+
+Einige Stunden der Nacht mochten so verflossen sein, als Kurt plötzlich
+erwachte. Die Feuer waren im Verglimmen, aber dafür war der Mond über
+den Giebeln der Häuser emporgestiegen und übergoß alles mit hellem
+Scheine, von dem sich die tiefen Schatten der vielfachen Winkel und
+Vorsprünge an den umliegenden Ruinen nur desto schärfer abhoben. Während
+der junge Mann so sinnend, den Kopf auf einem Arme ruhend, dalag, blieb
+sein Auge auf einem mehrstöckigen Hause ruhen, welches sich in der
+Entfernung von etwa fünfzig bis sechzig Schritten, seinem Lagerplatze
+gegenüber, erhob.
+
+Flüchtig glitten seine Blicke über die leeren, schwarz gähnenden
+Fensteröffnungen, als er plötzlich erschreckt zusammenfuhr.
+
+Einen Augenblick lang hatte er geglaubt, in einer Fensterhöhle die
+Umrisse einer menschlichen Gestalt bemerkt zu haben. Er blickte schärfer
+hin -- aber nichts Verdächtiges zeigte sich, und in der Ueberzeugung,
+sich getäuscht zu haben, sank er in seine frühere Stellung zurück. Dabei
+fiel aber sein Blick auf eine andere Fensteröffnung, und wiederum war es
+ihm, als sähe er dort eine Gestalt in schwachen Umrissen auftauchen und
+verschwinden. Und dort am nächsten Fenster, am zweiten, am dritten,
+überall das nämliche und jetzt flammte auch ein fahler Lichtschein in
+den Ruinen auf, von dem sich die Umrisse menschlicher Gestalten, in
+Lumpen gehüllt, scharf abhoben.
+
+Es war kein Zweifel mehr: diese Trümmerstadt hatte eine Bevölkerung, die
+zur Nachtzeit aus ihren verborgenen Schlupfwinkeln hervorkam, als scheue
+sie sich, ihr Elend dem Tageslichte zu enthüllen. Entsetzlicher Gedanke!
+In diesem giftigen Moderdunst zu leben, weit und breit nichts als Tod
+und Verwüstung, in steter Gefahr, von diesen Massen begraben zu werden,
+die wie das gräßlich verzerrte Antlitz eines in tausend Qualen
+Dahingeschiedenen zum Himmel emporstarrten, eine furchtbare,
+versteinerte Anklage gegen die Sünden verschollener Generationen.
+
+Kurt rüttelte seinen Freund aus dem Schlummer empor; während er ihm aber
+mit hastigen Worten seine Entdeckung mittheilte, kamen auch schon von
+den ausgestellten Posten Meldungen, welche besagten, daß sich überall in
+den in undurchdringliches Dunkel gehüllten Seitengassen unheimliches
+Leben zu regen beginne. Verwilderte Erscheinungen, langhaarig, halb
+nackt, mit Knitteln bewaffnet, tauchten allenthalben auf, zogen sich
+indessen beim Anblick der Wachen stets scheu wieder zurück. Die ganze
+Mannschaft war in einigen Augenblicken auf den Beinen und stand, die
+Waffen schußbereit in Händen, der Befehle ihres Commandanten gewärtig,
+in Reih und Glied. Noch war es ungewiß, ob die Eingeborenen feindselige
+Absichten hegten; Vorsicht war aber auf alle Fälle geboten und so ließ
+Willy zunächst die ausgestellten Posten zurückrufen, um seine kleine
+Streitmacht nicht zu zersplittern. Zugleich ließ er in Eile die niedere
+Brustwehr, mit welcher man am Abend das Lager umgeben hatte, erhöhen und
+verstärken und vertheilte dann seine Mannschaft derart, daß sämmtliche
+den Platz umgebenden Häuserfronten und Seitengassen nöthigenfalls unter
+Feuer genommen werden konnten. In diesen Häusern war es unterdessen
+furchtbar lebendig geworden. Kaum eine einzige Fensteröffnung, an der
+sich nicht jene verwilderten Gestalten gezeigt hätten. Die Scheu der
+dämonischen Gesellen schien, je mehr ihre Zahl wuchs, abzunehmen. Immer
+häufiger und immer länger zeigten sie sich; vielstimmiges,
+unverständliches Geschrei ertönte bald da, bald dort und man sah
+deutlich, wie Einzelne mit Feuerbränden in der Hand hin- und herliefen.
+
+So verging wieder eine geraume Zeit und schon hoffte Willy, daß das
+nächtliche Abenteuer friedlich verlaufen werde. Gegen zwei Uhr Morgens
+berührte die Mondscheibe die Giebel der den Platz umgebenden Häuser,
+einige Minuten später war Alles rings in nächtliche Dunkelheit gehüllt.
+Die spähenden Augen der hinter ihrem Steinwall kauernden Männer
+gewöhnten sich nach und nach soweit an die Finsterniß, daß sie
+wenigstens auf zwanzig bis dreißig Schritte weit jede verdächtige
+Erscheinung hätten wahrnehmen können. Plötzlich raunte einer der Männer
+dem Commandanten in's Ohr: »Jetzt kommen sie!« Wie electrisirt fuhr
+Willy empor und beugte sich über die Schutzwehr; seine Augen suchten
+zuerst vergeblich die herrschende Dunkelheit zu durchdringen; da, mit
+einem Male war es ihm, als hätten sich seine Blicke geschärft, und
+deutlich sah er nun die dunkle gespenstige Masse, die schweigend in
+einem großen Ring von allen Seiten das Lager umgab. Sie standen Kopf an
+Kopf, Schulter an Schulter und Willy glaubte, ihre verzerrten wilden
+Gesichter, ihre fleischlosen Arme, ihre ekelhaften Lumpen zu sehen.
+
+Lautlos, eine lebendige Mauer, rückten sie Zoll für Zoll heran; man
+hörte ihre Tritte nicht, man fühlte ihre Nähe mehr, als man sie sah, und
+namenloses Grauen ging vor ihnen her. Ohne ein Wort zu verlieren, hatte
+sich jeder der Freilandleute auf seinen Posten gestellt und sich
+kampfbereit gemacht. Da flammte es hier und dort in den Häusern auf;
+einzelne Gestalten erschienen an den Fenstern, Feuerbrände hoch
+emporhaltend, deren Schein mit einem Male die ganze furchtbare Masse der
+Feinde erkennen ließ. In der nächsten Secunde ein Kampfgeheul aus
+tausend und abertausend Kehlen und wie eine Horde Tiger stürzten sie
+sich, armsdicke Knüppel in den Fäusten, auf die umzingelte Schaar. Eine
+furchtbare Salve empfing sie aus nächster Nähe; der niedrige Steinwall
+glich einem feuerspeienden Berge, aber nur zwei Secunden lang. Ein
+Geschrei, das nichts Menschliches an sich hatte, hallte in den Ruinen
+wieder, denn als habe sie die Erde verschlungen, war die Masse der
+Angreifer verschwunden; der Sturm war abgeschlagen.
+
+Die Ruhe sollte indessen nicht lange dauern. Man sah in den Häusern den
+Schein von Fackeln aufleuchten und wieder verschwinden, man hörte
+Geschrei und Geheul. Plötzlich sauste ein faustgroßer Stein durch die
+Luft daher und fiel mitten im Lager nieder, ohne Jemanden zu verletzen.
+Ein zweiter, dritter, vierter folgten, die ihr Ziel nicht verfehlten;
+ein Matrose brach, am Kopf getroffen, lautlos zusammen, ein anderer
+schrie auf: ein Finger war ihm zerschmettert und das folgende
+Wurfgeschoß riß dem Commandanten den Revolver aus der Hand. Schüsse,
+welche nach den Fenstern abgegeben wurden, fruchteten nichts; die Steine
+wurden offenbar aus gedeckter Stellung mittelst Schleudern geworfen; das
+zeigte schon die große Gewalt und Sicherheit, mit der sie dahersausten.
+Nach einer Viertelstunde war ein großer Theil der Mannschaft mehr oder
+minder schwer verwundet und auch Willy blutete aus einer tiefen
+Kopfwunde. Unterdessen hatte die Nacht der Morgendämmerung Platz
+gemacht; das Bombardement endete plötzlich und schon athmete die hart
+bedrängte Schaar auf, als tausendstimmiges Geschrei ihr einen
+neuerlichen Angriff verkündete. Wer noch aufrecht stehen konnte, eilte,
+der Wunden nicht achtend, auf seinen Posten an der Schutzwehr, aber zehn
+Mann lagen bewußtlos oder sterbend inmitten des Lagerraumes. Aus allen
+Seitengassen quoll es nun unzählbar hervor. Die Schüsse, welche ihn
+empfingen, machten den Feind einen Augenblick stutzen, aber die Wucht
+der von hinten Nachdrängenden schob die vorderen Reihen unaufhaltsam
+vorwärts. Hie und da fiel Einer, von den Kugeln der Seeleute getroffen,
+aber dies hielt die große Masse nun nicht mehr auf. Im Nu hatte sie die
+Schutzwehr erreicht; riesige Knüppel sausten von allen Seiten auf die
+Bedrängten nieder und ein erbitterter Kampf, Brust an Brust, begann,
+dessen Ausgang kaum zweifelhaft sein konnte. Nach wenigen Minuten war
+die kleine Schaar der Vertheidiger, erheblich gelichtet, inmitten des
+Lagerraumes zusammengedrängt, wo sie, Rücken an Rücken, verzweifelt
+kämpfend, sich der Uebermacht zu erwehren suchte. In diesem Augenblick,
+als Willy, aus mehreren Wunden blutend, die Zahl seiner Leute
+zusammenschmelzen sah, ertönte aus einer der Seitengassen im Rücken der
+Angreifer ein Hornsignal. Einige Schüsse folgten, die Wuth der Angreifer
+ließ nach, und nachdem sie noch einige Augenblicke gezaudert hatten,
+wandten sie sich zur Flucht. Bald waren die Letzten in den Gassen der
+Trümmerstadt verschwunden, nur Todte und Sterbende bedeckten den Platz
+rings um das Lager. Die Streifcolonne, welche, angelockt durch das
+Schießen, sich durch alle Hindernisse bis hieher Bahn gebrochen, war
+gerade zur rechten Zeit gekommen.
+
+
+
+
+ 4. Capitel.
+
+ Eine neue Expedition wird ausgerüstet. -- Deutschland eine Wüste.
+ -- Ein Grab im Thüringer Walde. -- Kurt findet seine Verwandten.
+ -- Was aus Schiller und Goethe geworden.
+
+
+Nach den Vorgängen jener Mainacht war das Expeditionscorps wieder an
+Bord der Flotte zurückgekehrt. Man hatte die Opfer des nächtlichen
+Kampfes bestattet und die Blessirten in sorgsame Pflege genommen. Auch
+eine Anzahl verwundeter Eingeborner war auf den Schiffen untergebracht
+worden und es war seltsam zu sehen, mit welch' grenzenlosem Erstaunen
+diese verwilderten Menschen es hinnahmen, als man sie wusch, auf
+reinliche Lager bettete, ihre Wunden verband und ihnen stärkende Labung
+reichte. Die Genesenen wurden, mit Kleidern und Nahrungsmitteln reich
+beschenkt, nach einigen Tagen wieder heimgeschickt, und als wieder ein
+solcher Transport im Hafen an's Land gesetzt werden sollte, fand man das
+Ufer bedeckt mit Hunderten, welche in unzweideutiger Weise ihre
+friedlichen Gesinnungen zum Ausdrucke brachten. Es wurden
+Unterhandlungen angeknüpft, was um so leichter möglich war, als die
+Sprache der Einwohner sich als ein uraltes, aber immerhin verständliches
+Idiom erwies, das den Seeleuten aus Freiland bald geläufig wurde. Aber
+unmöglich war es, aus den Andeutungen jener Menschen ein Bild zu
+gewinnen über die Ursachen der entsetzlichen Veränderung, welche sich in
+ihrem Lande zugetragen hatte. Sie wußten von nichts; so weit sie und
+ihre Eltern und Großeltern zurückzudenken vermochten, war Alles so
+gewesen, wie heute. Es war ihnen unbekannt, wer die Stadt erbaut hatte,
+in deren Trümmern sie ihr elendes Leben fristeten, sie wußten
+ebensowenig, wer sie zerstört hatte. Ihrer Aussage nach war das Land auf
+viele Meilen im Umkreise eine Wildniß und ähnliche Trümmerstätten
+allenthalben anzutreffen. Wovon sie lebten? Das wußten sie beinahe
+selbst nicht. Auf ausgehöhlten Baumstämmen fischten sie in der Elbe, sie
+sammelten Muscheln und Seethiere am Strande des Meeres, sie stellten
+Fallen in den Wäldern und lauerten in der Haide auf allerlei niederes
+Gethier. Etwas Ackerbau schienen Einige von ihnen auch zu treiben, aber
+nur in allerprimitivster Form. Im Großen und Ganzen stand ihre Cultur
+etwa auf der Höhe derjenigen, welche die meisten Stämme Centralafrika's
+am Ende des 19. Jahrhunderts besessen hatten. Die Hoffnung, vielleicht
+im Innern des Continentes noch Reste der alten Cultur zu finden und
+Aufschluß zu erhalten über die Räthsel, die sich hier darboten, bewog
+den Flottencommandanten, eine neue, größere Expedition auszurüsten,
+welche die Aufgabe erhielt, ihren Weg quer durch das einstige deutsche
+Reich zu nehmen, die Alpen zu übersteigen und an einem bestimmten Punkte
+der italienischen Küste wieder mit der Flotte zusammenzutreffen, welche
+bis auf ein kleines Reservegeschwader, das für alle Fälle vor der
+Elbemündung kreuzen sollte, ihre Rückfahrt durch den Canal und die Enge
+von Gibraltar in's Mittelmeer antrat.
+
+Dieser Expedition schlossen sich die beiden Freunde selbstverständlich
+an. Wollte doch Kurt auf seinen Plan, die Spuren seiner Vorfahren
+ausfindig zu machen, nicht ohne Weiteres verzichten. Allerdings waren
+die Schwierigkeiten, welche sich seinem Vorhaben entgegenstellten, keine
+geringen. Wie konnte er hoffen, unter den wilden Horden, welche dieses
+Land bevölkerten, diejenigen Aufschlüsse zu erhalten, auf welche er mit
+Sicherheit gerechnet hatte? Merkwürdige Ueberraschungen waren es denn
+auch, welche ihm und seinen Genossen auf ihrer Entdeckungsreise durch
+Europa zu Theil werden sollten.
+
+Achthundert Mann stark war die Expeditionstruppe durch menschenleere
+Wüsten und Wälder bis an den Saum des Thüringer Waldes vorgedrungen,
+ohne auf etwas Anderes zu stoßen, als auf verlassene Stätten einstiger
+Cultur und halbwilde Stämme, welche nomadisirend die Wildniß durchzogen.
+Kümmerliche Spuren von seßhaften Ansiedlungen, deren Bewohner kleine
+Strecken öden Grundes mit Erdäpfeln und Haidekorn bestellt hatten,
+fanden sich hie und da in den Wäldern verstreut, immerfort bedroht von
+räuberischen Ueberfällen der Nachbarn oder von Angriffen wilder Thiere.
+Mit jedem Tagesmarsche wurde es den Mitgliedern der Expedition immer
+klarer, daß ganz Deutschland, vermuthlich ganz Mitteleuropa, aus
+unbekannten Gründen eine Stätte des Elends und der Verzweiflung
+geworden, daß hier eine uralte, zweitausendjährige Cultur für immerdar
+untergegangen sei. -- Eines Tages rückte die Colonne in ein uraltes
+Städtchen ein, welches zwar nicht, wie die meisten anderen Plätze, aus
+einem chaotischen Gewirre von Ruinen bestand, aber doch in seinem
+Aeußern ein trostloses Bild tiefsten Verfalles darbot. Die meistens
+einstöckigen Häuser längs der ziemlich breiten Straßen waren, wie es
+schien, noch zum Theile bewohnbar; das Elend und der Hunger aber
+grinsten aus den von Lumpen umflatterten Fensteröffnungen;
+übelriechender Rauch drang hie und da in's Freie aus nothdürftig
+verhängten und brettervernagelten Rissen und Spalten. Die Straßen waren
+mit Gras bewachsen, während längs der Häuser Haufen von Unrath aller Art
+lagerten; augenscheinlich waren die Bewohner gewöhnt, alles, was ihnen
+in ihren Behausungen lästig wurde, auf die Gasse zu werfen. Im
+Gegensatze zu den Eingeborenen, welche die Expedition auf ihrem Marsche
+bisher angetroffen hatte, zeigten sich die Bewohner dieser Stätte nichts
+weniger als scheu. Anfänglich erschienen sie wohl nur an den Fenstern
+und Thüren ihrer Häuser; später aber kamen sie auch auf den von den
+Freilandleuten zur Rast ausersehenen Platz und standen in dichter Reihe
+gaffend rings um das Feldlager der seltenen Gäste. Das Elend, welches
+auf ihnen lastete, kam da so recht an's Licht des Tages.
+
+Es waren keine wilden, unheimlichen Gesellen, wie die, welche in den
+Trümmern des alten Hamburg hausten, aber der Eindruck, den ihre aus
+Flicken und Fetzen zusammengesetzte altväterische Kleidung, ihre
+eingefallenen Wangen, ihr blödes Lächeln hervorrief, war noch weit
+ergreifender.
+
+Unsagbar traurig war der Anblick dieser geistig und körperlich
+verkümmerten Menschen, aus deren Augen Hunger und Stumpfsinn sprachen.
+Die Fragen, welche man an sie richtete, beantworteten sie mit einem
+cretinartigen Lachen oder unverständlich blökenden Tönen. Nicht einmal
+den Namen, den ihre Stadt einst getragen, wußten sie anzugeben und
+dennoch sollte sich bald herausstellen, daß ihnen eine Erinnerung an
+längst vergangene Zeiten geblieben war, wenngleich in eigenthümlicher
+Form. Auf dem Platze, an dem die Expedition bivouakirte, erhob sich ein
+Denkmal eigener Art. Auf einem hohen Sockel aus Marmor standen da, in
+Erz gegossen, welches im Laufe der Jahrhunderte eine grünbraune
+Patinaschicht überzogen hatte, die überlebensgroßen Figuren zweier
+Männer in altmodischer Tracht. Der Eine von beiden, anscheinend der
+Jüngere, mit wallendem Haar und freien edlen Gesichtszügen, richtete die
+Blicke schwärmerisch gen Himmel, während der Andere, Aeltere, eine
+imposante Figur, klaren Auges mit der Ruhe des gereiften Mannes in's
+Weite sieht. Beide Gestalten hielten gemeinschaftlich mit je einer Hand
+einen Kranz; kein Name, keine Jahreszahl war auf dem verwitterten Steine
+mehr sichtbar. Als einige der Seeleute sich anschickten, dicht neben dem
+Denkmal ein Lagerfeuer zu entzünden, kam auf einmal eine seltsame Unruhe
+über die Eingeborenen. Mit ängstlichen Geberden drängten sie sich heran,
+wiesen auf das Denkmal und baten mit aufgehobenen Händen und flehenden
+Mienen, den Stein, auf welchem die Erzbilder sich erhoben, nicht zu
+berühren. Einer unter ihnen, ein Greis mit weißem Haar und Bart, in
+dessen Antlitz die Jahre unzählige Runzeln gegraben, wußte sich durch
+einige Worte und Geberden soweit verständlich zu machen, daß die
+Freilandleute endlich begriffen, das räthselhafte Monument gelte in den
+Augen der Unglücklichen als eine Art Heiligthum, dessen Berührung oder
+Beschädigung den Zorn überirdischer Mächte heraufbeschwören könne. Kurt,
+der hinzukam, trug Sorge, daß seine Leute in angemessener Entfernung von
+dem Denkmale ihre Vorbereitungen für das Bivouak trafen und stellte
+sogar eine Wache auf, welche jede Annäherung Unberufener an das
+Heiligthum des Ortes verhindern sollte. Die armen Menschen, als sie dies
+sahen, waren vor Freude fast außer sich; mit strahlenden Mienen,
+unverständliche Worte des Dankes ausrufend, drängten sie sich an Kurt
+heran, drückten ihm die Hände und küßten den Saum seines Rockes. Nachdem
+er sich mit Mühe ihrer Gunstbezeigungen erwehrt hatte, versuchte er,
+sich ihnen so gut als möglich verständlich zu machen. Er glaubte
+annehmen zu dürfen, daß der Ort, von welchem seine Familie stammte, hier
+in der Nähe liegen müsse; vielleicht war es sogar dieses Städtchen, in
+dem er sich just befand; vielleicht waren einige dieser unglücklichen
+Geschöpfe Sprößlinge desselben Geschlechtes wie er.
+
+Aber umsonst waren alle seine Fragen und Zeichen; die Eingeborenen
+schüttelten die Köpfe oder stießen ein blödes Lachen aus; von den Namen,
+die er nannte, hatte augenscheinlich Keiner etwas gehört. Müde des
+nutzlosen Parlamentirens wendete sich Kurt endlich ab und ging seines
+Weges. Da trat jener Greis, wehmüthig anzuschauen in seinem zerlumpten
+Röckchen, auf ihn zu und bedeutete ihn mit dringenden Geberden, ihm zu
+folgen. Er führte ihn quer über den Platz durch mehrere Seitengassen,
+bis sie endlich draußen vor den letzten Häusern standen, wo eine mit
+niedrigem Gestrüpp bewachsene Fläche begann. Der Alte bog, diensteifrig
+voranschreitend, die Zweige der nächsten Stauden auseinander, und nun
+sah Kurt, daß er sich auf einem uralten, verwilderten Friedhofe befand.
+Im Schatten der niederhängenden Zweige lag da Stein an Stein, die
+Grabstätten verschollener Geschlechter, manche halb versunken in dem von
+Unkraut überwucherten Boden, alle mit Moos und Flechten überzogen und
+von Zeit und Wetter geschwärzt. Kurt's Führer schritt rasch und achtlos
+zwischen den Gräbern durch, bis er eine Stelle erreichte, wo an einer
+verfallenen Mauer unter Fliederbüschen ein Grabstein lehnte, grau und
+verwittert gleich den übrigen, aber mit halbverwischten Lettern, auf die
+der Alte schweigend mit dem Finger deutete. Kurt beugte sich zu dem
+Steine nieder und begann mühsam die Inschrift zu entziffern. Nach
+einigen vergeblichen Versuchen hatte er den Schlüssel gefunden, die
+Buchstaben reihten sich ihm zu Silben und Worten, und da stand der Name,
+den er selbst führte, wohl in etwas veränderter Schreibweise, aber
+deutlich erkennbar auf der Platte; ein geborstener Stein, ein
+versunkener Grabhügel war die einzige Spur, die er entdeckt hatte.
+
+Während sie den Rückweg antraten, gab er sich Mühe, seinem Führer
+deutlich zu machen, daß er, wenn möglich, ein noch lebendes Mitglied
+jener Familie zu sehen wünsche, deren Name er auf jenem Steine gelesen
+habe. Es war nicht ganz leicht, dem Alten das zu verdolmetschen, aber
+endlich bemerkte Kurt doch zu seiner Freude, wie ein Schimmer von
+Verständniß in den Augen seines Begleiters aufleuchtete. Der Greis
+nickte lebhaft mit dem Kopfe, als Kurt seine Frage wiederholte, ergriff
+dann seine Hand und zog ihn in ein Seitengäßchen hinein, das von einer
+Reihe elender baufälliger Hütten gebildet wurde. Hier bog er, nachdem
+sie etwa hundert Schritte zurückgelegt hatten, in einen Thorweg ein,
+hinter dem sich ein enger von geschwärzten Mauern eingefaßter Hof
+aufthat. In einem Winkel dieses düsteren Raumes führte eine schmale
+zerbröckelnde Stiege in das obere Stockwerk hinauf. Eilfertig kletterte
+der Alte hinan; offenbar war er es gewöhnt, derartige Wege
+zurückzulegen; Kurt folgte zögernd; die ganze Excursion fing an, ihm
+Bedenken einzuflößen und unwillkürlich griff er in den Gürtel, wo sein
+Revolver stak. Oben angelangt, traten sie in ein kleines, ganz kahles
+Gemach, und kaum hatte Kurt einen Schritt über die Schwelle des
+unheimlichen Raumes gethan, als er entsetzt zurückfuhr. Vor ihm, von
+einem Strohhaufen, erhob sich eine Gestalt, die nichts Menschliches mehr
+an sich hatte. Ein unförmlicher Wasserkopf, aus dem stiere, glanzlose
+Augen hervorquollen, ein zahnloser, weit offen stehender Mund, so wankte
+das Gespenst mit gellendem Lachen auf ihn zu. Er roch den muffigen,
+ekelhaften Dunst der Lumpen, sah wie ein Paar fleischloser Arme mit
+spinnenartigen Fingern nach ihm tasteten und ein Grauen überfiel ihn,
+wie er es nie zuvor gekannt hatte. Als er wieder zu sich kam, stand er
+allein draußen auf der Gasse; der Alte war verschwunden, aber aus dem
+unheimlichen Hause gellte ihm noch schauerliches Lachen nach. Scheuen
+Blickes sich umschauend, eilte er mit großen Schritten dem Ausgange der
+Gasse zu. Als er den Lagerplatz erreichte, hatte die Mannschaft soeben
+abgekocht und er sah nun, wie die Eingeborenen, angezogen von dem Dufte
+der brodelnden Speisen, sich gierig herandrängten und sehnsüchtige
+Blicke in die dampfenden Kessel warfen. Der Vorrath der Expedition an
+Conserven aller Art, der unterwegs noch durch reiche Jagdbeute vermehrt
+wurde, war ansehnlich genug, um den armen, hungrigen Leuten manch
+saftigen Bissen zukommen lassen zu können und die Art, in welcher diese
+verkümmerten Geschöpfe ihre Dankbarkeit bezeigten, war wirklich rührend.
+
+Die Sonne neigte sich dem Untergange zu, da bemerkte Kurt, wie zuerst
+Einzelne, dann immer mehr und mehr Eingeborene sich in die Nähe des
+Denkmals begaben, dort auf die Kniee sanken und in betender Stellung
+verharrten. Die Menge vergrößerte sich durch Zuzug aus den umliegenden
+Häusern und Gassen und endlich mochten wohl mehrere Hundert beisammen
+sein, welche ihre Andacht vor dem Standbilde verrichteten. Als der
+letzte Sonnenschimmer verschwunden, schlichen sich die Betenden still
+davon und Kurt sah ihnen, in Gedanken versunken, lange nach. Er hatte
+nicht bemerkt, daß Willy zu ihm getreten war, bis er beim Klange seiner
+Stimme emporfuhr:
+
+»Sie glauben, daß die Männer da oben zwei Brüder aus göttlichem
+Geschlechte vorstellen, die vor vielen hundert Jahren vom Himmel
+herabstiegen, um den Menschen das Licht zu bringen. Die Schlechtigkeit
+der Menschen aber zwang sie, in ihre himmlische Heimath zurückzukehren.
+Nun beten diese Armen zu ihnen, immer in der Hoffnung, daß die
+Göttergestalten einmal wiederkehren und ihnen das verschwundene Paradies
+zurückbringen.«
+
+
+
+
+ 5. Capitel.
+
+ Die Alpen in Sicht. -- Eine Schlappe der Expedition. -- Im
+ deutschen Urwald. -- Das Leben in der Pfahlbauhütte. -- Kurt und
+ Waltraut. -- Die Memoiren des Urahnen.
+
+
+Nach zweimonatlichem Marsche sahen die Expeditionstruppen in der Ferne
+die blauschimmernde Kette der Alpen auftauchen, die sie mit Jubel
+begrüßten; schien es doch Jedem von ihnen, als sei nunmehr der größte
+Theil ihrer schwierigen Aufgabe gelöst. Jenseits dieser Berge begann ja
+die Zone eines südlicheren Himmels, schimmerte das blaue herrliche
+Mittelmeer, und weiter hinaus grüßte die Heimath, das schöne, sonnige
+Afrika. Ehe man den Fuß der Berge erreichte, waren indessen noch
+Hindernisse zu überwinden, welche von Tag zu Tag an Zahl und Größe
+zunahmen. Mächtige pfadlose Urwälder dehnten sich meilenweit vor der
+Truppe aus, die waldfreien Strecken aber bestanden aus unübersehbaren
+Sümpfen, in denen man nur einzeln, Mann für Mann, vorzudringen
+vermochte. Dazu kamen fast täglich die Angriffe kriegerischer
+Eingeborener, denen gegenüber man fortgesetzt auf der Hut sein mußte. Es
+waren kräftige, hochgewachsene Menschen, die sich ihrer primitiven
+Waffen mit großer Geschicklichkeit und einem an Wildheit grenzenden
+Ungestüm bedienten, auch jedem Versuche, friedliche Beziehungen
+anzuknüpfen, entschieden abhold waren.
+
+Am 26. Juli gegen Abend wurde die Colonne, als sie auf schmalem,
+sumpfigem Pfade einen Hohlweg passirte, von allen Seiten mit Heftigkeit
+angegriffen. Ein Hagel von Pfeilen, Wurfspießen und Steinen ergoß sich
+von den mit undurchdringlichem Urwald bedeckten Höhen auf die
+Expeditionstruppen, die sich in einer verzweifelten Lage befanden. Jeder
+Zusammenhalt löste sich auf; der einzelne Mann wehrte sich seiner Haut,
+so gut und so lange er konnte, aber dieser Widerstand gegen einen fast
+unsichtbaren Feind war von Anfang an ein hoffnungsloser. Als die Nacht
+hereinbrach, war es einem Theil der Expedition gelungen, sich mit
+Zurücklassung des Gepäcks aus dem unseligen Hohlwege zu retten; an
+zweihundert Mann aber fehlten und von ihnen fanden sich erst im Laufe
+des nächsten Tages etwa dreißig Versprengte, meistentheils verwundet,
+bei der Truppe wieder ein. Kurt war bald nach Beginn des Gefechtes, von
+einem Keulenschlag getroffen, bewußtlos zusammengesunken, und als er,
+mit dumpfem Schmerz in allen Gliedern und verzehrendem Durste, wieder zu
+sich kam, war es finstere Nacht. Er wollte rufen, aber zugleich fiel ihm
+ein, daß vielleicht Feinde in der Nähe sein könnten und so schwieg er
+und kroch vorsichtig dem Waldrande zu, um hinter den lang herabhängenden
+Tannenästen Schutz zu suchen. Mit der Morgendämmerung setzte er seinen
+Weg im Schatten des Waldes fort, so lange es ihm seine sinkenden Kräfte
+erlaubten. Durch das dichteste Unterholz, über vermoderte Baumstämme,
+durch Sumpf und Gestrüpp, immer angstvoll spähend nach dem Feind, der
+unvermuthet jeden Augenblick auftauchen konnte, so hastete er vorwärts,
+ohne recht zu wissen, wohin. Stunde auf Stunde verrann; die Sonne mußte
+schon hoch am Himmel stehen, aber in die Nacht des Urwaldes spielte nur
+hie und da schüchtern einer ihrer Strahlen an den wettergrauen Stämmen
+herab. Mit dem letzten Reste seiner Kräfte erreichte Kurt endlich gegen
+Mittag eine Quelle, die unter einem Felsblock munter hervorrieselte und
+gänzlich erschöpft warf er sich neben ihr in's Moos. Sein
+Provianttäschchen war ihm glücklicherweise nicht abhanden gekommen, ein
+Stückchen der stärkenden Conserven, welche es enthielt, genügte vollauf,
+seine Kräfte neu zu beleben.
+
+Nach längerer Rast erhob sich der Flüchtling wieder. Die Hoffnung, seine
+Kameraden einzuholen, mußte er vorläufig aufgeben und auf's Geradewohl
+wanderte er weiter, einem ungewissen Schicksal entgegen.
+
+Die Sonne war bereits im Sinken, als er sich am Ufer eines bis in
+unabsehbare Ferne sich ausdehnenden Seespiegels sah. Von menschlichen
+Behausungen war weit und breit keine Spur zu entdecken; was hätten sie
+wohl auch anders bergen können als Feinde? Der Flüchtling wandte sich
+dem Ufer entlang und suchte sich, nicht ohne Mühe, seinen Weg zwischen
+Schilf und Urwald. Plötzlich drangen seltsame liebliche Klänge an sein
+Ohr. Vom See herüber, aus dessen Fluth mannshohes Schilf hervorwucherte,
+tönte der Gesang einer hellen Frauenstimme, als sei eine Nixe
+emporgestiegen aus der Tiefe. Ein uraltes, längst verschollenes
+Volkslied war es, was diese Stimme sang, und leise verhallten die Klänge
+über dem See. Einige Augenblicke blieb Alles still, dann kam es wie
+leise Ruderschläge durch das wehende Schilf heran und mitten aus dem
+grünen Dickicht lugte mit einem Male ein wunderliebliches
+Mädchenantlitz, umflossen von lichtblondem Haar, das lang und aufgelöst
+über die Schultern herabfiel. Wie einen Geist starrte Kurt die holde
+Erscheinung an, die ihm so wundersam bekannt und doch wieder so fremd
+vorkam, und bittend hob er die Hände; wenn ihm Hülfe werden sollte in
+seiner verzweifelten Lage, so kam sie von diesem Wesen, das der Himmel
+selbst zu seiner Rettung in die Wildniß des deutschen Urwaldes geschickt
+haben mochte.
+
+Mit fliegenden Worten sprach er von seinem Schicksal, seiner Flucht
+durch die pfadlosen Wälder und als er beweglich bat, ihm Schutz und
+Obdach gewähren zu wollen, da sah er es seltsam aufleuchten in den
+großen dunklen Augen, die so fest und doch fragend auf ihn gerichtet
+waren, er wußte, daß er verstanden und erhört worden. Mit ein paar
+Ruderschlägen trieb das Mädchen ihr Fahrzeug dicht an's Ufer und winkte
+ihm stumm mit den Augen einzusteigen. Einige Minuten später schwammen
+sie draußen auf der Seefläche. Das Mädchen stand im Rücktheil des
+Fahrzeuges und handhabte die Ruder mit Kraft und Geschicklichkeit;
+unverwandt war ihr Blick auf den See hinausgerichtet, während Kurt die
+Augen nicht abwenden konnte von der schlanken lieblichen Gestalt. Der
+Oberkörper der Schifferin war knapp umschlossen von einem Gewand aus
+feinem, fast schwarzen Pelze, welches Hals und Nacken sowie die Arme bis
+über die Ellbogen hinan frei ließ. Vom Gürtel bis über die Knie herab
+fiel in Falten ein kurzes Kleid aus ähnlichem Stoffe; von seinem Saume
+bis zu den Knöcheln, welche niedliche Schuhe aus Rehleder umschlossen,
+war das schön geformte Bein nackt. Die blonden Haare bildeten einen
+seltsamen Gegensatz zu den großen dunklen Augen, die von langen, ebenso
+dunklen Wimpern beschattet wurden. Weibliche Anmuth und selbstbewußte
+Kraft sprachen aus jeder Bewegung des biegsamen Leibes. Ohne ein Wort zu
+wechseln, waren sie so geraume Zeit dahingefahren; schon begann sich die
+Dämmerung leise über den See zu legen, da hielt das Mädchen einen Moment
+inne und deutete mit der Hand auf eine dunkle Masse, die aus der Fluth
+emporragte:
+
+»Meines Vaters Hütte! -- Hier bist Du sicher!« --
+
+ * * * * *
+
+Seit mehr als Monatsfrist lebte Kurt in der Hütte des Pfahlbauers am
+Ammersee und kaum merklich begann schon der Herbst seine ersten Boten in
+die Wald- und Seeeinsamkeit zu senden. An jenem Sommerabend, als die
+Beiden an der Hütte landeten, hatte sie der Pfahlbauer mit verwunderten
+Mienen zwar, aber schweigend empfangen und dem Flüchtling die Hand zum
+Willkommgruße dargereicht. Dann hatte er ihn in den Wohnraum geführt,
+ihn zum Sitzen eingeladen und gutmüthig mit lächelndem Antlitz
+zugesehen, wie sein Gast über den Imbiß herfiel, den das Töchterlein
+eilfertig herbeigetragen hatte. Seit jener Stunde war Kurt kein
+Fremdling mehr in der Hütte, und ihm, der gewohnt war, in der
+glanzvollen Metropole am Victoria-Nyanza die Errungenschaften einer hoch
+entwickelten Cultur zu genießen, flogen in dieser Wildniß die Tage mit
+einer traumhaften Schnelligkeit dahin. Der alte Günther, eine hohe,
+kraftvolle Gestalt, dem der schneeige Bart weit über die Brust
+herabfloß, nahm ihn fast täglich mit hinaus auf die Jagd oder zum
+Fischfang; in den übrigen Stunden des Tages gab es stets Arbeit in Hülle
+und Fülle und die Abendstunden vergingen nur allzu schnell im traulichen
+Geplauder auf der Bank vor der Hüttenthür, wo man weit hinaussehen
+konnte über die goldigschimmernde Fluth bis hinüber zu der blauen
+Alpenkette; die liebsten Stunden aber waren dem Flüchtling jene, welche
+er mit der blonden Waltraut zusammen im Kahn verbringen durfte. Die
+Hütte auf mächtigen Eichenpfählen an einer seichten Seestelle errichtet,
+war auf allen Seiten von Wasser umgeben und der Nachen, auf dem Kurt
+hierhergekommen, war daher das Verkehrsmittel, dessen man sich bedienen
+mußte. Am Südrande des Sees, umgeben von einem festen Zaune, war ein
+Stück Urwald gerodet und in Acker und Wiesfeld verwandelt. In
+wohlgefügter Blockhütte standen daselbst zwei Kühe, das werthvollste
+Besitzthum des Pfahlbauers und fast täglich gab es dort für Waltraut
+dies oder jenes zu schaffen, wobei ihr die Hilfe Kurts nicht
+unwillkommen schien. So zutraulich und herzlich aber auch Waltraut,
+schier wie ein Schwesterlein, sich ihm gegenüber zeigte, so scheu und
+zurückhaltend wurde ihr Benehmen, sobald er sich hinreißen ließ, einen
+wärmeren Ton anzuschlagen, ihre Hand zu fassen oder gar scherzend den
+Arm um ihre Hüfte zu legen. Er selbst aber, voll des redlichsten
+Willens, die ihm erwiesene Gastfreundschaft heilig zu halten, zwang sich
+mit Macht, die immer mehr in ihm aufsteigende Leidenschaft
+niederzukämpfen.
+
+Die letzten warmen Herbsttage mit ihrem geheimnißvollen duftigen
+Schleier aus Nebel und Sonnengold waren vorübergegangen; in der Nacht
+hatte sich ein grimmiger Sturmwind aufgemacht und fuhr, Regenschauer vor
+sich her treibend, über die blaugraue Fluth, daß sie in langgestreckten
+schweren Wogen aus der nebligen Ferne gegen die Hütte heranzog. Drinnen
+aber in dem engen Bau war's gar behaglich, denn von den Resten der
+untergegangenen europäischen Cultur hatte sich gerade noch genug in
+diesen Räumen erhalten, um das Leben in der Unwirthlichkeit des Urwaldes
+erträglich zu machen. So saßen sie an einem der Winterabende, während
+draußen der See schon allmählich zu erstarren begann, gar traulich
+beisammen; Kurt erzählte seinen Freunden von den Wundern Afrika's und
+als er geendet, erinnerte er Vater Günther, daß ihm dieser unlängst bei
+einem Jagdausfluge versprochen habe, ihn über die Ursachen der großen
+Catastrophe, welche das alte deutsche Reich getroffen und seine fast
+zweitausendjährige Cultur zerstört hatte, aufzuklären. Der Alte nickte
+mit ernster Miene, nahm den qualmenden Kienspahn aus der Mauerfuge und
+verließ schweigend das Gemach. Nach einigen Minuten kehrte er zurück und
+legte ein in Leder gebundenes Buch auf den Tisch, welches jenen dumpfen
+modrigen Geruch verbreitete, der alten Schriftwerken eigen ist. Voll
+brennender Neugier schaute Kurt auf das Buch, das ihm Aufschluß geben
+sollte über eine in Dunkel gehüllte Geschichtsepoche.
+
+»Diese Schrift hat mein Urahne niedergeschrieben, als er vor vielen
+hundert Jahren aus seiner Heimath in Thüringen an die Gestade dieses
+See's flüchtete,« sprach der Alte mit einer gewissen Feierlichkeit, »es
+ist eine traurige Geschichte voll Blut und Thränen, die Dir Aufschluß
+geben wird, wie ein großes blühendes Reich durch den Unverstand der
+Menschen in eine Wildniß verwandelt wurde. Wir haben das Buch aufbewahrt
+wie ein Heiligthum und kein menschliches Auge, außer den unsrigen, hat
+noch darauf geruht. Waltraut soll es uns vorlesen, denn meine Augen
+taugen nicht mehr zu solchem Geschäft und Dir sind die krausen
+Schriftzüge der Vorzeit nicht geläufig.« Neue Kienspähne wurden in Brand
+gesetzt, Waltraut nahm das Buch und begann.
+
+
+
+
+ 6. Capitel.
+
+ Deutschland am Ende des neunzehnten Jahrhunderts. --
+ Socialdemokratische Zukunftsbilder und ihre Folgen. -- Der
+ Staatsstreich des Jahres 1900. -- Untergang der Socialdemokratie.
+
+
+»Eine wilde schreckliche Zeit liegt hinter mir. Ich bin Zeuge von
+Ereignissen gewesen, an die ich noch jetzt, wo seitdem schon Jahre
+verflossen sind, nur mit Schaudern zurückdenken kann. Alles Bestehende
+habe ich zusammenbrechen sehen, ein mächtiges Reich in Trümmer fallen
+und die Menschen sich zerfleischen wie wilde Thiere. Mit Entsetzen habe
+ich erkannt, daß es kein Zufall war, der all' den Jammer über mein armes
+Vaterland brachte; eigenes Verschulden der verblendeten Menschheit hat
+das Geschick heraufbeschworen, dem nun Alles, was Jahrhunderte
+geschaffen, zum Opfer gefallen ist. Rechtzeitige Erkenntniß, gepaart mit
+ein wenig gutem Willen, hätte uns vor dem Abgrunde bewahren können. Aber
+es war, als seien Alle mit Blindheit geschlagen. In der unersättlichen
+Gier nach Reichthum taumelten die Menschen vorwärts, der Warnungsrufe
+nicht achtend, immer dem Ende zu, das auch mit Schrecken gekommen ist,
+just als sie es am weitesten entfernt glaubten. Ich habe die
+Aufzeichnungen, die ich in der schrecklichsten Zeit meines Lebens
+machte, gesammelt, in der Erwartung, daß einst kommende Geschlechter
+eine Lehre aus denselben ziehen werden. Die Ereignisse, welche dem
+allgemeinen Zusammenbruch vorausgingen und die ich nur theilweise selbst
+erlebte, stelle ich in Kürze an die Spitze meiner Aufzeichnungen. Und
+somit beginne ich:
+
+Gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts war Deutschland das mächtigste
+Reich der Welt. Unzählige reiche blühende Städte und freundliche Dörfer
+bedeckten seinen Boden; sein Heer und seine Flotte war bewundert und
+gefürchtet, deutsche Kunst und Wissenschaft galten der übrigen Welt als
+glänzende Vorbilder, und was deutsche Arbeit in rastlosem Wetteifer
+schuf, ging als vielbegehrte Waare hinaus bis in die fernsten
+überseeischen Länder. Auf dem Kaiserthrone saß ein junger thatkräftiger
+Herrscher, der es mit kluger Mäßigung verstand, die ungeheuere ihm zu
+Gebote stehende Macht nur zur Wahrung des Friedens in die Wagschaale zu
+werfen und eine Schaar blühender Söhne schien ihm auf unabsehbare Zeit
+hinaus Glück und Bestand seines Hauses zu verbürgen.
+
+Wohl fehlte es nicht an dunklem drohendem Gewölke, das von Zeit zu Zeit
+emporstieg, aber stets verstand es die Kunst der Staatsmänner, die
+Gefahren, welche von rachsüchtigen oder neidischen Nachbarn drohten,
+wieder zu beschwören; der Respect vor der großartigen Wehrkraft
+Deutschlands und seiner Verbündeten that aber stets das Meiste zur
+Erhaltung des Friedens. Für weit bedenklicher indessen hielt man die
+Gefahr, welche dem Reiche von Innen drohte.
+
+Zur Erläuterung dessen muß ich auf eine noch weiter abliegende Zeit
+zurückgreifen. Im Verlaufe des neunzehnten Jahrhunderts hatte sich die
+Industrie zu einer noch nie vorher erreichten Höhe aufgeschwungen. An
+Stelle der kleinen Handwerksbetriebe des Mittelalters war zuerst die
+Manufactur getreten, d. h. jene Gattung von Großbetrieben, in welcher
+jeder Arbeiter jahraus, jahrein nur einen ganz bestimmten Theil eines
+Productes herstellte, in denen also eine weitgehende Arbeitstheilung
+herrschte, die Geschicklichkeit des Arbeiters aber immer noch
+ausschlaggebend war für die Beschaffenheit des fertigen Productes. Ein
+großer Theil der einst selbständigen Handwerker war schon damals zu
+Lohnarbeitern geworden, deren Existenz von den Fabrikanten abhängig war;
+in ganz rapider Weise aber begann sich dieser Umwandlungsproceß zu
+vollziehen, nachdem der Fortschritt in den Naturwissenschaften zu der
+Erfindung zahlloser Arten von Maschinen geführt hatte, welche die
+Herstellung der Producte ganz unabhängig machten von der Tüchtigkeit des
+Arbeiters und mit ungeheuren Massen Waaren aller Art den Weltmarkt
+überschwemmten. Die Zahl der besitzlosen Lohnarbeiter schwoll zu einer
+solchen Höhe an, daß ihr gegenüber diejenige der Besitzenden fast
+verschwand, und diese Masse wurde noch fortwährend vermehrt durch solche
+Handwerker, welche den Wettkampf mit der im Großen arbeitenden Industrie
+nicht auszuhalten vermochten und ihre Selbständigkeit verloren. Auf der
+einen Seite standen also die Besitzenden, ein kleiner Bruchtheil der
+Gesammtheit, welcher allen Grund und Boden, alle Rohstoffe, Gebäude,
+Maschinen sein Eigen nannte, und deshalb den Nutzen der gesammten
+Arbeitsthätigkeit und aller menschlichen Erfindungen einheimste, während
+auf der anderen Seite die ungeheure Masse der Besitzlosen stand, denen
+nichts geblieben war, als ihre Arbeitskraft, von deren Verkauf sie ihr
+Leben fristete. Je mehr sich aber das Maschinenwesen vervollkommnete,
+desto krasser gestaltete sich dieses Mißverhältniß. Die Arbeit an den
+Maschinen vereinfachte sich derart, daß ein Weib oder schließlich ein
+Kind genügte, um das zu verrichten, was ehedem die Thätigkeit von
+zwanzig Männern erheischt hatte. Die Fabrikanten entließen also ihre
+Arbeiter und behalfen sich mit Frauen- und Kinderarbeit, die ihnen weit
+billiger kam. Dadurch entstand nicht nur ein Heer von Arbeitslosen, die
+meistens bis zur tiefsten Stufe menschlichen Elends herabsanken, sondern
+es wurde auch der Lohn der noch in Arbeit befindlichen Männer auf ein
+Minimum herabgedrückt, so daß diese Unglücklichen auch bei
+angestrengtester Arbeit von früh bis in die Nacht nicht mehr im Stande
+waren, sich und die Ihrigen mit den nothwendigsten Lebensbedürfnissen zu
+versorgen. Diese Zustände hatten aber noch Anderes im Gefolge. Die
+Arbeiterfamilie löste sich gänzlich auf in dem Augenblicke, als die Frau
+ihrem häuslichen Wirkungskreise entzogen und in die Fabrik versetzt
+wurde; der Schulbesuch der Arbeiterkinder wurde vernachlässigt, Wohnung
+und Kost der Proletarier sank zu einer menschenunwürdigen Stufe herab
+und die Prostitution begann in erschreckender Weise um sich zu greifen.
+
+Waren diese schreienden Uebelstände schon fühlbar in solchen Zeiten, in
+denen die Industrie in Flor stand und es an Arbeit meistens nicht
+fehlte, so wurden sie noch weit fühlbarer, sobald, in Folge der
+allzueifrigen Production, die Preise der Waaren sanken, der Handel
+stockte und zahlreiche Fabriken den Betrieb einstellten. Das Heer der
+Arbeitslosen, der ohne Nahrung und Obdach Umherirrenden, wuchs
+dann lawinenartig an und schreckliche Leiden kamen über die
+Arbeiterbevölkerung.
+
+Aber auch die Besitzenden waren in solchen Zeiten nicht auf Rosen
+gebettet. Das verwickelte Getriebe der ganzen Wirthschaftsmethode, in
+welcher die Concurrenz die einzige Triebfeder war, stellte einen überaus
+empfindlichen Mechanismus dar. Ein geringfügiges Ereigniß konnte
+genügen, um unzählige Existenzen zu vernichten; Niemand, auch der
+Reichste nicht, durfte sicher sein, daß ihn der nächste Tag nicht in die
+Reihen der Besitzlosen hinabschleudern werde. Seit Mitte des neunzehnten
+Jahrhunderts machte sich nun in den Arbeiterkreisen eine Bewegung
+bemerkbar, welche auf eine Umwandlung dieser wahnsinnigen
+Productionsweise in eine vernünftigere abzielte. Man erkannte in dem
+Umstande, daß sich alle Behelfe zur Erzeugung von Producten, d. h. Grund
+und Boden, Maschinen, Werkzeuge, Rohstoffe &c., im Privatbesitz
+Einzelner befanden, somit die große Mehrheit der Bevölkerung von diesen
+Productionsmitteln getrennt war, die Grundursache der verderblichen
+Wirthschaft. Das Heil Aller, so lautete die Parole, liege darin, daß an
+die Stelle des Privatbesitzes an den Productionsmitteln, der
+Allgemeinbesitz trete. Die Partei, welche dieses Ziel anstrebte, nannte
+man die socialistische, oder socialdemokratische und ihre Anhänger waren
+von Seite des Staates und der besitzenden Classen allerhand Bedrückungen
+und Gewaltmaßregeln ausgesetzt. Die sociale Frage aber, deren Lösung sie
+auf ihre Fahne geschrieben hatte, war nachgerade die brennendste von
+allen geworden; sie beschäftigte alle Gemüther, hielt die Parlamente in
+Athem, setzte Tausende von Federn in Bewegung und bemächtigte sich aller
+Gebiete des öffentlichen Lebens. Wie hundert Jahre früher der
+Bürgerstand um seine Erlösung aus den Fesseln des Absolutismus gekämpft
+hatte, so suchte jetzt die große Masse des Proletariats nicht allein
+sich selbst, sondern die ganze Welt zu erlösen von einer täglich
+ungesunder werdenden Productionsweise, von einer wirthschaftlichen
+Knechtschaft, deren Druck zwar am empfindlichsten auf den untersten
+Volksschichten ruhte, welche aber auch den oberen Ständen in immer
+unangenehmerer Weise fühlbar wurde. Die Socialdemokratie hatte in der
+zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts aus bescheidenen Anfängen,
+trotz aller Hindernisse, welche ihr der Staat in den Weg legte, eine
+großartige Organisation geschaffen, welche sich über die ganze
+civilisirte Welt erstreckte und Millionen begeisterter Anhänger in ihren
+Reihen zählte. Diese ungeheure, ein und derselben Parole folgende Masse
+verhielt sich indessen durchaus streng in den Grenzen der bestehenden
+Gesetze. Aber mit unverwüstlicher Zähigkeit strebte sie unausgesetzt
+darnach, politische Rechte zu erringen, wo ihr dieselben versagt waren,
+oder ihre Wünsche und Beschwerden in den gesetzgebenden Körpern zur
+Geltung zu bringen, dort wo sie Vertreter in die Parlamente entsenden
+durfte. Nicht zufrieden damit, unablässig an der materiellen Hebung des
+Arbeiterstandes zu wirken, bestrebte sie sich auch, stets eingedenk des
+Wortes: »Bildung ist Macht«, das geistige Niveau ihrer Anhänger zu heben
+und dies war ihr mit Hülfe unzähliger Vereine, Bibliotheken,
+Zeitschriften, Flugblätter u. s. w. bereits am Ausgange des neunzehnten
+Jahrhunderts so gut gelungen, daß das durchschnittliche Bildungsniveau
+der Arbeiter dasjenige der Kleinbürgerschaft merklich überstieg und daß
+sie im Stande waren, aus ihren Reihen Schriftsteller, Journalisten und
+Redner auf den politischen Kampfplatz zu schicken, welche den
+Geisteskoryphäen der Bürgerschaft, des Adels und der Geistlichkeit
+nichts nachgaben. Mit ungeheurer Kraftanstrengung und eiserner Energie
+hob sich die Arbeiterschaft aus tiefstem Elende zu einer geistigen und
+sittlichen Höhe empor, welche sie befähigen mußte, in jenem Momente als
+zielbewußte, politisch reife Macht aufzutreten, in welchem die Zügel den
+schlaffen Händen der besitzenden Klassen entfallen würden. _Je tüchtiger
+und reifer die Arbeiterschaft in diesem Augenblicke war, desto leichter
+und schmerzloser mußte sich die unvermeidliche Umwälzung vollziehen._
+
+Fast alle Staaten der civilisirten Welt sahen sich wohl oder übel durch
+die immer gewaltiger anschwellende Bewegung genöthigt, ihr Augenmerk den
+socialen Mißständen zuzuwenden, was sie bisher gänzlich verabsäumt
+hatten. Man versuchte von Staats wegen das oft überaus traurige Loos der
+arbeitenden Klassen zu bessern; man gründete Krankenkassen, Unfalls- und
+Altersversicherungskassen für die Arbeiter, man stellte
+Gewerbeinspectoren an, welche die Thätigkeit in den Fabriken und anderen
+Gewerben überwachen und Mißbräuche abstellen sollten, man baute
+Arbeiterhäuser, Volksküchen u. s. w., aber man verfuhr dabei in den
+meisten Fällen mit einer so pedantischen Engherzigkeit, daß der Nutzen
+aller dieser Anstalten ein sehr mäßiger blieb und die berechtigten
+Forderungen der Arbeiter dadurch nicht befriedigt wurden. Gleichwohl
+schien es zu jener Zeit, als sollte sich die Umwälzung in der
+wirthschaftlichen Productionsweise, welche von der Socialdemokratie
+angestrebt wurde, auf friedlichem Wege und sehr langsam vollziehen, denn
+einerseits wurde die capitalistische Gesellschaft durch die Macht der
+Verhältnisse immer mehr und mehr in eine Bahn gedrängt, auf der ihre
+Umgestaltung nach dem Sinne der Socialdemokratie nur noch eine Frage der
+Zeit sein mußte, und andererseits wäre eine gewaltsame Auflehnung gegen
+die furchtbaren Machtmittel des Staates heller Wahnsinn gewesen, eine
+Erkenntniß, welcher sich selbst die radicalsten Führer der socialen
+Bewegung nicht verschließen konnten.
+
+So standen die Dinge zu Beginn des letzten Decenniums im neunzehnten
+Jahrhundert, als ein unvorhergesehenes Ereigniß die friedliche
+Entwicklung der Gesellschaftsreform für unabsehbare Zeit verhinderte.
+
+Im Jahre 1892 erschien in der Hauptstadt des deutschen Reiches ein
+Büchlein, welches ungeheueres Aufsehen machte und in Hunderttausenden
+von Exemplaren verbreitet wurde. Der Titel dieses verhängnißvollen
+Büchleins war: »Socialdemokratische Zukunftsbilder«, der Verfasser:
+einer der ersten Redner des Parlaments, Eugen Richter, welcher an der
+Spitze der sogenannten freisinnigen Partei stand und ein erbitterter
+Feind der Socialdemokratie war. In diesem Buche schilderte er mit
+glühender Phantasie die Schreckensbilder, denen Deutschland
+entgegengehen werde, falls es jemals der Socialdemokratie gelingen
+sollte, ihre Pläne zur practischen Ausführung zu bringen, d. h. den
+socialen Staat an Stelle des capitalistischen in's Leben zu rufen. Mit
+gieriger Hast wurden die, in den düstersten Farben gehaltenen
+Schilderungen vom deutschen Publikum verschlungen; die Wirkung war eine
+ungeheure. Mit _einem_ Schlage war der ganze erschreckliche Abgrund, dem
+das Vaterland entgegentaumelte, vor den bestürzten Blicken enthüllt;
+Tausende und Abertausende, von Entsetzen übermannt, für ihre eigene, wie
+für die Existenz ihrer Familien zitternd, verlangten ungestüm Hülfe und
+Rettung von der Allmacht des Staates. Der Kaiser schwankte; noch konnte
+er sich nicht entschließen, zu dem früher oft angewendeten Mittel
+gewaltsamer Unterdrückung zu greifen.
+
+Da kamen die Reichstagswahlen von 1895, und die socialdemokratische
+Fraction, bisher sechsunddreißig Mitglieder zählend, wuchs auf fünfzig
+an; es kamen die Wahlen des Jahres 1900 und mit _einem_ Schlage ward die
+Socialdemokratie zur mächtigsten Partei des Parlamentes, in dem sie
+nicht weniger als neunzig Mandate ihr Eigen nannte, während die
+sogenannten Ordnungsparteien, in zahllose Fractionen und Fractiönchen
+gespalten, dieser ehernen Phalanx gegenüber in ohnmächtiger Verwirrung
+dastanden. Ein Todesschrecken erfaßte die ganze Bourgeoisie, den Geld-
+und Geburtsadel, die Geistlichkeit aller Confessionen und nicht zum
+Mindesten den Kaiserhof selbst. Es schien, als stünde das jüngste
+Gericht vor den Thoren, und der Ruf nach Hülfe vor dem drohenden
+Untergange wurde lauter und eindringlicher als je. Noch stand ja der
+Regierung die große, herrliche, in hundert Schlachten und Gefechten
+siegreich gewesene Armee zur Verfügung, auf die man sich fest verlassen
+konnte, wenn es galt, die schwer bedrohte Gesellschaftsordnung zu
+retten. Die Regierung, von allen Seiten bestürmt, zögerte nun auch nicht
+mehr länger, energische Maßregeln zu ergreifen.
+
+Am Morgen des 10. April 1900 prangten an allen Straßenecken Berlins
+große Zettel, welche die Auflösung des Reichstages und die Abschaffung
+des allgemeinen Wahlrechtes für die neu auszuschreibenden
+Reichstagswahlen ankündigten. Zugleich erfuhr man, daß sämmtliche
+socialistische Abgeordnete beim ersten Morgengrauen durch starke
+Abtheilungen von Militär und Schutzleuten aus ihren Wohnungen abgeholt
+und in geschlossenen Wagen unter Kavallerie-Eskorte nach Spandau
+transportirt worden wären.
+
+Die erste Wirkung war die eines lähmenden Schreckens, welcher das Volk
+in der Hauptstadt urplötzlich ergriffen zu haben schien. Anfänglich
+blieb Alles ruhig, aber die Straßen im Centrum der Stadt füllten sich
+von Stunde zu Stunde immer mehr mit den von den Vorstädten
+hereinströmenden Volksschaaren. Alle Geschäfte, alle Fabriken stellten
+ihre Thätigkeit ein, und die dort beschäftigten Arbeiter vergrößerten
+die durch die Straßen wogenden Massen. Aber auf dieser ganzen
+ungeheueren Menge lastete ein dumpfes Schweigen; nur flüsternd ward die
+Kunde von dem, was geschehen, von Mund zu Mund getragen; man ahnte, daß
+Schreckliches folgen werde, aber Niemand hatte den Muth, das Losungswort
+zu geben. So wurde es Mittag; mit klingendem Spiele kam, wie alltäglich,
+die Wache zur Ablösung der Posten am Schlosse und den anderen
+öffentlichen Gebäuden dahergezogen. Die Menge stand unbeweglich wie eine
+Mauer, und wie das Grollen der See, wenn der erste Windstoß über sie
+hinfährt, so begann beim Anblick des Militärs ein dumpfes Murren und
+Brausen in der hunderttausendköpfigen Masse. Erst der Versuch, diese
+lebendige Mauer mit Gewalt zu durchbrechen, brachte Bewegung in
+dieselbe. Zwei Minuten später war die Abtheilung Soldaten über den
+Haufen gerannt, entwaffnet, wer sich zur Wehr setzte, niedergemacht; das
+erste Blut war geflossen und der Anblick desselben berauschte das Volk.
+Der Aufruhr hatte begonnen! Aus den Riesengebäuden der Kasernen ergossen
+sich die bereit gehaltenen Regimenter in die Straßen und vertheilten
+sich nach dem schon vorher festgestellten Plane, während aus den
+Nachbarstädten bereits Zug auf Zug, vollgepfropft mit Truppen, zur Hülfe
+herbeisauste. Fünf Tage und Nächte lang wogte der Straßenkampf von einem
+Ende der Residenz bis zum anderen. Auch das Volk erhielt Verstärkung;
+Tausende von Bauern und Fabrikarbeitern zogen von allen Seiten zur
+Unterstützung herbei, aber das Ringen war, trotz allen Heldenmuthes der
+Insurgenten, vom Anfang an durch die Ueberlegenheit der Waffen und der
+Disciplin zu Gunsten der Truppen entschieden. Auch die anderen blutigen
+Aufstände, welche an zahlreichen Orten des Reiches emporloderten, wurden
+bald niedergeschlagen; die letzten Schaaren der Freiheitskämpfer
+flüchteten in die Wälder und Gebirge an der böhmischen Grenze und
+führten dort noch Monate lang einen erbitterten Guerillakrieg gegen die
+sie verfolgenden Soldaten und Gensdarmen.
+
+Das Strafgericht, welches folgte, war schrecklich; die überall
+eingesetzten Kriegsgerichte verfuhren mit draconischer Strenge, und bald
+lag die Ruhe des Friedhofes über dem aus tausend Wunden blutenden
+Vaterlande.
+
+Einige Monate später trat der, nach dem neuen Wahlgesetze, dem ein
+engherziger Census zu Grunde gelegt worden war, gewählte Reichstag
+zusammen. Natürlich war kein einziger Socialdemokrat mehr in demselben
+zu erblicken. Was die Waffen begonnen, sollte nun die Gesetzgebung
+vollenden: die gänzliche Niederwerfung, nein! Ausrottung der
+Socialdemokratie. Alle »Ordnungsparteien« halfen bereitwilligst der
+Regierung bei diesem Werke. Sämmtliche Arbeiterblätter wurden
+unterdrückt, die Arbeitervereine aufgelöst, jeder politisch Verdächtige
+festgenommen. In letzterer Beziehung gingen übereifrige Polizeiorgane
+sogar so weit, daß Herr Eugen Richter, am nämlichen Tage, an welchem der
+Reichstag den Regierungsantrag einstimmig annahm, Herrn Richter wegen
+seiner Verdienste um die Vernichtung der Socialdemokratie bei Lebzeiten
+schon ein Denkmal zu setzen, -- daß Herr Eugen Richter am nämlichen Tage
+bei einem Haare auf den Schub gekommen wäre. Gleichzeitig ging man auch
+daran, den Arbeitern durch Erschwerung ihrer Existenz den »Brodkorb«,
+wie man sich ausdrückte, höher zu hängen. Hunger und Elend sollte die
+gefährliche Masse mürbe machen. Zuerst wurden sämmtliche
+Gewerbeinspectorate abgeschafft, die Bestände der Krankenkassen,
+Unfallversicherungs-, Invaliditäts- und Altersversicherungskassen
+eingezogen und zur Gutmachung jenes Schadens verwendet, den der Aufstand
+verursacht hatte.
+
+Den Arbeitgebern wurde vollständig freie Hand gelassen in Bezug auf
+Verwendung weiblicher und jugendlicher Arbeiter, sowie schulpflichtiger
+Kinder; die Beschränkungen der Arbeitszeit, sowohl bei Tage, wie bei
+Nacht, wurden aufgehoben -- mit einem Worte: Alles, was vor dem großen
+Aufstande an Schutzmaßregeln zu Gunsten der Arbeiter und _aus Furcht vor
+der Socialdemokratie_ geschaffen worden war, wurde rückgängig gemacht.
+
+Zu Anfang des Jahres 1901 war das große Werk gethan: _Die
+Socialdemokratie hatte aufgehört zu existiren, der ruhigen Entwicklung
+der capitalistisch organisirten Gesellschaft stand nichts mehr im Wege_,
+denn auch in allen übrigen civilisirten Staaten hatten sich ähnliche
+Vorgänge abgespielt. Zum ersten Male seit langen, langen Jahren athmete
+der friedliche Bürger wieder beruhigt auf. Herr Eugen Richter aber stand
+auf dem Gipfel einer Popularität, gegen welche selbst die seines
+einstigen Feindes Bismarck verblaßte.
+
+
+
+
+ 7. Capitel.
+
+ Die weitere Entwicklung der capitalistischen Gesellschaftsordnung.
+ -- Arbeiter und Bauern im Jahre 1970. -- Die oberen Zehntausend
+ im 20. Jahrhundert. -- Krisen und Kartelle. -- Die letzte
+ Actiengesellschaft. -- Bellamy's Prophezeiung. -- Was Herr Eugen
+ Richter gesäet hat.
+
+
+Die Lage der arbeitenden Classen begann nun eine unsagbar traurige zu
+werden. Die Fabrikanten, durch keine Rücksicht mehr gebunden,
+erniedrigten die Löhne weit unter das bisherige Niveau, erhöhten aber
+andererseits die Arbeitszeit bis zur äußersten Grenze. In
+rücksichtslosester Weise nutzten sie vornehmlich die Arbeitskraft der
+Frauen und Kinder aus; vom zartesten Alter angefangen, wurden die Kinder
+in die Fabriken getrieben, die ihnen weder zum Spiele noch zur Schule
+Zeit übrig ließen; die Wöchnerinnen, kaum daß sie entbunden hatten,
+schleppten sich wieder zur Maschine heran. Während die Arbeitszeit der
+Frauen und Kinder beständig anwuchs, lungerten große Schaaren
+arbeitsloser Männer auf den Straßen umher, bereit, für den geringsten
+Entgelt jede beliebige Arbeit zu übernehmen. Von einem eigenen Heerde,
+von einem Familienleben wußte der Arbeiter nichts mehr; die
+jämmerlichen, schmutzstarrenden Löcher, in denen er mit Weib und Kindern
+und »Schlafgängern«, wie die Häringe zusammengepfercht, seine Nächte
+verbrachte, verdienten den Namen menschlicher Wohnungen nicht. Seine
+Nahrung war gänzlich unzureichend, einem menschlichen Körper die
+nöthigste Kraft, die er verausgabt, wieder zu ersetzen; seine Kleidung
+bestand in Lumpen; er kannte nicht die Wohlthat eines erfrischenden
+Bades, eines Spazierganges in Wald oder Feld, er wußte nichts von
+Unterhaltung oder Zerstreuung, er bekam nie mehr ein Buch oder eine
+Zeitung in die Hand; _wenn er Arbeit hatte, so war er ein Sclave, bekam
+er keine, so wurde er zum Vagabunden_. Als die ersten Decennien des
+zwanzigsten Jahrhunderts vollendet waren, war aller Orten eine
+Arbeitergeneration herangewachsen, welche derjenigen vor dem großen
+Aufstande in keiner Beziehung mehr glich. Der Arbeiter von 1890 war, der
+großen Mehrzahl nach, intelligent, wißbegierig, belesen und in
+körperlicher Beziehung ziemlich gesund und kräftig; im Jahre 1930 war
+die Arbeiterschaft im Großen und Ganzen bereits sowohl körperlich als
+geistig tief gesunken. Die schwächlichen strapazirten Frauen hatten noch
+schwächlichere, ungesunde Kinder zur Welt gebracht, die beinahe ohne
+Pflege und ohne Unterricht aufwuchsen, schon frühzeitig bei endloser
+einförmiger Arbeit in den Fabriken verblödeten und die Keime unheilbarer
+Krankheiten einsogen.
+
+Der Durchschnittsarbeiter von 1930 war ein schwaches, engbrüstiges,
+schwindsüchtiges Individuum, das mit eingefallenen Wangen und
+schlotternden Knieen zur Arbeit wankte und seine wenigen Freistunden in
+dumpfem, apathischem Brüten verbrachte. Der Proletarier von 1970 aber,
+zu einer Zeit wo der menschliche Erfindungsgeist die herrlichsten
+Triumphe gefeiert und Wunderwerke der Technik vollendet hatte, der
+Proletarier von 1970 war ein Geschöpf, das Mitleid und Entsetzen
+gleichzeitig einflößte. Einen entsetzlichen Umfang hatte insbesondere
+die Prostitution angenommen. Die Löhne der Arbeiterinnen waren so
+niedrig, daß sie, um leben zu können, direkt auf die Prostitution
+angewiesen waren. Die Fabrikanten rechneten von vornherein darauf, daß
+die Frauen und Töchter der Arbeiter den Ausfall in ihren Einnahmen durch
+Verkauf ihres Körpers decken würden, aber die Schaaren dieser
+Unglücklichen waren nur ein Bruchtheil des ungeheuren Heeres Jener,
+welche sich gänzlich dem Schandgewerbe ergeben hatten. Zu Tausenden
+füllten diese Geschöpfe die Straßen der Vorstädte, und auch die
+unerbittlichste Polizeistrenge vermochte sie nicht ganz aus den
+eleganten Vierteln zu verdrängen.
+
+Gänzlich hoffnungslos war auch die Lage des Kleingewerbes, insoweit
+überhaupt von einem solchen noch gesprochen werden konnte. Durch das
+rapide Anwachsen der Großindustrie war schon früher das Kleingewerbe arg
+geschädigt worden; seine Lage war aber damals noch glänzend zu nennen im
+Vergleiche mit dem jetzigen Zustande. Eine andere Arbeit, als wenig
+lohnende Reparaturen, gab es überhaupt nicht mehr für den kleinen
+»selbständigen« Meister. Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts war z. B.
+ein Schustermeister, der die Anfertigung eines Paares Stiefeln in
+Auftrag erhielt und diesen Auftrag auch auszuführen verstand, oder ein
+Schneidermeister, der einen Anzug von A bis Z herzustellen wußte, eine
+Seltenheit. Um 1970 waren die meisten Handwerksfertigkeiten vollständig
+verloren gegangen; nur so weit, als es im Dienste der Großindustrie und
+bei einer weitgehenden Arbeitstheilung nöthig war, hatten sich diese
+Fertigkeiten erhalten. Es gab wohl Arbeiter, welche mit Hobelmaschinen
+umzugehen wußten, und solche, welche mit Maschinenhülfe täglich ein paar
+Hundert Stuhlbeine anzufertigen verstanden; es gab aber keine Tischler
+mehr, welche ganz selbständig, nur mit dem Handwerkszeug des neunzehnten
+Jahrhunderts ausgerüstet, einen Stuhl, einen Tisch oder einen Schrank
+anzufertigen fähig gewesen wären. Der Bildungsgrad der noch übrigen
+Kleinmeister war der denkbar niedrigste. Ihre Lage war so hoffnungslos
+und der Kampf um's Dasein, den sie zu führen hatten, ein so harter, daß
+ihnen schon längst jeder Trieb zur Weiterbildung, zur Vermehrung ihrer
+spärlichen Kenntnisse abhanden gekommen war. Sie waren einfach nichts
+als Proletarier, welche von den Abfällen der Großindustrie lebten, ohne
+Urtheilskraft, ohne Energie, ewig jammernd, ewig schimpfend, aber nicht
+im Stande, ihre klägliche Situation auch nur um Haaresbreite zu
+verbessern. Was die Lage der Landbevölkerung anbetrifft, so war dieselbe
+nicht viel besser. Schon in den letzten Decennien des neunzehnten
+Jahrhunderts war die Position der Bauern, die ihre Selbständigkeit
+bewahrt hatten, eine sehr ungünstige. Die Bewirthschaftung ihrer mit
+Hypotheken überbürdeten Güter wurde immer schwieriger und immer weniger
+nutzbringend. Der Großgrundbesitz, der immer mehr Land an sich riß, die
+Großindustrie, welche immer mehr Fabriken errichtete und der Staat,
+welcher immer mehr Soldaten benöthigte, nahm ihnen ihre eingeschulten
+Arbeitskräfte und gab ihnen dafür im besten Falle ausgemergelte
+Fabrikarbeiter zurück, deren Körperkräfte durch langes Elend so
+herabgekommen waren, daß sie zur Feldarbeit nichts mehr taugten. Der
+Kleinbauer wurde mehr und mehr abhängig von dem Großgrundbesitzer, mit
+dem er schon deswegen nicht concurriren konnte, weil derselbe weit
+billiger producirte, und seinen Boden weit ertragsfähiger zu machen
+verstand. Wenn der Bauer nach Begleichung der Zinsen und Steuern noch so
+viel übrig behielt, daß er nicht gerade mit den Seinigen Hunger zu
+leiden und daß er die nächste Aussaat erübrigt hatte, so pries er sich
+schon glücklich. Die Fälle aber, in denen Hof und Feld solcher
+Kleinbauern zwangsweise versteigert und zu niedrigsten Preisen von den
+nächsten Großgrundbesitzern erworben wurden, mehrten sich von Jahr zu
+Jahr. Die neuen Besitzer, welche meistentheils große Jagdfreunde waren,
+brachen oft die verlassenen Höfe ab und schlugen den urbaren Grund zu
+ihrem Jagdgebiete. Auf diese Weise verschwanden alljährlich nicht allein
+Hunderte von Einzelgehöften, sondern hie und da auch ganze Dorfschaften,
+von denen nicht einmal ein Mauerrest übrig blieb. Die früheren Besitzer,
+aller Mittel entblößt, mußten sich entweder mit Weib und Kind dem
+Großgrundbesitzer als Lohnarbeiter verdingen, oder in die nächste Fabrik
+wandern, und glücklich sein, wenn sie dort Arbeit fanden. Aus den freien
+Bauern waren Fabriksproletarier geworden. Viele Bauerngüter wurden auch
+von Speculanten angekauft, welche dieselben parcellirten und kleinweise
+an den Mann brachten. Durch diesen Prozeß wurde ein Heer von
+Kleinhäuslern geschaffen, deren Grundbesitz wieder nicht im Stande war,
+sie zu ernähren. Wenn diese Leute unter Entbehrungen der schlimmsten Art
+sich noch ein paar Jahre über Wasser erhielten, einmal kam doch
+unfehlbar die Stunde, welche ihnen ihr Besitzthum entriß und sie zu den
+Uebrigen in den Abgrund warf. Es wäre schwer zu entscheiden gewesen,
+wessen Elend größer war: das der Lohnarbeiter in den Fabriken, oder das
+der Tagelöhner auf den Gütern. Die Arbeitszeit der Letzteren war eine
+schier unbegrenzte: von Sonnenauf- bis Untergang, d. h. im Sommer von 4
+Uhr früh bis 9 Uhr Abends, und wenn der oft Stunden lange Weg zum
+Arbeitsplatz und zurück mitgerechnet wird, so war eine Arbeitszeit von
+½3 Uhr Morgens bis ½11 Uhr Nachts keine Seltenheit. Die Wohnungen der
+Landarbeiter standen an Comfort und Sauberkeit den Ställen der
+Gutsbesitzer weitaus nach; die Löhne waren gerade genügend, um das
+Lebenslicht vor dem Erlöschen zu bewahren und die Kost bestand demnach
+jahraus, jahrein aus Kartoffeln, Kraut und dünnem Cichoriencaffee.
+Gleichwohl widerstand diese Classe von Lohnarbeitern der allgemeinen
+Degeneration ziemlich lange, was wohl seinen Grund in dem täglichen
+Aufenthalt in frischer, gesunder Luft haben mochte. In der zweiten
+Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts waren aber auch die Landarbeiter
+körperlich und geistig so tief gesunken, daß sie kaum mehr tiefer sinken
+konnten.
+
+Neunzig Procent der Bevölkerung befand sich um das Jahr 1970 in einem
+Zustande, der auf das Krasseste abstach von dem Leben, das die übrigen
+zehn Procent führten. Dieser Rest oder vielmehr diese dünne Schicht,
+welche auf der Oberfläche des allgemeinen Elends schwamm, setzte sich
+zum überwiegenden Theile aus Großindustriellen und Großgrundbesitzern
+zusammen. Hierzu kamen die Vertreter des Großhandels, der hohen Finanz,
+welche indessen meistens auch zu den beiden erstgenannten Classen
+zählten, das Heer der Beamten und Officiere, einige wenige auserlesene
+Künstler, Gelehrte, Schriftsteller und Techniker und endlich eine an
+Zahl und Bedeutung arg zusammengeschmolzene und noch immer rapid
+abnehmende »wohlhabende« Bürgerschaft. Die Geschichte der »oberen
+Zehntausend«, vom Ende des neunzehnten Jahrhunderts an, zeigt ebenso
+einen Degenerirungsproceß, wie die Geschichte des unglücklichen
+Proletariats in jener Zeit. Während namenloses Elend den an Zahl größten
+Theil der Bevölkerung zu Boden drückte, erlag der andere Theil an der
+Last des Reichthums, der sich auf seinen Schultern angehäuft hatte. Er
+verlor dabei alles, was seine Vorfahren einst auszeichnete: Mannesmuth,
+Charakterfestigkeit, Ueberzeugungstreue und nicht zum mindesten die
+Ehrlichkeit. Schon im ersten Viertel des zwanzigsten Jahrhunderts war
+der Byzantinismus auf eine geradezu schwindelnde Höhe gestiegen. Der
+Spucknapf eines Hoflakeien war ein Gegenstand der Verehrung geworden.
+Die Presse brachte spaltenlange Berichte, wenn das Schoßhündchen der
+Frau Obersthofmeisterin sich erkältet hatte, aber sie ignorirte es
+gänzlich, wenn Schaaren von Arbeiterkindern am Hungertyphus
+dahinsiechten. Im engsten Zusammenhange mit diesen Erbärmlichkeiten
+stand ein auf allen Gebieten sich vordrängendes, widerwärtiges
+Streberthum, das in der Wahl seiner Mittel nichts weniger als wählerisch
+war und wenn es nicht anders ging, auch auf dem Wege der Denunciation
+oder in sonst verächtlicher Weise vorwärts zu kommen trachtete.
+
+Kunst und Literatur kannten keine andere Aufgabe mehr, als die
+Verherrlichung und Verewigung aller jener Vorfälle, welche sich in der
+Atmosphäre eines Fürstenhofes abspielten. Die Gegenwart eines gekrönten
+Hauptes bei irgend einer öffentlichen Feierlichkeit war genügend, um
+diesen Moment zum Gegenstande unzähliger Darstellungen durch Feder,
+Pinsel und Meißel zu machen. Die Journalisten wurden nicht müde, das
+betreffende Ereigniß bis in's allerkleinste _Détail_ zu schildern. Die
+Dichter besangen es in begeisterten Hymnen, die Maler opferten
+Leinwandstücke von der Größe eines Fregattensegels und unzählige Kilo
+Farbe, um den erhebenden Moment der Nachwelt zu überliefern und den
+Bildhauern war kein Marmorblock zu diesem Zwecke groß und rein genug.
+
+Von den Leiden des Volkes wußte aber die Kunst nichts; sie verschmähte
+es, in die Tiefen des menschlichen Lebens hinabzusteigen und betrachtete
+es lediglich als ihre Aufgabe, diejenigen zu glorificiren, die sie am
+besten bezahlten.
+
+Der Luxus hatte eine exorbitante Höhe erreicht. Die, welche sich zur
+»Gesellschaft« zählten, hatten kein Verständniß mehr für den Begriff:
+»Arbeit«. Die Leitung der Fabriken überließen sie ihren Direktoren und
+Ingenieuren, den Betrieb auf den Gütern ihren Verwaltern und Förstern;
+sie selbst hatten kein Ziel und keinen Zweck mehr, als das Geld zu
+vergeuden, was dort verdient wurde. Die Einrichtung der Paläste, die
+Marställe, die Maitressen, die Gastmähler und allerhand Feste
+verschlangen Unsummen. Für ein einziges Frühstück gab man mehr aus, als
+zehn Arbeiterfamilien ein ganzes Jahr lang zum Leben brauchten. Diese
+colossalen Summen kamen aber nicht der breiten Masse des Volkes, sondern
+stets nur wenigen Großunternehmern zu Gute, welche ihrerseits ebenfalls
+Reichthum auf Reichthum häuften, während die eigentlichen Erzeuger aller
+Producte im Elend verkamen. Baar jeder idealen Regung, war die
+besitzende Klasse vom krassesten Materialismus durchtränkt; das Geld war
+ihr Gott, der Genuß ihr einziger Lebenszweck, Kunst und Wissenschaft von
+ihnen zu käuflichen Dirnen degradirt worden. Dem Gewinne jagte Alles mit
+rastloser Gier nach; unablässig die Augen auf das blinkende Ziel
+gerichtet, kümmerte man sich wenig um die Existenzen, welche man auf
+diesem Wege zertrat, war man nichts weniger als wählerisch in der
+Auswahl der Mittel, welche zum Besitz führen sollten. Was Geld
+einbrachte, war in den Augen dieser Classe moralisch, was nichts
+einbrachte, einfach Narrheit. Das ganze Leben war zu einem tollen
+Wirbeltanze um das goldene Kalb geworden; wer dabei zu Falle kam, nun,
+der fiel eben; die Uebrigen rasten weiter und würdigten ihn nicht einmal
+eines Blickes mehr. Um sich zu bereichern, scheute man auch vor
+ungeheuerlichen Verbrechen nicht zurück, die nur selten eine Sühne vor
+dem Richter fanden; mit dem verbindlichsten Lächeln auf den Lippen
+betrog man sich gegenseitig um Millionen, trieb man einander zum
+Selbstmord, zum Wahnsinn.
+
+Aber diese glänzende, innerlich angefaulte Welt war von Zeit zu Zeit,
+und zwar in immer kürzeren Zwischenräumen, furchtbaren Erschütterungen
+ausgesetzt, welche stets ungezählte Existenzen vom Gipfel des Reichthums
+in's tiefste Elend schleuderten. Niemand wußte, ob ihm nicht eine der
+nächsten, schnell aufeinander folgenden Handelskrisen das nämliche
+Schicksal bereiten werde.
+
+Die fortwährend steigende Concurrenz zwang unaufhörlich zu
+Verbesserungen an den Maschinen, zu Vereinfachungen der
+Productionsprocesse, zur Vermehrung der Arbeitsstunden und Verringerung
+der Löhne. Die unausbleibliche Folge war Ueberproduction, Sinken der
+Preise, Geschäftsstockung, Krise, auf welche dann eine leichte Erholung
+eintrat, der aber allsogleich eine neuerliche Krise auf dem Fuße folgte.
+Das Schlimmste war aber, daß, während die Production beständig anwuchs,
+die Consumtion fortwährend im Sinken begriffen war. Kein Wunder, wenn
+man bedenkt, daß der bei Weitem größere Theil der Bevölkerung am
+Hungertuche nagen mußte, und daß seine Kaufkraft beinahe gleich Null
+war. Die Production arbeitete hauptsächlich für den Export, aber da sich
+überall in allen Culturstaaten dieselben Zustände eingestellt hatten, so
+wurde die Concurrenz im Handel nach überseeischen Märkten immer schärfer
+und fühlbarer. Nachdem sich in Afrika eine blühende Industrie zu
+entwickeln begann, welche für die Bedürfnisse dieses Welttheiles bald in
+ausreichender Weise zu sorgen im Stande war, verengte sich das
+Exportgebiet von Jahr zu Jahr immer mehr, während sich die
+Culturbedürfnisse der exotischen Völkerschaften nicht in gleicher Weise
+steigerten.
+
+Um der sinkenden Tendenz der Preise entgegenzutreten, hatten sich
+schon im neunzehnten Jahrhundert einzelne Großindustrielle,
+Actiengesellschaften &c. zusammengethan, und Verabredungen getroffen,
+welche jeden dieser Producenten verpflichteten, nicht unter einem
+bestimmten Preise zu verkaufen oder seine Waaren so lange
+zurückzuhalten, bis eine Preissteigerung von bestimmter Höhe eingetreten
+sein werde. Diese Cartells nahmen im zwanzigsten Jahrhundert derart
+überhand, daß es bald keinen einzigen Verbrauchsartikel mehr gab, dessen
+Preis nicht in der angedeuteten Weise in die Höhe geschraubt werden
+konnte. Vorbedingung war, daß man zuerst die außer Cartell stehenden
+Concurrenten zu Grunde richtete oder aufkaufte und auf diese Weise
+concentrirte sich die gesammte Production in immer weniger Händen, nahm
+der Reichthum dieser Wenigen immer collossalere Dimensionen an. Im
+letzten Viertel des zwanzigsten Jahrhunderts gab es in Deutschland nur
+noch eine einzige Riesen-Actiengesellschaft, welche alles producirte,
+was überhaupt zu produciren möglich war, und Theilnehmer dieses
+gigantischen Unternehmens waren lediglich zwölf Großkapitalisten,
+vielfache Milliardäre, in deren Besitz sich der gesammte
+Nationalreichthum concentrirte.
+
+Hundert Jahre früher hatte ein geistvoller, weitblickender Mann, der
+Amerikaner Bellamy, diesen Gang der Entwicklung vorausgesehen und
+prophezeit, daß, sobald dieser Moment eingetreten sei, die Umwandlung
+des capitalistischen in den socialen Staat ohne weiteren Widerstand auf
+friedlichem Wege und sozusagen ganz von selbst sich vollziehen werde.
+Diese Prophezeiung, auf einer richtigen Erkenntniß der wirthschaftlichen
+Kräfte beruhend, wäre auch sicherlich in Erfüllung gegangen und ihre
+Realisirung hätte für die Welt den Beginn einer glänzenden Epoche in der
+Culturgeschichte der Menschheit bedeutet -- wenn die große Masse des
+Volkes vorbereitet gewesen wäre für diese Umwälzung der
+Gesellschaftsordnung, für diesen plötzlichen Uebergang vom tiefsten
+Schatten zum glänzendsten Lichte.
+
+_Jetzt aber war der Moment gekommen, wo sich die Sünden der letzten
+hundert Jahre in furchtbarster Weise rächen sollten, wo die Saat, welche
+am Ende des neunzehnten Jahrhunderts Eugen Richter gesäet hatte, erst
+ihre entsetzlichen Früchte zur Reife brachte. Im Laufe der letzten
+hundert Jahre war nichts, rein gar nichts geschehen, um das Volk für den
+großen Augenblick, der seiner harrte, vorzubereiten._
+
+Bis zum Staatsstreich des Jahres 1900 hatte die Socialdemokratie sich
+dieser letzterwähnten Aufgabe unterzogen. Aus dumpfer Erstarrung und
+kläglicher Unwissenheit hatte sie das arbeitende Volk unter unsäglichen
+Mühen, Gefahren und Hindernissen, zur Selbständigkeit, zum
+Selbstbewußtsein, zur Bildung heranzuziehen sich bemüht. Und ihre
+Bemühungen waren auf dem besten Wege, von Erfolg begleitet zu sein. Am
+Ende des neunzehnten Jahrhunderts war der Arbeiter von einem heißen
+Drange nach Bildung und Wissen erfüllt; in weiter Ferne sah er eine
+glänzende Idealgestalt vor sich herziehen, die seinen Weg erleuchtete
+und die Socialdemokratie war es, die seine Schritte auf diesem Wege
+leitete, die ihm, so oft er es vergaß, immer und immer wieder die Mittel
+einprägte, welche ihn auf demselben vorwärts bringen konnten.
+
+Aber die Socialdemokratie that noch mehr: sie wurde auch zur Erzieherin
+der anderen Classen. Indem sie die träge Masse des Proletariates
+aufrüttelte, organisirte und zielbewußt machte, zwang sie die
+Besitzenden, ihre Aufmerksamkeit Dingen von höchster Wichtigkeit
+zuzuwenden, welche bis dahin in unverantwortlicher Weise vernachlässigt
+worden waren.
+
+Eine ganze Welt von neuen Fragen, Ideen, Gesichtspunkten machte sie
+plötzlich lebendig. Es half nichts, daß man sich anfänglich davon
+abwendete, daß man sich die Augen zuhielt, daß man sich taub stellte.
+Die Sprache der Thatsachen war eine zu eindringliche; man war genöthigt,
+der Sache wohl oder übel seine Aufmerksamkeit zu schenken, sich auf
+Discussionen einzulassen, seine Lethargie abzuschütteln, um dem Gegner
+Stand halten zu können. So brachte die Socialdemokratie neues, frisch
+pulsirendes Leben in die alternde Gesellschaft, sie streute mit vollen
+Händen einen unerschöpflichen Stoff zur Anregung auf allen Gebieten aus;
+Dichter, Schriftsteller und Künstler schöpften aus dem nie versiegenden
+Quell einer neuen Ideenwelt, und selbst die rostig werdende
+Staatsmaschine sah neues Oel auf ihre knarrenden Achsen träufeln und
+ging daran, Institutionen zu schaffen, die man ein Vierteljahrhundert
+früher als phantastisch bezeichnet haben würde.
+
+Dieser frische Quell versiegte mit einem Male, als man die
+Socialdemokratie mit eiserner Faust für immerdar vernichtet, ausgerottet
+hatte.
+
+_Als der große Moment, den Bellamy prophezeit hatte, thatsächlich
+eintrat, fand er an Stelle einer politisch reifen, mit dem Rüstzeug
+moderner Bildung ausgestatteten und physisch tüchtigen Arbeiterschaft
+eine verthierte Masse, die kein anderes Ziel kannte, als endlich einmal
+Rache zu nehmen für die schmähliche Unterdrückung, deren Opfer sie seit
+hundert Jahren geworden war._
+
+
+
+
+ 8. Capitel.
+
+ Berlin acht Tage vor dem großen Krach. -- Feiernde Fabriken. --
+ Der Hungertod. -- Riesenbazare. -- Mangel an Soldaten. -- Ein
+ Abendspaziergang im Jahre 1998. -- Ein Besuch im Arbeiterviertel.
+
+
+Ich beginne nunmehr mit der Erzählung meiner eigenen Erlebnisse in der
+Zeit des allgemeinen Zusammenbruchs.
+
+Am Abend des 2. Februar 1998 fuhr ich mit dem Blitzzug von Weimar nach
+Berlin. Ich befand mich in der glückseligsten Stimmung; ich hatte ja die
+Reise unternommen, um meine Braut heimzuführen aus ihrem Elternhause in
+das behagliche Nest, das ich ihr in Thüringen bereitet hatte. Dank der
+Protection meines zukünftigen Schwiegervaters, welcher eine
+einflußreiche Stellung bei der großen Actiengesellschaft bekleidete, war
+ich zum Verwalter der Thüringischen Centralmagazine ernannt worden, ein
+Posten, der ebenso angenehm, als einträglich war. So drückte ich mich
+also in die Kissen meines Coupésitzes und überließ mich, während der Zug
+seinem Ziele entgegenbrauste, den angenehmsten Träumen, eine
+Beschäftigung, der ich mich um so ungestörter hingeben konnte, als ich
+anfänglich allein in meinem Coupé war. Auf einer Zwischenstation, einem
+Städtchen, in welchem die Gesellschaft große Teppichfabriken besaß,
+stieg ein Herr in meine Abtheilung ein, in dem ich alsbald einen
+ehemaligen Schulcollegen erkannte. Ebenfalls im Dienste der Gesellschaft
+stehend, war er erst vor wenigen Wochen an diesen Ort versetzt worden.
+Nachdem wir uns begrüßt und die üblichen Redensarten gewechselt hatten,
+fiel mir plötzlich ein, daß ich der Ausstattung meiner Wohnung ganz gut
+noch einen Teppich von bestimmter Specialität beifügen könne, wie ihn
+die erwähnten Fabriken in vorzüglicher Beschaffenheit anfertigten. Ich
+frug also meinen Freund nach dem Preise einer mir zusagenden Größe und
+war nicht wenig erstaunt, als ich zur Antwort erhielt, daß in den
+Fabriken diese Gattung von Teppichen nicht mehr hergestellt werde.
+
+»Warum denn nicht mehr?« frug ich, »ist vielleicht keine Nachfrage mehr
+nach dieser Qualität?«
+
+Mein Freund lächelte düster und erwiderte mit gepreßter Stimme: »Weil
+wir überhaupt nichts mehr fabriciren. Die Fabriken haben ihren Betrieb
+vor drei Tagen eingestellt.«
+
+»Eingestellt? Ich war der Meinung, das Geschäft gehe bei Euch
+vorzüglich. Ihr habt doch, wenn ich nicht irre, an fünftausend Arbeiter
+beschäftigt?«
+
+»Das ist richtig,« sprach mein Gegenüber. »Die ganze Einwohnerschaft des
+Städtchens, mit Ausnahme der wenigen Staatsbeamten, arbeitete für unsere
+Gesellschaft; wir haben sie aber sämmtlich entlassen müssen, weil sich
+die Fabrikation schon längst nicht mehr rentirte.«
+
+»Ich verstehe aber nicht! Eure Teppiche hatten einen Weltruf. Sie waren
+dauerhaft, elegant, preiswürdig --«
+
+»Und doch war der Absatz auf ein Minimum herabgesunken und deckte nicht
+einmal die Betriebskosten. Wir haben eben in ganz Deutschland nur sehr
+wenig Leute, die sich den Luxus eines Teppiches gestatten können. Es
+müssen ja selbst Fabrikationszweige eingeschränkt werden, welche
+nothwendigen Lebensbedarf produciren. Wenn jeder Arbeiter in Deutschland
+im Stande wäre, für sich und die Seinen Betten zu kaufen, so könnten wir
+vierzig Millionen Stück davon fabriciren. Wie viel Arbeit gäbe das für
+unsere Möbelfabriken, für die Leinenindustrie, für die Fabrikation von
+Matratzenstoffen; selbst die Landwirthschaft würde profitiren, denn wo
+nähme man die Tausende von Centnern an Bettfedern her? Ich glaube aber,
+daß heute Nacht im ganzen Reich kein einziges Mitglied einer
+Arbeiterfamilie in einem Bette schlafen wird. Die Leute liegen im besten
+Falle auf einem Haufen Stroh oder Lumpen; die Meisten aber in ihren
+Arbeitskleidern auf dem nackten Fußboden.«
+
+»Was fangen denn nun diese fünftausend Menschen an, die Ihr entlassen
+habt?« frug ich weiter.
+
+Der Andere zuckte mit den Achseln. »Das weiß ich nicht. Ein oder zwei
+Dutzend werden wohl im Orte bleiben, und die paar Aecker bearbeiten, die
+ihnen noch verblieben sind. Alles übrige Land, auf Meilen hinaus, gehört
+der Gesellschaft, die es im Großen bearbeiten läßt und so schon
+Ueberfluß an Arbeitern hat. Das große Heer der Arbeitslosen wird um
+einige Bataillone zunehmen, das ist Alles, was man heute sagen kann.«
+
+Die Worte meines Freundes hatten bereits genügt, um meine gute Laune zu
+verscheuchen. Heiter und sorglos von Natur, hatte ich mir bisher wenig
+Mühe gegeben, den Wolken, welche sich rings um mich zusammenzogen, eine
+größere Aufmerksamkeit zu schenken. Trotzdem war es auch mir nicht
+entgangen, daß die wirthschaftlichen Zustände sehr viel zu wünschen
+übrig ließen; in dem Stadium hochgradiger Verliebtheit, in dem ich mich
+jedoch seit mehr als Jahresfrist befand, war ich noch weniger als früher
+geneigt, mich düsteren Betrachtungen hinzugeben. Die Zukunft lag so
+verlockend, so rosig vor mir, daß ich stets mit Gewalt alle
+aufsteigenden Gespenster verscheuchte; ich wollte mir mein Glück um so
+weniger trüben lassen, als ich ja an den allgemeinen Zuständen nichts
+ändern und bessern konnte. Heute aber vermochte ich der finsteren Mächte
+nicht Herr zu werden. Die Worte, die ich soeben vernommen, hatten einen
+Abgrund vor mir geöffnet und erst, als ich am Bahnhofe in Berlin
+anlangend, von meiner Braut und deren Eltern empfangen wurde, als sich
+Elly mit glückseligem Lächeln an meinen Arm hängte, verscheuchte ihr
+fröhliches Geplauder die düsteren Bilder, von denen mein Inneres erfüllt
+war.
+
+Eine Viertelstunde später bog der Wagen, in dem wir saßen, in die
+taghell beleuchtete Einfahrt eines jener palastähnlichen Gebäude ein, in
+denen die höheren Beamten unserer Gesellschaft, zu denen auch mein
+Schwiegervater zählte, ihre Dienstwohnungen hatten. In diesem Moment
+prallten die Pferde zurück, wir erhielten einen starken Stoß, der Wagen
+neigte sich zur Seite. Die Frauen schrieen angstvoll auf, mein
+Schwiegervater öffnete den Schlag und sprang hinaus; ich folgte ihm und
+sah den Wagen umringt von einer Schaar Menschen, deren Gesichter ich nie
+vergessen werde. Ein unbeschreibbarer Haß lag in diesen funkelnden
+Blicken.
+
+Ich fand jedoch keine Zeit, weitere Betrachtungen anzustellen.
+Schutzleute waren zur Hand, welche die Menge aus der Einfahrt auf die
+Straße drängten und das Gitter schlossen. Nun standen sie draußen,
+unverwandten Blickes durch die Lücken der Eisenstäbe hereinstierend, mit
+entsetzlichen, abgezehrten Gesichtern und wirren Haaren.
+
+Gleichzeitig sah ich, wie man eine leblose Gestalt, den Körper eines
+Weibes, unter dem Wagen hervorzog. Als man die Unglückliche forttragen
+wollte, fiel mein Blick auf ihr wachsbleiches Gesicht. Es schien nur aus
+Haut und Knochen zu bestehen und glich dem Schädel einer Mumie. Ich
+wandte mich an einen der Schutzleute: »Der Wagen hat sie getödtet?« rief
+ich. »Nein, sie war schon vorher todt,« sprach der Mann gleichgültig,
+»sie ist verhungert!«
+
+_3. Februar._ Die ganze Nacht hatte mich die Schreckensgestalt des
+gestrigen Abends im Traume verfolgt. Müde und abgespannt erhob ich mich.
+Wie ein zum Himmel schreiendes Verbrechen erschien mir der Luxus, der
+mich umgab. Beim Frühstück nach dem Grunde meiner Schweigsamkeit
+befragt, sagte ich offenherzig, wie tief mich die Begebenheit von
+gestern erschüttert habe. Mein Schwiegervater zuckte die Achseln: »Das
+ist uns leider nichts Neues mehr,« erwiderte er. »Das Elend wird immer
+größer, und kein Mensch weiß, wo das hinaus will. Das Schlimmste steht
+uns noch bevor. Vor Kurzem hat einer unserer Ingenieure eine neue
+Erfindung gemacht, welche wieder ungezählte Tausende um ihr Brod bringt.
+Man hat jetzt in der Textilindustrie überhaupt keine Arbeiter mehr
+nöthig. Ein Kind von zehn Jahren genügt für jede Fabrik und es hat
+nichts weiter zu thun, als bald hier, bald dort auf einen Knopf zu
+drücken. Das Uebrige besorgen die Maschinen.« »Und die Arbeiter?« frug
+ich. Er schwieg und zuckte noch einmal mit den Achseln.
+
+Nach einer Weile peinlichen Schweigens frug er mich, ob ich geneigt sei,
+ihn auf einem Spaziergange zu begleiten. Er hätte mir kein
+willkommeneres Anerbieten machen können. Eine Fluth schrecklicher
+Gedanken drohte wieder über mich herzufallen; die Gestalten meines
+nächtlichen Traumes wurden wieder lebendig, und mir war, als müsse ich
+in diesen Räumen ersticken. Elly hatte mich besorgten Blickes gemustert.
+Im ersten unbelauschten Moment umschlangen mich ihre Arme: »Oh Lieber,
+laß uns bald diese Stadt verlassen. Es gehen hier schreckliche Dinge
+vor, und kaum wage ich mehr, den Fuß auf die Straße zu setzen, wo mich
+überall das gräßlichste Elend angrinst.« Sie brach in Thränen aus, und
+ich mußte alle Beredsamkeit aufbieten, um sie zu beruhigen. Mir war es
+aber, als sei seit gestern ein kalter Reif auf mein junges Glück
+gefallen.
+
+Die seltsame Stimmung, in der ich mich befand, mochte Ursache sein, daß
+mir Dinge, welche mir längst bekannt waren, heute in einem ganz
+eigenthümlichen Lichte erschienen. In früheren Jahren hatte sich, wie
+ich oft erzählen hörte, in den Straßen, die wir durchwanderten, ein
+Schauladen am andern befunden, von denen Jeder seinen besonderen Inhaber
+hatte. Jeder trieb sein Geschäft für sich auf eigene Faust und hatte
+keine weitere Sorge, als seinen Concurrenten zu Grunde zu richten. Das
+hatte sich schon längst geändert. Die kleinen Geschäfte waren seit
+Jahrzehnten verschwunden. An ihrer Stelle nahmen Riesen-Bazars die
+unteren Stockwerke der Häuser ein, Colossalgeschäfte, welche sämmtlich
+von unserer Actiengesellschaft betrieben wurden und in denen man Alles
+erhalten konnte, was man zu haben wünschte, von der Stecknadel
+angefangen bis zum Concertflügel. Vor diesen großartigen Betrieben,
+welche mit weit geringeren Spesen und größerem Nutzen arbeiteten, hatten
+die kleinen Geschäftsleute die Segel streichen müssen; was früher Vielen
+gehört hatte, befand sich jetzt im Besitz einiger Weniger und zahllose
+zerstörte Existenzen bezeichneten den Weg dieser »friedlich« verlaufenen
+Umwälzung. Das Praktische der Einrichtung ließ sich ja nicht leugnen,
+aber warum, frug ich mich, warum muß der Profit dieser Riesengeschäfte
+nur Einigen zufallen, die ohnedies schon mehr als genug besitzen, warum
+darf nicht das ganze Volk, jene ungeheure Schaar Armer und Elender Theil
+haben am Geschäft? Mir fiel ein, was ich von der längst verschollenen
+Socialdemokratie gehört hatte. Wenn jetzt das ganze Volk, erfüllt von
+ein und demselben Gedanken im Stande wäre, an Stelle dieser Wenigen zu
+treten und die Leitung der Production und des Waarenvertriebes selbst in
+die Hand zu nehmen? Wahnsinnige Idee! Menschenalter müßten vergehen, ehe
+diese zu Boden getretene, verthierte Masse wieder so weit emporgehoben
+werden könnte, um an eine solche Riesenaufgabe heranzutreten.
+
+Wir besorgten einige Einkäufe und traten den Heimweg an. Eine Abtheilung
+Soldaten, Trommler und Pfeifer an der Spitze, marschirte an uns vorüber.
+Ehemals hatte ich ein solches Schauspiel mit gleichgültigen Blicken
+gemustert; heute betrachtete ich Alles mit anderen Augen und so entging
+mir der finstere Ernst nicht, welcher auf den Zügen der übrigens gut
+genährten und strammen Männer lag.
+
+»Diese wenigstens scheinen keine Noth zu leiden«, sagte ich zu meinem
+Begleiter.
+
+»Nein, man thut alles Mögliche, um sie bei Kraft und guter Laune zu
+erhalten,« erwiderte er, »aber es werden ihrer von Jahr zu Jahr weniger;
+die Regimenter schmelzen zusammen, wie Schnee an der Sonne; die Zahl der
+Tauglichen nimmt geradezu reißend ab.«
+
+»Das begreife ich; ein Volk, das vor Hunger stirbt, ist nicht mehr im
+Stande, Waffen zu tragen.« Ich sagte das mit einer Bitterkeit, die mir
+sonst fremd war.
+
+Im Uebrigen gab es nichts Absonderliches in der Physiognomie des
+Straßenlebens. Eine elegant gekleidete Menge, Damen und Herren, füllte
+die Gehsteige und strömte bei den Flügelthüren der Bazare aus und ein.
+Equipagen, Omnibusse, Tramway-Waggons kreuzten sich in unaufhörlicher
+Folge auf dem Asphalte der Fahrbahn. Nicht das geringste Anzeichen
+deutete die schreckliche Catastrophe an, die wir einige Tage später
+erleben sollten.
+
+Ich verbrachte den Rest des Tages in etwas besserer Stimmung, in
+Gesellschaft Elly's. Wir plauderten von unserer Zukunft, bauten
+entzückende Luftschlösser und ließen es an den kleinen verstohlenen
+Zärtlichkeiten nicht fehlen, wie sie unter Verliebten Brauch sind. Gegen
+Abend erinnerte ich mich, daß ich versprochen hatte, einen Bekannten
+aufzusuchen, der nur wenige Minuten entfernt seine Wohnung hatte. Ich
+bat deshalb meine Braut um ein Stündchen Urlaub und war nicht wenig
+erstaunt, als Elly bei meinen Worten die Farbe wechselte und mich
+flehentlich bat, bei ihr zu bleiben. »Benutze wenigstens Vaters Wagen,
+wenn Du den Besuch nicht bis morgen Vormittag aufschieben kannst,« bat
+sie. »Aber weshalb denn, Elly, es sind ja kaum mehr als zehn Minuten
+Wegs; da verlohnt es sich doch wahrlich nicht, erst einspannen zu
+lassen«, entgegnete ich. »Oh, doch, doch,« rief sie aufgeregt, »geh'
+nicht auf die Straße um diese Zeit, wenn Du mich lieb hast. Es geschehen
+oft schreckliche Dinge da draußen.«
+
+Ihre Angst schien mir kindisch und zudem weckten ihre Aeußerungen die
+Neugierde in mir; ich wollte einen Blick in dieses Straßenleben werfen,
+das ihr solchen Schrecken einflößte.
+
+Einige Minuten später eilte ich durch die taghell erleuchteten Straßen
+der mir wohlbekannten Wohnung meines Freundes zu. Auf den ersten Blick
+war mir indessen aufgefallen, daß das Publikum sich jetzt aus ganz
+anderen Elementen zusammensetzte, als in den Vormittagsstunden. Die Zahl
+der Schutzleute hatte beträchtlich zugenommen und hie und da traf mein
+Auge auf eine jener unheimlichen Gestalten, welche ich am Vorabende
+bemerkt hatte. Die Frauenwelt, das konnte mir nicht entgehen, war fast
+ausschließlich aus jenen, nicht mehr zweideutigen Elementen
+zusammengesetzt, die eine Eigenthümlichkeit moderner Großstädte bilden.
+Das Alles fand ich indessen nicht allzu verwunderlich, hatte mir's auch
+kaum anders vorgestellt und lächelnd über Elly's Angst, deren Beweggrund
+mir schlecht verhüllte Eifersucht schien, setzte ich meinen Weg fort.
+Ich traf den Gesuchten zu Haus und verplauderte ein halbes Stündchen mit
+ihm. Seltsam schien mir jedoch, daß mein Freund, sonst die Höflichkeit
+selbst, in förmlich unartiger Weise meinen Besuch abzukürzen trachtete
+und mir mehr als einmal zu verstehen gab, es wäre besser, wenn ich meine
+Braut nicht länger allein lasse. Etwas ärgerlich ging ich endlich.
+
+Die Straßen, welche ich passirte, waren auffallend menschenleer; nur hie
+und da huschte ein Schatten an den Häusern entlang. Eine matt
+beleuchtete Seitengasse passirend, sah ich plötzlich zwei Gestalten, in
+weite Mäntel gehüllt, vor mir auftauchen. Ich erkannte beim Schein der
+Laterne eine ältere Frau mit abgezehrtem, geisterbleichem Antlitz und
+ein junges, kaum dem Kindesalter entwachsenes Mädchen, das seine großen
+Augen nur einmal scheu zu mir emporhob, um sie sogleich wieder zu
+senken.
+
+»Erst siebzehn Jahre, Herr,« flüsterte die Alte. »Wollt Ihr sie haben?
+Für ein Stück Brot gebe ich sie Euch! Seht nur her, wie hübsch sie ist!«
+
+Das Weib schlug den Mantel zurück, der die Gestalt des Kindes verhüllte;
+ein blühender, nackter Mädchenleib drängte sich mir entgegen, schmiegte
+sich an mich, und eine Stimme, die ich nie vergessen werde, flehte:
+
+»Ein kleines Stück Brot nur; ich habe so Hunger, Herr!«
+
+Zitternd, betäubt, eine Welt voll Schmerz und Scham in mir, trat ich
+zurück und legte alles, was ich an Baarschaft bei mir trug, in die
+kleinen zitternden Hände, dann, -- ich schäme mich nicht, es
+einzugestehen -- ergriff ich die Flucht.
+
+Nach wenigen Schritten aber sah ich mich von Neuem angehalten. Ein Weib
+kniete vor mir mit flehend erhobenen Händen und wieder gellte die
+furchtbare Klage in mein Ohr: »Ich sterbe vor Hunger, Herr!«
+Verzweiflungsvoll wühlte ich in meinen Taschen, es war nichts mehr
+darin. Da drängte es sich von rechts und links an mich heran, weiche
+Arme legten sich um meinen Hals und aufgelöstes Frauenhaar streifte mein
+Gesicht. Ich fühlte meine Hände festgehalten; als ich sie losmachen und
+die Gestalten, die mich umgaben, zurückdrängen wollte, da sah ich hier
+und dort eine Hülle zu Boden gleiten und meine Finger berührten die
+weichen Formen der entblößten Frauenleiber. Meiner Sinne kaum mehr
+mächtig, riß ich mich los und stürmte davon.
+
+Einige Minuten später erreichte ich die Straße, in der Elly's Haus lag.
+Hier hatte sich die Scenerie indessen sehr verändert. Das elegante
+Publikum war gänzlich verschwunden; die ganze Straße, Kopf an Kopf, mit
+verwilderten Erscheinungen, Männern und Weibern erfüllt, die
+Schaufenster der Bazare sämmtlich geschlossen. Noch tief erschüttert von
+dem eben Erlebten, fühlte ich, wie es mir heiß zu den Augen hinanschoß,
+als ich diese hohlwangigen, bleichen Gesichter mit all ihrem stummen
+Elend sah. Vor jedem Hause waren Infanterie-Pickets postirt;
+Schutzmänner zu Fuß und zu Pferd patrouillirten beständig Straße auf,
+Straße ab, aber ich hatte das Gefühl, als wenn die unzählbare Masse der
+Armen und Elenden nur eines Wortes, eines Signals bedürfe, um sich auf
+diese Wächter der Ordnung zu stürzen und sie mit ihrer Wucht zu
+erdrücken. So gut es gehen wollte, drängte ich mich durch.
+Schweißtriefend, ohne Hut, mit beschmutzten und zerrissenen Kleidern,
+bleich vor Entsetzen und Aufregung, langte ich endlich bei Elly wieder
+an.
+
+_5. Februar._ Am folgenden Tage fühlte ich mich durch die Erlebnisse,
+die ich soeben geschildert, so angegriffen, daß ich mich nicht
+entschließen konnte, das Haus zu verlassen. Ich blieb also den ganzen
+Tag bei Elly, die sich große Mühe gab, die unangenehmen Eindrücke zu
+verwischen, welche mir der verflossene Abend hinterlassen hatte.
+
+Heute früh, als ich leidlich beruhigt, zum Frühstück kam, fand ich Elly
+in Thränen schwimmend, einen offenen Brief in der Hand, den sie mir bei
+meinem Eintritt sogleich entgegenstreckte. Der Brief enthielt die
+herzzerreißende Schilderung der Lage, in welcher eine ehemalige Bonne
+Elly's sich befand. Es war das alte Lied: der Mann seit Monaten
+arbeitslos, die Frau krank, von Allem entblößt, mit ihrem kleinen Kinde
+dem Hungertode nahe.
+
+Elly wollte selbst sofort einspannen lassen, um der unglücklichen
+Familie Hilfe zu bringen. Aber ihr Vater legte ein energisches _Veto_
+ein.
+
+»Wir werden das selbst besorgen«, sagte er zu mir gewendet, »in jene
+Quartiere darf Deine Braut keinen Fuß setzen. Elly soll Kleider und
+Lebensmittel in einen Korb packen; ich lasse inzwischen einspannen. Du
+aber gehst mit dieser Karte zur nächsten Polizeiwache und bittest um
+ausreichende Bedeckung.«
+
+»Um Bedeckung -- --?« frug ich erstaunt.
+
+»Selbstverständlich«, erwiderte er etwas ungeduldig, »in jenen
+Stadttheil begiebt man sich nur unter Polizeischutz.«
+
+Eine halbe Stunde später setzte sich unsere Expedition in Bewegung. Im
+Wagen uns gegenüber hatten zwei Wachleute, auf dem Bocke neben dem
+Kutscher ein bis an die Zähne bewaffneter Dritter Platz genommen. Zwei
+andere Polizisten trabten hoch zu Roß auf beiden Seiten des Wagens. Wir
+selbst waren mit scharfgeladenen Revolvern versehen. So ausgerüstet
+verließen wir das elegante Stadtviertel und drangen in eine Gegend vor,
+welche den grellsten Contrast zu ersterem bildete. Vorher hatten wir die
+doppelte Postenkette eines Infanterie-Regimentes zu passiren, welche den
+Zugang zu diesem Quartiere absperrte. Je weiter wir fuhren, desto
+unheimlicher wurde unsere Umgebung. In den von hohen rußgeschwärzten
+Häusern eingefaßten Straßen schien eine ewige Dämmerung zu herrschen.
+Unbeschreibbare Dünste erfüllten die dicke nebelfeuchte Luft; überall,
+wohin auch das Auge traf, grinsten ihm die unzweideutigen Spuren
+tiefsten Elends und entsetzlicher Verkommenheit entgegen. Die Gassen
+waren fast menschenleer, nur hier und da zeigte sich an den mit Papier
+verklebten Scheiben ein bleiches Gesicht, das uns apathisch aus tief
+liegenden Augen anstarrte. In einem der elendesten Seitengäßchen hielten
+wir. Ziemlich lange dauerte es, bis wir uns durch eine Flucht von
+schmutzigen, dunklen Höfen, Gängen und Stiegen durchgefunden hatten an
+den Ort unserer Bestimmung. Was wir da fanden -- kaum vermag ich es zu
+schildern. Der Brief, den Elly erhalten, mochte wohl zu lange unterwegs
+gewesen sein, denn unsere Hülfe kam zu spät. Am Fensterkreuz des
+vollständig kahlen, eisig kalten Gemachs hing die zu einem Skelett
+abgemagerte leblose Gestalt eines, nur mit einigen Lumpen bekleideten
+Mannes. Der Unglückliche hatte schon vor mehreren Tagen seinem Leben ein
+Ende gemacht; der Körper war bereits in Fäulniß übergegangen. Niemand
+hatte sich die Mühe genommen, ihn abzuschneiden, und für seine
+Bestattung zu sorgen. Das war aber noch nicht das Gräßlichste! In einem
+Winkel kauerte ein Weib und nagte an einem Knochen. Sie hatte uns zuerst
+völlig theilnahmslos betrachtet; als ich mich jedoch ihr näherte, schrie
+sie auf und breitete die Hände über ein irdenes Gefäß, das neben ihr
+stand. Aus ihren Augen blitzte der Wahnsinn. »Geht hinaus! Ihr weckt mir
+mein Kind auf!« kreischte sie. Dann lachte sie wieder: »Wollt ihr's
+anschauen, wie süß es schläft?« Sie zog einen schmutzigen Lappen von dem
+Gefäß. Entsetzlich! Da lagen blutige, halbabgenagte Fleischreste! Die
+Wahnsinnige zog ein Stück davon heraus und schlug gierig die Zähne
+hinein: »Mich hungert!« Das war das Letzte, was ich hörte, die Sinne
+schwanden mir! Als ich wieder zur Besinnung kam, saß ich im Wagen, der
+im tollen Lauf über das Pflaster flog. Ein furchtbares Geheul umtobte
+ihn, Schüsse krachten, ein Steinhagel prasselte gegen Fenster und
+Verdeck der Kutsche, mein Schwiegervater saß an meiner Seite,
+todtenbleich, den Revolver in der Hand; mir gegenüber, von den
+Schutzleuten gehalten, die Wahnsinnige, mit lächelndem Gesicht und
+glanzlosen Augen, auf ihren Kleidern noch die Blutreste der
+entsetzlichen Mahlzeit. So erreichten wir die Postenkette des Militärs,
+das unser Fuhrwerk sofort in die Mitte nahm. Aus der Ferne nur, wie eine
+tosende Brandung, schlug dumpfes Schreien und Heulen an mein Ohr.
+
+
+
+
+ 9. Capitel.
+
+ Jagdausflug. -- Die allerjüngste Dichterschule. -- Rittergut
+ Groß-Wackernitz. -- Pferdeloos und Menschenschicksal. -- Ein
+ feines Souper mit Zubehör.
+
+
+_6. Februar._ Die Schreckensbilder des gestrigen Tages hatten mir die
+Nachtruhe geraubt, sie trieben mich am nächsten Vormittag in's Freie;
+der frische Wintermorgen, hoffte ich, werde sie verscheuchen. Ich war
+etwa eine halbe Stunde ziellos durch die Straßen gestrichen, als ich
+plötzlich von einem Officier angeredet wurde.
+
+»Morgen, alter Knabe, wie geht's Dir denn?!«
+
+Verwundert sah ich auf. Die Stimme kam mir bekannt vor. Richtig, er
+war's, mein Schulkamerad und Studiengenosse M. -- und erfreut über die
+Begegnung schüttelte ich seine dargebotene Rechte.
+
+»Nimm mir's nicht übel, Du siehst ziemlich schlecht aus,« begann M.,
+indem er sich bei mir einhängte, »das Berliner Klima scheint Dir
+schlecht zu bekommen«.
+
+Ich gab eine ausweichende Antwort; es wäre mir nicht möglich gewesen,
+meine Erlebnisse jetzt zum Besten zu geben.
+
+»Du mußt Dich zerstreuen!« erwiderte mir M., »damit Du die Melancholie
+los wirst; weißt Du was, komm mit mir; wir sind fünf oder sechs gute
+Bekannte für morgen zu einer Jagd da in der Nähe eingeladen. Heute
+Nachmittag fahren wir mit der Anhalter Bahn hinaus, Abends giebt's ein
+feines Souper mit Zubehör« -- M. lachte sonderbar, als er das sagte --
+»und morgen in der Früh' geht's auf die Hasen. Komm mit, es wird lustig,
+das kann ich Dir sagen!«
+
+Der Vorschlag kam mir nicht ungelegen; ich fühlte wirklich, daß ich
+etwas thun müsse, um die Gespenster los zu werden, die mir bei Tag und
+Nacht keine Ruhe mehr ließen. Ich nahm also mit Dank die Einladung an
+und fand mich pünktlich zur angegebenen Stunde am Bahnhofe ein, wo ich
+M. bereits in Gesellschaft einiger Herren traf: junge Banquierssöhne,
+Großgrundbesitzer und Gardeofficiere, wie ich aus der üblichen
+Vorstellung entnehmen konnte.
+
+Ich müßte lügen, wenn ich behaupten wollte, daß die Unterhaltung während
+der Fahrt besonders geistreich gewesen wäre; das Gesprächsthema bildete
+hauptsächlich ein neues Stück, welches das Repertoire eines der größten
+Theater der Residenz zur Zeit beherrschte. Soviel ich aus den
+Bemerkungen darüber entnehmen konnte, spielte es größtentheils in einem
+Bordell und die Vorstellung war Abend für Abend ausverkauft.
+
+Sein Glanzpunkt war die sog. Nothzuchtsscene im dritten Act, in welcher
+die Heldin des Stückes, ein junges, noch unschuldiges Geschöpf, von
+einem Stammgast des besagten Etablissements auf offener Bühne in
+Gegenwart ihrer Mutter entehrt wird. Diese Scene wurde jedesmal wüthend
+beklatscht. Meine neuen Bekannten fanden es unverzeihlich, daß ich schon
+fast acht Tage in Berlin war, ohne dieses glanzvolle Product der
+allerjüngsten deutschen Dichterschule gesehen zu haben.
+
+Nach etwa einstündiger Fahrt stiegen wir an einer kleinen Station aus
+und fanden dort mehrere mit prächtigen Pelzen und Decken versehene
+Schlitten unser harren, deren feurige Gespanne uns mit Windeseile über
+die weite schneebedeckte Ebene unserem Ziele, dem Rittergute
+Groß-Wackernitz, entgegen führte. Das palastähnliche, im reichsten
+Barokstyl erbaute Herrenhaus öffnete uns bald seine Pforten, und aufs
+freundlichste bewillkommnet vom Gutsbesitzer, einer stattlichen
+eleganten Erscheinung begab sich zunächst jeder von uns in das ihm zur
+Verfügung gestellte Fremdenzimmer, um den Staub der kurzen Reise von
+seinen Füßen zu schütteln. War die Einrichtung dieser Räume schon das
+Raffinirteste an Luxus und Bequemlichkeit, was mir bis dahin vor Augen
+gekommen, so wurde dies alles noch übertroffen von dem Speisesalon, in
+dem wir uns bald darauf zu einem Imbiß zusammenfanden. Das Tageslicht
+hatte in diesen Raum keinen Eintritt. Die Wände ringsum waren nicht mit
+Tapeten, sondern mit kunstvoll drapirten Vorhängen verkleidet, die aus
+einem sonderbaren Stoff bestanden; unendlich weich und üppig, wie das
+Federgewand tropischer Vögel, oder das Pelzkleid unbekannter
+Polarthiere, ließ dieser Stoff das Haupt, welches sich gegen seine
+Falten lehnte, tief in seiner weichlichen Hülle versinken. Das Ganze war
+derart arrangirt, daß längs der Zimmerwände eine Anzahl lauschiger
+Nischen und versteckter Winkel gebildet wurde, in denen man ungesehen
+auf üppigen Lagerstätten aus dem gleichen Stoffe sich ausstrecken
+konnte. Das Ganze schwamm in einem Meere bläulich weißen electrischen
+Lichtes. Als ich neugierig eine der halb zurückgezogenen Gardinen
+lüftete, sagte M., der just neben mir stand, schmunzelnd:
+
+»Jetzt ist noch nichts darin, lieber Freund, aber später, später --« er
+schnalzte mit den Lippen und lachte laut auf, als er meinen fragenden
+Blicken begegnete. Der Aufenthalt in dem wollüstigen, mit
+eigenthümlichem Parfüm erfüllten Gemache behagte mir nicht sonderlich.
+Ich nahm ein Glas des schweren, von tadellos befrackten Dienern
+credenzten Weines, einige Bissen des in großen Cristallschalen vor uns
+stehenden Gebäcks und trachtete, Kopfweh vorschützend, ins Freie zu
+gelangen. Fast gierig sog ich, über die Stufen der Freitreppe
+hinabsteigend, die belebende Luft des Wintertages ein. Leichte Schatten
+der Dämmerung begannen sich schon über die schneebedeckten Bäume des
+herrschaftlichen Parkes zu legen. Ziellos schritt ich dahin und gelangte
+nach einigen Minuten vor ein großes, abseits stehendes Gebäude, dem eine
+von korinthischen Säulen eingefaßte Vorhalle fast den Charakter eines
+Tempels verlieh.
+
+Neugierig trat ich durch die weitgeöffnete Pforte und sah mich zu meinem
+Erstaunen im Innern eines -- Pferdestalles. Das trübe Licht des
+Winternachmittags fiel von oben durch große, matt geschliffene
+Glasscheiben ein, aber einige Augenblicke nach meinem Eintritte
+schlossen sich plötzlich diese Oeffnungen durch Jalousien, welche
+geräuschlos, von unsichtbaren Kräften bewegt, sich darüber hinschoben
+und statt des fahlen Dämmerlichtes flammten hundert Glühlichter an Decke
+und Wänden auf. An fünfzig edle Thiere, lauter Exemplare reinster
+Rassen, erblickte ich in den, aus Marmor und dunkelgebeiztem Eichenholz
+zusammengefügten Ständen, die, jeder ein Meisterwerk der
+Kleinarchitektur, sich zu beiden Seiten des breiten, mit bunten
+Mosaikplatten belegten Ganges hinzogen. Kein Stäubchen Unrath beleidigte
+das Auge bei der Wanderung durch diesen, von behaglicher Wärme erfüllten
+Pferdepalast und eine vorzüglich functionirende Ventilation sorgte für
+Entfernung des sonst so penetranten Stallgeruches.
+
+Ein Heer von Bediensteten war unausgesetzt um die schlanken, prachtvoll
+gebauten Thiere beschäftigt; hier ergoß sich, auf den Druck an einem
+electrischen Taster, eine Fülle goldgelben Hafers in die Marmorkrippen,
+dort bemühten sich zahlreiche Hände um die Reinhaltung der Stände und
+Gänge, und an anderen Orten frottirten Diener mit in Rothwein getauchten
+Tüchern Schenkel und Hufe ihrer edlen Pfleglinge.
+
+Nachdem ich mir Alles genugsam betrachtet hatte, setzte ich meinen
+Spaziergang durch den Park fort und gelangte mit zunehmender Dämmerung,
+aus einem Gitterthor tretend, auf einen breiten, tief ausgefahrenen
+Feldweg, an dessen Saume rechts und links sich eine Anzahl niederer
+Gebäude erhob, die weit eher, als das soeben geschilderte, auf den Namen
+eines Stalles Anspruch machen durften.
+
+Unter den fast bis zur Erde reichenden Strohdächern waren hie und da
+kleine Fenster, kaum größer als ein Quadratschuh, angebracht. Aus einem
+derselben leuchtete ein matter Lichtschein und mir war, als ob ein
+leises Wimmern an mein Ohr dränge. Ich trat näher heran und bemühte
+mich, durch das Fenster das Innere zu erspähen. Es war aber vergeblich,
+die winzigen Scheiben waren mit einer dicken Eiskruste überzogen, welche
+jeden Einblick verwehrte. So entschloß ich mich denn, den abgerissenen
+kläglichen Lauten, welche sich jetzt deutlich vernehmen ließen,
+nachzugehen und gelangte, wenige Stufen abwärts schreitend, durch eine
+niedrige Thür in einen finsteren Vorflur, in welchem ein feuchter,
+modriger Duft mir entgegenquoll. Aus einer Ritze schimmerte Licht und im
+nächsten Augenblicke stand ich in dem Gemache, aus dem sich jene
+stöhnenden Laute hatten vernehmen lassen. Es war von einer eisigkalten
+übelriechenden Luft erfüllt. Die ganze Einrichtung bestand in einem
+Haufen Stroh und Lumpen, der in einem Winkel des von Schmutz starrenden
+Estrichs lag. Auf diesem Lager krümmte sich in Fieberschauern eine
+menschliche Gestalt, ein alter Mann mit wirrem Haar und Bart. Vor ihm,
+beim Scheine einer Stalllaterne, kniete ein vielleicht siebenjähriges
+Mädchen, nur mit einem zerlumpten Hemd und kurzem Röckchen bekleidet,
+zitternd vor Frost, mit blauen, aufgedunsenen Lippen und Wangen. Das
+Kind fuhr bei meinem Eintritt empor und streckte mir flehend die
+furchtbar abgemagerten Aermchen entgegen: »Großvater stirbt!« schluchzte
+sie, »oh, wie ich mich fürchte!«
+
+»Bist Du denn ganz allein?« frug ich. »Ist denn gar Niemand in der Nähe,
+der helfen könnte?« Sie schüttelte den Kopf.
+
+»Sie sind alle bei der Arbeit, weit fort von hier, stundenweit. Sie
+kommen erst spät in der Nacht heim, und in aller Frühe gehen sie
+wieder!«
+
+»Und Du bleibst allein bei dem Kranken?«
+
+»Ganz allein.«
+
+Sie sagte das mit einer solchen Trostlosigkeit in Ton und Geberde, daß
+es mir tief ins Herz schnitt.
+
+»Habt ihr keinen Arzt?« frug ich weiter.
+
+»Arzt? Nein, _der_ kommt nicht zu uns. Vor drei Tagen war der Thierarzt
+hier, der drüben die kranke Stute behandelt, aber er ging gleich wieder
+fort und sagte, da könne er nicht mehr helfen!«
+
+Sie schauerte zusammen vor Frost.
+
+»Es ist so kalt hier und mich hungert so!«
+
+Sie wies mit dem Finger auf den Fußboden, da lagen in einer Ecke einige
+geschälte, kalte Kartoffeln.
+
+»Das lassen mir die Eltern hier, wenn sie in der Frühe zur Arbeit gehen,
+aber der Herr giebt uns kein Holz, um Feuer zu machen, und so müssen
+wir's kalt essen.«
+
+»Sonst hast Du nichts für Dich und den Kranken?«
+
+Sie blickte verwundert auf, dann schüttelte sie wieder den Kopf.
+
+»Wir essen nie etwas anderes!«
+
+Ich hatte genug gehört.
+
+»Ich komme gleich wieder!« rief ich und eilte zur Thür hinaus. Im
+Laufschritt durcheilte ich die Wegstrecke bis zum Herrenhaus, athemlos
+kam ich dort an. Es gelang mir, einen Diener aufzufinden und ihn durch
+ein gutes Trinkgeld meinem Wunsche geneigt zu machen.
+
+Eine Viertelstunde später standen er und ich wieder vor der Hütte,
+beladen mit Holz, warmen Decken, Kleidern und Nahrungsmitteln aller Art.
+
+Bald verbreitete ein lustig flackerndes Feuer behagliche Wärme in dem
+öden Gemach, eine Schüssel dampfender Suppe stand bereit und -- aber was
+soll ich noch weiter sagen? So gut als es möglich war, wurde für den
+Augenblick geholfen, aber das frohe Gefühl, das aus diesem Grunde mich
+erfüllte, wich einer unaussprechlichen Bitterkeit, als ich auf dem
+Rückwege zum Schlosse an dem -- Pferdestalle vorbeikam, aus dessen
+geöffneten Thüren ein Strom elektrischen Lichtes hervorquoll.
+
+Bis in's tiefste Herz erfüllt von dem Eindrucke des soeben Erlebten,
+beachtete ich es wenig, als mir bei meiner Rückkehr ein Diener meldete,
+daß ich bereits den größten Theil des Soupers versäumt habe. Am liebsten
+würde ich mein Mahl jetzt allein verzehrt haben, aber das ging doch
+nicht an, und so begab ich mich zunächst auf mein Zimmer, um ein wenig
+Toilette zu machen. Kaum war ich dort eingetreten, als ein Läutewerk an
+dem in einer Ecke angebrachten Fernsprechapparat mir zu verstehen gab,
+daß mich Jemand zu sprechen wünsche. Ich trat an's Telephon. Es war
+Elly's Vater, dessen Stimme mich von Berlin aus anrief: »Komm so schnell
+als möglich zurück; ich habe sehr Wichtiges mit Dir zu besprechen.
+Schluß!« Das war Alles. Ich wollte fragen, was das zu bedeuten habe,
+aber ich erhielt keine Antwort mehr. Eine heftige Unruhe begann sich
+meiner zu bemächtigen. Was konnte geschehen sein. War vielleicht Elly
+erkrankt oder verunglückt?
+
+Ich schellte dem Diener.
+
+»Wann kommt der nächste Zug nach Berlin in die Station?«
+
+»In einer guten Stunde, gnädiger Herr.«
+
+»Dann bitte ich, mir sogleich einen Schlitten einspannen zu lassen. Ich
+muß unverzüglich abreisen!«
+
+»Aber das Souper, gnädiger Herr!«
+
+»Ich werde in Berlin soupiren. Nur geschwind, bitte ich, damit ich den
+Zug nicht versäume.«
+
+Der Diener verbeugte sich schweigend und verschwand.
+
+In einigen Minuten war ich zur Abreise gerüstet und begab mich in den
+Speisesalon, um mich von der Gesellschaft zu verabschieden.
+
+Als ich die Thüre öffnete, bot sich mir ein Anblick dar, der mir das
+Blut in die Schläfen jagte.
+
+Das Souper war beendet. Auf Sesseln und Divans dehnten sich, halb
+berauscht, die Theilnehmer an diesem Mahle, jeder ein Weib umschlungen
+haltend, von denen Einzelne noch mit einem kurzen Hemdchen bekleidet,
+Andere aber vollständig nackt waren.
+
+Ekel und Empörung kämpften in mir angesichts der schamlosen Scenen,
+deren Augenzeuge ich sein mußte. Die Nischen an den Wänden des Gemaches
+erfüllten jetzt ihren Zweck.
+
+M. hatte mich erblickt, er war schon vollständig berauscht.
+
+»Zum Teufel, wo treibst Du Dich herum?« lallte er, »nun mußt Du nehmen,
+was übrig bleibt, geschieht Dir ganz recht, dummer Kerl!«
+
+Und mit rohem Griffe dem auf seinem Schooße sitzenden Mädchen die letzte
+Hülle abreißend, umschlang er in wilder Gier den nackten, zitternden
+Körper. »Da, komm' her, darfst meine Kleine auch einmal küssen!« --
+
+Ich hatte genug gesehen.
+
+Einige Minuten später sauste mein Schlitten durch die schweigende
+Winternacht der Station zu.
+
+
+
+
+ 10. Capitel.
+
+ Eine verhängnißvolle Botschaft. -- Eine Audienz beim »Herrn«. --
+ Die Production wird eingestellt. -- Der Sturm bricht los. -- Des
+ Urahnen Hochzeitsreise. -- Das Ende der capitalistischen
+ Wirthschaft.
+
+
+Zu später Abendstunde langte ich bei Elly wieder an. Meine Braut kam mir
+schon im Vorflur entgegen und eine Centnerlast fiel mir vom Herzen, als
+ich sah, daß sie gesund und blühend vor mir stand, wie sonst.
+
+»Wo ist der Vater, Elly?« fragte ich nach der ersten zärtlichen
+Begrüßung. »Er hat mich telephonisch zurückberufen!«
+
+»Er wartet auf Dich in seinem Schreibzimmer,« entgegnete Elly. »Ich weiß
+nicht, was vorgefallen ist, aber es muß etwas Schlimmes sein, denn Vater
+macht ein furchtbar ernstes Gesicht. Es liegt wie ein Alp auf uns
+Allen!«
+
+Als ich das angedeutete Gemach betrat, erhob sich mein Schwiegervater
+von dem Schreibtisch, an dem er saß und streckte mir die Hand entgegen.
+Sein Antlitz war außergewöhnlich blaß und ernst.
+
+»Gut, daß Du kommst,« sagte er und lud mich ein, Platz zu nehmen. »Ich
+bedarf Deiner Hülfe, denn es gehen Dinge vor, für die meine Kraft nicht
+ausreicht.«
+
+Er holte tief Athem und fuhr nach einer Pause fort:
+
+»Heute Nachmittag war ein Geheimsecretär des >Herrn< bei mir.«
+
+»Des Herrn?« frug ich erstaunt. »Welchen Herrn meinst Du?«
+
+»Ah so, Du weißt nicht!« -- seine Stimme sank unwillkürlich zu einem
+Flüstern herab und sein Blick schweifte scheu durch's Gemach, als
+fürchte er, daß irgend ein geheimnißvoller Dritter unser Gespräch
+belauschen könne. »Wir Alle nennen ihn nie anders, als nur den >Herrn<.
+Die Wenigsten wissen überhaupt seinen Namen. Er ist der oberste Leiter
+unserer Gesellschaft, wohl die mächtigste Persönlichkeit auf der Erde.
+Sein Reichthum ist unermeßlich, der Kaiser selbst, im Vergleich mit ihm,
+ein armer Schlucker.«
+
+»Und was will er also von Dir?«
+
+»Von mir will er eigentlich nichts. Er läßt mir nur mittheilen, daß die
+Gesellschaft morgen mit dem Schlag 12 Uhr die Production einstellen
+werde.«
+
+Ich fuhr entsetzt empor.
+
+»Die Production einstellen? Ist der Mensch wahnsinnig?«
+
+»Oh, nein! Der Secretär hat mir Alles auseinandergesetzt. Das Ganze ist
+nichts, als ein Rechenexempel. Die Production verlohnt sich nicht mehr.
+Neunzig Procent der Bevölkerung sind Bettler, Vagabunden, wegen deren es
+nicht mehr der Mühe werth ist, das Geschäft weiter zu führen und der
+Rest kann, trotz allen Aufwandes, nicht den zehnten Theil von dem
+verbrauchen, was unsere Maschinen herstellen.«
+
+»Aber dann steht das Chaos vor der Thür, eine entsetzliche Umwälzung!«
+
+»Das weiß der >Herr< ganz gut, aber es kümmert ihn nicht. Die
+Gesellschaft hat ihr Schäflein längst in's Trockene gebracht. Schon seit
+Jahren hat man, ganz im Geheimen, riesige Capitalien aus dem
+Geschäftsverkehr gezogen und im Ausland sicher untergebracht. Vor ein
+paar Wochen hat die Gesellschaft für die Summe von zehn Milliarden der
+spanischen Regierung die Insel Cuba abgekauft. Die Actionäre haben sich
+dorthin zurückgezogen und werden unter Palmen ein idyllisches Dasein
+führen, während hier eine Welt in Trümmer geht!«
+
+Ich war sprachlos; der Kopf schwindelte mir.
+
+»Aber um Gotteswillen«, stieß ich endlich hervor, »giebt es denn kein
+Mittel, um das abzuwenden, um die Catastrophe zu verhüten?«
+
+»Doch, es giebt noch eines! Der Staat muß die Production vorläufig in
+die Hand nehmen. Höre, was ich Dir sagen will und weshalb ich Dich rufen
+ließ. Du mußt mit dem Frühzug nach Hamburg fahren. An Bord seines
+Privatdampfers findest Du dort den >Herrn<. Biete alle Deine
+Beredsamkeit auf, um von ihm zum mindesten acht Tage Aufschub zu
+erlangen. In der Zwischenzeit unterhandle ich hier mit der Regierung.
+Die Production darf nicht einen Moment stillstehen. Unser aller Existenz
+hängt davon ab.« Er unterbrach sich einen Moment und fuhr dann, tief
+aufseufzend, fort: »Oh, wenn wir jetzt Arbeiter hätten, wie sie unsere
+Vorfahren im neunzehnten Jahrhundert hatten! Dann wäre ja Alles gut.
+Dann hätten wir diese schwerfällige, eingerostete Staatsmaschine gar
+nicht nöthig, um uns über Wasser zu halten. Die Sünden der letzten
+hundert Jahre aber haben alles verdorben.« -- -- -- Die wenigen Stunden
+der Nacht vergingen mir schlaflos. Die Morgennebel zogen noch über die
+unabsehbare Ebene, als ich schon wieder im Zuge saß und gen Norden
+dampfte.
+
+In den ersten Vormittagsstunden war ich in Hamburg, und mein Erstes war
+natürlich, zum Hafen zu fahren, wo der Lustdampfer des »Herrn« vor Anker
+lag. Es gelang mir indessen nicht, sogleich bei dem Mächtigen
+vorgelassen zu werden. Von entsetzlicher Unruhe gepeinigt, schritt ich
+auf dem Quai auf und ab. Ich beobachtete mit Angst, wie der Zeiger
+meiner Uhr langsam vorwärts schlich und jede Minute, die er zurücklegte,
+steigerte meine Aufregung. Entsetzliche Bilder von Aufruhr und
+Zerstörung erfüllten meine Phantasie. Tausende zogen an mir vorüber,
+ihren alltäglichen Geschäften oder Vergnügungen nach, aber Keiner unter
+ihnen hatte eine Ahnung von dem drohenden Unheil, das mit jedem
+Augenblicke näher kam. Nur ich allein sah es, und sah auch die
+dampfenden Schutthaufen an Stelle der glänzenden Paläste, die
+verstümmelten Leichen auf dem blutüberströmten Pflaster. Entsetzliches
+Geheimnis, das auf mir lastete!
+
+Die zehnte Stunde war schon längst vorüber, als ich endlich an Bord des
+Dampfers Einlaß fand. Es war ein kleines, lauschiges Cabinet, in das man
+mich führte. Die Wände waren bis zur Brusthöhe mit hellfarbigem Holze
+getäfelt und oberhalb desselben mit violettem Sammt ausgeschlagen. Ein
+kostbarer Teppich bedeckte den ganzen Boden, schwere Seidengardinen
+verhüllten die Eingänge. Auf einem Divan, vor sich ein elegantes
+Rauchtischchen, lag ein Herr in schwarzem Salonanzug, einen Fez auf dem
+spärlich behaarten Scheitel. Er mochte etwa Mitte der vierziger Jahre
+stehen, hatte aber einen eigenthümlichen, milden, abgespannten Zug im
+Gesicht, der ihn weit älter erscheinen ließ.
+
+Es war der »Herr«, vor dem ich stand. In diesem Moment fiel mein Blick
+auf einen Chronometer, der zu Häupten des Divans hing; er zeigte auf
+zehn Minuten vor elf Uhr. Ein Schauer flog über meinen Körper, als ich
+diese Wahrnehmung machte. Wenn es mir im Laufe der nächsten halben
+Stunde nicht gelang, den Mächtigen umzustimmen, so war Alles verloren.
+Alle Kraft zusammennehmend, begann ich meinen Vortrag.
+
+Der »Herr« hörte mich schweigend, den Dampf einer Cigarette von sich
+blasend, an; nur von Zeit zu Zeit flog ein nervöses Zucken über sein
+Antlitz. Ich hatte meine ganze Beredsamkeit aufgeboten und Worte
+gefunden, so eindringlich, so herzerschütternd, daß sie einen Stein
+hätten bewegen müssen. Als ich geendet, blieb es einige Augenblicke ganz
+still im Gemach; ich glaubte, mein eigenes Herz schlagen zu hören.
+
+Der »Herr« erhob sich aus seiner liegenden Stellung und stand dicht vor
+mir, die eine Hand in der Tasche seines Beinkleides, in der anderen die
+Cigarette haltend, von der die schmalen, weißen Finger die Asche
+nachlässig abstreiften.
+
+»Ich bedaure, Ihren Wunsch nicht erfüllen zu können; es ist Alles wohl
+überlegt und vorbereitet. Den Befehl jetzt rückgängig machen, hieße
+unseren ganzen Plan vernichten.«
+
+Seine Stimme war trocken, klanglos, ohne jede Bewegung.
+
+»Kann es in Ihrem Plane liegen, unabsehbares Unheil über das Vaterland
+heraufzubeschwören?« frug ich erregt.
+
+»Vaterland? Wer Geld hat, braucht kein Vaterland!« erwiderte er mit
+leichtem Achselzucken.
+
+»Aber die Catastrophe wird an den Grenzen Deutschlands nicht Halt
+machen. Ganz Europa wird der Brand erfassen, sobald er einmal
+ausgebrochen ist und alle Cultur wird in Trümmer gehen.«
+
+»Das kümmert uns nicht. Bis nach Cuba werden die Flammen nicht schlagen
+und übrigens, je toller es zugeht, desto besser.«
+
+»Wie so? Das verstehe ich nicht.«
+
+»Sie sind ein schlechter Geschäftsmann, mein Lieber, wenn Sie das nicht
+einsehen,« meinte der »Herr« mit jovialem Lächeln. »Nun gut, ich will es
+Ihnen erklären, weil wir noch etwas Zeit haben, ehe mein Dampfer
+abfährt. In der bisherigen Weise läßt sich die Production nicht mehr
+fortführen; wir verdienen nichts mehr dabei und sind keinen Augenblick
+vor einer Catastrophe sicher. Wir müssen einmal _tabula rasa_ machen mit
+dem großen Heere überzähliger Menschen, um dann mit frischen Kräften
+wieder anzufangen. Also stellen wir den Betrieb freiwillig ein, und
+warten in sicherer Entfernung ab, bis sich die Wogen wieder beruhigt
+haben. Wenn der richtige Moment gekommen ist, erscheinen wir wieder auf
+der Bildfläche und man wird uns als Retter der Gesellschaft freudig
+aufnehmen. Verstehen Sie nun, weshalb es nicht in unserem Interesse
+liegen kann, den Betrieb in die Hände des Staates übergehen zu lassen?
+Sollen wir uns selbst das Geschäft für alle Zukunft verderben? Nein, wir
+wissen recht wohl, daß die Regierung mit ihrem zusammengeschmolzenen
+Heere, in dem sich ohnehin schon viel unsichere Elemente befinden, der
+Bewegung nicht Herr werden wird, die sie ganz unvorbereitet trifft. Aber
+gerade das wollen wir. Es muß Alles zu Grunde gehen, damit wir von Neuem
+Geschäfte machen können.«
+
+Ich stand wie erstarrt und war keines Wortes fähig. Erst nach längerer
+Pause vermochte ich mich soweit zu sammeln, um ihn an die unzähligen
+Menschenleben zu erinnern, die diesem Geschäftskniff zum Opfer fallen
+würden.
+
+Er zuckte die Achseln und zündete sich eine frische Cigarette an. »Das
+ist schlimm für die, welche es trifft, aber im Geschäftsleben darf man
+nicht sentimental sein. Uebrigens ist es immer besser, die Leute büßen
+ihr Leben schnell ein, als daß sie verhungern.«
+
+Er sah auf die Uhr. Der Zeiger wies auf 20 Minuten nach 11 Uhr.
+
+»Wenn Sie den nächsten Zug nach Berlin erreichen wollen, müssen Sie sich
+sputen. Auch fährt mein Schiff Punkt 12 Uhr ab und es giebt für mich
+noch vorher einige Geschäfte zu erledigen.«
+
+Er geleitete mich in verbindlichster Weise bis zur Thür. Meine Mission
+war zu Ende.
+
+Unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen, suchte ich auf schnellstem
+Wege den Bahnhof zu erreichen. Als ich die Freitreppe zur Bahnhofshalle
+emporstieg, erklang die Mittagsstunde von den Thürmen Hamburgs.
+
+In diesem Augenblick, das wußte ich, flog auf dem Telegraphendraht der
+gleiche verhängnißvolle Befehl durch das ganze Reich von Stadt zu Stadt,
+von Fabrik zu Fabrik und Millionen arbeitsgewohnter Hände begannen in
+diesem Augenblick für immer zu feiern. Wie lange konnte es dauern und
+diese Hände griffen zur Mordwaffe, zum Feuerbrand?
+
+Mit Windeseile trug mich der Zug durch die Winterlandschaft der
+Hauptstadt zu. Meine Mitpassagiere plauderten ahnungslos mit einander,
+nur ich saß, mit einem Herzen, das sich angstvoll zusammenkrampfte, in
+meiner Ecke und wagte kaum, den Anderen in's Gesicht zu sehen.
+
+Ohne Zwischenfall kamen wir bis in die Nähe der Hauptstadt. Auf freiem
+Felde hielt plötzlich der Zug. Es entstand ein hastiges, angstvolles
+Hin- und Herlaufen, die Passagiere begannen unruhig zu werden. Einzelne
+öffneten die Waggonthüren und stiegen hinab, um die Ursache des
+unerwarteten Aufenthalts zu erfragen. Unbestimmte Gerüchte wurden laut.
+Arbeiterunruhen seien wieder einmal in Berlin ausgebrochen, hieß es,
+aber das Militär werde der Bewegung in Kürze Herr werden.
+
+Nach einer Viertelstunde etwa fuhren wir in langsamem Tempo weiter. Den
+Bahnhof fanden wir von einem Füsilierbataillon besetzt; in voller
+Feldausrüstung campirten die Mannschaften längs des Perrons und in der
+Vorhalle. Ich eilte auf die Straße. Alles war menschenleer. Kein Wagen
+weit und breit. So schnell ich es vermochte, eilte ich dem Hause meiner
+Schwiegereltern zu. An einer Straßenkreuzung mußte ich Halt machen. In
+scharfem Trabe kam die Gardeartillerie vorübergesaust, dahinter im
+Laufschritt Bataillon auf Bataillon, die Kerntruppen der deutschen
+Armee. Ohne mich umzusehen rannte ich weiter. Als ich bei Elly anlangte,
+fand ich die ganze Familie schon in höchster Aufregung, Vorbereitungen
+zur Flucht treffend.
+
+»Und morgen soll Elly's Trauung sein!« klagte die Mutter meiner Braut.
+»Ihr armen Kinder, Ihr habt eine traurige Hochzeit.«
+
+»Was morgen sein wird, kann Niemand sagen,« entgegnete mein
+Schwiegervater. »Ich habe mir schon überlegt, was geschehen muß. Ihr
+müßt sofort getraut werden; der Geistliche wird in einigen Minuten hier
+sein, unterdessen packt Ihr das Nothwendigste ein und sobald die
+Ceremonie vorüber ist, fahrt Ihr zum Bahnhof.«
+
+»Nein, Mutter, Vater, ich lasse Euch nicht allein zurück hier in dieser
+schrecklichen Zeit,« rief Elly. »Ihr müßt mit uns fliehen!«
+
+»Das geht nicht so schnell, Elly,« entgegnete der alte Herr; »es ist ja
+auch augenblicklich noch keine Gefahr. Noch immer ist Hoffnung, daß die
+Truppen den Aufstand niederschlagen. Sollte dies aber bis morgen nicht
+der Fall sein, so folgen wir Euch nach. In Euerem stillen Thüringen wird
+man ja wohl noch einen sicheren Zufluchtsort finden.«
+
+Bei diesen Worten -- ich weiß nicht, wie es kam -- fielen mir plötzlich
+die finsteren Gesichter, die abgezehrten Gestalten der Arbeiter ein, mit
+denen ich in Weimar täglich zu thun hatte, und mit _einem_ Male wurde
+mir klar, welch' furchtbarer Zündstoff auch dort aufgehäuft war.
+
+Der Geistliche kam; in Reisekleidern wurden wir getraut; fernes
+Gewehrfeuer, einzelne Kanonenschüsse und das unaufhörliche Dröhnen der
+Sturmglocken begleitete die Ceremonie. Die feierliche Handlung war kaum
+vollendet, als von der verödeten Straße herauf lautes Stimmengewirr und
+der schwere Tritt einer großen Menschenmenge zu uns empordrang. Ich
+eilte an's Fenster. In ganzer Straßenbreite wälzte sich, der inneren
+Stadt zu, ein ungeheuerer Knäuel bewaffneter Männer und Weiber.
+
+In der Masse, die nach Tausenden zählte, blitzte hie und da eine
+Pickelhaube, ein Bayonnet auf. Einzelne Soldaten marschirten inmitten
+der Aufständischen; schließlich kam, umringt von der tosenden Menge, ein
+ganzes Bataillon, Trommler und Pfeifer an der Spitze, daher marschirt.
+
+Als ich aufsah, blickte ich in das Antlitz meines Schwiegervaters. Es
+war todtenbleich.
+
+»Es sind die Arbeiter von Spandau und Charlottenburg,« sagte er mit
+tonloser Stimme, »die Garnison geht mit ihnen.«
+
+Wir nahmen Abschied von den Eltern und ahnten nicht, daß es ein Abschied
+für immer war. Ich habe die Beiden nie wiedergesehen und nie erfahren,
+was ihr Schicksal gewesen. Auf einer Hintertreppe, durch den Hofraum,
+gelangten wir an einen Seitenausgang des großen Gebäudes, der in einer
+stillen Sackgasse gelegen. Hier erwartete uns der Wagen, der uns zum
+Bahnhof führte. Von dem zahlreichen Dienstpersonal ließ sich Niemand
+blicken; wir trugen unser Gepäck selbst zum Wagen hinab. Ich war fast
+erstaunt, als ich sah, daß der Kutscher noch wie sonst seinen Dienst
+versah, und wie sonst, den Hut in der Hand, uns den Schlag öffnete.
+Durch menschenleere Straßen, wo alle Schaufenster geschlossen waren,
+fuhren wir zum Bahnhof. Es war alles still und düster, wie auf einem
+Friedhofe. Elly lehnte an meiner Schulter und weinte still für sich hin.
+Mein Gott, wie ganz anders hatte ich mir diesen Tag vorgestellt!
+
+Am Bahnhof fanden wir ein Treiben, für das mir die Worte fehlen.
+
+Die riesige Halle war in allen ihren Theilen mit Flüchtenden
+vollgestopft. Ein wahnsinniger Tumult herrschte; es war, als sei man mit
+einem Male in ein Tollhaus gerathen. In Intervallen von zehn Minuten
+verließ Zug auf Zug die Halle.
+
+Sobald eine neue Wagenreihe bereit stand, stürzte sich die Menge darauf;
+im Nu waren die Coupé's gefüllt, die Dächer erklettert; auf den
+Trittbrettern stand, wer sonst keinen Platz fand; um jeden Fuß breit
+wurde mit wahnsinnigem Ingrimm gekämpft, Weiber und Kinder zu Boden
+getreten, oder unter die Räder geschleudert. Wenn der Zug die Halle
+verlassen hatte, lagen da und dort zuckende Leichname auf den Schienen,
+und der Todesschrei der Verstümmelten, um die sich kein Mensch mehr
+kümmerte, gellte in das allgemeine Toben.
+
+Wir standen in einen Winkel gepreßt, uns fest umschlungen haltend. Ich
+dachte an den Tod.
+
+Von Zeit zu Zeit drang irgend eine neue Schreckenskunde in die
+verzweifelnde Menge und fachte die Todesangst immer von Neuem wieder an.
+Nur einiges vermochte ich aus abgerissenen Worten zusammenzufassen.
+Offenbar machte der Aufstand rapide Fortschritte; ein großer Theil der
+Truppen war offen zu den Insurgenten übergegangen; der Rest kämpfte
+matt, widerwillig, ganze Regimenter weigerten sich zu schießen, und
+sahen, Gewehr bei Fuß, gleichgültig der allgemeinen Zerstörung zu.
+
+Als eines der ersten Opfer des Aufstandes war der »Herr« gefallen. Im
+Moment, als sein Schiff die Anker lichten wollte, zeigte es sich, daß an
+der Maschine etwas in Unordnung gerathen sei. Noch ehe der Schaden gut
+gemacht werden konnte, stürmten schon die ersten Arbeiterschaaren aus
+den geschlossenen Fabriken daher und stürzten sich wie Hyänen auf ihre
+Beute. Ein wüthender Kampf entspann sich, in welchem der »Herr« und die
+ganze Mannschaft seines Schiffes ihren Untergang fand.
+
+Der Abend war bereits hereingebrochen, als es mir endlich gelang, Elly
+in ein Coupé zu schieben, in dem sich schon zwölf Menschen befanden. Ich
+selbst blieb auf dem Trittbrett stehen. So fuhren wir in die Nacht
+hinaus. In meinen Träumen hatte ich mir meine Hochzeitsreise anders
+vorgestellt. Stunde auf Stunde verrann; meine Finger, welche sich an den
+metallnen Handgriff klammerten, drohten, erstarrt von der eisigen
+Zugluft, zu erlahmen. So schnell wir aber auch dahinfuhren, die
+Revolution schien mit uns gleichen Schritt zu halten. Mehr als einmal
+sahen wir weit draußen in der endlosen Ebene die Feuersäulen brennender
+Fabriksgebäude aufflammen.
+
+Jeden Augenblick fürchtete ich, daß unsere Reise ein gewaltsames Ende
+finden werde. Eine Zerstörung der Bahnlinie durch ein Streifcorps der
+Aufständischen lag ja im Bereiche der Möglichkeit. Wir erreichten
+indessen unangefochten Wittenberg, wo eine größere Zahl Flüchtlinge den
+Zug verließ; es wurde mir dadurch ermöglicht, meinen sehr unangenehmen
+Standpunkt mit einem Sitz an Elly's Seite vertauschen zu können,
+woselbst ich verblieb, bis wir in den ersten Morgenstunden Weimar
+erreichten. Hier herrschte noch volle Ruhe und nichts Außergewöhnliches
+schien sich ereignet zu haben. Wir konnten ungehindert unsere Wohnung
+aufsuchen und zum ersten Male aufathmen nach der Todesangst der letzten
+schrecklichen Stunden. Elly jammerte um die Eltern und machte sich
+selbst die bittersten Vorwürfe, Berlin ohne die Ihrigen verlassen zu
+haben. Nur schwer gelang es mir, meine junge Frau zu beruhigen, glaubte
+ich doch selbst nicht an die Trostesworte, von denen mir jedes wie eine
+Lüge vorkam. Die Nachrichten des nächsten Tages bestätigten meine
+schlimmsten Erwartungen. Die große Volkserzieherin, die
+Socialdemokratie, hatte man vor hundert Jahren zertreten und zermalmt,
+aber die wirthschaftliche Entwicklung war nicht in andere Bahnen gelenkt
+worden.
+
+Ruhig, mit unfehlbarer Sicherheit, hatte sich das Ende vorbereitet.
+
+Die kurzsichtige Menschheit war selbst schuld daran, daß es nicht
+zugleich der Anfang einer neuen, vernunftgemäßen Weltordnung werden
+konnte. In unbegreiflicher Verblendung hatte man die kraftvollen Triebe
+einer sich mächtig emporringenden Neugestaltung vernichtet. Das einzige
+Mittel, die altersschwache Gesellschaft neu zu verjüngen, existirte
+nicht mehr. _Die Gesellschaft hatte den Ast, auf dem sie saß, selbst
+abgesägt._ So konnte es also nicht anders kommen, als es thatsächlich
+gekommen ist. Eine gebildete, politisch und wirthschaftlich reife
+Arbeiterschaft hatte man nicht gewollt; nun mußte man fertig zu werden
+suchen mit dem, was die Gesellschaft selbst aus den Arbeitern gemacht
+hatte: eine ungeheure Masse gänzlich verwilderter, physisch und geistig
+auf tiefster Stufe stehender Menschen, die, zur Herrschaft gelangt,
+nichts Neues zu schaffen, sondern nur noch zu zerstören wußten. Und
+diese Zerstörung besorgten sie gründlich! Berlin war in Flammen
+aufgegangen, in einen Trümmerhaufen verwandelt worden. Von dort aus
+pflanzte sich der Aufstand über das ganze Reich, über alle
+capitalistisch organisirten Staaten fort. Zwei Tage nach unserer Ankunft
+in Weimar befanden wir uns wieder auf der Flucht. Die Flammen brennender
+und ausgeplünderter Städte beleuchteten unseren Weg, wenn wir zur
+Nachtzeit auf Seitenpfaden durch die Berge wanderten. Ueberall, wohin
+wir auch kamen, wo wir auch zu rasten versuchten, fanden wir dasselbe.
+Von jedem Orte verjagte uns wieder die immer weiter um sich greifende
+Bewegung. Unbeschreibbar sind die Schreckensscenen, die wir erlebten und
+wie ein Wunder erscheint es mir, daß wir all' diesen Gefahren entrannen.
+
+Der stolze Bau des deutschen Reiches sank vor unseren Augen in Trümmer
+und nach langen Irrfahrten fanden wir endlich an den Ufern dieses Sees,
+wo es nichts mehr zu zerstören gab, eine Zufluchtsstätte. Möchte eine
+nachfolgende Generation, wenn ihr diese Aufzeichnungen zu Gesichte
+kommen, die furchtbare Lehre beherzigen, welche sie verkünden und möchte
+einst diesem, durch die Unvernunft der Menschen zu Grunde gerichteten
+Erdtheil eine neue, schönere Zukunft erblühen.«
+
+Erschüttert, lautlos saßen die Drei da, als Waltraut geendet hatte. Vor
+Kurt's geistigem Auge zog das Schreckensbild einer zusammenbrechenden
+Culturepoche vorüber -- dann aber sprang er auf:
+
+»Die schönere Zukunft ist nahe, weit näher, als ihr glaubt!« rief er
+lebhaft. »Die socialen Ideen sind nicht untergegangen; hier in Europa
+haben die Sünden des Capitalismus sie wohl mit allem Uebrigen
+vernichtet, aber in Afrika drüben leben sie noch und haben die
+herrlichsten Früchte gezeitigt. Wir wissen dort nichts von Reichthum und
+Armuth, nichts von Standesunterschieden; bei uns genießt Jeder, was
+seine Arbeit schafft, und Niemand kann ihm die Früchte seines Fleißes
+durch Gewalt oder List entwinden. Von Afrika wird neues Licht über
+diesen dunklen Erdtheil ausströmen und ihn der Cultur wiederum
+zurückgeben!«
+
+Er hatte mit Feuer gesprochen und unwillkürlich das Buch, welches so
+werthvolle Aufschlüsse enthielt, zu sich herangezogen. Da fielen seine
+Blicke auf jene Stelle, wo Waltraut's Urahn mit fester Hand seinen
+Namenszug unter die Schrift gesetzt hatte, und wie electrisirt fuhr er
+auf.
+
+»Dieser Name, Waltraut, der hier steht, ist ja auch der meine. Oh, jetzt
+gehen mir erst die Augen auf. Auch die Stadt, in der dieser Mann lebte,
+ist ja die nämliche, wo sich meine Vorfahren aufhielten. Kannst Du's
+glauben, Waltraut, wir sind von gleichem Stamme?« Und mit komischer
+Würde sich verneigend, sprach er: »Waltraut, ich habe die Ehre, mich Dir
+als Vetter aus Afrika vorzustellen.« Waltraut lachte herzlich und
+duldete ohne Widerrede, daß der neugefundene Verwandte ihr galant die
+Hand küßte. Auch der alte Günther lächelte vergnügt ob der unerwarteten
+Entdeckung. Der ernste Eindruck, den die Aufzeichnungen des Urahn
+hinterlassen hatten, wich einer behaglicheren Stimmung und noch lange
+saßen die Drei plaudernd zusammen, sich des seltsamen Zufalls freuend,
+der sie auf so wunderbare Weise zusammengeführt hatte.
+
+Seit jenem Abend war wieder eine geraume Zeit in's Land gezogen. Der
+Frühlingswind hatte schon längst die Eisdecke des Sees gesprengt und die
+uralten Buchen am Seestrande bedeckten sich mit zartem Grün. Auch in den
+Herzen der beiden jungen Leute war der Frühling eingezogen, und als die
+ersten Schwalben die Hütte zwitschernd umkreisten, legte Vater Günther
+die Hände der Liebenden zum ewigen Bunde in einander. Eines Abends, als
+Kurt mit seinem jungen Weibe im Nachen über den See fuhr, gewahrte er
+auf einer Waldblöße ein seltsames Schauspiel.
+
+Eine große Schaar bewaffneter Männer näherte sich, aus dem Dickicht
+tretend, dem Ufer, Hornsignale ertönten und eine Fahne flatterte in der
+Luft.
+
+Im ersten Moment hatte Kurt erschrocken die Ruder eingezogen, als aber
+sein Ohr die Trompetenrufe vernahm, und sein Blick die Flagge gewahrte,
+jauchzte er vor Freuden laut auf und begann aus Leibeskräften auf die
+bezeichnete Stelle loszurudern. Er hatte die Farben des Freilandstaates
+erkannt; einige Minuten später standen er und Waltraut am Ufer, umringt
+von den Mitgliedern der neuen vom Süden heraufgezogenen Expedition, und
+des Fragens und Händedrückens wollte kein Ende nehmen. Da drängte sich
+ein junger, sonnverbrannter Afrikaner durch den Kreis: »Alle Wetter,
+Kurt, werden die Todten wieder lebendig?« rief er, nahm den
+Ueberraschten ohne weiteres beim Kopf und küßte ihn herzhaft, zwei,
+dreimal.
+
+»Willy!«
+
+Die Freunde umarmten sich lange und innig.
+
+»Hast Du am Ende doch ein Bäschen gefunden, alter Junge?« meinte Willy,
+als er Waltraut bemerkte, die verwirrt und scheu im Kreise der fremden
+Männer stand.
+
+»Errathen, lieber Freund,« lachte Kurt, »die aber kann ich Dir nicht
+abtreten, die behalte ich für mich selbst.«
+
+»Das ist zwar gegen die Verabredung, und ich sollte böse Miene zu Deinem
+guten Spiele machen! Na, warte nur, wenigstens werde ich ihr Alles
+erzählen, was wir Beide ausgemacht haben,« erwiderte Willy und bot der
+jungen Frau treuherzig die Rechte, in die Waltraut herzhaft einschlug.
+
+ * * * * *
+
+So manches Jahr ist seitdem verflossen.
+
+Der alte Günther schläft am Gestade des Victoria-Nyanza schon längst den
+letzten Schlaf; Waltraut aber hat an der Seite ihres Gatten das Heimweh
+nach den deutschen Wäldern überwunden, und bildet sich ein, die
+glücklichste Frau und Mutter von ganz Afrika zu sein.
+
+Auf dem Boden des verwüsteten deutschen Reiches und der anderen
+europäischen Staaten aber erblühen von Jahr zu Jahr immer mehr
+Ansiedlungen, die ihre Bewohner aus Afrika erhalten; eine neue
+Culturepoche, auf gesunder und vernunftgemäßer Grundlage in's Werk
+gesetzt, beginnt für das in tiefe Barbarei versunkene Europa. In diesem
+neuen Staate, der hier beginnt, wird es weder Reiche, noch Arme, weder
+Hoch noch Nieder, weder Deutsche noch Franzosen, sondern nur Menschen,
+und zwar glückliche, zufriedene Menschen geben.
+
+
+
+
+ Der jüngste Tag.
+
+
+ Wenn die Menschheit einer Krisis entgegen geht, richten sich alle
+ Blicke mehr denn je in die Zukunft, regt sich mit Macht das
+ Bestreben, den Schleier der kommenden Zeit zu lüften. Während
+ Politiker und Gelehrte an der Hand der Thatsachen, die ihnen die
+ Jetztzeit liefert, die Gestaltung zukünftiger Verhältnisse zu
+ ergründen suchen, schweift die Phantasie des Dichters noch weit
+ über die ihnen gesteckten Grenzen hinaus in eine nebelhafte
+ Ferne, ja bis an's Ende der Tage. Auf diesem Wege hat der
+ Verfasser des vor mir liegenden Buches[1] schon den äußersten
+ Markstein überschritten, der das Gebiet des Realen vom Reiche des
+ phantastischen Märchens abgrenzt. Der »jüngste Tag«, jenes
+ Schreckgebilde kirchlichen Uebereifers, das so wenig harmonirt
+ mit der milden Lehre Christi, tritt uns hier im verklärenden und
+ versöhnenden Gewande der Poesie entgegen. Das Ganze mit seiner
+ dichterisch schönen Sprache und seinem überwältigenden
+ Bilderreichthum ist eigentlich ein Epos in Prosa, ein Stoff, der
+ so gebieterisch nach Vers und Reim verlangt, daß sich der
+ Verfasser diesem Drange selbst nicht entziehen konnte und den
+ Schluß deshalb wenigstens in Stabreimen ausklingen läßt.
+
+ [Fußnote 1: »_Der jüngste Tag_«. Von Rud. Heinr. Greinz. Preis 1
+ Mark. Erfurt und Leipzig, Bacmeister's Verlag.]
+
+ »In der Welt tobte und brauste es von Streit. Es gab keine Bande
+ der Achtung mehr und keine Bande der Liebe. Der Sohn wüthete
+ gegen den Vater, Bruder gegen Bruder. Die Mutterliebe war zu
+ einem längst entschwundenen Märchen geworden. Ein Märchen war
+ auch der Glaube an Jesus Christus. Nur alte Leute erzählten sich
+ noch, daß sie von ihren Voreltern erfahren, es sei die Sage, auf
+ einem einsamen Eiland im weiten Weltmeer hausten die letzten
+ Christen.«
+
+ In diese letzte Christengemeinde wird Helgrimur, der letzte
+ Dichter, verschlagen. Draußen in der Welt hatten sie ihn verstoßen
+ und verhöhnt, da er ihnen vom Schönsten und Hehrsten gesungen.
+ Sie traten ihn mit Füßen und schalten ihn einen Thoren, da er
+ sich mit Liedern in ihre Klugheit zu mischen wagte. Da zog er
+ denn verzweifelnd fort in's Weite.
+
+ Hirt und Hüter der letzten Christengemeinde ist Anakletus, der,
+ einem finsteren Wahn verfallen, durch Zauberkünste einem
+ unerreichbaren Ziele nachstrebt. Die alte Welt will er zertrümmern,
+ eine neue schaffen und selbst als Gott über ihr walten. In diesem
+ Wahnwitze bestärkt und unterstützt ihn Ahasver, der ewige Jude,
+ der verflucht ward zu wandern, »so lange noch zwei Menschen
+ glücklich sind auf Erden, so lange noch eine Liebe keimt zwischen
+ zwei reinen Herzen«.
+
+ Und so sehen wir die gespenstige Erscheinung Ahasver's überall
+ auftauchen und hindernd dazwischen treten, wo reines Liebesglück
+ emporkeimen möchte. Seine eigene Tochter Siona, die den schönen
+ Fremdling liebt, stößt der ewige Jude von der Klippe in's Meer
+ und erlöst sie zugleich, denn der Herr hatte ihr auf ihre Bitte
+ gewährt, ewig mit Ahasver leben zu dürfen, bis der eigene Vater
+ zum Tode die Hand gegen die Tochter erheben werde. Aber Helgrimur
+ und Ismelda, die junge Verwandte des Anakletus, vermag auch
+ Ahasver nicht zu trennen. Ein weißer Vogel schwebt über den
+ Häuptern der Liebenden und folgt ihnen auf ihren Wegen. Das war
+ die ewige Liebe, die am jüngsten Tage über das Meer geflogen kam.
+ Anakletus gesteht den Aeltesten der Gemeinde seinen Gottesfrevel
+ ein und wird an's Kreuz geschlagen.
+
+ »Die Kuppel des Domes schwand. Mitten in den fliegenden Wolken,
+ umzuckt vom feurigen Schein der Blitze, hing der Gerichtete.
+ Immer höher und höher strebte das Kreuz empor. Und immer höher
+ wuchs mit ihm der ewige Jude. Zuletzt schienen sie Beide in
+ Lüften zu schweben.
+
+ Das Volk lag auf den Knieen und wagte es kaum, emporzuschauen;
+ denn in unendlicher Höhe schwebte der Gekreuzigte. Und der
+ gespenstige Alte hatte sich an's Kreuz geklammert.
+
+ Aus der Höhe aber kam es wie mächtiger Gesang von vielen
+ Tausenden ...
+
+ Libera de infernorum
+ Poenis carnem fragilem,
+ Infimoque peccatorum
+ Da aeternam requiem!
+
+ Verschwunden war der Dom. Keine Altäre waren mehr zu sehen.
+ Weite, graue Nebelmassen dehnten sich allwärts.
+
+ Helgrimur und Ismelda hielten sich umschlungen und standen
+ aufrecht unter der knieenden Menge. Sie waren keines Lautes fähig
+ und keiner Bewegung.
+
+ Und immer dichter und erstickender wallten die Nebelmassen. Ein
+ fahler Schein glitt über sie hin und schien Gestalten aus ihnen
+ zu weben, wie sie nie gewohnt auf Erden ... seltsame Gestalten.
+ Und die Gestalten erfüllten die ganze Welt mit ihren riesigen
+ Leibern. Aus der Höhe ertönten dumpfe Hammerschläge und gaben
+ gewaltigen Widerhall durch die Welt.
+
+ Es schrie das Volk. Der Grund der Erde bebte. Durch die Nebel
+ leuchteten feurige Zungen. Von ferne brauste es. Es war das
+ Weltmeer, das aus seinen Gründen gewichen.
+
+ Und es schien sich zu bilden ein feuriger Arm, der weithin ragte
+ durch die Welt. Helgrimur war es, als ob dieser Arm ihm winke.
+
+ Da löste sich ihm die Sprache. Noch einmal drückte der letzte
+ Dichter sein Lieb an's Herz.
+
+ >Der _Herr_ sei uns gnädig am jüngsten Tage!< rief er.«
+
+ Und als der jüngste Tag vorüber und herrliche Wesen in
+ überirdischem Schimmer ob dem Wasser schweben, wird Ahasver von
+ Neuem verflucht und versinkt lautlos in den Wellen, auf deren
+ Grunde er einsam wandern soll mit seiner Qual, damit sein Anblick
+ nicht das Glück der reinen, ewigen Wesen störe.
+
+ Einen überraschenden Reichthum an tiefen Gedanken birgt das
+ kleine Werk, das den Triumph der reinen über die sinnliche Liebe,
+ über den öden Materialismus der hinsterbenden Welt in einer Weise
+ schildert, deren nur ein echter Dichter fähig ist.
+
+
+
+
+ Bacmeister's Verlag in Erfurt und Leipzig.
+
+
+ Bismarck
+ und der
+ Staats-Socialismus.
+
+ Darstellung der socialen
+ und wirthschaftlichen Gesetzgebung Deutschlands
+ seit 1870
+
+ von
+ William Harbutt Dawson,
+ Verf. von »Der Socialismus in Deutschland und Ferdinand
+ Lassalle« &c.
+
+ Aus dem Englischen übersetzt
+ vom
+ Bibliographischen Bureau zu Berlin.
+
+ Autorisirte deutsche Ausgabe.
+
+ Preis 2 Mark.
+
+ Zum Verständniß der brennendsten Fragen der Gegenwart ist dieses
+ durchaus objektiv gehaltene Werk unbedingt nothwendig. Die Presse
+ aller Parteien bezeichnet es einstimmig als eine Arbeit, die nur
+ ein Ausländer, der fern vom deutschen Parteigetriebe steht, in
+ dieser Klarheit schaffen konnte.
+
+
+ Bacmeister's Verlag in Erfurt und Leipzig.
+
+
+ Tiroler Leut.
+
+ Berggeschichten und Skizzen
+
+ von
+ Rudolf Heinrich Greinz.
+
+ Preis 1 Mk.
+
+ Es ist eine ganz merkwürdige Welt, in die uns der Verf.
+ verpflanzt; kindlich-naive und kindlich-gläubige Menschen,
+ Naturkinder im vollsten Sinne des Wortes, so abgeschlossen von
+ der Kulturwelt wie ihre hohen Berge, kindlich namentlich auch in
+ Sachen der Religion. So fremdartig uns auch diese Welt vorkommt,
+ so sehr heimelt sie uns doch an durch die Wahrheit und
+ Treuherzigkeit der Schilderung. Es sind Erzählungen theils
+ heiteren, theils ernsten Inhalts, lauter trefflich abgerundete,
+ lebenswahre und lebenswarme kleine Gemälde, ein Strauß frischer
+ und duftender Alpenblumen und -Kräuter, der Herz und Geist
+ erquickt.
+
+
+ Das
+ Abiturienten-Examen.
+
+ Gymnasial-Humoreske
+
+ von
+ Rudolf Heinrich Greinz.
+
+ Preis 50 Pfg.
+
+ Hier sprudelt voller, frischer Humor, der Alt und Jung gefangen
+ nimmt. Greinz ist, wie auch einzelne Erzählungen der »Tiroler
+ Leut« zeigen, ein Humorist, der sich schnell einen weiten
+ Freundeskreis erobert hat. Tiefer Ernst und heiterer Scherz
+ stehen ihm zu Gebote, wie sie nur ein begnadeter Dichter haben
+ kann.
+
+
+ Kultur- und Literatur-Bilder.
+
+ Herausgegeben von
+ R. H. Greinz. 1. Heft. Preis 80 Pfg.
+
+ Ein tieferes Verständniß unserer Zeit zu erlangen, ist eine
+ keineswegs leichte Aufgabe. Ist doch unser »fin de siècle« eine
+ derjenigen Uebergangsepochen der Geschichte, die der Menschheit
+ neue Bahnen der Entwickelung anzuweisen bestimmt sind, eine Zeit
+ so voll gährenden Dranges, so voll Keime und Ansätze zu neuen
+ Zukunftsgestaltungen auf allen Gebieten des Lebens, wie kaum eine
+ der bis jetzt verflossenen Geschichtsperioden. »Unsere Zeit eilt
+ in heftigem Zwiespalt fernen unbekannten Zielen zu«, sagt Leopold
+ von Ranke von ihr. Es gehört schon eine gründliche geschichtliche
+ und philosophische Bildung dazu, jene fernen unbekannten Ziele
+ auch nur in den äußersten Umrissen vorausahnen, das Sphinxantlitz
+ der Geschichte des nächsten Jahrhunderts auf die hinter ihm
+ verborgenen Räthselfragen hin prüfen zu wollen. Da ist denn ein
+ neues Unternehmen, wie das obengenannte, zeitgemäß und
+ empfehlenswerth, das sich zum Ziele setzt, in übersichtlicher
+ Darstellung ein volles Verständniß für die wichtigsten Strömungen
+ und bedeutendsten Erscheinungen des Geisterlebens der
+ Kulturvölker unserer Zeit zu erschließen und zwar in einem Tone, der
+ die durstende Volksseele befriedigt, der zugleich gediegen und
+ anziehend ist. Das bis jetzt vorliegende erste Heft, das folgende
+ Arbeiten enthält: Zum tieferen Verständniß unserer Zeit von Dr.
+ W. Calaminus. Reflexion über Richard Voß' »Die neue Zeit« von
+ Adolf May. Die Armen und Elenden von R. H. Greinz. Die
+ amerikanische Presse von Philipp Berges. Die Hypnose im Roman von
+ Dietrich Eckart. Amerikanische Humoristen und Novellisten von M.
+ Giovanni. Einblicke in die deutsche Literatur der Gegenwart --
+ verdient entschieden Anerkennung für das Geschick und den Takt,
+ mit denen es diesem Ziele nachstrebt. Sämmtliche Arbeiten sind
+ treffende Bilder wichtiger geistiger Strömungen unserer Zeit. Das
+ neue Unternehmen ist auch wegen seiner Form beachtenswerth, denn
+ es ist keine Zeitschrift, die regelmäßig erscheint, sondern als
+ eine Bibliothek, eine Art Sammelwerk frei erscheinender und
+ einzeln käuflicher Hefte gedacht, um es so allgemeiner zugänglich
+ zu machen. Wir empfehlen es allen ernster Denkenden, die den
+ rauschenden und brausenden Tagesströmungen unserer
+ vielgestaltigen, lebensvollen Zeit auf den Grund schauen möchten,
+ angelegentlich.
+
+
+ Bacmeister's Verlag in Erfurt.
+
+ Von Arnold v. d. Passer sind erschienen und
+ durch alle Buchhandlungen zu beziehen:
+
+
+ Gedichte.
+
+ Mark 1,--. Wagner, Innsbruck.
+
+
+ Neue Gedichte.
+
+ Mk. 1,--. S. Pötzelberger, Meran.
+
+
+ Herm. v. Gilm, sein Leben und seine Dichtungen.
+
+ Mk. 2,--. Liebeskind, Leipzig.
+
+
+ Ausgewählte Dichtungen
+
+ von Herm. v. Gilm,
+
+ Mk. 3,20. Liebeskind, Leipzig.
+
+
+ Volksschauspiele in Tirol.
+
+ Meran im Jahre 1809.
+
+ Mk. --,60. Literar. Institut, München.
+
+
+ Bacmeister's Verlag in Erfurt und Leipzig.
+
+
+ Kultur- und
+ Literatur-Bilder.
+
+ Herausgegeben
+ von
+ Rudolf Heinrich Greinz.
+
+ Heft 1. Preis 80 Pfg.
+
+
+ Inhalt:
+
+
+ Zum tieferen Verständniß unserer Zeit.
+
+ Von Dr. W. Calaminus.
+
+
+ Reflexion über R. Voß' »Die neue Zeit«.
+
+ Von Adolf May.
+
+
+ Die Armen und Elenden.
+
+ Von Rudolf Heinrich Greinz.
+
+
+ Die amerikanische Presse.
+
+ Von Philipp Berges.
+
+
+ Die Hypnose im Roman.
+
+ Von Dietrich Eckart.
+
+
+ Amerikanische Humoristen und Novellisten.
+
+ Von M. Giovanni.
+
+
+ Einblicke in die deutsche Literatur der Gegenwart.
+
+ Die »Kultur- und Literaturbilder« bilden eine Bibliothek frei
+ erscheinender und einzeln käuflicher Hefte, die sich vornehmlich
+ dadurch charakterisiren, daß sie in übersichtlicher Darstellung
+ ein volles Verständniß für die wichtigsten Strömungen und
+ bedeutendsten Erscheinungen des jetzigen Kulturlebens erschließen
+ wollen. -- Allen Ernstdenkenden seien diese gediegenen und
+ anziehend geschriebenen Bilder warm empfohlen.
+
+
+ Die allgemeine Volksschule
+
+ als Grundbedingung zur endgiltigen Lösung der
+ Schulreform-Frage.
+
+ Von
+ H. Schröer, Berlin.
+
+ Preis 80 Pfg.
+
+ Ein reiches und wohlgeordnetes Material unterrichtet über eine der
+ wichtigsten Fragen der Gegenwart, so daß die Ansichten des
+ Verfassers in den weitesten Kreisen Verbreitung und Beachtung
+ gewinnen.
+
+
+ Bacmeister's Verlag in Erfurt und Leipzig.
+
+
+ Kleine Studien.
+
+
+ 1. Die Behandlung der Tonkunst am Ausgange des 19.
+ Jahrhunderts.
+
+ Thatsachen, Aussprüche und Erfahrungen zur Beachtung
+ für alle Musikfreunde.
+
+ Von Anton Huber.
+
+ Preis 50 Pfg.
+
+
+ 2. Henrik Ibsen.
+
+ Ein Essay von
+ Dr. Theodor Odinga.
+
+ Preis 20 Pfg.
+
+
+ 3. Moderne Wege zum Wohlstand.
+
+ Skizzen aus dem amerikanischen Leben.
+
+ Von Philipp Berges. 1.-9. gleichlautende Auflage.
+
+ Preis 50 Pfg.
+
+
+ 4. Die Entdeckung Amerika's durch die Normannen im
+ 10. und 11. Jahrhundert.
+
+ Von H. Röttinger. -- Preis 30 Pfg.
+
+
+ 5. Volksschauspiele in Bayern.
+
+ Von Adolf May.
+
+ 3. Auflage.
+
+ Preis 30 Pfg.
+
+
+
+
+ Anmerkungen zur Transkription
+
+
+Die Schreibweise der Buchvorlage wurde weitgehend beibehalten. Einige
+wenige Fehler wurden korrigiert wie hier aufgeführt (vorher/nachher):
+
+ [S. 28]:
+ ... Ausgang kaum zweifelhaft sein konnte. Nach wenig ...
+ ... Ausgang kaum zweifelhaft sein konnte. Nach wenigen ...
+
+ [S. 45]:
+ ... Wohl fehlte es nicht an dunklen drohendem Gewölke, ...
+ ... Wohl fehlte es nicht an dunklem drohendem Gewölke, ...
+
+ [S. 69]:
+ ... Dienste der Gesellschaft stehend, war er erst vor wenig ...
+ ... Dienste der Gesellschaft stehend, war er erst vor wenigen ...
+
+ [S. 74]:
+ ... jetzt im Besitz einiger Wenigen und zahllose zerstörte ...
+ ... jetzt im Besitz einiger Weniger und zahllose zerstörte ...
+
+
+
+
+
+
+End of the Project Gutenberg EBook of Mene tekel!, by Arnold von der Passer
+
+*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 56991 ***
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-The Project Gutenberg EBook of Mene tekel!, by Arnold von der Passer
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most
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-
-Title: Mene tekel!
- Eine Entdeckungsreise nach Europa
-
-Author: Arnold von der Passer
-
-Release Date: April 17, 2018 [EBook #56991]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: ISO-8859-1
-
-*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK MENE TEKEL! ***
-
-
-
-
-Produced by Jens Sadowski and the Online Distributed
-Proofreading Team at http://www.pgdp.net
-
-
-
-
-
-
-
-
-
- Mene tekel!
-
-
- Eine Entdeckungsreise nach Europa.
-
- Von
- Arnold v. d. Passer.
-
-
- Erfurt und Leipzig.
- Bacmeister's Verlag.
- 1893.
-
-
- Alle Rechte vorbehalten.
-
- Der Verfasser.
-
-
- Buchdruckerei Albert Limbach, Braunschweig.
-
-
-
-
- Vorwort.
-
-
-Das Buch des genialen Amerikaners Bellamy, welches den socialistischen
-Zukunftsstaat im günstigsten Lichte schildert, hat zahlreiche Schriften
-zu Tage gefördert, die den entgegengesetzten Zweck verfolgen, nämlich
-den Socialstaat mit den düstersten Farben auszumalen und auf diese Weise
-Stimmung gegen die Socialdemokratie zu machen.
-
-Bellamy sowohl als seine Gegner gehen indessen von dem nämlichen Punkte
-aus. Sie nehmen sämmtlich an, daß über kurz oder lang ein Moment
-eintreten werde, in welchem die capitalistische Gesellschaft
-ausgewirthschaftet haben und von der socialistischen abgelöst werden
-wird. Der Unterschied ist nur der, daß bei Bellamy das Experiment
-günstig, bei seinen Widersachern aber höchst unglücklich ausfällt.
-
-Die eifrigsten Gegner der Socialdemokratie scheinen demnach selbst der
-Ansicht zu leben, daß die capitalistische Gesellschaft eines Tages am
-Abschluß ihrer Laufbahn angelangt sein werde, allerdings nur
-vorübergehend, um alsdann neu verjüngt aus der Asche des Socialstaates
-emporzusteigen -- und ihr Spiel von Neuem zu beginnen; diesmal natürlich
-nicht mehr genirt von den praktisch _ad absurdum_ geführten Bestrebungen
-der Socialdemokratie. Die Letztere wird, so hoffen sie, sich selbst
-vernichten und der ungestörten capitalistischen Entwicklung werde nichts
-mehr im Wege stehen.
-
-Was hindert uns aber anzunehmen, daß dieser von den Gegnern der
-Socialdemokratie gewiß als sehr wünschenswerth angesehene Zustand einer
-gänzlich ungehinderten capitalistischen Wirthschaft schon früher
-eintrete, nicht herbeigeführt durch die Socialdemokratie selbst, sondern
-durch die mit Erfolg gekrönten Bestrebungen aller Jener, welche sie
-jetzt mit ihrer glühenden Feindschaft beehren und sie lieber heute als
-morgen gänzlich vernichten würden?
-
-Nehmen wir einmal an, der Einfluß und die Beredsamkeit des Herrn Eugen
-Richter sei wirklich so groß, daß vor dem Runzeln seiner Brauen die
-Socialdemokratie in Staub zerfallen werde. Dann wird es
-selbstverständlich in jenem Momente, den Bellamy und selbst seine Gegner
-prophezeien, keine Socialisten geben und was alsdann eintritt -- das
-soll eben mein Buch schildern!
-
-Vielleicht trägt es dazu bei, auch Anderen die Ueberzeugung
-beizubringen, die sich mir schon längst aufgedrängt hat, daß nämlich
-diejenigen, welche, wie Herr Eugen Richter, die Socialdemokratie bis
-aufs Messer bekämpft wissen möchten, weitaus staatsgefährlicher, als die
-ungestümsten Socialisten und zum mindesten ebenso culturfeindlich sind,
-als die schwärzesten Clerikalen.
-
-Wenn die socialistische Bewegung, diese großartigste aller
-Culturströmungen, seit es eine Menschheit giebt, nicht schon bestände,
-sie müßte geradezu von Staats wegen geschaffen werden, um die
-Civilisation vor jenem Abgrunde zu retten, auf den wir, wenn es nach
-Herrn Richter geht, ohne Bedenken zulaufen.
-
-Die capitalistische Productionsweise ist früher oder später dem
-Untergange geweiht; Sache der Gesellschaft ist es, Sorge zu tragen, daß
-diese Umwälzung sie nicht unvorbereitet treffe, daß das Volk erzogen
-werde für diesen Moment, und Niemand kann dieses Erziehungswerk
-vollziehen, als die Socialdemokratie. Wer sie daran hindert, ist
-entweder ein Wahnsinniger oder ein Verbrecher!
-
-Was nun mein Buch anbelangt, so erlaube ich mir, noch einige Bemerkungen
-über dessen Inhalt vorauszuschicken. Ich erblicke in dem Freilandstaate,
-wie er vorläufig von Herrn Hertzka projectirt ist, noch lange kein
-Ideal; nehme aber die Möglichkeit an, daß er sich nach und nach auf rein
-socialistischen Grundlagen zu einem solchen ausgestalten könne. Auf
-jeden Fall dürfte er besser und vernunftgemäßer eingerichtet werden, als
-andere uns näher liegende Staatengebilde.
-
-Daß meine Freilandleute hie und da Gebrauch von ihren Waffen machen,
-wird man ihnen wohl, angesichts des Umstandes, daß es nur im Zustande
-der Nothwehr geschieht, verzeihen. Wenn mein Büchlein auch nur einen
-einzigen Gegner der Socialdemokratie _zum Nachdenken_ -- mehr
-beanspruche ich nicht -- veranlassen sollte, so hat es seinen Zweck
-erfüllt.
-
-Obermais bei Meran, Neujahr 1893.
-
- Arnold v. d. Passer.
-
-
-
-
- 1. Capitel.
-
- Ein Fest am Victoria-Nyanza, Anno 2398 n. Chr. -- Die Bewässerung
- der Sahara. -- Der Freilandstaat in Gefahr. -- Verlassene
- Colonien. -- Eine Volksabstimmung. -- Das verödete Weltmeer. --
- Ein Riesencanal. -- Die Flotte des Freilandstaates.
-
-
-Die große Volkshalle in Thomasville am Victoria-Nyanza-See, der
-Metropole des Freilandstaates, war am Abend des 17. März 2398 bis auf
-das letzte Plätzchen gefüllt. Von den Eisensparren des riesigen domartig
-gewölbten Raumes hingen in anmuthigen Bogen Guirlanden herab, durchwirkt
-von den Kelchen tausender und abertausender buntschillernder tropischer
-Blumen; in zauberischem Glanze wogte von der Kuppel hernieder ein Strom
-bläulich-weißen elektrischen Lichtes auf die unzählbare, festlich
-gekleidete Menge, welche den Klängen eines fünfhundertköpfigen
-Sängerchores lauschte. Wie Gesang himmlischer Heerschaaren fielen in die
-imposante Tonfülle plötzlich hundert liebliche Kinderstimmen ein, dann
-schloß sich brausend und rauschend der Klang einer unsichtbaren Orgel
-an, und in mächtigen Accorden endete das Musikstück, gefolgt vom
-Beifallssturm der tief ergriffenen Menge.
-
-Nach einer Pause, während welcher die allgemeine Erregung wieder
-erwartungsvoller Stille Platz gemacht hatte, betrat der erste Präsident
-der wissenschaftlichen Academie zu Thomasville, der in weitesten Kreisen
-berühmte und gefeierte Professor Bellmann, die in der Mitte des
-Orchesterraumes errichtete Rednerbühne und seine kraftvolle Stimme drang
-in wohlgesetzter Rede bis in die fernsten Winkel des colossalen Raumes.
-Er besprach zunächst die Ursache des heutigen, an allen bewohnten
-Stätten des Continentes gleichzeitig gefeierten Festes. Heute vor 500
-Jahren, am 17. März 1898 hatten jene weitblickenden und hochherzigen
-Männer, welche von Europa herübergefahren waren, um im Herzen Afrika's
-den Freilandstaat zu gründen, den Boden des dunklen Welttheiles
-betreten. Ihnen ist es zu verdanken, daß Afrika jenen Namen schon seit
-Jahrhunderten nicht mehr verdient, daß es vielmehr allen Anspruch
-erheben kann, der »glückliche« Welttheil genannt zu werden. Und nun
-schilderte der Redner in kurzen Umrissen die Geschichte der letzten
-fünfhundert Jahre, wie das kleine, am Keniagebirge unter Schwierigkeiten
-und Hindernissen aller Art gegründete Gemeinwesen, Dank den richtigen
-und humanen Grundsätzen, von denen es geleitet wurde, immer mehr und
-mehr sich entwickelte und aufblühte, wie seine Grenzen sich ausdehnten,
-und wie es endlich so weit kam, den ganzen großen Continent von der
-Küste des Mittelmeeres bis hinab zum Cap der guten Hoffnung und
-Millionen friedlicher, gesitteter Menschen zu umschließen.
-
-Schon seit Jahrhunderten waren die großen Wildnisse des Innern
-erschlossen und die Negerbevölkerung hatte sich so culturfähig gezeigt,
-daß aus ihrer Mitte seither eine große Zahl vortrefflicher Künstler und
-Gelehrter hervorgegangen waren. Die grausamen Sklavenjagden vergangener
-Zeiten lebten nur noch wie halbverschollene Sagen in der Ueberlieferung
-der jetzigen Generation. An den großen Seen, wo früher blutige
-Schlachten zwischen den sich befehdenden Stämmen geliefert worden waren,
-breitete sich eine Kette anmuthiger Ortschaften aus und als Perle unter
-ihnen die prächtige, glanzvolle Hauptstadt Thomasville, dem großen
-Utopisten des Reformationszeitalters, Thomas Moore, zu Ehren so genannt.
-Die Sahara hatte die Bewohner von Freiland ebenso wenig in ihrem
-Culturwerk aufzuhalten vermocht, als die riesigen Urwälder am Aruwimi,
-welche Stanley einst mit seinen halbverhungerten Schaaren durchzog.
-Erstere war schon seit zweihundert Jahren in ihrer ganzen Ausdehnung
-bewässert und jetzt ein unabsehbares Fruchtgefilde, mit reizenden
-Palmenhainen geschmückt, die sich in den kühlen Fluthen der Canäle
-spiegelten, von denen das Land allenthalben durchzogen wurde. Viele
-hunderte blühender Städte und Dörfer lagen jetzt dort, wo einst der
-Samum mit den Gebeinen verschmachteter Karawanen sein Spiel getrieben
-hatte. Der Urwald am Aruwimi aber war schon längst in einen Riesenpark
-verwandelt, von Straßen und Eisenbahnen durchzogen und nicht mehr von
-Canibalen und Zwergen, sondern von schöngebauten, hochcultivirten
-Menschen bewohnt. Fast ungestört hatte sich dieses großartige Culturwerk
-im Laufe der Jahrhunderte vollzogen; erst langsam, dann schnell und
-immer schneller. Nur ein einziges Mal, gegen Ende des 20. Jahrhunderts,
-schwebte der Freilandstaat in Gefahr, vernichtet zu werden, nicht durch
-die Schaaren der Eingeborenen oder der räuberischen Araber, sondern
-durch große bewaffnete Expeditionen, welche von Europa aus abgesendet
-worden waren, um dem jungen Gemeinwesen die Oberhoheit und die Gesetze
-der alternden Staaten jenseits des Mittelmeeres aufzuzwingen.
-
-Damals kam es zwischen der Küste und den großen Seen zum
-Entscheidungskampfe, in dem die Begeisterung der Freiland-Schaaren einen
-glänzenden Sieg davontrug. Das war der erste und letzte Versuch gewesen,
-die Schrecken des Krieges in das friedliche Staatswesen im Innern
-Afrika's zu tragen; immer weiter und weiter schob es seine Ansiedlungen
-gegen die Küsten vor und gegen Mitte des 23. Jahrhunderts fanden die
-Freilandbürger, daß diese Küsten in ihrer ganzen Ausdehnung fast
-menschenleer waren. Die einst mit so großen Opfern gegründeten und
-unterhaltenen europäischen Colonien waren aus unerfindlichen Ursachen
-verlassen und dem Ruine preisgegeben worden; nur an jenen Punkten, wo
-die europäische Cultur einst den festesten Fuß gefaßt hatte, wie in
-Unteregypten, in Algier und am Cap der guten Hoffnung, lebte noch in den
-Ruinen verfallener Städte ein kümmerliches entartetes Geschlecht, das
-noch einige Reste alter Cultur sich bewahrt, und dessen europäische
-Abkunft sich nicht gänzlich verwischt hatte.
-
-Als man diese überraschende Entdeckung gemacht hatte und inne geworden
-war, daß, soweit das afrikanische Festland reichte, der Entwicklung des
-Freilandstaates nichts mehr im Wege liege, wurde allgemein das Verlangen
-laut, den Ursachen dieses Umstandes auf die Spur zu gehen.
-
-Von den Küsten abgeschlossen, hatte das junge Staatswesen bisher sein
-ganzes Augenmerk lediglich auf seine innere Entwicklung und Festigung
-gerichtet und keinerlei Versuch gemacht, mit außerafrikanischen Völkern
-in Verkehr zu treten. Hatten die ersten Ansiedler-Generationen noch
-einige Beziehungen zur alten Heimath unterhalten, so war auch dieses
-lose Band im Laufe der Zeit gänzlich gelöst worden. Seit mehr als 200
-Jahren war nur hie und da eine dunkle Kunde von Europa und seinen
-Zuständen ins Innere des afrikanischen Continentes gedrungen, und so war
-es leicht begreiflich, daß jetzt das Verlangen sich regte, das Versäumte
-nachzuholen und neue Beziehungen zu dem alten Mutterlande herzustellen.
-Eine Flotte sollte gebaut und ausgerüstet werden mit der Bestimmung, die
-Haupthandelsplätze der anderen Welttheile, namentlich Europa's,
-aufzusuchen und über die Zustände dortselbst genau Bericht zu erstatten.
-
-Diesem Verlangen widersetzte sich jedoch die Oberleitung des Staates
-sehr energisch und zwar aus schwerwiegenden Gründen. Noch waren die
-Kräfte des jungen Staatswesens bei Weitem nicht derart entwickelt, daß
-dasselbe gegen jede Einwirkung von außen her als gefeit angesehen werden
-konnte. Noch war die Hauptmacht des Staates im Innern des Welttheiles
-concentrirt; an den Küsten existirten nur vorgeschobene Posten, welche
-für den Fall, daß von Europa aus wiederum feindselige Absichten zur
-Durchführung gelangt wären, der Vernichtung fast mit Sicherheit
-ausgesetzt waren, noch lagen weite uncultivirte, oder nur dürftig
-bevölkerte Länderstrecken zwischen dem Innern und der Küste und große,
-die Thatkraft und den Fleiß der Bevölkerung auf Generationen hinaus in
-Anspruch nehmende Culturaufgaben waren zu bewältigen. Ihre Hauptaufgabe
-erblickte die oberste Staatsleitung indessen darin, einen etwaigen
-Rückfall des Freilandstaates in die veralteten Geleise der
-capitalistischen Productionsweise unter allen Umständen unmöglich zu
-machen und sie fürchtete vielleicht nicht mit Unrecht, daß die Eröffnung
-von Handelsbeziehungen zu den alten Staaten im Stande sei, in dieser
-Hinsicht unberechenbare Gefahren herauf zu beschwören, denen auf alle
-Fälle vorläufig aus dem Wege gegangen werden müsse, und zwar umsomehr,
-als Afrika bis zu diesem Augenblicke alles was seine Bewohner bedurften,
-selbst zu produciren befähigt war. Mit dieser vielleicht etwas
-engherzigen Ansicht befand sich die Freiland-Regierung -- zum ersten
-Male seit ihrem Bestande -- in Widerspruch mit einem großen Theile der
-Bevölkerung, aber die Gründe, welche sie leiteten, wurden dennoch von
-der Mehrheit als einleuchtend anerkannt und der Regierungsantrag, die
-Expedition nach Europa bis zum Jahre 2398, dem fünfhundertjährigen
-Jubiläum von Freiland, zu verschieben, fand bei der allgemeinen
-Volksabstimmung die Majorität für sich. Man war entschlossen, keine von
-Europa aus etwa angeknüpften Beziehungen zurückzuweisen, aber ebenso
-entschlossen, von sich selbst aus derartige Beziehungen vor dem
-genannten Zeitpunkte nicht aufzusuchen. Wenn die Anhänger der
-Expeditionsidee aber nun gehofft hatten, daß von Europa oder anderen
-Welttheilen aus früher oder später ein Versuch gemacht werden möge, mit
-dem immer schöner aufblühenden afrikanischen Staate in Verkehr zu
-treten, so hatten sie sich gänzlich getäuscht. Seltsamerweise unterblieb
-ein solcher Annäherungsversuch und von allen Küsten Afrika's kam
-jahraus, jahrein die Meldung, daß das weite Weltmeer öde und verlassen
-daliege, daß auch am fernsten Horizonte nicht die Spur eines Segels zu
-entdecken sei. Inzwischen ging die Cultivirung Afrika's mit
-Riesenschritten vorwärts, und als die ersten 500 Jahre seit der Gründung
-des Freilandstaates sich ihrem Ende zuneigten, war der einst so
-unwirthliche Erdtheil von einem Ende bis zum anderen ein Garten, ein
-Paradies, geschmückt mit allen Errungenschaften menschlicher Arbeit und
-bewohnt von Millionen zufriedener gesitteter Menschen.
-
-Schon lange vor diesem Zeitpunkte war eine Riesenarbeit in Angriff
-genommen worden, welche den Zweck hatte, den Victoria-Nyanza direct mit
-dem Meere in Verbindung zu setzen: ein Schifffahrtskanal, für die
-größten Seeschiffe passirbar, wurde vom Westgestade des Sees bis zum
-Congo angelegt, der Riesenstrom selbst in seiner ganzen Länge vom Meere
-bis zum Einfluß des Aruwimi, dessen Unterlauf selbst einen Theil des
-großen Canals bildete, regulirt und canalisirt und als die
-Freilandflotte, bestehend aus 50 stattlichen Schiffen neuester
-Construction, auf dem Victoria-Nyanza zum Auslaufen bereit lag, war der
-Canal, durch den sie ihren Weg zum Meere nehmen sollte, bis auf den
-letzten Nagel in der letzten Schleuse fertig. Am morgigen Tage, so
-schloß Professor Bellmann seine Rede, werde der Präsident des
-Freilandstaates unter großen Feierlichkeiten diesen letzten Nagel
-eigenhändig einschlagen und die Flotte sodann augenblicklich ihre Reise
-nach den europäischen Küsten antreten. »Ausgerüstet mit dem Besten, was
-die vereinte Arbeit der Freilandbürger geschaffen, wird sie, begleitet
-von unseren Segenswünschen, hinausfahren bis zu dem Gestade des alten,
-für uns schon fast verschollenen Mutterlandes und den Bewohnern
-desselben die Kunde überbringen, daß hier in Afrika die Nachkommen jener
-vor fünf Jahrhunderten gelandeten Ansiedler ein mächtiges blühendes
-Gemeinwesen sich geschaffen haben, in dem Jeder die Früchte seines
-Fleißes voll und ganz genießen kann, in dem man nur aus den
-Ueberlieferungen einer fünfhundertjährigen Vergangenheit noch weiß, daß
-die Menschheit einst in Reiche und Arme geschieden war, und daß es
-Zeiten gab, in denen der Mensch seinen Nebenmenschen verhungern ließ,
-während er selbst in Ueberfluß schwelgte.«
-
-»Diese Zeiten sind, für unsere Gesellschaft wenigstens, auf immer vorbei
-und mit berechtigtem Stolze können wir hinweisen auf die Früchte unserer
-segensreichen, selbstgeschaffenen Institutionen. Und sollte man jenseits
-des Meeres noch immer nicht den Segen derartiger Einrichtungen kennen,
-so möge unsere Flotte dort den Keim legen zu einer neuen besseren
-Zukunft, auf daß nicht bloß dieser Erdtheil, sondern das ganze Erdenrund
-des Glückes theilhaftig werde, das wir schon längst genießen.«
-
-So schloß Professor Bellmann unter rauschendem Beifall seine Festrede.
-
-
-
-
- 2. Capitel.
-
- Europäische Reliquien. -- An der Elbemündung. -- Im Hafen von
- Hamburg. -- Ruinenstadt und Todtenschiffe. -- Eine Begegnung mit
- Eingeborenen.
-
-
-Ohne an irgend einem Punkte der europäischen Küsten zu landen, war die
-afrikanische Flotte durch den atlantischen Ocean und den Canal bis in
-die Nordsee gesegelt und schwamm in einer windstillen Frühlingsnacht,
-angesichts der deutschen Küste, ihrem ersten Ziele, der Elbemündung, zu,
-um im Hafen von Hamburg vor Anker zu gehen. Der Mondschein lag hell auf
-der weiten Wasserfläche, über der ein leichter nebliger Dunst wallte,
-kein Laut war weit und breit hörbar als das leise Gurgeln und Klatschen
-der Wellen am Kiel und das dumpfe, gleichförmige Dröhnen der mächtigen
-Schiffsmaschinen. In weiter Ferne, kaum unterscheidbar, streckte sich
-der schwarze dünne Streifen der norddeutschen Küste hin, aber vergebens
-spähte der Blick nach einem freundlichen Lichtscheine; dunkel und
-glanzlos lag das Land, soweit die Augen es erfaßten.
-
-An der Brüstung eines der majestätisch dahingleitenden Schiffe lehnten
-zwei junge Seeleute, mit gespannter Aufmerksamkeit zu jenem dunkeln
-Streifen in der Ferne hinüberlugend.
-
-»Kein Licht weit und breit! Weder ein Leuchtthurm noch eine Bake! Das
-scheint mir eine nette Wirthschaft zu sein!« brummte der Eine, eine
-hochgewachsene schlanke Gestalt.
-
-»Die Hamburger sind vermuthlich auf unseren Besuch nicht gefaßt, oder
-die Lootsen hier zu Lande kriechen mit den Hühnern in's Bett«, erwiderte
-sein Kamerad, »Deine Verwandten, Kurt, liegen gewiß auch längst in den
-Federn!« -- »Kannst Recht haben, Willy, wenn sie überhaupt existiren«,
-sprach wieder der Erste, »bin auch verdammt neugierig, was sie für Augen
-machen werden, wenn der Vetter aus Afrika daherkommt!«
-
-»'S ist mir nur nicht recht klar«, meinte Willy, »wie Du ihre Spur
-finden willst in dem Lande, wo wir keinen Menschen kennen!«
-
-»Das ist vielleicht nicht so schwer, als Du glaubst. In meiner Familie
-haben sich viele Reliquien aus Europa erhalten, aus jener Zeit, als die
-Gründer unseres Staates diesen Erdtheil noch nicht verlassen hatten. Ein
-Urahne meines Vaters hatte noch in Europa eine Art von Familienarchiv
-angelegt, in welchem er alle Erinnerungsstücke seiner Familie, sowie
-seines eigenen Lebens sammelte. Dieses Archiv, welches schon damals
-einen Schatz an werthvollen interessanten Handschriften, Portraits und
-Andenken aller Art umfaßte, brachte er mit nach Afrika und es ist
-seitdem in unserer Familie heilige Pflicht geworden, dasselbe zu
-erhalten und nach Möglichkeit zu vermehren. 'S war für mich auch stets
-ein Hauptvergnügen, in diesen Schätzen zu wühlen. Wie ich nun aus einem
-Tagebuch eines meiner Vorfahren ersah, stammt unsere Familie aus
-Thüringen. Nach unserer Landung werde ich mir gleich Urlaub erbitten, um
-mit dem ersten Blitzzuge dorthin zu reisen. Wenn Du Lust hast, Willy, so
-kannst Du mich begleiten.« »Einverstanden, alter Junge«, rief Willy,
-»und wenn Du in Thüringen ein hübsches Bäschen findest, so überläßt Du
-sie mir, das bedinge ich mir aus.«
-
-Er hatte kaum ausgesprochen, als ein heftiger Stoß das Schiff in allen
-seinen Theilen erzittern ließ. Die Freunde eilten der Commandobrücke zu,
-von wo aus die Stimme des Capitäns in den Maschinenraum hinabgellte:
-»Halt! Rückwärts! Langsam!« -- »Was ist los, Capitän?« rief Willy
-hinauf. -- »Wir sind aufgefahren«, tönte es zurück, »es muß eine Untiefe
-im Fahrwasser sein, verdammt, daß man uns keinen Lootsen schickt!«
-Inzwischen war das Zeichen zum Halten auch den anderen Schiffen gegeben
-und eiligst untersucht worden, ob das Schiff beim Anlaufen etwa Schaden
-gelitten. Alles fand sich im besten Stand, aber der Commandant der
-Flotte war doch der Ansicht, daß es rathsamer sei, auf dem Platz bis zum
-Morgen zu verharren und vor der Weiterfahrt das unsichere Fahrwasser
-genau zu untersuchen. Alles verwunderte sich indeß, daß in unmittelbarer
-Nähe der Elbemündung, an einer sicherlich viel befahrenen Route, kein
-einziges Warnungssignal diese gefährliche Stelle bezeichnete. Der
-Vorsicht halber und um einen etwaigen Zusammenstoß mit anderen Schiffen
-zu verhüten, ließ man das electrische Licht nach allen Seiten weithin
-über die See spielen, aber die Sorge war unnütz, das weite Meer war wie
-ausgestorben und nicht einmal eine Fischerbarke kreuzte, soweit die
-Blicke reichten. Also wurden die Anker ausgeworfen, die in geringer
-Tiefe Grund fanden und der Morgen abgewartet.
-
-Das Erste, als der Morgen kam, war, Boote auszusetzen und das Fahrwasser
-nach allen Richtungen hin abzulothen. Das Ergebniß war kein besonders
-erfreuliches. Ueberall, wo man auch das Senkblei hinabließ, fand man in
-der Tiefe von wenigen Metern Grund, nirgends aber genügendes Fahrwasser
-für die Schiffskolosse der afrikanischen Flotte. Es war kein Zweifel
-mehr: die Elbemündung, einst die Einfahrtsstraße unzähliger Schiffe
-jeder Größe, war total versandet und nur noch mit Booten zu befahren.
-Kopfschüttelnd hatte der Commandant diese Meldung vernommen und dann die
-Capitäne der übrigen Schiffe zu sich beschieden, um Rath zu halten. Das
-Ergebniß der Berathung war endlich, daß zwölf wohlbemannte Boote, mit
-Waffen und mit Proviant auf zehn Tage versehen, in See gelassen wurden,
-um die Räthsel, welche sich hier darboten, womöglich zu lösen. Es
-braucht kaum erwähnt zu werden, daß die beiden Freunde Willy und Kurt
-sich ebenfalls bei der Expedition befanden, ja dem Ersteren war sogar
-die Ehre zu Theil geworden, mit dem Befehle über die kleine Flotille
-betraut zu werden. Mit sichtlichem Eifer und in erwartungsvoller Stille
-trafen die zur Einschiffung bestimmten Männer ihre Vorbereitungen. Alle
-waren gespannt auf die Entdeckungen, welche sich ihnen darbieten
-sollten, gar mancher aber konnte sich eines unbestimmten bangen Gefühls
-nicht erwehren.
-
-Am 1. Mai 2398 setzte sich um 11 Uhr Vormittags die Expedition in
-Bewegung. In jedem der zwölf Boote befanden sich einundzwanzig Mann; es
-waren also, ohne die beiden Freunde, gerade zweihundertundfünfzig
-vortrefflich bewaffnete und geschulte, kräftige Männer bei der
-Expedition, eine Macht, mit der man gegebenen Falles auch ernsten
-Eventualitäten schon mit einiger Zuversicht in's Auge sehen konnte.
-Signalapparate von äußerst sinnreicher Construction, deren jedes Boot
-mit sich führte, ermöglichten es außerdem, sich mit der vor der Barre
-ankernden Flotte im Falle der Noth auf sehr weite Distanzen zu
-verständigen. Drei Boote bildeten die Vor- und drei die Nachhut der
-Flotille, während zwischen beiden Abtheilungen, einige hundert Meter von
-einer jeden entfernt, das Gros der Expedition, sechs Boote stark,
-einherfuhr.
-
-Die Boote wurden nicht durch Ruder, sondern durch kleine, aber sehr
-kräftige Electromotoren in Bewegung gesetzt und waren einer großen
-Geschwindigkeit fähig. Da man sich jedoch hier in einem gänzlich
-unbekannten Fahrwasser befand -- die mitgebrachten Karten erwiesen sich
-als veraltet -- und noch nicht wußte, auf welche Hindernisse man
-vielleicht stoßen werde, so hatte Willy den Befehl ertheilt, mit mäßiger
-Geschwindigkeit vorwärts zu fahren. Anfangs bot sich den Blicken nichts
-Bemerkenswerthes dar; niedere flache Ufer, mit Buschwerk bewachsen,
-dehnten sich zu beiden Seiten des mächtig dahinfluthenden Stromes aus;
-je weiter man aber kam, desto deutlicher drängte sich Allen die
-Gewißheit auf, daß hier im Laufe der letzten Jahrhunderte furchtbare
-Veränderungen Platz gegriffen hatten. Jeder Mann der Freilandflotte
-hatte sich mit der Ueberzeugung der deutschen Küste genähert, daß er ein
-reich bevölkertes, mit blühenden Städten und Dörfern bedecktes Land
-finden werde, gesegnet mit allen Errungenschaften einer
-zweitausendjährigen Cultur und namentlich von Hamburg, der großen und
-reichen Handelsstadt, hatten sich alle diese, aus dem Innern Afrika's
-stammenden Männer die glänzendsten Vorstellungen gemacht. Aber nichts
-von dem fand sich hier verwirklicht. Das ganze Land schien eine einzige
-trostlose Einöde, eine menschenleere Wüste zu sein. Auf den niederen
-Hügeln, die sich bei der Weiterfahrt zeigten, wucherte wildes Gestrüpp,
-das hier und da einzelne rauchgeschwärzte Reste uralter Ruinen mit
-tausend Ranken umklammerte und überwucherte. Nirgends ein menschliches
-Wesen, oder auch nur die Spur eines solchen. Schaaren flüchtiger Möven
-schienen das einzig Lebendige weit und breit zu sein. So hatte man
-diejenige Stelle des Flusses erreicht, an welcher sich, den Karten
-zufolge, der Hafen befinden sollte, der große berühmte Hamburger Hafen,
-der Stapelplatz unermeßlicher Schätze aller Welttheile. Was sich den
-Blicken hier darbot, war ein Bild grauenhafter Verwüstung und
-Verwilderung. Das weite Hafenbassin war mit einer grünen filzigen Masse
-bedeckt, durch welche sich die Boote nur mit Mühe vorwärts bewegten. Wo
-der Kiel diese Masse durchschnitt, stiegen faulige, pestilenzialische
-Dünste empor. Von dem Mastenwald, der einst hier zu finden gewesen, war
-nichts zu sehen, als die Wracks einiger großer Dampfer alterthümlicher
-Bauart, welche, dick mit Rost und Moder überzogen, an den verfallenen
-Quais lagen. Längs dieser Quais mußten vor Zeiten ganze Reihen
-prächtiger Paläste gestanden sein; davon legten noch die imposanten
-Ruinen Zeugniß ab, die sich in weitem Umkreise den Ufern entlang zogen.
-
-»Das habe ich mir anders vorgestellt«, flüsterte Willy seinem Freunde
-zu, »ob's wohl in Thüringen bei Deinen Verwandten ebenso ausschaut?« --
-Die Boote der Expedition befanden sich jetzt alle in engem Kreise
-versammelt, und Willy ertheilte den Befehl zur Landung. Fünfzig Mann
-wurden an der Landungsstelle als Reserve und zur Bewachung der Boote
-zurückgelassen. Die übrigen formirten vier Abtheilungen von je fünfzig
-Mann und drangen nach verschiedenen Richtungen in die Straßen der
-Ruinenstadt vor. Ehe sie sich in Bewegung setzten, kam eine kleine
-Abtheilung, welche der Commandant zur Untersuchung der alten Schiffe
-entsendet hatte, zurück. Die Leute zeigten auffallend verstörte Mienen
-und ihr Führer meldete, daß sich ihnen im Innern eines Wracks ein
-furchtbarer Anblick dargeboten habe. Haufen von Skeletten, manche davon
-noch die Klinge oder den Revolver in der Faust, lägen auf Verdeck und in
-den Cajüten, und der Anblick dieser mit grünem Schimmel halb
-überzogenen, vermoderten Ueberreste sei so grauenhaft, daß er einen
-Menschen um den Verstand bringen könne. Vor vielen Jahren müsse dort ein
-Kampf auf Tod und Leben stattgefunden haben, in dem die
-Schiffsmannschaft vermuthlich bis auf den letzten Mann ihr Ende
-gefunden.
-
-Der Vormarsch der einzelnen Abtheilungen begann nun; bei derjenigen
-Truppe, welche der Commandant selbst führte, befand sich natürlich auch
-Kurt. Man wählte zunächst eine ziemlich breite, in südwestlicher
-Richtung sich hinziehende Straße, deren halb oder ganz verfallene
-Gebäude noch die Spuren einstiger Pracht deutlich zeigten. Der Boden
-dieser Straße war einst mit Asphalt oder einer ähnlichen Masse
-gepflastert gewesen; diese Masse hatte durch Frost und Hitze unzählige
-tiefe Risse erhalten, in denen der Same von Pflanzen aller Art Wurzel
-geschlagen hatte. So war der ganze Boden allenthalben mit Gestrüpp,
-Disteln und Schlingpflanzen überwuchert und das Vorwärtskommen ziemlich
-beschwerlich. Vor Zeiten hatten vierfache Baumreihen, zwischen denen in
-gewissen Abständen eiserne Laternensäulen sich erhoben, der Straße zur
-Zierde gereicht. Von diesen Bäumen hatten sich einzelne inmitten der
-allgemeinen Zerstörung frisch und lebendig erhalten, aber ihre Kronen
-hatten einen gewaltigen Umfang erreicht und ihre Wurzeln den Asphalt auf
-weite Strecken hin gespalten und in Schollen, wie Gletschereis,
-emporgehoben; die eisernen Candelaber jedoch waren von unten bis oben
-mit Waldrebe und wildem Hopfen dicht umsponnen. Obwohl überall eine
-unheimliche Stille herrschte und nirgends die Spur eines menschlichen
-Wesens zu erblicken war, so schien Vorsicht doch geboten, da man nicht
-wissen konnte, ob dieses Trümmermeer in Wahrheit unbewohnt sei und falls
-es Bewohner barg, so -- Kurt an der Seite seines Freundes
-dahinschreitend, hatte diesen Gedanken kaum ausgedacht, als eine
-vorausgeschickte Patrouille aus einer Seitengasse in Laufschritt quer
-auf sie zukam:
-
-»Herr Commandant, da drin sind Menschen, wir haben sie deutlich
-gesehen,« rief der Führer athemlos. Sofort ließ Willy das Signal »Halt!«
-gebieten und drang dann selbst an der Spitze der Hälfte seiner
-Mannschaft in die bezeichnete Gasse vor.
-
-Nachdem ein Schutthaufen, der den Eingang der Gasse wie eine Barrikade
-versperrte, erklommen war, sahen sie weit hinein in einen schauerlichen
-Engpaß zwischen verfallenen, hochaufragenden Häusern. Das Licht der
-Nachmittagssonne berührte nur die obersten Ränder der von Alter und
-Wetter geschwärzten Massen, die jeden Augenblick mit dem Einsturz
-zu drohen schienen. »Dort hinten standen sie,« begann der
-Patrouillenführer, »ich habe sie deutlich gesehen, obwohl es nur ein
-Moment war.«
-
-»Wie sahen sie aus?« forschte Willy, indem er vergeblich mit
-vorgehaltener Hand die Dämmerung, welche in der Tiefe dieses Schlundes
-herrschte, mit den Blicken zu durchdringen suchte.
-
-»Mir schien es ein Mann und ein Weib zu sein, in Lumpen gehüllt, mit
-wirren Haaren. Sie flohen wie der Blitz, als sie uns erblickten.«
-
-»Also vorwärts,« commandirte Willy, »wir müssen das Geheimniß
-ergründen!«
-
-
-
-
- 3. Capitel.
-
- Ein Marsch durch Schutt und Sumpf. -- Bivouak in den Ruinen. --
- Unheimliche Gestalten. -- Die Expedition wird belagert. -- Ein
- Nachtgefecht. -- Steinbombardement. -- Hülfe zur rechten Zeit.
-
-
-Unter unsäglichen Schwierigkeiten drangen sie nun vor, ohne daß sich
-etwas Bemerkenswerthes gezeigt hätte. Die engen Gassen, durch welche man
-sich bewegte, waren mit Schutt aller Art bedeckt. Mühsam und unter
-steter Lebensgefahr mußten diese Hügel, die noch dazu mannshohes
-Gestrüpp bedeckte, überklettert werden. An anderen Stellen hinderten
-Canäle voll fauligen Wassers, die, in ihrem Laufe behindert, alles
-weithin überfluthet hatten, den Vormarsch, dann blieb nichts übrig, als
-mit unsäglicher Mühe einen weiten Umweg zurückzulegen, um schließlich
-auf den Resten eines morschen Brückenbogens vorsichtig, Mann für Mann,
-das andere Ufer zu gewinnen.
-
-Mit einbrechender Dunkelheit, zu Tode erschöpft, erreichte man einen
-kleinen, leidlich gangbaren Platz, auf dem der Commandant mit seiner
-Mannschaft die Nacht zu verbringen beschloß. Wunderbarerweise hatte sich
-auf dem ganzen halsbrecherischen Marsche kein ernster Unfall ereignet;
-einige Matrosen waren wohl durch fallendes Mauerwerk leicht verletzt
-worden, aber diese Wunden waren ganz unbedenklicher Natur. Die
-Vorbereitungen zum Bivouak waren bald getroffen; aus vorgefundenen
-Holzresten nährten die Seeleute einige Feuer, welche gegen die
-Nachtkühle hinreichend Schutz gewährten. Dem mitgenommenen Proviant
-wurde tüchtig zugesprochen, nur an trinkbarem Wasser war fühlbarer
-Mangel und der Durst konnte nur theilweise durch einige Schlucke kalten
-Thee's, welchen Jeder in hinreichender Menge bei sich führte, befriedigt
-werden. Vorsichtshalber ließ Willy aus den umherliegenden Steinen und
-Balken eine Art Brustwehr rings um das Lager aufführen und an den
-Ausgängen des Platzes Doppelposten ausstellen. Als so für die Sicherheit
-der kleinen Schaar nach Möglichkeit gesorgt worden, streckten sich die
-beiden Freunde auf ihre Mäntel in der Nähe eines Feuers nieder und
-verfielen, ermüdet von den Anstrengungen des Tages, bald in festen
-Schlummer.
-
-Einige Stunden der Nacht mochten so verflossen sein, als Kurt plötzlich
-erwachte. Die Feuer waren im Verglimmen, aber dafür war der Mond über
-den Giebeln der Häuser emporgestiegen und übergoß alles mit hellem
-Scheine, von dem sich die tiefen Schatten der vielfachen Winkel und
-Vorsprünge an den umliegenden Ruinen nur desto schärfer abhoben. Während
-der junge Mann so sinnend, den Kopf auf einem Arme ruhend, dalag, blieb
-sein Auge auf einem mehrstöckigen Hause ruhen, welches sich in der
-Entfernung von etwa fünfzig bis sechzig Schritten, seinem Lagerplatze
-gegenüber, erhob.
-
-Flüchtig glitten seine Blicke über die leeren, schwarz gähnenden
-Fensteröffnungen, als er plötzlich erschreckt zusammenfuhr.
-
-Einen Augenblick lang hatte er geglaubt, in einer Fensterhöhle die
-Umrisse einer menschlichen Gestalt bemerkt zu haben. Er blickte schärfer
-hin -- aber nichts Verdächtiges zeigte sich, und in der Ueberzeugung,
-sich getäuscht zu haben, sank er in seine frühere Stellung zurück. Dabei
-fiel aber sein Blick auf eine andere Fensteröffnung, und wiederum war es
-ihm, als sähe er dort eine Gestalt in schwachen Umrissen auftauchen und
-verschwinden. Und dort am nächsten Fenster, am zweiten, am dritten,
-überall das nämliche und jetzt flammte auch ein fahler Lichtschein in
-den Ruinen auf, von dem sich die Umrisse menschlicher Gestalten, in
-Lumpen gehüllt, scharf abhoben.
-
-Es war kein Zweifel mehr: diese Trümmerstadt hatte eine Bevölkerung, die
-zur Nachtzeit aus ihren verborgenen Schlupfwinkeln hervorkam, als scheue
-sie sich, ihr Elend dem Tageslichte zu enthüllen. Entsetzlicher Gedanke!
-In diesem giftigen Moderdunst zu leben, weit und breit nichts als Tod
-und Verwüstung, in steter Gefahr, von diesen Massen begraben zu werden,
-die wie das gräßlich verzerrte Antlitz eines in tausend Qualen
-Dahingeschiedenen zum Himmel emporstarrten, eine furchtbare,
-versteinerte Anklage gegen die Sünden verschollener Generationen.
-
-Kurt rüttelte seinen Freund aus dem Schlummer empor; während er ihm aber
-mit hastigen Worten seine Entdeckung mittheilte, kamen auch schon von
-den ausgestellten Posten Meldungen, welche besagten, daß sich überall in
-den in undurchdringliches Dunkel gehüllten Seitengassen unheimliches
-Leben zu regen beginne. Verwilderte Erscheinungen, langhaarig, halb
-nackt, mit Knitteln bewaffnet, tauchten allenthalben auf, zogen sich
-indessen beim Anblick der Wachen stets scheu wieder zurück. Die ganze
-Mannschaft war in einigen Augenblicken auf den Beinen und stand, die
-Waffen schußbereit in Händen, der Befehle ihres Commandanten gewärtig,
-in Reih und Glied. Noch war es ungewiß, ob die Eingeborenen feindselige
-Absichten hegten; Vorsicht war aber auf alle Fälle geboten und so ließ
-Willy zunächst die ausgestellten Posten zurückrufen, um seine kleine
-Streitmacht nicht zu zersplittern. Zugleich ließ er in Eile die niedere
-Brustwehr, mit welcher man am Abend das Lager umgeben hatte, erhöhen und
-verstärken und vertheilte dann seine Mannschaft derart, daß sämmtliche
-den Platz umgebenden Häuserfronten und Seitengassen nöthigenfalls unter
-Feuer genommen werden konnten. In diesen Häusern war es unterdessen
-furchtbar lebendig geworden. Kaum eine einzige Fensteröffnung, an der
-sich nicht jene verwilderten Gestalten gezeigt hätten. Die Scheu der
-dämonischen Gesellen schien, je mehr ihre Zahl wuchs, abzunehmen. Immer
-häufiger und immer länger zeigten sie sich; vielstimmiges,
-unverständliches Geschrei ertönte bald da, bald dort und man sah
-deutlich, wie Einzelne mit Feuerbränden in der Hand hin- und herliefen.
-
-So verging wieder eine geraume Zeit und schon hoffte Willy, daß das
-nächtliche Abenteuer friedlich verlaufen werde. Gegen zwei Uhr Morgens
-berührte die Mondscheibe die Giebel der den Platz umgebenden Häuser,
-einige Minuten später war Alles rings in nächtliche Dunkelheit gehüllt.
-Die spähenden Augen der hinter ihrem Steinwall kauernden Männer
-gewöhnten sich nach und nach soweit an die Finsterniß, daß sie
-wenigstens auf zwanzig bis dreißig Schritte weit jede verdächtige
-Erscheinung hätten wahrnehmen können. Plötzlich raunte einer der Männer
-dem Commandanten in's Ohr: »Jetzt kommen sie!« Wie electrisirt fuhr
-Willy empor und beugte sich über die Schutzwehr; seine Augen suchten
-zuerst vergeblich die herrschende Dunkelheit zu durchdringen; da, mit
-einem Male war es ihm, als hätten sich seine Blicke geschärft, und
-deutlich sah er nun die dunkle gespenstige Masse, die schweigend in
-einem großen Ring von allen Seiten das Lager umgab. Sie standen Kopf an
-Kopf, Schulter an Schulter und Willy glaubte, ihre verzerrten wilden
-Gesichter, ihre fleischlosen Arme, ihre ekelhaften Lumpen zu sehen.
-
-Lautlos, eine lebendige Mauer, rückten sie Zoll für Zoll heran; man
-hörte ihre Tritte nicht, man fühlte ihre Nähe mehr, als man sie sah, und
-namenloses Grauen ging vor ihnen her. Ohne ein Wort zu verlieren, hatte
-sich jeder der Freilandleute auf seinen Posten gestellt und sich
-kampfbereit gemacht. Da flammte es hier und dort in den Häusern auf;
-einzelne Gestalten erschienen an den Fenstern, Feuerbrände hoch
-emporhaltend, deren Schein mit einem Male die ganze furchtbare Masse der
-Feinde erkennen ließ. In der nächsten Secunde ein Kampfgeheul aus
-tausend und abertausend Kehlen und wie eine Horde Tiger stürzten sie
-sich, armsdicke Knüppel in den Fäusten, auf die umzingelte Schaar. Eine
-furchtbare Salve empfing sie aus nächster Nähe; der niedrige Steinwall
-glich einem feuerspeienden Berge, aber nur zwei Secunden lang. Ein
-Geschrei, das nichts Menschliches an sich hatte, hallte in den Ruinen
-wieder, denn als habe sie die Erde verschlungen, war die Masse der
-Angreifer verschwunden; der Sturm war abgeschlagen.
-
-Die Ruhe sollte indessen nicht lange dauern. Man sah in den Häusern den
-Schein von Fackeln aufleuchten und wieder verschwinden, man hörte
-Geschrei und Geheul. Plötzlich sauste ein faustgroßer Stein durch die
-Luft daher und fiel mitten im Lager nieder, ohne Jemanden zu verletzen.
-Ein zweiter, dritter, vierter folgten, die ihr Ziel nicht verfehlten;
-ein Matrose brach, am Kopf getroffen, lautlos zusammen, ein anderer
-schrie auf: ein Finger war ihm zerschmettert und das folgende
-Wurfgeschoß riß dem Commandanten den Revolver aus der Hand. Schüsse,
-welche nach den Fenstern abgegeben wurden, fruchteten nichts; die Steine
-wurden offenbar aus gedeckter Stellung mittelst Schleudern geworfen; das
-zeigte schon die große Gewalt und Sicherheit, mit der sie dahersausten.
-Nach einer Viertelstunde war ein großer Theil der Mannschaft mehr oder
-minder schwer verwundet und auch Willy blutete aus einer tiefen
-Kopfwunde. Unterdessen hatte die Nacht der Morgendämmerung Platz
-gemacht; das Bombardement endete plötzlich und schon athmete die hart
-bedrängte Schaar auf, als tausendstimmiges Geschrei ihr einen
-neuerlichen Angriff verkündete. Wer noch aufrecht stehen konnte, eilte,
-der Wunden nicht achtend, auf seinen Posten an der Schutzwehr, aber zehn
-Mann lagen bewußtlos oder sterbend inmitten des Lagerraumes. Aus allen
-Seitengassen quoll es nun unzählbar hervor. Die Schüsse, welche ihn
-empfingen, machten den Feind einen Augenblick stutzen, aber die Wucht
-der von hinten Nachdrängenden schob die vorderen Reihen unaufhaltsam
-vorwärts. Hie und da fiel Einer, von den Kugeln der Seeleute getroffen,
-aber dies hielt die große Masse nun nicht mehr auf. Im Nu hatte sie die
-Schutzwehr erreicht; riesige Knüppel sausten von allen Seiten auf die
-Bedrängten nieder und ein erbitterter Kampf, Brust an Brust, begann,
-dessen Ausgang kaum zweifelhaft sein konnte. Nach wenigen Minuten war
-die kleine Schaar der Vertheidiger, erheblich gelichtet, inmitten des
-Lagerraumes zusammengedrängt, wo sie, Rücken an Rücken, verzweifelt
-kämpfend, sich der Uebermacht zu erwehren suchte. In diesem Augenblick,
-als Willy, aus mehreren Wunden blutend, die Zahl seiner Leute
-zusammenschmelzen sah, ertönte aus einer der Seitengassen im Rücken der
-Angreifer ein Hornsignal. Einige Schüsse folgten, die Wuth der Angreifer
-ließ nach, und nachdem sie noch einige Augenblicke gezaudert hatten,
-wandten sie sich zur Flucht. Bald waren die Letzten in den Gassen der
-Trümmerstadt verschwunden, nur Todte und Sterbende bedeckten den Platz
-rings um das Lager. Die Streifcolonne, welche, angelockt durch das
-Schießen, sich durch alle Hindernisse bis hieher Bahn gebrochen, war
-gerade zur rechten Zeit gekommen.
-
-
-
-
- 4. Capitel.
-
- Eine neue Expedition wird ausgerüstet. -- Deutschland eine Wüste.
- -- Ein Grab im Thüringer Walde. -- Kurt findet seine Verwandten.
- -- Was aus Schiller und Goethe geworden.
-
-
-Nach den Vorgängen jener Mainacht war das Expeditionscorps wieder an
-Bord der Flotte zurückgekehrt. Man hatte die Opfer des nächtlichen
-Kampfes bestattet und die Blessirten in sorgsame Pflege genommen. Auch
-eine Anzahl verwundeter Eingeborner war auf den Schiffen untergebracht
-worden und es war seltsam zu sehen, mit welch' grenzenlosem Erstaunen
-diese verwilderten Menschen es hinnahmen, als man sie wusch, auf
-reinliche Lager bettete, ihre Wunden verband und ihnen stärkende Labung
-reichte. Die Genesenen wurden, mit Kleidern und Nahrungsmitteln reich
-beschenkt, nach einigen Tagen wieder heimgeschickt, und als wieder ein
-solcher Transport im Hafen an's Land gesetzt werden sollte, fand man das
-Ufer bedeckt mit Hunderten, welche in unzweideutiger Weise ihre
-friedlichen Gesinnungen zum Ausdrucke brachten. Es wurden
-Unterhandlungen angeknüpft, was um so leichter möglich war, als die
-Sprache der Einwohner sich als ein uraltes, aber immerhin verständliches
-Idiom erwies, das den Seeleuten aus Freiland bald geläufig wurde. Aber
-unmöglich war es, aus den Andeutungen jener Menschen ein Bild zu
-gewinnen über die Ursachen der entsetzlichen Veränderung, welche sich in
-ihrem Lande zugetragen hatte. Sie wußten von nichts; so weit sie und
-ihre Eltern und Großeltern zurückzudenken vermochten, war Alles so
-gewesen, wie heute. Es war ihnen unbekannt, wer die Stadt erbaut hatte,
-in deren Trümmern sie ihr elendes Leben fristeten, sie wußten
-ebensowenig, wer sie zerstört hatte. Ihrer Aussage nach war das Land auf
-viele Meilen im Umkreise eine Wildniß und ähnliche Trümmerstätten
-allenthalben anzutreffen. Wovon sie lebten? Das wußten sie beinahe
-selbst nicht. Auf ausgehöhlten Baumstämmen fischten sie in der Elbe, sie
-sammelten Muscheln und Seethiere am Strande des Meeres, sie stellten
-Fallen in den Wäldern und lauerten in der Haide auf allerlei niederes
-Gethier. Etwas Ackerbau schienen Einige von ihnen auch zu treiben, aber
-nur in allerprimitivster Form. Im Großen und Ganzen stand ihre Cultur
-etwa auf der Höhe derjenigen, welche die meisten Stämme Centralafrika's
-am Ende des 19. Jahrhunderts besessen hatten. Die Hoffnung, vielleicht
-im Innern des Continentes noch Reste der alten Cultur zu finden und
-Aufschluß zu erhalten über die Räthsel, die sich hier darboten, bewog
-den Flottencommandanten, eine neue, größere Expedition auszurüsten,
-welche die Aufgabe erhielt, ihren Weg quer durch das einstige deutsche
-Reich zu nehmen, die Alpen zu übersteigen und an einem bestimmten Punkte
-der italienischen Küste wieder mit der Flotte zusammenzutreffen, welche
-bis auf ein kleines Reservegeschwader, das für alle Fälle vor der
-Elbemündung kreuzen sollte, ihre Rückfahrt durch den Canal und die Enge
-von Gibraltar in's Mittelmeer antrat.
-
-Dieser Expedition schlossen sich die beiden Freunde selbstverständlich
-an. Wollte doch Kurt auf seinen Plan, die Spuren seiner Vorfahren
-ausfindig zu machen, nicht ohne Weiteres verzichten. Allerdings waren
-die Schwierigkeiten, welche sich seinem Vorhaben entgegenstellten, keine
-geringen. Wie konnte er hoffen, unter den wilden Horden, welche dieses
-Land bevölkerten, diejenigen Aufschlüsse zu erhalten, auf welche er mit
-Sicherheit gerechnet hatte? Merkwürdige Ueberraschungen waren es denn
-auch, welche ihm und seinen Genossen auf ihrer Entdeckungsreise durch
-Europa zu Theil werden sollten.
-
-Achthundert Mann stark war die Expeditionstruppe durch menschenleere
-Wüsten und Wälder bis an den Saum des Thüringer Waldes vorgedrungen,
-ohne auf etwas Anderes zu stoßen, als auf verlassene Stätten einstiger
-Cultur und halbwilde Stämme, welche nomadisirend die Wildniß durchzogen.
-Kümmerliche Spuren von seßhaften Ansiedlungen, deren Bewohner kleine
-Strecken öden Grundes mit Erdäpfeln und Haidekorn bestellt hatten,
-fanden sich hie und da in den Wäldern verstreut, immerfort bedroht von
-räuberischen Ueberfällen der Nachbarn oder von Angriffen wilder Thiere.
-Mit jedem Tagesmarsche wurde es den Mitgliedern der Expedition immer
-klarer, daß ganz Deutschland, vermuthlich ganz Mitteleuropa, aus
-unbekannten Gründen eine Stätte des Elends und der Verzweiflung
-geworden, daß hier eine uralte, zweitausendjährige Cultur für immerdar
-untergegangen sei. -- Eines Tages rückte die Colonne in ein uraltes
-Städtchen ein, welches zwar nicht, wie die meisten anderen Plätze, aus
-einem chaotischen Gewirre von Ruinen bestand, aber doch in seinem
-Aeußern ein trostloses Bild tiefsten Verfalles darbot. Die meistens
-einstöckigen Häuser längs der ziemlich breiten Straßen waren, wie es
-schien, noch zum Theile bewohnbar; das Elend und der Hunger aber
-grinsten aus den von Lumpen umflatterten Fensteröffnungen;
-übelriechender Rauch drang hie und da in's Freie aus nothdürftig
-verhängten und brettervernagelten Rissen und Spalten. Die Straßen waren
-mit Gras bewachsen, während längs der Häuser Haufen von Unrath aller Art
-lagerten; augenscheinlich waren die Bewohner gewöhnt, alles, was ihnen
-in ihren Behausungen lästig wurde, auf die Gasse zu werfen. Im
-Gegensatze zu den Eingeborenen, welche die Expedition auf ihrem Marsche
-bisher angetroffen hatte, zeigten sich die Bewohner dieser Stätte nichts
-weniger als scheu. Anfänglich erschienen sie wohl nur an den Fenstern
-und Thüren ihrer Häuser; später aber kamen sie auch auf den von den
-Freilandleuten zur Rast ausersehenen Platz und standen in dichter Reihe
-gaffend rings um das Feldlager der seltenen Gäste. Das Elend, welches
-auf ihnen lastete, kam da so recht an's Licht des Tages.
-
-Es waren keine wilden, unheimlichen Gesellen, wie die, welche in den
-Trümmern des alten Hamburg hausten, aber der Eindruck, den ihre aus
-Flicken und Fetzen zusammengesetzte altväterische Kleidung, ihre
-eingefallenen Wangen, ihr blödes Lächeln hervorrief, war noch weit
-ergreifender.
-
-Unsagbar traurig war der Anblick dieser geistig und körperlich
-verkümmerten Menschen, aus deren Augen Hunger und Stumpfsinn sprachen.
-Die Fragen, welche man an sie richtete, beantworteten sie mit einem
-cretinartigen Lachen oder unverständlich blökenden Tönen. Nicht einmal
-den Namen, den ihre Stadt einst getragen, wußten sie anzugeben und
-dennoch sollte sich bald herausstellen, daß ihnen eine Erinnerung an
-längst vergangene Zeiten geblieben war, wenngleich in eigenthümlicher
-Form. Auf dem Platze, an dem die Expedition bivouakirte, erhob sich ein
-Denkmal eigener Art. Auf einem hohen Sockel aus Marmor standen da, in
-Erz gegossen, welches im Laufe der Jahrhunderte eine grünbraune
-Patinaschicht überzogen hatte, die überlebensgroßen Figuren zweier
-Männer in altmodischer Tracht. Der Eine von beiden, anscheinend der
-Jüngere, mit wallendem Haar und freien edlen Gesichtszügen, richtete die
-Blicke schwärmerisch gen Himmel, während der Andere, Aeltere, eine
-imposante Figur, klaren Auges mit der Ruhe des gereiften Mannes in's
-Weite sieht. Beide Gestalten hielten gemeinschaftlich mit je einer Hand
-einen Kranz; kein Name, keine Jahreszahl war auf dem verwitterten Steine
-mehr sichtbar. Als einige der Seeleute sich anschickten, dicht neben dem
-Denkmal ein Lagerfeuer zu entzünden, kam auf einmal eine seltsame Unruhe
-über die Eingeborenen. Mit ängstlichen Geberden drängten sie sich heran,
-wiesen auf das Denkmal und baten mit aufgehobenen Händen und flehenden
-Mienen, den Stein, auf welchem die Erzbilder sich erhoben, nicht zu
-berühren. Einer unter ihnen, ein Greis mit weißem Haar und Bart, in
-dessen Antlitz die Jahre unzählige Runzeln gegraben, wußte sich durch
-einige Worte und Geberden soweit verständlich zu machen, daß die
-Freilandleute endlich begriffen, das räthselhafte Monument gelte in den
-Augen der Unglücklichen als eine Art Heiligthum, dessen Berührung oder
-Beschädigung den Zorn überirdischer Mächte heraufbeschwören könne. Kurt,
-der hinzukam, trug Sorge, daß seine Leute in angemessener Entfernung von
-dem Denkmale ihre Vorbereitungen für das Bivouak trafen und stellte
-sogar eine Wache auf, welche jede Annäherung Unberufener an das
-Heiligthum des Ortes verhindern sollte. Die armen Menschen, als sie dies
-sahen, waren vor Freude fast außer sich; mit strahlenden Mienen,
-unverständliche Worte des Dankes ausrufend, drängten sie sich an Kurt
-heran, drückten ihm die Hände und küßten den Saum seines Rockes. Nachdem
-er sich mit Mühe ihrer Gunstbezeigungen erwehrt hatte, versuchte er,
-sich ihnen so gut als möglich verständlich zu machen. Er glaubte
-annehmen zu dürfen, daß der Ort, von welchem seine Familie stammte, hier
-in der Nähe liegen müsse; vielleicht war es sogar dieses Städtchen, in
-dem er sich just befand; vielleicht waren einige dieser unglücklichen
-Geschöpfe Sprößlinge desselben Geschlechtes wie er.
-
-Aber umsonst waren alle seine Fragen und Zeichen; die Eingeborenen
-schüttelten die Köpfe oder stießen ein blödes Lachen aus; von den Namen,
-die er nannte, hatte augenscheinlich Keiner etwas gehört. Müde des
-nutzlosen Parlamentirens wendete sich Kurt endlich ab und ging seines
-Weges. Da trat jener Greis, wehmüthig anzuschauen in seinem zerlumpten
-Röckchen, auf ihn zu und bedeutete ihn mit dringenden Geberden, ihm zu
-folgen. Er führte ihn quer über den Platz durch mehrere Seitengassen,
-bis sie endlich draußen vor den letzten Häusern standen, wo eine mit
-niedrigem Gestrüpp bewachsene Fläche begann. Der Alte bog, diensteifrig
-voranschreitend, die Zweige der nächsten Stauden auseinander, und nun
-sah Kurt, daß er sich auf einem uralten, verwilderten Friedhofe befand.
-Im Schatten der niederhängenden Zweige lag da Stein an Stein, die
-Grabstätten verschollener Geschlechter, manche halb versunken in dem von
-Unkraut überwucherten Boden, alle mit Moos und Flechten überzogen und
-von Zeit und Wetter geschwärzt. Kurt's Führer schritt rasch und achtlos
-zwischen den Gräbern durch, bis er eine Stelle erreichte, wo an einer
-verfallenen Mauer unter Fliederbüschen ein Grabstein lehnte, grau und
-verwittert gleich den übrigen, aber mit halbverwischten Lettern, auf die
-der Alte schweigend mit dem Finger deutete. Kurt beugte sich zu dem
-Steine nieder und begann mühsam die Inschrift zu entziffern. Nach
-einigen vergeblichen Versuchen hatte er den Schlüssel gefunden, die
-Buchstaben reihten sich ihm zu Silben und Worten, und da stand der Name,
-den er selbst führte, wohl in etwas veränderter Schreibweise, aber
-deutlich erkennbar auf der Platte; ein geborstener Stein, ein
-versunkener Grabhügel war die einzige Spur, die er entdeckt hatte.
-
-Während sie den Rückweg antraten, gab er sich Mühe, seinem Führer
-deutlich zu machen, daß er, wenn möglich, ein noch lebendes Mitglied
-jener Familie zu sehen wünsche, deren Name er auf jenem Steine gelesen
-habe. Es war nicht ganz leicht, dem Alten das zu verdolmetschen, aber
-endlich bemerkte Kurt doch zu seiner Freude, wie ein Schimmer von
-Verständniß in den Augen seines Begleiters aufleuchtete. Der Greis
-nickte lebhaft mit dem Kopfe, als Kurt seine Frage wiederholte, ergriff
-dann seine Hand und zog ihn in ein Seitengäßchen hinein, das von einer
-Reihe elender baufälliger Hütten gebildet wurde. Hier bog er, nachdem
-sie etwa hundert Schritte zurückgelegt hatten, in einen Thorweg ein,
-hinter dem sich ein enger von geschwärzten Mauern eingefaßter Hof
-aufthat. In einem Winkel dieses düsteren Raumes führte eine schmale
-zerbröckelnde Stiege in das obere Stockwerk hinauf. Eilfertig kletterte
-der Alte hinan; offenbar war er es gewöhnt, derartige Wege
-zurückzulegen; Kurt folgte zögernd; die ganze Excursion fing an, ihm
-Bedenken einzuflößen und unwillkürlich griff er in den Gürtel, wo sein
-Revolver stak. Oben angelangt, traten sie in ein kleines, ganz kahles
-Gemach, und kaum hatte Kurt einen Schritt über die Schwelle des
-unheimlichen Raumes gethan, als er entsetzt zurückfuhr. Vor ihm, von
-einem Strohhaufen, erhob sich eine Gestalt, die nichts Menschliches mehr
-an sich hatte. Ein unförmlicher Wasserkopf, aus dem stiere, glanzlose
-Augen hervorquollen, ein zahnloser, weit offen stehender Mund, so wankte
-das Gespenst mit gellendem Lachen auf ihn zu. Er roch den muffigen,
-ekelhaften Dunst der Lumpen, sah wie ein Paar fleischloser Arme mit
-spinnenartigen Fingern nach ihm tasteten und ein Grauen überfiel ihn,
-wie er es nie zuvor gekannt hatte. Als er wieder zu sich kam, stand er
-allein draußen auf der Gasse; der Alte war verschwunden, aber aus dem
-unheimlichen Hause gellte ihm noch schauerliches Lachen nach. Scheuen
-Blickes sich umschauend, eilte er mit großen Schritten dem Ausgange der
-Gasse zu. Als er den Lagerplatz erreichte, hatte die Mannschaft soeben
-abgekocht und er sah nun, wie die Eingeborenen, angezogen von dem Dufte
-der brodelnden Speisen, sich gierig herandrängten und sehnsüchtige
-Blicke in die dampfenden Kessel warfen. Der Vorrath der Expedition an
-Conserven aller Art, der unterwegs noch durch reiche Jagdbeute vermehrt
-wurde, war ansehnlich genug, um den armen, hungrigen Leuten manch
-saftigen Bissen zukommen lassen zu können und die Art, in welcher diese
-verkümmerten Geschöpfe ihre Dankbarkeit bezeigten, war wirklich rührend.
-
-Die Sonne neigte sich dem Untergange zu, da bemerkte Kurt, wie zuerst
-Einzelne, dann immer mehr und mehr Eingeborene sich in die Nähe des
-Denkmals begaben, dort auf die Kniee sanken und in betender Stellung
-verharrten. Die Menge vergrößerte sich durch Zuzug aus den umliegenden
-Häusern und Gassen und endlich mochten wohl mehrere Hundert beisammen
-sein, welche ihre Andacht vor dem Standbilde verrichteten. Als der
-letzte Sonnenschimmer verschwunden, schlichen sich die Betenden still
-davon und Kurt sah ihnen, in Gedanken versunken, lange nach. Er hatte
-nicht bemerkt, daß Willy zu ihm getreten war, bis er beim Klange seiner
-Stimme emporfuhr:
-
-»Sie glauben, daß die Männer da oben zwei Brüder aus göttlichem
-Geschlechte vorstellen, die vor vielen hundert Jahren vom Himmel
-herabstiegen, um den Menschen das Licht zu bringen. Die Schlechtigkeit
-der Menschen aber zwang sie, in ihre himmlische Heimath zurückzukehren.
-Nun beten diese Armen zu ihnen, immer in der Hoffnung, daß die
-Göttergestalten einmal wiederkehren und ihnen das verschwundene Paradies
-zurückbringen.«
-
-
-
-
- 5. Capitel.
-
- Die Alpen in Sicht. -- Eine Schlappe der Expedition. -- Im
- deutschen Urwald. -- Das Leben in der Pfahlbauhütte. -- Kurt und
- Waltraut. -- Die Memoiren des Urahnen.
-
-
-Nach zweimonatlichem Marsche sahen die Expeditionstruppen in der Ferne
-die blauschimmernde Kette der Alpen auftauchen, die sie mit Jubel
-begrüßten; schien es doch Jedem von ihnen, als sei nunmehr der größte
-Theil ihrer schwierigen Aufgabe gelöst. Jenseits dieser Berge begann ja
-die Zone eines südlicheren Himmels, schimmerte das blaue herrliche
-Mittelmeer, und weiter hinaus grüßte die Heimath, das schöne, sonnige
-Afrika. Ehe man den Fuß der Berge erreichte, waren indessen noch
-Hindernisse zu überwinden, welche von Tag zu Tag an Zahl und Größe
-zunahmen. Mächtige pfadlose Urwälder dehnten sich meilenweit vor der
-Truppe aus, die waldfreien Strecken aber bestanden aus unübersehbaren
-Sümpfen, in denen man nur einzeln, Mann für Mann, vorzudringen
-vermochte. Dazu kamen fast täglich die Angriffe kriegerischer
-Eingeborener, denen gegenüber man fortgesetzt auf der Hut sein mußte. Es
-waren kräftige, hochgewachsene Menschen, die sich ihrer primitiven
-Waffen mit großer Geschicklichkeit und einem an Wildheit grenzenden
-Ungestüm bedienten, auch jedem Versuche, friedliche Beziehungen
-anzuknüpfen, entschieden abhold waren.
-
-Am 26. Juli gegen Abend wurde die Colonne, als sie auf schmalem,
-sumpfigem Pfade einen Hohlweg passirte, von allen Seiten mit Heftigkeit
-angegriffen. Ein Hagel von Pfeilen, Wurfspießen und Steinen ergoß sich
-von den mit undurchdringlichem Urwald bedeckten Höhen auf die
-Expeditionstruppen, die sich in einer verzweifelten Lage befanden. Jeder
-Zusammenhalt löste sich auf; der einzelne Mann wehrte sich seiner Haut,
-so gut und so lange er konnte, aber dieser Widerstand gegen einen fast
-unsichtbaren Feind war von Anfang an ein hoffnungsloser. Als die Nacht
-hereinbrach, war es einem Theil der Expedition gelungen, sich mit
-Zurücklassung des Gepäcks aus dem unseligen Hohlwege zu retten; an
-zweihundert Mann aber fehlten und von ihnen fanden sich erst im Laufe
-des nächsten Tages etwa dreißig Versprengte, meistentheils verwundet,
-bei der Truppe wieder ein. Kurt war bald nach Beginn des Gefechtes, von
-einem Keulenschlag getroffen, bewußtlos zusammengesunken, und als er,
-mit dumpfem Schmerz in allen Gliedern und verzehrendem Durste, wieder zu
-sich kam, war es finstere Nacht. Er wollte rufen, aber zugleich fiel ihm
-ein, daß vielleicht Feinde in der Nähe sein könnten und so schwieg er
-und kroch vorsichtig dem Waldrande zu, um hinter den lang herabhängenden
-Tannenästen Schutz zu suchen. Mit der Morgendämmerung setzte er seinen
-Weg im Schatten des Waldes fort, so lange es ihm seine sinkenden Kräfte
-erlaubten. Durch das dichteste Unterholz, über vermoderte Baumstämme,
-durch Sumpf und Gestrüpp, immer angstvoll spähend nach dem Feind, der
-unvermuthet jeden Augenblick auftauchen konnte, so hastete er vorwärts,
-ohne recht zu wissen, wohin. Stunde auf Stunde verrann; die Sonne mußte
-schon hoch am Himmel stehen, aber in die Nacht des Urwaldes spielte nur
-hie und da schüchtern einer ihrer Strahlen an den wettergrauen Stämmen
-herab. Mit dem letzten Reste seiner Kräfte erreichte Kurt endlich gegen
-Mittag eine Quelle, die unter einem Felsblock munter hervorrieselte und
-gänzlich erschöpft warf er sich neben ihr in's Moos. Sein
-Provianttäschchen war ihm glücklicherweise nicht abhanden gekommen, ein
-Stückchen der stärkenden Conserven, welche es enthielt, genügte vollauf,
-seine Kräfte neu zu beleben.
-
-Nach längerer Rast erhob sich der Flüchtling wieder. Die Hoffnung, seine
-Kameraden einzuholen, mußte er vorläufig aufgeben und auf's Geradewohl
-wanderte er weiter, einem ungewissen Schicksal entgegen.
-
-Die Sonne war bereits im Sinken, als er sich am Ufer eines bis in
-unabsehbare Ferne sich ausdehnenden Seespiegels sah. Von menschlichen
-Behausungen war weit und breit keine Spur zu entdecken; was hätten sie
-wohl auch anders bergen können als Feinde? Der Flüchtling wandte sich
-dem Ufer entlang und suchte sich, nicht ohne Mühe, seinen Weg zwischen
-Schilf und Urwald. Plötzlich drangen seltsame liebliche Klänge an sein
-Ohr. Vom See herüber, aus dessen Fluth mannshohes Schilf hervorwucherte,
-tönte der Gesang einer hellen Frauenstimme, als sei eine Nixe
-emporgestiegen aus der Tiefe. Ein uraltes, längst verschollenes
-Volkslied war es, was diese Stimme sang, und leise verhallten die Klänge
-über dem See. Einige Augenblicke blieb Alles still, dann kam es wie
-leise Ruderschläge durch das wehende Schilf heran und mitten aus dem
-grünen Dickicht lugte mit einem Male ein wunderliebliches
-Mädchenantlitz, umflossen von lichtblondem Haar, das lang und aufgelöst
-über die Schultern herabfiel. Wie einen Geist starrte Kurt die holde
-Erscheinung an, die ihm so wundersam bekannt und doch wieder so fremd
-vorkam, und bittend hob er die Hände; wenn ihm Hülfe werden sollte in
-seiner verzweifelten Lage, so kam sie von diesem Wesen, das der Himmel
-selbst zu seiner Rettung in die Wildniß des deutschen Urwaldes geschickt
-haben mochte.
-
-Mit fliegenden Worten sprach er von seinem Schicksal, seiner Flucht
-durch die pfadlosen Wälder und als er beweglich bat, ihm Schutz und
-Obdach gewähren zu wollen, da sah er es seltsam aufleuchten in den
-großen dunklen Augen, die so fest und doch fragend auf ihn gerichtet
-waren, er wußte, daß er verstanden und erhört worden. Mit ein paar
-Ruderschlägen trieb das Mädchen ihr Fahrzeug dicht an's Ufer und winkte
-ihm stumm mit den Augen einzusteigen. Einige Minuten später schwammen
-sie draußen auf der Seefläche. Das Mädchen stand im Rücktheil des
-Fahrzeuges und handhabte die Ruder mit Kraft und Geschicklichkeit;
-unverwandt war ihr Blick auf den See hinausgerichtet, während Kurt die
-Augen nicht abwenden konnte von der schlanken lieblichen Gestalt. Der
-Oberkörper der Schifferin war knapp umschlossen von einem Gewand aus
-feinem, fast schwarzen Pelze, welches Hals und Nacken sowie die Arme bis
-über die Ellbogen hinan frei ließ. Vom Gürtel bis über die Knie herab
-fiel in Falten ein kurzes Kleid aus ähnlichem Stoffe; von seinem Saume
-bis zu den Knöcheln, welche niedliche Schuhe aus Rehleder umschlossen,
-war das schön geformte Bein nackt. Die blonden Haare bildeten einen
-seltsamen Gegensatz zu den großen dunklen Augen, die von langen, ebenso
-dunklen Wimpern beschattet wurden. Weibliche Anmuth und selbstbewußte
-Kraft sprachen aus jeder Bewegung des biegsamen Leibes. Ohne ein Wort zu
-wechseln, waren sie so geraume Zeit dahingefahren; schon begann sich die
-Dämmerung leise über den See zu legen, da hielt das Mädchen einen Moment
-inne und deutete mit der Hand auf eine dunkle Masse, die aus der Fluth
-emporragte:
-
-»Meines Vaters Hütte! -- Hier bist Du sicher!« --
-
- * * * * *
-
-Seit mehr als Monatsfrist lebte Kurt in der Hütte des Pfahlbauers am
-Ammersee und kaum merklich begann schon der Herbst seine ersten Boten in
-die Wald- und Seeeinsamkeit zu senden. An jenem Sommerabend, als die
-Beiden an der Hütte landeten, hatte sie der Pfahlbauer mit verwunderten
-Mienen zwar, aber schweigend empfangen und dem Flüchtling die Hand zum
-Willkommgruße dargereicht. Dann hatte er ihn in den Wohnraum geführt,
-ihn zum Sitzen eingeladen und gutmüthig mit lächelndem Antlitz
-zugesehen, wie sein Gast über den Imbiß herfiel, den das Töchterlein
-eilfertig herbeigetragen hatte. Seit jener Stunde war Kurt kein
-Fremdling mehr in der Hütte, und ihm, der gewohnt war, in der
-glanzvollen Metropole am Victoria-Nyanza die Errungenschaften einer hoch
-entwickelten Cultur zu genießen, flogen in dieser Wildniß die Tage mit
-einer traumhaften Schnelligkeit dahin. Der alte Günther, eine hohe,
-kraftvolle Gestalt, dem der schneeige Bart weit über die Brust
-herabfloß, nahm ihn fast täglich mit hinaus auf die Jagd oder zum
-Fischfang; in den übrigen Stunden des Tages gab es stets Arbeit in Hülle
-und Fülle und die Abendstunden vergingen nur allzu schnell im traulichen
-Geplauder auf der Bank vor der Hüttenthür, wo man weit hinaussehen
-konnte über die goldigschimmernde Fluth bis hinüber zu der blauen
-Alpenkette; die liebsten Stunden aber waren dem Flüchtling jene, welche
-er mit der blonden Waltraut zusammen im Kahn verbringen durfte. Die
-Hütte auf mächtigen Eichenpfählen an einer seichten Seestelle errichtet,
-war auf allen Seiten von Wasser umgeben und der Nachen, auf dem Kurt
-hierhergekommen, war daher das Verkehrsmittel, dessen man sich bedienen
-mußte. Am Südrande des Sees, umgeben von einem festen Zaune, war ein
-Stück Urwald gerodet und in Acker und Wiesfeld verwandelt. In
-wohlgefügter Blockhütte standen daselbst zwei Kühe, das werthvollste
-Besitzthum des Pfahlbauers und fast täglich gab es dort für Waltraut
-dies oder jenes zu schaffen, wobei ihr die Hilfe Kurts nicht
-unwillkommen schien. So zutraulich und herzlich aber auch Waltraut,
-schier wie ein Schwesterlein, sich ihm gegenüber zeigte, so scheu und
-zurückhaltend wurde ihr Benehmen, sobald er sich hinreißen ließ, einen
-wärmeren Ton anzuschlagen, ihre Hand zu fassen oder gar scherzend den
-Arm um ihre Hüfte zu legen. Er selbst aber, voll des redlichsten
-Willens, die ihm erwiesene Gastfreundschaft heilig zu halten, zwang sich
-mit Macht, die immer mehr in ihm aufsteigende Leidenschaft
-niederzukämpfen.
-
-Die letzten warmen Herbsttage mit ihrem geheimnißvollen duftigen
-Schleier aus Nebel und Sonnengold waren vorübergegangen; in der Nacht
-hatte sich ein grimmiger Sturmwind aufgemacht und fuhr, Regenschauer vor
-sich her treibend, über die blaugraue Fluth, daß sie in langgestreckten
-schweren Wogen aus der nebligen Ferne gegen die Hütte heranzog. Drinnen
-aber in dem engen Bau war's gar behaglich, denn von den Resten der
-untergegangenen europäischen Cultur hatte sich gerade noch genug in
-diesen Räumen erhalten, um das Leben in der Unwirthlichkeit des Urwaldes
-erträglich zu machen. So saßen sie an einem der Winterabende, während
-draußen der See schon allmählich zu erstarren begann, gar traulich
-beisammen; Kurt erzählte seinen Freunden von den Wundern Afrika's und
-als er geendet, erinnerte er Vater Günther, daß ihm dieser unlängst bei
-einem Jagdausfluge versprochen habe, ihn über die Ursachen der großen
-Catastrophe, welche das alte deutsche Reich getroffen und seine fast
-zweitausendjährige Cultur zerstört hatte, aufzuklären. Der Alte nickte
-mit ernster Miene, nahm den qualmenden Kienspahn aus der Mauerfuge und
-verließ schweigend das Gemach. Nach einigen Minuten kehrte er zurück und
-legte ein in Leder gebundenes Buch auf den Tisch, welches jenen dumpfen
-modrigen Geruch verbreitete, der alten Schriftwerken eigen ist. Voll
-brennender Neugier schaute Kurt auf das Buch, das ihm Aufschluß geben
-sollte über eine in Dunkel gehüllte Geschichtsepoche.
-
-»Diese Schrift hat mein Urahne niedergeschrieben, als er vor vielen
-hundert Jahren aus seiner Heimath in Thüringen an die Gestade dieses
-See's flüchtete,« sprach der Alte mit einer gewissen Feierlichkeit, »es
-ist eine traurige Geschichte voll Blut und Thränen, die Dir Aufschluß
-geben wird, wie ein großes blühendes Reich durch den Unverstand der
-Menschen in eine Wildniß verwandelt wurde. Wir haben das Buch aufbewahrt
-wie ein Heiligthum und kein menschliches Auge, außer den unsrigen, hat
-noch darauf geruht. Waltraut soll es uns vorlesen, denn meine Augen
-taugen nicht mehr zu solchem Geschäft und Dir sind die krausen
-Schriftzüge der Vorzeit nicht geläufig.« Neue Kienspähne wurden in Brand
-gesetzt, Waltraut nahm das Buch und begann.
-
-
-
-
- 6. Capitel.
-
- Deutschland am Ende des neunzehnten Jahrhunderts. --
- Socialdemokratische Zukunftsbilder und ihre Folgen. -- Der
- Staatsstreich des Jahres 1900. -- Untergang der Socialdemokratie.
-
-
-»Eine wilde schreckliche Zeit liegt hinter mir. Ich bin Zeuge von
-Ereignissen gewesen, an die ich noch jetzt, wo seitdem schon Jahre
-verflossen sind, nur mit Schaudern zurückdenken kann. Alles Bestehende
-habe ich zusammenbrechen sehen, ein mächtiges Reich in Trümmer fallen
-und die Menschen sich zerfleischen wie wilde Thiere. Mit Entsetzen habe
-ich erkannt, daß es kein Zufall war, der all' den Jammer über mein armes
-Vaterland brachte; eigenes Verschulden der verblendeten Menschheit hat
-das Geschick heraufbeschworen, dem nun Alles, was Jahrhunderte
-geschaffen, zum Opfer gefallen ist. Rechtzeitige Erkenntniß, gepaart mit
-ein wenig gutem Willen, hätte uns vor dem Abgrunde bewahren können. Aber
-es war, als seien Alle mit Blindheit geschlagen. In der unersättlichen
-Gier nach Reichthum taumelten die Menschen vorwärts, der Warnungsrufe
-nicht achtend, immer dem Ende zu, das auch mit Schrecken gekommen ist,
-just als sie es am weitesten entfernt glaubten. Ich habe die
-Aufzeichnungen, die ich in der schrecklichsten Zeit meines Lebens
-machte, gesammelt, in der Erwartung, daß einst kommende Geschlechter
-eine Lehre aus denselben ziehen werden. Die Ereignisse, welche dem
-allgemeinen Zusammenbruch vorausgingen und die ich nur theilweise selbst
-erlebte, stelle ich in Kürze an die Spitze meiner Aufzeichnungen. Und
-somit beginne ich:
-
-Gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts war Deutschland das mächtigste
-Reich der Welt. Unzählige reiche blühende Städte und freundliche Dörfer
-bedeckten seinen Boden; sein Heer und seine Flotte war bewundert und
-gefürchtet, deutsche Kunst und Wissenschaft galten der übrigen Welt als
-glänzende Vorbilder, und was deutsche Arbeit in rastlosem Wetteifer
-schuf, ging als vielbegehrte Waare hinaus bis in die fernsten
-überseeischen Länder. Auf dem Kaiserthrone saß ein junger thatkräftiger
-Herrscher, der es mit kluger Mäßigung verstand, die ungeheuere ihm zu
-Gebote stehende Macht nur zur Wahrung des Friedens in die Wagschaale zu
-werfen und eine Schaar blühender Söhne schien ihm auf unabsehbare Zeit
-hinaus Glück und Bestand seines Hauses zu verbürgen.
-
-Wohl fehlte es nicht an dunklem drohendem Gewölke, das von Zeit zu Zeit
-emporstieg, aber stets verstand es die Kunst der Staatsmänner, die
-Gefahren, welche von rachsüchtigen oder neidischen Nachbarn drohten,
-wieder zu beschwören; der Respect vor der großartigen Wehrkraft
-Deutschlands und seiner Verbündeten that aber stets das Meiste zur
-Erhaltung des Friedens. Für weit bedenklicher indessen hielt man die
-Gefahr, welche dem Reiche von Innen drohte.
-
-Zur Erläuterung dessen muß ich auf eine noch weiter abliegende Zeit
-zurückgreifen. Im Verlaufe des neunzehnten Jahrhunderts hatte sich die
-Industrie zu einer noch nie vorher erreichten Höhe aufgeschwungen. An
-Stelle der kleinen Handwerksbetriebe des Mittelalters war zuerst die
-Manufactur getreten, d. h. jene Gattung von Großbetrieben, in welcher
-jeder Arbeiter jahraus, jahrein nur einen ganz bestimmten Theil eines
-Productes herstellte, in denen also eine weitgehende Arbeitstheilung
-herrschte, die Geschicklichkeit des Arbeiters aber immer noch
-ausschlaggebend war für die Beschaffenheit des fertigen Productes. Ein
-großer Theil der einst selbständigen Handwerker war schon damals zu
-Lohnarbeitern geworden, deren Existenz von den Fabrikanten abhängig war;
-in ganz rapider Weise aber begann sich dieser Umwandlungsproceß zu
-vollziehen, nachdem der Fortschritt in den Naturwissenschaften zu der
-Erfindung zahlloser Arten von Maschinen geführt hatte, welche die
-Herstellung der Producte ganz unabhängig machten von der Tüchtigkeit des
-Arbeiters und mit ungeheuren Massen Waaren aller Art den Weltmarkt
-überschwemmten. Die Zahl der besitzlosen Lohnarbeiter schwoll zu einer
-solchen Höhe an, daß ihr gegenüber diejenige der Besitzenden fast
-verschwand, und diese Masse wurde noch fortwährend vermehrt durch solche
-Handwerker, welche den Wettkampf mit der im Großen arbeitenden Industrie
-nicht auszuhalten vermochten und ihre Selbständigkeit verloren. Auf der
-einen Seite standen also die Besitzenden, ein kleiner Bruchtheil der
-Gesammtheit, welcher allen Grund und Boden, alle Rohstoffe, Gebäude,
-Maschinen sein Eigen nannte, und deshalb den Nutzen der gesammten
-Arbeitsthätigkeit und aller menschlichen Erfindungen einheimste, während
-auf der anderen Seite die ungeheure Masse der Besitzlosen stand, denen
-nichts geblieben war, als ihre Arbeitskraft, von deren Verkauf sie ihr
-Leben fristete. Je mehr sich aber das Maschinenwesen vervollkommnete,
-desto krasser gestaltete sich dieses Mißverhältniß. Die Arbeit an den
-Maschinen vereinfachte sich derart, daß ein Weib oder schließlich ein
-Kind genügte, um das zu verrichten, was ehedem die Thätigkeit von
-zwanzig Männern erheischt hatte. Die Fabrikanten entließen also ihre
-Arbeiter und behalfen sich mit Frauen- und Kinderarbeit, die ihnen weit
-billiger kam. Dadurch entstand nicht nur ein Heer von Arbeitslosen, die
-meistens bis zur tiefsten Stufe menschlichen Elends herabsanken, sondern
-es wurde auch der Lohn der noch in Arbeit befindlichen Männer auf ein
-Minimum herabgedrückt, so daß diese Unglücklichen auch bei
-angestrengtester Arbeit von früh bis in die Nacht nicht mehr im Stande
-waren, sich und die Ihrigen mit den nothwendigsten Lebensbedürfnissen zu
-versorgen. Diese Zustände hatten aber noch Anderes im Gefolge. Die
-Arbeiterfamilie löste sich gänzlich auf in dem Augenblicke, als die Frau
-ihrem häuslichen Wirkungskreise entzogen und in die Fabrik versetzt
-wurde; der Schulbesuch der Arbeiterkinder wurde vernachlässigt, Wohnung
-und Kost der Proletarier sank zu einer menschenunwürdigen Stufe herab
-und die Prostitution begann in erschreckender Weise um sich zu greifen.
-
-Waren diese schreienden Uebelstände schon fühlbar in solchen Zeiten, in
-denen die Industrie in Flor stand und es an Arbeit meistens nicht
-fehlte, so wurden sie noch weit fühlbarer, sobald, in Folge der
-allzueifrigen Production, die Preise der Waaren sanken, der Handel
-stockte und zahlreiche Fabriken den Betrieb einstellten. Das Heer der
-Arbeitslosen, der ohne Nahrung und Obdach Umherirrenden, wuchs
-dann lawinenartig an und schreckliche Leiden kamen über die
-Arbeiterbevölkerung.
-
-Aber auch die Besitzenden waren in solchen Zeiten nicht auf Rosen
-gebettet. Das verwickelte Getriebe der ganzen Wirthschaftsmethode, in
-welcher die Concurrenz die einzige Triebfeder war, stellte einen überaus
-empfindlichen Mechanismus dar. Ein geringfügiges Ereigniß konnte
-genügen, um unzählige Existenzen zu vernichten; Niemand, auch der
-Reichste nicht, durfte sicher sein, daß ihn der nächste Tag nicht in die
-Reihen der Besitzlosen hinabschleudern werde. Seit Mitte des neunzehnten
-Jahrhunderts machte sich nun in den Arbeiterkreisen eine Bewegung
-bemerkbar, welche auf eine Umwandlung dieser wahnsinnigen
-Productionsweise in eine vernünftigere abzielte. Man erkannte in dem
-Umstande, daß sich alle Behelfe zur Erzeugung von Producten, d. h. Grund
-und Boden, Maschinen, Werkzeuge, Rohstoffe &c., im Privatbesitz
-Einzelner befanden, somit die große Mehrheit der Bevölkerung von diesen
-Productionsmitteln getrennt war, die Grundursache der verderblichen
-Wirthschaft. Das Heil Aller, so lautete die Parole, liege darin, daß an
-die Stelle des Privatbesitzes an den Productionsmitteln, der
-Allgemeinbesitz trete. Die Partei, welche dieses Ziel anstrebte, nannte
-man die socialistische, oder socialdemokratische und ihre Anhänger waren
-von Seite des Staates und der besitzenden Classen allerhand Bedrückungen
-und Gewaltmaßregeln ausgesetzt. Die sociale Frage aber, deren Lösung sie
-auf ihre Fahne geschrieben hatte, war nachgerade die brennendste von
-allen geworden; sie beschäftigte alle Gemüther, hielt die Parlamente in
-Athem, setzte Tausende von Federn in Bewegung und bemächtigte sich aller
-Gebiete des öffentlichen Lebens. Wie hundert Jahre früher der
-Bürgerstand um seine Erlösung aus den Fesseln des Absolutismus gekämpft
-hatte, so suchte jetzt die große Masse des Proletariats nicht allein
-sich selbst, sondern die ganze Welt zu erlösen von einer täglich
-ungesunder werdenden Productionsweise, von einer wirthschaftlichen
-Knechtschaft, deren Druck zwar am empfindlichsten auf den untersten
-Volksschichten ruhte, welche aber auch den oberen Ständen in immer
-unangenehmerer Weise fühlbar wurde. Die Socialdemokratie hatte in der
-zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts aus bescheidenen Anfängen,
-trotz aller Hindernisse, welche ihr der Staat in den Weg legte, eine
-großartige Organisation geschaffen, welche sich über die ganze
-civilisirte Welt erstreckte und Millionen begeisterter Anhänger in ihren
-Reihen zählte. Diese ungeheure, ein und derselben Parole folgende Masse
-verhielt sich indessen durchaus streng in den Grenzen der bestehenden
-Gesetze. Aber mit unverwüstlicher Zähigkeit strebte sie unausgesetzt
-darnach, politische Rechte zu erringen, wo ihr dieselben versagt waren,
-oder ihre Wünsche und Beschwerden in den gesetzgebenden Körpern zur
-Geltung zu bringen, dort wo sie Vertreter in die Parlamente entsenden
-durfte. Nicht zufrieden damit, unablässig an der materiellen Hebung des
-Arbeiterstandes zu wirken, bestrebte sie sich auch, stets eingedenk des
-Wortes: »Bildung ist Macht«, das geistige Niveau ihrer Anhänger zu heben
-und dies war ihr mit Hülfe unzähliger Vereine, Bibliotheken,
-Zeitschriften, Flugblätter u. s. w. bereits am Ausgange des neunzehnten
-Jahrhunderts so gut gelungen, daß das durchschnittliche Bildungsniveau
-der Arbeiter dasjenige der Kleinbürgerschaft merklich überstieg und daß
-sie im Stande waren, aus ihren Reihen Schriftsteller, Journalisten und
-Redner auf den politischen Kampfplatz zu schicken, welche den
-Geisteskoryphäen der Bürgerschaft, des Adels und der Geistlichkeit
-nichts nachgaben. Mit ungeheurer Kraftanstrengung und eiserner Energie
-hob sich die Arbeiterschaft aus tiefstem Elende zu einer geistigen und
-sittlichen Höhe empor, welche sie befähigen mußte, in jenem Momente als
-zielbewußte, politisch reife Macht aufzutreten, in welchem die Zügel den
-schlaffen Händen der besitzenden Klassen entfallen würden. _Je tüchtiger
-und reifer die Arbeiterschaft in diesem Augenblicke war, desto leichter
-und schmerzloser mußte sich die unvermeidliche Umwälzung vollziehen._
-
-Fast alle Staaten der civilisirten Welt sahen sich wohl oder übel durch
-die immer gewaltiger anschwellende Bewegung genöthigt, ihr Augenmerk den
-socialen Mißständen zuzuwenden, was sie bisher gänzlich verabsäumt
-hatten. Man versuchte von Staats wegen das oft überaus traurige Loos der
-arbeitenden Klassen zu bessern; man gründete Krankenkassen, Unfalls- und
-Altersversicherungskassen für die Arbeiter, man stellte
-Gewerbeinspectoren an, welche die Thätigkeit in den Fabriken und anderen
-Gewerben überwachen und Mißbräuche abstellen sollten, man baute
-Arbeiterhäuser, Volksküchen u. s. w., aber man verfuhr dabei in den
-meisten Fällen mit einer so pedantischen Engherzigkeit, daß der Nutzen
-aller dieser Anstalten ein sehr mäßiger blieb und die berechtigten
-Forderungen der Arbeiter dadurch nicht befriedigt wurden. Gleichwohl
-schien es zu jener Zeit, als sollte sich die Umwälzung in der
-wirthschaftlichen Productionsweise, welche von der Socialdemokratie
-angestrebt wurde, auf friedlichem Wege und sehr langsam vollziehen, denn
-einerseits wurde die capitalistische Gesellschaft durch die Macht der
-Verhältnisse immer mehr und mehr in eine Bahn gedrängt, auf der ihre
-Umgestaltung nach dem Sinne der Socialdemokratie nur noch eine Frage der
-Zeit sein mußte, und andererseits wäre eine gewaltsame Auflehnung gegen
-die furchtbaren Machtmittel des Staates heller Wahnsinn gewesen, eine
-Erkenntniß, welcher sich selbst die radicalsten Führer der socialen
-Bewegung nicht verschließen konnten.
-
-So standen die Dinge zu Beginn des letzten Decenniums im neunzehnten
-Jahrhundert, als ein unvorhergesehenes Ereigniß die friedliche
-Entwicklung der Gesellschaftsreform für unabsehbare Zeit verhinderte.
-
-Im Jahre 1892 erschien in der Hauptstadt des deutschen Reiches ein
-Büchlein, welches ungeheueres Aufsehen machte und in Hunderttausenden
-von Exemplaren verbreitet wurde. Der Titel dieses verhängnißvollen
-Büchleins war: »Socialdemokratische Zukunftsbilder«, der Verfasser:
-einer der ersten Redner des Parlaments, Eugen Richter, welcher an der
-Spitze der sogenannten freisinnigen Partei stand und ein erbitterter
-Feind der Socialdemokratie war. In diesem Buche schilderte er mit
-glühender Phantasie die Schreckensbilder, denen Deutschland
-entgegengehen werde, falls es jemals der Socialdemokratie gelingen
-sollte, ihre Pläne zur practischen Ausführung zu bringen, d. h. den
-socialen Staat an Stelle des capitalistischen in's Leben zu rufen. Mit
-gieriger Hast wurden die, in den düstersten Farben gehaltenen
-Schilderungen vom deutschen Publikum verschlungen; die Wirkung war eine
-ungeheure. Mit _einem_ Schlage war der ganze erschreckliche Abgrund, dem
-das Vaterland entgegentaumelte, vor den bestürzten Blicken enthüllt;
-Tausende und Abertausende, von Entsetzen übermannt, für ihre eigene, wie
-für die Existenz ihrer Familien zitternd, verlangten ungestüm Hülfe und
-Rettung von der Allmacht des Staates. Der Kaiser schwankte; noch konnte
-er sich nicht entschließen, zu dem früher oft angewendeten Mittel
-gewaltsamer Unterdrückung zu greifen.
-
-Da kamen die Reichstagswahlen von 1895, und die socialdemokratische
-Fraction, bisher sechsunddreißig Mitglieder zählend, wuchs auf fünfzig
-an; es kamen die Wahlen des Jahres 1900 und mit _einem_ Schlage ward die
-Socialdemokratie zur mächtigsten Partei des Parlamentes, in dem sie
-nicht weniger als neunzig Mandate ihr Eigen nannte, während die
-sogenannten Ordnungsparteien, in zahllose Fractionen und Fractiönchen
-gespalten, dieser ehernen Phalanx gegenüber in ohnmächtiger Verwirrung
-dastanden. Ein Todesschrecken erfaßte die ganze Bourgeoisie, den Geld-
-und Geburtsadel, die Geistlichkeit aller Confessionen und nicht zum
-Mindesten den Kaiserhof selbst. Es schien, als stünde das jüngste
-Gericht vor den Thoren, und der Ruf nach Hülfe vor dem drohenden
-Untergange wurde lauter und eindringlicher als je. Noch stand ja der
-Regierung die große, herrliche, in hundert Schlachten und Gefechten
-siegreich gewesene Armee zur Verfügung, auf die man sich fest verlassen
-konnte, wenn es galt, die schwer bedrohte Gesellschaftsordnung zu
-retten. Die Regierung, von allen Seiten bestürmt, zögerte nun auch nicht
-mehr länger, energische Maßregeln zu ergreifen.
-
-Am Morgen des 10. April 1900 prangten an allen Straßenecken Berlins
-große Zettel, welche die Auflösung des Reichstages und die Abschaffung
-des allgemeinen Wahlrechtes für die neu auszuschreibenden
-Reichstagswahlen ankündigten. Zugleich erfuhr man, daß sämmtliche
-socialistische Abgeordnete beim ersten Morgengrauen durch starke
-Abtheilungen von Militär und Schutzleuten aus ihren Wohnungen abgeholt
-und in geschlossenen Wagen unter Kavallerie-Eskorte nach Spandau
-transportirt worden wären.
-
-Die erste Wirkung war die eines lähmenden Schreckens, welcher das Volk
-in der Hauptstadt urplötzlich ergriffen zu haben schien. Anfänglich
-blieb Alles ruhig, aber die Straßen im Centrum der Stadt füllten sich
-von Stunde zu Stunde immer mehr mit den von den Vorstädten
-hereinströmenden Volksschaaren. Alle Geschäfte, alle Fabriken stellten
-ihre Thätigkeit ein, und die dort beschäftigten Arbeiter vergrößerten
-die durch die Straßen wogenden Massen. Aber auf dieser ganzen
-ungeheueren Menge lastete ein dumpfes Schweigen; nur flüsternd ward die
-Kunde von dem, was geschehen, von Mund zu Mund getragen; man ahnte, daß
-Schreckliches folgen werde, aber Niemand hatte den Muth, das Losungswort
-zu geben. So wurde es Mittag; mit klingendem Spiele kam, wie alltäglich,
-die Wache zur Ablösung der Posten am Schlosse und den anderen
-öffentlichen Gebäuden dahergezogen. Die Menge stand unbeweglich wie eine
-Mauer, und wie das Grollen der See, wenn der erste Windstoß über sie
-hinfährt, so begann beim Anblick des Militärs ein dumpfes Murren und
-Brausen in der hunderttausendköpfigen Masse. Erst der Versuch, diese
-lebendige Mauer mit Gewalt zu durchbrechen, brachte Bewegung in
-dieselbe. Zwei Minuten später war die Abtheilung Soldaten über den
-Haufen gerannt, entwaffnet, wer sich zur Wehr setzte, niedergemacht; das
-erste Blut war geflossen und der Anblick desselben berauschte das Volk.
-Der Aufruhr hatte begonnen! Aus den Riesengebäuden der Kasernen ergossen
-sich die bereit gehaltenen Regimenter in die Straßen und vertheilten
-sich nach dem schon vorher festgestellten Plane, während aus den
-Nachbarstädten bereits Zug auf Zug, vollgepfropft mit Truppen, zur Hülfe
-herbeisauste. Fünf Tage und Nächte lang wogte der Straßenkampf von einem
-Ende der Residenz bis zum anderen. Auch das Volk erhielt Verstärkung;
-Tausende von Bauern und Fabrikarbeitern zogen von allen Seiten zur
-Unterstützung herbei, aber das Ringen war, trotz allen Heldenmuthes der
-Insurgenten, vom Anfang an durch die Ueberlegenheit der Waffen und der
-Disciplin zu Gunsten der Truppen entschieden. Auch die anderen blutigen
-Aufstände, welche an zahlreichen Orten des Reiches emporloderten, wurden
-bald niedergeschlagen; die letzten Schaaren der Freiheitskämpfer
-flüchteten in die Wälder und Gebirge an der böhmischen Grenze und
-führten dort noch Monate lang einen erbitterten Guerillakrieg gegen die
-sie verfolgenden Soldaten und Gensdarmen.
-
-Das Strafgericht, welches folgte, war schrecklich; die überall
-eingesetzten Kriegsgerichte verfuhren mit draconischer Strenge, und bald
-lag die Ruhe des Friedhofes über dem aus tausend Wunden blutenden
-Vaterlande.
-
-Einige Monate später trat der, nach dem neuen Wahlgesetze, dem ein
-engherziger Census zu Grunde gelegt worden war, gewählte Reichstag
-zusammen. Natürlich war kein einziger Socialdemokrat mehr in demselben
-zu erblicken. Was die Waffen begonnen, sollte nun die Gesetzgebung
-vollenden: die gänzliche Niederwerfung, nein! Ausrottung der
-Socialdemokratie. Alle »Ordnungsparteien« halfen bereitwilligst der
-Regierung bei diesem Werke. Sämmtliche Arbeiterblätter wurden
-unterdrückt, die Arbeitervereine aufgelöst, jeder politisch Verdächtige
-festgenommen. In letzterer Beziehung gingen übereifrige Polizeiorgane
-sogar so weit, daß Herr Eugen Richter, am nämlichen Tage, an welchem der
-Reichstag den Regierungsantrag einstimmig annahm, Herrn Richter wegen
-seiner Verdienste um die Vernichtung der Socialdemokratie bei Lebzeiten
-schon ein Denkmal zu setzen, -- daß Herr Eugen Richter am nämlichen Tage
-bei einem Haare auf den Schub gekommen wäre. Gleichzeitig ging man auch
-daran, den Arbeitern durch Erschwerung ihrer Existenz den »Brodkorb«,
-wie man sich ausdrückte, höher zu hängen. Hunger und Elend sollte die
-gefährliche Masse mürbe machen. Zuerst wurden sämmtliche
-Gewerbeinspectorate abgeschafft, die Bestände der Krankenkassen,
-Unfallversicherungs-, Invaliditäts- und Altersversicherungskassen
-eingezogen und zur Gutmachung jenes Schadens verwendet, den der Aufstand
-verursacht hatte.
-
-Den Arbeitgebern wurde vollständig freie Hand gelassen in Bezug auf
-Verwendung weiblicher und jugendlicher Arbeiter, sowie schulpflichtiger
-Kinder; die Beschränkungen der Arbeitszeit, sowohl bei Tage, wie bei
-Nacht, wurden aufgehoben -- mit einem Worte: Alles, was vor dem großen
-Aufstande an Schutzmaßregeln zu Gunsten der Arbeiter und _aus Furcht vor
-der Socialdemokratie_ geschaffen worden war, wurde rückgängig gemacht.
-
-Zu Anfang des Jahres 1901 war das große Werk gethan: _Die
-Socialdemokratie hatte aufgehört zu existiren, der ruhigen Entwicklung
-der capitalistisch organisirten Gesellschaft stand nichts mehr im Wege_,
-denn auch in allen übrigen civilisirten Staaten hatten sich ähnliche
-Vorgänge abgespielt. Zum ersten Male seit langen, langen Jahren athmete
-der friedliche Bürger wieder beruhigt auf. Herr Eugen Richter aber stand
-auf dem Gipfel einer Popularität, gegen welche selbst die seines
-einstigen Feindes Bismarck verblaßte.
-
-
-
-
- 7. Capitel.
-
- Die weitere Entwicklung der capitalistischen Gesellschaftsordnung.
- -- Arbeiter und Bauern im Jahre 1970. -- Die oberen Zehntausend
- im 20. Jahrhundert. -- Krisen und Kartelle. -- Die letzte
- Actiengesellschaft. -- Bellamy's Prophezeiung. -- Was Herr Eugen
- Richter gesäet hat.
-
-
-Die Lage der arbeitenden Classen begann nun eine unsagbar traurige zu
-werden. Die Fabrikanten, durch keine Rücksicht mehr gebunden,
-erniedrigten die Löhne weit unter das bisherige Niveau, erhöhten aber
-andererseits die Arbeitszeit bis zur äußersten Grenze. In
-rücksichtslosester Weise nutzten sie vornehmlich die Arbeitskraft der
-Frauen und Kinder aus; vom zartesten Alter angefangen, wurden die Kinder
-in die Fabriken getrieben, die ihnen weder zum Spiele noch zur Schule
-Zeit übrig ließen; die Wöchnerinnen, kaum daß sie entbunden hatten,
-schleppten sich wieder zur Maschine heran. Während die Arbeitszeit der
-Frauen und Kinder beständig anwuchs, lungerten große Schaaren
-arbeitsloser Männer auf den Straßen umher, bereit, für den geringsten
-Entgelt jede beliebige Arbeit zu übernehmen. Von einem eigenen Heerde,
-von einem Familienleben wußte der Arbeiter nichts mehr; die
-jämmerlichen, schmutzstarrenden Löcher, in denen er mit Weib und Kindern
-und »Schlafgängern«, wie die Häringe zusammengepfercht, seine Nächte
-verbrachte, verdienten den Namen menschlicher Wohnungen nicht. Seine
-Nahrung war gänzlich unzureichend, einem menschlichen Körper die
-nöthigste Kraft, die er verausgabt, wieder zu ersetzen; seine Kleidung
-bestand in Lumpen; er kannte nicht die Wohlthat eines erfrischenden
-Bades, eines Spazierganges in Wald oder Feld, er wußte nichts von
-Unterhaltung oder Zerstreuung, er bekam nie mehr ein Buch oder eine
-Zeitung in die Hand; _wenn er Arbeit hatte, so war er ein Sclave, bekam
-er keine, so wurde er zum Vagabunden_. Als die ersten Decennien des
-zwanzigsten Jahrhunderts vollendet waren, war aller Orten eine
-Arbeitergeneration herangewachsen, welche derjenigen vor dem großen
-Aufstande in keiner Beziehung mehr glich. Der Arbeiter von 1890 war, der
-großen Mehrzahl nach, intelligent, wißbegierig, belesen und in
-körperlicher Beziehung ziemlich gesund und kräftig; im Jahre 1930 war
-die Arbeiterschaft im Großen und Ganzen bereits sowohl körperlich als
-geistig tief gesunken. Die schwächlichen strapazirten Frauen hatten noch
-schwächlichere, ungesunde Kinder zur Welt gebracht, die beinahe ohne
-Pflege und ohne Unterricht aufwuchsen, schon frühzeitig bei endloser
-einförmiger Arbeit in den Fabriken verblödeten und die Keime unheilbarer
-Krankheiten einsogen.
-
-Der Durchschnittsarbeiter von 1930 war ein schwaches, engbrüstiges,
-schwindsüchtiges Individuum, das mit eingefallenen Wangen und
-schlotternden Knieen zur Arbeit wankte und seine wenigen Freistunden in
-dumpfem, apathischem Brüten verbrachte. Der Proletarier von 1970 aber,
-zu einer Zeit wo der menschliche Erfindungsgeist die herrlichsten
-Triumphe gefeiert und Wunderwerke der Technik vollendet hatte, der
-Proletarier von 1970 war ein Geschöpf, das Mitleid und Entsetzen
-gleichzeitig einflößte. Einen entsetzlichen Umfang hatte insbesondere
-die Prostitution angenommen. Die Löhne der Arbeiterinnen waren so
-niedrig, daß sie, um leben zu können, direkt auf die Prostitution
-angewiesen waren. Die Fabrikanten rechneten von vornherein darauf, daß
-die Frauen und Töchter der Arbeiter den Ausfall in ihren Einnahmen durch
-Verkauf ihres Körpers decken würden, aber die Schaaren dieser
-Unglücklichen waren nur ein Bruchtheil des ungeheuren Heeres Jener,
-welche sich gänzlich dem Schandgewerbe ergeben hatten. Zu Tausenden
-füllten diese Geschöpfe die Straßen der Vorstädte, und auch die
-unerbittlichste Polizeistrenge vermochte sie nicht ganz aus den
-eleganten Vierteln zu verdrängen.
-
-Gänzlich hoffnungslos war auch die Lage des Kleingewerbes, insoweit
-überhaupt von einem solchen noch gesprochen werden konnte. Durch das
-rapide Anwachsen der Großindustrie war schon früher das Kleingewerbe arg
-geschädigt worden; seine Lage war aber damals noch glänzend zu nennen im
-Vergleiche mit dem jetzigen Zustande. Eine andere Arbeit, als wenig
-lohnende Reparaturen, gab es überhaupt nicht mehr für den kleinen
-»selbständigen« Meister. Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts war z. B.
-ein Schustermeister, der die Anfertigung eines Paares Stiefeln in
-Auftrag erhielt und diesen Auftrag auch auszuführen verstand, oder ein
-Schneidermeister, der einen Anzug von A bis Z herzustellen wußte, eine
-Seltenheit. Um 1970 waren die meisten Handwerksfertigkeiten vollständig
-verloren gegangen; nur so weit, als es im Dienste der Großindustrie und
-bei einer weitgehenden Arbeitstheilung nöthig war, hatten sich diese
-Fertigkeiten erhalten. Es gab wohl Arbeiter, welche mit Hobelmaschinen
-umzugehen wußten, und solche, welche mit Maschinenhülfe täglich ein paar
-Hundert Stuhlbeine anzufertigen verstanden; es gab aber keine Tischler
-mehr, welche ganz selbständig, nur mit dem Handwerkszeug des neunzehnten
-Jahrhunderts ausgerüstet, einen Stuhl, einen Tisch oder einen Schrank
-anzufertigen fähig gewesen wären. Der Bildungsgrad der noch übrigen
-Kleinmeister war der denkbar niedrigste. Ihre Lage war so hoffnungslos
-und der Kampf um's Dasein, den sie zu führen hatten, ein so harter, daß
-ihnen schon längst jeder Trieb zur Weiterbildung, zur Vermehrung ihrer
-spärlichen Kenntnisse abhanden gekommen war. Sie waren einfach nichts
-als Proletarier, welche von den Abfällen der Großindustrie lebten, ohne
-Urtheilskraft, ohne Energie, ewig jammernd, ewig schimpfend, aber nicht
-im Stande, ihre klägliche Situation auch nur um Haaresbreite zu
-verbessern. Was die Lage der Landbevölkerung anbetrifft, so war dieselbe
-nicht viel besser. Schon in den letzten Decennien des neunzehnten
-Jahrhunderts war die Position der Bauern, die ihre Selbständigkeit
-bewahrt hatten, eine sehr ungünstige. Die Bewirthschaftung ihrer mit
-Hypotheken überbürdeten Güter wurde immer schwieriger und immer weniger
-nutzbringend. Der Großgrundbesitz, der immer mehr Land an sich riß, die
-Großindustrie, welche immer mehr Fabriken errichtete und der Staat,
-welcher immer mehr Soldaten benöthigte, nahm ihnen ihre eingeschulten
-Arbeitskräfte und gab ihnen dafür im besten Falle ausgemergelte
-Fabrikarbeiter zurück, deren Körperkräfte durch langes Elend so
-herabgekommen waren, daß sie zur Feldarbeit nichts mehr taugten. Der
-Kleinbauer wurde mehr und mehr abhängig von dem Großgrundbesitzer, mit
-dem er schon deswegen nicht concurriren konnte, weil derselbe weit
-billiger producirte, und seinen Boden weit ertragsfähiger zu machen
-verstand. Wenn der Bauer nach Begleichung der Zinsen und Steuern noch so
-viel übrig behielt, daß er nicht gerade mit den Seinigen Hunger zu
-leiden und daß er die nächste Aussaat erübrigt hatte, so pries er sich
-schon glücklich. Die Fälle aber, in denen Hof und Feld solcher
-Kleinbauern zwangsweise versteigert und zu niedrigsten Preisen von den
-nächsten Großgrundbesitzern erworben wurden, mehrten sich von Jahr zu
-Jahr. Die neuen Besitzer, welche meistentheils große Jagdfreunde waren,
-brachen oft die verlassenen Höfe ab und schlugen den urbaren Grund zu
-ihrem Jagdgebiete. Auf diese Weise verschwanden alljährlich nicht allein
-Hunderte von Einzelgehöften, sondern hie und da auch ganze Dorfschaften,
-von denen nicht einmal ein Mauerrest übrig blieb. Die früheren Besitzer,
-aller Mittel entblößt, mußten sich entweder mit Weib und Kind dem
-Großgrundbesitzer als Lohnarbeiter verdingen, oder in die nächste Fabrik
-wandern, und glücklich sein, wenn sie dort Arbeit fanden. Aus den freien
-Bauern waren Fabriksproletarier geworden. Viele Bauerngüter wurden auch
-von Speculanten angekauft, welche dieselben parcellirten und kleinweise
-an den Mann brachten. Durch diesen Prozeß wurde ein Heer von
-Kleinhäuslern geschaffen, deren Grundbesitz wieder nicht im Stande war,
-sie zu ernähren. Wenn diese Leute unter Entbehrungen der schlimmsten Art
-sich noch ein paar Jahre über Wasser erhielten, einmal kam doch
-unfehlbar die Stunde, welche ihnen ihr Besitzthum entriß und sie zu den
-Uebrigen in den Abgrund warf. Es wäre schwer zu entscheiden gewesen,
-wessen Elend größer war: das der Lohnarbeiter in den Fabriken, oder das
-der Tagelöhner auf den Gütern. Die Arbeitszeit der Letzteren war eine
-schier unbegrenzte: von Sonnenauf- bis Untergang, d. h. im Sommer von 4
-Uhr früh bis 9 Uhr Abends, und wenn der oft Stunden lange Weg zum
-Arbeitsplatz und zurück mitgerechnet wird, so war eine Arbeitszeit von
-½3 Uhr Morgens bis ½11 Uhr Nachts keine Seltenheit. Die Wohnungen der
-Landarbeiter standen an Comfort und Sauberkeit den Ställen der
-Gutsbesitzer weitaus nach; die Löhne waren gerade genügend, um das
-Lebenslicht vor dem Erlöschen zu bewahren und die Kost bestand demnach
-jahraus, jahrein aus Kartoffeln, Kraut und dünnem Cichoriencaffee.
-Gleichwohl widerstand diese Classe von Lohnarbeitern der allgemeinen
-Degeneration ziemlich lange, was wohl seinen Grund in dem täglichen
-Aufenthalt in frischer, gesunder Luft haben mochte. In der zweiten
-Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts waren aber auch die Landarbeiter
-körperlich und geistig so tief gesunken, daß sie kaum mehr tiefer sinken
-konnten.
-
-Neunzig Procent der Bevölkerung befand sich um das Jahr 1970 in einem
-Zustande, der auf das Krasseste abstach von dem Leben, das die übrigen
-zehn Procent führten. Dieser Rest oder vielmehr diese dünne Schicht,
-welche auf der Oberfläche des allgemeinen Elends schwamm, setzte sich
-zum überwiegenden Theile aus Großindustriellen und Großgrundbesitzern
-zusammen. Hierzu kamen die Vertreter des Großhandels, der hohen Finanz,
-welche indessen meistens auch zu den beiden erstgenannten Classen
-zählten, das Heer der Beamten und Officiere, einige wenige auserlesene
-Künstler, Gelehrte, Schriftsteller und Techniker und endlich eine an
-Zahl und Bedeutung arg zusammengeschmolzene und noch immer rapid
-abnehmende »wohlhabende« Bürgerschaft. Die Geschichte der »oberen
-Zehntausend«, vom Ende des neunzehnten Jahrhunderts an, zeigt ebenso
-einen Degenerirungsproceß, wie die Geschichte des unglücklichen
-Proletariats in jener Zeit. Während namenloses Elend den an Zahl größten
-Theil der Bevölkerung zu Boden drückte, erlag der andere Theil an der
-Last des Reichthums, der sich auf seinen Schultern angehäuft hatte. Er
-verlor dabei alles, was seine Vorfahren einst auszeichnete: Mannesmuth,
-Charakterfestigkeit, Ueberzeugungstreue und nicht zum mindesten die
-Ehrlichkeit. Schon im ersten Viertel des zwanzigsten Jahrhunderts war
-der Byzantinismus auf eine geradezu schwindelnde Höhe gestiegen. Der
-Spucknapf eines Hoflakeien war ein Gegenstand der Verehrung geworden.
-Die Presse brachte spaltenlange Berichte, wenn das Schoßhündchen der
-Frau Obersthofmeisterin sich erkältet hatte, aber sie ignorirte es
-gänzlich, wenn Schaaren von Arbeiterkindern am Hungertyphus
-dahinsiechten. Im engsten Zusammenhange mit diesen Erbärmlichkeiten
-stand ein auf allen Gebieten sich vordrängendes, widerwärtiges
-Streberthum, das in der Wahl seiner Mittel nichts weniger als wählerisch
-war und wenn es nicht anders ging, auch auf dem Wege der Denunciation
-oder in sonst verächtlicher Weise vorwärts zu kommen trachtete.
-
-Kunst und Literatur kannten keine andere Aufgabe mehr, als die
-Verherrlichung und Verewigung aller jener Vorfälle, welche sich in der
-Atmosphäre eines Fürstenhofes abspielten. Die Gegenwart eines gekrönten
-Hauptes bei irgend einer öffentlichen Feierlichkeit war genügend, um
-diesen Moment zum Gegenstande unzähliger Darstellungen durch Feder,
-Pinsel und Meißel zu machen. Die Journalisten wurden nicht müde, das
-betreffende Ereigniß bis in's allerkleinste _Détail_ zu schildern. Die
-Dichter besangen es in begeisterten Hymnen, die Maler opferten
-Leinwandstücke von der Größe eines Fregattensegels und unzählige Kilo
-Farbe, um den erhebenden Moment der Nachwelt zu überliefern und den
-Bildhauern war kein Marmorblock zu diesem Zwecke groß und rein genug.
-
-Von den Leiden des Volkes wußte aber die Kunst nichts; sie verschmähte
-es, in die Tiefen des menschlichen Lebens hinabzusteigen und betrachtete
-es lediglich als ihre Aufgabe, diejenigen zu glorificiren, die sie am
-besten bezahlten.
-
-Der Luxus hatte eine exorbitante Höhe erreicht. Die, welche sich zur
-»Gesellschaft« zählten, hatten kein Verständniß mehr für den Begriff:
-»Arbeit«. Die Leitung der Fabriken überließen sie ihren Direktoren und
-Ingenieuren, den Betrieb auf den Gütern ihren Verwaltern und Förstern;
-sie selbst hatten kein Ziel und keinen Zweck mehr, als das Geld zu
-vergeuden, was dort verdient wurde. Die Einrichtung der Paläste, die
-Marställe, die Maitressen, die Gastmähler und allerhand Feste
-verschlangen Unsummen. Für ein einziges Frühstück gab man mehr aus, als
-zehn Arbeiterfamilien ein ganzes Jahr lang zum Leben brauchten. Diese
-colossalen Summen kamen aber nicht der breiten Masse des Volkes, sondern
-stets nur wenigen Großunternehmern zu Gute, welche ihrerseits ebenfalls
-Reichthum auf Reichthum häuften, während die eigentlichen Erzeuger aller
-Producte im Elend verkamen. Baar jeder idealen Regung, war die
-besitzende Klasse vom krassesten Materialismus durchtränkt; das Geld war
-ihr Gott, der Genuß ihr einziger Lebenszweck, Kunst und Wissenschaft von
-ihnen zu käuflichen Dirnen degradirt worden. Dem Gewinne jagte Alles mit
-rastloser Gier nach; unablässig die Augen auf das blinkende Ziel
-gerichtet, kümmerte man sich wenig um die Existenzen, welche man auf
-diesem Wege zertrat, war man nichts weniger als wählerisch in der
-Auswahl der Mittel, welche zum Besitz führen sollten. Was Geld
-einbrachte, war in den Augen dieser Classe moralisch, was nichts
-einbrachte, einfach Narrheit. Das ganze Leben war zu einem tollen
-Wirbeltanze um das goldene Kalb geworden; wer dabei zu Falle kam, nun,
-der fiel eben; die Uebrigen rasten weiter und würdigten ihn nicht einmal
-eines Blickes mehr. Um sich zu bereichern, scheute man auch vor
-ungeheuerlichen Verbrechen nicht zurück, die nur selten eine Sühne vor
-dem Richter fanden; mit dem verbindlichsten Lächeln auf den Lippen
-betrog man sich gegenseitig um Millionen, trieb man einander zum
-Selbstmord, zum Wahnsinn.
-
-Aber diese glänzende, innerlich angefaulte Welt war von Zeit zu Zeit,
-und zwar in immer kürzeren Zwischenräumen, furchtbaren Erschütterungen
-ausgesetzt, welche stets ungezählte Existenzen vom Gipfel des Reichthums
-in's tiefste Elend schleuderten. Niemand wußte, ob ihm nicht eine der
-nächsten, schnell aufeinander folgenden Handelskrisen das nämliche
-Schicksal bereiten werde.
-
-Die fortwährend steigende Concurrenz zwang unaufhörlich zu
-Verbesserungen an den Maschinen, zu Vereinfachungen der
-Productionsprocesse, zur Vermehrung der Arbeitsstunden und Verringerung
-der Löhne. Die unausbleibliche Folge war Ueberproduction, Sinken der
-Preise, Geschäftsstockung, Krise, auf welche dann eine leichte Erholung
-eintrat, der aber allsogleich eine neuerliche Krise auf dem Fuße folgte.
-Das Schlimmste war aber, daß, während die Production beständig anwuchs,
-die Consumtion fortwährend im Sinken begriffen war. Kein Wunder, wenn
-man bedenkt, daß der bei Weitem größere Theil der Bevölkerung am
-Hungertuche nagen mußte, und daß seine Kaufkraft beinahe gleich Null
-war. Die Production arbeitete hauptsächlich für den Export, aber da sich
-überall in allen Culturstaaten dieselben Zustände eingestellt hatten, so
-wurde die Concurrenz im Handel nach überseeischen Märkten immer schärfer
-und fühlbarer. Nachdem sich in Afrika eine blühende Industrie zu
-entwickeln begann, welche für die Bedürfnisse dieses Welttheiles bald in
-ausreichender Weise zu sorgen im Stande war, verengte sich das
-Exportgebiet von Jahr zu Jahr immer mehr, während sich die
-Culturbedürfnisse der exotischen Völkerschaften nicht in gleicher Weise
-steigerten.
-
-Um der sinkenden Tendenz der Preise entgegenzutreten, hatten sich
-schon im neunzehnten Jahrhundert einzelne Großindustrielle,
-Actiengesellschaften &c. zusammengethan, und Verabredungen getroffen,
-welche jeden dieser Producenten verpflichteten, nicht unter einem
-bestimmten Preise zu verkaufen oder seine Waaren so lange
-zurückzuhalten, bis eine Preissteigerung von bestimmter Höhe eingetreten
-sein werde. Diese Cartells nahmen im zwanzigsten Jahrhundert derart
-überhand, daß es bald keinen einzigen Verbrauchsartikel mehr gab, dessen
-Preis nicht in der angedeuteten Weise in die Höhe geschraubt werden
-konnte. Vorbedingung war, daß man zuerst die außer Cartell stehenden
-Concurrenten zu Grunde richtete oder aufkaufte und auf diese Weise
-concentrirte sich die gesammte Production in immer weniger Händen, nahm
-der Reichthum dieser Wenigen immer collossalere Dimensionen an. Im
-letzten Viertel des zwanzigsten Jahrhunderts gab es in Deutschland nur
-noch eine einzige Riesen-Actiengesellschaft, welche alles producirte,
-was überhaupt zu produciren möglich war, und Theilnehmer dieses
-gigantischen Unternehmens waren lediglich zwölf Großkapitalisten,
-vielfache Milliardäre, in deren Besitz sich der gesammte
-Nationalreichthum concentrirte.
-
-Hundert Jahre früher hatte ein geistvoller, weitblickender Mann, der
-Amerikaner Bellamy, diesen Gang der Entwicklung vorausgesehen und
-prophezeit, daß, sobald dieser Moment eingetreten sei, die Umwandlung
-des capitalistischen in den socialen Staat ohne weiteren Widerstand auf
-friedlichem Wege und sozusagen ganz von selbst sich vollziehen werde.
-Diese Prophezeiung, auf einer richtigen Erkenntniß der wirthschaftlichen
-Kräfte beruhend, wäre auch sicherlich in Erfüllung gegangen und ihre
-Realisirung hätte für die Welt den Beginn einer glänzenden Epoche in der
-Culturgeschichte der Menschheit bedeutet -- wenn die große Masse des
-Volkes vorbereitet gewesen wäre für diese Umwälzung der
-Gesellschaftsordnung, für diesen plötzlichen Uebergang vom tiefsten
-Schatten zum glänzendsten Lichte.
-
-_Jetzt aber war der Moment gekommen, wo sich die Sünden der letzten
-hundert Jahre in furchtbarster Weise rächen sollten, wo die Saat, welche
-am Ende des neunzehnten Jahrhunderts Eugen Richter gesäet hatte, erst
-ihre entsetzlichen Früchte zur Reife brachte. Im Laufe der letzten
-hundert Jahre war nichts, rein gar nichts geschehen, um das Volk für den
-großen Augenblick, der seiner harrte, vorzubereiten._
-
-Bis zum Staatsstreich des Jahres 1900 hatte die Socialdemokratie sich
-dieser letzterwähnten Aufgabe unterzogen. Aus dumpfer Erstarrung und
-kläglicher Unwissenheit hatte sie das arbeitende Volk unter unsäglichen
-Mühen, Gefahren und Hindernissen, zur Selbständigkeit, zum
-Selbstbewußtsein, zur Bildung heranzuziehen sich bemüht. Und ihre
-Bemühungen waren auf dem besten Wege, von Erfolg begleitet zu sein. Am
-Ende des neunzehnten Jahrhunderts war der Arbeiter von einem heißen
-Drange nach Bildung und Wissen erfüllt; in weiter Ferne sah er eine
-glänzende Idealgestalt vor sich herziehen, die seinen Weg erleuchtete
-und die Socialdemokratie war es, die seine Schritte auf diesem Wege
-leitete, die ihm, so oft er es vergaß, immer und immer wieder die Mittel
-einprägte, welche ihn auf demselben vorwärts bringen konnten.
-
-Aber die Socialdemokratie that noch mehr: sie wurde auch zur Erzieherin
-der anderen Classen. Indem sie die träge Masse des Proletariates
-aufrüttelte, organisirte und zielbewußt machte, zwang sie die
-Besitzenden, ihre Aufmerksamkeit Dingen von höchster Wichtigkeit
-zuzuwenden, welche bis dahin in unverantwortlicher Weise vernachlässigt
-worden waren.
-
-Eine ganze Welt von neuen Fragen, Ideen, Gesichtspunkten machte sie
-plötzlich lebendig. Es half nichts, daß man sich anfänglich davon
-abwendete, daß man sich die Augen zuhielt, daß man sich taub stellte.
-Die Sprache der Thatsachen war eine zu eindringliche; man war genöthigt,
-der Sache wohl oder übel seine Aufmerksamkeit zu schenken, sich auf
-Discussionen einzulassen, seine Lethargie abzuschütteln, um dem Gegner
-Stand halten zu können. So brachte die Socialdemokratie neues, frisch
-pulsirendes Leben in die alternde Gesellschaft, sie streute mit vollen
-Händen einen unerschöpflichen Stoff zur Anregung auf allen Gebieten aus;
-Dichter, Schriftsteller und Künstler schöpften aus dem nie versiegenden
-Quell einer neuen Ideenwelt, und selbst die rostig werdende
-Staatsmaschine sah neues Oel auf ihre knarrenden Achsen träufeln und
-ging daran, Institutionen zu schaffen, die man ein Vierteljahrhundert
-früher als phantastisch bezeichnet haben würde.
-
-Dieser frische Quell versiegte mit einem Male, als man die
-Socialdemokratie mit eiserner Faust für immerdar vernichtet, ausgerottet
-hatte.
-
-_Als der große Moment, den Bellamy prophezeit hatte, thatsächlich
-eintrat, fand er an Stelle einer politisch reifen, mit dem Rüstzeug
-moderner Bildung ausgestatteten und physisch tüchtigen Arbeiterschaft
-eine verthierte Masse, die kein anderes Ziel kannte, als endlich einmal
-Rache zu nehmen für die schmähliche Unterdrückung, deren Opfer sie seit
-hundert Jahren geworden war._
-
-
-
-
- 8. Capitel.
-
- Berlin acht Tage vor dem großen Krach. -- Feiernde Fabriken. --
- Der Hungertod. -- Riesenbazare. -- Mangel an Soldaten. -- Ein
- Abendspaziergang im Jahre 1998. -- Ein Besuch im Arbeiterviertel.
-
-
-Ich beginne nunmehr mit der Erzählung meiner eigenen Erlebnisse in der
-Zeit des allgemeinen Zusammenbruchs.
-
-Am Abend des 2. Februar 1998 fuhr ich mit dem Blitzzug von Weimar nach
-Berlin. Ich befand mich in der glückseligsten Stimmung; ich hatte ja die
-Reise unternommen, um meine Braut heimzuführen aus ihrem Elternhause in
-das behagliche Nest, das ich ihr in Thüringen bereitet hatte. Dank der
-Protection meines zukünftigen Schwiegervaters, welcher eine
-einflußreiche Stellung bei der großen Actiengesellschaft bekleidete, war
-ich zum Verwalter der Thüringischen Centralmagazine ernannt worden, ein
-Posten, der ebenso angenehm, als einträglich war. So drückte ich mich
-also in die Kissen meines Coupésitzes und überließ mich, während der Zug
-seinem Ziele entgegenbrauste, den angenehmsten Träumen, eine
-Beschäftigung, der ich mich um so ungestörter hingeben konnte, als ich
-anfänglich allein in meinem Coupé war. Auf einer Zwischenstation, einem
-Städtchen, in welchem die Gesellschaft große Teppichfabriken besaß,
-stieg ein Herr in meine Abtheilung ein, in dem ich alsbald einen
-ehemaligen Schulcollegen erkannte. Ebenfalls im Dienste der Gesellschaft
-stehend, war er erst vor wenigen Wochen an diesen Ort versetzt worden.
-Nachdem wir uns begrüßt und die üblichen Redensarten gewechselt hatten,
-fiel mir plötzlich ein, daß ich der Ausstattung meiner Wohnung ganz gut
-noch einen Teppich von bestimmter Specialität beifügen könne, wie ihn
-die erwähnten Fabriken in vorzüglicher Beschaffenheit anfertigten. Ich
-frug also meinen Freund nach dem Preise einer mir zusagenden Größe und
-war nicht wenig erstaunt, als ich zur Antwort erhielt, daß in den
-Fabriken diese Gattung von Teppichen nicht mehr hergestellt werde.
-
-»Warum denn nicht mehr?« frug ich, »ist vielleicht keine Nachfrage mehr
-nach dieser Qualität?«
-
-Mein Freund lächelte düster und erwiderte mit gepreßter Stimme: »Weil
-wir überhaupt nichts mehr fabriciren. Die Fabriken haben ihren Betrieb
-vor drei Tagen eingestellt.«
-
-»Eingestellt? Ich war der Meinung, das Geschäft gehe bei Euch
-vorzüglich. Ihr habt doch, wenn ich nicht irre, an fünftausend Arbeiter
-beschäftigt?«
-
-»Das ist richtig,« sprach mein Gegenüber. »Die ganze Einwohnerschaft des
-Städtchens, mit Ausnahme der wenigen Staatsbeamten, arbeitete für unsere
-Gesellschaft; wir haben sie aber sämmtlich entlassen müssen, weil sich
-die Fabrikation schon längst nicht mehr rentirte.«
-
-»Ich verstehe aber nicht! Eure Teppiche hatten einen Weltruf. Sie waren
-dauerhaft, elegant, preiswürdig --«
-
-»Und doch war der Absatz auf ein Minimum herabgesunken und deckte nicht
-einmal die Betriebskosten. Wir haben eben in ganz Deutschland nur sehr
-wenig Leute, die sich den Luxus eines Teppiches gestatten können. Es
-müssen ja selbst Fabrikationszweige eingeschränkt werden, welche
-nothwendigen Lebensbedarf produciren. Wenn jeder Arbeiter in Deutschland
-im Stande wäre, für sich und die Seinen Betten zu kaufen, so könnten wir
-vierzig Millionen Stück davon fabriciren. Wie viel Arbeit gäbe das für
-unsere Möbelfabriken, für die Leinenindustrie, für die Fabrikation von
-Matratzenstoffen; selbst die Landwirthschaft würde profitiren, denn wo
-nähme man die Tausende von Centnern an Bettfedern her? Ich glaube aber,
-daß heute Nacht im ganzen Reich kein einziges Mitglied einer
-Arbeiterfamilie in einem Bette schlafen wird. Die Leute liegen im besten
-Falle auf einem Haufen Stroh oder Lumpen; die Meisten aber in ihren
-Arbeitskleidern auf dem nackten Fußboden.«
-
-»Was fangen denn nun diese fünftausend Menschen an, die Ihr entlassen
-habt?« frug ich weiter.
-
-Der Andere zuckte mit den Achseln. »Das weiß ich nicht. Ein oder zwei
-Dutzend werden wohl im Orte bleiben, und die paar Aecker bearbeiten, die
-ihnen noch verblieben sind. Alles übrige Land, auf Meilen hinaus, gehört
-der Gesellschaft, die es im Großen bearbeiten läßt und so schon
-Ueberfluß an Arbeitern hat. Das große Heer der Arbeitslosen wird um
-einige Bataillone zunehmen, das ist Alles, was man heute sagen kann.«
-
-Die Worte meines Freundes hatten bereits genügt, um meine gute Laune zu
-verscheuchen. Heiter und sorglos von Natur, hatte ich mir bisher wenig
-Mühe gegeben, den Wolken, welche sich rings um mich zusammenzogen, eine
-größere Aufmerksamkeit zu schenken. Trotzdem war es auch mir nicht
-entgangen, daß die wirthschaftlichen Zustände sehr viel zu wünschen
-übrig ließen; in dem Stadium hochgradiger Verliebtheit, in dem ich mich
-jedoch seit mehr als Jahresfrist befand, war ich noch weniger als früher
-geneigt, mich düsteren Betrachtungen hinzugeben. Die Zukunft lag so
-verlockend, so rosig vor mir, daß ich stets mit Gewalt alle
-aufsteigenden Gespenster verscheuchte; ich wollte mir mein Glück um so
-weniger trüben lassen, als ich ja an den allgemeinen Zuständen nichts
-ändern und bessern konnte. Heute aber vermochte ich der finsteren Mächte
-nicht Herr zu werden. Die Worte, die ich soeben vernommen, hatten einen
-Abgrund vor mir geöffnet und erst, als ich am Bahnhofe in Berlin
-anlangend, von meiner Braut und deren Eltern empfangen wurde, als sich
-Elly mit glückseligem Lächeln an meinen Arm hängte, verscheuchte ihr
-fröhliches Geplauder die düsteren Bilder, von denen mein Inneres erfüllt
-war.
-
-Eine Viertelstunde später bog der Wagen, in dem wir saßen, in die
-taghell beleuchtete Einfahrt eines jener palastähnlichen Gebäude ein, in
-denen die höheren Beamten unserer Gesellschaft, zu denen auch mein
-Schwiegervater zählte, ihre Dienstwohnungen hatten. In diesem Moment
-prallten die Pferde zurück, wir erhielten einen starken Stoß, der Wagen
-neigte sich zur Seite. Die Frauen schrieen angstvoll auf, mein
-Schwiegervater öffnete den Schlag und sprang hinaus; ich folgte ihm und
-sah den Wagen umringt von einer Schaar Menschen, deren Gesichter ich nie
-vergessen werde. Ein unbeschreibbarer Haß lag in diesen funkelnden
-Blicken.
-
-Ich fand jedoch keine Zeit, weitere Betrachtungen anzustellen.
-Schutzleute waren zur Hand, welche die Menge aus der Einfahrt auf die
-Straße drängten und das Gitter schlossen. Nun standen sie draußen,
-unverwandten Blickes durch die Lücken der Eisenstäbe hereinstierend, mit
-entsetzlichen, abgezehrten Gesichtern und wirren Haaren.
-
-Gleichzeitig sah ich, wie man eine leblose Gestalt, den Körper eines
-Weibes, unter dem Wagen hervorzog. Als man die Unglückliche forttragen
-wollte, fiel mein Blick auf ihr wachsbleiches Gesicht. Es schien nur aus
-Haut und Knochen zu bestehen und glich dem Schädel einer Mumie. Ich
-wandte mich an einen der Schutzleute: »Der Wagen hat sie getödtet?« rief
-ich. »Nein, sie war schon vorher todt,« sprach der Mann gleichgültig,
-»sie ist verhungert!«
-
-_3. Februar._ Die ganze Nacht hatte mich die Schreckensgestalt des
-gestrigen Abends im Traume verfolgt. Müde und abgespannt erhob ich mich.
-Wie ein zum Himmel schreiendes Verbrechen erschien mir der Luxus, der
-mich umgab. Beim Frühstück nach dem Grunde meiner Schweigsamkeit
-befragt, sagte ich offenherzig, wie tief mich die Begebenheit von
-gestern erschüttert habe. Mein Schwiegervater zuckte die Achseln: »Das
-ist uns leider nichts Neues mehr,« erwiderte er. »Das Elend wird immer
-größer, und kein Mensch weiß, wo das hinaus will. Das Schlimmste steht
-uns noch bevor. Vor Kurzem hat einer unserer Ingenieure eine neue
-Erfindung gemacht, welche wieder ungezählte Tausende um ihr Brod bringt.
-Man hat jetzt in der Textilindustrie überhaupt keine Arbeiter mehr
-nöthig. Ein Kind von zehn Jahren genügt für jede Fabrik und es hat
-nichts weiter zu thun, als bald hier, bald dort auf einen Knopf zu
-drücken. Das Uebrige besorgen die Maschinen.« »Und die Arbeiter?« frug
-ich. Er schwieg und zuckte noch einmal mit den Achseln.
-
-Nach einer Weile peinlichen Schweigens frug er mich, ob ich geneigt sei,
-ihn auf einem Spaziergange zu begleiten. Er hätte mir kein
-willkommeneres Anerbieten machen können. Eine Fluth schrecklicher
-Gedanken drohte wieder über mich herzufallen; die Gestalten meines
-nächtlichen Traumes wurden wieder lebendig, und mir war, als müsse ich
-in diesen Räumen ersticken. Elly hatte mich besorgten Blickes gemustert.
-Im ersten unbelauschten Moment umschlangen mich ihre Arme: »Oh Lieber,
-laß uns bald diese Stadt verlassen. Es gehen hier schreckliche Dinge
-vor, und kaum wage ich mehr, den Fuß auf die Straße zu setzen, wo mich
-überall das gräßlichste Elend angrinst.« Sie brach in Thränen aus, und
-ich mußte alle Beredsamkeit aufbieten, um sie zu beruhigen. Mir war es
-aber, als sei seit gestern ein kalter Reif auf mein junges Glück
-gefallen.
-
-Die seltsame Stimmung, in der ich mich befand, mochte Ursache sein, daß
-mir Dinge, welche mir längst bekannt waren, heute in einem ganz
-eigenthümlichen Lichte erschienen. In früheren Jahren hatte sich, wie
-ich oft erzählen hörte, in den Straßen, die wir durchwanderten, ein
-Schauladen am andern befunden, von denen Jeder seinen besonderen Inhaber
-hatte. Jeder trieb sein Geschäft für sich auf eigene Faust und hatte
-keine weitere Sorge, als seinen Concurrenten zu Grunde zu richten. Das
-hatte sich schon längst geändert. Die kleinen Geschäfte waren seit
-Jahrzehnten verschwunden. An ihrer Stelle nahmen Riesen-Bazars die
-unteren Stockwerke der Häuser ein, Colossalgeschäfte, welche sämmtlich
-von unserer Actiengesellschaft betrieben wurden und in denen man Alles
-erhalten konnte, was man zu haben wünschte, von der Stecknadel
-angefangen bis zum Concertflügel. Vor diesen großartigen Betrieben,
-welche mit weit geringeren Spesen und größerem Nutzen arbeiteten, hatten
-die kleinen Geschäftsleute die Segel streichen müssen; was früher Vielen
-gehört hatte, befand sich jetzt im Besitz einiger Weniger und zahllose
-zerstörte Existenzen bezeichneten den Weg dieser »friedlich« verlaufenen
-Umwälzung. Das Praktische der Einrichtung ließ sich ja nicht leugnen,
-aber warum, frug ich mich, warum muß der Profit dieser Riesengeschäfte
-nur Einigen zufallen, die ohnedies schon mehr als genug besitzen, warum
-darf nicht das ganze Volk, jene ungeheure Schaar Armer und Elender Theil
-haben am Geschäft? Mir fiel ein, was ich von der längst verschollenen
-Socialdemokratie gehört hatte. Wenn jetzt das ganze Volk, erfüllt von
-ein und demselben Gedanken im Stande wäre, an Stelle dieser Wenigen zu
-treten und die Leitung der Production und des Waarenvertriebes selbst in
-die Hand zu nehmen? Wahnsinnige Idee! Menschenalter müßten vergehen, ehe
-diese zu Boden getretene, verthierte Masse wieder so weit emporgehoben
-werden könnte, um an eine solche Riesenaufgabe heranzutreten.
-
-Wir besorgten einige Einkäufe und traten den Heimweg an. Eine Abtheilung
-Soldaten, Trommler und Pfeifer an der Spitze, marschirte an uns vorüber.
-Ehemals hatte ich ein solches Schauspiel mit gleichgültigen Blicken
-gemustert; heute betrachtete ich Alles mit anderen Augen und so entging
-mir der finstere Ernst nicht, welcher auf den Zügen der übrigens gut
-genährten und strammen Männer lag.
-
-»Diese wenigstens scheinen keine Noth zu leiden«, sagte ich zu meinem
-Begleiter.
-
-»Nein, man thut alles Mögliche, um sie bei Kraft und guter Laune zu
-erhalten,« erwiderte er, »aber es werden ihrer von Jahr zu Jahr weniger;
-die Regimenter schmelzen zusammen, wie Schnee an der Sonne; die Zahl der
-Tauglichen nimmt geradezu reißend ab.«
-
-»Das begreife ich; ein Volk, das vor Hunger stirbt, ist nicht mehr im
-Stande, Waffen zu tragen.« Ich sagte das mit einer Bitterkeit, die mir
-sonst fremd war.
-
-Im Uebrigen gab es nichts Absonderliches in der Physiognomie des
-Straßenlebens. Eine elegant gekleidete Menge, Damen und Herren, füllte
-die Gehsteige und strömte bei den Flügelthüren der Bazare aus und ein.
-Equipagen, Omnibusse, Tramway-Waggons kreuzten sich in unaufhörlicher
-Folge auf dem Asphalte der Fahrbahn. Nicht das geringste Anzeichen
-deutete die schreckliche Catastrophe an, die wir einige Tage später
-erleben sollten.
-
-Ich verbrachte den Rest des Tages in etwas besserer Stimmung, in
-Gesellschaft Elly's. Wir plauderten von unserer Zukunft, bauten
-entzückende Luftschlösser und ließen es an den kleinen verstohlenen
-Zärtlichkeiten nicht fehlen, wie sie unter Verliebten Brauch sind. Gegen
-Abend erinnerte ich mich, daß ich versprochen hatte, einen Bekannten
-aufzusuchen, der nur wenige Minuten entfernt seine Wohnung hatte. Ich
-bat deshalb meine Braut um ein Stündchen Urlaub und war nicht wenig
-erstaunt, als Elly bei meinen Worten die Farbe wechselte und mich
-flehentlich bat, bei ihr zu bleiben. »Benutze wenigstens Vaters Wagen,
-wenn Du den Besuch nicht bis morgen Vormittag aufschieben kannst,« bat
-sie. »Aber weshalb denn, Elly, es sind ja kaum mehr als zehn Minuten
-Wegs; da verlohnt es sich doch wahrlich nicht, erst einspannen zu
-lassen«, entgegnete ich. »Oh, doch, doch,« rief sie aufgeregt, »geh'
-nicht auf die Straße um diese Zeit, wenn Du mich lieb hast. Es geschehen
-oft schreckliche Dinge da draußen.«
-
-Ihre Angst schien mir kindisch und zudem weckten ihre Aeußerungen die
-Neugierde in mir; ich wollte einen Blick in dieses Straßenleben werfen,
-das ihr solchen Schrecken einflößte.
-
-Einige Minuten später eilte ich durch die taghell erleuchteten Straßen
-der mir wohlbekannten Wohnung meines Freundes zu. Auf den ersten Blick
-war mir indessen aufgefallen, daß das Publikum sich jetzt aus ganz
-anderen Elementen zusammensetzte, als in den Vormittagsstunden. Die Zahl
-der Schutzleute hatte beträchtlich zugenommen und hie und da traf mein
-Auge auf eine jener unheimlichen Gestalten, welche ich am Vorabende
-bemerkt hatte. Die Frauenwelt, das konnte mir nicht entgehen, war fast
-ausschließlich aus jenen, nicht mehr zweideutigen Elementen
-zusammengesetzt, die eine Eigenthümlichkeit moderner Großstädte bilden.
-Das Alles fand ich indessen nicht allzu verwunderlich, hatte mir's auch
-kaum anders vorgestellt und lächelnd über Elly's Angst, deren Beweggrund
-mir schlecht verhüllte Eifersucht schien, setzte ich meinen Weg fort.
-Ich traf den Gesuchten zu Haus und verplauderte ein halbes Stündchen mit
-ihm. Seltsam schien mir jedoch, daß mein Freund, sonst die Höflichkeit
-selbst, in förmlich unartiger Weise meinen Besuch abzukürzen trachtete
-und mir mehr als einmal zu verstehen gab, es wäre besser, wenn ich meine
-Braut nicht länger allein lasse. Etwas ärgerlich ging ich endlich.
-
-Die Straßen, welche ich passirte, waren auffallend menschenleer; nur hie
-und da huschte ein Schatten an den Häusern entlang. Eine matt
-beleuchtete Seitengasse passirend, sah ich plötzlich zwei Gestalten, in
-weite Mäntel gehüllt, vor mir auftauchen. Ich erkannte beim Schein der
-Laterne eine ältere Frau mit abgezehrtem, geisterbleichem Antlitz und
-ein junges, kaum dem Kindesalter entwachsenes Mädchen, das seine großen
-Augen nur einmal scheu zu mir emporhob, um sie sogleich wieder zu
-senken.
-
-»Erst siebzehn Jahre, Herr,« flüsterte die Alte. »Wollt Ihr sie haben?
-Für ein Stück Brot gebe ich sie Euch! Seht nur her, wie hübsch sie ist!«
-
-Das Weib schlug den Mantel zurück, der die Gestalt des Kindes verhüllte;
-ein blühender, nackter Mädchenleib drängte sich mir entgegen, schmiegte
-sich an mich, und eine Stimme, die ich nie vergessen werde, flehte:
-
-»Ein kleines Stück Brot nur; ich habe so Hunger, Herr!«
-
-Zitternd, betäubt, eine Welt voll Schmerz und Scham in mir, trat ich
-zurück und legte alles, was ich an Baarschaft bei mir trug, in die
-kleinen zitternden Hände, dann, -- ich schäme mich nicht, es
-einzugestehen -- ergriff ich die Flucht.
-
-Nach wenigen Schritten aber sah ich mich von Neuem angehalten. Ein Weib
-kniete vor mir mit flehend erhobenen Händen und wieder gellte die
-furchtbare Klage in mein Ohr: »Ich sterbe vor Hunger, Herr!«
-Verzweiflungsvoll wühlte ich in meinen Taschen, es war nichts mehr
-darin. Da drängte es sich von rechts und links an mich heran, weiche
-Arme legten sich um meinen Hals und aufgelöstes Frauenhaar streifte mein
-Gesicht. Ich fühlte meine Hände festgehalten; als ich sie losmachen und
-die Gestalten, die mich umgaben, zurückdrängen wollte, da sah ich hier
-und dort eine Hülle zu Boden gleiten und meine Finger berührten die
-weichen Formen der entblößten Frauenleiber. Meiner Sinne kaum mehr
-mächtig, riß ich mich los und stürmte davon.
-
-Einige Minuten später erreichte ich die Straße, in der Elly's Haus lag.
-Hier hatte sich die Scenerie indessen sehr verändert. Das elegante
-Publikum war gänzlich verschwunden; die ganze Straße, Kopf an Kopf, mit
-verwilderten Erscheinungen, Männern und Weibern erfüllt, die
-Schaufenster der Bazare sämmtlich geschlossen. Noch tief erschüttert von
-dem eben Erlebten, fühlte ich, wie es mir heiß zu den Augen hinanschoß,
-als ich diese hohlwangigen, bleichen Gesichter mit all ihrem stummen
-Elend sah. Vor jedem Hause waren Infanterie-Pickets postirt;
-Schutzmänner zu Fuß und zu Pferd patrouillirten beständig Straße auf,
-Straße ab, aber ich hatte das Gefühl, als wenn die unzählbare Masse der
-Armen und Elenden nur eines Wortes, eines Signals bedürfe, um sich auf
-diese Wächter der Ordnung zu stürzen und sie mit ihrer Wucht zu
-erdrücken. So gut es gehen wollte, drängte ich mich durch.
-Schweißtriefend, ohne Hut, mit beschmutzten und zerrissenen Kleidern,
-bleich vor Entsetzen und Aufregung, langte ich endlich bei Elly wieder
-an.
-
-_5. Februar._ Am folgenden Tage fühlte ich mich durch die Erlebnisse,
-die ich soeben geschildert, so angegriffen, daß ich mich nicht
-entschließen konnte, das Haus zu verlassen. Ich blieb also den ganzen
-Tag bei Elly, die sich große Mühe gab, die unangenehmen Eindrücke zu
-verwischen, welche mir der verflossene Abend hinterlassen hatte.
-
-Heute früh, als ich leidlich beruhigt, zum Frühstück kam, fand ich Elly
-in Thränen schwimmend, einen offenen Brief in der Hand, den sie mir bei
-meinem Eintritt sogleich entgegenstreckte. Der Brief enthielt die
-herzzerreißende Schilderung der Lage, in welcher eine ehemalige Bonne
-Elly's sich befand. Es war das alte Lied: der Mann seit Monaten
-arbeitslos, die Frau krank, von Allem entblößt, mit ihrem kleinen Kinde
-dem Hungertode nahe.
-
-Elly wollte selbst sofort einspannen lassen, um der unglücklichen
-Familie Hilfe zu bringen. Aber ihr Vater legte ein energisches _Veto_
-ein.
-
-»Wir werden das selbst besorgen«, sagte er zu mir gewendet, »in jene
-Quartiere darf Deine Braut keinen Fuß setzen. Elly soll Kleider und
-Lebensmittel in einen Korb packen; ich lasse inzwischen einspannen. Du
-aber gehst mit dieser Karte zur nächsten Polizeiwache und bittest um
-ausreichende Bedeckung.«
-
-»Um Bedeckung -- --?« frug ich erstaunt.
-
-»Selbstverständlich«, erwiderte er etwas ungeduldig, »in jenen
-Stadttheil begiebt man sich nur unter Polizeischutz.«
-
-Eine halbe Stunde später setzte sich unsere Expedition in Bewegung. Im
-Wagen uns gegenüber hatten zwei Wachleute, auf dem Bocke neben dem
-Kutscher ein bis an die Zähne bewaffneter Dritter Platz genommen. Zwei
-andere Polizisten trabten hoch zu Roß auf beiden Seiten des Wagens. Wir
-selbst waren mit scharfgeladenen Revolvern versehen. So ausgerüstet
-verließen wir das elegante Stadtviertel und drangen in eine Gegend vor,
-welche den grellsten Contrast zu ersterem bildete. Vorher hatten wir die
-doppelte Postenkette eines Infanterie-Regimentes zu passiren, welche den
-Zugang zu diesem Quartiere absperrte. Je weiter wir fuhren, desto
-unheimlicher wurde unsere Umgebung. In den von hohen rußgeschwärzten
-Häusern eingefaßten Straßen schien eine ewige Dämmerung zu herrschen.
-Unbeschreibbare Dünste erfüllten die dicke nebelfeuchte Luft; überall,
-wohin auch das Auge traf, grinsten ihm die unzweideutigen Spuren
-tiefsten Elends und entsetzlicher Verkommenheit entgegen. Die Gassen
-waren fast menschenleer, nur hier und da zeigte sich an den mit Papier
-verklebten Scheiben ein bleiches Gesicht, das uns apathisch aus tief
-liegenden Augen anstarrte. In einem der elendesten Seitengäßchen hielten
-wir. Ziemlich lange dauerte es, bis wir uns durch eine Flucht von
-schmutzigen, dunklen Höfen, Gängen und Stiegen durchgefunden hatten an
-den Ort unserer Bestimmung. Was wir da fanden -- kaum vermag ich es zu
-schildern. Der Brief, den Elly erhalten, mochte wohl zu lange unterwegs
-gewesen sein, denn unsere Hülfe kam zu spät. Am Fensterkreuz des
-vollständig kahlen, eisig kalten Gemachs hing die zu einem Skelett
-abgemagerte leblose Gestalt eines, nur mit einigen Lumpen bekleideten
-Mannes. Der Unglückliche hatte schon vor mehreren Tagen seinem Leben ein
-Ende gemacht; der Körper war bereits in Fäulniß übergegangen. Niemand
-hatte sich die Mühe genommen, ihn abzuschneiden, und für seine
-Bestattung zu sorgen. Das war aber noch nicht das Gräßlichste! In einem
-Winkel kauerte ein Weib und nagte an einem Knochen. Sie hatte uns zuerst
-völlig theilnahmslos betrachtet; als ich mich jedoch ihr näherte, schrie
-sie auf und breitete die Hände über ein irdenes Gefäß, das neben ihr
-stand. Aus ihren Augen blitzte der Wahnsinn. »Geht hinaus! Ihr weckt mir
-mein Kind auf!« kreischte sie. Dann lachte sie wieder: »Wollt ihr's
-anschauen, wie süß es schläft?« Sie zog einen schmutzigen Lappen von dem
-Gefäß. Entsetzlich! Da lagen blutige, halbabgenagte Fleischreste! Die
-Wahnsinnige zog ein Stück davon heraus und schlug gierig die Zähne
-hinein: »Mich hungert!« Das war das Letzte, was ich hörte, die Sinne
-schwanden mir! Als ich wieder zur Besinnung kam, saß ich im Wagen, der
-im tollen Lauf über das Pflaster flog. Ein furchtbares Geheul umtobte
-ihn, Schüsse krachten, ein Steinhagel prasselte gegen Fenster und
-Verdeck der Kutsche, mein Schwiegervater saß an meiner Seite,
-todtenbleich, den Revolver in der Hand; mir gegenüber, von den
-Schutzleuten gehalten, die Wahnsinnige, mit lächelndem Gesicht und
-glanzlosen Augen, auf ihren Kleidern noch die Blutreste der
-entsetzlichen Mahlzeit. So erreichten wir die Postenkette des Militärs,
-das unser Fuhrwerk sofort in die Mitte nahm. Aus der Ferne nur, wie eine
-tosende Brandung, schlug dumpfes Schreien und Heulen an mein Ohr.
-
-
-
-
- 9. Capitel.
-
- Jagdausflug. -- Die allerjüngste Dichterschule. -- Rittergut
- Groß-Wackernitz. -- Pferdeloos und Menschenschicksal. -- Ein
- feines Souper mit Zubehör.
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-_6. Februar._ Die Schreckensbilder des gestrigen Tages hatten mir die
-Nachtruhe geraubt, sie trieben mich am nächsten Vormittag in's Freie;
-der frische Wintermorgen, hoffte ich, werde sie verscheuchen. Ich war
-etwa eine halbe Stunde ziellos durch die Straßen gestrichen, als ich
-plötzlich von einem Officier angeredet wurde.
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-»Morgen, alter Knabe, wie geht's Dir denn?!«
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-Verwundert sah ich auf. Die Stimme kam mir bekannt vor. Richtig, er
-war's, mein Schulkamerad und Studiengenosse M. -- und erfreut über die
-Begegnung schüttelte ich seine dargebotene Rechte.
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-»Nimm mir's nicht übel, Du siehst ziemlich schlecht aus,« begann M.,
-indem er sich bei mir einhängte, »das Berliner Klima scheint Dir
-schlecht zu bekommen«.
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-Ich gab eine ausweichende Antwort; es wäre mir nicht möglich gewesen,
-meine Erlebnisse jetzt zum Besten zu geben.
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-»Du mußt Dich zerstreuen!« erwiderte mir M., »damit Du die Melancholie
-los wirst; weißt Du was, komm mit mir; wir sind fünf oder sechs gute
-Bekannte für morgen zu einer Jagd da in der Nähe eingeladen. Heute
-Nachmittag fahren wir mit der Anhalter Bahn hinaus, Abends giebt's ein
-feines Souper mit Zubehör« -- M. lachte sonderbar, als er das sagte --
-»und morgen in der Früh' geht's auf die Hasen. Komm mit, es wird lustig,
-das kann ich Dir sagen!«
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-Der Vorschlag kam mir nicht ungelegen; ich fühlte wirklich, daß ich
-etwas thun müsse, um die Gespenster los zu werden, die mir bei Tag und
-Nacht keine Ruhe mehr ließen. Ich nahm also mit Dank die Einladung an
-und fand mich pünktlich zur angegebenen Stunde am Bahnhofe ein, wo ich
-M. bereits in Gesellschaft einiger Herren traf: junge Banquierssöhne,
-Großgrundbesitzer und Gardeofficiere, wie ich aus der üblichen
-Vorstellung entnehmen konnte.
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-Ich müßte lügen, wenn ich behaupten wollte, daß die Unterhaltung während
-der Fahrt besonders geistreich gewesen wäre; das Gesprächsthema bildete
-hauptsächlich ein neues Stück, welches das Repertoire eines der größten
-Theater der Residenz zur Zeit beherrschte. Soviel ich aus den
-Bemerkungen darüber entnehmen konnte, spielte es größtentheils in einem
-Bordell und die Vorstellung war Abend für Abend ausverkauft.
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-Sein Glanzpunkt war die sog. Nothzuchtsscene im dritten Act, in welcher
-die Heldin des Stückes, ein junges, noch unschuldiges Geschöpf, von
-einem Stammgast des besagten Etablissements auf offener Bühne in
-Gegenwart ihrer Mutter entehrt wird. Diese Scene wurde jedesmal wüthend
-beklatscht. Meine neuen Bekannten fanden es unverzeihlich, daß ich schon
-fast acht Tage in Berlin war, ohne dieses glanzvolle Product der
-allerjüngsten deutschen Dichterschule gesehen zu haben.
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-Nach etwa einstündiger Fahrt stiegen wir an einer kleinen Station aus
-und fanden dort mehrere mit prächtigen Pelzen und Decken versehene
-Schlitten unser harren, deren feurige Gespanne uns mit Windeseile über
-die weite schneebedeckte Ebene unserem Ziele, dem Rittergute
-Groß-Wackernitz, entgegen führte. Das palastähnliche, im reichsten
-Barokstyl erbaute Herrenhaus öffnete uns bald seine Pforten, und aufs
-freundlichste bewillkommnet vom Gutsbesitzer, einer stattlichen
-eleganten Erscheinung begab sich zunächst jeder von uns in das ihm zur
-Verfügung gestellte Fremdenzimmer, um den Staub der kurzen Reise von
-seinen Füßen zu schütteln. War die Einrichtung dieser Räume schon das
-Raffinirteste an Luxus und Bequemlichkeit, was mir bis dahin vor Augen
-gekommen, so wurde dies alles noch übertroffen von dem Speisesalon, in
-dem wir uns bald darauf zu einem Imbiß zusammenfanden. Das Tageslicht
-hatte in diesen Raum keinen Eintritt. Die Wände ringsum waren nicht mit
-Tapeten, sondern mit kunstvoll drapirten Vorhängen verkleidet, die aus
-einem sonderbaren Stoff bestanden; unendlich weich und üppig, wie das
-Federgewand tropischer Vögel, oder das Pelzkleid unbekannter
-Polarthiere, ließ dieser Stoff das Haupt, welches sich gegen seine
-Falten lehnte, tief in seiner weichlichen Hülle versinken. Das Ganze war
-derart arrangirt, daß längs der Zimmerwände eine Anzahl lauschiger
-Nischen und versteckter Winkel gebildet wurde, in denen man ungesehen
-auf üppigen Lagerstätten aus dem gleichen Stoffe sich ausstrecken
-konnte. Das Ganze schwamm in einem Meere bläulich weißen electrischen
-Lichtes. Als ich neugierig eine der halb zurückgezogenen Gardinen
-lüftete, sagte M., der just neben mir stand, schmunzelnd:
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-»Jetzt ist noch nichts darin, lieber Freund, aber später, später --« er
-schnalzte mit den Lippen und lachte laut auf, als er meinen fragenden
-Blicken begegnete. Der Aufenthalt in dem wollüstigen, mit
-eigenthümlichem Parfüm erfüllten Gemache behagte mir nicht sonderlich.
-Ich nahm ein Glas des schweren, von tadellos befrackten Dienern
-credenzten Weines, einige Bissen des in großen Cristallschalen vor uns
-stehenden Gebäcks und trachtete, Kopfweh vorschützend, ins Freie zu
-gelangen. Fast gierig sog ich, über die Stufen der Freitreppe
-hinabsteigend, die belebende Luft des Wintertages ein. Leichte Schatten
-der Dämmerung begannen sich schon über die schneebedeckten Bäume des
-herrschaftlichen Parkes zu legen. Ziellos schritt ich dahin und gelangte
-nach einigen Minuten vor ein großes, abseits stehendes Gebäude, dem eine
-von korinthischen Säulen eingefaßte Vorhalle fast den Charakter eines
-Tempels verlieh.
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-Neugierig trat ich durch die weitgeöffnete Pforte und sah mich zu meinem
-Erstaunen im Innern eines -- Pferdestalles. Das trübe Licht des
-Winternachmittags fiel von oben durch große, matt geschliffene
-Glasscheiben ein, aber einige Augenblicke nach meinem Eintritte
-schlossen sich plötzlich diese Oeffnungen durch Jalousien, welche
-geräuschlos, von unsichtbaren Kräften bewegt, sich darüber hinschoben
-und statt des fahlen Dämmerlichtes flammten hundert Glühlichter an Decke
-und Wänden auf. An fünfzig edle Thiere, lauter Exemplare reinster
-Rassen, erblickte ich in den, aus Marmor und dunkelgebeiztem Eichenholz
-zusammengefügten Ständen, die, jeder ein Meisterwerk der
-Kleinarchitektur, sich zu beiden Seiten des breiten, mit bunten
-Mosaikplatten belegten Ganges hinzogen. Kein Stäubchen Unrath beleidigte
-das Auge bei der Wanderung durch diesen, von behaglicher Wärme erfüllten
-Pferdepalast und eine vorzüglich functionirende Ventilation sorgte für
-Entfernung des sonst so penetranten Stallgeruches.
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-Ein Heer von Bediensteten war unausgesetzt um die schlanken, prachtvoll
-gebauten Thiere beschäftigt; hier ergoß sich, auf den Druck an einem
-electrischen Taster, eine Fülle goldgelben Hafers in die Marmorkrippen,
-dort bemühten sich zahlreiche Hände um die Reinhaltung der Stände und
-Gänge, und an anderen Orten frottirten Diener mit in Rothwein getauchten
-Tüchern Schenkel und Hufe ihrer edlen Pfleglinge.
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-Nachdem ich mir Alles genugsam betrachtet hatte, setzte ich meinen
-Spaziergang durch den Park fort und gelangte mit zunehmender Dämmerung,
-aus einem Gitterthor tretend, auf einen breiten, tief ausgefahrenen
-Feldweg, an dessen Saume rechts und links sich eine Anzahl niederer
-Gebäude erhob, die weit eher, als das soeben geschilderte, auf den Namen
-eines Stalles Anspruch machen durften.
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-Unter den fast bis zur Erde reichenden Strohdächern waren hie und da
-kleine Fenster, kaum größer als ein Quadratschuh, angebracht. Aus einem
-derselben leuchtete ein matter Lichtschein und mir war, als ob ein
-leises Wimmern an mein Ohr dränge. Ich trat näher heran und bemühte
-mich, durch das Fenster das Innere zu erspähen. Es war aber vergeblich,
-die winzigen Scheiben waren mit einer dicken Eiskruste überzogen, welche
-jeden Einblick verwehrte. So entschloß ich mich denn, den abgerissenen
-kläglichen Lauten, welche sich jetzt deutlich vernehmen ließen,
-nachzugehen und gelangte, wenige Stufen abwärts schreitend, durch eine
-niedrige Thür in einen finsteren Vorflur, in welchem ein feuchter,
-modriger Duft mir entgegenquoll. Aus einer Ritze schimmerte Licht und im
-nächsten Augenblicke stand ich in dem Gemache, aus dem sich jene
-stöhnenden Laute hatten vernehmen lassen. Es war von einer eisigkalten
-übelriechenden Luft erfüllt. Die ganze Einrichtung bestand in einem
-Haufen Stroh und Lumpen, der in einem Winkel des von Schmutz starrenden
-Estrichs lag. Auf diesem Lager krümmte sich in Fieberschauern eine
-menschliche Gestalt, ein alter Mann mit wirrem Haar und Bart. Vor ihm,
-beim Scheine einer Stalllaterne, kniete ein vielleicht siebenjähriges
-Mädchen, nur mit einem zerlumpten Hemd und kurzem Röckchen bekleidet,
-zitternd vor Frost, mit blauen, aufgedunsenen Lippen und Wangen. Das
-Kind fuhr bei meinem Eintritt empor und streckte mir flehend die
-furchtbar abgemagerten Aermchen entgegen: »Großvater stirbt!« schluchzte
-sie, »oh, wie ich mich fürchte!«
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-»Bist Du denn ganz allein?« frug ich. »Ist denn gar Niemand in der Nähe,
-der helfen könnte?« Sie schüttelte den Kopf.
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-»Sie sind alle bei der Arbeit, weit fort von hier, stundenweit. Sie
-kommen erst spät in der Nacht heim, und in aller Frühe gehen sie
-wieder!«
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-»Und Du bleibst allein bei dem Kranken?«
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-»Ganz allein.«
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-Sie sagte das mit einer solchen Trostlosigkeit in Ton und Geberde, daß
-es mir tief ins Herz schnitt.
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-»Habt ihr keinen Arzt?« frug ich weiter.
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-»Arzt? Nein, _der_ kommt nicht zu uns. Vor drei Tagen war der Thierarzt
-hier, der drüben die kranke Stute behandelt, aber er ging gleich wieder
-fort und sagte, da könne er nicht mehr helfen!«
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-Sie schauerte zusammen vor Frost.
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-»Es ist so kalt hier und mich hungert so!«
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-Sie wies mit dem Finger auf den Fußboden, da lagen in einer Ecke einige
-geschälte, kalte Kartoffeln.
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-»Das lassen mir die Eltern hier, wenn sie in der Frühe zur Arbeit gehen,
-aber der Herr giebt uns kein Holz, um Feuer zu machen, und so müssen
-wir's kalt essen.«
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-»Sonst hast Du nichts für Dich und den Kranken?«
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-Sie blickte verwundert auf, dann schüttelte sie wieder den Kopf.
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-»Wir essen nie etwas anderes!«
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-Ich hatte genug gehört.
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-»Ich komme gleich wieder!« rief ich und eilte zur Thür hinaus. Im
-Laufschritt durcheilte ich die Wegstrecke bis zum Herrenhaus, athemlos
-kam ich dort an. Es gelang mir, einen Diener aufzufinden und ihn durch
-ein gutes Trinkgeld meinem Wunsche geneigt zu machen.
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-Eine Viertelstunde später standen er und ich wieder vor der Hütte,
-beladen mit Holz, warmen Decken, Kleidern und Nahrungsmitteln aller Art.
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-Bald verbreitete ein lustig flackerndes Feuer behagliche Wärme in dem
-öden Gemach, eine Schüssel dampfender Suppe stand bereit und -- aber was
-soll ich noch weiter sagen? So gut als es möglich war, wurde für den
-Augenblick geholfen, aber das frohe Gefühl, das aus diesem Grunde mich
-erfüllte, wich einer unaussprechlichen Bitterkeit, als ich auf dem
-Rückwege zum Schlosse an dem -- Pferdestalle vorbeikam, aus dessen
-geöffneten Thüren ein Strom elektrischen Lichtes hervorquoll.
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-Bis in's tiefste Herz erfüllt von dem Eindrucke des soeben Erlebten,
-beachtete ich es wenig, als mir bei meiner Rückkehr ein Diener meldete,
-daß ich bereits den größten Theil des Soupers versäumt habe. Am liebsten
-würde ich mein Mahl jetzt allein verzehrt haben, aber das ging doch
-nicht an, und so begab ich mich zunächst auf mein Zimmer, um ein wenig
-Toilette zu machen. Kaum war ich dort eingetreten, als ein Läutewerk an
-dem in einer Ecke angebrachten Fernsprechapparat mir zu verstehen gab,
-daß mich Jemand zu sprechen wünsche. Ich trat an's Telephon. Es war
-Elly's Vater, dessen Stimme mich von Berlin aus anrief: »Komm so schnell
-als möglich zurück; ich habe sehr Wichtiges mit Dir zu besprechen.
-Schluß!« Das war Alles. Ich wollte fragen, was das zu bedeuten habe,
-aber ich erhielt keine Antwort mehr. Eine heftige Unruhe begann sich
-meiner zu bemächtigen. Was konnte geschehen sein. War vielleicht Elly
-erkrankt oder verunglückt?
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-Ich schellte dem Diener.
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-»Wann kommt der nächste Zug nach Berlin in die Station?«
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-»In einer guten Stunde, gnädiger Herr.«
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-»Dann bitte ich, mir sogleich einen Schlitten einspannen zu lassen. Ich
-muß unverzüglich abreisen!«
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-»Aber das Souper, gnädiger Herr!«
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-»Ich werde in Berlin soupiren. Nur geschwind, bitte ich, damit ich den
-Zug nicht versäume.«
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-Der Diener verbeugte sich schweigend und verschwand.
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-In einigen Minuten war ich zur Abreise gerüstet und begab mich in den
-Speisesalon, um mich von der Gesellschaft zu verabschieden.
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-Als ich die Thüre öffnete, bot sich mir ein Anblick dar, der mir das
-Blut in die Schläfen jagte.
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-Das Souper war beendet. Auf Sesseln und Divans dehnten sich, halb
-berauscht, die Theilnehmer an diesem Mahle, jeder ein Weib umschlungen
-haltend, von denen Einzelne noch mit einem kurzen Hemdchen bekleidet,
-Andere aber vollständig nackt waren.
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-Ekel und Empörung kämpften in mir angesichts der schamlosen Scenen,
-deren Augenzeuge ich sein mußte. Die Nischen an den Wänden des Gemaches
-erfüllten jetzt ihren Zweck.
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-M. hatte mich erblickt, er war schon vollständig berauscht.
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-»Zum Teufel, wo treibst Du Dich herum?« lallte er, »nun mußt Du nehmen,
-was übrig bleibt, geschieht Dir ganz recht, dummer Kerl!«
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-Und mit rohem Griffe dem auf seinem Schooße sitzenden Mädchen die letzte
-Hülle abreißend, umschlang er in wilder Gier den nackten, zitternden
-Körper. »Da, komm' her, darfst meine Kleine auch einmal küssen!« --
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-Ich hatte genug gesehen.
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-Einige Minuten später sauste mein Schlitten durch die schweigende
-Winternacht der Station zu.
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- 10. Capitel.
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- Eine verhängnißvolle Botschaft. -- Eine Audienz beim »Herrn«. --
- Die Production wird eingestellt. -- Der Sturm bricht los. -- Des
- Urahnen Hochzeitsreise. -- Das Ende der capitalistischen
- Wirthschaft.
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-Zu später Abendstunde langte ich bei Elly wieder an. Meine Braut kam mir
-schon im Vorflur entgegen und eine Centnerlast fiel mir vom Herzen, als
-ich sah, daß sie gesund und blühend vor mir stand, wie sonst.
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-»Wo ist der Vater, Elly?« fragte ich nach der ersten zärtlichen
-Begrüßung. »Er hat mich telephonisch zurückberufen!«
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-»Er wartet auf Dich in seinem Schreibzimmer,« entgegnete Elly. »Ich weiß
-nicht, was vorgefallen ist, aber es muß etwas Schlimmes sein, denn Vater
-macht ein furchtbar ernstes Gesicht. Es liegt wie ein Alp auf uns
-Allen!«
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-Als ich das angedeutete Gemach betrat, erhob sich mein Schwiegervater
-von dem Schreibtisch, an dem er saß und streckte mir die Hand entgegen.
-Sein Antlitz war außergewöhnlich blaß und ernst.
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-»Gut, daß Du kommst,« sagte er und lud mich ein, Platz zu nehmen. »Ich
-bedarf Deiner Hülfe, denn es gehen Dinge vor, für die meine Kraft nicht
-ausreicht.«
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-Er holte tief Athem und fuhr nach einer Pause fort:
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-»Heute Nachmittag war ein Geheimsecretär des >Herrn< bei mir.«
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-»Des Herrn?« frug ich erstaunt. »Welchen Herrn meinst Du?«
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-»Ah so, Du weißt nicht!« -- seine Stimme sank unwillkürlich zu einem
-Flüstern herab und sein Blick schweifte scheu durch's Gemach, als
-fürchte er, daß irgend ein geheimnißvoller Dritter unser Gespräch
-belauschen könne. »Wir Alle nennen ihn nie anders, als nur den >Herrn<.
-Die Wenigsten wissen überhaupt seinen Namen. Er ist der oberste Leiter
-unserer Gesellschaft, wohl die mächtigste Persönlichkeit auf der Erde.
-Sein Reichthum ist unermeßlich, der Kaiser selbst, im Vergleich mit ihm,
-ein armer Schlucker.«
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-»Und was will er also von Dir?«
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-»Von mir will er eigentlich nichts. Er läßt mir nur mittheilen, daß die
-Gesellschaft morgen mit dem Schlag 12 Uhr die Production einstellen
-werde.«
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-Ich fuhr entsetzt empor.
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-»Die Production einstellen? Ist der Mensch wahnsinnig?«
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-»Oh, nein! Der Secretär hat mir Alles auseinandergesetzt. Das Ganze ist
-nichts, als ein Rechenexempel. Die Production verlohnt sich nicht mehr.
-Neunzig Procent der Bevölkerung sind Bettler, Vagabunden, wegen deren es
-nicht mehr der Mühe werth ist, das Geschäft weiter zu führen und der
-Rest kann, trotz allen Aufwandes, nicht den zehnten Theil von dem
-verbrauchen, was unsere Maschinen herstellen.«
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-»Aber dann steht das Chaos vor der Thür, eine entsetzliche Umwälzung!«
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-»Das weiß der >Herr< ganz gut, aber es kümmert ihn nicht. Die
-Gesellschaft hat ihr Schäflein längst in's Trockene gebracht. Schon seit
-Jahren hat man, ganz im Geheimen, riesige Capitalien aus dem
-Geschäftsverkehr gezogen und im Ausland sicher untergebracht. Vor ein
-paar Wochen hat die Gesellschaft für die Summe von zehn Milliarden der
-spanischen Regierung die Insel Cuba abgekauft. Die Actionäre haben sich
-dorthin zurückgezogen und werden unter Palmen ein idyllisches Dasein
-führen, während hier eine Welt in Trümmer geht!«
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-Ich war sprachlos; der Kopf schwindelte mir.
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-»Aber um Gotteswillen«, stieß ich endlich hervor, »giebt es denn kein
-Mittel, um das abzuwenden, um die Catastrophe zu verhüten?«
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-»Doch, es giebt noch eines! Der Staat muß die Production vorläufig in
-die Hand nehmen. Höre, was ich Dir sagen will und weshalb ich Dich rufen
-ließ. Du mußt mit dem Frühzug nach Hamburg fahren. An Bord seines
-Privatdampfers findest Du dort den >Herrn<. Biete alle Deine
-Beredsamkeit auf, um von ihm zum mindesten acht Tage Aufschub zu
-erlangen. In der Zwischenzeit unterhandle ich hier mit der Regierung.
-Die Production darf nicht einen Moment stillstehen. Unser aller Existenz
-hängt davon ab.« Er unterbrach sich einen Moment und fuhr dann, tief
-aufseufzend, fort: »Oh, wenn wir jetzt Arbeiter hätten, wie sie unsere
-Vorfahren im neunzehnten Jahrhundert hatten! Dann wäre ja Alles gut.
-Dann hätten wir diese schwerfällige, eingerostete Staatsmaschine gar
-nicht nöthig, um uns über Wasser zu halten. Die Sünden der letzten
-hundert Jahre aber haben alles verdorben.« -- -- -- Die wenigen Stunden
-der Nacht vergingen mir schlaflos. Die Morgennebel zogen noch über die
-unabsehbare Ebene, als ich schon wieder im Zuge saß und gen Norden
-dampfte.
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-In den ersten Vormittagsstunden war ich in Hamburg, und mein Erstes war
-natürlich, zum Hafen zu fahren, wo der Lustdampfer des »Herrn« vor Anker
-lag. Es gelang mir indessen nicht, sogleich bei dem Mächtigen
-vorgelassen zu werden. Von entsetzlicher Unruhe gepeinigt, schritt ich
-auf dem Quai auf und ab. Ich beobachtete mit Angst, wie der Zeiger
-meiner Uhr langsam vorwärts schlich und jede Minute, die er zurücklegte,
-steigerte meine Aufregung. Entsetzliche Bilder von Aufruhr und
-Zerstörung erfüllten meine Phantasie. Tausende zogen an mir vorüber,
-ihren alltäglichen Geschäften oder Vergnügungen nach, aber Keiner unter
-ihnen hatte eine Ahnung von dem drohenden Unheil, das mit jedem
-Augenblicke näher kam. Nur ich allein sah es, und sah auch die
-dampfenden Schutthaufen an Stelle der glänzenden Paläste, die
-verstümmelten Leichen auf dem blutüberströmten Pflaster. Entsetzliches
-Geheimnis, das auf mir lastete!
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-Die zehnte Stunde war schon längst vorüber, als ich endlich an Bord des
-Dampfers Einlaß fand. Es war ein kleines, lauschiges Cabinet, in das man
-mich führte. Die Wände waren bis zur Brusthöhe mit hellfarbigem Holze
-getäfelt und oberhalb desselben mit violettem Sammt ausgeschlagen. Ein
-kostbarer Teppich bedeckte den ganzen Boden, schwere Seidengardinen
-verhüllten die Eingänge. Auf einem Divan, vor sich ein elegantes
-Rauchtischchen, lag ein Herr in schwarzem Salonanzug, einen Fez auf dem
-spärlich behaarten Scheitel. Er mochte etwa Mitte der vierziger Jahre
-stehen, hatte aber einen eigenthümlichen, milden, abgespannten Zug im
-Gesicht, der ihn weit älter erscheinen ließ.
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-Es war der »Herr«, vor dem ich stand. In diesem Moment fiel mein Blick
-auf einen Chronometer, der zu Häupten des Divans hing; er zeigte auf
-zehn Minuten vor elf Uhr. Ein Schauer flog über meinen Körper, als ich
-diese Wahrnehmung machte. Wenn es mir im Laufe der nächsten halben
-Stunde nicht gelang, den Mächtigen umzustimmen, so war Alles verloren.
-Alle Kraft zusammennehmend, begann ich meinen Vortrag.
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-Der »Herr« hörte mich schweigend, den Dampf einer Cigarette von sich
-blasend, an; nur von Zeit zu Zeit flog ein nervöses Zucken über sein
-Antlitz. Ich hatte meine ganze Beredsamkeit aufgeboten und Worte
-gefunden, so eindringlich, so herzerschütternd, daß sie einen Stein
-hätten bewegen müssen. Als ich geendet, blieb es einige Augenblicke ganz
-still im Gemach; ich glaubte, mein eigenes Herz schlagen zu hören.
-
-Der »Herr« erhob sich aus seiner liegenden Stellung und stand dicht vor
-mir, die eine Hand in der Tasche seines Beinkleides, in der anderen die
-Cigarette haltend, von der die schmalen, weißen Finger die Asche
-nachlässig abstreiften.
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-»Ich bedaure, Ihren Wunsch nicht erfüllen zu können; es ist Alles wohl
-überlegt und vorbereitet. Den Befehl jetzt rückgängig machen, hieße
-unseren ganzen Plan vernichten.«
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-Seine Stimme war trocken, klanglos, ohne jede Bewegung.
-
-»Kann es in Ihrem Plane liegen, unabsehbares Unheil über das Vaterland
-heraufzubeschwören?« frug ich erregt.
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-»Vaterland? Wer Geld hat, braucht kein Vaterland!« erwiderte er mit
-leichtem Achselzucken.
-
-»Aber die Catastrophe wird an den Grenzen Deutschlands nicht Halt
-machen. Ganz Europa wird der Brand erfassen, sobald er einmal
-ausgebrochen ist und alle Cultur wird in Trümmer gehen.«
-
-»Das kümmert uns nicht. Bis nach Cuba werden die Flammen nicht schlagen
-und übrigens, je toller es zugeht, desto besser.«
-
-»Wie so? Das verstehe ich nicht.«
-
-»Sie sind ein schlechter Geschäftsmann, mein Lieber, wenn Sie das nicht
-einsehen,« meinte der »Herr« mit jovialem Lächeln. »Nun gut, ich will es
-Ihnen erklären, weil wir noch etwas Zeit haben, ehe mein Dampfer
-abfährt. In der bisherigen Weise läßt sich die Production nicht mehr
-fortführen; wir verdienen nichts mehr dabei und sind keinen Augenblick
-vor einer Catastrophe sicher. Wir müssen einmal _tabula rasa_ machen mit
-dem großen Heere überzähliger Menschen, um dann mit frischen Kräften
-wieder anzufangen. Also stellen wir den Betrieb freiwillig ein, und
-warten in sicherer Entfernung ab, bis sich die Wogen wieder beruhigt
-haben. Wenn der richtige Moment gekommen ist, erscheinen wir wieder auf
-der Bildfläche und man wird uns als Retter der Gesellschaft freudig
-aufnehmen. Verstehen Sie nun, weshalb es nicht in unserem Interesse
-liegen kann, den Betrieb in die Hände des Staates übergehen zu lassen?
-Sollen wir uns selbst das Geschäft für alle Zukunft verderben? Nein, wir
-wissen recht wohl, daß die Regierung mit ihrem zusammengeschmolzenen
-Heere, in dem sich ohnehin schon viel unsichere Elemente befinden, der
-Bewegung nicht Herr werden wird, die sie ganz unvorbereitet trifft. Aber
-gerade das wollen wir. Es muß Alles zu Grunde gehen, damit wir von Neuem
-Geschäfte machen können.«
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-Ich stand wie erstarrt und war keines Wortes fähig. Erst nach längerer
-Pause vermochte ich mich soweit zu sammeln, um ihn an die unzähligen
-Menschenleben zu erinnern, die diesem Geschäftskniff zum Opfer fallen
-würden.
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-Er zuckte die Achseln und zündete sich eine frische Cigarette an. »Das
-ist schlimm für die, welche es trifft, aber im Geschäftsleben darf man
-nicht sentimental sein. Uebrigens ist es immer besser, die Leute büßen
-ihr Leben schnell ein, als daß sie verhungern.«
-
-Er sah auf die Uhr. Der Zeiger wies auf 20 Minuten nach 11 Uhr.
-
-»Wenn Sie den nächsten Zug nach Berlin erreichen wollen, müssen Sie sich
-sputen. Auch fährt mein Schiff Punkt 12 Uhr ab und es giebt für mich
-noch vorher einige Geschäfte zu erledigen.«
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-Er geleitete mich in verbindlichster Weise bis zur Thür. Meine Mission
-war zu Ende.
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-Unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen, suchte ich auf schnellstem
-Wege den Bahnhof zu erreichen. Als ich die Freitreppe zur Bahnhofshalle
-emporstieg, erklang die Mittagsstunde von den Thürmen Hamburgs.
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-In diesem Augenblick, das wußte ich, flog auf dem Telegraphendraht der
-gleiche verhängnißvolle Befehl durch das ganze Reich von Stadt zu Stadt,
-von Fabrik zu Fabrik und Millionen arbeitsgewohnter Hände begannen in
-diesem Augenblick für immer zu feiern. Wie lange konnte es dauern und
-diese Hände griffen zur Mordwaffe, zum Feuerbrand?
-
-Mit Windeseile trug mich der Zug durch die Winterlandschaft der
-Hauptstadt zu. Meine Mitpassagiere plauderten ahnungslos mit einander,
-nur ich saß, mit einem Herzen, das sich angstvoll zusammenkrampfte, in
-meiner Ecke und wagte kaum, den Anderen in's Gesicht zu sehen.
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-Ohne Zwischenfall kamen wir bis in die Nähe der Hauptstadt. Auf freiem
-Felde hielt plötzlich der Zug. Es entstand ein hastiges, angstvolles
-Hin- und Herlaufen, die Passagiere begannen unruhig zu werden. Einzelne
-öffneten die Waggonthüren und stiegen hinab, um die Ursache des
-unerwarteten Aufenthalts zu erfragen. Unbestimmte Gerüchte wurden laut.
-Arbeiterunruhen seien wieder einmal in Berlin ausgebrochen, hieß es,
-aber das Militär werde der Bewegung in Kürze Herr werden.
-
-Nach einer Viertelstunde etwa fuhren wir in langsamem Tempo weiter. Den
-Bahnhof fanden wir von einem Füsilierbataillon besetzt; in voller
-Feldausrüstung campirten die Mannschaften längs des Perrons und in der
-Vorhalle. Ich eilte auf die Straße. Alles war menschenleer. Kein Wagen
-weit und breit. So schnell ich es vermochte, eilte ich dem Hause meiner
-Schwiegereltern zu. An einer Straßenkreuzung mußte ich Halt machen. In
-scharfem Trabe kam die Gardeartillerie vorübergesaust, dahinter im
-Laufschritt Bataillon auf Bataillon, die Kerntruppen der deutschen
-Armee. Ohne mich umzusehen rannte ich weiter. Als ich bei Elly anlangte,
-fand ich die ganze Familie schon in höchster Aufregung, Vorbereitungen
-zur Flucht treffend.
-
-»Und morgen soll Elly's Trauung sein!« klagte die Mutter meiner Braut.
-»Ihr armen Kinder, Ihr habt eine traurige Hochzeit.«
-
-»Was morgen sein wird, kann Niemand sagen,« entgegnete mein
-Schwiegervater. »Ich habe mir schon überlegt, was geschehen muß. Ihr
-müßt sofort getraut werden; der Geistliche wird in einigen Minuten hier
-sein, unterdessen packt Ihr das Nothwendigste ein und sobald die
-Ceremonie vorüber ist, fahrt Ihr zum Bahnhof.«
-
-»Nein, Mutter, Vater, ich lasse Euch nicht allein zurück hier in dieser
-schrecklichen Zeit,« rief Elly. »Ihr müßt mit uns fliehen!«
-
-»Das geht nicht so schnell, Elly,« entgegnete der alte Herr; »es ist ja
-auch augenblicklich noch keine Gefahr. Noch immer ist Hoffnung, daß die
-Truppen den Aufstand niederschlagen. Sollte dies aber bis morgen nicht
-der Fall sein, so folgen wir Euch nach. In Euerem stillen Thüringen wird
-man ja wohl noch einen sicheren Zufluchtsort finden.«
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-Bei diesen Worten -- ich weiß nicht, wie es kam -- fielen mir plötzlich
-die finsteren Gesichter, die abgezehrten Gestalten der Arbeiter ein, mit
-denen ich in Weimar täglich zu thun hatte, und mit _einem_ Male wurde
-mir klar, welch' furchtbarer Zündstoff auch dort aufgehäuft war.
-
-Der Geistliche kam; in Reisekleidern wurden wir getraut; fernes
-Gewehrfeuer, einzelne Kanonenschüsse und das unaufhörliche Dröhnen der
-Sturmglocken begleitete die Ceremonie. Die feierliche Handlung war kaum
-vollendet, als von der verödeten Straße herauf lautes Stimmengewirr und
-der schwere Tritt einer großen Menschenmenge zu uns empordrang. Ich
-eilte an's Fenster. In ganzer Straßenbreite wälzte sich, der inneren
-Stadt zu, ein ungeheuerer Knäuel bewaffneter Männer und Weiber.
-
-In der Masse, die nach Tausenden zählte, blitzte hie und da eine
-Pickelhaube, ein Bayonnet auf. Einzelne Soldaten marschirten inmitten
-der Aufständischen; schließlich kam, umringt von der tosenden Menge, ein
-ganzes Bataillon, Trommler und Pfeifer an der Spitze, daher marschirt.
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-Als ich aufsah, blickte ich in das Antlitz meines Schwiegervaters. Es
-war todtenbleich.
-
-»Es sind die Arbeiter von Spandau und Charlottenburg,« sagte er mit
-tonloser Stimme, »die Garnison geht mit ihnen.«
-
-Wir nahmen Abschied von den Eltern und ahnten nicht, daß es ein Abschied
-für immer war. Ich habe die Beiden nie wiedergesehen und nie erfahren,
-was ihr Schicksal gewesen. Auf einer Hintertreppe, durch den Hofraum,
-gelangten wir an einen Seitenausgang des großen Gebäudes, der in einer
-stillen Sackgasse gelegen. Hier erwartete uns der Wagen, der uns zum
-Bahnhof führte. Von dem zahlreichen Dienstpersonal ließ sich Niemand
-blicken; wir trugen unser Gepäck selbst zum Wagen hinab. Ich war fast
-erstaunt, als ich sah, daß der Kutscher noch wie sonst seinen Dienst
-versah, und wie sonst, den Hut in der Hand, uns den Schlag öffnete.
-Durch menschenleere Straßen, wo alle Schaufenster geschlossen waren,
-fuhren wir zum Bahnhof. Es war alles still und düster, wie auf einem
-Friedhofe. Elly lehnte an meiner Schulter und weinte still für sich hin.
-Mein Gott, wie ganz anders hatte ich mir diesen Tag vorgestellt!
-
-Am Bahnhof fanden wir ein Treiben, für das mir die Worte fehlen.
-
-Die riesige Halle war in allen ihren Theilen mit Flüchtenden
-vollgestopft. Ein wahnsinniger Tumult herrschte; es war, als sei man mit
-einem Male in ein Tollhaus gerathen. In Intervallen von zehn Minuten
-verließ Zug auf Zug die Halle.
-
-Sobald eine neue Wagenreihe bereit stand, stürzte sich die Menge darauf;
-im Nu waren die Coupé's gefüllt, die Dächer erklettert; auf den
-Trittbrettern stand, wer sonst keinen Platz fand; um jeden Fuß breit
-wurde mit wahnsinnigem Ingrimm gekämpft, Weiber und Kinder zu Boden
-getreten, oder unter die Räder geschleudert. Wenn der Zug die Halle
-verlassen hatte, lagen da und dort zuckende Leichname auf den Schienen,
-und der Todesschrei der Verstümmelten, um die sich kein Mensch mehr
-kümmerte, gellte in das allgemeine Toben.
-
-Wir standen in einen Winkel gepreßt, uns fest umschlungen haltend. Ich
-dachte an den Tod.
-
-Von Zeit zu Zeit drang irgend eine neue Schreckenskunde in die
-verzweifelnde Menge und fachte die Todesangst immer von Neuem wieder an.
-Nur einiges vermochte ich aus abgerissenen Worten zusammenzufassen.
-Offenbar machte der Aufstand rapide Fortschritte; ein großer Theil der
-Truppen war offen zu den Insurgenten übergegangen; der Rest kämpfte
-matt, widerwillig, ganze Regimenter weigerten sich zu schießen, und
-sahen, Gewehr bei Fuß, gleichgültig der allgemeinen Zerstörung zu.
-
-Als eines der ersten Opfer des Aufstandes war der »Herr« gefallen. Im
-Moment, als sein Schiff die Anker lichten wollte, zeigte es sich, daß an
-der Maschine etwas in Unordnung gerathen sei. Noch ehe der Schaden gut
-gemacht werden konnte, stürmten schon die ersten Arbeiterschaaren aus
-den geschlossenen Fabriken daher und stürzten sich wie Hyänen auf ihre
-Beute. Ein wüthender Kampf entspann sich, in welchem der »Herr« und die
-ganze Mannschaft seines Schiffes ihren Untergang fand.
-
-Der Abend war bereits hereingebrochen, als es mir endlich gelang, Elly
-in ein Coupé zu schieben, in dem sich schon zwölf Menschen befanden. Ich
-selbst blieb auf dem Trittbrett stehen. So fuhren wir in die Nacht
-hinaus. In meinen Träumen hatte ich mir meine Hochzeitsreise anders
-vorgestellt. Stunde auf Stunde verrann; meine Finger, welche sich an den
-metallnen Handgriff klammerten, drohten, erstarrt von der eisigen
-Zugluft, zu erlahmen. So schnell wir aber auch dahinfuhren, die
-Revolution schien mit uns gleichen Schritt zu halten. Mehr als einmal
-sahen wir weit draußen in der endlosen Ebene die Feuersäulen brennender
-Fabriksgebäude aufflammen.
-
-Jeden Augenblick fürchtete ich, daß unsere Reise ein gewaltsames Ende
-finden werde. Eine Zerstörung der Bahnlinie durch ein Streifcorps der
-Aufständischen lag ja im Bereiche der Möglichkeit. Wir erreichten
-indessen unangefochten Wittenberg, wo eine größere Zahl Flüchtlinge den
-Zug verließ; es wurde mir dadurch ermöglicht, meinen sehr unangenehmen
-Standpunkt mit einem Sitz an Elly's Seite vertauschen zu können,
-woselbst ich verblieb, bis wir in den ersten Morgenstunden Weimar
-erreichten. Hier herrschte noch volle Ruhe und nichts Außergewöhnliches
-schien sich ereignet zu haben. Wir konnten ungehindert unsere Wohnung
-aufsuchen und zum ersten Male aufathmen nach der Todesangst der letzten
-schrecklichen Stunden. Elly jammerte um die Eltern und machte sich
-selbst die bittersten Vorwürfe, Berlin ohne die Ihrigen verlassen zu
-haben. Nur schwer gelang es mir, meine junge Frau zu beruhigen, glaubte
-ich doch selbst nicht an die Trostesworte, von denen mir jedes wie eine
-Lüge vorkam. Die Nachrichten des nächsten Tages bestätigten meine
-schlimmsten Erwartungen. Die große Volkserzieherin, die
-Socialdemokratie, hatte man vor hundert Jahren zertreten und zermalmt,
-aber die wirthschaftliche Entwicklung war nicht in andere Bahnen gelenkt
-worden.
-
-Ruhig, mit unfehlbarer Sicherheit, hatte sich das Ende vorbereitet.
-
-Die kurzsichtige Menschheit war selbst schuld daran, daß es nicht
-zugleich der Anfang einer neuen, vernunftgemäßen Weltordnung werden
-konnte. In unbegreiflicher Verblendung hatte man die kraftvollen Triebe
-einer sich mächtig emporringenden Neugestaltung vernichtet. Das einzige
-Mittel, die altersschwache Gesellschaft neu zu verjüngen, existirte
-nicht mehr. _Die Gesellschaft hatte den Ast, auf dem sie saß, selbst
-abgesägt._ So konnte es also nicht anders kommen, als es thatsächlich
-gekommen ist. Eine gebildete, politisch und wirthschaftlich reife
-Arbeiterschaft hatte man nicht gewollt; nun mußte man fertig zu werden
-suchen mit dem, was die Gesellschaft selbst aus den Arbeitern gemacht
-hatte: eine ungeheure Masse gänzlich verwilderter, physisch und geistig
-auf tiefster Stufe stehender Menschen, die, zur Herrschaft gelangt,
-nichts Neues zu schaffen, sondern nur noch zu zerstören wußten. Und
-diese Zerstörung besorgten sie gründlich! Berlin war in Flammen
-aufgegangen, in einen Trümmerhaufen verwandelt worden. Von dort aus
-pflanzte sich der Aufstand über das ganze Reich, über alle
-capitalistisch organisirten Staaten fort. Zwei Tage nach unserer Ankunft
-in Weimar befanden wir uns wieder auf der Flucht. Die Flammen brennender
-und ausgeplünderter Städte beleuchteten unseren Weg, wenn wir zur
-Nachtzeit auf Seitenpfaden durch die Berge wanderten. Ueberall, wohin
-wir auch kamen, wo wir auch zu rasten versuchten, fanden wir dasselbe.
-Von jedem Orte verjagte uns wieder die immer weiter um sich greifende
-Bewegung. Unbeschreibbar sind die Schreckensscenen, die wir erlebten und
-wie ein Wunder erscheint es mir, daß wir all' diesen Gefahren entrannen.
-
-Der stolze Bau des deutschen Reiches sank vor unseren Augen in Trümmer
-und nach langen Irrfahrten fanden wir endlich an den Ufern dieses Sees,
-wo es nichts mehr zu zerstören gab, eine Zufluchtsstätte. Möchte eine
-nachfolgende Generation, wenn ihr diese Aufzeichnungen zu Gesichte
-kommen, die furchtbare Lehre beherzigen, welche sie verkünden und möchte
-einst diesem, durch die Unvernunft der Menschen zu Grunde gerichteten
-Erdtheil eine neue, schönere Zukunft erblühen.«
-
-Erschüttert, lautlos saßen die Drei da, als Waltraut geendet hatte. Vor
-Kurt's geistigem Auge zog das Schreckensbild einer zusammenbrechenden
-Culturepoche vorüber -- dann aber sprang er auf:
-
-»Die schönere Zukunft ist nahe, weit näher, als ihr glaubt!« rief er
-lebhaft. »Die socialen Ideen sind nicht untergegangen; hier in Europa
-haben die Sünden des Capitalismus sie wohl mit allem Uebrigen
-vernichtet, aber in Afrika drüben leben sie noch und haben die
-herrlichsten Früchte gezeitigt. Wir wissen dort nichts von Reichthum und
-Armuth, nichts von Standesunterschieden; bei uns genießt Jeder, was
-seine Arbeit schafft, und Niemand kann ihm die Früchte seines Fleißes
-durch Gewalt oder List entwinden. Von Afrika wird neues Licht über
-diesen dunklen Erdtheil ausströmen und ihn der Cultur wiederum
-zurückgeben!«
-
-Er hatte mit Feuer gesprochen und unwillkürlich das Buch, welches so
-werthvolle Aufschlüsse enthielt, zu sich herangezogen. Da fielen seine
-Blicke auf jene Stelle, wo Waltraut's Urahn mit fester Hand seinen
-Namenszug unter die Schrift gesetzt hatte, und wie electrisirt fuhr er
-auf.
-
-»Dieser Name, Waltraut, der hier steht, ist ja auch der meine. Oh, jetzt
-gehen mir erst die Augen auf. Auch die Stadt, in der dieser Mann lebte,
-ist ja die nämliche, wo sich meine Vorfahren aufhielten. Kannst Du's
-glauben, Waltraut, wir sind von gleichem Stamme?« Und mit komischer
-Würde sich verneigend, sprach er: »Waltraut, ich habe die Ehre, mich Dir
-als Vetter aus Afrika vorzustellen.« Waltraut lachte herzlich und
-duldete ohne Widerrede, daß der neugefundene Verwandte ihr galant die
-Hand küßte. Auch der alte Günther lächelte vergnügt ob der unerwarteten
-Entdeckung. Der ernste Eindruck, den die Aufzeichnungen des Urahn
-hinterlassen hatten, wich einer behaglicheren Stimmung und noch lange
-saßen die Drei plaudernd zusammen, sich des seltsamen Zufalls freuend,
-der sie auf so wunderbare Weise zusammengeführt hatte.
-
-Seit jenem Abend war wieder eine geraume Zeit in's Land gezogen. Der
-Frühlingswind hatte schon längst die Eisdecke des Sees gesprengt und die
-uralten Buchen am Seestrande bedeckten sich mit zartem Grün. Auch in den
-Herzen der beiden jungen Leute war der Frühling eingezogen, und als die
-ersten Schwalben die Hütte zwitschernd umkreisten, legte Vater Günther
-die Hände der Liebenden zum ewigen Bunde in einander. Eines Abends, als
-Kurt mit seinem jungen Weibe im Nachen über den See fuhr, gewahrte er
-auf einer Waldblöße ein seltsames Schauspiel.
-
-Eine große Schaar bewaffneter Männer näherte sich, aus dem Dickicht
-tretend, dem Ufer, Hornsignale ertönten und eine Fahne flatterte in der
-Luft.
-
-Im ersten Moment hatte Kurt erschrocken die Ruder eingezogen, als aber
-sein Ohr die Trompetenrufe vernahm, und sein Blick die Flagge gewahrte,
-jauchzte er vor Freuden laut auf und begann aus Leibeskräften auf die
-bezeichnete Stelle loszurudern. Er hatte die Farben des Freilandstaates
-erkannt; einige Minuten später standen er und Waltraut am Ufer, umringt
-von den Mitgliedern der neuen vom Süden heraufgezogenen Expedition, und
-des Fragens und Händedrückens wollte kein Ende nehmen. Da drängte sich
-ein junger, sonnverbrannter Afrikaner durch den Kreis: »Alle Wetter,
-Kurt, werden die Todten wieder lebendig?« rief er, nahm den
-Ueberraschten ohne weiteres beim Kopf und küßte ihn herzhaft, zwei,
-dreimal.
-
-»Willy!«
-
-Die Freunde umarmten sich lange und innig.
-
-»Hast Du am Ende doch ein Bäschen gefunden, alter Junge?« meinte Willy,
-als er Waltraut bemerkte, die verwirrt und scheu im Kreise der fremden
-Männer stand.
-
-»Errathen, lieber Freund,« lachte Kurt, »die aber kann ich Dir nicht
-abtreten, die behalte ich für mich selbst.«
-
-»Das ist zwar gegen die Verabredung, und ich sollte böse Miene zu Deinem
-guten Spiele machen! Na, warte nur, wenigstens werde ich ihr Alles
-erzählen, was wir Beide ausgemacht haben,« erwiderte Willy und bot der
-jungen Frau treuherzig die Rechte, in die Waltraut herzhaft einschlug.
-
- * * * * *
-
-So manches Jahr ist seitdem verflossen.
-
-Der alte Günther schläft am Gestade des Victoria-Nyanza schon längst den
-letzten Schlaf; Waltraut aber hat an der Seite ihres Gatten das Heimweh
-nach den deutschen Wäldern überwunden, und bildet sich ein, die
-glücklichste Frau und Mutter von ganz Afrika zu sein.
-
-Auf dem Boden des verwüsteten deutschen Reiches und der anderen
-europäischen Staaten aber erblühen von Jahr zu Jahr immer mehr
-Ansiedlungen, die ihre Bewohner aus Afrika erhalten; eine neue
-Culturepoche, auf gesunder und vernunftgemäßer Grundlage in's Werk
-gesetzt, beginnt für das in tiefe Barbarei versunkene Europa. In diesem
-neuen Staate, der hier beginnt, wird es weder Reiche, noch Arme, weder
-Hoch noch Nieder, weder Deutsche noch Franzosen, sondern nur Menschen,
-und zwar glückliche, zufriedene Menschen geben.
-
-
-
-
- Der jüngste Tag.
-
-
- Wenn die Menschheit einer Krisis entgegen geht, richten sich alle
- Blicke mehr denn je in die Zukunft, regt sich mit Macht das
- Bestreben, den Schleier der kommenden Zeit zu lüften. Während
- Politiker und Gelehrte an der Hand der Thatsachen, die ihnen die
- Jetztzeit liefert, die Gestaltung zukünftiger Verhältnisse zu
- ergründen suchen, schweift die Phantasie des Dichters noch weit
- über die ihnen gesteckten Grenzen hinaus in eine nebelhafte
- Ferne, ja bis an's Ende der Tage. Auf diesem Wege hat der
- Verfasser des vor mir liegenden Buches[1] schon den äußersten
- Markstein überschritten, der das Gebiet des Realen vom Reiche des
- phantastischen Märchens abgrenzt. Der »jüngste Tag«, jenes
- Schreckgebilde kirchlichen Uebereifers, das so wenig harmonirt
- mit der milden Lehre Christi, tritt uns hier im verklärenden und
- versöhnenden Gewande der Poesie entgegen. Das Ganze mit seiner
- dichterisch schönen Sprache und seinem überwältigenden
- Bilderreichthum ist eigentlich ein Epos in Prosa, ein Stoff, der
- so gebieterisch nach Vers und Reim verlangt, daß sich der
- Verfasser diesem Drange selbst nicht entziehen konnte und den
- Schluß deshalb wenigstens in Stabreimen ausklingen läßt.
-
- [Fußnote 1: »_Der jüngste Tag_«. Von Rud. Heinr. Greinz. Preis 1
- Mark. Erfurt und Leipzig, Bacmeister's Verlag.]
-
- »In der Welt tobte und brauste es von Streit. Es gab keine Bande
- der Achtung mehr und keine Bande der Liebe. Der Sohn wüthete
- gegen den Vater, Bruder gegen Bruder. Die Mutterliebe war zu
- einem längst entschwundenen Märchen geworden. Ein Märchen war
- auch der Glaube an Jesus Christus. Nur alte Leute erzählten sich
- noch, daß sie von ihren Voreltern erfahren, es sei die Sage, auf
- einem einsamen Eiland im weiten Weltmeer hausten die letzten
- Christen.«
-
- In diese letzte Christengemeinde wird Helgrimur, der letzte
- Dichter, verschlagen. Draußen in der Welt hatten sie ihn verstoßen
- und verhöhnt, da er ihnen vom Schönsten und Hehrsten gesungen.
- Sie traten ihn mit Füßen und schalten ihn einen Thoren, da er
- sich mit Liedern in ihre Klugheit zu mischen wagte. Da zog er
- denn verzweifelnd fort in's Weite.
-
- Hirt und Hüter der letzten Christengemeinde ist Anakletus, der,
- einem finsteren Wahn verfallen, durch Zauberkünste einem
- unerreichbaren Ziele nachstrebt. Die alte Welt will er zertrümmern,
- eine neue schaffen und selbst als Gott über ihr walten. In diesem
- Wahnwitze bestärkt und unterstützt ihn Ahasver, der ewige Jude,
- der verflucht ward zu wandern, »so lange noch zwei Menschen
- glücklich sind auf Erden, so lange noch eine Liebe keimt zwischen
- zwei reinen Herzen«.
-
- Und so sehen wir die gespenstige Erscheinung Ahasver's überall
- auftauchen und hindernd dazwischen treten, wo reines Liebesglück
- emporkeimen möchte. Seine eigene Tochter Siona, die den schönen
- Fremdling liebt, stößt der ewige Jude von der Klippe in's Meer
- und erlöst sie zugleich, denn der Herr hatte ihr auf ihre Bitte
- gewährt, ewig mit Ahasver leben zu dürfen, bis der eigene Vater
- zum Tode die Hand gegen die Tochter erheben werde. Aber Helgrimur
- und Ismelda, die junge Verwandte des Anakletus, vermag auch
- Ahasver nicht zu trennen. Ein weißer Vogel schwebt über den
- Häuptern der Liebenden und folgt ihnen auf ihren Wegen. Das war
- die ewige Liebe, die am jüngsten Tage über das Meer geflogen kam.
- Anakletus gesteht den Aeltesten der Gemeinde seinen Gottesfrevel
- ein und wird an's Kreuz geschlagen.
-
- »Die Kuppel des Domes schwand. Mitten in den fliegenden Wolken,
- umzuckt vom feurigen Schein der Blitze, hing der Gerichtete.
- Immer höher und höher strebte das Kreuz empor. Und immer höher
- wuchs mit ihm der ewige Jude. Zuletzt schienen sie Beide in
- Lüften zu schweben.
-
- Das Volk lag auf den Knieen und wagte es kaum, emporzuschauen;
- denn in unendlicher Höhe schwebte der Gekreuzigte. Und der
- gespenstige Alte hatte sich an's Kreuz geklammert.
-
- Aus der Höhe aber kam es wie mächtiger Gesang von vielen
- Tausenden ...
-
- Libera de infernorum
- Poenis carnem fragilem,
- Infimoque peccatorum
- Da aeternam requiem!
-
- Verschwunden war der Dom. Keine Altäre waren mehr zu sehen.
- Weite, graue Nebelmassen dehnten sich allwärts.
-
- Helgrimur und Ismelda hielten sich umschlungen und standen
- aufrecht unter der knieenden Menge. Sie waren keines Lautes fähig
- und keiner Bewegung.
-
- Und immer dichter und erstickender wallten die Nebelmassen. Ein
- fahler Schein glitt über sie hin und schien Gestalten aus ihnen
- zu weben, wie sie nie gewohnt auf Erden ... seltsame Gestalten.
- Und die Gestalten erfüllten die ganze Welt mit ihren riesigen
- Leibern. Aus der Höhe ertönten dumpfe Hammerschläge und gaben
- gewaltigen Widerhall durch die Welt.
-
- Es schrie das Volk. Der Grund der Erde bebte. Durch die Nebel
- leuchteten feurige Zungen. Von ferne brauste es. Es war das
- Weltmeer, das aus seinen Gründen gewichen.
-
- Und es schien sich zu bilden ein feuriger Arm, der weithin ragte
- durch die Welt. Helgrimur war es, als ob dieser Arm ihm winke.
-
- Da löste sich ihm die Sprache. Noch einmal drückte der letzte
- Dichter sein Lieb an's Herz.
-
- >Der _Herr_ sei uns gnädig am jüngsten Tage!< rief er.«
-
- Und als der jüngste Tag vorüber und herrliche Wesen in
- überirdischem Schimmer ob dem Wasser schweben, wird Ahasver von
- Neuem verflucht und versinkt lautlos in den Wellen, auf deren
- Grunde er einsam wandern soll mit seiner Qual, damit sein Anblick
- nicht das Glück der reinen, ewigen Wesen störe.
-
- Einen überraschenden Reichthum an tiefen Gedanken birgt das
- kleine Werk, das den Triumph der reinen über die sinnliche Liebe,
- über den öden Materialismus der hinsterbenden Welt in einer Weise
- schildert, deren nur ein echter Dichter fähig ist.
-
-
-
-
- Bacmeister's Verlag in Erfurt und Leipzig.
-
-
- Bismarck
- und der
- Staats-Socialismus.
-
- Darstellung der socialen
- und wirthschaftlichen Gesetzgebung Deutschlands
- seit 1870
-
- von
- William Harbutt Dawson,
- Verf. von »Der Socialismus in Deutschland und Ferdinand
- Lassalle« &c.
-
- Aus dem Englischen übersetzt
- vom
- Bibliographischen Bureau zu Berlin.
-
- Autorisirte deutsche Ausgabe.
-
- Preis 2 Mark.
-
- Zum Verständniß der brennendsten Fragen der Gegenwart ist dieses
- durchaus objektiv gehaltene Werk unbedingt nothwendig. Die Presse
- aller Parteien bezeichnet es einstimmig als eine Arbeit, die nur
- ein Ausländer, der fern vom deutschen Parteigetriebe steht, in
- dieser Klarheit schaffen konnte.
-
-
- Bacmeister's Verlag in Erfurt und Leipzig.
-
-
- Tiroler Leut.
-
- Berggeschichten und Skizzen
-
- von
- Rudolf Heinrich Greinz.
-
- Preis 1 Mk.
-
- Es ist eine ganz merkwürdige Welt, in die uns der Verf.
- verpflanzt; kindlich-naive und kindlich-gläubige Menschen,
- Naturkinder im vollsten Sinne des Wortes, so abgeschlossen von
- der Kulturwelt wie ihre hohen Berge, kindlich namentlich auch in
- Sachen der Religion. So fremdartig uns auch diese Welt vorkommt,
- so sehr heimelt sie uns doch an durch die Wahrheit und
- Treuherzigkeit der Schilderung. Es sind Erzählungen theils
- heiteren, theils ernsten Inhalts, lauter trefflich abgerundete,
- lebenswahre und lebenswarme kleine Gemälde, ein Strauß frischer
- und duftender Alpenblumen und -Kräuter, der Herz und Geist
- erquickt.
-
-
- Das
- Abiturienten-Examen.
-
- Gymnasial-Humoreske
-
- von
- Rudolf Heinrich Greinz.
-
- Preis 50 Pfg.
-
- Hier sprudelt voller, frischer Humor, der Alt und Jung gefangen
- nimmt. Greinz ist, wie auch einzelne Erzählungen der »Tiroler
- Leut« zeigen, ein Humorist, der sich schnell einen weiten
- Freundeskreis erobert hat. Tiefer Ernst und heiterer Scherz
- stehen ihm zu Gebote, wie sie nur ein begnadeter Dichter haben
- kann.
-
-
- Kultur- und Literatur-Bilder.
-
- Herausgegeben von
- R. H. Greinz. 1. Heft. Preis 80 Pfg.
-
- Ein tieferes Verständniß unserer Zeit zu erlangen, ist eine
- keineswegs leichte Aufgabe. Ist doch unser »fin de siècle« eine
- derjenigen Uebergangsepochen der Geschichte, die der Menschheit
- neue Bahnen der Entwickelung anzuweisen bestimmt sind, eine Zeit
- so voll gährenden Dranges, so voll Keime und Ansätze zu neuen
- Zukunftsgestaltungen auf allen Gebieten des Lebens, wie kaum eine
- der bis jetzt verflossenen Geschichtsperioden. »Unsere Zeit eilt
- in heftigem Zwiespalt fernen unbekannten Zielen zu«, sagt Leopold
- von Ranke von ihr. Es gehört schon eine gründliche geschichtliche
- und philosophische Bildung dazu, jene fernen unbekannten Ziele
- auch nur in den äußersten Umrissen vorausahnen, das Sphinxantlitz
- der Geschichte des nächsten Jahrhunderts auf die hinter ihm
- verborgenen Räthselfragen hin prüfen zu wollen. Da ist denn ein
- neues Unternehmen, wie das obengenannte, zeitgemäß und
- empfehlenswerth, das sich zum Ziele setzt, in übersichtlicher
- Darstellung ein volles Verständniß für die wichtigsten Strömungen
- und bedeutendsten Erscheinungen des Geisterlebens der
- Kulturvölker unserer Zeit zu erschließen und zwar in einem Tone, der
- die durstende Volksseele befriedigt, der zugleich gediegen und
- anziehend ist. Das bis jetzt vorliegende erste Heft, das folgende
- Arbeiten enthält: Zum tieferen Verständniß unserer Zeit von Dr.
- W. Calaminus. Reflexion über Richard Voß' »Die neue Zeit« von
- Adolf May. Die Armen und Elenden von R. H. Greinz. Die
- amerikanische Presse von Philipp Berges. Die Hypnose im Roman von
- Dietrich Eckart. Amerikanische Humoristen und Novellisten von M.
- Giovanni. Einblicke in die deutsche Literatur der Gegenwart --
- verdient entschieden Anerkennung für das Geschick und den Takt,
- mit denen es diesem Ziele nachstrebt. Sämmtliche Arbeiten sind
- treffende Bilder wichtiger geistiger Strömungen unserer Zeit. Das
- neue Unternehmen ist auch wegen seiner Form beachtenswerth, denn
- es ist keine Zeitschrift, die regelmäßig erscheint, sondern als
- eine Bibliothek, eine Art Sammelwerk frei erscheinender und
- einzeln käuflicher Hefte gedacht, um es so allgemeiner zugänglich
- zu machen. Wir empfehlen es allen ernster Denkenden, die den
- rauschenden und brausenden Tagesströmungen unserer
- vielgestaltigen, lebensvollen Zeit auf den Grund schauen möchten,
- angelegentlich.
-
-
- Bacmeister's Verlag in Erfurt.
-
- Von Arnold v. d. Passer sind erschienen und
- durch alle Buchhandlungen zu beziehen:
-
-
- Gedichte.
-
- Mark 1,--. Wagner, Innsbruck.
-
-
- Neue Gedichte.
-
- Mk. 1,--. S. Pötzelberger, Meran.
-
-
- Herm. v. Gilm, sein Leben und seine Dichtungen.
-
- Mk. 2,--. Liebeskind, Leipzig.
-
-
- Ausgewählte Dichtungen
-
- von Herm. v. Gilm,
-
- Mk. 3,20. Liebeskind, Leipzig.
-
-
- Volksschauspiele in Tirol.
-
- Meran im Jahre 1809.
-
- Mk. --,60. Literar. Institut, München.
-
-
- Bacmeister's Verlag in Erfurt und Leipzig.
-
-
- Kultur- und
- Literatur-Bilder.
-
- Herausgegeben
- von
- Rudolf Heinrich Greinz.
-
- Heft 1. Preis 80 Pfg.
-
-
- Inhalt:
-
-
- Zum tieferen Verständniß unserer Zeit.
-
- Von Dr. W. Calaminus.
-
-
- Reflexion über R. Voß' »Die neue Zeit«.
-
- Von Adolf May.
-
-
- Die Armen und Elenden.
-
- Von Rudolf Heinrich Greinz.
-
-
- Die amerikanische Presse.
-
- Von Philipp Berges.
-
-
- Die Hypnose im Roman.
-
- Von Dietrich Eckart.
-
-
- Amerikanische Humoristen und Novellisten.
-
- Von M. Giovanni.
-
-
- Einblicke in die deutsche Literatur der Gegenwart.
-
- Die »Kultur- und Literaturbilder« bilden eine Bibliothek frei
- erscheinender und einzeln käuflicher Hefte, die sich vornehmlich
- dadurch charakterisiren, daß sie in übersichtlicher Darstellung
- ein volles Verständniß für die wichtigsten Strömungen und
- bedeutendsten Erscheinungen des jetzigen Kulturlebens erschließen
- wollen. -- Allen Ernstdenkenden seien diese gediegenen und
- anziehend geschriebenen Bilder warm empfohlen.
-
-
- Die allgemeine Volksschule
-
- als Grundbedingung zur endgiltigen Lösung der
- Schulreform-Frage.
-
- Von
- H. Schröer, Berlin.
-
- Preis 80 Pfg.
-
- Ein reiches und wohlgeordnetes Material unterrichtet über eine der
- wichtigsten Fragen der Gegenwart, so daß die Ansichten des
- Verfassers in den weitesten Kreisen Verbreitung und Beachtung
- gewinnen.
-
-
- Bacmeister's Verlag in Erfurt und Leipzig.
-
-
- Kleine Studien.
-
-
- 1. Die Behandlung der Tonkunst am Ausgange des 19.
- Jahrhunderts.
-
- Thatsachen, Aussprüche und Erfahrungen zur Beachtung
- für alle Musikfreunde.
-
- Von Anton Huber.
-
- Preis 50 Pfg.
-
-
- 2. Henrik Ibsen.
-
- Ein Essay von
- Dr. Theodor Odinga.
-
- Preis 20 Pfg.
-
-
- 3. Moderne Wege zum Wohlstand.
-
- Skizzen aus dem amerikanischen Leben.
-
- Von Philipp Berges. 1.-9. gleichlautende Auflage.
-
- Preis 50 Pfg.
-
-
- 4. Die Entdeckung Amerika's durch die Normannen im
- 10. und 11. Jahrhundert.
-
- Von H. Röttinger. -- Preis 30 Pfg.
-
-
- 5. Volksschauspiele in Bayern.
-
- Von Adolf May.
-
- 3. Auflage.
-
- Preis 30 Pfg.
-
-
-
-
- Anmerkungen zur Transkription
-
-
-Die Schreibweise der Buchvorlage wurde weitgehend beibehalten. Einige
-wenige Fehler wurden korrigiert wie hier aufgeführt (vorher/nachher):
-
- [S. 28]:
- ... Ausgang kaum zweifelhaft sein konnte. Nach wenig ...
- ... Ausgang kaum zweifelhaft sein konnte. Nach wenigen ...
-
- [S. 45]:
- ... Wohl fehlte es nicht an dunklen drohendem Gewölke, ...
- ... Wohl fehlte es nicht an dunklem drohendem Gewölke, ...
-
- [S. 69]:
- ... Dienste der Gesellschaft stehend, war er erst vor wenig ...
- ... Dienste der Gesellschaft stehend, war er erst vor wenigen ...
-
- [S. 74]:
- ... jetzt im Besitz einiger Wenigen und zahllose zerstörte ...
- ... jetzt im Besitz einiger Weniger und zahllose zerstörte ...
-
-
-
-
-
-
-End of the Project Gutenberg EBook of Mene tekel!, by Arnold von der Passer
-
-*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK MENE TEKEL! ***
-
-***** This file should be named 56991-8.txt or 56991-8.zip *****
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-
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-
-Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
-Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be
-freely shared with anyone. For forty years, he produced and
-distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of
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-
-Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
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-Most people start at our Web site which has the main PG search
-facility: www.gutenberg.org
-
-This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
-including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
-subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.
-
diff --git a/56991-h/56991-h.htm b/56991-h/56991-h.htm
index f100c98..0240ed2 100644
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<body>
-<pre>
-
-The Project Gutenberg EBook of Mene tekel!, by Arnold von der Passer
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most
-other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
-whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of
-the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
-www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have
-to check the laws of the country where you are located before using this ebook.
-
-Title: Mene tekel!
- Eine Entdeckungsreise nach Europa
-
-Author: Arnold von der Passer
-
-Release Date: April 17, 2018 [EBook #56991]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: ISO-8859-1
-
-*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK MENE TEKEL! ***
-
-
-
-
-Produced by Jens Sadowski and the Online Distributed
-Proofreading Team at http://www.pgdp.net
-
-
-
-
-
-
-</pre>
+<div>*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 56991 ***</div>
<div class="frontmatter">
@@ -5232,379 +5197,7 @@ Einige wenige Fehler wurden korrigiert wie hier aufgeführt (vorher/nachher):
-<pre>
-
-
-
-
-
-End of the Project Gutenberg EBook of Mene tekel!, by Arnold von der Passer
-
-*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK MENE TEKEL! ***
-
-***** This file should be named 56991-h.htm or 56991-h.zip *****
-This and all associated files of various formats will be found in:
- http://www.gutenberg.org/5/6/9/9/56991/
-
-Produced by Jens Sadowski and the Online Distributed
-Proofreading Team at http://www.pgdp.net
-
-Updated editions will replace the previous one--the old editions will
-be renamed.
-
-Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright
-law means that no one owns a United States copyright in these works,
-so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United
-States without permission and without paying copyright
-royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part
-of this license, apply to copying and distributing Project
-Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm
-concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark,
-and may not be used if you charge for the eBooks, unless you receive
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-eBook, complying with the rules is very easy. You may use this eBook
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-1.E.8.
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-1.B. "Project Gutenberg" is a registered trademark. It may only be
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-paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project
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-electronic works. See paragraph 1.E below.
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-1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the
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-United States and you are located in the United States, we do not
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-all references to Project Gutenberg are removed. Of course, we hope
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-works in compliance with the terms of this agreement for keeping the
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-1.D. The copyright laws of the place where you are located also govern
-what you can do with this work. Copyright laws in most countries are
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-contain a notice indicating that it is posted with permission of the
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-either with the requirements of paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 or
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