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diff --git a/old/2014-12-21-7205-8.txt b/old/2014-12-21-7205-8.txt new file mode 100644 index 0000000..2ca91c7 --- /dev/null +++ b/old/2014-12-21-7205-8.txt @@ -0,0 +1,13934 @@ +Project Gutenberg's Also Sprach Zarathustra, by Friedrich Wilhelm Nietzsche + +This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with +almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or +re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included +with this eBook or online at www.gutenberg.org + + +Title: Also Sprach Zarathustra + +Author: Friedrich Wilhelm Nietzsche + +Posting Date: August 5, 2011 [EBook #7205] +Release Date: January, 2005 +[This file was first posted on March 26, 2003] +[Last updated: December 21, 2014] + +Language: German + +Character set encoding: ISO-8859-1 + +*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK ALSO SPRACH ZARATHUSTRA *** + + + + +Produced by Peter Bellen, derived from HTML files at +"Projekt Gutenberg - DE" + + + + + + + + + + +Friedrich Nietzsche + +Also sprach Zarathustra + +Ein Buch für Alle und Keinen + + + + +Inhaltsverzeichnis + + Erster Theil + Zarathustra's Vorrede + Die Reden Zarathustra's + Von den drei Verwandlungen + Von den Lehrstühlen der Tugend + Von den Hinterweltlern + Von den Verächtern des Leibes + Von den Freuden- und Leidenschaften + Vom bleichen Verbrecher + Vom Lesen und Schreiben + Vom Baum am Berge + Von den Predigern des Todes + Vom Krieg und Kriegsvolke + Vom neuen Götzen + Von den Fliegen des Marktes + Von der Keuschheit + Vom Freunde + Von tausend und Einem Ziele + Von der Nächstenliebe + Vom Wege des Schaffenden + Von alten und jungen Weiblein + Vom Biss der Natter + Von Kind und Ehe + Vom freien Tode + Von der schenkenden Tugend + Zweiter Theil + Das Kind mit dem Spiegel + Auf den glückseligen Inseln + Von den Mitleidigen + Von den Priestern + Von den Tugendhaften + Vom Gesindel + Von den Taranteln + Von den berühmten Weisen + Das Nachtlied + Das Tanzlied + Das Grablied + Von der Selbst-Überwindung + Von den Erhabenen + Vom Lande der Bildung + Von der unbefleckten Erkenntniss + Von den Gelehrten + Von den Dichtern + Von grossen Ereignissen + Der Wahrsager + Von der Erlösing + Von der Menschen-Klugheit + Die stillste Stunde + Dritter Theil + Der Wanderer + Vom Gesicht und Räthsel + Von der Seligkeit wider Willen + Vor Sonnen-Aufgang + Von der verkleinernden Tugend + Auf dem Ölberge + Vom Vorübergehen + Von den Abtrünnigen + Die Heimkehr + Von den drei Bösen + Vom Geist der Schwere + Von alten und neuen Tafeln + Der Genesende + Von der grossen Sehnsucht + Das andere Tanzlied + Die sieben Siegel (Oder: das Ja- und Amen-Lied) + Vierter und letzter Theil + Das Honig-Opfer + Der Nothschrei + Gespräch mit den Königen + Der Blutegel + Der Zauberer + Ausser Dienst + Der hässlichste Mensch + Der freiwillige Bettler + Der Schatten + Mittags + Die Begrüssung + Das Abendmahl + Vom höheren Menschen + Das Lied der Schwermuth + Von der Wissenschaft + Unter Töchtern der Wüste + Die Erweckung + Das Eselsfest + Das Nachtwandler-Lied + Das Zeichen + + + + +Erster Theil + +Zarathustra's Vorrede. + +1. + +Als Zarathustra dreissig Jahr alt war, verliess er seine Heimat und +den See seiner Heimat und ging in das Gebirge. Hier genoss er seines +Geistes und seiner Einsamkeit und wurde dessen zehn Jahr nicht müde. +Endlich aber verwandelte sich sein Herz, - und eines Morgens stand +er mit der Morgenröthe auf, trat vor die Sonne hin und sprach zu ihr +also: + +"Du grosses Gestirn! Was wäre dein Glück, wenn du nicht Die hättest, +welchen du leuchtest! + +Zehn Jahre kamst du hier herauf zu meiner Höhle: du würdest deines +Lichtes und dieses Weges satt geworden sein, ohne mich, meinen Adler +und meine Schlange. + +Aber wir warteten deiner an jedem Morgen, nahmen dir deinen Überfluss +ab und segneten dich dafür. + +Siehe! Ich bin meiner Weisheit überdrüssig, wie die Biene, die +des Honigs zu viel gesammelt hat, ich bedarf der Hände, die sich +ausstrecken. + +Ich möchte verschenken und austheilen, bis die Weisen unter den +Menschen wieder einmal ihrer Thorheit und die Armen einmal ihres +Reichthums froh geworden sind. + +Dazu muss ich in die Tiefe steigen: wie du des Abends thust, wenn +du hinter das Meer gehst und noch der Unterwelt Licht bringst, du +überreiches Gestirn! + +Ich muss, gleich dir, _untergehen_, wie die Menschen es nennen, zu +denen ich hinab will. + +So segne mich denn, du ruhiges Auge, das ohne Neid auch ein +allzugrosses Glück sehen kann! + +Segne den Becher, welcher überfliessen will, dass das Wasser golden aus +ihm fliesse und überallhin den Abglanz deiner Wonne trage! + +Siehe! Dieser Becher will wieder leer werden, und Zarathustra will +wieder Mensch werden." + +- Also begann Zarathustra's Untergang. + + +2. + +Zarathustra stieg allein das Gebirge abwärts und Niemand begegnete +ihm. Als er aber in die Wälder kam, stand auf einmal ein Greis vor +ihm, der seine heilige Hütte verlassen hatte, um Wurzeln im Walde zu +suchen. Und also sprach der Greis zu Zarathustra: + +Nicht fremd ist mir dieser Wanderer: vor manchem Jahre gieng er hier +vorbei. Zarathustra hiess er; aber er hat sich verwandelt. Damals +trugst du deine Asche zu Berge: willst du heute dein Feuer in die +Thäler tragen? Fürchtest du nicht des Brandstifters Strafen? + +Ja, ich erkenne Zarathustra. Rein ist sein Auge, und an seinem Munde +birgt sich kein Ekel. Geht er nicht daher wie ein Tänzer? + +Verwandelt ist Zarathustra, zum Kind ward Zarathustra, ein Erwachter +ist Zarathustra: was willst du nun bei den Schlafenden? + +Wie im Meere lebtest du in der Einsamkeit, und das Meer trug dich. +Wehe, du willst an's Land steigen? Wehe, du willst deinen Leib wieder +selber schleppen? + +Zarathustra antwortete: "Ich liebe die Menschen." + +Warum, sagte der Heilige, gieng ich doch in den Wald und die Einöde? +War es nicht, weil ich die Menschen allzu sehr liebte? + +Jetzt liebe ich Gott: die Menschen liebe ich nicht. Der Mensch ist mir +eine zu unvollkommene Sache. Liebe zum Menschen würde mich umbringen. + +Zarathustra antwortete: "Was sprach ich von Liebe! Ich bringe den +Menschen ein Geschenk." + +Gieb ihnen Nichts, sagte der Heilige. Nimm ihnen lieber Etwas ab und +trage es mit ihnen - das wird ihnen am wohlsten thun: wenn er dir nur +wohlthut! + +Und willst du ihnen geben, so gieb nicht mehr, als ein Almosen, und +lass sie noch darum betteln! + +"Nein, antwortete Zarathustra, ich gebe kein Almosen. Dazu bin ich +nicht arm genug." + +Der Heilige lachte über Zarathustra und sprach also: So sieh zu, dass +sie deine Schätze annehmen! Sie sind misstrauisch gegen die Einsiedler +und glauben nicht, dass wir kommen, um zu schenken. + +Unse Schritte klingen ihnen zu einsam durch die Gassen. Und wie wenn +sie Nachts in ihren Betten einen Mann gehen hören, lange bevor die +Sonne aufsteht, so fragen sie sich wohl: wohin will der Dieb? + +Gehe nicht zu den Menschen und bleibe im Walde! Gehe lieber noch zu +den Thieren! Warum willst du nicht sein, wie ich, - ein Bär unter +Bären, ein Vogel unter Vögeln? + +"Und was macht der Heilige im Walde?" fragte Zarathustra. + +Der Heilige antwortete: Ich mache Lieder und singe sie, und wenn ich +Lieder mache, lache, weine und brumme ich: also lobe ich Gott. + +Mit Singen, Weinen, Lachen und Brummen lobe ich den Gott, der mein +Gott ist. Doch was bringst du uns zum Geschenke? + +Als Zarathustra diese Worte gehört hatte, grüsste er den Heiligen und +sprach: "Was hätte ich euch zu geben! Aber lasst mich schnell davon, +dass ich euch Nichts nehme!" - Und so trennten sie sich von einander, +der Greis und der Mann, lachend, gleichwie zwei Knaben lachen. + +Als Zarathustra aber allein war, sprach er also zu seinem Herzen: +"Sollte es denn möglich sein! Dieser alte Heilige hat in seinem Walde +noch Nichts davon gehört, dass _Gott todt_ ist!" - + + +3. + +Als Zarathustra in die Nächste Stadt kam, die an den Wäldern liegt, +fand er daselbst viel Volk versammelt auf dem Markte: denn es +war verheissen worden, das man einen Seiltänzer sehen solle. Und +Zarathustra sprach also zum Volke: + +Ich lehre euch den Übermenschen. Der Mensch ist Etwas, das überwunden +werden soll. Was habt ihr gethan, ihn zu überwinden? + +"Alle Wesen bisher schufen etwas über sich hinaus: und ihr wollt die +Ebbe dieser großen Flut sein und lieber noch zum Tiere zurückgehen, als +den Menschen zu überwinden?" + +Was ist der Affe für den Menschen? Ein Gelächter oder eine +schmerzliche Scham. Und ebendas soll der Mensch für den Übermenschen +sein: ein Gelächter oder eine schmerzliche Scham. + +Ihr habt den Weg vom Wurme zum Menschen gemacht, und Vieles ist in +euch noch Wurm. Einst wart ihr Affen, und auch jetzt ist der Mensch +mehr Affe, als irgend ein Affe. + +Wer aber der Weiseste von euch ist, der ist auch nur ein Zwiespalt +und Zwitter von Pflanze und von Gespenst. Aber heisse ich euch zu +Gespenstern oder Pflanzen werden? + +Seht, ich lehre euch den Übermenschen! + +Der Übermensch ist der Sinn der Erde. Euer Wille sage: der Übermensch +_sei_ der Sinn der Erde! + +Ich beschwöre euch, meine Brüder, _bleibt der Erde treu_ und glaubt +Denen nicht, welche euch von überirdischen Hoffnungen reden! +Giftmischer sind es, ob sie es wissen oder nicht. + +Verächter des Lebens sind es, Absterbende und selber Vergiftete, deren +die Erde müde ist: so mögen sie dahinfahren! + +Einst war der Frevel an Gott der grösste Frevel, aber Gott starb, und +damit auch diese Frevelhaften. An der Erde zu freveln ist jetzt das +Furchtbarste und die Eingeweide des Unerforschlichen höher zu achten, +als der Sinn der Erde! + +Einst blickte die Seele verächtlich auf den Leib: und damals war diese +Verachtung das Höchste: - sie wollte ihn mager, grässlich, verhungert. +So dachte sie ihm und der Erde zu entschlüpfen. + +Oh diese Seele war selbst noch mager, grässlich und verhungert: und +Grausamkeit war die Wollust dieser Seele! + +Aber auch ihr noch, meine Brüder, sprecht mir: was kündet euer Leib +von eurer Seele? Ist eure Seele nicht Armuth und Schmutz und ein +erbärmliches Behagen? + +Wahrlich, ein schmutziger Strom ist der Mensch. Man muss schon ein +Meer sein, um einen schmutzigen Strom aufnehmen zu können, ohne unrein +zu werden. + +Seht, ich lehre euch den Übermenschen: der ist diess Meer, in ihm kann +eure grosse Verachtung untergehn. + +Was ist das Grösste, das ihr erleben könnt? Das ist die Stunde der +grossen Verachtung. Die Stunde, in der euch auch euer Glück zum Ekel +wird und ebenso eure Vernunft und eure Tugend. + +Die Stunde, wo ihr sagt: "Was liegt an meinem Glücke! Es ist Armuth +und Schmutz, und ein erbärmliches Behagen. Aber mein Glück sollte das +Dasein selber rechtfertigen!" + +Die Stunde, wo ihr sagt: "Was liegt an meiner Vernunft! Begehrt sie +nach Wissen wie der Löwe nach seiner Nahrung? Sie ist Armuth und +Schmutz und ein erbärmliches Behagen!" + +Die Stunde, wo ihr sagt: "Was liegt an meiner Tugend! Noch hat sie +mich nicht rasen gemacht. Wie müde bin ich meines Guten und meines +Bösen! Alles das ist Armuth und Schmutz und ein erbärmliches Behagen!" + +Die Stunde, wo ihr sagt: "Was liegt an meiner Gerechtigkeit! Ich sehe +nicht, dass ich Gluth und Kohle wäre. Aber der Gerechte ist Gluth und +Kohle!" + +Die Stunde, wo ihr sagt: "Was liegt an meinem Mitleiden! Ist nicht +Mitleid das Kreuz, an das Der genagelt wird, der die Menschen liebt? +Aber mein Mitleiden ist keine Kreuzigung." + +Spracht ihr schon so? Schriet ihr schon so? Ach, dass ich euch schon +so schreien gehört hatte! + +Nicht eure Sünde - eure Genügsamkeit schreit gen Himmel, euer Geiz +selbst in eurer Sünde schreit gen Himmel! + +Wo ist doch der Blitz, der euch mit seiner Zunge lecke? Wo ist der +Wahnsinn, mit dem ihr geimpft werden müsstet? + +Seht, ich lehre euch den Übermenschen: der ist dieser Blitz, der ist +dieser Wahnsinn! - + +Als Zarathustra so gesprochen hatte, schrie Einer aus dem Volke: "Wir +hörten nun genug von dem Seiltänzer; nun lasst uns ihn auch sehen!" +Und alles Volk lachte über Zarathustra. Der Seiltänzer aber, welcher +glaubte, dass das Wort ihm gälte, machte sich an sein Werk. + + +4. + +Zarathustra aber sahe das Volk an und wunderte sich. Dann sprach er +also: + +Der Mensch ist ein Seil, geknüpft zwischen Thier und Übermensch, - ein +Seil über einem Abgrunde. + +Ein gefährliches Hinüber, ein gefährliches Auf-dem-Wege, ein +gefährliches Zurückblicken, ein gefährliches Schaudern und +Stehenbleiben. + +Was gross ist am Menschen, das ist, dass er eine Brücke und kein +Zweck ist: was geliebt werden kann am Menschen, das ist, dass er ein +_Übergang_ und ein _Untergang_ ist. + +Ich liebe Die, welche nicht zu leben wissen, es sei denn als +Untergehende, denn es sind die Hinübergehenden. + +Ich liebe die grossen Verachtenden, weil sie die grossen Verehrenden +sind und Pfeile der Sehnsucht nach dem andern Ufer. + +Ich liebe Die, welche nicht erst hinter den Sternen einen Grund +suchen, unterzugehen und Opfer zu sein: sondern die sich der Erde +opfern, dass die Erde einst der Übermenschen werde. + +Ich liebe Den, welcher lebt, damit er erkenne, und welcher erkennen +will, damit einst der Übermensch lebe. Und so will er seinen +Untergang. + +Ich liebe Den, welcher arbeitet und erfindet, dass er dem Übermenschen +das Haus baue und zu ihm Erde, Thier und Pflanze vorbereite: denn so +will er seinen Untergang. + +Ich liebe Den, welcher seine Tugend liebt: denn Tugend ist Wille zum +Untergang und ein Pfeil der Sehnsucht. + +Ich liebe Den, welcher nicht einen Tropfen Geist für sich +zurückbehält, sondern ganz der Geist seiner Tugend sein will: so +schreitet er als Geist über die Brücke. + +Ich liebe Den, welcher aus seiner Tugend seinen Hang und sein +Verhängniss macht: so will er um seiner Tugend willen noch leben und +nicht mehr leben. + +Ich liebe Den, welcher nicht zu viele Tugenden haben will. Eine Tugend +ist mehr Tugend, als zwei, weil sie mehr Knoten ist, an den sich das +Verhängniss hängt. + +Ich liebe Den, dessen Seele sich verschwendet, der nicht Dank haben +will und nicht zurückgiebt: denn er schenkt immer und will sich nicht +bewahren. + +Ich liebe Den, welcher sich schämt, wenn der Würfel zu seinem Glücke +fällt und der dann fragt: bin ich denn ein falscher Spieler? - denn er +will zu Grunde gehen. + +Ich liebe Den, welcher goldne Worte seinen Thaten voraus wirft +und immer noch mehr hält, als er verspricht: denn er will seinen +Untergang. + +Ich liebe Den, welcher die Zukünftigen rechtfertigt und die +Vergangenen erlöst: denn er will an den Gegenwärtigen zu Grunde gehen. + +Ich liebe Den, welcher seinen Gott züchtigt, weil er seinen Gott +liebt: denn er muss am Zorne seines Gottes zu Grunde gehen. + +Ich liebe Den, dessen Seele tief ist auch in der Verwundung, und der +an einem kleinen Erlebnisse zu Grunde gehen kann: so geht er gerne +über die Brücke. + +Ich liebe Den, dessen Seele übervoll ist, so dass er sich selber +vergisst, und alle Dinge in ihm sind: so werden alle Dinge sein +Untergang. + +Ich liebe Den, der freien Geistes und freien Herzes ist: so ist sein +Kopf nur das Eingeweide seines Herzens, sein Herz aber treibt ihn zum +Untergang. + +Ich liebe alle Die, welche schwere Tropfen sind, einzeln fallend aus +der dunklen Wolke, die über den Menschen hängt: sie verkündigen, dass +der Blitz kommt, und gehn als Verkündiger zu Grunde. + +Seht, ich bin ein Verkündiger des Blitzes und ein schwerer Tropfen aus +der Wolke: dieser Blitz aber heisst Übermensch. - + + +5. + +Als Zarathustra diese Worte gesprochen hatte, sahe er wieder das Volk +an und schwieg. "Da stehen sie", sprach er zu seinem Herzen, "da +lachen sie: sie verstehen mich nicht, ich bin nicht der Mund für diese +Ohren. + +Muss man ihnen erst die Ohren zerschlagen, dass sie lernen, mit den +Augen hören. Muss man rasseln gleich Pauken und Busspredigern? Oder +glauben sie nur dem Stammelnden? + +Sie haben etwas, worauf sie stolz sind. Wie nennen sie es doch, was +sie stolz macht? Bildung nennen sie's, es zeichnet sie aus vor den +Ziegenhirten. + +Drum hören sie ungern von sich das Wort `Verachtung`. So will ich denn +zu ihrem Stolze reden. + +So will ich ihnen vom Verächtlichsten sprechen: das aber ist +_der_letzte_Mensch_." + +Und also sprach Zarathustra zum Volke: + +Es ist an der Zeit, dass der Mensch sich sein Ziel stecke. Es ist an +der Zeit, dass der Mensch den Keim seiner höchsten Hoffnung pflanze. + +Noch ist sein Boden dazu reich genug. Aber dieser Boden wird einst arm +und zahm sein, und kein hoher Baum wird mehr aus ihm wachsen können. + +Wehe! Es kommt die Zeit, wo der Mensch nicht mehr den Pfeil seiner +Sehnsucht über den Menschen hinaus wirft, und die Sehne seines Bogens +verlernt hat, zu schwirren! + +Ich sage euch: man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden +Stern gebären zu können. Ich sage euch: ihr habt noch Chaos in euch. + +Wehe! Es kommt die Zeit, wo der Mensch keinen Stern mehr gebären wird. +Wehe! Es kommt die Weit des verächtlichsten Menschen, der sich selber +nicht mehr verachten kann. + +Seht! Ich zeige euch _den_letzten_Menschen_. + +"Was ist Liebe? Was ist Schöpfung? Was ist Sehnsucht? Was ist Stern" - +so fragt der letzte Mensch und blinzelt. + +Die Erde ist dann klein geworden, und auf ihr hüpft der letzte Mensch, +der Alles klein macht. Sein Geschlecht ist unaustilgbar, wie der +Erdfloh; der letzte Mensch lebt am längsten. + +"Wir haben das Glück erfunden" - sagen die letzten Menschen und +blinzeln. + +Sie haben den Gegenden verlassen, wo es hart war zu leben: denn man +braucht Wärme. Man liebt noch den Nachbar und reibt sich an ihm: denn +man braucht Wärme. + +Krankwerden und Misstrauen-haben gilt ihnen sündhaft: man geht achtsam +einher. Ein Thor, der noch über Steine oder Menschen stolpert! + +Ein wenig Gift ab und zu: das macht angenehme Träume. Und viel Gift +zuletzt, zu einem angenehmen Sterben. + +Man arbeitet noch, denn Arbeit ist eine Unterhaltung. Aber man sorgt +dass die Unterhaltung nicht angreife. + +Man wird nicht mehr arm und reich: Beides ist zu beschwerlich. Wer +will noch regieren? Wer noch gehorchen? Beides ist zu beschwerlich. + +Kein Hirt und Eine Heerde! Jeder will das Gleiche, Jeder ist gleich: +wer anders fühlt, geht freiwillig in's Irrenhaus. + +"Ehemals war alle Welt irre" - sagen die Feinsten und blinzeln. + +Man ist klug und weiss Alles, was geschehn ist: so hat man kein Ende +zu spotten. Man zankt sich noch, aber man versöhnt sich bald - sonst +verdirbt es den Magen. + +Man hat sein Lüstchen für den Tag und sein Lüstchen für die Nacht: +aber man ehrt die Gesundheit. + +"Wir haben das Glück erfunden" - sagen die letzten Menschen und +blinzeln - + +Und hier endete die erste Rede Zarathustra's, welche man auch "die +Vorrede" heisst: denn an dieser Stelle unterbrach ihn das Geschrei und +die Lust der Menge. "Gieb uns diesen letzten Menschen, oh Zarathustra, +- so riefen sie - mache uns zu diesen letzten Menschen! So schenken +wir dir den Übermenschen!" Und alles Volk jubelte und schnalzte mit +der Zunge. Zarathustra aber wurde traurig und sagte zu seinem Herzen: + +Sie verstehen mich nicht: ich bin nicht den Mund für diese Ohren. + +Zu lange wohl lebte ich im Gebirge, zu viel horchte ich auf Bäche und +Bäume: nun rede ich ihnen gleich den Ziegenhirten. + +Unbewegt ist meine Seele und hell wie das Gebirge am Vormittag. Aber +sie meinen, ich sei kalt und ein Spötter in furchtbaren Spässen. + +Und nun blicken sie mich an und lachen: und indem sie lachen, hassen +sie mich noch. Es ist Eis in ihrem Lachen. + + +6. + +Da aber geschah Etwas, das jeden Mund stumm und jedes Auge starr +machte. Inzwischen nämlich hatte der Seiltänzer sein Werk begonnen: +er war aus einer kleiner Thür hinausgetreten und gieng über das Seil, +welches zwischen zwei Thürmen gespannt war, also, dass es über dem +Markte und dem Volke hieng. Als er eben in der Mitte seines Weges war, +öffnete sich die kleine Thür noch einmal, und ein bunter Gesell, einem +Possenreisser gleich, sprang heraus und gieng mit schnellen Schritten +dem Ersten nach. "Vorwärts, Lahmfuss, rief seine fürchterliche Stimme, +vorwärts Faulthier, Schleichhändler, Bleichgesicht! Dass ich dich +nicht mit meiner Ferse kitzle! Was treibst du hier zwischen Thürmen? +In den Thurm gehörst du, einsperren sollte man dich, einem Bessern, +als du bist, sperrst du die freie Bahn!" - Und mit jedem Worte kam er +ihm näher und näher: als er aber nur noch einen Schritt hinter ihm +war, da geschah das Erschreckliche, das jeden Mund stumm und jedes +Auge starr machte: - er stiess ein Geschrei aus wie ein Teufel und +sprang über Den hinweg, der ihm im Wege war. Dieser aber, als er so +seinen Nebenbuhler siegen sah, verlor dabei den Kopf und das Seil; er +warf seine Stange weg und schoss schneller als diese, wie ein Wirbel +von Armen und Beinen, in die Tiefe. Der Markt und das Volk glich +dem Meere, wenn der Sturm hineinfährt: Alles floh aus einander und +übereinander, und am meisten dort, wo der Körper niederschlagen +musste. + +Zarathustra aber blieb stehen, und gerade neben ihn fiel der Körper +hin, übel zugerichtet und zerbrochen, aber noch nicht todt. Nach einer +Weile kam dem Zerschmetterten das Bewusstsein zurück, und er sah +Zarathustra neben sich knieen. "Was machst du da? sagte er endlich, +ich wusste es lange, dass mir der Teufel ein Bein stellen werde. Nun +schleppt er mich zur Hölle: willst du's ihm wehren?" + +"Bei meiner Ehre, Freund, antwortete Zarathustra, das giebt es Alles +nicht, wovon du sprichst: es giebt keinen Teufel und keine Hölle. +Deine Seele wird noch schneller todt sein als dein Leib: fürchte nun +Nichts mehr!" + +Der Mann blickte misstrauisch auf. "Wenn du die Wahrheit sprichst, +sagte er dann, so verliere ich Nichts, wenn ich das Leben verliere. +Ich bin nicht viel mehr als ein Thier, das man tanzen gelehrt hat, +durch Schläge und schmale Bissen." + +"Nicht doch, sprach Zarathustra; du hast aus der Gefahr deinen Beruf +gemacht, daran ist Nichts zu verachten. Nun gehst du an deinem Beruf +zu Grunde: dafür will ich dich mit meinen Händen begraben." + +Als Zarathustra diess gesagt hatte, antwortete der Sterbende nicht +mehr; aber er bewegte die Hand, wie als ob er die Hand Zarathustra's +zum Danke suche. - + + +7. + +Inzwischen kam der Abend, und der Markt barg sich in Dunkelheit: da +verlief sich das Volk, denn selbst Neugierde und Schrecken werden +müde. Zarathustra aber sass neben dem Todten auf der Erde und war in +Gedanken versunken: so vergass er die Zeit. Endlich aber wurde es +Nacht, und ein kalter Wind blies über den Einsamen. Da erhob sich +Zarathustra und sagte zu seinem Herzen: + +Wahrlich, einen schönen Fischfang that heute Zarathustra! Keinen +Menschen fieng er, wohl aber einen Leichnam. + +Unheimlich ist das menschliche Dasein und immer noch ohne Sinn: ein +Possenreisser kann ihm zum Verhängniss werden. + +Ich will die Menschen den Sinn ihres Seins lehren: welcher ist der +Übermensch, der Blitz aus der dunklen Wolke Mensch. + +Aber noch bin ich ihnen ferne, und mein Sinn redet nicht zu ihren +Sinnen. Eine Mitte bin ich noch den Menschen zwischen einem Narren und +einem Leichnam. + +Dunkel ist die Nacht, dunkel sind die Wege Zarathustra's. Komm, du +kalter und steifer Gefährte! Ich trage dich dorthin, wo ich dich mit +meinen Händen begrabe. + + +8. + +Als Zarathustra diess zu seinem Herzen gesagt hatte, lud er den +Leichnam auf seinem Rücken und machte sich auf den Weg. Und noch nicht +war er hundert Schritte gegangen, da schlich ein Mensch an ihn heran +und flüsterte ihm in's Ohr - und siehe! Der, welcher redete, war der +Possenreisser vom Thurme. "Geh weg von dieser Stadt, oh Zarathustra, +sprach er; es hassen dich hier zu Viele. Es hassen dich die Guten und +Gerechten und sie nennen dich ihren Feind und Verächter; es hassen +dich die Gläubigen des rechten Glaubens, und sie nennen dich die +Gefahr der Menge. Dein Glück war es, dass man über dich lachte: und +wahrlich, du redetest gleich einem Possenreisser. Dein Glück war +es, dass du dich dem todten Hunde geselltest; als du dich so +erniedrigtest, hast du dich selber für heute errettet. Geh aber fort +aus dieser Stadt - oder morgen springe ich über dich hinweg, ein +Lebendiger über einen Todten." Und als er diess gesagt hatte, +verschwand der Mensch; Zarathustra aber gieng weiter durch die dunklen +Gassen. + +Am Thore der Stadt begegneten ihm die Todtengräber: sie leuchteten +ihm mit der Fackel in's Gesicht, erkannten Zarathustra und spotteten +sehr über ihn. "Zarathustra trägt den todten Hund davon: brav, dass +Zarathustra zum Todtengräber wurde! Denn unsere Hände sind zu reinlich +für diesen Braten. Will Zarathustra wohl dem Teufel seinen Bissen +stehlen? Nun wohlan! Und gut Glück zur Mahlzeit! Wenn nur nicht der +Teufel ein besserer Dieb ist, als Zarathustra! - er stiehlt die Beide, +er frisst sie Beide!" Und sie lachten mit einander und steckten die +Köpfe zusammen. + +Zarathustra sagte dazu kein Wort und gieng seines Weges. Als er zwei +Stunden gegangen war, an Wäldern und Sümpfen vorbei, da hatte er zu +viel das hungrige Geheul der Wölfe gehört, und ihm selber kam der +Hunger. So blieb er an einem einsamen Hause stehn, in dem ein Licht +brannte. + +Der Hunger überfällt mich, sagte Zarathustra, wie ein Räuber. In +Wäldern und Sümpfen überfällt mich mein Hunger und in tiefer Nacht. + +Wunderliche Launen hat mein Hunger. Oft kommt er mir erst nach der +Mahlzeit, und heute kam er den ganzen Tag nicht: wo weilte er doch? + +Und damit schlug Zarathustra an das Thor des Hauses. Ein alter Mann +erschien; er trug das Licht und fragte: "Wer kommt zu mir und zu +meinem schlimmen Schlafe?" + +"Ein Lebendiger und ein Todter, sagte Zarathustra. Gebt mir zu essen +und zu trinken, ich vergass es am Tage. Der, welcher den Hungrigen +speiset, erquickt seine eigene Seele: so spricht die Weisheit." + +Der Alte gieng fort, kam aber gleich zurück und bot Zarathustra Brod +und Wein. "Eine böse Gegend ist's für Hungernde, sagte er; darum wohne +ich hier. Thier und Mensch kommen zu mir, dem Einsiedler. Aber heisse +auch deinen Gefährten essen und trinken, er ist müder als du." +Zarathustra antwortete: "Todt ist mein Gefährte, ich werde ihn +schwerlich dazu überreden." "Das geht mich Nichts an, sagte der Alte +mürrisch; wer an meinem Hause anklopft, muss auch nehmen, was ich ihm +biete. Esst und gehabt euch wohl!" - + +Darauf gieng Zarathustra wieder zwei Stunden und vertraute dem Wege +und dem Lichte der Sterne: denn er war ein gewohnter Nachtgänger und +liebte es, allem Schlafenden in's Gesicht zu sehn. Als aber der Morgen +graute, fand sich Zarathustra in einem tiefen Walde, und kein Weg +zeigte sich ihm mehr. Da legte er den Todten in einen hohlen Baum sich +zu Häupten - denn er wollte ihn vor den Wölfen schützen - und sich +selber auf den Boden und das Moos. Und alsbald schlief er ein, müden +Leibes, aber mit einer unbewegten Seele. + + +9. + +Lange schlief Zarathustra, und nicht nur die Morgenröthe gieng über +sein Antlitz, sondern auch der Vormittag. Endlich aber that sein Auge +sich auf: verwundert sah Zarathustra in den Wald und die Stille, +verwundert sah er in sich hinein. Dann erhob er sich schnell, wie ein +Seefahrer, der mit Einem Male Land sieht, und jauchzte: denn er sah +eine neue Wahrheit. Und also redete er dann zu seinem Herzen: + +Ein Licht gieng mir auf: Gefährten brauche ich und lebendige, - nicht +todte Gefährten und Leichname, die ich mit mir trage, wohin ich will. + +Sondern lebendige Gefährten brauche ich, die mir folgen, weil sie sich +selber folgen wollen - und dorthin, wo ich will. + +Ein Licht gieng mir auf: nicht zum Volke rede Zarathustra, sondern zu +Gefährten! Nicht soll Zarathustra einer Heerde Hirt und Hund werden! + +Viele wegzulocken von der Heerde - dazu kam ich. Zürnen soll mir Volk +und Heerde: Räuber will Zarathustra den Hirten heissen. + +Hirten sage ich, aber sie nennen sich die Guten und Gerechten. Hirten +sage ich: aber sie nennen sich die Gläubigen des rechten Glaubens. + +Siehe die Guten und Gerechten! Wen hassen sie am meisten? Den, der +zerbricht ihre Tafeln der Werthe, den Brecher, den Verbrecher: - das +aber ist der Schaffende. + +Siehe die Gläubigen aller Glauben! Wen hassen sie am meisten? Den, der +zerbricht ihre Tafeln der Werthe, den Brecher, den Verbrecher: - das +aber ist der Schaffende. + +Gefährten sucht der Schaffende und nicht Leichname, und auch nicht +Heerden und Gläubige. Die Mitschaffenden sucht der Schaffende, Die, +welche neue Werthe auf neue Tafeln schreiben. + +Gefährten sucht der Schaffende, und Miterntende: denn Alles steht bei +ihm reif zur Ernte. Aber ihm fehlen die hundert Sicheln: so rauft er +Ähren aus und ist ärgerlich. + +Gefährten sucht der Schaffende, und solche, die ihre Sicheln zu wetzen +wissen. Vernichter wird man sie heissen und Verächter des Guten und +Bösen. Aber die Erntenden sind es und die Feiernden. + +Mitschaffende sucht Zarathustra, Miterntende und Mitfeiernde sucht +Zarathustra: was hat er mit Heerden und Hirten und Leichnamen zu +schaffen! + +Und du, mein erster Gefährte, gehab dich wohl! Gut begrub ich dich in +deinem hohlen Baume, gut barg ich dich vor den Wölfen. + +Aber ich scheide von dir, die Zeit ist um. Zwischen Morgenröthe und +Morgenröthe kam mir eine neue Wahrheit. + +Nicht Hirt soll ich sein, nicht Todtengräber. Nicht reden einmal will +ich wieder mit dem Volke; zum letzten Male sprach ich zu einem Todten. + +Den Schaffenden, den Erntenden, den Feiernden will ich mich +zugesellen: den Regenbogen will ich ihnen zeigen und alle die Treppen +des Übermenschen. + +Den Einsiedlern werde ich mein Lied singen und den Zweisiedlern; und +wer noch Ohren hat für Unerhörtes, dem will ich sein Herz schwer +machen mit meinem Glücke. + +Zu meinem Ziele will ich, ich gehe meinen Gang; über die Zögernden +und Saumseligen werde ich hinwegspringen. Also sei mein Gang ihr +Untergang! + + +10. + +Diess hatte Zarathustra zu seinem Herzen gesprochen, als die Sonne im +Mittag stand: da blickte er fragend in die Höhe - denn er hörte über +sich den scharfen Ruf eines Vogels. Und siehe! Ein Adler zog in weiten +Kreisen durch die Luft, und an ihm hieng eine Schlange, nicht einer +Beute gleich, sondern einer Freundin: denn sie hielt sich um seinen +Hals geringelt. + +"Es sind meine Thiere!" sagte Zarathustra und freute sich von Herzen. + +"Das stolzeste Thier unter der Sonne und das klügste Thier unter der +Sonne - sie sind ausgezogen auf Kundschaft. + +Erkunden wollen sie, ob Zarathustra noch lebe. Wahrlich, lebe ich +noch? + +Gefährlicher fand ich's unter Menschen als unter Thieren, gefährlicher +Wege geht Zarathustra. Mögen mich meine Thiere führen!" + +Als Zarathustra diess gesagt hatte, gedachte er der Worte des Heiligen +im Walde, seufzte und sprach also zu seinem Herzen: + +Möchte ich klüger sein! Möchte ich klug von Grund aus sein, gleich +meiner Schlange! + +Aber Unmögliches bitte ich da: so bitte ich denn meinen Stolz, dass er +immer mit meiner Klugheit gehe! + +Und wenn mich einst meine Klugheit verlässt: - ach, sie liebt es, +davonzufliegen! - möge mein Stolz dann noch mit meiner Thorheit +fliegen! + +- Also begann Zarathustra's Untergang. + + + +Die Reden Zarathustra's + +Von den drei Verwandlungen + +Drei Verwandlungen nenne ich euch des Geistes: wie der Geist zum +Kamele wird, und zum Löwen das Kameel, und zum Kinde zuletzt der +Löwe. + +Vieles Schwere giebt es dem Geiste, dem starken, tragsamen Geiste, dem +Ehrfurcht innewohnt: nach dem Schweren und Schwersten verlangt seine +Stärke. + +Was ist schwer? so fragt der tragsame Geist, so kniet er nieder, dem +Kameele gleich, und will gut beladen sein. + +Was ist das Schwerste, ihr Helden? so fragt der tragsame Geist, dass +ich es auf mich nehme und meiner Stärke froh werde. + +Ist es nicht das: sich erniedrigen, um seinem Hochmuth wehe zu thun? +Seine Thorheit leuchten lassen, um seiner Weisheit zu spotten? + +Oder ist es das: von unserer Sache scheiden, wenn sie ihren Sieg +feiert? Auf hohe Berge steigen, um den Versucher zu versuchen? + +Oder ist es das: sich von Eicheln und Gras der Erkenntniss nähren und +um der Wahrheit willen an der Seele Hunger leiden? + +Oder ist es das: krank sein und die Tröster heimschicken und mit +Tauben Freundschaft schliessen, die niemals hören, was du willst? + +Oder ist es das: in schmutziges Wasser steigen, wenn es das Wasser +der Wahrheit ist, und kalte Frösche und heisse Kröten nicht von sich +weisen? + +Oder ist es das: Die lieben, die uns verachten, und dem Gespenste die +Hand reichen, wenn es uns fürchten machen will? + +Alles diess Schwerste nimmt der tragsame Geist auf sich: dem Kameele +gleich, das beladen in die Wüste eilt, also eilt er in seine Wüste. + +Aber in der einsamsten Wüste geschieht die zweite Verwandlung: zum +Löwen wird hier der Geist, Freiheit will er sich erbeuten und Herr +sein in seiner eignen Wüste. + +Seinen letzten Herrn sucht er sich hier: feind will er ihm werden und +seinem letzten Gotte, um Sieg will er mit dem grossen Drachen ringen. + +Welches ist der grosse Drache, den der Geist nicht mehr Herr und Gott +heissen mag? "Du-sollst" heisst der grosse Drache. Aber der Geist des +Löwen sagt "Ich will". + +"Du-sollst" liegt ihm am Wege, goldfunkelnd, ein Schuppenthier, und +auf jeder Schuppe glänzt golden "Du-sollst!" + +Tausendjährige Werthe glänzen an diesen Schuppen, und also spricht der +mächtigste aller Drachen "aller Werth der Dinge - der glänzt an mir." + +"Aller Werth ward schon geschaffen, und aller geschaffene Werth - das +bin ich. Wahrlich, es soll kein `Ich will` mehr geben!" Also spricht +der Drache. + +Meine Brüder, wozu bedarf es des Löwen im Geiste? Was genügt nicht das +lastbare Thier, das entsagt und ehrfürchtig ist? + +Neue Werthe schaffen - das vermag auch der Löwe noch nicht: aber +Freiheit sich schaffen zu neuem Schaffen - das vermag die Macht des +Löwen. + +Freiheit sich schaffen und ein heiliges Nein auch vor der Pflicht: +dazu, meine Brüder bedarf es des Löwen. + +Recht sich nehmen zu neuen Werthen - das ist das furchtbarste Nehmen +für einen tragsamen und ehrfürchtigen Geist. Wahrlich, ein Rauben ist +es ihm und eines raubenden Thieres Sache. + +Als sein Heiligstes liebte er einst das "Du-sollst": nun muss er Wahn +und Willkür auch noch im Heiligsten finden, dass er sich Freiheit +raube von seiner Liebe: des Löwen bedarf es zu diesem Raube. + +Aber sagt, meine Brüder, was vermag noch das Kind, das auch der Löwe +nicht vermochte? Was muss der raubende Löwe auch noch zum Kinde +werden? + +Unschuld ist das Kind und Vergessen, ein Neubeginnen, ein Spiel, ein +aus sich rollendes Rad, eine erste Bewegung, ein heiliges Ja-sagen. + +Ja, zum Spiele des Schaffens, meine Brüder, bedarf es eines heiligen +Ja-sagens: _seinen_ Willen will nun der Geist, _seine_ Welt gewinnt +sich der Weltverlorene. + +Drei Verwandlungen nannte ich euch des Geistes: wie der Geist zum +Kameele ward, und zum Löwen das Kameel, und der Löwe zuletzt zum +Kinde. -- + +Also sprach Zarathustra. Und damals weilte er in der Stadt, welche +genannt wird: die bunte Kuh. + + + +Von den Lehrstühlen der Tugend + +Man rühmte Zarathustra einen Weisen, der gut vom Schlafe und von der +Tugend zu reden wisse: sehr werde er geehrt und gelohnt dafür, und +alle Jünglinge sässen vor seinem Lehrstuhle. Zu ihm gieng Zarathustra, +und mit allen Jünglingen sass er vor seinem Lehrstuhle. Und also +sprach der Weise: + +Ehre und Scham vor dem Schlafe! Das ist das Erste! Und Allen aus dem +Wege gehn, die schlecht schlafen und Nachts wachen! + +Schamhaft ist noch der Dieb vor dem Schlafe: stets stiehlt er sich +leise durch die Nacht. Schamlos aber ist der Wächter der Nacht, +schamlos trägt er sein Horn. + +Keine geringe Kunst ist schlafen: es thut schon Noth, den ganzen Tag +darauf hin zu wachen. + +Zehn Mal musst du des Tages dich selber überwinden: das macht eine +gute Müdigkeit und ist Mohn der Seele. + +Zehn Mal musst du dich wieder dir selber versöhnen; denn Überwindung +ist Bitterniss, und schlecht schläft der Unversöhnte. + +Zehn Wahrheiten musst du des Tages finden: sonst suchst du noch des +Nachts nach Wahrheit, und deine Seele blieb hungrig. + +Zehn Mal musst du lachen am Tage und heiter sein: sonst stört dich der +Magen in der Nacht, dieser Vater der Trübsal. + +Wenige wissen das: aber man muss alle Tugenden haben, um gut zu +schlafen. Werde ich falsch Zeugniss reden? Werde ich ehebrechen? + +Werde ich mich gelüsten lassen meines Nächsten Magd? Das Alles +vertrüge sich schlecht mit gutem Schlafe. + +Und selbst wenn man alle Tugenden hat, muss man sich noch auf Eins +verstehn: selber die Tugenden zur rechten Zeit schlafen schicken. + +Dass sie sich nicht mit einander zanken, die artigen Weiblein! Und +über dich, du Unglückseliger! + +Friede mit Gott und dem Nachbar: so will es der gute Schlaf. Und +Friede auch noch mit des Nachbars Teufel! Sonst geht er bei dir des +Nachts um. + +Ehre der Obrigkeit und Gehorsam, und auch der krummen Obrigkeit! So +will es der gute Schlaf. Was kann ich dafür, dass die Macht gerne auf +krummen Beinen Wandelt? + +Der soll mir immer der beste Hirt heissen, der sein Schaf auf die +grünste Aue führt: so verträgt es sich mit dem gutem Schlafe. + +Viel Ehren will ich nicht, noch grosse Schätze: das entzündet die +Milz. Aber schlecht schläft es sich ohne einen guten Namen und einen +kleinen Schatz. + +Eine kleine Gesellschaft ist mir willkommener als eine böse: doch muss +sie gehn und kommen zur rechten Zeit. So verträgt es sich mit gutem +Schlafe. + +Sehr gefallen mir auch die Geistig-Armen: sie fördern den Schlaf. +Selig sind die, sonderlich, wenn man ihnen immer Recht giebt. + +Also läuft der Tag dem Tugendsamen. Kommt nun die Nacht, so hüte +ich mich wohl, den Schlaf zu rufen! Nicht will er gerufen sein, der +Schlaf, der der Herr der Tugenden ist! + +Sondern ich denke, was ich des Tages gethan und gedacht. Wiederkäuend +frage ich mich, geduldsam gleich einer Kuh: welches waren doch deine +zehn Überwindungen? + +Und welches waren die zehn Versöhnungen und die zehn Wahrheiten und +die zehn Gelächter, mit denen sich mein Herz gütlich that? + +Solcherlei erwägend und gewiegt von vierzig Gedanken, überfällt mich +auf einmal der Schlaf, der Ungerufne, der Herr der Tugenden. + +Der Schlaf klopft mir auf meine Auge: da wird es schwer. Der Schlaf +berührt mir den Mund: da bleibt er offen. + +Wahrlich, auf weichen Sohlen kommt er mir, der liebste der Diebe, und +stiehlt mir meine Gedanken: dumm stehe ich da wie dieser Lehrstuhl. + +Aber nicht lange mehr stehe ich dann: da liege ich schon. - + +Als Zarathustra den Weisen also sprechen hörte, lachte er bei sich im +Herzen: denn ihm war dabei ein Licht aufgegangen. Und also sprach er +zu seinem Herzen: + +Ein Narr ist mir dieser Weise da mit seinen vierzig Gedanken: aber ich +glaube, dass er sich wohl auf das Schlafen versteht. + +Glücklich schon, wer in der Nähe dieses Weisen wohnt! Solch ein Schlaf +steckt an, noch durch eine dicke Wand hindurch steckt er an. + +Ein Zauber wohnt selbst in seinem Lehrstuhle. Und nicht vergebens +sassen die Jünglinge vor dem Prediger der Tugend. + +Seine Weisheit heisst: wachen, um gut zu schlafen. Und wahrlich, hätte +das Leben keinen Sinn und müsste ich Unsinn wählen, so wäre auch mir +diess der wählenswürdigste Unsinn. + +Jetzo verstehe ich klar, was einst man vor Allem suchte, wenn man +Lehrer der Tugend suchte. Guten Schlaf suchte man sich und mohnblumige +Tugenden dazu! + +Allen diesen gelobten Weisen der Lehrstühle war Weisheit der Schlaf +ohne Träume: sie kannten keinen bessern Sinn des Lebens. + +Auch noch heute wohl giebt es Einige, wie diesen Prediger der Tugend, +und nicht immer so Ehrliche: aber ihre Zeit ist um. Und nicht mehr +lange stehen sie noch: da liegen sie schon. + +Selig sind diese Schläfrigen: denn sie sollen bald einnicken. - + +Also sprach Zarathustra. + + + +Von den Hinterweltlern + +Einst warf auch Zarathustra seinen Wahn jenseits des Menschen, gleich +allen Hinterweltlern. Eines leidenden und zerquälten Gottes Werk +schien mir da die Welt. + +Traum schien mir da die Welt und Dichtung eines Gottes; farbiger Rauch +vor den Augen eines göttlich Unzufriednen. + +Gut und böse und Lust und Leid und Ich und Du - farbiger Rauch dünkte +mich's vor schöpferischen Augen. Wegsehn wollte der Schöpfer von sich, +- da schuf er die Welt. + +Trunkne Lust ist's dem Leidenden, wegzusehn von seinem Leiden und sich +zu verlieren. Trunkne Lust Und Selbst-sich-Verlieren dünkte mich einst +die Welt. + +Diese Welt, die ewig unvollkommene, eines ewigen Widerspruches Abbild +und unvollkommnes Abbild - eine trunkne Lust ihrem unvollkommnen +Schöpfer: - also dünkte mich einst die Welt. + +Also warf auch ich einst meinen Wahn jenseits des Menschen, gleich +allen Hinterweltlern. Jenseits des Menschen in Wahrheit? + +Ach, ihr Brüder, dieser Gott, den ich schuf, war Menschen-Werk und +-Wahnsinn, gleich allen Göttern! + +Mensch war er, und nur ein armes Stück Mensch und Ich: aus der eigenen +Asche und Gluth kam es mir, dieses Gespenst, und wahrlich! Nicht kam +es mir von Jenseits! + +Was geschah, meine Brüder? Ich überwand mich, den Leidenden, ich trug +meine eigne Asche zu Berge, eine hellere Flamme erfand ich mir. Und +siehe! Da _wich_ das Gespenst von mir! + +Leiden wäre es mir jetzt und Qual dem Genesenen, solche Gespenster zu +glauben: Leiden wäre es mir jetzt und Erniedrigung. Also rede ich zu +den Hinterweltlern. + +Leiden war's und Unvermögen - das schuf alle Hinterwelten; und jener +kurze Wahnsinn des Glücks, den nur der Leidendste erfährt. + +Müdigkeit, die mit Einem Sprunge zum Letzten will, mit einem +Todessprunge, eine arme unwissende Müdigkeit, die nicht einmal mehr +wollen will: die schuf alle Götter und Hinterwelten. + +Glaubt es mir, meine Brüder! Der Leib war's, der am Leibe +verzweifelte, - der tastete mit den Fingern des bethörten Geistes an +die letzten Wände. + +Glaubt es mir, meine Brüder! Der Leib war's, der an der Erde +verzweifelte, - der hörte den Bauch des Seins zu sich reden. + +Und da wollte er mit dem Kopfe durch die letzten Wände, und nicht nur +mit dem Kopfe, - hinüber zu "jener Welt". + +Aber "jene Welt" ist gut verborgen vor dem Menschen, jene entmenschte +unmenschliche Welt, die ein himmlisches Nichts ist; und der Bauch des +Seins redet gar nicht zum Menschen, es sei denn als Mensch. + +Wahrlich, schwer zu beweisen ist alles Sein und schwer zum Reden zu +bringen. Sagt mir, ihr Brüder, ist nicht das Wunderlichste aller Dinge +noch am besten bewiesen? + +Ja, diess Ich und des Ich's Widerspruch und Wirrsal redet noch am +redlichsten von seinem Sein, dieses schaffende, wollende, werthende +Ich, welches das Maass und der Werth der Dinge ist. + +Und diess redlichste Sein, das Ich - das redet vom Leibe, und es will +noch den Leib, selbst wenn es dichtet und schwärmt und mit zerbrochnen +Flügeln flattert. + +Immer redlicher lernt es reden, das Ich: und je mehr es lernt, um so +mehr findet es Worte und Ehren für Leib und Erde. + +Einen neuen Stolz lehrte mich mein Ich, den lehre ich die Menschen: +- nicht mehr den Kopf in den Sand der himmlischen Dinge zu stecken, +sondern frei ihn zu tragen, einen Erden-Kopf, der der Erde Sinn +schafft! + +Einen neuen Willen lehre ich die Menschen: diesen Weg wollen, den +blindlings der Mensch gegangen, und gut ihn heissen und nicht mehr von +ihm bei Seite schleichen, gleich den Kranken und Absterbenden! + +Kranke und Absterbende waren es, die verachteten Leib und Erde und +erfanden das Himmlische und die erlösenden Blutstropfen: aber auch +noch diese süssen und düstern Gifte nahmen sie von Leib und Erde! + +Ihrem Elende wollten sie entlaufen, und die Sterne waren ihnen zu +weit. Da seufzten sie: "Oh dass es doch himmlische Wege gäbe, sich in +ein andres Sein und Glück zu schleichen!" - da erfanden sie sich ihre +Schliche und blutigen Tränklein! + +Ihrem Leibe und dieser Erde nun entrückt wähnten sie sich, diese +Undankbaren. Doch wem dankten sie ihrer Entrückung Krampf und Wonne? +Ihrem Leibe und dieser Erde. + +Milde ist Zarathustra den Kranken. Wahrlich, er zürnt nicht ihren +Arten des Trostes und Undanks. Mögen sie Genesende werden und +Überwindende und einen höheren Leib sich schaffen! + +Nicht auch zürnt Zarathustra dem Genesenden, wenn er zärtlich nach +seinem Wahne blickt und Mitternachts um das Grab seines Gottes +schleicht: aber Krankheit und kranker Leib bleiben mir auch seine +Thränen noch. + +Vieles krankhafte Volk gab es immer unter Denen, welche dichten und +gottsüchtig sind; wüthend hassen sie den Erkennenden und jene jüngste +der Tugenden, welche heisst: Redlichkeit. + +Rückwärts blicken sie immer nach dunklen Zeiten: da freilich war Wahn +und Glaube ein ander Ding; Raserei der Vernunft war Gottähnlichkeit, +und Zweifel Sünde. + +Allzugut kenne ich diese Gottähnlichen: sie wollen, dass an sie +geglaubt werde, und Zweifel Sünde sei. Allzugut weiss ich auch, woran +sie selber am besten glauben. + +Wahrlich nicht an Hinterwelten und erlösende Blutstropfen: sondern an +den Leib glauben auch sie am besten, und ihr eigener Leib ist ihnen +ihr Ding an sich. + +Aber ein krankhaftes Ding ist er ihnen: und gerne möchten sie aus +der Haut fahren. Darum horchen sie nach den Predigern des Todes und +predigen selber Hinterwelten. + +Hört mir lieber, meine Brüder, auf die Stimme des gesunden Leibes: +eine redlichere und reinere Simme ist diess. + +Redlicher redet und reiner der gesunde Leib, der vollkommne und +rechtwinklige: und er redet vom Sinn der Erde. + +Also sprach Zarathustra. + + + +Von den Verächtern des Leibes + +Den Verächtern des Leibes will ich mein Wort sagen. Nicht umlernen und +umlehren sollen sie mir, sondern nur ihrem eignen Leibe Lebewohl sagen +- und also stumm werden. + +"Leib bin ich und Seele" - so redet das Kind. Und warum sollte man +nicht wie die Kinder reden? + +Aber der Erwachte, der Wissende sagt: Leib bin ich ganz und gar, und +Nichts ausserdem; und Seele ist nur ein Wort für ein Etwas am Leibe. + +Der Leib ist eine grosse Vernunft, eine Vielheit mit Einem Sinne, ein +Krieg und ein Frieden, eine Heerde und ein Hirt. + +Werkzeug deines Leibes ist auch deine kleine Vernunft, mein Bruder, +die du "Geist" nennst, ein kleines Werk- und Spielzeug deiner grossen +Vernunft. + +"Ich" sagst du und bist stolz auf diess Wort. Aber das Grössere ist, +woran du nicht glauben willst, - dein Leib und seine grosse Vernunft: +die sagt nicht Ich, aber thut Ich. + +Was der Sinn fühlt, was der Geist erkennt, das hat niemals in sich +sein Ende. Aber Sinn und Geist möchten dich überreden, sie seien aller +Dinge Ende: so eitel sind sie. + +Werk- und Spielzeuge sind Sinn und Geist: hinter ihnen liegt noch das +Selbst. Das Selbst sucht auch mit den Augen der Sinne, es horcht auch +mit den Ohren des Geistes. + +Immer horcht das Selbst und sucht: es vergleicht, bezwingt, erobert, +zerstört. Es herrscht und ist auch des Ich's Beherrscher. + +Hinter deinen Gedanken und Gefühlen, mein Bruder, steht ein mächtiger +Gebieter, ein unbekannter Weiser - der heisst Selbst. In deinem Leibe +wohnt er, dein Leib ist er. + +Es ist mehr Vernunft in deinem Leibe, als in deiner besten Weisheit. +Und wer weiss denn, wozu dein Leib gerade deine beste Weisheit nöthig +hat? + +Dein Selbst lacht über dein Ich und seine stolzen Sprünge. "Was sind +mir diese Sprünge und Flüge des Gedankens? sagt es sich. Ein Umweg +zu meinem Zwecke. Ich bin das Gängelband des Ich's und der Einbläser +seiner Begriffe." + +Das Selbst sagt zum Ich: "hier fühle Schmerz!" Und da leidet es und +denkt nach, wie es nicht mehr leide - und dazu eben _soll_ es denken. + +Das Selbst sagt zum Ich: "hier fühle Lust!" Da freut es sich und denkt +nach, wie es noch oft sich freue - und dazu eben _soll_ es denken. + +Den Verächtern des Leibes will ich ein Wort sagen. Dass sie verachten, +das macht ihr Achten. Was ist es, das Achten und Verachten und Werth +und Willen schuf? + +Das schaffende Selbst schuf sich Achten und Verachten, es schuf sich +Lust und Weh. Der schaffende Leib schuf sich den Geist als eine Hand +seines Willens. + +Noch in eurer Thorheit und Verachtung, ihr Verächter des Leibes, dient +ihr eurem Selbst. Ich sage euch: euer Selbst selber will sterben und +kehrt sich vom Leben ab. + +Nicht mehr vermag es das, was es am liebsten wilI: - über sich hinaus +zu schaffen. Das will es am liebsten, das ist seine ganze Inbrunst. + +Aber zu spät ward es ihm jetzt dafür: - so will euer Selbst untergehn, +ihr Verächter des Leibes. + +Untergehn will euer Selbst, und darum wurdet ihr zu Verächtern des +Leibes! Denn nicht mehr vermögt ihr über euch hinaus zu schaffen. + +Und darum zürnt ihr nun dem Leben und der Erde. Ein ungewusster Neid +ist im scheelen Blick eurer Verachtung. + +Ich gehe nicht euren Weg, ihr Verächter des Leibes! Ihr seid mir keine +Brücken zum Übermenschen! - + +Also sprach Zarathustra. + + + +Von den Freuden- und Leidenschaften + +Mein Bruder, wenn du eine Tugend hast, und es deine Tugend ist, so +hast du sie mit Niemandem gemeinsam. + +Freilich, du willst sie bei Namen nennen und liebkosen; du willst sie +am Ohre zupfen und Kurzweil mit ihr treiben. + +Und siehe! Nun hast du ihren Namen mit dem Volke gemeinsam und bist +Volk und Heerde geworden mit deiner Tugend! + +Besser thätest du, zu sagen: "unaussprechbar ist und namenlos, was +meiner Seele Qual und Süsse macht und auch noch der Hunger meiner +Eingeweide ist." + +Deine Tugend sei zu hoch für die Vertraulichkeit der Namen: und musst +du von ihr reden, so schäme dich nicht, von ihr zu stammeln. + +So sprich und stammle: "Das ist _mein_ Gutes, das liebe ich, so +gefällt es mir ganz, so allein will ich das Gute. + +Nicht will ich es als eines Gottes Gesetz, nicht will ich es als +eine Menschen-Satzung und -Nothdurft: kein Wegweiser sei es mir für +Über-Erden und Paradiese. + +Eine irdische Tugend ist es, die ich liebe: wenig Klugheit ist darin +und am wenigsten die Vernunft Aller. + +Aber dieser Vogel baute bei mir sich das Nest: darum liebe und herze +ich ihn, - nun sitze er bei mir auf seinen goldnen Eiern." + +So sollst du stammeln und deine Tugend loben. + +Einst hattest du Leidenschaften und nanntest sie böse. Aber jetzt hast +du nur noch deine Tugenden: die wuchsen aus deinen Leidenschaften. + +Du legtest dein höchstes Ziel diesen Leidenschaften an's Herz: da +wurden sie deine Tugenden und Freudenschaften. + +Und ob du aus dem Geschlechte der Jähzornigen wärest oder aus dem der +Wollüstigen oder der Glaubens-Wüthigen oder der Rachsüchtigen: + +Am Ende wurden alle deine Leidenschaften zu Tugenden und alle deine +Teufel zu Engeln. + +Einst hattest du wilde Hunde in deinem Keller: aber am Ende +verwandelten sie sich zu Vögeln und lieblichen Sängerinnen. + +Aus deinen Giften brautest du dir deinen Balsam; deine Kuh Trübsal +melktest du, - nun trinkst du die süsse Milch ihres Euters. + +Und nichts Böses wächst mehr fürderhin aus dir, es sei denn das Böse, +das aus dem Kampfe deiner Tugenden wächst. + +Mein Bruder, wenn du Glück hast, so hast du Eine Tugend und nicht +mehr: so gehst du leichter über die Brücke. + +Auszeichnend ist es, viele Tugenden zu haben, aber ein schweres Loos; +und Mancher gieng in die Wüste und tödtete sich, weil er müde war, +Schlacht und Schlachtfeld von Tugenden zu sein. + +Mein Bruder, ist Krieg und Schlacht böse? Aber nothwendig ist diess +Böse, nothwendig ist der Neid und das Misstrauen und die Verleumdung +unter deinen Tugenden. + +Siehe, wie jede deiner Tugenden begehrlich ist nach dem Höchsten: sie +will deinen ganzen Geist, dass er _ihr_ Herold sei, sie will deine +ganze Kraft in Zorn, Hass und Liebe. + +Eifersüchtig ist jede Tugend auf die andre, und ein furchtbares Ding +ist Eifersucht. Auch Tugenden können an der Eifersucht zu Grunde gehn. + +Wen die Flamme der Eifersucht umringt, der wendet zuletzt, gleich dem +Scorpione, gegen sich selber den vergifteten Stachel. + +Ach, mein Bruder, sahst du noch nie eine Tugend sich selber verleumden +und erstechen? + +Der Mensch ist Etwas, das überwunden werden muss: und darum sollst du +deine Tugenden lieben, - denn du wirst an ihnen zu Grunde gehn. - + +Also sprach Zarathustra. + + + +Vom bleichen Verbrecher + +Ihr wollt nicht tödten, ihr Richter und Opferer, bevor das Thier nicht +genickt hat? Seht, der bleiche Verbrecher hat genickt: aus seinem Auge +redet die grosse Verachtung. + +"Mein Ich ist Etwas, das überwunden werden soll: mein Ich ist mir die +grosse Verachtung des Menschen": so redet es aus diesem Auge. + +Dass er sich selber richtete, war sein höchster Augenblick: lasst den +Erhabenen nicht wieder zurück in sein Niederes! + +Es giebt keine Erlösung für Den, der so an sich selber leidet, es sei +denn der schnelle Tod. + +Euer Tödten, ihr Richter, soll ein Mitleid sein und keine Rache. Und +indem ihr tödtet, seht zu, dass ihr selber das Leben rechtfertiget! + +Es ist nicht genug, dass ihr euch mit Dem versöhnt, den ihr tödtet. +Eure Traurigkeit sei Liebe zum Übermenschen: so rechtfertigt ihr euer +Noch-Leben! + +"Feind" sollt ihr sagen, aber nicht "Bösewicht"; "Kranker" sollt +ihr sagen, aber nicht "Schuft"; "Thor" sollt ihr sagen, aber nicht +"Sünder". + +Und du, rother Richter, wenn du laut sagen wolltest, was du Alles +schon in Gedanken gethan hast: so würde Jedermann schreien: "Weg mit +diesem Unflath und Giftwurm!" + +Aber ein Anderes ist der Gedanke, ein Anderes die That, ein Anderes +das Bild der That. Das Rad des Grundes rollt nicht zwischen ihnen. + +Ein Bild machte diesen bleichen Menschen bleich. Gleichwüchsig war er +seiner That, als er sie that: aber ihr Bild ertrug er nicht, als sie +gethan war. + +Immer sah er sich nun als Einer That Thäter. Wahnsinn heisse ich +diess: die Ausnahme verkehrte sich ihm zum Wesen. + +Der Strich bannt die Henne; der Streich, den er führte, bannte seine +arme Vernunft - den Wahnsinn _nach_ der That heisse ich diess. + +Hört, ihr Richter! Einen anderen Wahnsinn giebt es noch: und der ist +vor der That. Ach, ihr krocht mir nicht tief genug in diese Seele! + +So spricht der rothe Richter: "was mordete doch dieser Verbrecher? Er +wollte rauben." Aber ich sage euch: seine Seele wollte Blut, nicht +Raub: er dürstete nach dem Glück des Messers! + +Seine arme Vernunft aber begriff diesen Wahnsinn nicht und überredete +ihn. "Was liegt an Blut! sprach sie; willst du nicht zum Mindesten +einen Raub dabei machen? Eine Rache nehmen?" + +Und er horchte auf seine arme Vernunft: wie Blei lag ihre Rede auf +ihm, - da raubte er, als er mordete. Er wollte sich nicht seines +Wahnsinns schämen. + +Und nun wieder liegt das Blei seiner Schuld auf ihm, und wieder ist +seine arme Vernunft so steif, so gelähmt, so schwer. + +Wenn er nur den Kopf schütteln könnte, so würde seine Last +herabrollen: aber wer schüttelt diesen Kopf? + +Was ist dieser Mensch? Ein Haufen von Krankheiten, welche durch den +Geist in die Welt hinausgreifen: da wollen sie ihre Beute machen. + +Was ist dieser Mensch? Ein Knäuel wilder Schlangen, welche selten bei +einander Ruhe haben, - da gehn sie für sich fort und suchen Beute in +der Welt. + +Seht diesen armen Leib! Was er litt und begehrte, das deutete sich +diese arme Seele, - sie deutete es als mörderische Lust und Gier nach +dem Glück des Messers. + +Wer jetzt krank wird, den überfällt das Böse, das jetzt böse ist: wehe +will er thun, mit dem, was ihm wehe thut. Aber es gab andre Zeiten und +ein andres Böses und Gutes. + +Einst war der Zweifel böse und der Wille zum Selbst. Damals wurde der +Kranke zum Ketzer und zur Hexe: als Ketzer und Hexe litt er und wollte +leiden machen. + +Aber diess will nicht in eure Ohren: euren Guten schade es, sagt ihr +mir. Aber was liegt mir an euren Guten! + +Vieles an euren Guten macht mir Ekel, und wahrlich nicht ihr Böses. +Wollte ich doch, sie hätten einen Wahnsinn, an dem sie zu Grunde +giengen, gleich diesem bleichen Verbrecher! + +Wahrlich, ich wollte, ihr Wahnsinn hiesse Wahrheit oder Treue oder +Gerechtigkeit: aber sie haben ihre Tugend, um lange zu leben und in +einem erbärmlichen Behagen. + +Ich bin ein Geländer am Strome: fasse mich, wer mich fassen kann! Eure +Krücke aber bin ich nicht. - + +Also sprach Zarathustra. + + + +Vom Lesen und Schreiben + +Von allem Geschriebenen liebe ich nur Das, was Einer mit seinem Blute +schreibt. Schreibe mit Blut: und du wirst erfahren, dass Blut Geist +ist. + +Es ist nicht leicht möglich, fremdes Blut zu verstehen: ich hasse die +lesenden Müssiggänger. + +Wer den Leser kennt, der thut Nichts mehr für den Leser. Noch ein +Jahrhundert Leser - und der Geist selber wird stinken. + +Dass Jedermann lesen lernen darf, verdirbt auf die Dauer nicht allein +das Schreiben, sondern auch das Denken. + +Einst war der Geist Gott, dann wurde er zum Menschen und jetzt wird er +gar noch Pöbel. + +Wer in Blut und Sprüchen schreibt, der will nicht gelesen, sondern +auswendig gelernt werden. + +Im Gebirge ist der nächste Weg von Gipfel zu Gipfel: aber dazu musst +du lange Beine haben. Sprüche sollen Gipfel sein: und Die, zu denen +gesprochen wird, Grosse und Hochwüchsige. + +Die Luft dünn und rein, die Gefahr nahe und der Geist voll einer +fröhlichen Bosheit: so passt es gut zu einander. + +Ich will Kobolde um mich haben, denn ich bin muthig. Muth, der die +Gespenster verscheucht, schafft sich selber Kobolde, - der Muth will +lachen. + +Ich empfinde nicht mehr mit euch: diese Wolke, die ich unter mir sehe, +diese Schwärze und Schwere, über die ich lache, - gerade das ist eure +Gewitterwolke. + +Ihr seht nach Oben, wenn ihr nach Erhebung verlangt. Und ich sehe +hinab, weil ich erhoben bin. + +Wer von euch kann zugleich lachen und erhoben sein? + +Wer auf den höchsten Bergen steigt, der lacht über alle Trauer-Spiele +und Trauer-Ernste. + +Muthig, unbekümmert, spöttisch, gewaltthätig - so will uns die +Weisheit: sie ist ein Weib und liebt immer nur einen Kriegsmann. + +Ihr sagt mir: "das Leben ist schwer zu tragen." Aber wozu hättet ihr +Vormittags euren Stolz und Abends eure Ergebung? + +Das Leben ist schwer zu tragen: aber so thut mir doch nicht so +zärtlich! Wir sind allesammt hübsche lastbare Esel und Eselinnen. + +Was haben wir gemein mit der Rosenknospe, welche zittert, weil ihr ein +Tropfen Thau auf dem Leibe liegt? + +Es ist wahr: wir lieben das Leben, nicht, weil wir an's Leben, sondern +weil wir an's Lieben gewöhnt sind. + +Es ist immer etwas Wahnsinn in der Liebe. Es ist aber immer auch etwas +Vernunft im Wahnsinn. + +Und auch mir, der ich dem Leben gut bin, scheinen Schmetterlinge und +Seifenblasen und was ihrer Art unter Menschen ist, am meisten vom +Glücke zu wissen. + +Diese leichten thörichten zierlichen beweglichen Seelchen flattern zu +sehen - das verführt Zarathustra zu Thränen und Liedern. + +Ich würde nur an einen Gott glauben, der zu tanzen verstünde. + +Und als ich meinen Teufel sah, da fand ich ihn ernst, gründlich, tief, +feierlich: es war der Geist der Schwere, - durch ihn fallen alle +Dinge. + +Nicht durch Zorn, sondern durch Lachen tödtet man. Auf, lasst uns den +Geist der Schwere tödten! + +Ich habe gehen gelernt: seitdem lasse ich mich laufen. Ich habe +fliegen gelernt: seitdem will ich nicht erst gestossen sein, um von +der Stelle zu kommen. + +Jetzt bin ich leicht, jetzt fliege ich, jetzt sehe ich mich unter mir, +jetzt tanzt ein Gott durch mich. + +Also sprach Zarathustra. + + + +Vom Baum am Berge + +Zarathustra's Auge hatte gesehn, dass ein Jüngling ihm auswich. Und +als er eines Abends allein durch die Berge gieng, welche die Stadt +umschliessen, die genannt wird "die bunte Kuh": siehe, da fand er im +Gehen diesen Jüngling, wie er an einen Baum gelehnt sass und müden +Blickes in das Thal schaute. Zarathustra fasste den Baum an, bei +welchem der Jüngling sass, und sprach also: + +Wenn ich diesen Baum da mit meinen Händen schütteln wollte, ich würde +es nicht vermögen. + +Aber der Wind, den wir nicht sehen, der quält und biegt ihn, wohin er +will. Wir werden am schlimmsten von unsichtbaren Händen gebogen und +gequält. + +Da erhob sich der Jüngling bestürzt und sagte: "ich höre Zarathustra +und eben dachte ich an ihn." Zarathustra entgegnete: + +"Was erschrickst du desshalb? - Aber es ist mit dem Menschen wie mit +dem Baume. + +Je mehr er hinauf in die Höhe und Helle will, um so stärker streben +seine Wurzeln erdwärts, abwärts, in's Dunkle, Tiefe, - in's Böse." + +"Ja in's Böse! rief der Jüngling. Wie ist es möglich, dass du meine +Seele entdecktest?" + +Zarathustra lächelte und sprach: "Manche Seele wird man nie entdecken, +es sei denn, dass man sie zuerst erfindet." "Ja in's Böse! rief der +Jüngling nochmals. + +Du sagtest die Wahrheit, Zarathustra. Ich traue mir selber nicht +mehr, seitdem ich in die Höhe will, und Niemand traut mir mehr, - wie +geschieht diess doch? + +Ich verwandele mich zu schnell: mein Heute widerlegt mein Gestern. Ich +überspringe oft die Stufen, wenn ich steige, - das verzeiht mir keine +Stufe. + +Bin ich oben, so finde ich mich immer allein. Niemand redet mit mir, +der Frost der Einsamkeit macht mich zittern. Was will ich doch in der +Höhe? + +Meine Verachtung und meine Sehnsucht wachsen mit einander; je höher +ich steige, um so mehr verachte ich Den, der steigt. Was will er doch +in der Höhe? + +Wie schäme ich mich meines Steigens und Stolperns! Wie spotte ich +meines heftigen Schnaubens! Wie hasse ich den Fliegenden! Wie müde bin +ich in der Höhe!" + +Hier schwieg der Jüngling. Und Zarathustra betrachtete den Baum, an +dem sie standen, und sprach also: + +Dieser Baum steht einsam hier am Gebirge; er wuchs hoch hinweg über +Mensch und Thier. + +Und wenn er reden wollte, er würde Niemanden haben, der ihn verstünde: +so hoch wuchs er. + +Nun wartet er und wartet, - worauf wartet er doch? Er wohnt dem Sitze +der Wolken zu nahe: er wartet wohl auf den ersten Blitz? + +Als Zarathustra diess gesagt hatte, rief der Jüngling mit heftigen +Gebärden: "Ja, Zarathustra, du sprichst die Wahrheit. Nach meinem +Untergange verlangte ich, als ich in die Höhe wollte, und du bist der +Blitz, auf den ich wartete! Siehe, was bin ich noch, seitdem du uns +erschienen bist? Der _Neid_ auf dich ist's, der mich zerstört hat!" - +So sprach der Jüngling und weinte bitterlich. Zarathustra aber legte +seinen Arm um ihn und führte ihn mit sich fort. + +Und als sie eine Weile mit einander gegangen waren, hob Zarathustra +also an zu sprechen: + +Es zerreisst mir das Herz. Besser als deine Worte es sagen, sagt mir +dein Auge alle deine Gefahr. + +Noch bist du nicht frei, du _suchst_ noch nach Freiheit. Übernächtig +machte dich dein Suchen und überwach. + +In die freie Höhe willst du, nach Sternen dürstet deine Seele. Aber +auch deine schlimmen Triebe dürsten nach Freiheit. + +Deine wilden Hunde wollen in die Freiheit; sie bellen vor Lust in +ihrem Keller, wenn dein Geist alle Gefängnisse zu lösen trachtet. + +Noch bist du mir ein Gefangner, der sich Freiheit ersinnt: ach, klug +wird solchen Gefangnen die Seele, aber auch arglistig und schlecht. + +Reinigen muss sich noch der Befreite des Geistes. Viel Gefängniss und +Moder ist noch in ihm zurück: rein muss noch sein Auge werden. + +Ja, ich kenne deine Gefahr. Aber bei meiner Liebe und Hoffnung +beschwöre ich dich: wirf deine Liebe und Hoffnung nicht weg! + +Edel fühlst du dich noch, und edel fühlen dich auch die Andern noch, +die dir gram sind und böse Blicke senden. Wisse, dass Allen ein Edler +im Wege steht. + +Auch den Guten steht ein Edler im Wege: und selbst wenn sie ihn einen +Guten nennen, so wollen sie ihn damit bei Seite bringen. + +Neues will der Edle schaffen und eine neue Tugend. Altes will der +Gute, und dass Altes erhalten bleibe. + +Aber nicht das ist die Gefahr des Edlen, dass er ein Guter werde, +sondern ein Frecher, ein Höhnender, ein Vernichter. + +Ach, ich kannte Edle, die verloren ihre höchste Hoffnung. Und nun +verleumdeten sie alle hohen Hoffnungen. + +Nun lebten sie frech in kurzen Lüsten, und über den Tag hin warfen sie +kaum noch Ziele. + +"Geist ist auch Wollust" - so sagten sie. Da zerbrachen ihrem Geiste +die Flügel: nun kriecht er herum und beschmutzt im Nagen. + +Einst dachten sie Helden zu werden: Lüstlinge sind es jetzt. Ein Gram +und ein Grauen ist ihnen der Held. + +Aber bei meiner Liebe und Hoffnung beschwöre ich dich: wirf den Helden +in deiner Seele nicht weg! Halte heilig deine höchste Hoffnung! - + +Also sprach Zarathustra. + + + +Von den Predigern des Todes + +Es giebt Prediger des Todes: und die Erde ist voll von Solchen, denen +Abkehr gepredigt werden muss vom Leben. + +Voll ist die Erde von Überflüssigen, verdorben ist das Leben durch die +Viel-zu-Vielen. Möge man sie mit dem "ewigen Leben" aus diesem Leben +weglocken! + +"Gelbe": so nennt man die Prediger des Todes, oder "Schwarze". Aber +ich will sie euch noch in andern Farben zeigen. + +Da sind die Fürchterlichen, welche in sich das Raubthier herumtragen +und keine Wahl haben, es sei denn Lüste oder Selbstzerfleischung. Und +auch ihre Lüste sind noch Selbstzerfleischung. + +Sie sind noch nicht einmal Menschen geworden, diese Fürchterlichen: +mögen sie Abkehr predigen vom Leben und selber dahinfahren! + +Da sind die Schwindsüchtigen der Seele: kaum sind sie geboren, so +fangen sie schon an zu sterben und sehnen sich nach Lehren der +Müdigkeit und Entsagung. + +Sie wollen gerne todt sein, und wir sollten ihren Willen gut heissen! +Hüten wir uns, diese Todten zu erwecken und diese lebendigen Särge zu +versehren! + +Ihnen begegnet ein Kranker oder ein Greis oder ein Leichnam; und +gleich sagen sie "das Leben ist widerlegt!" + +Aber nur sie sind widerlegt und ihr Auge, welches nur das Eine Gesicht +sieht am Dasein. + +Eingehüllt in dicke Schwermuth und begierig auf die kleinen Zufälle, +welche den Tod bringen: so warten sie und beissen die Zähne auf +einander. + +Oder aber: sie greifen nach Zuckerwerk und spotten ihrer Kinderei +dabei: sie hängen an ihrem Strohhalm Leben und spotten, dass sie noch +an einem Strohhalm hängen. + +Ihre Weisheit lautet: "ein Thor, der leben bleibt, aber so sehr sind +wir Thoren! Und das eben ist das Thörichtste am Leben!" - + +"Das Leben ist nur Leiden" - so sagen Andre und lügen nicht: so sorgt +doch, dass _ihr_ aufhört! So sorgt doch, dass das Leben aufhört, +welches nur Leiden ist! + +Und also laute die Lehre eurer Tugend "du sollst dich selber tödten! +Du sollst dich selber davonstehlen!" - + +"Wollust ist Sünde, - so sagen die Einen, welche den Tod predigen - +lasst uns bei Seite gehn und keine Kinder zeugen!" + +"Gebären ist mühsam, - sagen dich Andern - wozu noch gebären? Man +gebiert nur Unglückliche!" Und auch sie sind Prediger des Todes. + +"Mitleid thut noth - so sagen die Dritten. Nehmt hin, was ich habe! +Nehmt hin, was ich bin! Um so weniger bindet mich das Leben!" + +Wären sie Mitleidige von Grund aus, so würden sie ihren Nächsten das +Leben verleiden. Böse sein - das wäre ihre rechte Güte. + +Aber sie wollen loskommen vom Leben: was schiert es sie, dass sie +Andre mit ihren Ketten und Geschenken noch fester binden! - + +Und auch ihr, denen das Leben wilde Arbeit und Unruhe ist: seid ihr +nicht sehr müde des Lebens? Seid ihr nicht sehr reif für die Predigt +des Todes? + +Ihr Alle, denen die wilde Arbeit lieb ist und das Schnelle, Neue, +Fremde, - ihr ertragt euch schlecht, euer Fleiss ist Flucht und Wille, +sich selber zu vergessen. + +Wenn ihr mehr an das Leben glaubtet, würdet ihr weniger euch dem +Augenblicke hinwerfen. Aber ihr habt zum Warten nicht Inhalt genug in +euch - und selbst zur Faulheit nicht! + +Überall ertönt die Stimme Derer, welche den Tod predigen: und die Erde +ist voll von Solchen, welchen der Tod gepredigt werden muss. + +Oder "das ewige Leben": das gilt mir gleich, - wofern sie nur schnell +dahinfahren! + +Also sprach Zarathustra. + + + +Vom Krieg und Kriegsvolke + +Von unsern besten Feinden wollen wir nicht geschont sein, und auch von +Denen nicht, welche wir von Grund aus lieben. So lasst mich denn euch +die Wahrheit sagen! + +Meine Brüder im Kriege! Ich liebe euch von Grund aus, ich bin und war +Euresgleichen. Und ich bin auch euer bester Feind. So lasst mich denn +euch die Wahrheit sagen! + +Ich weiss um den Hass und Neid eures Herzens. Ihr seid nicht gross +genug, um Hass und Neid nicht zu kennen. So seid denn gross genug, +euch ihrer nicht zu schämen! + +Und wenn ihr nicht Heilige der Erkenntniss sein könnt, so seid mir +wenigstens deren Kriegsmänner. Das sind die Gefährten und Vorläufer +solcher Heiligkeit. + +Ich sehe viel Soldaten: möchte ich viel Kriegsmänner sehn! "Ein-form" +nennt man's, was sie tragen: möge es nicht Ein-form sein, was sie +damit verstecken! + +Ihr sollt mir Solche sein, deren Auge immer nach einem Feinde sucht - +nach _eurem_ Feinde. Und bei Einigen von euch giebt es einen Hass auf +den ersten Blick. + +Euren Feind sollt ihr suchen, euren Krieg sollt ihr führen und +für eure Gedanken! Und wenn euer Gedanke unterliegt, so soll eure +Redlichkeit darüber noch Triumph rufen! + +Ihr sollt den Frieden lieben als Mittel zu neuen Kriegen. Und den +kurzen Frieden mehr, als den langen. + +Euch rathe ich nicht zur Arbeit, sondern zum Kampfe. Euch rathe ich +nicht zum Frieden, sondern zum Siege. Eure Arbeit sei ein Kampf, euer +Friede sei ein Sieg! + +Man kann nur schweigen und stillsitzen, wenn man Pfeil und Bogen hat: +sonst schwätzt und zankt man. Euer Friede sei ein Sieg! + +Ihr sagt, die gute Sache sei es, die sogar den Krieg heilige? Ich sage +euch: der gute Krieg ist es, der jede Sache heiligt. + +Der Krieg und der Muth haben mehr grosse Dinge gethan, als die +Nächstenliebe. Nicht euer Mitleiden, sondern eure Tapferkeit rettete +bisher die Verunglückten. + +Was ist gut? fragt ihr. Tapfer sein ist gut. Lasst die kleinen Mädchen +reden: "gut sein ist, was hübsch zugleich und rührend ist." + +Man nennt euch herzlos: aber euer Herz ist ächt, und ich liebe die +Scham eurer Herzlichkeit. Ihr schämt euch eurer Fluth, und Andre +schämen sich ihrer Ebbe. + +Ihr seid hässlich? Nun wohlan, meine Brüder! So nehmt das Erhabne um +euch, den Mantel des Hässlichen! + +Und wenn eure Seele gross wird, so wird sie übermüthig, und in eurer +Erhabenheit ist Bosheit. Ich kenne euch. + +In der Bosheit begegnet sich der Übermüthige mit dem Schwächlinge. +Aber sie missverstehen einander. Ich kenne euch. + +Ihr dürft nur Feinde haben, die zu hassen sind, aber nicht Feinde zum +Verachten. Ihr müsst stolz auf euern Feind sein: dann sind die Erfolge +eures Feindes auch eure Erfolge. + +Auflehnung - das ist die Vornehmheit am Sclaven. Eure Vornehmheit sei +Gehorsam! Euer Befehlen selber sei ein Gehorchen! + +Einem guten Kriegsmanne klingt "du sollst" angenehmer, als "ich will". +Und Alles, was euch lieb ist, sollt ihr euch erst noch befehlen +lassen. + +Eure Liebe zum Leben sei Liebe zu eurer höchsten Hoffnung: und eure +höchste Hoffnung sei der höchste Gedanke des Lebens! + +Euren höchsten Gedanken aber sollt ihr euch von mir befehlen lassen - +und er lautet: der Mensch ist Etwas, das überwunden werden soll. + +So lebt euer Leben des Gehorsams und des Krieges! Was liegt am +Lang-Leben! Welcher Krieger will geschont sein! + +Ich schone euch nicht, ich liebe euch von Grund aus, meine Brüder im +Kriege! - + +Also sprach Zarathustra. + + + +Vom neuen Götzen + +Irgendwo giebt es noch Völker und Heerden, doch nicht bei uns, meine +Brüder: da giebt es Staaten. + +Staat? Was ist das? Wohlan! Jetzt thut mir die Ohren auf, denn jetzt +sage ich euch mein Wort vom Tode der Völker. + +Staat heisst das kälteste aller kalten Ungeheuer. Kalt lügt es auch; +und diese Lüge kriecht aus seinem Munde: "Ich, der Staat, bin das +Volk." + +Lüge ist's! Schaffende waren es, die schufen die Völker und hängten +einen Glauben und eine Liebe über sie hin: also dienten sie dem Leben. + +Vernichter sind es, die stellen Fallen auf für Viele und heissen sie +Staat: sie hängen ein Schwert und hundert Begierden über sie hin. + +Wo es noch Volk giebt, da versteht es den Staat nicht und hasst ihn +als bösen Blick und Sünde an Sitten und Rechten. + +Dieses Zeichen gebe ich euch: jedes Volk spricht seine Zunge des Guten +und Bösen: die versteht der Nachbar nicht. Seine Sprache erfand es +sich in Sitten und Rechten. + +Aber der Staat lügt in allen Zungen des Guten und Bösen; und was er +auch redet, er lügt - und was er auch hat, gestohlen hat er's. + +Falsch ist Alles an ihm; mit gestohlenen Zähnen beisst er, der +Bissige. Falsch sind selbst seine Eingeweide. + +Sprachverwirrung des Guten und Bösen: dieses Zeichen gebe ich euch +als Zeichen des Staates. Wahrlich, den Willen zum Tode deutet dieses +Zeichen! Wahrlich, es winkt den Predigern des Todes! + +Viel zu Viele werden geboren: für die Überflüssigen ward der Staat +erfunden! + +Seht mir doch, wie er sie an sich lockt, die Viel-zu-Vielen! Wie er +sie schlingt und kaut und wiederkäut! + +"Auf der Erde ist nichts Grösseres als ich: der ordnende Finger bin +ich Gottes" - also brüllt das Unthier. Und nicht nur Langgeohrte und +Kurzgeäugte sinken auf die Kniee! + +Ach, auch in euch, ihr grossen Seelen, raunt er seine düsteren Lügen! +Ach, er erräth die reichen Herzen, die gerne sich verschwenden! + +Ja, auch euch erräth er, ihr Besieger des alten Gottes! Müde wurdet +ihr im Kampfe, und nun dient eure Müdigkeit noch dem neuen Götzen! + +Helden und Ehrenhafte möchte er um sich aufstellen, der neue Götze! +Gerne sonnt er sich im Sonnenschein guter Gewissen, - das kalte +Unthier! + +Alles will er _euch_ geben, wenn _ihr_ ihn anbetet, der neue Götze: +also kauft er sich den Glanz eurer Tugend und den Blick eurer stolzen +Augen. + +Ködern will er mit euch die Viel-zu-Vielen! Ja, ein Höllenkunststück +ward da erfunden, ein Pferd des Todes, klirrend im Putz göttlicher +Ehren! + +Ja, ein Sterben für Viele ward da erfunden, das sich selber als Leben +preist: wahrlich, ein Herzensdienst allen Predigern des Todes! + +Staat nenne ich's, wo Alle Gifttrinker sind, Gute und Schlimme: Staat, +wo Alle sich selber verlieren, Gute und Schlimme: Staat, wo der +langsame Selbstmord Aller - "das Leben" heisst. + +Seht mir doch diese Überflüssigen! Sie stehlen sich die Werke der +Erfinder und die Schätze der Weisen: Bildung nennen sie ihren +Diebstahl - und Alles wird ihnen zu Krankheit und Ungemach! + +Seht mir doch diese Überflüssigen! Krank sind sie immer, sie erbrechen +ihre Galle und nennen es Zeitung. Sie verschlingen einander und können +sich nicht einmal verdauen. + +Seht mir doch diese Überflüssigen! Reichthümer erwerben sie und werden +ärmer damit. Macht wollen sie und zuerst das Brecheisen der Macht, +viel Geld, - diese Unvermögenden! + +Seht sie klettern, diese geschwinden Affen! Sie klettern über einander +hinweg und zerren sich also in den Schlamm und die Tiefe. + +Hin zum Throne wollen sie Alle: ihr Wahnsinn ist es, - als ob das +Glück auf dem Throne sässe! Oft sitzt der Schlamm auf dem Thron - und +oft auch der Thron auf dem Schlamme. + +Wahnsinnige sind sie mir Alle und kletternde Affen und Überheisse. +Übel riecht mir ihr Götze, das kalte Unthier: übel riechen sie mir +alle zusammen, diese Götzendiener. + +Meine Brüder, wollt ihr denn ersticken im Dunste ihrer Mäuler und +Begierden! Lieber zerbrecht doch die Fenster und springt in's Freie! + +Geht doch dem schlechten Geruche aus dem Wege! Geht fort von der +Götzendienerei der Überflüssigen! + +Geht doch dem schlechten Geruche aus dem Wege! Geht fort von dem +Dampfe dieser Menschenopfer! + +Frei steht grossen Seelen auch jetzt noch die Erde. Leer sind noch +viele Sitze für Einsame und Zweisame, um die der Geruch stiller Meere +weht. + +Frei steht noch grossen Seelen ein freies Leben. Wahrlich, wer wenig +besitzt, wird um so weniger besessen: gelobt sei die kleine Armuth! + +Dort, wo der Staat aufhört, da beginnt erst der Mensch, der nicht +überflüssig ist: da beginnt das Lied des Nothwendigen, die einmalige +und unersetzliche Weise. + +Dort, wo der Staat _aufhört_, - so seht mir doch hin, meine Brüder! +Seht ihr ihn nicht, den Regenbogen und die Brücken des Übermenschen? - + +Also sprach Zarathustra. + + + +Von den Fliegen des Marktes + +Fliehe, mein Freund, in deine Einsamkeit! Ich sehe dich betäubt vom +Lärme der grossen Männer und zerstochen von den Stacheln der kleinen. + +Würdig wissen Wald und Fels mit dir zu schweigen. Gleiche wieder dem +Baume, den du liebst, dem breitästigen: still und aufhorchend hängt er +über dem Meere. + +Wo die Einsamkeit aufhört, da beginnt der Markt; und wo der Markt +beginnt, da beginnt auch der Lärm der grossen Schauspieler und das +Geschwirr der giftigen Fliegen. + +In der Welt taugen die besten Dinge noch Nichts, ohne Einen, der sie +erst aufführt: grosse Männer heisst das Volk diese Aufführer. + +Wenig begreift das Volk das Grosse, das ist: das Schaffende. Aber +Sinne hat es für alle Aufführer und Schauspieler grosser Sachen. + +Um die Erfinder von neuen Werthen dreht sich die Welt: - unsichtbar +dreht sie sich. Doch um die Schauspieler dreht sich das Volk und der +Ruhm: so ist es der Welt Lauf. + +Geist hat der Schauspieler, doch wenig Gewissen des Geistes. Er glaubt +immer an Das, womit er am stärksten glauben macht, - glauben an _sich_ +macht! + +Morgen hat er einen neuen Glauben und übermorgen einen neueren. Rasche +Sinne hat er, gleich dem Volke, und veränderliche Witterungen. + +Umwerfen - das heisst ihm: beweisen. Toll machen - das heisst ihm: +überzeugen. Und Blut gilt ihm als aller Gründe bester. + +Eine Wahrheit, die nur in feine Ohren schlüpft, nennt er Lüge und +Nichts. Wahrlich, er glaubt nur an Götter, die grossen Lärm in der +Welt machen! + +Voll von feierlichen Possenreissern ist der Markt - und das Volk rühmt +sich seiner grossen Männer! das sind ihm die Herrn der Stunde. + +Aber die Stunde drängt sie: so drängen sie dich. Und auch von dir +wollen sie Ja oder Nein. Wehe, du willst zwischen Für und Wider deinen +Stuhl setzen? + +Dieser Unbedingten und Drängenden halber sei ohne Eifersucht, du +Liebhaber der Wahrheit! Niemals noch hängte sich die Wahrheit an den +Arm eines Unbedingten. + +Dieser Plötzlichen halber gehe zurück in deine Sicherheit: nur auf dem +Markt wird man mit Ja? oder Nein? überfallen. + +Langsam ist das Erleben allen tiefen Brunnen: lange müssen sie warten, +bis sie wissen, _was_ in ihre Tiefe fiel. + +Abseits vom Markte und Ruhme begiebt sich alles Grosse: abseits vom +Markte und Ruhme wohnten von je die Erfinder neuer Werthe. + +Fliehe, mein Freund, in deine Einsamkeit: ich sehe dich von giftigen +Fliegen zerstochen. Fliehe dorthin, wo rauhe, starke Luft weht! + +Fliehe in deine Einsamkeit! Du lebtest den Kleinen und Erbärmlichen zu +nahe. Fliehe vor ihrer unsichtbaren Rache! Gegen dich sind sie Nichts +als Rache. + +Hebe nicht mehr den Arm gegen sie! Unzählbar sind sie, und es ist +nicht dein Loos, Fliegenwedel zu sein. + +Unzählbar sind diese Kleinen und Erbärmlichen; und manchem stolzen +Baue gereichten schon Regentropfen und Unkraut zum Untergange. + +Du bist kein Stein, aber schon wurdest du hohl von vielen Tropfen. +Zerbrechen und zerbersten wirst du mir noch von vielen Tropfen. + +Ermüdet sehe ich dich durch giftige Fliegen, blutig geritzt sehe ich +dich an hundert Stellen; und dein Stolz will nicht einmal zürnen. + +Blut möchten sie von dir in aller Unschuld, Blut begehren ihre +blutlosen Seelen - und sie stechen daher in aller Unschuld. + +Aber, du Tiefer, du leidest zu tief auch an kleinen Wunden; und ehe du +dich noch geheilt hast, kroch dir der gleiche Giftwurm über die Hand. + +Zu stolz bist du mir dafür, diese Naschhaften zu tödten. Hüte dich +aber, dass es nicht dein Verhängniss werde, all ihr giftiges Unrecht +zu tragen! + +Sie summen um dich auch mit ihrem Lobe: Zudringlichkeit ist ihr Loben. +Sie wollen die Nähe deiner Haut und deines Blutes. + +Sie schmeicheln dir wie einem Gotte oder Teufel; sie winseln vor dir +wie vor einem Gotte oder Teufel. Was macht es! Schmeichler sind es und +Winsler und nicht mehr. + +Auch geben sie sich dir oft als Liebenswürdige. Aber das war immer die +Klugheit der Feigen. Ja, die Feigen sind klug! + +Sie denken viel über dich mit ihrer engen Seele, - bedenklich bist du +ihnen stets! Alles, was viel bedacht wird, wird bedenklich. + +Sie bestrafen dich für alle deine Tugenden. Sie verzeihen dir von +Grund aus nur - deine Fehlgriffe. + +Weil du milde bist und gerechten Sinnes, sagst du: "unschuldig sind +sie an ihrem kleinen Dasein." Aber ihre enge Seele denkt: "Schuld ist +alles grosse Dasein." + +Auch wenn du ihnen milde bist, fühlen sie sich noch von dir verachtet; +und sie geben dir deine Wohlthat zurück mit versteckten Wehthaten. + +Dein wortloser Stolz geht immer wider ihren Geschmack; sie frohlocken, +wenn du einmal bescheiden genug bist, eitel zu sein. + +Das, was wir an einem Menschen erkennen, das entzünden wir an ihm +auch. Also hüte dich vor den Kleinen! + +Vor dir fühlen sie sich klein, und ihre Niedrigkeit glimmt und glüht +gegen dich in unsichtbarer Rache. + +Merktest du nicht, wie oft sie stumm wurden, wenn du zu ihnen +tratest, und wie ihre Kraft von ihnen gieng wie der Rauch von einem +erlöschenden Feuer? + +Ja, mein Freund, das böse Gewissen bist du deinen Nächsten: denn sie +sind deiner unwerth. Also hassen sie dich und möchten gerne an deinem +Blute saugen. + +Deine Nächsten werden immer giftige Fliegen sein; Das, was gross +an dir ist, - das selber muss sie giftiger machen und immer +fliegenhafter. + +Fliehe, mein Freund, in deine Einsamkeit und dorthin, wo eine rauhe, +starke Luft weht. Nicht ist es dein Loos, Fliegenwedel zu sein. - + +Also sprach Zarathustra. + + + +Von der Keuschheit + +Ich liebe den Wald. In den Städten ist schlecht zu leben: da giebt es +zu Viele der Brünstigen. + +Ist es nicht besser, in die Hände eines Mörders zu gerathen, als in +die Träume eines brünstigen Weibes? + +Und seht mir doch diese Männer an: ihr Auge sagt es - sie wissen +nichts Besseres auf Erden, als bei einem Weibe zu liegen. + +Schlamm ist auf dem Grunde ihrer Seele; und wehe, wenn ihr Schlamm gar +noch Geist hat! + +Dass ihr doch wenigstens als Thiere vollkommen wäret! Aber zum Thiere +gehört die Unschuld. + +Rathe ich euch, eure Sinne zu tödten? Ich rathe euch zur Unschuld der +Sinne. + +Rathe ich euch zur Keuschheit? Die Keuschheit ist bei Einigen eine +Tugend, aber bei Vielen beinahe ein Laster. + +Diese enthalten sich wohl: aber die Hündin Sinnlichkeit blickt mit +Neid aus Allem, was sie thun. + +Noch in die Höhen ihrer Tugend und bis in den kalten Geist hinein +folgt ihnen diess Gethier und sein Unfrieden. + +Und wie artig weiss die Hündin Sinnlichkeit um ein Stück Geist zu +betteln, wenn ihr ein Stuck Fleisch versagt wird! + +Ihr liebt Trauerspiele und Alles, was das Herz zerbricht? Aber ich bin +misstrauisch gegen eure Hündin. + +Ihr habt mir zu grausame Augen und blickt lüstern nach Leidenden. Hat +sich nicht nur eure Wollust verkleidet und heisst sich Mitleiden? + +Und auch diess Gleichniss gebe ich euch: nicht Wenige, die ihren +Teufel austreiben wollten, fuhren dabei selber in die Säue. + +Wem die Keuschheit schwer fällt, dem ist sie zu widerrathen: dass sie +nicht der Weg zur Hölle werde - das ist zu Schlamm und Brunst der +Seele. + +Rede ich von schmutzigen Dingen? Das ist mir nicht das Schlimmste. + +Nicht, wenn die Wahrheit schmutzig ist, sondern wenn sie seicht ist, +steigt der Erkennende ungern in ihr Wasser. + +Wahrlich, es giebt Keusche von Grund aus: sie sind milder von Herzen, +sie lachen lieber und reichlicher als ihr. + +Sie lachen auch über die Keuschheit und fragen: "was ist Keuschheit! + +Ist Keuschheit nicht Thorheit? Aber diese Thorheit kam zu uns und +nicht wir zur ihr. + +Wir boten diesem Gaste Herberge und Herz: nun wohnt er bei uns, - mag +er bleiben, wie lange er will!" + +Also sprach Zarathustra. + + + +Vom Freunde + +"Einer ist immer zu viel um mich" - also denkt der Einsiedler. "Immer +Einmal Eins - das giebt auf die Dauer Zwei!" + +Ich und Mich sind immer zu eifrig im Gespräche: wie wäre es +auszuhalten, wenn es nicht einen Freund gäbe? + +Immer ist für den Einsiedler der Freund der Dritte: der Dritte ist der +Kork, der verhindert, dass das Gespräch der Zweie in die Tiefe sinkt. + +Ach, es giebt zu viele Tiefen für alle Einsiedler. Darum sehnen sie +sich so nach einem Freunde und nach seiner Höhe. + +Unser Glaube an Andre verräth, worin wir gerne an uns selber glauben +möchten. Unsre Sehnsucht nach einem Freunde ist unser Verräther. + +Und oft will man mit der Liebe nur den Neid überspringen. Und oft +greift man an und macht sich einen Feind, um zu verbergen, dass man +angreifbar ist. + +"Sei wenigstens mein Feind!" - so spricht die wahre Ehrfurcht, die +nicht um Freundschaft zu bitten wagt. + +Will man einen Freund haben, so muss man auch für ihn Krieg führen +wollen: und um Krieg zu führen, muss man Feind sein _können_. + +Man soll in seinem Freunde noch den Feind ehren. Kannst du an deinen +Freund dicht herantreten, ohne zu ihm überzutreten? + +In seinem Freunde soll man seinen besten Feind haben. Du sollst ihm am +nächsten mit dem Herzen sein, wenn du ihm widerstrebst. + +Du willst vor deinem Freunde kein Kleid tragen? Es soll deines +Freundes Ehre sein, dass du dich ihm giebst, wie du bist? Aber er +wünscht dich darum zum Teufel! + +Wer aus sich kein Hehl macht, empört: so sehr habt ihr Grund, die +Nacktheit zu fürchten! Ja, wenn ihr Götter wäret, da dürftet ihr euch +eurer Kleider schämen! + +Du kannst dich für deinen Freund nicht schön genug putzen: denn du +sollst ihm ein Pfeil und eine Sehnsucht nach dem Übermenschen sein. + +Sahst du deinen Freund schon schlafen, - damit du erfahrest, wie er +aussieht? Was ist doch sonst das Gesicht deines Freundes? Es ist dein +eignes Gesicht, auf einem rauhen und unvollkommnen Spiegel. + +Sahst du deinen Freund schon schlafen? Erschrakst du nicht, dass +dein Freund so aussieht? Oh, mein Freund, der Mensch ist Etwas, das +überwunden werden muss. + +Im Errathen und Stillschweigen soll der Freund Meister sein: nicht +Alles musst du sehn wollen. Dein Traum soll dir verrathen, was dein +Freund im Wachen thut. + +Ein Errathen sei dein Mitleiden: dass du erst wissest, ob dein Freund +Mitleiden wolle. Vielleicht liebt er an dir das ungebrochne Auge und +den Blick der Ewigkeit. + +Das Mitleiden mit dem Freunde berge sich unter einer harten Schale, an +ihm sollst du dir einen Zahn ausbeissen. So wird es seine Feinheit und +Süsse haben. + +Bist du reine Luft und Einsamkeit und Brod und Arznei deinem Freunde? +Mancher kann seine eignen Ketten nicht lösen und doch ist er dem +Freunde ein Erlöser. + +Bist du ein Sclave? So kannst du nicht Freund sein. Bist du ein +Tyrann? So kannst du nicht Freunde haben. + +Allzulange war im Weibe ein Sclave und ein Tyrann versteckt. Desshalb +ist das Weib noch nicht der Freundschaft fähig: es kennt nur die +Liebe. + +In der Liebe des Weibes ist Ungerechtigkeit und Blindheit gegen Alles, +was es nicht liebt. Und auch in der wissenden Liebe des Weibes ist +immer noch Überfall und Blitz und Nacht neben dem Lichte. + +Noch ist das Weib nicht der Freundschaft fähig: Katzen sind immer noch +die Weiber, und Vögel. Oder, besten Falles, Kühe. + +Noch ist das Weib nicht der Freundschaft fähig. Aber sagt mir, ihr +Männer, wer von euch ist denn fähig der Freundschaft? + +Oh über eure Armuth, ihr Männer, und euren Geiz der Seele! Wie viel +ihr dem Freunde gebt, das will ich noch meinem Feinde geben, und will +auch nicht ärmer damit geworden sein. + +Es giebt Kameradschaft: möge es Freundschaft geben! + +Also sprach Zarathustra. + + + +Von tausend und Einem Ziele + +VieIe Länder sah Zarathustra und viele Völker: so entdeckte er vieler +Völker Gutes und Böses. Keine grössere Macht fand Zarathustra auf +Erden, als Gut und Böse. + +Leben könnte kein Volk, das nicht erst schätzte; will es sich aber +erhalten, so darf es nicht schätzen, wie der Nachbar schätzt. + +Vieles, das diesem Volke gut hiess, hiess einem andern Hohn und +Schmach: also fand ich's. Vieles fand ich hier böse genannt und dort +mit purpurnen Ehren geputzt. + +Nie verstand ein Nachbar den andern: stets verwunderte sich seine +Seele ob des Nachbarn Wahn und Bosheit. + +Eine Tafel der Güter hängt über jedem Volke. Siehe, es ist seiner +Überwindungen Tafel; siehe, es ist die Stimme seines Willens zur +Macht. + +Löblich ist, was ihm schwer gilt; was unerlässlich und schwer, +heisst gut, und was aus der höchsten Noth noch befreit, das Seltene, +Schwerste, - das preist es heilig. + +Was da macht, dass es herrscht und siegt und glänzt, seinem Nachbarn +zu Grauen und Neide: das gilt ihm das Hohe, das Erste, das Messende, +der Sinn aller Dinge. + +Wahrlich, mein Bruder, erkanntest du erst eines Volkes Noth und +Land und Himmel und Nachbar: so erräthst du wohl das Gesetz seiner +Überwindungen und warum es auf dieser Leiter zu seiner Hoffnung +steigt. + +"Immer sollst du der Erste sein und den Andern vorragen: Niemanden +soll deine eifersüchtige Seele lieben, es sei denn den Freund" - diess +machte einem Griechen die Seele zittern: dabei gieng er seinen Pfad +der Grösse. + +"Wahrheit reden und gut mit Bogen und Pfeil verkehren" - so dünkte es +jenem Volke zugleich lieb und schwer, aus dem mein Name kommt - der +Name, welcher mir zugleich lieb und schwer ist. + +"Vater und Mutter ehren und bis in die Wurzel der Seele hinein ihnen +zu Willen sein": diese Tafel der Überwindung hängte ein andres Volk +über sich auf und wurde mächtig und ewig damit. + +"Treue üben und um der Treue Willen Ehre und Blut auch an böse und +fährliche Sachen setzen": also sich lehrend bezwang sich ein anderes +Volk, und also sich bezwingend wurde es schwanger und schwer von +grossen Hoffnungen. + +Wahrlich, die Menschen gaben sich alles ihr Gutes und Böses. Wahrlich, +sie nahmen es nicht, sie fanden es nicht, nicht fiel es ihnen als +Stimme vom Himmel. + +Werthe legte erst der Mensch in die Dinge, sich zu erhalten, - er +schuf erst den Dingen Sinn, einen Menschen-Sinn! Darum nennt er sich +"Mensch", das ist: der Schätzende. + +Schätzen ist Schaffen: hört es, ihr Schaffenden! Schätzen selber ist +aller geschätzten Dinge Schatz und Kleinod. + +Durch das Schätzen erst giebt es Werth: und ohne das Schätzen wäre die +Nuss des Daseins hohl. Hört es, ihr Schaffenden! + +Wandel der Werthe, - das ist Wandel der Schaffenden. Immer vernichtet, +wer ein Schöpfer sein muss. + +Schaffende waren erst Völker und spät erst Einzelne; wahrlich, der +Einzelne selber ist noch die jüngste Schöpfung. + +Völker hängten sich einst eine Tafel des Guten über sich. Liebe, die +herrschen will, und Liebe, die gehorchen will, erschufen sich zusammen +solche Tafeln. + +Älter ist an der Heerde die Lust, als die Lust am Ich: und so lange +das gute Gewissen Heerde heisst, sagt nur das schlechte Gewissen: Ich. + +Wahrlich, das schlaue Ich, das lieblose, das seinen Nutzen im Nutzen +Vieler will: das ist nicht der Heerde Ursprung, sondern ihr Untergang. + +Liebende waren es stets und Schaffende, die schufen Gut und Böse. +Feuer der Liebe glüht in aller Tugenden Namen und Feuer des Zorns. + +Viele Länder sah Zarathustra und viele Völker: keine grössere Macht +fand Zarathustra auf Erden, als die Werke der Liebenden: "gut" und +"böse" ist ihr Name. + +Wahrlich, ein Ungethüm ist die Macht dieses Lobens und Tadelns. Sagt, +wer bezwingt es mir, ihr Brüder? Sagt, wer wirft diesem Thier die +Fessel über die tausend Nacken? + +Tausend Ziele gab es bisher, denn tausend Völker gab es. Nur die +Fessel der tausend Nacken fehlt noch, es fehlt das Eine Ziel. Noch hat +die Menschheit kein Ziel. + +Aber sagt mir doch, meine Brüder: wenn der Menschheit das Ziel noch +fehlt, fehlt da nicht auch - sie selber noch? - + +Also sprach Zarathustra. + + + +Von der Nächstenliebe + +Ihr drängt euch um den Nächsten und habt schöne Worte dafür. Aber ich +sage euch: eure Nächstenliebe ist eure schlechte Liebe zu euch selber. + +Ihr flüchtet zum Nächsten vor euch selber und möchtet euch daraus eine +Tugend machen: aber ich durchschaue euer "Selbstloses". + +Das Du ist älter als das Ich; das Du ist heilig gesprochen, aber noch +nicht das Ich: so drängt sich der Mensch hin zum Nächsten. + +Rathe ich euch zur Nächstenliebe? Lieber noch rathe ich euch zur +Nächsten-Flucht und zur Fernsten-Liebe! + +Höher als die Liebe zum Nächsten ist die Liebe zum Fernsten und +Künftigen; höher noch als die Liebe zu Menschen ist die Liebe zu +Sachen und Gespenstern. + +Diess Gespenst, das vor dir herläuft, mein Bruder, ist schöner als +du; warum giebst du ihm nicht dein Fleisch und deine Knochen? Aber du +fürchtest dich und läufst zu deinem Nächsten. + +Ihr haltet es mit euch selber nicht aus und liebt euch nicht genug: +nun wollt ihr den Nächsten zur Liebe verführen und euch mit seinem +Irrthum vergolden. + +Ich wollte, ihr hieltet es nicht aus mit allerlei Nächsten und deren +Nachbarn; so müsstet ihr aus euch selber euren Freund und sein +überwallendes Herz schaffen. + +Ihr ladet euch einen Zeugen ein, wenn ihr von euch gut reden wollt; +und wenn ihr ihn verführt habt, gut von euch zu denken, denkt ihr +selber gut von euch. + +Nicht nur Der lügt, welcher wider sein Wissen redet, sondern erst +recht Der, welcher wider sein Nichtwissen redet. Und so redet ihr von +euch im Verkehre und belügt mit euch den Nachbar. + +Also spricht der Narr: "der Umgang mit Menschen verdirbt den +Charakter, sonderlich wenn man keinen hat." + +Der Eine geht zum Nächsten, weil er sich sucht, und der Andre, weil er +sich verlieren möchte. Eure schlechte Liebe zu euch selber macht euch +aus der Einsamkeit ein Gefängniss. + +Die Ferneren sind es, welche eure Liebe zum Nächsten bezahlen; und +schon wenn ihr zu fünfen mit einander seid, muss immer ein sechster +sterben. + +Ich liebe auch eure Feste nicht: zu viel Schauspieler fand ich dabei, +und auch die Zuschauer gebärdeten sich oft gleich Schauspielern. + +Nicht den Nächsten lehre ich euch, sondern den Freund. Der Freund sei +euch das Fest der Erde und ein Vorgefühl des Übermenschen. + +Ich lehre euch den Freund und sein übervolles Herz. Aber man muss +verstehn, ein Schwamm zu sein, wenn man von übervollen Herzen geliebt +sein will. + +Ich lehre euch den Freund, in dem die Welt fertig dasteht, eine Schale +des Guten, - den schaffenden Freund, der immer eine fertige Welt zu +verschenken hat. + +Und wie ihm die Welt auseinander rollte, so rollt sie ihm wieder in +Ringen zusammen, als das Werden des Guten durch das Böse, als das +Werden der Zwecke aus dem Zufalle. + +Die Zukunft und das Fernste sei dir die Ursache deines Heute: in +deinem Freunde sollst du den Übermenschen als deine Ursache lieben. + +Meine Brüder, zur Nächstenliebe rathe ich euch nicht: ich rathe euch +zur Fernsten-Liebe. + +Also sprach Zarathustra. + + + +Vom Wege des Schaffenden + +Willst du, mein Bruder, in die Vereinsamung gehen? Willst du den Weg +zu dir selber suchen? Zaudere noch ein Wenig und höre mich. + +"Wer sucht, der geht leicht selber verloren. Alle Vereinsamung ist +Schuld": also spricht die Heerde. Und du gehörtest lange zur Heerde. + +Die Stimme der Heerde wird auch in dir noch tönen. Und wenn du sagen +wirst "ich habe nicht mehr Ein Gewissen mit euch", so wird es eine +Klage und ein Schmerz sein. + +Siehe, diesen Schmerz selber gebar noch das Eine Gewissen: und dieses +Gewissens letzter Schimmer glüht noch auf deiner Trübsal. + +Aber du willst den Weg deiner Trübsal gehen, welches ist der Weg zu +dir selber? So zeige mir dein Recht und deine Kraft dazu! + +Bist du eine neue Kraft und ein neues Recht? Eine erste Bewegung? Ein +aus sich rollendes Rad? Kannst du auch Sterne zwingen, dass sie um +dich sich drehen? + +Ach, es giebt so viel Lüsternheit nach Höhe! Es giebt so viel +Krämpfe der Ehrgeizigen! Zeige mir, dass du keiner der Lüsternen und +Ehrgeizigen bist! + +Ach, es giebt so viel grosse Gedanken, die thun nicht mehr als ein +Blasebalg: sie blasen auf und machen leerer. + +Frei nennst du dich? Deinen herrschenden Gedanken will ich hören und +nicht, dass du einem Joche entronnen bist. + +Bist du ein Solcher, der einem Joche entrinnen _durfte_? Es giebt +Manchen, der seinen letzten Werth wegwarf, als er seine Dienstbarkeit +wegwarf. + +Frei wovon? Was schiert das Zarathustra! Hell aber soll mir dein Auge +künden: frei _wozu_? + +Kannst du dir selber dein Böses und dein Gutes geben und deinen Willen +über dich aufhängen wie ein Gesetz? Kannst du dir selber Richter sein +und Rächer deines Gesetzes? + +Furchtbar ist das Alleinsein mit dem Richter und Rächer des eignen +Gesetzes. Also wird ein Stern hinausgeworfen in den öden Raum und in +den eisigen Athem des Alleinseins. + +Heute noch leidest du an den Vielen, du Einer: heute noch hast du +deinen Muth ganz und deine Hoffnungen. + +Aber einst wird dich die Einsamkeit müde machen, einst wird dein Stolz +sich krümmen und dein Muth knirschen. Schreien wirst du einst "ich bin +allein!" + +Einst wirst du dein Hohes nicht mehr sehn und dein Niedriges +allzunahe; dein Erhabnes selbst wird dich fürchten machen wie ein +Gespenst. Schreien wirst du einst: "Alles ist falsch!" + +Es giebt Gefühle, die den Einsamen tödten wollen; gelingt es ihnen +nicht, nun, so müssen sie selber sterben! Aber vermagst du das, Mörder +zu sein? + +Kennst du, mein Bruder, schon das Wort "Verachtung"? Und die Qual +deiner Gerechtigkeit, Solchen gerecht zu sein, die dich verachten? + +Du zwingst Viele, über dich umzulernen; das rechnen sie dir hart an. +Du kamst ihnen nahe und giengst doch vorüber: das verzeihen sie dir +niemals. + +Du gehst über sie hinaus: aber je höher du steigst, um so kleiner +sieht dich das Auge des Neides. Am meisten aber wird der Fliegende +gehasst. + +"Wie wolltet ihr gegen mich gerecht sein! - musst du sprechen - ich +erwähle mir eure Ungerechtigkeit als den mir zugemessnen Theil." + +Ungerechtigkeit und Schmutz werfen sie nach dem Einsamen: aber, mein +Bruder, wenn du ein Stern sein willst, so musst du ihnen desshalb +nicht weniger leuchten! + +Und hüte dich vor den Guten und Gerechten! Sie kreuzigen gerne Die, +welche sich ihre eigne Tugend erfinden, - sie hassen den Einsamen. + +Hüte dich auch vor der heiligen Einfalt! Alles ist ihr unheilig, +was nicht einfältig ist; sie spielt auch gerne mit dem Feuer - der +Scheiterhaufen. + +Und hüte dich auch vor den Anfällen deiner Liebe! Zu schnell streckt +der Einsame Dem die Hand entgegen, der ihm begegnet. + +Manchem Menschen darfst du nicht die Hand geben, sondern nur die +Tatze: und ich will, dass deine Tatze auch Krallen habe. + +Aber der schlimmste Feind, dem du begegnen kannst, wirst du immer dir +selber sein; du selber lauerst dir auf in Höhlen und Wäldern. + +Einsamer, du gehst den Weg zu dir selber! Und an dir selber fuhrt dein +Weg vorbei und an deinen sieben Teufeln! + +Ketzer wirst du dir selber sein und Hexe und Wahrsager und Narr und +Zweifler und Unheiliger und Bösewicht. + +Verbrennen musst du dich wollen in deiner eignen Flamme: wie wolltest +du neu werden, wenn du nicht erst Asche geworden bist! + +Einsamer, du gehst den Weg des Schaffenden: einen Gott willst du dir +schaffen aus deinen sieben Teufeln! + +Einsamer, du gehst den Weg des Liebenden: dich selbst liebst du und +desshalb verachtest du dich, wie nur Liebende verachten. + +Schaffen will der Liebende, weil er verachtet! Was weiss Der von +Liebe, der nicht gerade verachten musste, was er liebte! + +Mit deiner Liebe gehe in deine Vereinsamung und mit deinem Schaffen, +mein Bruder; und spät erst wird die Gerechtigkeit dir nachhinken. + +Mit meinen Thränen gehe in deine Vereinsamung, mein Bruder. Ich liebe +Den, der über sich selber hinaus schaffen will und so zu Grunde +geht. - + +Also sprach Zarathustra. + + + +Von alten und jungen Weiblein + +"Was schleichst du so scheu durch die Dämmerung, Zarathustra? Und was +birgst du behutsam unter deinem Mantel? + +Ist es ein Schatz, der dir geschenkt? Oder ein Kind, das dir geboren +wurde? Oder gehst du jetzt selber auf den Wegen der Diebe, du Freund +der Bösen?" - + +Wahrlich, mein Bruder! sprach Zarathustra, es ist ein Schatz, der mir +geschenkt wurde: eine kleine Wahrheit ist's, die ich trage. + +Aber sie ist ungebärdig wie ein junges Kind; und wenn ich ihr nicht +den Mund halte, so schreit sie überlaut. + +Als ich heute allein meines Weges gieng, zur Stunde, wo die Sonne +sinkt, begegnete mir ein altes Weiblein und redete also zu meiner +Seele: + +"Vieles sprach Zarathustra auch zu uns Weibern, doch nie sprach er uns +über das Weib." + +Und ich entgegnete ihr: "über das Weib soll man nur zu Männern reden." + +"Rede auch zu mir vom Weibe, sprach sie; ich bin alt genug, um es +gleich wieder zu vergessen." + +Und ich willfahrte dem alten Weiblein und sprach also zu ihm: + +Alles am Weibe ist ein Räthsel, und Alles am Weibe hat Eine Lösung: +sie heisst Schwangerschaft. + +Der Mann ist für das Weib ein Mittel: der Zweck ist immer das Kind. +Aber was ist das Weib für den Mann? + +Zweierlei will der ächte Mann: Gefahr und Spiel. Desshalb will er das +Weib, als das gefährlichste Spielzeug. + +Der Mann soll zum Kriege erzogen werden und das Weib zur Erholung des +Kriegers: alles Andre ist Thorheit. + +Allzusüsse Früchte - die mag der Krieger nicht. Darum mag er das Weib; +bitter ist auch noch das süsseste Weib. + +Besser als ein Mann versteht das Weib die Kinder, aber der Mann ist +kindlicher als das Weib. + +Im ächten Manne ist ein Kind versteckt: das will spielen. Auf, ihr +Frauen, so entdeckt mir doch das Kind im Manne! + +Ein Spielzeug sei das Weib, rein und fein, dem Edelsteine gleich, +bestrahlt von den Tugenden einer Welt, welche noch nicht da ist. + +Der Strahl eines Sternes glänze in eurer Liebe! Eure Hoffnung heisse: +"möge ich den Übermenschen gebären!" + +In eurer Liebe sei Tapferkeit! Mit eurer Liebe sollt ihr auf Den +losgehn, der euch Furcht einflösst! + +In eurer Liebe sei eure Ehre! Wenig versteht sich sonst das Weib auf +Ehre. Aber diess sei eure Ehre, immer mehr zu lieben, als ihr geliebt +werdet, und nie die Zweiten zu sein. + +Der Mann fürchte sich vor dem Weibe, wenn es liebt: da bringt es jedes +Opfer, und jedes andre Ding gilt ihm ohne Werth. + +Der Mann fürchte sich vor dem Weibe, wenn es hasst: denn der Mann ist +im Grunde der Seele nur böse, das Weib aber ist dort schlecht. + +Wen hasst das Weib am meisten? - Also sprach das Eisen zum Magneten: +"ich hasse dich am meisten, weil du anziehst, aber nicht stark genug +bist, an dich zu ziehen." + +Das Glück des Mannes heisst: ich will. Das Glück des Weibes heisst: er +will. + +"Siehe, jetzt eben ward die Welt vollkommen!" - also denkt ein jedes +Weib, wenn es aus ganzer Liebe gehorcht. + +Und gehorchen muss das Weib und eine Tiefe finden zu seiner +Oberfläche. Oberfläche ist des Weibes Gemüth, eine bewegliche +stürmische Haut auf einem seichten Gewässer. + +Des Mannes Gemüth aber ist tief, sein Strom rauscht in unterirdischen +Höhlen: das Weib ahnt seine Kraft, aber begreift sie nicht. - + +Da entgegnete mir das alte Weiblein: "Vieles Artige sagte Zarathustra +und sonderlich für Die, welche jung genug dazu sind. + +Seltsam ist's, Zarathustra kennt wenig die Weiber, und doch hat er +über sie Recht! Geschieht diess desshalb, weil beim Weibe kein Ding +unmöglich ist? + +Und nun nimm zum Danke eine kleine Wahrheit! Bin ich doch alt genug +für sie! + +Wickle sie ein und halte ihr den Mund: sonst schreit sie überlaut, +diese kleine Wahrheit." + +"Gieb mir, Weib, deine kleine Wahrheit!" sagte ich. Und also sprach +das alte Weiblein: + +"Du gehst zu Frauen? Vergiss die Peitsche nicht!" - + +Also sprach Zarathustra. + + + +Vom Biss der Natter + +Eines Tages war Zarathustra unter einem Feigenbaume eingeschlafen, da +es heiss war, und hatte seine Arme über das Gesicht gelegt. Da kam +eine Natter und biss ihn in den Hals, so dass Zarathustra vor Schmerz +aufschrie. Als er den Arm vom Gesicht genommen hatte, sah er die +Schlange an: da erkannte sie die Augen Zarathustra's, wand sich +ungeschickt und wollte davon. "Nicht doch, sprach Zarathustra; noch +nahmst du meinen Dank nicht an! Du wecktest mich zur Zeit, mein Weg +ist noch lang." "Dein Weg ist noch kurz, sagte die Natter traurig; +mein Gift tödtet." Zarathustra lächelte. "Wann starb wohl je ein +Drache am Gift einer Schlange? - sagte er. Aber nimm dein Gift zurück! +Du bist nicht reich genug, es mir zu schenken." Da fiel ihm die Natter +von Neuem um den Hals und leckte ihm seine Wunde. + +Als Zarathustra diess einmal seinen Jüngern erzählte, fragten +sie: "Und was, oh Zarathustra, ist die Moral deiner Geschichte?" +Zarathustra antwortete darauf also: + +Den Vernichter der Moral heissen mich die Guten und Gerechten: meine +Geschichte ist unmoralisch. - + +So ihr aber einen Feind habt, so vergeltet ihm nicht Böses mit Gutem: +denn das würde beschämen. Sondern beweist, dass er euch etwas Gutes +angethan hat. + +Und lieber zürnt noch, als dass ihr beschämt! Und wenn euch geflucht +wird, so gefällt es mir nicht, dass ihr dann segnen wollt. Lieber ein +Wenig mitfluchen! + +Und geschah euch ein grosses Unrecht, so thut mir geschwind fünf +kleine dazu! Grässlich ist Der anzusehn, den allein das Unrecht +drückt. + +Wusstet ihr diess schon? Getheiltes Unrecht ist halbes Recht. Und Der +soll das Unrecht auf sich nehmen, der es tragen kann! + +Eine kleine Rache ist menschlicher, als gar keine Rache. Und wenn die +Strafe nicht auch ein Recht und eine Ehre ist für den Übertretenden, +so mag ich auch euer Strafen nicht. + +Vornehmer ist's, sich Unrecht zu geben als Recht zu behalten, +sonderlich wenn man Recht hat. Nur muss man reich genug dazu sein. + +Ich mag eure kalte Gerechtigkeit nicht; und aus dem Auge eurer Richter +blickt mir immer der Henker und sein kaltes Eisen. + +Sagt, wo findet sich die Gerechtigkeit, welche Liebe mit sehenden +Augen ist? + +So erfindet mir doch die Liebe, welche nicht nur alle Strafe, sondern +auch alle Schuld trägt! + +So erfindet mir doch die Gerechtigkeit, die Jeden freispricht, +ausgenommen den Richtenden! + +Wollt ihr auch diess noch hören? An Dem, der von Grund aus gerecht +sein will, wird auch noch die Lüge zur Menschen-Freundlichkeit. + +Aber wie wollte ich gerecht sein von Grund aus! Wie kann ich Jedem das +Seine geben! Diess sei mir genug: ich gebe Jedem das Meine. + +Endlich, meine Brüder, hütet euch Unrecht zu thun allen Einsiedlern! +Wie könnte ein Einsiedler vergessen! Wie könnte er vergelten! + +Wie ein tiefer Brunnen ist ein Einsiedler. Leicht ist es, einen Stein +hineinzuwerfen; sank er aber bis zum Grunde, sagt, wer will ihn wieder +hinausbringen? + +Hütet euch, den Einsiedler zu beleidigen! Thatet ihr's aber, nun, so +tödtet ihn auch noch! + +Also sprach Zarathustra. + + + +Von Kind und Ehe + +Ich habe eine Frage für dich allein, mein Bruder: wie ein Senkblei +werfe ich diese Frage in deine Seele, dass ich wisse, wie tief sie +sei. + +Du bist jung und wünschest dir Kind und Ehe. Aber ich frage dich: bist +du ein Mensch, der ein Kind sich wünschen _darf_? + +Bist du der Siegreiche, der Selbstbezwinger, der Gebieter der Sinne, +der Herr deiner Tugenden? Also frage ich dich. + +Oder redet aus deinem Wunsche das Thier und die Nothdurft? Oder +Vereinsamung? Oder Unfriede mit dir? + +Ich will, dass dein Sieg und deine Freiheit sich nach einem Kinde +sehne. Lebendige Denkmale sollst du bauen deinem Siege und deiner +Befreiung. + +Über dich sollst du hinausbauen. Aber erst musst du mir selber gebaut +sein, rechtwinklig an Leib und Seele. + +Nicht nur fort sollst du dich pflanzen, sondern hinauf! Dazu helfe dir +der Garten der Ehe! + +Einen höheren Leib sollst du schaffen, eine erste Bewegung, ein aus +sich rollendes Rad, - einen Schaffenden sollst du schaffen. + +Ehe: so heisse ich den Willen zu Zweien, das Eine zu schaffen, das +mehr ist, als die es schufen. Ehrfurcht vor einander nenne ich Ehe als +vor den Wollenden eines solchen Willens. + +Diess sei der Sinn und die Wahrheit deiner Ehe. Aber Das, was die +Viel-zu-Vielen Ehe nennen, diese Überflüssigen, - ach, wie nenne ich +das? + +Ach, diese Armuth der Seele zu Zweien! Ach, dieser Schmutz der Seele +zu Zweien! Ach diess erbärmliche Behagen zu Zweien! + +Ehe nennen sie diess Alles; und sie sagen, ihre Ehen seien im Himmel +geschlossen. + +Nun, ich mag ihn nicht, diesen Himmel der Überflüssigen! Nein, ich mag +sie nicht, diese im himmlischen Netz verschlungenen Thiere! + +Ferne bleibe mir auch der Gott, der heranhinkt, zu segnen, was er +nicht zusammenfügte! + +Lacht mir nicht über solche Ehen! Welches Kind hätte nicht Grund, über +seine Eltern zu weinen? + +Würdig schien mir dieser Mann und reif für den Sinn der Erde: aber als +ich sein Weib sah, schien mir die Erde ein Haus für Unsinnige. + +Ja, ich wollte, dass die Erde in Krämpfen bebte, wenn sich ein +Heiliger und eine Gans mit einander paaren. + +Dieser gieng wie ein Held auf Wahrheiten aus und endlich erbeutete er +sich eine kleine geputzte Lüge. Seine Ehe nennt er's. + +Jener war spröde im Verkehre und wählte wählerisch. Aber mit Einem +Male verdarb er für alle Male seine Gesellschaft: seine Ehe nennt +er's. + +Jener suchte eine Magd mit den Tugenden eines Engels. Aber mit Einem +Male wurde er die Magd eines Weibes, und nun thäte es Noth, dass er +darüber noch zum Engel werde. + +Sorgsam fand ich jetzt alle Käufer, und Alle haben listige Augen. Aber +seine Frau kauft auch der Listigste noch im Sack. + +Viele kurze Thorheiten - das heisst bei euch Liebe. Und eure Ehe macht +vielen kurzer Thorheiten ein Ende, als Eine lange Dummheit. + +Eure Liebe zum Weibe und des Weibes Liebe zum Manne: ach, möchte sie +doch Mitleiden sein mit leidenden und verhüllten Göttern! Aber zumeist +errathen zwei Thiere einander. + +Aber auch noch eure beste Liebe ist nur ein verzücktes Gleichniss und +eine schmerzhafte Gluth. Eine Fackel ist sie, die euch zu höheren +Wegen leuchten soll. + +Über euch hinaus sollt ihr einst lieben! So _lernt_ erst lieben! Und +darum musstet ihr den bittern Kelch eurer Liebe trinken. + +Bitterniss ist im Kelch auch der besten Liebe: so macht sie Sehnsucht +zum Übermenschen, so macht sie Durst dir, dem Schaffenden! + +Durst dem Schaffenden, Pfeil und Sehnsucht zum Übermenschen: sprich, +mein Bruder, ist diess dein Wille zur Ehe? + +Heilig heisst mir solch ein Wille und solche Ehe. - + +Also sprach Zarathustra. + + +Vom freien Tode + +Viele sterben zu spät, und Einige sterben zu früh. Noch klingt fremd +die Lehre: "stirb zur rechten Zeit!" + +Stirb zur rechten Zeit: also lehrt es Zarathustra. + +Freilich, wer nie zur rechten Zeit lebt, wie sollte der je zur rechten +Zeit sterben? Möchte er doch nie geboren sein! - Also rathe ich den +Überflüssigen. + +Aber auch die Überflüssigen thun noch wichtig mit ihrem Sterben, und +auch die hohlste Nuss will noch geknackt sein. + +Wichtig nehmen Alle das Sterben: aber noch ist der Tod kein Fest. Noch +erlernten die Menschen nicht, wie man die schönsten Feste weiht. + +Den vollbringenden Tod zeige ich euch, der den Lebenden ein Stachel +und ein Gelöbniss wird. + +Seinen Tod stirbt der Vollbringende, siegreich, umringt von Hoffenden +und Gelobenden. + +Also sollte man sterben lernen; und es sollte kein Fest geben, wo ein +solcher Sterbender nicht der Lebenden Schwüre weihte! + +Also zu sterben ist das Beste; das Zweite aber ist: im Kampfe zu +sterben und eine grosse Seele zu verschwenden. + +Aber dem Kämpfenden gleich verhasst wie dem Sieger ist euer grinsender +Tod, der heranschleicht wie ein Dieb - und doch als Herr kommt. + +Meinen Tod lobe ich euch, den freien Tod, der mir kommt, weil _ich_ +will. + +Und wann werde ich wollen? - Wer ein Ziel hat und einen Erben, der +will den Tod zur rechten Zeit für Ziel und Erben. + +Und aus Ehrfurcht vor Ziel und Erben wird er keine dürren Kränze mehr +im Heiligthum des Lebens aufhängen. + +Wahrlich, nicht will ich den Seildrehern gleichen: sie ziehen ihren +Faden in die Länge und gehen dabei selber immer rückwärts. + +Mancher wird auch für seine Wahrheiten und Siege zu alt; ein zahnloser +Mund hat nicht mehr das Recht zu jeder Wahrheit. + +Und Jeder, der Ruhm haben will, muss sich bei Zeiten von der Ehre +verabschieden und die schwere Kunst üben, zur rechten Zeit zu - gehn. + +Man muss aufhören, sich essen zu lassen, wenn man am besten schmeckt: +das wissen Die, welche lange geliebt werden wollen. + +Saure Äpfel giebt es freilich, deren Loos will, dass sie bis auf den +letzten Tag des Herbstes warten: und zugleich werden sie reif, gelb +und runzelig. + +Andern altert das Herz zuerst und Andern der Geist. Und Einige sind +greis in der Jugend: aber spät jung erhält lang jung. + +Manchem missräth das Leben: ein Giftwurm frisst sich ihm an's Herz. So +möge er zusehn, dass ihm das Sterben um so mehr gerathe. + +Mancher wird nie süss, er fault im Sommer schon. Feigheit ist es, die +ihn an seinem Aste festhält. + +Viel zu Viele leben und viel zu lange hängen sie an ihren Ästen. +Möchte ein Sturm kommen, der all diess Faule und Wurmfressne vom Baume +schüttelt! + +Möchten Prediger kommen des _schnellen_ Todes! Das wären mir die +rechten Stürme und Schüttler an Lebensbäumen Aber ich höre nur den +langsamen Tod predigen und Geduld mit allem "Irdischen". + +Ach, ihr predigt Geduld mit dem Irdischen? Dieses Irdische ist es, das +zu viel Geduld mit euch hat, ihr Lästermäuler! + +Wahrlich, zu früh starb jener Hebräer, den die Prediger des langsamen +Todes ehren: und Vielen ward es seitdem zum Verhängniss, dass er zu +früh starb. + +Noch kannte er nur Thränen und die Schwermuth des Hebräers, sammt dem +Hasse der Guten und Gerechten, - der Hebräer Jesus: da überfiel ihn +die Sehnsucht zum Tode. + +Wäre er doch in der Wüste geblieben und ferne von den Guten und +Gerechten! Vielleicht hätte er leben gelernt und die Erde lieben +gelernt - und das Lachen dazu! + +Glaubt es mir, meine Brüder! Er starb zu früh; er selber hätte seine +Lehre widerrufen, wäre er bis zu meinem Alter gekommen! Edel genug war +er zum Widerrufen! + +Aber ungereift war er noch. Unreif liebt der Jüngling und unreif hasst +er auch Mensch und Erde. Angebunden und schwer ist ihm noch Gemüth und +Geistesflügel. + +Aber im Manne ist mehr Kind als im Jünglinge, und weniger Schwermuth: +besser versteht er sich auf Tod und Leben. + +Frei zum Tode und frei im Tode, ein heiliger Nein-sager, wenn es nicht +Zeit mehr ist zum Ja: also versteht er sich auf Tod und Leben. + +Dass euer Sterben keine Lästerung sei auf Mensch und Erde, meine +Freunde: das erbitte ich mir von dem Honig eurer Seele. + +In eurem Sterben soll noch euer Geist und eure Tugend glühn, gleich +einem Abendroth um die Erde: oder aber das Sterben ist euch schlecht +gerathen. + +Also will ich selber sterben, dass ihr Freunde um meinetwillen die +Erde mehr liebt; und zur Erde will ich wieder werden, dass ich in Der +Ruhe habe, die mich gebar. + +Wahrlich, ein Ziel hatte Zarathustra, er warf seinen Ball: nun seid +ihr Freunde meines Zieles Erbe, euch werfe ich den goldenen Ball zu. + +Lieber als Alles sehe ich euch, meine Freunde, den goldenen Ball +werfen! Und so verziehe ich noch ein Wenig auf Erden: verzeiht es mir! + +Also sprach Zarathustra. + + + +Von der schenkenden Tugend + +1. + +Als Zarathustra von der Stadt Abschied genommen hatte, welcher sein +Herz zugethan war und deren Name lautet: "die bunte Kuh" - folgten ihm +Viele, die sich seine Jünger nannten und gaben ihm das Geleit. Also +kamen sie an einen Kreuzweg: da sagte ihnen Zarathustra, dass er +nunmehr allein gehen wolle; denn er war ein Freund des Alleingehens. +Seine Jünger aber reichten ihm zum Abschiede einen Stab, an dessen +goldnem Griffe sich eine Schlange um die Sonne ringelte. Zarathustra +freute sich des Stabes und stützte sich darauf; dann sprach er also zu +seinen Jüngern. + +Sagt mir doch: wie kam Gold zum höchsten Werthe? Darum, dass es +ungemein ist und unnützlich und leuchtend und mild im Glanze; es +schenkt sich immer. + +Nur als Abbild der höchsten Tugend kam Gold zum höchsten Werthe. +Goldgleich leuchtet der Blick dem Schenkenden. Goldes-Glanz schliesst +Friede zwischen Mond und Sonne. + +Ungemein ist die höchste Tugend und unnützlich, leuchtend ist sie und +mild im Glanze: eine schenkende Tugend ist die höchste Tugend. + +Wahrlich, ich errathe euch wohl, meine Jünger: ihr trachtet, gleich +mir, nach der schenkenden Tugend. Was hättet ihr mit Katzen und Wölfen +gemeinsam? + +Das ist euer Durst, selber zu Opfern und Geschenken zu werden: und +darum habt ihr den Durst, alle Reichthümer in euren Seele zu häufen. + +Unersättlich trachtet eure Seele nach Schätzen und Kleinodien, weil +eure Tugend unersättlich ist im Verschenken-Wollen. + +Ihr zwingt alle Dinge zu euch und in euch, dass sie aus eurem Borne +zurückströmen sollen als die Gaben eurer Liebe. + +Wahrlich, zum Räuber an allen Werthen muss solche schenkende Liebe +werden; aber heil und heilig heisse ich diese Selbstsucht. + +Eine andre Selbstsucht giebt es, eine allzuarme, eine hungernde, +die immer stehlen will, jene Selbstsucht der Kranken, die kranke +Selbstsucht. + +Mit dem Auge des Diebes blickt sie auf alles Glänzende; mit der Gier +des Hungers misst sie Den, der reich zu essen hat; und immer schleicht +sie um den Tisch der Schenkenden. + +Krankheit redet aus solcher Begierde und unsichtbare Entartung; von +siechem Leibe redet die diebische Gier dieser Selbstsucht. + +Sagt mir, meine Brüder: was gilt uns als Schlechtes und Schlechtestes? +Ist es nicht _Entartung_? - Und auf Entartung rathen wir immer, wo die +schenkende Seele fehlt. + +Aufwärts geht unser Weg, von der Art hinüber zur Über-Art. Aber ein +Grauen ist uns der entartende Sinn, welcher spricht: "Alles für mich." + +Aufwärts fliegt unser Sinn: so ist er ein Gleichniss unsres Leibes, +einer Erhöhung Gleichniss. Solcher Erhöhungen Gleichnisse sind die +Namen der Tugenden. + +Also geht der Leib durch die Geschichte, ein Werdender und ein +Kämpfender. Und der Geist - was ist er ihm? Seiner Kämpfe und Siege +Herold, Genoss und Wiederhall. + +Gleichnisse sind alle Namen von Gut und Böse: sie sprechen nicht aus, +sie winken nur. Ein Thor, welcher von ihnen Wissen will! + +Achtet mir, meine Brüder, auf jede Stunde, wo euer Geist in +Gleichnissen reden will: da ist der Ursprung eurer Tugend. + +Erhöht ist da euer Leib und auferstanden; mit seiner Wonne entzückt er +den Geist, dass er Schöpfer wird und Schätzer und Liebender und aller +Dinge Wohlthäter. + +Wenn euer Herz breit und voll wallt, dem Strome gleich, ein Segen und +eine Gefahr den Anwohnenden: da ist der Ursprung eurer Tugend. + +Wenn ihr erhaben seid über Lob und Tadel, und euer Wille allen Dingen +befehlen will, als eines Liebenden Wille: da ist der Ursprung eurer +Tugend. + +Wenn ihr das Angenehme verachtet und das weiche Bett, und von den +Weichlichen euch nicht weit genug betten könnt: da ist der Ursprung +eurer Tugend. + +Wenn ihr Eines Willens Wollende seid, und diese Wende aller Noth euch +Nothwendigkeit heisst: da ist der Ursprung eurer Tugend. + +Wahrlich, ein neues Gutes und Böses ist sie! Wahrlich, ein neues +tiefes Rauschen und eines neuen Quelles Stimme! + +Macht ist sie, diese neue Tugend; ein herrschender Gedanke ist sie und +um ihn eine kluge Seele: eine goldene Sonne und um sie die Schlange +der Erkenntniss. + + +2. + +Hier schwieg Zarathustra eine Weile und sah mit Liebe auf seine +Jünger. Dann fuhr er also fort zu reden: - und seine Stimme hatte sich +verwandelt. + +Bleibt mir der Erde treu, meine Brüder, mit der Macht eurer Tugend! +Eure schenkende Liebe und eure Erkenntniss diene dem Sinn der Erde! +Also bitte und beschwöre ich euch. + +Lasst sie nicht davon fliegen vom Irdischen und mit den Flügeln gegen +ewige Wände schlagen! Ach, es gab immer so viel verflogene Tugend! + +Führt, gleich mir, die verflogene Tugend zur Erde zurück - ja, +zurück zu Leib und Leben: dass sie der Erde ihren Sinn gebe, einen +Menschen-Sinn! + +Hundertfältig verflog und vergriff sich bisher so Geist wie Tugend. +Ach, in unserm Leibe wohnt jetzt noch all dieser Wahn und Fehlgriff: +Leib und Wille ist er da geworden. + +Hundertfältig versuchte und verirrte sich bisher so Geist wie Tugend. +Ja, ein Versuch war der Mensch. Ach, viel Unwissen und Irrthum ist an +uns Leib geworden! + +Nicht nur die Vernunft von Jahrtausenden - auch ihr Wahnsinn bricht an +uns aus. Gefährlich ist es, Erbe zu sein. + +Noch kämpfen wir Schritt um Schritt mit dem Riesen Zufall, und über +der ganzen Menschheit waltete bisher noch der Unsinn, der Ohne-Sinn. + +Euer Geist und eure Tugend diene dem Sinn der Erde, meine Brüder: +und aller Dinge Werth werde neu von euch gesetzt! Darum sollt ihr +Kämpfende sein! Darum sollt ihr Schaffende sein! + +Wissend reinigt sich der Leib; mit Wissen versuchend erhöht er sich; +dem Erkennenden heiligen sich alle Triebe; dem Erhöhten wird die Seele +fröhlich. + +Arzt, hilf dir selber: so hilfst du auch deinem Kranken noch. Das sei +seine beste Hülfe, dass er Den mit Augen sehe, der sich selber heil +macht. + +Tausend Pfade giebt es, die nie noch gegangen sind; tausend +Gesundheiten und verborgene Eilande des Lebens. Unerschöpft und +unentdeckt ist immer noch Mensch und Menschen-Erde. + +Wachet und horcht, ihr Einsamen! Von der Zukunft her kommen Winde mit +heimlichem Flügelschlagen; und an feine Ohren ergeht gute Botschaft. + +Ihr Einsamen von heute, ihr Ausscheidenden, ihr sollt einst ein Volk +sein: aus euch, die ihr euch selber auswähltet, soll ein auserwähltes +Volk erwachsen: - und aus ihm der Übermensch. + +Wahrlich, eine Stätte der Genesung soll noch die Erde werden! Und +schon liegt ein neuer Geruch um sie, ein Heil bringender, - und eine +neue Hoffnung! + + +3. + +Als Zarathustra diese Worte gesagt hatte, schwieg er, wie Einer, der +nicht sein letztes Wort gesagt hat; lange wog er den Stab zweifelnd +in seiner Hand. Endlich sprach er also: - und seine Stimme hatte sich +verwandelt. + +Allein gehe ich nun, meine Jünger! Auch ihr geht nun davon und allein! +So will ich es. + +Wahrlich, ich rathe euch: geht fort von mir und wehrt euch gegen +Zarathustra! Und besser noch: schämt euch seiner! Vielleicht betrog er +euch. + +Der Mensch der Erkenntniss muss nicht nur seine Feinde lieben, sondern +auch seine Freunde hassen können. + +Man vergilt einem Lehrer schlecht, wenn man immer nur der Schüler +bleibt. Und warum wollt ihr nicht an meinem Kranze rupfen? + +Ihr verehrt mich; aber wie, wenn eure Verehrung eines Tages umfällt? +Hütet euch, dass euch nicht eine Bildsäule erschlage! + +Ihr sagt, ihr glaubt an Zarathustra? Aber was liegt an Zarathustra! +Ihr seid meine Gläubigen: aber was liegt an allen Gläubigen! + +Ihr hattet euch noch nicht gesucht: da fandet ihr mich. So thun alle +Gläubigen; darum ist es so wenig mit allem Glauben. + +Nun heisse ich euch, mich verlieren und euch finden; und erst, wenn +ihr mich Alle verleugnet habt, will ich euch wiederkehren. + +Wahrlich, mit andern Augen, meine Brüder, werde ich mir dann meine +Verlorenen suchen; mit einer anderen Liebe werde ich euch dann lieben. + +Und einst noch sollt ihr mir Freunde geworden sein und Kinder Einer +Hoffnung: dann will ich zum dritten Male bei euch sein, dass ich den +grossen Mittag mit euch feiere. + +Und das ist der grosse Mittag, da der Mensch auf der Mitte seiner Bahn +steht zwischen Thier und Übermensch und seinen Weg zum Abende als +seine höchste Hoffnung feiert: denn es ist der Weg zu einem neuen +Morgen. + +Alsda wird sich der Untergehende selber segnen, dass er ein +Hinübergehender sei; und die Sonne seiner Erkenntniss wird ihm im +Mittage stehn. + +"Todt sind alle Götter: nun wollen wir, dass der Übermensch lebe." - +diess sei einst am grossen Mittage unser letzter Wille! - + +Also sprach Zarathustra. + + + + +Zweiter Theil + +"- und erst, wenn ihr mich Alle verleugnet habt, will ich euch +wiederkehren. + +Wahrlich, mit andern _Augen_, meine Brüder, werde ich mir dann meine +Verlorenen suchen; mit einer andern Liebe werde ich euch dann lieben". + +Zarathustra, von der schenkenden Tugend + + + +Das Kind mit dem Spiegel + +Hierauf gieng Zarathustra wieder zurück in das Gebirge und in die +Einsamkeit seiner Höhle und entzog sich den Menschen: wartend gleich +einem Säemann, der seinen Samen ausgeworfen hat. Seine Seele aber +wurde voll von Ungeduld und Begierde nach Denen, welche er liebte: +denn er hatte ihnen noch Viel zu geben. Diess nämlich ist das +Schwerste, aus Liebe die offne Hand schliessen und als Schenkender die +Scham bewahren. + +Also vergiengen dem Einsamen Monde und Jahre; seine Weisheit aber +wuchs und machte ihm Schmerzen durch ihre Fülle. + +Eines Morgens aber wachte er schon vor der Morgenröthe auf, besann +sich lange auf seinem Lager und sprach endlich zu seinem Herzen: + +Was erschrak ich doch so in meinem Traume, dass ich aufwachte? Trat +nicht ein Kind zu mir, das einen Spiegel trug? + +"Oh Zarathustra - sprach das Kind zu mir - schaue Dich an im Spiegel!" + +Aber als ich in den Spiegel schaute, da schrie ich auf, und mein Herz +war erschüttert: denn nicht mich sahe ich darin, sondern eines Teufels +Fratze und Hohnlachen. + +Wahrlich, allzugut verstehe ich des Traumes Zeichen und Mahnung: meine +_Lehre_ ist in Gefahr, Unkraut will Weizen heissen! + +Meine Feinde sind mächtig worden und haben meiner Lehre Bildniss +entstellt, also, dass meine Liebsten sich der Gaben schämen müssen, +die ich ihnen gab. + +Verloren giengen mir meine Freunde; die Stunde kam mir, meine +Verlornen zu suchen! - + +Mit diesen Worten sprang Zarathustra auf, aber nicht wie ein +Geängstigter, der nach Luft sucht, sondern eher wie ein Seher und +Sänger, welchen der Geist anfällt. Verwundert sahen sein Adler und +seine Schlange auf ihn hin: denn gleich dem Morgenrothe lag ein +kommendes Glück auf seinem Antlitze. + +Was geschah mir doch, meine Thiere? - sagte Zarathustra. Bin ich nicht +verwandelt! Kam mir nicht die Seligkeit wie ein Sturmwind? + +Thöricht ist mein Glück und Thörichtes wird es reden: zu jung noch ist +es - so habt Geduld mit ihm! + +Verwundet bin ich von meinem Glücke: alle Leidenden sollen mir Arzte +sein! + +Zu meinen Freunden darf ich wieder hinab und auch zu meinen Feinden! +Zarathustra darf wieder reden und schenken und Lieben das Liebste +thun! + +Meine ungeduldige Liebe fliesst über in Strömen, abwärts, nach Aufgang +und Niedergang. Aus schweigsamem Gebirge und Gewittern des Schmerzes +rauscht meine Seele in die Thäler. + +Zu lange sehnte ich mich und schaute in die Ferne. Zu lange gehörte +ich der Einsamkeit: so verlernte ich das Schweigen. + +Mund bin ich worden ganz und gar, und Brausen eines Bachs aus hohen +Felsen: hinab will ich meine Rede stürzen in die Thäler. + +Und mag mein Strom der Liebe in Unwegsames stürzen! Wie sollte ein +Strom nicht endlich den Weg zum Meere finden! + +Wohl ist ein See in mir, ein einsiedlerischer, selbstgenugsamer; aber +mein Strom der Liebe reisst ihn mit sich hinab - zum Meere! + +Neue Wege gehe ich, eine neue Rede kommt mir; müde wurde ich, gleich +allen Schaffenden, der alten Zungen. Nicht will mein Geist mehr auf +abgelaufnen Sohlen wandeln. + +Zu langsam läuft mir alles Reden: - in deinen Wagen springe ich, +Sturm! Und auch dich will ich noch peitschen mit meiner Bosheit! + +Wie ein Schrei und ein jauchzen will ich über weite Meere hinfahren, +bis ich die glückseligen Inseln finde, wo meine Freunde weilen: - + +Und meine Feinde unter ihnen! Wie liebe ich nun jeden, zu dem ich nur +reden darf! Auch meine Feinde gehören zu meiner Seligkeit. + +Und wenn ich auf mein wildestes Pferd steigen will, so hilft mir mein +Speer immer am besten hinauf: der ist meines Fusses allzeit bereiter +Diener: - + +Der Speer, den ich gegen meine Feinde schleudere! Wie danke ich es +meinen Feinden, dass ich endlich ihn schleudern darf! + +Zu gross war die Spannung meiner Wolke: zwischen Gelächtern der Blitze +will ich Hagelschauer in die Tiefe werfen. + +Gewaltig wird sich da meine Brust heben, gewaltig wird sie ihren Sturm +über die Berge hinblasen: so kommt ihr Erleichterung. + +Wahrlich, einem Sturme gleich kommt mein Glück und meine Freiheit! +Aber meine Feinde sollen glauben, _der_Böse_ rase über ihren Häuptern. + +Ja, auch ihr werdet erschreckt sein, meine Freunde, ob meiner wilden +Weisheit; und vielleicht flieht ihr davon sammt meinen Feinden. + +Ach, dass ich's verstünde, euch mit Hirtenflöten zurück zu locken! +Ach, dass meine Löwin Weisheit zärtlich brüllen lernte! Und Vieles +lernten wir schon mit einander! + +Meine wilde Weisheit wurde trächtig auf einsamen Bergen; auf rauhen +Steinen gebar sie ihr Junges, Jüngstes. + +Nun läuft sie närrisch durch die harte Wüste und sucht und sucht nach +sanftem Rasen - meine alte wilde Weisheit! + +Auf eurer Herzen sanften Rasen, meine Freunde! - auf eure Liebe möchte +sie ihr Liebstes betten! + +Also sprach Zarathustra. + + + +Auf den glückseligen Inseln + +Die Feigen fallen von den Bäumen, sie sind gut und süss; und indem +sie fallen, reisst ihnen die rothe Haut. Ein Nordwind bin ich reifen +Feigen. + +Also, gleich Feigen, fallen euch diese Lehren zu, meine Freunde: nun +trinkt ihren Saft und ihr süsses Fleisch! Herbst ist es umher und +reiner Himmel und Nachmittag. + +Seht, welche Fülle ist um uns! Und aus dem Überflusse heraus ist es +schön hinaus zu blicken auf ferne Meere. + +Einst sagte man Gott, wenn man auf ferne Meere blickte; nun aber +lehrte ich euch sagen: Übermensch. + +Gott ist eine Muthmaassung; aber ich will, dass euer Muthmaassen nicht +weiter reiche, als euer schaffender Wille. + +Könntet ihr einen Gott _schaffen_? - So schweigt mir doch von allen +Göttern! Wohl aber könntet ihr den Übermenschen schaffen. + +Nicht ihr vielleicht selber, meine Brüder! Aber zu Vätern und +Vorfahren könntet ihr euch umschaffen des Übermenschen: und Diess sei +euer bestes Schaffen! - + +Gott ist eine Muthmaassung: aber ich will, dass euer Muthmaassen +begrenzt sei in der Denkbarkeit. + +Könntet ihr einen Gott _denken_? - Aber diess bedeute euch Wille +zur Wahrheit, dass Alles verwandelt werde in Menschen - Denkbares, +Menschen - Sichtbares, Menschen - Fühlbares! Eure eignen Sinne sollt +ihr zu Ende denken! + +Und was ihr Welt nanntet, das soll erst von euch geschaffen werden: +eure Vernunft, euer Bild, euer Wille, eure Liebe soll es selber +werden! Und wahrlich, zu eurer Seligkeit, ihr Erkennenden! + +Und wie wolltet ihr das Leben ertragen ohne diese Hoffnung, ihr +Erkennenden? Weder in's Unbegreifliche dürftet ihr eingeboren sein, +noch in's Unvernünftige. + +Aber dass ich euch ganz mein Herz offenbare, ihr Freunde: _wenn_ es +Götter gäbe, wie hielte ich's aus, kein Gott zu sein! _Also_ giebt es +keine Götter. + +Wohl zog ich den Schluss; nun aber zieht er mich. - + +Gott ist eine Muthmaassung: aber wer tränke alle Qual dieser +Muthmaassung, ohne zu sterben? Soll dem Schaffenden sein Glaube +genommen sein und dem Adler sein Schweben in Adler-Fernen? + +Gott ist ein Gedanke, der macht alles Gerade krumm und Alles, was +steht, drehend. Wie? Die Zeit wäre hinweg, und alles Vergängliche nur +Lüge? + +Diess zu denken ist Wirbel und Schwindel menschlichen Gebeinen und +noch dem Magen ein Erbrechen: wahrlich, die drehende Krankheit heisse +ich's, Solches zu muthmaassen. + +Böse heisse ich's und menschenfeindlich: all diess Lehren vom Einen +und Vollen und Unbewegten und Satten und Unvergänglichen! + +Alles Unvergängliche - das ist nur ein Gleichniss! Und die Dichter +lügen zuviel. - + +Aber von Zeit und Werden sollen die besten Gleichnisse reden: ein Lob +sollen sie sein und eine Rechtfertigung aller Vergänglichkeit! + +Schaffen - das ist die grosse Erlösung vom Leiden, und des Lebens +Leichtwerden. Aber dass der Schaffende sei, dazu selber thut Leid noth +und viel Verwandelung. + +Ja, viel bitteres Sterben muss in eurem Leben sein, ihr Schaffenden! +Also seid ihr Fürsprecher und Rechtfertiger aller Vergänglichkeit. + +Dass der Schaffende selber das Kind sei, das neu geboren werde, dazu +muss er auch die Gebärerin sein wollen und der Schmerz der Gebärerin. + +Wahrlich, durch hundert Seelen gieng ich meinen Weg und durch hundert +Wiegen und Geburtswehen. Manchen Abschied nahm ich schon, ich kenne +die herzbrechenden letzten Stunden. + +Aber so will's mein schaffender Wille, mein Schicksal. Oder, dass +ich's euch redlicher sage: solches Schicksal gerade - will mein Wille. + +Alles Fühlende leidet an mir und ist in Gefängnissen: aber mein Wollen +kommt mir stets als mein Befreier und Freudebringer. + +Wollen befreit: das ist die wahre Lehre von Wille und Freiheit - so +lehrt sie euch Zarathustra. + +Nicht-mehr-wollen und Nicht-mehr-schätzen und Nicht-mehr-schaffen! +ach, dass diese grosse Müdigkeit mir stets ferne bleibe! + +Auch im Erkennen fühle ich nur meines Willens Zeuge- und Werde-Lust; +und wenn Unschuld in meiner Erkenntniss ist, so geschieht diess, weil +Wille zur Zeugung in ihr ist. + +Hinweg von Gott und Göttem lockte mich dieser Wille; was wäre denn zu +schaffen, wenn Götter - da wären! + +Aber zum Menschen treibt er mich stets von Neuem, mein inbrünstiger +Schaffens-Wille; so treibt's den Hammer hin zum Steine. + +Ach, ihr Menschen, im Steine schläft mir ein Bild, das Bild meiner +Bilder! Ach, dass es im härtesten, hässlichsten Steine schlafen muss! + +Nun wüthet mein Hammer grausam gegen sein Gefängniss. Vom Steine +stäuben Stücke: was schiert mich das? + +Vollenden will ich's: denn ein Schatten kam zu mir - aller Dinge +Stillstes und Leichtestes kam einst zu mir! + +Des Übermenschen Schönheit kam zu mir als Schatten. Ach, meine Brüder! +Was gehen mich noch - die Götter an! - + +Also sprach Zarathustra. + + + +Von den Mitleidigen + +Meine Freunde, es kam eine Spottrede zu eurem Freunde: "seht nur +Zarathustra! Wandelt er nicht unter uns wie unter Thieren?" + +Aber so ist es besser geredet: "der Erkennende wandelt unter Menschen +_als_ unter Thieren." + +Der Mensch selber aber heisst dem Erkennenden: das Thier, das rothe +Backen hat. + +Wie geschah ihm das? Ist es nicht, weil er sich zu oft hat schämen +müssen? + +Oh meine Freunde! So spricht der Erkennende: Scham, Scham, Scham - das +ist die Geschichte des Menschen! + +Und darum gebeut sich der Edle, nicht zu beschämen: Scham gebeut er +sich vor allem Leidenden. + +Wahrlich, ich mag sie nicht, die Barmherzigen, die selig sind in ihrem +Mitleiden: zu sehr gebricht es ihnen an Scham. + +Muss ich mitleidig sein, so will ich's doch nicht heissen; und wenn +ich's bin, dann gern aus der Ferne. + +Gerne verhülle ich auch das Haupt und fliehe davon, bevor ich noch +erkannt bin: und also heisse ich euch thun, meine Freunde! + +Möge mein Schicksal mir immer Leidlose, gleich euch, über den Weg +führen, und Solche, mit denen mir Hoffnung und Mahl und Honig gemein +sein _darf_! + +Wahrlich, ich that wohl Das und jenes an Leidenden: aber Besseres +schien ich mir stets zu thun, wenn ich lernte, mich besser freuen. + +Seit es Menschen giebt, hat der Mensch sich zu wenig gefreut: Das +allein, meine Brüder, ist unsre Erbsünde! + +Und lernen wir besser uns freuen, so verlernen wir am besten, Andern +wehe zu thun und Wehes auszudenken. + +Darum wasche ich mir die Hand, die dem Leidenden half, darum wische +ich mir auch noch die Seele ab. + +Denn dass ich den Leidenden leidend sah, dessen schämte ich mich um +seiner Scham willen; und als ich ihm half, da vergieng ich mich hart +an seinem Stolze. + +Grosse Verbindlichkeiten machen nicht dankbar, sondern rachsüchtig; +und wenn die kleine Wohlthat nicht vergessen wird, so wird noch ein +Nage-Wurm daraus. + +"Seid spröde im Annehmen! Zeichnet aus damit, dass ihr annehmt!" - +also rathe ich Denen, die Nichts zu verschenken haben. + +Ich aber bin ein Schenkender: gerne schenke ich, als Freund den +Freunden. Fremde aber und Arme mögen sich die Frucht selber von meinem +Baume pflücken: so beschämt es weniger. + +Bettler aber sollte man ganz abschaffen! Wahrlich, man ärgert sich +ihnen zu geben und, ärgert sich ihnen nicht zu geben. + +Und insgleichen die Sünder und bösen Gewissen! Glaubt mir, meine +Freunde: Gewissensbisse erziehn zum Beissen. + +Das Schlimmste aber sind die kleinen Gedanken. Wahrlich, besser noch +bös gethan, als klein gedacht! + +Zwar ihr sagt: "die Lust an kleinen Bosheiten erspart uns manche +grosse böse That." Aber hier sollte man nicht sparen wollen. + +Wie ein Geschwür ist die böse That: sie juckt und kratzt und bricht +heraus, - sie redet ehrlich. + +"Siehe, ich bin Krankheit" - so redet die böse That; das ist ihre +Ehrlichkeit. + +Aber dem Pilze gleich ist der kleine Gedanke: er kriecht und duckt +sich und will nirgendswo sein - bis der ganze Leib morsch und welk ist +vor kleinen Pilzen. + +Dem aber, der vom Teufel besessen ist, sage ich diess Wort in's Ohr: +"besser noch, du ziehest deinen Teufel gross! Auch für dich giebt es +noch einen Weg der Grösse!" - + +Ach, meine Brüder! Man weiss von Jedermann Etwas zu viel! Und Mancher +wird uns durchsichtig, aber desshalb können wir noch lange nicht durch +ihn hindurch. + +Es ist schwer, mit Menschen zu leben, weil Schweigen so schwer ist. + +Und nicht gegen Den, der uns zuwider ist, sind wir am unbilligsten, +sondern gegen Den, welcher uns gar Nichts angeht. + +Hast du aber einen leidenden Freund, so sei seinem Leiden eine +Ruhestätte, doch gleichsam ein hartes Bett, ein Feldbett: so wirst du +ihm am besten nützen. + +Und thut dir ein Freund Übles, so sprich: "ich vergebe dir, was du +mir thatest; dass du es aber _dir_ thatest, - wie könnte ich das +vergeben!" + +Also redet alle grosse Liebe: die überwindet auch noch Vergebung und +Mitleiden. + +Man soll sein Herz festhalten; denn lässt man es gehn, wie bald geht +Einem da der Kopf durch! + +Ach, wo in der Welt geschahen grössere Thorheiten, als bei den +Mitleidigen? Und was in der Welt stiftete mehr Leid, als die +Thorheiten der Mitleidigen? + +Wehe allen Liebenden, die nicht noch eine Höhe haben, welche über +ihrem Mitleiden ist! + +Also sprach der Teufel einst zu mir: "auch Gott hat seine Hölle: das +ist seine Liebe zu den Menschen." + +Und jüngst hörte ich ihn diess Wort sagen: "Gott ist todt; an seinem +Mitleiden mit den Menschen ist Gott gestorben." - + +So seid mir gewarnt vordem Mitleiden: _daher_ kommt noch den Menschen +eine schwere Wolke! Wahrlich, ich verstehe mich auf Wetterzeichen! + +Merket aber auch diess Wort: alle grosse Liebe ist noch über all ihrem +Mitleiden: denn sie will das Geliebte noch - schaffen! + +"Mich selber bringe ich meiner Liebe dar, und meinen Nächsten gleich +mir" - so geht die Rede allen Schaffenden. + +Alle Schaffenden aber sind hart. - + +Also sprach Zarathustra. + + + +Von den Priestern + +Und einstmals gab Zarathustra seinen Jüngern ein Zeichen und sprach +diese Worte zu ihnen: + +"Hier sind Priester: und wenn es auch meine Feinde sind, geht mir +still an ihnen vorüber und mit schlafendem Schwerte! + +Auch unter ihnen sind Helden; Viele von ihnen litten zuviel -: so +wollen sie Andre leiden machen. + +Böse Feinde sind sie: Nichts ist rachsüchtiger als ihre Demuth. Und +leicht besudelt sich Der, welcher sie angreift. + +Aber mein Blut ist mit dem ihren verwandt; und ich will mein Blut auch +noch in dem ihren geehrt wissen." - + +Und als sie vorüber gegangen waren, fiel Zarathustra der Schmerz an; +und nicht lange hatte er mit seinem Schmerze gerungen, da hub er also +an zu reden: + +Es jammert mich dieser Priester. Sie gehen mir auch wider den +Geschmack; aber das ist mir das Geringste, seit ich unter Menschen +bin. + +Aber ich leide und litt mit ihnen: Gefangene sind es mir und +Abgezeichnete. Der, welchen sie Erlöser nennen, schlug sie in +Banden: - + +In Banden falscher Werthe und Wahn-Worte! Ach dass Einer sie noch von +ihrem Erlöser erlöste! + +Auf einem Eilande glaubten sie einst zu landen, als das Meer sie +herumriss; aber siehe, es war ein schlafendes Ungeheuer! + +Falsche Werthe und Wahn-Worte: das sind die schlimmsten Ungeheuer für +Sterbliche, - lange schläft und wartet in ihnen das Verhängniss. + +Aber endlich kommt es und wacht und frisst und schlingt, was auf ihm +sich Hütten baute. + +Oh seht mir doch diese Hütten an, die sich diese Priester bauten! +Kirchen heissen sie ihre süssduftenden Höhlen. + +Oh über diess verfälschte Licht, diese versumpfte Luft! Hier, wo die +Seele zu ihrer Höhe hinauf - nicht fliegen darf! + +Sondern also gebietet ihr Glaube: "auf den Knien die Treppe hinan, ihr +Sünder!" + +Wahrlich, lieber sehe ich noch den Schamlosen, als die verrenkten +Augen ihrer Scham und Andacht! + +Wer schuf sich solche Höhlen und Buss-Treppen? Waren es nicht Solche, +die sich verbergen wollten und sich vor dem reinen Himmel schämten? + +Und erst wenn der reine Himmel wieder durch zerbrochne Decken blickt, +und hinab auf Gras und rothen Mohn an zerbrochnen Mauern, - will ich +den Stätten dieses Gottes wieder mein Herz zuwenden. + +Sie nannten Gott, was ihnen widersprach und wehe that: und wahrlich, +es war viel Helden-Art in ihrer Anbetung! + +Und nicht anders wussten sie ihren Gott zu lieben, als indem sie den +Menschen an's Kreuz schlugen! + +Als Leichname gedachten sie zu leben, schwarz schlugen sie ihren +Leichnam aus; auch aus ihren Reden rieche ich noch die üble Würze von +Todtenkammern. + +Und wer ihnen nahe lebt, der lebt schwarzen Teichen nahe, aus denen +heraus die Unke ihr Lied mit süssem Tiefsinne singt. + +Bessere Lieder müssten sie mir singen, dass ich an ihren Erlöser +glauben lerne: erlöster müssten mir seine jünger aussehen! + +Nackt möchte ich sie sehn: denn allein die Schönheit sollte Busse +predigen. Aber wen überredet wohl diese vermummte Trübsal! + +Wahrlich, ihre Erlöser selber kamen nicht aus der Freiheit und der +Freiheit siebentem Himmel! Wahrlich, sie selber wandelten niemals auf +den Teppichen der Erkenntniss! + +Aus Lücken bestand der Geist dieser Erlöser; aber in jede Lücke hatten +sie ihren Wahn gestellt, ihren Lückenbüsser, den sie Gott nannten. + +In ihrem Mitleiden war ihr Geist ertrunken, und wenn sie schwollen +und überschwollen von Mitleiden, schwamm immer obenauf eine grosse +Thorheit. + +Eifrig trieben sie und mit Geschrei ihre Heerde über ihren Steg: wie +als ob es zur Zukunft nur Einen Steg gäbe! Wahrlich, auch diese Hirten +gehörten noch zu den Schafen! + +Kleine Geister und umfängliche Seelen hatten diese Hirten: aber, meine +Brüder, was für kleine Länder waren bisher auch die umfänglichsten +Seelen! + +Blutzeichen schrieben sie auf den Weg, den sie giengen, und ihre +Thorheit lehrte, dass man mit Blut die Wahrheit beweise. + +Aber Blut ist der schlechteste Zeuge der Wahrheit; Blut vergiftet die +reinste Lehre noch zu Wahn und Hass der Herzen. + +Und wenn Einer durch's Feuer geht für seine Lehre, - was beweist +diess! Mehr ist's wahrlich, dass aus eignem Brande die eigne Lehre +kommt! + +Schwüles Herz und kalter Kopf: wo diess zusammentrifft, da entsteht +der Brausewind, der "Erlöser". + +Grössere gab es wahrlich und Höher-Geborene, als Die, welche das Volk +Erlöser nennt, diese hinreissenden Brausewinde! + +Und noch von Grösseren, als alle Erlöser waren, müsst ihr, meine +Brüder, erlöst werden, wollt ihr zur Freiheit den Weg finden! + +Niemals noch gab es einen Übermenschen. Nackt sah ich Beide, den +grössten und den kleinsten Menschen: - + +Allzuähnlich sind sie noch einander. Wahrlich, auch den Grössten fand +ich - allzumenschlich! + +Also sprach Zarathustra. + + + +Von den Tugendhaften + +Mit Donnern und himmlischen Feuerwerken muss man zu schlaffen und +schlafenden Sinnen reden. + +Aber der Schönheit Stimme redet leise: sie schleicht sich nur in die +aufgewecktesten Seelen. + +Leise erbebte und lachte mir heut mein Schild; das ist der Schönheit +heiliges Lachen und Beben. + +Über euch, ihr Tugendhaften, lachte heut meine Schönheit. Und also kam +ihre Stimme zu mir: "sie wollen noch - bezahlt sein!" + +Ihr wollt noch bezahlt sein, ihr Tugendhaften! Wollt Lohn für Tugend +und Himmel für Erden und Ewiges für euer Heute haben? + +Und nun zürnt ihr mir, dass ich lehre, es giebt keinen Lohn- und +Zahlmeister? Und wahrlich, ich lehre nicht einmal, dass Tugend ihr +eigener Lohn ist. + +Ach, das ist meine Trauer: in den Grund der Dinge hat man Lohn und +Strafe hineingelogen - und nun auch noch in den Grund eurer Seelen, +ihr Tugendhaften! + +Aber dem Rüssel des Ebers gleich soll mein Wort den Grund eurer Seelen +aufreissen; Pflugschar will ich euch heissen. + +Alle Heimlichkeiten eures Grundes sollen an's Licht; und wenn ihr +aufgewühlt und zerbrochen in der Sonne liegt, wird auch eure Lüge von +eurer Wahrheit ausgeschieden sein. + +Denn diess ist eure Wahrheit: ihr seid _zu_reinlich_ für den Schmutz +der Worte: Rache, Strafe, Lohn, Vergeltung. + +Ihr liebt eure Tugend, wie die Mutter ihr Kind; aber wann hörte man, +dass eine Mutter bezahlt sein wollte für ihre Liebe? + +Es ist euer liebstes Selbst, eure Tugend. Des Ringes Durst ist in +euch: sich selber wieder zu erreichen, dazu ringt und dreht sich jeder +Ring. + +Und dem Sterne gleich, der erlischt, ist jedes Werk eurer Tugend: +immer ist sein Licht noch unterwegs und wandert - und wann wird es +nicht mehr unterwegs sein? + +Also ist das Licht eurer Tugend noch unterwegs, auch wenn das Werk +gethan ist. Mag es nun vergessen und todt sein: sein Strahl von Licht +lebt noch und wandert. + +Dass eure Tugend euer Selbst sei und nicht ein Fremdes, eine Haut, +eine Bemäntelung: das ist die Wahrheit aus dem Grunde eurer Seele, ihr +Tugendhaften! - + +Aber wohl giebt es Solche, denen Tugend der Krampf unter einer +Peitsche heisst: und ihr habt mir zuviel auf deren Geschrei gehört! + +Und Andre giebt es, die heissen Tugend das Faulwerden ihrer Laster; +und wenn ihr Hass und ihre Eifersucht einmal die Glieder strecken, +wird ihre "Gerechtigkeit" munter und reibt sich die verschlafenen +Augen. + +Und Andre giebt es, die werden abwärts gezogen: ihre Teufel ziehn sie. +Aber je mehr sie sinken, um so glühender leuchtet ihr Auge und die +Begierde nach ihrem Gotte. + +Ach, auch deren Geschrei drang zu euren Ohren, ihr Tugendhaften: was +ich _nicht_ bin, das, das ist mir Gott und Tugend! + +Und Andre giebt es, die kommen schwer und knarrend daher, gleich +Wägen, die Steine abwärts fahren: die reden viel von Würde und Tugend, +- ihren Hemmschuh heissen sie Tugend! + +Und Andre giebt es, die sind gleich Alltags-Uhren, die aufgezogen +wurden; sie machen ihr Tiktak und wollen, dass man Tiktak - Tugend +heisse. + +Wahrlich, an Diesen habe ich meine Lust: wo ich solche Uhren finde, +werde ich sie mit meinem Spotte aufziehn; und sie sollen mir dabei +noch schnurren! + +Und Andre sind stolz über ihre Handvoll Gerechtigkeit und begehen +um ihrerwillen Frevel an allen Dingen: also dass die Welt in ihrer +Ungerechtigkeit ertränkt wird. + +Ach, wie übel ihnen das Wort "Tugend" aus dem Munde läuft! Und wenn +sie sagen: "ich bin gerecht," so klingt es immer gleich wie: "ich bin +gerächt!" + +Mit ihrer Tugend wollen sie ihren Feinden die Augen auskratzen; und +sie erheben sich nur, um Andre zu erniedrigen. + +Und wiederum giebt es Solche, die sitzen in ihrem Sumpfe und reden +also heraus aus dem Schilfrohr: "Tugend - das ist still im Sumpfe +sitzen. + +Wir beissen Niemanden und gehen Dem aus dem Wege, der beissen will; +und in Allem haben wir die Meinung, die man uns giebt." + +Und wiederum giebt es Solche, die lieben Gebärden und denken: Tugend +ist eine Art Gebärde. + +Ihre Kniee beten immer an, und ihre Hände sind Lobpreisungen der +Tugend, aber ihr Herz weiss Nichts davon. + +Und wiederum giebt es Solche, die halten es für Tugend, zu sagen: +"Tugend ist nothwendig"; aber sie glauben im Grunde nur daran, dass +Polizei nothwendig ist. + +Und Mancher, der das Hohe an den Menschen nicht sehen kann, nennt es +Tugend, dass er ihr Niedriges allzunahe sieht: also heisst er seinen +bösen Blick Tugend. + +Und Einige wollen erbaut und aufgerichtet sein und heissen es Tugend; +und Andre wollen umgeworfen sein - und heissen es auch Tugend. + +Und derart glauben fast Alle daran, Antheil zu haben an der Tugend; +und zum Mindesten will ein jeder Kenner sein über "gut" und "böse". + +Aber nicht dazu kam Zarathustra, allen diesen Lügnern und Narren zu +sagen: "was wisst _ihr_ von Tugend! Was _könntet_ ihr von Tugend +wissen!" - + +Sondern, dass ihr, meine Freunde, der alten Worte müde würdet, welche +ihr von den Narren und Lügnern gelernt habt: + +Müde würdet der Worte "Lohn," "Vergeltung," "Strafe," "Rache in der +Gerechtigkeit" - + +Müde würdet zu sagen: "dass eine Handlung gut ist, das macht, sie ist +selbstlos." + +Ach, meine Freunde! Dass _euer_ Selbst in der Handlung sei, wie die +Mutter im Kinde ist: das sei mir _euer_ Wort von Tugend! + +Wahrlich, ich nahm euch wohl hundert Worte und eurer Tugend liebste +Spielwerke; und nun zürnt ihr mir, wie Kinder zürnen. + +Sie spielten am Meere, - da kam die Welle und riss ihnen ihr Spielwerk +in die Tiefe: nun weinen sie. + +Aber die selbe Welle soll ihnen neue Spielwerke bringen und neue bunte +Muscheln vor sie hin ausschütten! + +So werden sie getröstet sein; und gleich ihnen sollt auch ihr, meine +Freunde, eure Tröstungen haben - und neue bunte Muscheln! - + +Also sprach Zarathustra. + + + +Vom Gesindel + +Das Leben ist ein Born der Lust; aber wo das Gesindel mit trinkt, da +sind alle Brunnen vergiftet. + +Allem Reinlichen bin ich hold; aber ich mag die grinsenden Mäuler +nicht sehn und den Durst der Unreinen. + +Sie warfen ihr Auge hinab in den Brunnen: nun glänzt mir ihr widriges +Lächeln herauf aus dem Brunnen. + +Das heilige Wasser haben sie vergiftet mit ihrer Lüsternheit; und als +sie ihre schmutzigen Träume Lust nannten, vergifteten sie auch noch +die Worte. + +Unwillig wird die Flamme, wenn sie ihre feuchten Herzen an's Feuer +legen; der Geist selber brodelt und raucht, wo das Gesindel an's Feuer +tritt. + +Süsslich und übermürbe wird in ihrer Hand die Frucht: windfällig und +wipfeldürr macht ihr Blick den Fruchtbaum. + +Und Mancher, der sich vom Leben abkehrte, kehrte sich nur vom Gesindel +ab: er wollte nicht Brunnen und Flamme und Frucht mit dem Gesindel +theilen. + +Und Mancher, der in die Wüste gieng und mit Raubthieren Durst litt, +wollte nur nicht mit schmutzigen Kameeltreibern um die Cisterne +sitzen. + +Und Mancher, der wie ein Vernichter daher kam und wie ein Hagelschlag +allen Fruchtfeldern, wollte nur seinen Fuss dem Gesindel in den Rachen +setzen und also seinen Schlund stopfen. + +Und nicht das ist der Bissen, an dem ich am meisten würgte, zu +wissen, dass das Leben selber Feindschaft nöthig hat und Sterben und +Marterkreuze: - + +Sondern ich fragte einst und erstickte fast an meiner Frage: wie? hat +das Leben auch das Gesindel _nöthig_? + +Sind vergiftete Brunnen nöthig und stinkende Feuer und beschmutzte +Träume und Maden im Lebensbrode? + +Nicht mein Hass, sondern mein Ekel frass mir hungrig am Leben! Ach, +des Geistes wurde ich oft müde, als ich auch das Gesindel geistreich +fand! + +Und den Herrschenden wandt'ich den Rücken, als ich sah, was sie jetzt +Herrschen nennen: schachern und markten um Macht - mit dem Gesindel! + +Unter Völkern wohnte ich fremder Zunge, mit verschlossenen Ohren: dass +mir ihres Schacherns Zunge fremd bliebe und ihr Markten um Macht. + +Und die Nase mir haltend, gieng ich unmuthig durch alles Gestern +und Heute: wahrlich, übel riecht alles Gestern und Heute nach dem +schreibenden Gesindel! + +Einem Krüppel gleich, der taub und blind und stumm wurde: also lebte +ich lange, dass ich nicht mit Macht- und Schreib- und Lust-Gesindel +lebte. + +Mühsam stieg mein Geist Treppen, und vorsichtig; Almosen der Lust +waren sein Labsal; am Stabe schlich dem Blinden das Leben. + +Was geschah mir doch? Wie erlöste ich mich vom Ekel? Wer verjüngte +mein Auge? Wie erflog ich die Höhe, wo kein Gesindel mehr am Brunnen +sitzt? + +Schuf mein Ekel selber mir Flügel und quellenahnende Kräfte? +Wahrlich, in's Höchste musste ich fliegen, dass ich den Born der Lust +wiederfände! + +Oh, ich fand ihn, meine Brüder! Hier im Höchsten quillt mir der Born +der Lust! Und es giebt ein Leben, an dem kein Gesindel mit trinkt! + +Fast zu heftig strömst du mir, Quell der Lust! Und oft leerst du den +Becher wieder, dadurch dass du ihn füllen willst! + +Und noch muss ich lernen, bescheidener dir zu nahen: allzuheftig +strömt dir noch mein Herz entgegen: - + +Mein Herz, auf dem mein Sommer brennt, der kurze, heisse, +schwermüthige, überselige: wie verlangt mein Sommer-Herz nach deiner +Kühle! + +Vorbei die zögernde Trübsal meines Frühlings! Vorüber die Bosheit +meiner Schneeflocken im Juni! Sommer wurde ich ganz und Sommer-Mittag! + +Ein Sommer im Höchsten mit kalten Quellen und seliger Stille: oh +kommt, meine Freunde, dass die Stille noch seliger werde! Denn diess +ist _unsre_ Höhe und unsre Heimat: zu hoch und steil wohnen wir hier +allen Unreinen und ihrem Durste. Werft nur eure reinen Augen in den +Born meiner Lust, ihr Freunde! Wie sollte er darob trübe werden! +Entgegenlachen soll er euch mit _seiner_ Reinheit. + +Auf dem Baume Zukunft bauen wir unser Nest; Adler sollen uns Einsamen +Speise bringen in ihren Schnäbeln! + +Wahrlich, keine Speise, an der Unsaubere mitessen dürften! Feuer +würden sie zu fressen wähnen und sich die Mäuler verbrennen! + +Wahrlich, keine Heimstätten halten wir hier bereit für Unsaubere! +Eishöhle würde ihren Leibern unser Glück heissen und ihren Geistern! + +Und wie starke Winde wollen wir über ihnen leben, Nachbarn den Adlern, +Nachbarn dem Schnee, Nachbarn der Sonne: also leben starke Winde. + +Und einem Winde gleich will ich einst noch zwischen sie blasen und mit +meinem Geiste ihrem Geiste den Athem nehmen: so will es meine Zukunft. + +Wahrlich, ein starker Wind ist Zarathustra allen Niederungen; und +solchen Rath räth er seinen Feinden und Allem, was spuckt und speit: +hütet euch _gegen_ den Wind zu speien! + +Also sprach Zarathustra. + + + +Von den Taranteln + +Siehe, das ist der Tarantel Höhle! Willst du sie selber sehn? Hier +hängt ihr Netz: rühre daran, dass es erzittert. + +Da kommt sie willig: willkommen, Tarantel! Schwarz sitzt auf deinem +Rücken dein Dreieck und Wahrzeichen; und ich weiss auch, was in deiner +Seele sitzt. + +Rache sitzt in deiner Seele: wohin du beissest, da wächst schwarzer +Schorf; mit Rache macht dein Gift die Seele drehend! + +Also rede ich zu euch im Gleichniss, die ihr die Seelen drehend macht, +ihr Prediger der _Gleichheit_! Taranteln seid ihr mir und versteckte +Rachsüchtige! + +Aber ich will eure Verstecke schon an's Licht bringen: darum lache ich +euch in's Antlitz mein Gelächter der Höhe. + +Darum reisse ich an eurem Netze, dass eure Wuth euch aus eurer +Lügen-Höhle locke, und eure Rache hervorspringe hinter eurem Wort +"Gerechtigkeit." + +Denn dass der Mensch erlöst werde von der Rache: das ist mir die +Brücke zur höchsten Hoffnung und ein Regenbogen nach langen Unwettern. + +Aber anders wollen es freilich die Taranteln. "Das gerade heisse uns +Gerechtigkeit, dass die Welt voll werde von den Unwettern unsrer +Rache" - also reden sie mit einander. + +"Rache wollen wir üben und Beschimpfung an Allen, die uns nicht gleich +sind" - so geloben sich die Tarantel-Herzen. + +"Und `Wille zur Gleichheit` - das selber soll fürderhin der Name +für Tugend werden; und gegen Alles, was Macht hat, wollen wir unser +Geschrei erheben!" + +Ihr Prediger der Gleichheit, der Tyrannen-Wahnsinn der Ohnmacht +schreit also aus euch nach "Gleichheit": eure heimlichsten +Tyrannen-Gelüste vermummen sich also in Tugend-Worte! + +Vergrämter Dünkel, verhaltener Neid, vielleicht eurer Väter Dünkel und +Neid: aus euch bricht's als Flamme heraus und Wahnsinn der Rache. + +Was der Vater schwieg, das kommt im Sohne zum Reden; und oft fand ich +den Sohn als des Vaters entblösstes Geheimniss. + +Den Begeisterten gleichen sie: aber nicht das Herz ist es, was sie +begeistert, - sondern die Rache. Und wenn sie fein und kalt werden, +ist's nicht der Geist, sondern der Neid, der sie fein und kalt macht. + +Ihre Eifersucht führt sie auch auf der Denker Pfade; und diess ist das +Merkmal ihrer Eifersucht - immer gehn sie zu weit: dass ihre Müdigkeit +sich zuletzt noch auf Schnee schlafen legen muss. + +Aus jeder ihrer Klagen tönt Rache, in jedem ihrer Lobsprüche ist ein +Wehethun; und Richter-sein scheint ihnen Seligkeit. + +Also aber rathe ich euch, meine Freunde: misstraut Allen, in welchen +der Trieb, zu strafen, mächtig ist! + +Das ist Volk schlechter Art und Abkunft; aus ihren Gesichtern blickt +der Henker und der Spürhund. + +Misstraut allen Denen, die viel von ihrer Gerechtigkeit reden! +Wahrlich, ihren Seelen fehlt es nicht nur an Honig. + +Und wenn sie sich selber "die Guten und Gerechten" nennen, so vergesst +nicht, dass ihnen zum Pharisäer Nichts fehlt als - Macht! + +Meine Freunde, ich will nicht vermischt und verwechselt werden. + +Es giebt Solche, die predigen meine Lehre vom Leben: und zugleich sind +sie Prediger der Gleichheit und Taranteln. + +Dass sie dem Leben zu Willen reden, ob sie gleich in ihrer Höhle +sitzen, diese Gift-Spinnen, und abgekehrt vom Leben: das macht, sie +wollen damit wehethun. + +Solchen wollen sie damit wehethun, die jetzt die Macht haben: denn bei +diesen ist noch die Predigt vom Tode am besten zu Hause. + +Wäre es anders, so würden die Taranteln anders lehren: und gerade sie +waren ehemals die besten Welt-Verleumder und Ketzer-Brenner. + +Mit diesen Predigern der Gleichheit will ich nicht vermischt und +verwechselt sein. Denn so redet _mir_ die Gerechtigkeit: "die Menschen +sind nicht gleich." + +Und sie sollen es auch nicht werden! Was wäre denn meine Liebe zum +Übermenschen, wenn ich anders spräche? + +Auf tausend Brücken und Stegen sollen sie sich drängen zur Zukunft, +und immer mehr Krieg und Ungleichheit soll zwischen sie gesetzt sein: +so lässt mich meine grosse Liebe reden! + +Erfinder von Bildern und Gespenstern sollen sie werden in ihren +Feindschaften, und mit ihren Bildern und Gespenstern sollen sie noch +gegeneinander den höchsten Kampf kämpfen! + +Gut und Böse, und Reich und Arm, und Hoch und Gering, und alle Namen +der Werthe: Waffen sollen es sein und klirrende Merkmale davon, dass +das Leben sich immer wieder selber überwinden muss! + +In die Höhe will es sich bauen mit Pfeilern und Stufen, das Leben +selber: in weite Fernen will es blicken und hinaus nach seligen +Schönheiten, - _darum_ braucht es Höhe! + +Und weil es Höhe braucht, braucht es Stufen und Widerspruch der Stufen +und Steigenden! Steigen will das Leben und steigend sich überwinden. + +Und seht mir doch, meine Freunde! Hier, wo der Tarantel Höhle ist, +heben sich eines alten Tempels Trümmer aufwärts, - seht mir doch mit +erleuchteten Augen hin! + +Wahrlich, wer hier einst seine Gedanken in Stein nach Oben thürmte, um +das Geheimniss alles Lebens wusste er gleich dem Weisesten! + +Dass Kampf und Ungleiches auch noch in der Schönheit sei und Krieg um +Macht und Übermacht: das lehrt er uns hier im deutlichsten Gleichniss. + +Wie sich göttlich hier Gewölbe und Bogen brechen, im Ringkampfe: +wie mit Licht und Schatten sie wider einander streben, die +göttlich-Strebenden - + +Also sicher und schön lasst uns auch Feinde sein, meine Freunde! +Göttlich wollen wir _wider_ einander streben! - + +Wehe! Da biss mich selber die Tarantel, meine alte Feindin! Göttlich +sicher und schön biss sie mich in den Finger! + +"Strafe muss sein und Gerechtigkeit - so denkt sie: nicht umsonst soll +er hier der Feindschaft zu Ehren Lieder singen!" + +Ja, sie hat sich gerächt! Und wehe! nun wird sie mit Rache auch noch +meine Seele drehend machen! + +Dass ich mich aber _nicht_ drehe, meine Freunde, bindet mich fest hier +an diese Säule! Lieber noch Säulen-Heiliger will ich sein, als Wirbel +der Rachsucht! + +Wahrlich, kein Dreh- und Wirbelwind ist Zarathustra; und wenn er ein +Tänzer ist, nimmermehr doch ein Tarantel-Tänzer! - + +Also sprach Zarathustra. + + + +Von den berühmten Weisen + +Dem Volke habt ihr gedient und des Volkes Aberglauben, ihr berühmten +Weisen alle! - und _nicht_ der Wahrheit! Und gerade darum zollte man +euch Ehrfurcht. + +Und darum auch ertrug man euren Unglauben, weil er ein Witz und Umweg +war zum Volke. So lässt der Herr seine Sclaven gewähren und ergötzt +sich noch an ihrem Übermuthe. + +Aber wer dem Volke verhasst ist wie ein Wolf den Hunden: das ist der +freie Geist, der Fessel-Feind, der Nicht-Anbeter, der in Wäldern +Hausende. + +Ihn zu jagen aus seinem Schlupfe - das hiess immer dem Volke "Sinn +für das Rechte": gegen ihn hetzt es noch immer seine scharfzahnigsten +Hunde. + +"Denn die Wahrheit ist da: ist das Volk doch da! Wehe, wehe den +Suchenden!" - also scholl es von jeher. + +Eurem Volke wolltet ihr Recht schaffen in seiner Verehrung: das +hiesset ihr "Wille zur Wahrheit," ihr berühmten Weisen! + +Und euer Herz sprach immer zu sich: "vom Volke kam ich: von dort her +kam mir auch Gottes Stimme." + +Hart-nackig und klug, dem Esel gleich, wart ihr immer als des Volkes +Fürsprecher. + +Und mancher Mächtige, der gut fahren wollte mit dem Volke, spannte vor +seine Rosse noch - ein Eselein, einen berühmten Weisen. + +Und nun wollte ich, ihr berühmten Weisen, ihr würfet endlich das Fell +des Löwen ganz von euch! + +Das Fell des Raubthiers, das buntgefleckte, und die Zotten des +Forschenden, Suchenden, Erobernden! + +Ach, dass ich an eure "Wahrhaftigkeit" glauben lerne, dazu müsstet ihr +mir erst euren verehrenden Willen zerbrechen. + +Wahrhaftig - so heisse ich Den, der in götterlose Wüsten geht und sein +verehrendes Herz zerbrochen hat. + +Im gelben Sande und verbrannt von der Sonne schielt er wohl durstig +nach den quellenreichen Eilanden, wo Lebendiges unter dunkeln Bäumen +ruht. + +Aber sein Durst überredet ihn nicht, diesen Behaglichen gleich zu +werden: denn wo Oasen sind, da sind auch Götzenbilder. + +Hungernd, gewaltthätig, einsam, gottlos: so will sich selber der +Löwen-Wille. + +Frei von dem Glück der Knechte, erlöst von Göttern und Anbetungen, +furchtlos und fürchterlich, gross und einsam: so ist der Wille des +Wahrhaftigen. + +In der Wüste wohnten von je die Wahrhaftigen, die freien Geister, +als der Wüste Herren; aber in den Städten wohnen die gutgefütterten, +berühmten Weisen, - die Zugthiere. + +Immer nämlich ziehen sie, als Esel - des _Volkes_ Karren! + +Nicht dass ich ihnen darob zürne: aber Dienende bleiben sie mir und +Angeschirrte, auch wenn sie von goldnem Geschirre glänzen. + +Und oft waren sie gute Diener und preiswürdige. Denn so spricht die +Tugend: musst du Diener sein, so suche Den, welchem dein Dienst am +besten nützt! + +"Der Geist und die Tugend deines Herrn sollen wachsen, dadurch dass du +sein Diener bist: so wächsest du selber mit seinem Geiste und seiner +Tugend!" + +Und wahrlich, ihr berühmten Weisen, ihr Diener des Volkes! Ihr selber +wuchset mit des Volkes Geist und Tugend - und das Volk durch euch! Zu +euren Ehren sage ich das! + +Aber Volk bleibt ihr mir auch noch in euren Tugenden, Volk mit blöden +Augen, - Volk, das nicht weiss, was _Geist_ ist! + +Geist ist das Leben, das selber in's Leben schneidet: an der eignen +Qual mehrt es sich das eigne Wissen, - wusstet ihr das schon? + +Und des Geistes Glück ist diess: gesalbt zu sein und durch Thränen +geweiht zum Opferthier, - wusstet ihr das schon? + +Und die Blindheit des Blinden und sein Suchen und Tappen soll noch +von der Macht der Sonne zeugen, in die er schaute, - wusstet ihr das +schon? + +Und mit Bergen soll der Erkennende _bauen_ lernen! Wenig ist es, dass +der Geist Berge versetzt, - wusstet ihr das schon? + +Ihr kennt nur des Geistes Funken: aber ihr seht den Ambos nicht, der +er ist, und nicht die Grausamkeit seines Hammers! + +Wahrlich, ihr kennt des Geistes Stolz nicht! Aber noch weniger würdet +ihr des Geistes Bescheidenheit ertragen, wenn sie einmal reden wollte! + +Und niemals noch durftet ihr euren Geist in eine Grube von Schnee +werfen: ihr seid nicht heiss genug dazu! So kennt ihr auch die +Entzückungen seiner Kälte nicht. + +In Allem aber thut ihr mir zu vertraulich mit dem Geiste; und aus der +Weisheit machtet ihr oft ein Armen- und Krankenhaus für schlechte +Dichter. + +Ihr seid keine Adler: so erfuhrt ihr auch das Glück im Schrecken des +Geistes nicht. Und wer kein Vogel ist, soll sich nicht über Abgründen +lagern. + +Ihr seid mir Laue: aber kalt strömt jede tiefe Erkenntniss. Eiskalt +sind die innersten Brunnen des Geistes: ein Labsal heissen Händen und +Handelnden. + +Ehrbar steht ihr mir da und steif und mit geradem Rücken, ihr +berühmten Weisen! - euch treibt kein starker Wind und Wille. + +Saht ihr nie ein Segel über das Meer gehn, geründet und gebläht und +zitternd vor dem Ungestüm des Windes? + +Dem Segel gleich, zitternd vor dem Ungestüm des Geistes, geht meine +Weisheit über das Meer - meine wilde Weisheit! + +Aber ihr Diener des Volkes, ihr berühmten Weisen, - wie _könntet_ ihr +mit mir gehn! - + +Also sprach Zarathustra. + + + +Das Nachtlied + +Nacht ist es: nun reden lauter alle springenden Brunnen. Und auch +meine Seele ist ein springender Brunnen. + +Nacht ist es: nun erst erwachen alle Lieder der Liebenden. Und auch +meine Seele ist das Lied eines Liebenden. + +Ein Ungestilltes, Unstillbares ist in mir; das will laut werden. Eine +Begierde nach Liebe ist in mir, die redet selber die Sprache der +Liebe. + +Licht bin ich: ach, dass ich Nacht wäre! Aber diess ist meine +Einsamkeit, dass ich von Licht umgürtet bin. + +Ach, dass ich dunkel wäre und nächtig! Wie wollte ich an den Brüsten +des Lichts saugen! + +Und euch selber wollte ich noch segnen, ihr kleinen Funkelsterne und +Leuchtwürmer droben! - und selig sein ob eurer Licht-Geschenke. + +Aber ich lebe in meinem eignen Lichte, ich trinke die Flammen in mich +zurück, die aus mir brechen. + +Ich kenne das Glück des Nehmenden nicht; und oft träumte mir davon, +dass Stehlen noch seliger sein müsse, als Nehmen. + +Das ist meine Armuth, dass meine Hand niemals ausruht vom Schenken; +das ist mein Neid, dass ich wartende Augen sehe und die erhellten +Nächte der Sehnsucht. + +Oh Unseligkeit aller Schenkenden! Oh Verfinsterung meiner Sonne! Oh +Begierde nach Begehren! Oh Heisshunger in der Sättigung! + +Sie nehmen von mir: aber rühre ich noch an ihre Seele? Eine Kluft ist +zwischen Geben und Nehmen; und die kleinste Kluft ist am letzten zu +überbrücken. + +Ein Hunger wächst aus meiner Schönheit: wehethun möchte ich Denen, +welchen ich leuchte, berauben möchte ich meine Beschenkten: - also +hungere ich nach Bosheit. + +Die Hand zurückziehend, wenn sich schon ihr die Hand entgegenstreckt; +dem Wasserfälle gleich zögernd, der noch im Sturze zögert: - also +hungere ich nach Bosheit. + +Solche Rache sinnt meine Fülle aus; solche Tücke quillt aus meiner +Einsamkeit. + +Mein Glück im Schenken erstarb im Schenken, meine Tugend wurde ihrer +selber müde an ihrem Überflusse! + +Wer immer schenkt, dessen Gefahr ist, dass er die Scham verliere; +wer immer austheilt, dessen Hand und Herz hat Schwielen vor lauter +Austheilen. + +Mein Auge quillt nicht mehr über vor der Scham der Bittenden; meine +Hand wurde zu hart für das Zittern gefüllter Hände. + +Wohin kam die Thräne meinem Auge und der Flaum meinem Herzen? Oh +Einsamkeit aller Schenkenden! Oh Schweigsamkeit aller Leuchtenden! + +Viel Sonnen kreisen im öden Räume: zu Allem, was dunkel ist, reden sie +mit ihrem Lichte, - mir schweigen sie. + +Oh diess ist die Feindschaft des Lichts gegen Leuchtendes, +erbarmungslos wandelt es seine Bahnen. + +Unbillig gegen Leuchtendes im tiefsten Herzen: kalt gegen Sonnen, - +also wandelt jede Sonne. + +Einem Sturme gleich fliegen die Sonnen ihre Bahnen, das ist ihr +Wandeln. Ihrem unerbittlichen Willen folgen sie, das ist ihre Kälte. + +Oh, ihr erst seid es, ihr Dunklen, ihr Nächtigen, die ihr Wärme +schafft aus Leuchtendem! Oh, ihr erst trinkt euch Milch und Labsal aus +des Lichtes Eutern! + +Ach, Eis ist um mich, meine Hand verbrennt sich an Eisigem! Ach, Durst +ist in mir, der schmachtet nach eurem Durste! + +Nacht ist es: ach dass ich Licht sein muss! Und Durst nach Nächtigem! +Und Einsamkeit! + +Nacht ist es: nun bricht wie ein Born aus mir mein Verlangen, - nach +Rede verlangt mich. + +Nacht ist es: nun reden lauter alle springenden Brunnen. Und auch +meine Seele ist ein springender Brunnen. + +Nacht ist es: nun erst erwachen alle Lieder der Liebenden. Und auch +meine Seele ist das Lied eines Liebenden. - + +Also sang Zarathustra. + + + +Das Tanzlied + +Eines Abends gieng Zarathustra mit seinen Jüngern durch den Wald; und +als er nach einem Brunnen suchte, siehe, da kam er auf eine grüne +Wiese, die von Bäumen und Gebüsch still umstanden war: auf der tanzten +Mädchen mit einander. Sobald die Mädchen Zarathustra erkannten, +liessen sie vom Tanze ab; Zarathustra aber trat mit freundlicher +Gebärde zu ihnen und sprach diese Worte: + +"Lasst vom Tanze nicht ab, ihr lieblichen Mädchen! Kein Spielverderber +kam zu euch mit bösem Blick, kein Mädchen-Feind. + +Gottes Fürsprecher bin ich vor dem Teufel: der aber ist der Geist der +Schwere. Wie sollte ich, ihr Leichten, göttlichen Tänzen feind sein? +Oder Mädchen-Füssen mit schönen Knöcheln? + +Wohl bin ich ein Wald und eine Nacht dunkler Bäume: doch wer sich vor +meinem Dunkel nicht scheut, der findet auch Rosenhänge unter meinen +Cypressen. + +Und auch den kleinen Gott findet er wohl, der den Mädchen der liebste +ist: neben dem Brunnen liegt er, still, mit geschlossenen Augen. + +Wahrlich, am hellen Tage schlief er mir ein, der Tagedieb! Haschte er +wohl zu viel nach Schmetterlingen? + +Zürnt mir nicht, ihr schönen Tanzenden, wenn ich den kleinen Gott ein +Wenig züchtige! Schreien wird er wohl und weinen, - aber zum Lachen +ist er noch im Weinen! + +Und mit Thränen im Auge soll er euch um einen Tanz bitten; und ich +selber will ein Lied zu seinem Tanze singen: + +Ein Tanz- und Spottlied auf den Geist der Schwere, meinen +allerhöchsten grossmächtigsten Teufel, von dem sie sagen, dass er `der +Herr der Welt` sei." - + +Und diess ist das Lied, welches Zarathustra sang, als Cupido und die +Mädchen zusammen tanzten. + +In dein Auge schaute ich jüngst, oh Leben! Und in's Unergründliche +schien ich mir da zu sinken. + +Aber du zogst mich mit goldner Angel heraus; spöttisch lachtest du, +als ich dich unergründlich nannte. + +"So geht die Rede aller Fische, sprachst du; was _sie_ nicht +ergründen, ist unergründlich. + +Aber veränderlich bin ich nur und wild und in Allem ein Weib, und kein +tugendhaftes: + +Ob ich schon euch Männern `die Tiefe` heisse oder `die Treue`, `die +Ewige`, `die Geheimnissvolle.` - + +Doch ihr Männer beschenkt uns stets mit den eignen Tugenden - ach, ihr +Tugendhaften!" + +Also lachte sie, die Unglaubliche; aber ich glaube ihr niemals und +ihrem Lachen, wenn sie bös von sich selber spricht. + +Und als ich unter vier Augen mit meiner wilden Weisheit redete, sagte +sie mir zornig: "Du willst, du begehrst, du liebst, darum allein +_lobst_ du das Leben!" + +Fast hätte ich da bös geantwortet und der Zornigen die Wahrheit +gesagt; und man kann nicht böser antworten, als wenn man seiner +Weisheit "die Wahrheit sagt." + +So nämlich steht es zwischen uns Dreien. Von Grund aus liebe ich nur +das Leben - und, wahrlich, am meisten dann, wenn ich es hasse! + +Dass ich aber der Weisheit gut bin und oft zu gut: das macht, sie +erinnert mich gar sehr an das Leben! + +Sie hat ihr Auge, ihr Lachen und sogar ihr goldnes Angelrüthchen: was +kann ich dafür, dass die Beiden sich so ähnlich sehen? + +Und als mich einmal das Leben fragte: Wer ist denn das, die Weisheit? +- da sagte ich eifrig: "Ach ja! die Weisheit! + +Man dürstet um sie und wird nicht satt, man blickt durch Schleier, man +hascht durch Netze. + +Ist sie schön? Was weiss ich! Aber die ältesten Karpfen werden noch +mit ihr geködert. + +Veränderlich ist sie und trotzig; oft sah ich sie sich die Lippe +beissen und den Kamm wider ihres Haares Strich führen. + +Vielleicht ist sie böse und falsch, und in Allem ein Frauenzimmer; +aber wenn sie von sich selber schlecht spricht, da gerade verführt sie +am meisten." + +Als ich diess zu dem Leben sagte, da lachte es boshaft und machte die +Augen zu. "Von wem redest du doch? sagte sie, wohl von mir? + +Und wenn du Recht hättest, - sagt man _das_ mir so in's Gesicht! Aber +nun sprich doch auch von deiner Weisheit!" + +Ach, und nun machtest du wieder dein Auge auf, oh geliebtes Leben! Und +in's Unergründliche schien ich mir wieder zu sinken. - + +Also sang Zarathustra. Als aber der Tanz zu Ende und die Mädchen +fortgegangen waren, wurde er traurig. + +"Die Sonne ist lange schon hinunter, sagte er endlich; die Wiese ist +feucht, von den Wäldern her kommt Kühle. + +Ein Unbekanntes ist um mich und blickt nachdenklich. Was! Du lebst +noch, Zarathustra? + +Warum? Wofür? Wodurch? Wohin? Wo? Wie? Ist es nicht Thorheit, noch zu +leben? - + +Ach, meine Freunde, der Abend ist es, der so aus mir fragt. Vergebt +mir meine Traurigkeit! + +Abend ward es: vergebt mir, dass es Abend ward!" + +Also sprach Zarathustra. + + + +Das Grablied + +"Dort ist die Gräberinsel, die schweigsame; dort sind auch die Gräber +meiner Jugend. Dahin will ich einen immergrünen Kranz des Lebens +tragen." + +Also im Herzen beschliessend fuhr ich über das Meer. - + +Oh ihr, meiner Jugend Gesichte und Erscheinungen! Oh, ihr Blicke der +Liebe alle, ihr göttlichen Augenblicke! Wie starbt ihr mir so schnell! +Ich gedenke eurer heute wie meiner Todten. + +Von euch her, meinen liebsten Todten, kommt mir ein süsser Geruch, ein +herz- und thränenlösender. Wahrlich, er erschüttert und löst das Herz +dem einsam Schiffenden. + +Immer noch bin ich der Reichste und Bestzubeneidende - ich der +Einsamste! Denn ich _hatte_ euch doch, und ihr habt mich noch: sagt, +wem fielen, wie mir, solche Rosenäpfel vom Baume? + +Immer noch bin ich eurer Liebe Erbe und Erdreich, blühend zu eurem +Gedächtnisse von bunten wildwachsenen Tugenden, oh ihr Geliebtesten! + +Ach, wir waren gemacht, einander nahe zu bleiben, ihr holden fremden +Wunder; und nicht schüchternen Vögeln gleich kamt ihr zu mir und +meiner Begierde - nein, als Trauende zu dem Trauenden! + +Ja, zur Treue gemacht, gleich mir, und zu zärtlichen Ewigkeiten: muss +ich nun euch nach eurer Untreue heissen, ihr göttlichen Blicke und +Augenblicke: keinen andern Namen lernte ich noch. + +Wahrlich, zu schnell starbt ihr mir, ihr Flüchtlinge. Doch floht ihr +mich nicht, noch floh ich euch: unschuldig sind wir einander in unsrer +Untreue. + +_Mich_ zu tödten, erwürgte man euch, ihr Singvögel meiner Hoffnungen! +Ja, nach euch, ihr Liebsten, schoss immer die Bosheit Pfeile - mein +Herz zu treffen! + +Und sie traf! Wart ihr doch stets mein Herzlichstes, mein Besitz und +mein Besessen-sein: _darum_ musstet ihr jung sterben und allzu frühe! + +Nach dem Verwundbarsten, das ich besass, schoss man den Pfeil: das +waret ihr, denen die Haut einem Flaume gleich ist und mehr noch dem +Lächeln, das an einem Blick erstirbt! + +Aber diess Wort will ich zu meinen Feinden reden: was ist alles +Menschen-Morden gegen Das, was ihr mir thatet! + +Böseres thatet ihr mir, als aller Menschen-Mord ist; +Unwiederbringliches nahmt ihr mir: - also rede ich zu euch, meine +Feinde! + +Mordetet ihr doch meiner Jugend Gesichte und liebste Wunder! Meine +Gespielen nahmt ihr mir, die seligen Geister! Ihrem Gedächtnisse lege +ich diesen Kranz und diesen Fluch nieder. + +Diesen Fluch gegen euch, meine Feinde! Machtet ihr doch mein Ewiges +kurz, wie ein Ton zerbricht in kalter Nacht! Kaum als Aufblinken +göttlicher Augen kam es mir nur, - als Augenblick! + +Also sprach zur guten Stunde einst meine Reinheit: "göttlich sollen +mir alle Wesen sein." + +Da überfielt ihr mich mit schmutzigen Gespenstern; ach, wohin floh nun +jene gute Stunde! + +"Alle Tage sollen mir heilig sein" - so redete einst die Weisheit +meiner Jugend: wahrlich, einer fröhlichen Weisheit Rede! + +Aber da stahlt ihr Feinde mir meine Nächte und verkauftet sie zu +schlafloser Qual: ach, wohin floh nun jene fröhliche Weisheit? + +Einst begehrte ich nach glücklichen Vogelzeichen: da führtet ihr mir +ein Eulen-Unthier über den Weg, ein widriges. Ach, wohin floh da meine +zärtliche Begierde? + +Allem Ekel gelobte ich einst zu entsagen: da verwandeltet ihr meine +Nahen und Nächsten in Eiterbeulen. Ach, wohin floh da mein edelstes +Gelöbniss? + +Als Blinder gieng ich einst selige Wege: da warft ihr Unflath auf den +Weg des Blinden: und nun ekelte ihn des alten Blinden-Fusssteigs. + +Und als ich mein Schwerstes that und meiner Überwindungen Sieg +feierte: da machtet ihr Die, welche mich liebten, schrein, ich thue +ihnen am wehesten. + +Wahrlich, das war immer euer Thun: ihr vergälltet mir meinen besten +Honig und den Fleiss meiner besten Bienen. + +Meiner Mildthätigkeit sandtet ihr immer die frechsten Bettler zu; +um mein Mitleiden drängtet ihr immer die unheilbar Schamlosen. So +verwundetet ihr meine Tugend in ihrem Glauben. + +Und legte ich noch mein Heiligstes zum Opfer hin: flugs stellte eure +"Frömmigkeit" ihre fetteren Gaben dazu: also dass im Dampfe eures +Fettes noch mein Heiligstes erstickte. + +Und einst wollte ich tanzen, wie nie ich noch tanzte: über alle Himmel +weg wollte ich tanzen. Da überredetet ihr meinen liebsten Sänger. + +Und nun stimmte er eine schaurige dumpfe Weise an; ach, er tutete mir, +wie ein düsteres Horn, zu Ohren! + +Mörderischer Sänger, Werkzeug der Bosheit, Unschuldigster! Schon stand +ich bereit zum besten Tanze: da mordetest du mit deinen Tönen meine +Verzückung! + +Nur im Tanze weiss ich der höchsten Dinge Gleichniss zu reden: - und +nun blieb mir mein höchstes Gleichniss ungeredet in einen Gliedern! + +Ungeredet und unerlöst blieb mir die höchste Hoffnung! Und es starben +mir alle Gesichte und Tröstungen meiner Jugend! + +Wie ertrug ich's nur? Wie verwand und überwand ich solche Wunden? Wie +erstand meine Seele wieder aus diesen Gräbern? + +Ja, ein Unverwundbares, Unbegrabbares ist an mir, ein +Felsensprengendes: das heisst _mein_Wille_. Schweigsam schreitet es +und unverändert durch die Jahre. + +Seinen Gang will er gehn auf meinen Füssen, mein alter Wille; +herzenshart ist ihm der Sinn und unverwundbar. + +Unverwundbar bin ich allein an meiner Ferse. Immer noch lebst du da +und bist dir gleich, Geduldigster! Immer noch brachst du dich durch +alle Gräber! + +In dir lebt auch noch das Unerlöste meiner Jugend; und als Leben und +Jugend sitzest du hoffend hier auf gelben Grab-Trümmern. + +Ja, noch bist du mir aller Gräber Zertrümmerer: Heil dir, mein Wille! +Und nur wo Gräber sind, giebt es Auferstehungen. - + +Also sang Zarathustra. - + + + +Von der Selbst-Überwindung + +"Wille zur Wahrheit" heisst ihr's, ihr Weisesten, was euch treibt und +brünstig macht? + +Wille zur Denkbarkeit alles Seienden: also heisse _ich_ euren Willen! + +Alles Seiende wollt ihr erst denkbar _machen_: denn ihr zweifelt mit +gutem Misstrauen, ob es schon denkbar ist. + +Aber es soll sich euch fügen und biegen! So will's euer Wille. +Glatt soll es werden und dem Geiste unterthan, als sein Spiegel und +Widerbild. + +Das ist euer ganzer Wille, ihr Weisesten, als ein Wille zur Macht; und +auch wenn ihr vom Guten und Bösen redet und von den Werthschätzungen. +Schaffen wollt ihr noch die Welt, vor der ihr knien könnt: so ist es +eure letzte Hoffnung und Trunkenheit. + +Die Unweisen freilich, das Volk, - die sind gleich dem Flusse, auf +dem ein Nachen weiter schwimmt: und im Nachen sitzen feierlich und +vermummt die Werthschätzungen. + +Euren Willen und eure Werthe setztet ihr auf den Fluss des Werdens; +einen alten Willen zur Macht verräth mir, was vom Volke als gut und +böse geglaubt wird. + +Ihr wart es, ihr Weisesten, die solche Gäste in diesen Nachen setzten +und ihnen Prunk und stolze Namen gaben, - ihr und euer herrschender +Wille! + +Weiter trägt nun der Fluss euren Nachen: er _muss_ ihn tragen. +Wenig thut's, ob die gebrochene Welle schäumt und zornig dem Kiele +widerspricht! + +Nicht der Fluss ist eure Gefahr und das Ende eures Guten und Bösen, +ihr Weisesten: sondern jener Wille selber, der Wille zur Macht, - der +unerschöpfte zeugende Lebens-Wille. + +Aber damit ihr mein Wort versteht vom Guten und Bösen: dazu will ich +euch noch mein Wort vom Leben sagen und von der Art alles Lebendigen. + +Dem Lebendigen gieng ich nach, ich gieng die grössten und die +kleinsten Wege, dass ich seine Art erkenne. + +Mit hundertfachem Spiegel fieng ich noch seinen Blick auf, wenn ihm +der Mund geschlossen war: dass sein Auge mir rede. Und sein Auge +redete mir. + +Aber, wo ich nur Lebendiges fand, da hörte ich auch die Rede vom +Gehorsame. Alles Lebendige ist ein Gehorchendes. + +Und diess ist das Zweite: Dem wird befohlen, der sich nicht selber +gehorchen kann. So ist es des Lebendigen Art. + +Diess aber ist das Dritte, was ich hörte: dass Befehlen schwerer ist, +als Gehorchen. Und nicht nur, dass der Befehlende die Last aller +Gehorchenden trägt, und dass leicht ihn diese Last zerdrückt: - + +Ein Versuch und Wagniss erschien mir in allem Befehlen; und stets, +wenn es befiehlt, wagt das Lebendige sich selber dran. + +Ja noch, wenn es sich selber befiehlt: auch da noch muss es sein +Befehlen büssen. Seinem eignen Gesetze muss es Richter und Rächer und +Opfer werden. + +Wie geschieht diess doch! so fragte ich mich. Was überredet das +Lebendige, dass es gehorcht und befiehlt und befehlend noch Gehorsam +übt? + +Hört mir nun mein Wort, ihr Weisesten! Prüft es ernstlich, ob ich dem +Leben selber in's Herz kroch und bis in die Wurzeln seines Herzens! + +Wo ich Lebendiges fand, da fand ich Willen zur Macht; und noch im +Willen des Dienenden fand ich den Willen, Herr zu sein. + +Dass dem Stärkeren diene das Schwächere, dazu überredet es sein Wille, +der über noch Schwächeres Herr sein will: dieser Lust allein mag es +nicht entrathen. + +Und wie das Kleinere sich dem Grösseren hingiebt, dass es Lust und +Macht am Kleinsten habe: also giebt sich auch das Grösste noch hin und +setzt um der Macht willen - das Leben dran. + +Das ist die Hingebung des Grössten, dass es Wagniss ist und Gefahr und +um den Tod ein Würfelspielen. + +Und wo Opferung und Dienste und Liebesblicke sind: auch da ist Wille, +Herr zu sein. Auf Schleichwegen schleicht sich da der Schwächere in +die Burg und bis in's Herz dem Mächtigeren - und stiehlt da Macht. + +Und diess Geheimniss redete das Leben selber zu mir. Siehe, sprach es, +ich bin das, was sich immer selber überwinden muss. + +"Freilich, ihr heisst es Wille zur Zeugung oder Trieb zum Zwecke, +zum Höheren, Ferneren, Vielfacheren: aber all diess ist Eins und Ein +Geheimniss. + +Lieber noch gehe ich unter, als dass ich diesem Einen absagte; und +wahrlich, wo es Untergang giebt und Blätterfallen, siehe, da opfert +sich Leben - um Macht! + +Dass ich Kampf sein muss und Werden und Zweck und der Zwecke +Widerspruch: ach, wer meinen Willen erräth, erräth wohl auch, auf +welchen _krummen_ Wegen er gehen muss! + +Was ich auch schaffe und wie ich's auch liebe, - bald muss ich Gegner +ihm sein und meiner Liebe: so will es mein Wille. + +Und auch du, Erkennender, bist nur ein Pfad und Fusstapfen meines +Willens: wahrlich, mein Wille zur Macht wandelt auch auf den Füssen +deines Willens zur Wahrheit! + +Der traf freilich die Wahrheit nicht, der das Wort nach ihr schoss vom +`Willen zum Dasein`: diesen Willen - giebt es nicht! + +Denn: was nicht ist, das kann nicht wollen; was aber im Dasein ist, +wie könnte das noch zum Dasein wollen! + +Nur, wo Leben ist, da ist auch Wille: aber nicht Wille zum Leben, +sondern - so lehre ich's dich - Wille zur Macht! + +Vieles ist dem Lebenden höher geschätzt, als Leben selber; doch aus +dem Schätzen selber heraus redet - der Wille zur Macht!" - + +Also lehrte mich einst das Leben: und daraus löse ich euch, ihr +Weisesten, noch das Räthsel eures Herzens. + +Wahrlich, ich sage euch: Gutes und Böses, das unvergänglich wäre - das +giebt es nicht! Aus sich selber muss es sich immer wieder überwinden. + +Mit euren Werthen und Worten von Gut und Böse übt ihr Gewalt, ihr +Werthschätzenden: und diess ist eure verborgene Liebe und eurer Seele +Glänzen, Zittern und Überwallen. + +Aber eine stärkere Gewalt wächst aus euren Werthen und eine neue +Überwindung: an der zerbricht Ei und Eierschale. + +Und wer ein Schöpfer sein muss im Guten und Bösen: wahrlich, der muss +ein Vernichter erst sein und Werthe zerbrechen. + +Also gehört das höchste Böse zur höchsten Güte: diese aber ist die +schöpferische. - + +Reden wir nur davon, ihr Weisesten, ob es gleich schlimm ist. +Schweigen ist schlimmer; alle verschwiegenere Wahrheiten werden +giftig. + +Und mag doch Alles zerbrechen, was an unseren Wahrheiten zerbrechen - +kann! Manches Haus giebt es noch zu bauen! + +Also sprach Zarathustra. + + + +Von den Erhabenen + +Still ist der Grund meines Meeres: wer erriethe wohl, dass er +scherzhafte Ungeheuer birgt! + +Unerschütterlich ist meine Tiefe: aber sie glänzt von schwimmenden +Räthseln und Gelächtern. + +Einen Erhabenen sah ich heute, einen Feierlichen, einen Büsser des +Geistes: oh wie lachte meine Seele ob seiner Hässlichkeit! + +Mit erhobener Brust und Denen gleich, welche den Athem an sich ziehn: +also stand er da, der Erhabene, und schweigsam: + +Behängt mit hässlichen Wahrheiten, seiner Jagdbeute, und reich an +zerrissenen Kleidern; auch viele Dornen hiengen an ihm - aber noch sah +ich keine Rose. + +Noch lernte er das Lachen nicht und die Schönheit. Finster kam dieser +Jäger zurück aus dem Walde der Erkenntniss. + +Vom Kampfe kehrte er heim mit wilden Thieren: aber aus seinem Ernste +blickt auch noch ein wildes Thier - ein unüberwundenes! + +Wie ein Tiger steht er immer noch da, der springen will; aber ich mag +diese gespannten Seelen nicht, unhold ist mein Geschmack allen diesen +Zurückgezognen. + +Und ihr sagt mir, Freunde, dass nicht zu streiten sei über Geschmack +und Schmecken? Aber alles Leben ist Streit um Geschmack und Schmecken! + +Geschmack: das ist Gewicht zugleich und Wagschale und Wägender; und +wehe allem Lebendigen, das ohne Streit um Gewicht und Wagschale und +Wägende leben wollte! + +Wenn er seiner Erhabenheit müde würde, dieser Erhabene: dann erst +würde seine Schönheit anheben, - und dann erst will ich ihn schmecken +und schmackhaft finden. + +Und erst, wenn er sich von sich selber abwendet, wird er über seinen +eignen Schatten springen - und, wahrlich! hinein in _seine_ Sonne. + +Allzulange sass er im Schatten, die Wangen bleichten dem Büsser des +Geistes; fast verhungerte er an seinen Erwartungen. + +Verachtung ist noch in seinem Auge; und Ekel birgt sich an seinem +Munde. Zwar ruht er jetzt, aber seine Ruhe hat sich noch nicht in die +Sonne gelegt. + +Dem Stiere gleich sollte er thun; und sein Glück sollte nach Erde +riechen und nicht nach Verachtung der Erde. + +Als weissen Stier möchte ich ihn sehn, wie er schnaubend und brüllend +der Pflugschar vorangeht: und sein Gebrüll sollte noch alles Irdische +preisen! + +Dunkel noch ist sein Antlitz; der Hand Schatten spielt auf ihm. +Verschattet ist noch der Sinn seines Auges. + +Seine That selber ist noch der Schatten auf ihm: die Hand verdunkelt +den Handelnden. Noch hat er seine That nicht überwunden. + +Wohl liebe ich an ihm den Nacken des Stiers: aber nun will ich auch +noch das Auge des Engels sehn. + +Auch seinen Helden-Willen muss er noch verlernen: ein Gehobener soll +er mir sein und nicht nur ein Erhabener: - der Äther selber sollte ihn +heben, den Willenlosen! + +Er bezwang Unthiere, er löste Räthsel: aber erlösen sollte er auch +noch seine Unthiere und Räthsel, zu himmlischen Kindern sollte er sie +noch verwandeln. + +Noch hat seine Erkenntniss nicht lächeln gelernt und ohne Eifersucht +sein; noch ist seine strömende Leidenschaft nicht stille geworden in +der Schönheit. + +Wahrlich, nicht in der Sattheit soll sein Verlangen schweigen und +untertauchen, sondern in der Schönheit! Die Anmuth gehört zur +Grossmuth des Grossgesinnten. + +Den Arm über das Haupt gelegt: so sollte der Held ausruhn, so sollte +er auch noch sein Ausruhen überwinden. + +Aber gerade dem Helden ist das _Schöne_ aller Dinge Schwerstes. +Unerringbar ist das Schöne allem heftigen Willen. + +Ein Wenig mehr, ein Wenig weniger: das gerade ist hier Viel, das ist +hier das Meiste. + +Mit lässigen Muskeln stehn und mit abgeschirrtem Willen: das ist das +Schwerste euch Allen, ihr Erhabenen! + +Wenn die Macht gnädig wird und herabkommt in's Sichtbare: Schönheit +heisse ich solches Herabkommen. + +Und von Niemandem will ich so als von dir gerade Schönheit, du +Gewaltiger: deine Güte sei deine letzte Selbst- Überwältigung. + +Alles Böse traue ich dir zu: darum will ich von dir das Gute. + +Wahrlich, ich lachte oft der Schwächlinge, welche sich gut glauben, +weil sie lahme Tatzen haben! + +Der Säule Tugend sollst du nachstreben: schöner wird sie immer und +zarter, aber inwendig härter und tragsamer, je mehr sie aufsteigt. + +Ja, du Erhabener, einst sollst du noch schön sein und deiner eignen +Schönheit den Spiegel vorhalten. + +Dann wird deine Seele vor göttlichen Begierden schaudern; und Anbetung +wird noch in deiner Eitelkeit sein! + +Diess nämlich ist das Geheimniss der Seele: erst, wenn sie der Held +verlassen hat, naht ihr, im Traume, - der Über-Held. + +Also sprach Zarathustra. + + + +Vom Lande der Bildung + +Zu weit hinein flog ich in die Zukunft: ein Grauen überfiel mich. + +Und als ich um mich sah, siehe! da war die Zeit mein einziger +Zeitgenosse. + +Da floh ich rückwärts, heimwärts - und immer eilender: so kam ich zu +euch, ihr Gegenwärtigen, und in's Land der Bildung. + +Zum ersten Male brachte ich ein Auge mit für euch, und gute Begierde: +wahrlich, mit Sehnsucht im Herzen kam ich. + +Aber wie geschah mir? So angst mir auch war, - ich musste lachen! Nie +sah mein Auge etwas so Buntgesprenkeltes! + +Ich lachte und lachte, während der Fuss mir noch zitterte und das Herz +dazu: "hier ist ja die Heimat aller Farbentöpfe!" - sagte ich. + +Mit fünfzig Klexen bemalt an Gesicht und Gliedern: so sasset ihr da zu +meinem Staunen, ihr Gegenwärtigen! + +Und mit fünfzig Spiegeln um euch, die eurem Farbenspiele schmeichelten +und nachredeten! + +Wahrlich, ihr könntet gar keine bessere Maske tragen, ihr +Gegenwärtigen, als euer eignes Gesicht ist! Wer könnte euch - +_erkennen_! + +Vollgeschrieben mit den Zeichen der Vergangenheit, und auch diese +Zeichen überpinselt mit neuen Zeichen: also habt ihr euch gut +versteckt vor allen Zeichendeutern! + +Und wenn man auch Nierenprüfer ist: wer glaubt wohl noch, dass ihr +Nieren habt! Aus Farben scheint ihr gebacken und aus geleimten +Zetteln. + +Alle Zeiten und Völker blicken bunt aus euren Schleiern; alle Sitten +und Glauben reden bunt aus euren Gebärden. + +Wer von euch Schleier und Überwürfe und Farben und Gebärden abzöge: +gerade genug würde er übrig behalten, um die Vögel damit zu +erschrecken. + +Wahrlich, ich selber bin der erschreckte Vogel, der euch einmal nackt +sah und ohne Farbe; und ich flog davon, als das Gerippe mir Liebe +zuwinkte. + +Lieber wollte ich doch noch Tagelöhner sein in der Unterwelt und bei +den Schatten des Ehemals! - feister und voller als ihr sind ja noch +die Unterweltlichen! + +Diess, ja diess ist Bitterniss meinen Gedärmen, dass ich euch weder +nackt, noch bekleidet aushalte, ihr Gegenwärtigen! + +Alles Unheimliche der Zukunft, und was je verflogenen Vögeln Schauder +machte, ist wahrlich heimlicher noch und traulicher als eure +"Wirklichkeit". + +Denn so sprecht ihr: "Wirkliche sind wir ganz, und ohne Glauben und +Aberglauben": also brüstet ihr euch - ach, auch noch ohne Brüste! + +Ja, wie solltet ihr glauben _können_, ihr Buntgesprenkelten! - die ihr +Gemälde seid von Allem, was je geglaubt wurde! + +Wandelnde Widerlegungen seid ihr des Glaubens selber, und aller +Gedanken Gliederbrechen. _Unglaubwürdige_: also heisse _ich_ euch, ihr +Wirklichen! + +Alle Zeiten schwätzen wider einander in euren Geistern; und aller +Zeiten Träume und Geschwätz waren wirklicher noch als euer Wachsein +ist! + +Unfruchtbare seid ihr: _darum_ fehlt es euch an Glauben. Aber +wer schaffen musste, der hatte auch immer seine Wahr-Träume und +Stern-Zeichen - und glaubte an Glauben! - + +Halboffne Thore seid ihr, an denen Todtengräber warten. Und das ist +_eure_ Wirklichkeit: "Alles ist werth, dass es zu Grunde geht." + +Ach, wie ihr mir dasteht, ihr Unfruchtbaren, wie mager in den Rippen! +Und Mancher von euch hatte wohl dessen selber ein Einsehen. + +Und er sprach: "es hat wohl da ein Gott, als ich schlief, mir heimlich +Etwas entwendet? Wahrlich, genug, sich ein Weibchen daraus zu bilden! + +Wundersam ist die Armuth meiner Rippen!" also sprach schon mancher +Gegenwärtige. + +Ja, zum Lachen seid ihr mir, ihr Gegenwärtigen! Und sonderlich, wenn +ihr euch über euch selber wundert! + +Und wehe mir, wenn ich nicht lachen könnte über eure Verwunderung, und +alles Widrige aus euren Näpfen hinunter trinken müsste! + +So aber will ich's mit euch leichter nehmen, da ich _Schweres_ zu +tragen habe; und was thut's mir, wenn sich Käfer und Flügelwürmer noch +auf mein Bündel setzen! + +Wahrlich, es soll mir darob nicht schwerer werden! Und nicht aus euch, +ihr Gegenwärtigen, soll mir die grosse Müdigkeit kommen. - Ach, wohin +soll ich nun noch steigen mit meiner Sehnsucht! Von allen Bergen +schaue ich aus nach Vater- und Mutterländern. + +Aber Heimat fand ich nirgends: unstät bin ich in allen Städten und ein +Aufbruch an allen Thoren. + +Fremd sind mir und ein Spott die Gegenwärtigen, zu denen mich jüngst +das Herz trieb; und vertrieben bin ich aus Vater- und Mutterländern. + +So liebe ich allein noch meiner _Kinder_Land_, das unentdeckte, im +fernsten Meere: nach ihm heisse ich meine Segel suchen und suchen. + +An meinen Kindern will ich es gut machen, dass ich meiner Väter Kind +bin: und an aller Zukunft - _diese_ Gegenwart! + +Also sprach Zarathustra. + + + +Von der unbefleckten Erkenntniss + +Als gestern der Mond aufgieng, wähnte ich, dass er eine Sonne gebären +wolle: so breit und trächtig lag er am Horizonte. + +Aber ein Lügner war er mir mit seiner Schwangerschaft; und eher noch +will ich an den Mann im Monde glauben als an das Weib. + +Freilich, wenig Mann ist er auch, dieser schüchterne Nachtschwärmer. +Wahrlich, mit schlechtem Gewissen wandelt er über die Dächer. + +Denn er ist lüstern und eifersüchtig, der Mönch im Monde, lüstern nach +der Erde und nach allen Freuden der Liebenden. + +Nein, ich mag ihn nicht, diesen Kater auf den Dächern! Widerlich sind +mir Alle, die um halbverschlossne Fenster schleichen! + +Fromm und schweigsam wandelt er hin auf Sternen-Teppichen: - aber ich +mag alle leisetretenden Mannsfüsse nicht, an denen auch nicht ein +Sporen klirrt. + +Jedes Redlichen Schritt redet; die Katze aber stiehlt sich über den +Boden weg. Siehe, katzenhaft kommt der Mond daher und unredlich. - + +Dieses Gleichniss gebe ich euch empfindsamen Heuchlern, euch, den +"Rein-Erkennenden!" Euch heisse _ich_ - Lüsterne! + +Auch ihr liebt die Erde und das Irdische: ich errieth euch wohl! - +aber Scham ist in eurer Liebe und schlechtes Gewissen, - dem Monde +gleicht ihr! + +Zur Verachtung des Irdischen hat man euren Geist überredet, aber nicht +eure Eingeweide: _die_ aber sind das Stärkste an euch! + +Und nun schämt sich euer Geist, dass er euren Eingeweiden zu willen +ist und geht vor seiner eignen Scham Schleich- und Lügenwege. + +"Das wäre mir das Höchste - also redet euer verlogner Geist zu sich - +auf das Leben ohne Begierde zu schaun und nicht gleich dem Hunde mit +hängender Zunge: + +Glücklich zu sein im Schauen, mit erstorbenem Willen, ohne Griff und +Gier der Selbstsucht - kalt und aschgrau am ganzen Leibe, aber mit +trunkenen Mondesaugen!" + +"Das wäre mir das Liebste, - also verführt sich selber der Verführte +- die Erde zu lieben, wie der Mond sie liebt, und nur mit dem Auge +allein ihre Schönheit zu betasten. + +Und das heisse mir aller Dinge _unbefleckte_ Erkenntniss, dass ich von +den Dingen Nichts will: ausser dass ich vor ihnen da liegen darf wie +ein Spiegel mit hundert Augen." - + +Oh, ihr empfindsamen Heuchler, ihr Lüsternen! Euch fehlt die Unschuld +in der Begierde: und nun verleumdet ihr drum das Begehren! + +Wahrlich, nicht als Schaffende, Zeugende, Werdelustige liebt ihr die +Erde! + +Wo ist Unschuld? Wo der Wille zur Zeugung ist. Und wer über sich +hinaus schaffen will, der hat mir den reinsten Willen. + +Wo ist Schönheit? Wo ich mit allem Willen _wollen_muss_; wo ich lieben +und untergehn will, dass ein Bild nicht nur Bild bleibe. + +Lieben und Untergehn: das reimt sich seit Ewigkeiten. Wille zur Liebe: +das ist, willig auch sein zum Tode. Also rede ich zu euch Feiglingen! + +Aber nun will euer entmanntes Schielen "Beschaulichkeit" heissen! Und +was mit feigen Augen sich tasten lässt, soll "schön" getauft werden! +oh, ihr Beschmutzer edler Namen! + +Aber das soll euer Fluch sein, ihr Unbefleckten, ihr Rein-Erkennenden, +dass ihr nie gebären werdet: und wenn ihr auch breit und trächtig am +Horizonte liegt! + +Wahrlich, ihr nehmt den Mund voll mit edlen Worten: und wir sollen +glauben, dass euch das Herz übergehe, ihr Lügenbolde? + +Aber in _eine_ Worte sind geringe, verachtete, krumme Worte: gerne +nehme ich auf, was bei eurer Mahlzeit unter den Tisch fällt. + +Immer noch kann ich mit ihnen - Heuchlern die Wahrheit sagen! ja, +meine Gräten, Muscheln und Stachelblätter sollen - Heuchlern die Nasen +kitzeln! + +Schlechte Luft ist immer um euch und eure Mahlzeiten: eure lüsternen +Gedanken, eure Lügen und Heimlichkeiten sind ja in der Luft! + +Wagt es doch erst, euch selber zu glauben - euch und euren +Eingeweiden! Wer sich selber nicht glaubt, lügt immer. + +Eines Gottes Larve hängtet ihr um vor euch selber, ihr "Reinen": in +eines Gottes Larve verkroch sich euer greulicher Ringelwurm. + +Wahrlich, ihr täuscht, ihr "Beschaulichen"! Auch Zarathustra +war einst der Narr eurer göttlichen Häute; nicht errieth er das +Schlangengeringel, mit denen sie gestopft waren. + +Eines Gottes Seele wähnte ich einst spielen zu sehn in euren Spielen, +ihr Rein-Erkennenden! Keine bessere Kunst wähnte ich einst als eure +Künste! + +Schlangen-Unflath und schlimmen Geruch verhehlte mir die Ferne: und +dass einer Eidechse List lüstern hier herumschlich. + +Aber ich kam euch _nah_: da kam mir der Tag - und nun kommt er euch, - +zu Ende gieng des Mondes Liebschaft! + +Seht doch hin! Ertappt und bleich steht er da - vor der Morgenröthe! + +Denn schon kommt sie, die Glühende, - _ihre_ Liebe zur Erde kommt! +Unschuld und Schöpfer-Begier ist alle Sonnen-Liebe! + +Seht doch hin, wie sie ungeduldig über das Meer kommt! Fühlt ihr den +Durst und den heissen Athem ihrer Liebe nicht? + +Am Meere will sie saugen und seine Tiefe zu sich in die Höhe trinken: +da hebt sich die Begierde des Meeres mit tausend Brüsten. + +Geküsst und gesaugt _will_ es sein vom Durste der Sonne; Luft _will_ +es werden und Höhe und Fusspfad des Lichts und selber Licht! + +Wahrlich, der Sonne gleich liebe ich das Leben und alle tiefen Meere. + +Und diess heisst _mir_ Erkenntniss: alles Tiefe soll hinauf - zu +meiner Höhe! + +Also sprach Zarathustra. + + + +Von den Gelehrten + +Als ich im Schlafe lag, da frass ein Schaf am Epheukranze meines +Hauptes, - frass und sprach dazu: "Zarathustra ist kein Gelehrter +mehr." + +Sprach's und gieng stotzig davon und stolz. Ein Kind erzählte mir's. + +Gerne liege ich hier, wo die Kinder spielen, an der zerbrochnen Mauer, +unter Disteln und rothen Mohnblumen. + +Ein Gelehrter bin ich den Kindern noch und auch den Disteln und rothen +Mohnblumen. Unschuldig sind sie, selbst noch in ihrer Bosheit. + +Aber den Schafen bin ich's nicht mehr: so will es mein Loos - gesegnet +sei es! + +Denn diess ist die Wahrheit: ausgezogen bin ich aus dem Hause der +Gelehrten: und die Thür habe ich noch hinter mir zugeworfen. + +Zu lange sass meine Seele hungrig an ihrem Tische; nicht, gleich +ihnen, bin ich auf das Erkennen abgerichtet wie auf das Nüsseknacken. + +Freiheit liebe ich und die Luft über frischer Erde; lieber noch will +ich auf Ochsenhäuten schlafen, als auf ihren Würden und Achtbarkeiten. + +Ich bin zu heiss und verbrannt von eigenen Gedanken: oft will es mir +den Athem nehmen. Da muss ich in's Freie und weg aus allen verstaubten +Stuben. + +Aber sie sitzen kühl in kühlem Schatten: sie wollen in Allem nur +Zuschauer sein und hüten sich dort zu sitzen, wo die Sonne auf die +Stufen brennt. + +Gleich Solchen, die auf der Strasse stehn und die Leute angaffen, +welche vorübergehn: also warten sie auch und gaffen Gedanken an, die +Andre gedacht haben. + +Greift man sie mit Händen, so stäuben sie um sich gleich Mehlsäcken, +und unfreiwillig. aber wer erriethe wohl, dass ihr Staub vom Korne +stammt und von der gelben Wonne der Sommerfelder? + +Geben sie sich weise, so fröstelt mich ihrer kleinen Sprüche und +Wahrheiten: ein Geruch ist oft an ihrer Weisheit, als ob sie aus dem +Sumpfe stamme: und wahrlich, ich hörte auch schon den Frosch aus ihr +quaken! + +Geschickt sind sie, sie haben kluge Finger: was will _meine_ Einfalt +bei ihrer Vielfalt! Alles Fädeln und Knüpfen und Weben verstehn ihre +Finger: also wirken sie die Strümpfe des Geistes! + +Gute Uhrwerke sind sie: nur sorge man, sie richtig aufzuziehn! Dann +zeigen sie ohne Falsch die Stunde an und machen einen bescheidnen Lärm +dabei. + +Gleich Mühlwerken arbeiten sie und Stampfen: man werfe ihnen nur seine +Fruchtkörner zu! - sie wissen schon, Korn klein zu mahlen und weissen +Staub daraus zu machen. + +Sie sehen einander gut auf die Finger und trauen sich nicht zum +Besten. Erfinderisch in kleinen Schlauheiten warten sie auf Solche, +deren Wissen auf lahmen Füssen geht, - gleich Spinnen warten sie. + +Ich sah sie immer mit Vorsicht Gift bereiten; und immer zogen sie +gläserne Handschuhe dabei an ihre Finger. + +Auch mit falschen Würfeln wissen sie zu spielen; und so eifrig fand +ich sie spielen, dass sie dabei schwitzten. + +Wir sind einander fremd, und ihre Tugenden gehn mir noch mehr wider +den Geschmack, als ihre Falschheiten und falschen Würfel. + +Und als ich bei ihnen wohnte, da wohnte ich über ihnen. Darüber wurden +sie mir gram. + +Sie wollen Nichts davon hören, dass Einer über ihren Köpfen wandelt; +und so legten sie Holz und Erde und Unrath zwischen mich und ihre +Köpfe. + +Also dämpften sie den Schall meiner Schritte: und am schlechtesten +wurde ich bisher von den Gelehrtesten gehört. + +Aller Menschen Fehl und Schwäche legten sie zwischen sich und mich: - +"Fehlboden" heissen sie das in ihren Häusern. + +Aber trotzdem wandele ich mit meinen Gedanken _über_ ihren Köpfen; und +selbst, wenn ich auf meinen eignen Fehlern wandeln wollte, würde ich +noch über ihnen sein und ihren Köpfen. + +Denn die Menschen sind _nicht_ gleich: so spricht die Gerechtigkeit. +Und was ich will, dürften _sie_ nicht wollen! + +Also sprach Zarathustra. + + + +Von den Dichtern + +"Seit ich den Leib besser kenne, - sagte Zarathustra zu einem seiner +Jünger - ist mir der Geist nur noch gleichsam Geist; und alles das +`Unvergängliche` - das ist auch nur ein Gleichniss." + +"So hörte ich dich schon einmal sagen, antwortete der Jünger; und +damals fügtest du hinzu: `aber die Dichter lügen zuviel.` Warum +sagtest du doch, dass die Dichter zuviel lügen?" + +"Warum? sagte Zarathustra. Du fragst warum? Ich gehöre nicht zu Denen, +welche man nach ihrem Warum fragen darf. + +Ist denn mein Erleben von Gestern? Das ist lange her, dass ich die +Gründe meiner Meinungen erlebte. + +Müsste ich nicht ein Fass sein von Gedächtniss, wenn ich auch meine +Gründe bei mir haben wollte? + +Schon zuviel ist mir's, meine Meinungen selber zu behalten; und +mancher Vogel fliegt davon. + +Und mitunter finde ich auch ein zugezogenes Thier in meinem +Taubenschlage, das mir fremd ist, und das zittert, wenn ich meine Hand +darauf lege. + +Doch was sagte dir einst Zarathustra? Dass die Dichter zuviel lügen? - +Aber auch Zarathustra ist ein Dichter. + +Glaubst du nun, dass er hier die Wahrheit redete? Warum glaubst du +das?" + +Der Jünger antwortete: "ich glaube an Zarathustra." Aber Zarathustra +schüttelte den Kopf und lächelte. + +Der Glaube macht mich nicht selig, sagte er, zumal nicht der Glaube an +mich. + +Aber gesetzt, dass jemand allen Ernstes sagte, die Dichter lügen +zuviel: so hat er Recht, - _wir_ lügen zuviel. + +Wir wissen auch zu wenig und sind schlechte Lerner: so müssen wir +schon lügen. + +Und wer von uns Dichtern hätte nicht seinen Wein verfälscht? +Manch giftiger Mischmasch geschah in unsern Kellern, manches +Unbeschreibliche ward da gethan. + +Und weil wir wenig wissen, so gefallen uns von Herzen die geistig +Armen, sonderlich wenn es junge Weibchen sind! + +Und selbst nach den Dingen sind wir noch begehrlich, die sich die +alten Weibchen Abends erzählen. Das heissen wir selber an uns das +Ewig-Weibliche. + +Und als ob es einen besondren geheimen Zugang zum Wissen gäbe, der +sich Denen _verschütte_, welche Etwas lernen: so glauben wir an das +Volk und seine "Weisheit". + +Das aber glauben alle Dichter: dass wer im Grase oder an einsamen +Gehängen liegend die Ohren spitze, Etwas von den Dingen erfahre, die +zwischen Himmel und Erde sind. + +Und kommen ihnen zärtliche Regungen, so meinen die Dichter immer, die +Natur selber sei in sie verliebt: + +Und sie schleiche zu ihrem Ohre, Heimliches hinein zu sagen und +verliebte Schmeichelreden: dessen brüsten und blähen sie sich vor +allen Sterblichen! + +Ach, es giebt so viel Dinge zwischen Himmel und Erden, von denen sich +nur die Dichter Etwas haben träumen lassen! + +Und zumal _über_ dem Himmel: denn alle Götter sind Dichter-Gleichniss, +Dichter-Erschleichniss! + +Wahrlich, immer zieht es uns hinan - nämlich zum Reich der Wolken: auf +diese setzen wir unsre bunten Bälge und heissen sie dann Götter und +Übermenschen: - + +Sind sie doch gerade leicht genug für diese Stühle! - alle diese +Götter und Übermenschen. + +Ach, wie bin ich all des Unzulänglichen müde, das durchaus Ereigniss +sein soll! Ach, wie bin ich der Dichter müde! + +Als Zarathustra so sprach, zürnte ihm sein Jünger, aber er schwieg. +Und auch Zarathustra schwieg; und sein Auge hatte sich nach innen +gekehrt, gleich als ob es in weite Fernen sähe. Endlich seufzte er und +holte Athem. + +Ich bin von Heute und Ehedem, sagte er dann; aber Etwas ist in mir, +das ist von Morgen und übermorgen und Einstmals. + +Ich wurde der Dichter müde, der alten und der neuen: Oberflächliche +sind sie mir Alle und seichte Meere. + +Sie dachten nicht genug in die Tiefe: darum sank ihr Gefühl nicht bis +zu den Gründen. + +Etwas Wollust und etwas Langeweile: das ist noch ihr bestes Nachdenken +gewesen. + +Gespenster-Hauch und -Huschen gilt mir all ihr Harfen-Klingklang; was +wussten sie bisher von der Inbrunst der Töne! - + +Sie sind mir auch nicht reinlich genug: sie trüben Alle ihr Gewässer, +dass es tief scheine. + +Und gerne geben sie sich damit als Versöhner: aber Mittler und Mischer +bleiben sie mir und Halb-und-Halbe und Unreinliche! - + +Ach, ich warf wohl mein Netz in ihre Meere und wollte gute Fische +fangen; aber immer zog ich eines alten Gottes Kopf herauf. + +So gab dem Hungrigen das Meer einen Stein. Und sie selber mögen wohl +aus dem Meere stammen. + +Gewiss, man findet Perlen in ihnen: um so ähnlicher sind sie selber +harten Schalthieren. Und statt der Seele fand ich oft bei ihnen +gesalzenen Schleim. + +Sie lernten vom Meere auch noch seine Eitelkeit: ist nicht das Meer +der Pfau der Pfauen? + +Noch vor dem hässlichsten aller Büffel rollt es seinen Schweif hin, +nimmer wird es seines Spitzenfächers von Silber und Seide müde. + +Trutzig blickt der Büffel dazu, dem Sande nahe in seiner Seele, näher +noch dem Dickicht, am nächsten aber dem Sumpfe. + +Was ist ihm Schönheit und Meer und Pfauen-Zierath! Dieses Gleichniss +sage ich den Dichtern. + +Wahrlich, ihr Geist selber ist der Pfau der Pfauen und ein Meer von +Eitelkeit! + +Zuschauer will der Geist des Dichters: sollten's auch Büffel sein! - + +Aber dieses Geistes wurde ich müde: und ich sehe kommen, dass er +seiner selber müde wird. + +Verwandelt sah ich schon die Dichter und gegen sich selber den Blick +gerichtet. + +Büsser des Geistes sah ich kommen: die wuchsen aus ihnen. + +Also sprach Zarathustra. + + + +Von grossen Ereignissen + +Es giebt eine Insel im Meere - unweit den glückseligen Inseln +Zarathustra's - auf welcher beständig ein Feuerberg raucht; von der +sagt das Volk, und sonderlich sagen es die alten Weibchen aus dem +Volke, dass sie wie ein Felsblock vor das Thor der Unterwelt gestellt +sei: durch den Feuerberg selber aber führe der schmale Weg abwärts, +der zu diesem Thore der Unterwelt geleite. + +Um jene Zeit nun, als Zarathustra auf den glückseligen Inseln weilte, +geschah es, dass ein Schiff an der Insel Anker warf, auf welcher +der rauchende Berg steht; und seine Mannschaft gieng an's Land, um +Kaninchen zu schiessen. Gegen die Stunde des Mittags aber, da der +Capitän und seine Leute wieder beisammen waren, sahen sie plötzlich +durch die Luft einen Mann auf sich zukommen, und eine Stimme sagte +deutlich: "es ist Zeit! Es ist die höchste Zeit!" Wie die Gestalt +ihnen aber am nächsten war - sie flog aber schnell gleich einem +Schatten vorbei, in der Richtung, wo der Feuerberg lag - da erkannten +sie mit grösster Bestürzung, dass es Zarathustra sei; denn sie hatten +ihn Alle schon gesehn, ausgenommen der Capitän selber, und sie liebten +ihn, wie das Volk liebt: also dass zu gleichen Theilen Liebe und Scheu +beisammen sind. + +"Seht mir an! sagte der alte Steuermann, da fährt Zarathustra zur +Hölle!" - + +Um die gleiche Zeit, als diese Schiffer an der Feuerinsel landeten, +lief das Gerücht umher, dass Zarathustra verschwunden sei; und als +man seine Freunde fragte, erzählten sie, er sei bei Nacht zu Schiff +gegangen, ohne zu sagen, wohin er reisen wolle. + +Also entstand eine Unruhe; nach drei Tagen aber kam zu dieser Unruhe +die Geschichte der Schiffsleute hinzu - und nun sagte alles Volk, +dass der Teufel Zarathustra geholt habe. Seine jünger lachten zwar +ob dieses Geredes; und einer von ihnen sagte sogar: "eher glaube ich +noch, dass Zarathustra sich den Teufel geholt hat." Aber im Grunde der +Seele waren sie Alle voll Besorgniss und Sehnsucht: so war ihre Freude +gross, als am fünften Tage Zarathustra unter ihnen erschien. + +Und diess ist die Erzählung von Zarathustra's Gespräch mit dem +Feuerhunde. + +Die Erde, sagte er, hat eine Haut; und diese Haut hat Krankheiten. +Eine dieser Krankheiten heisst zum Beispiel: "Mensch." + +Und eine andere dieser Krankheiten heisst "Feuerhund": über _den_ +haben sich die Menschen Viel vorgelogen und vorlügen lassen. + +Diess Geheimniss zu ergründen gieng ich über das Meer: und ich habe +die Wahrheit nackt gesehn, wahrlich! barfuss bis zum Halse. + +Was es mit dem Feuerhund auf sich hat, weiss ich nun; und insgleichen +mit all den Auswurf- und Umsturz-Teufeln, vor denen sich nicht nur +alte Weibchen fürchten. + +Heraus mit dir, Feuerhund, aus deiner Tiefe! rief ich, und bekenne, +wie tief diese Tiefe ist! Woher ist das, was du da heraufschnaubst? + +Du trinkst reichlich am Meere: das verräth deine versalzte +Beredsamkeit! Fürwahr, für einen Hund der Tiefe nimmst du deine +Nahrung zu sehr von der Oberfläche! + +Höchstens für den Bauchredner der Erde halt' ich dich: und immer, wenn +ich Umsturz- und Auswurf-Teufel reden hörte, fand ich sie gleich dir: +gesalzen, lügnerisch und flach. + +Ihr versteht zu brüllen und mit Asche zu verdunkeln! Ihr seid die +besten Grossmäuler und lerntet sattsam die Kunst, Schlamm heiss zu +sieden. + +Wo ihr seid, da muss stets Schlamm in der Nähe sein, und viel +Schwammichtes, Höhlichtes, Eingezwängtes: das will in die Freiheit. + +"Freiheit" brüllt ihr Alle am liebsten: aber ich verlernte den Glauben +an "grosse Ereignisse," sobald viel Gebrüll und Rauch um sie herum +ist. + +Und glaube mir nur, Freund Höllenlärm! Die grössten Ereignisse - das +sind nicht unsre lautesten, sondern unsre stillsten Stunden. + +Nicht um die Erfinder von neuem Lärme: um die Erfinder von neuen +Werthen dreht sich die Welt; _unhörbar_ dreht sie sich. + +Und gesteh es nur! Wenig war immer nur geschehn, wenn dein Lärm und +Rauch sich verzog. Was liegt daran, dass eine Stadt zur Mumie wurde, +und eine Bildsäule im Schlamme liegt! + +Und diess Wort sage ich noch den Umstürzern von Bildsäulen. Das ist +wohl die grösste Thorheit, Salz in's Meer und Bildsäulen in den +Schlamm zu werfen. + +Im Schlamme eurer Verachtung lag die Bildsäule: aber das ist gerade +ihr Gesetz, dass ihr aus der Verachtung wieder Leben und lebende +Schönheit wächst! + +Mit göttlicheren Zügen steht sie nun auf und leidendverführerisch; und +wahrlich! sie wird euch noch Dank sagen, dass ihr sie umstürztet, ihr +Umstürzer! + +Diesen Rath aber rathe ich Königen und Kirchen und Allem, was alters- +und tugendschwach ist - lasst euch nur umstürzen! Dass ihr wieder zum +Leben kommt, und zu euch - die Tugend! - + +Also redete ich vor dem Feuerhunde: da unterbrach er mich mürrisch und +fragte: "Kirche? Was ist denn das?" + +Kirche? antwortete ich, das ist eine Art von Staat, und zwar die +verlogenste. Doch schweig still, du Heuchelhund! Du kennst deine Art +wohl am besten schon! + +Gleich dir selber ist der Staat ein Heuchelhund; gleich dir redet er +gern mit Rauch und Gebrülle, - dass er glauben mache, gleich dir, er +rede aus dem Bauch der Dinge. + +Denn er will durchaus das wichtigste Thier auf Erden sein, der Staat; +und man glaubt's ihm auch. - + +Als ich das gesagt hatte, gebärdete sich der Feuerhund wie unsinnig +vor Neid. "Wie? schrie er, das wichtigste Thier auf Erden? Und man +glaubt's ihm auch?" Und so viel Dampf und grässliche Stimmen kamen +ihm aus dem Schlunde, dass ich meinte, er werde vor Arger und Neid +ersticken. + +Endlich wurde er stiller, und sein Keuchen liess nach; sobald er aber +stille war, sagte ich lachend: + +"Du ärgerst dich, Feuerhund: also habe ich über dich Recht! + +Und dass ich auch noch Recht behalte, so höre von einem andern +Feuerhunde: der spricht wirklich aus dem Herzen der Erde. + +Gold haucht sein Athem und goldigen Regen: so will's das Herz ihm. Was +ist ihm Asche und Rauch und heisser Schleim noch! + +Lachen flattert aus ihm wie ein buntes Gewölke; abgünstig ist er +deinem Gurgeln und Speien und Grimmen der Ein- geweide! + +Das Gold aber und das Lachen - das nimmt er aus dem Herzen der Erde: +denn dass du's nur weisst, - das Herz der Erde ist von Gold." + +Als diess der Feuerhund vernahm, hielt er's nicht mehr aus, mir +zuzuhören. Beschämt zog er seinen Schwanz ein, sagte auf eine +kleinlaute Weise Wau! Wau! und kroch hinab in seine Höhle. - + +Also erzählte Zarathustra. Seine Jünger aber hörten ihm kaum zu: so +gross war ihre Begierde, ihm von den Schiffsleuten, den Kaninchen und +dem fliegenden Manne zu erzählen. + +"Was soll ich davon denken! sagte Zarathustra. Bin ich denn ein +Gespenst? + +Aber es wird mein Schatten gewesen sein. Ihr hörtet wohl schon Einiges +vom Wanderer und seinem Schatten? + +Sicher aber ist das: ich muss ihn kürzer halten, - er verdirbt mir +sonst noch den Ruf." + +Und nochmals schüttelte Zarathustra den Kopf und wunderte sich. "Was +soll ich davon denken!" sagte er nochmals. + +"Warum schrie denn das Gespenst: es ist Zeit! Es ist die höchste Zeit! + +_Wozu_ ist es denn - höchste Zeit?" - + +Also sprach Zarathustra. + + + +Der Wahrsager + +"- und ich sahe eine grosse Traurigkeit über die Menschen kommen. Die +Besten wurden ihrer Werke müde. + +Eine Lehre ergieng, ein Glauben lief neben ihr: `Alles ist leer, Alles +ist gleich, Alles war!` + +Und von allen Hügeln klang es wieder: `Alles ist leer, Alles ist +gleich, Alles war!` + +Wohl haben wir geerntet: aber warum wurden alle Früchte uns faul und +braun? Was fiel vom bösen Monde bei der letzten Nacht hernieder? + +Umsonst war alle Arbeit, Gift ist unser Wein geworden, böser Blick +sengte unsre Felder und Herzen gelb. + +Trocken wurden wir Alle; und fällt Feuer auf uns, so stäuben wir der +Asche gleich: - ja das Feuer selber machten wir müde. + +Alle Brunnen versiegten uns, auch das Meer wich zurück. Aller Grund +will reissen, aber die Tiefe will nicht schlingen! + +`Ach, wo ist noch ein Meer, in dem man ertrinken könnte`: so klingt +unsre Klage - hinweg über flache Sümpfe. + +Wahrlich, zum Sterben wurden wir schon zu müde; nun wachen wir noch +und leben fort - in Grabkammern!" - + +Also hörte Zarathustra einen Wahrsager reden; und seine Weissagung +gieng ihm zu Herzen und verwandelte ihn. Traurig gieng er umher und +müde; und er wurde Denen gleich, von welchen der Wahrsager geredet +hatte. + +Wahrlich, so sagte er zu seinen Jüngern, es ist um ein Kleines, so +kommt diese lange Dämmerung. Ach, wie soll ich mein Licht hinüber +retten! + +Dass es mir nicht ersticke in dieser Traurigkeit! Ferneren Welten soll +es ja Licht sein und noch fernsten Nächten! + +Dergestalt im Herzen bekümmert gieng Zarathustra umher; und drei Tage +lang nahm er nicht Trank und Speise zu sich, hatte keine Ruhe und +verlor die Rede. Endlich geschah es, dass er in einen tiefen Schlaf +verfiel. Seine jünger aber sassen um ihn in langen Nachtwachen und +warteten mit Sorge, ob er wach werde und wieder rede und genesen sei +von seiner Trübsal. + +Diess aber ist die Rede, welche Zarathustra sprach, als er aufwachte; +seine Stimme aber kam zu seinen Jüngern wie aus weiter Ferne. + +Hört mir doch den Traum, den ich träumte, ihr Freunde, und helft mir +seinen Sinn rathen! + +Ein Räthsel ist er mir noch, dieser Traum; sein Sinn ist verborgen +in ihm und eingefangen und fliegt noch nicht über ihn hin mit freien +Flügeln. + +Allem Leben hatte ich abgesagt, so träumte mir. Zum Nacht- und +Grabwächter war ich worden, dort auf der einsamen Berg-Burg des Todes. + +Droben hütete ich seine Särge: voll standen die dumpfen Gewölbe von +solchen Siegeszeichen. Aus gläsernen Särgen blickte mich überwundenes +Leben an. + +Den Geruch verstaubter Ewigkeiten athmete ich: schwül und verstaubt +lag meine Seele. Und wer hätte dort auch seine Seele lüften können! + +Helle der Mitternacht war immer um mich, Einsamkeit kauerte neben +ihr; und, zudritt, röchelnde Todesstille, die schlimmste meiner +Freundinnen. + +Schlüssel führte ich, die rostigsten aller Schlüssel; und ich verstand +es, damit das knarrendste aller Thore zu öffnen. + +Einem bitterbösen Gekrächze gleich lief der Ton durch die langen +Gänge, wenn sich des Thores Flügel hoben: unhold schrie dieser Vogel, +ungern wollte er geweckt sein. + +Aber furchtbarer noch und herzzuschnürender war es, wenn es wieder +schwieg und rings stille ward, und ich allein sass in diesem +tückischen Schweigen. + +So gieng mir und schlich die Zeit, wenn Zeit es noch gab: was weiss +ich davon! Aber endlich geschah das, was mich weckte. + +Dreimal schlugen Schläge an's Thor, gleich Donnern, es hallten und +heulten die Gewölbe dreimal wieder: da gieng ich zum Thore. + +Alpa! rief ich, wer trägt seine Asche zu Berge? Alpa! Alpa! Wer trägt +seine Asche zu Berge? + +Und ich drückte den Schlüssel und hob am Thore und mühte mich. Aber +noch keinen Fingerbreit stand es offen: + +Da riss ein brausender Wind seine Flügel auseinander: pfeifend, +schrillend und schneidend warf er mir einen schwarzen Sarg zu: + +Und im Brausen und Pfeifen und Schrillen zerbarst der Sarg und spie +tausendfältiges Gelächter aus. + +Und aus tausend Fratzen von Kindern, Engeln, Eulen, Narren und +kindergrossen Schmetterlingen lachte und höhnte und brauste es wider +mich. + +Grässlich erschrak ich darob: es warf mich nieder. Und ich schrie vor +Grausen, wie nie ich schrie. + +Aber der eigne Schrei weckte mich auf: - und ich kam zu mir. - + +Also erzählte Zarathustra seinen Traum und schwieg dann: denn er +wusste noch nicht die Deutung seines Traumes. Aber der jünger, +den er am meisten lieb hatte, erhob sich schnell, fasste die Hand +Zarathustra's und sprach: + +"Dein Leben selber deutet uns diesen Traum, oh Zarathustra! + +Bist du nicht selber der Wind mit schrillem Pfeifen, der den Burgen +des Todes die Thore aufreisst? + +Bist du nicht selber der Sarg voll bunter Bosheiten und Engelsfratzen +des Lebens? + +Wahrlich, gleich tausendfältigem Kindsgelächter kommt Zarathustra in +alle Todtenkammern, lachend über diese Nacht- und Grabwächter, und wer +sonst mit düstern Schlüsseln rasselt. + +Schrecken und umwerfen wirst du sie mit deinem Gelächter; Ohnmacht und +Wachwerden wird deine Macht über sie beweisen. + +Und auch, wenn die lange Dämmerung kommt und die Todesmüdigkeit, wirst +du an unserm Himmel, nicht untergehn, du Fürsprecher des Lebens! + +Neue Sterne liessest du uns sehen und neue Nachtherrlichkeiten; +wahrlich, das Lachen selber spanntest du wie ein buntes Gezelt über +uns. + +Nun wird immer Kindes-Lachen aus Särgen quellen; nun wird immer +siegreich ein starker Wind kommen aller Todesmüdigkeit: dessen bist du +uns selber Bürge und Wahrsager! + +Wahrlich, _sie_selber_träumtest_du_, deine Feinde: das war dein +schwerster Traum! + +Aber wie du von ihnen aufwachtest und zu dir kamst, also sollen sie +selber von sich aufwachen - und zu dir kommen!" - + +So sprach der jünger; und alle Anderen drängten sich nun um +Zarathustra und ergriffen ihn bei den Händen und wollten ihn bereden, +dass er vom Bette und von der Traurigkeit lasse und zu ihnen +zurückkehre. Zarathustra aber sass aufgerichtet auf seinem Lager, und +mit fremdem Blicke. Gleichwie Einer, der aus langer Fremde heimkehrt, +sah er auf seine Jünger und prüfte ihre Gesichter; und noch erkannte +er sie nicht. Als sie aber ihn hoben und auf die Füsse stellten, +siehe, da verwandelte sich mit Einem Male sein Auge; er begriff Alles, +was geschehen war, strich sich den Bart und sagte mit starker Stimme: + +"Wohlan! Diess nun hat seine Zeit; sorgt mir aber dafür, meine jünger, +dass wir eine gute Mahlzeit machen, und in Kürze! Also gedenke ich +Busse zu thun für schlimme Träume! + +Der Wahrsager aber soll an meiner Seite essen und trinken: und +wahrlich, ich will ihm noch ein Meer zeigen, in dem er ertrinken +kann!" + +Also sprach Zarathustra. Darauf aber blickte er dem jünger, welcher +den Traumdeuter abgegeben hatte, lange in's Gesicht und schüttelte +dabei den Kopf. - + + + +Von der Erlösung + +Als Zarathustra eines Tags über die grosse Brücke gieng, umringten ihn +die Krüppel und Bettler, und ein Bucklichter redete also zu ihm: + +"Siehe, Zarathustra! Auch das Volk lernt von dir und gewinnt Glauben +an deine Lehre: aber dass es ganz dir glauben soll, dazu bedarf es +noch Eines - du musst erst noch uns Krüppel überreden! Hier hast du +nun eine schöne Auswahl und wahrlich, eine Gelegenheit mit mehr als +Einem Schopfe! Blinde kannst du heilen und Lahme laufen machen; und +Dem, der zuviel hinter sich hat, könntest du wohl auch ein Wenig +abnehmen: - das, meine ich, wäre die rechte Art, die Krüppel an +Zarathustra glauben zu machen!" + +Zarathustra aber erwiderte Dem, der da redete, also: "Wenn man dem +Bucklichten seinen Buckel nimmt, so nimmt man ihm seinen Geist - also +lehrt das Volk. Und wenn man dem Blinden seine Augen giebt, so sieht +er zuviel schlimme Dinge auf Erden: also dass er Den verflucht, der +ihn heilte. Der aber, welcher den Lahmen laufen macht, der thut ihm +den grössten Schaden an: denn kaum kann er laufen, so gehn seine +Laster mit ihm durch - also lehrt das Volk über Krüppel. Und warum +sollte Zarathustra nicht auch vom Volke lernen, wenn das Volk von +Zarathustra lernt? + +Das ist mir aber das Geringste, seit ich unter Menschen bin, dass ich +sehe: `Diesem fehlt ein Auge und jenem ein Ohr und einem Dritten das +Bein, und Andre giebt es, die verloren die Zunge oder die Nase oder +den Kopf.` + +Ich sehe und sah Schlimmeres und mancherlei so Abscheuliches, dass +ich nicht von Jeglichem reden und von Einigem nicht einmal schweigen +möchte: nämlich Menschen, denen es an Allem fehlt, ausser dass sie +Eins zuviel haben - Menschen, welche Nichts weiter sind als ein +grosses Auge, oder ein grosses Maul oder ein grosser Bauch oder irgend +etwas Grosses, - umgekehrte Krüppel heisse ich Solche. + +Und als ich aus meiner Einsamkeit kam und zum ersten Male über diese +Brücke gieng: da traute ich meinen Augen nicht und sah hin, und wieder +hin, und sagte endlich: `das ist ein Ohr! Ein Ohr, so gross wie ein +Mensch!` Ich sah noch besser hin: und wirklich, unter dem Ohre bewegte +sich noch Etwas, das zum Erbarmen klein und ärmlich und schmächtig +war. Und wahrhaftig, das ungeheure Ohr sass auf einem kleinen dünnen +Stiele, - der Stiel aber war ein Mensch! Wer ein Glas vor das Auge +nahm, konnte sogar noch ein kleines neidisches Gesichtchen erkennen; +auch, dass ein gedunsenes Seelchen am Stiele baumelte. Das Volk sagte +mir aber, das grosse Ohr sei nicht nur ein Mensch, sondern ein grosser +Mensch, ein Genie. Aber ich glaubte dem Volke niemals, wenn es von +grossen Menschen redete - und behielt meinen Glauben bei, dass es ein +umgekehrter Krüppel sei, der an Allem zu wenig und an Einem zu viel +habe." + +Als Zarathustra so zu dem Bucklichten geredet hatte und zu Denen, +welchen er Mundstück und Fürsprecher war, wandte er sich mit tiefem +Unmuthe zu seinen Jüngern und sagte: + +"Wahrlich, meine Freunde, ich wandle unter den Menschen wie unter den +Bruchstücken und Gliedmaassen von Menschen! + +Diess ist meinem Auge das Fürchterliche, dass ich den Menschen +zertrümmert finde und zerstreuet wie über ein Schlacht- und +Schlächterfeld hin. + +Und flüchtet mein Auge vom Jetzt zum Ehemals: es findet immer das +Gleiche: Bruchstücke und Gliedmaassen und grause Zufälle - aber keine +Menschen! + +Das jetzt und das Ehemals auf Erden - ach! meine Freunde - das, ist +_mein_ Unerträglichstes; und ich wüsste nicht zu leben, wenn ich nicht +noch ein Seher wäre, dessen, was kommen muss. + +Ein Seher, ein Wollender, ein Schaffender, eine Zukunft selber und +eine Brücke zur Zukunft - und ach, auch noch gleichsam ein Krüppel an +dieser Brücke: das Alles ist Zarathustra. + +Und auch ihr fragtet euch oft: `wer ist uns Zarathustra? Wie soll er +uns heissen?` Und gleich mir selber gabt ihr euch Fragen zur Antwort. + +Ist er ein Versprechender? Oder ein Erfüller? Ein Erobernder? Oder +ein Erbender? Ein Herbst? Oder eine Pflugschar? Ein Arzt? Oder ein +Genesener? + +Ist er ein Dichter? Oder ein Wahrhaftiger? Ein Befreier? Oder ein +Bändiger? Ein Guter? Oder ein Böser? + +Ich wandle unter Menschen als den Bruchstücken der Zukunft: jener +Zukunft, die ich schaue. + +Und das ist all mein Dichten und Trachten, dass ich in Eins dichte und +zusammentragen was Bruchstück ist und Räthsel und grauser Zufall. + +Und wie ertrüge ich es, Mensch zu sein, wenn der Mensch nicht auch +Dichter und Räthselrather und der Erlöser des Zufalls wäre! + +Die Vergangnen zu erlösen und alles `Es war` umzuschauen in ein `So +wollte ich es!` - das hiesse mir erst Erlösung! + +Wille - so heisst der Befreier und Freudebringer: also lehrte ich +euch, meine Freunde! Und nun lernt diess hinzu: der Wille selber ist +noch ein Gefangener. + +Wollen befreit: aber wie heisst Das, was auch den Befreier noch in +Ketten schlägt? + +`Es war`: also heisst des Willens Zähneknirschen und einsamste +Trübsal. Ohnmächtig gegen Das, was gethan ist - ist er allem +Vergangenen ein böser Zuschauer. + +Nicht zurück kann der Wille wollen; dass er die Zeit nicht brechen +kann und der Zeit Begierde, - das ist des Willens einsamste Trübsal. + +Wollen befreit: was ersinnt sich das Wollen selber, dass es los seiner +Trübsal werde und seines Kerkers spotte? + +Ach, ein Narr wird jeder Gefangene! Närrisch erlöst sich auch der +gefangene Wille. + +Dass die Zeit nicht zurückläuft, das ist sein Ingrimm; `Das, was war` +- so heisst der Stein, den er nicht wälzen kann. + +Und so wälzt er Steine aus Ingrimm und Unmuth und übt Rache an dem, +was nicht gleich ihm Grimm und Unmuth fühlt. + +Also wurde der Wille, der Befreier, ein Wehethäter: und an Allem, was +leiden kann, nimmt er Rache dafür, dass er nicht zurück kann. + +Diess, ja diess allein ist _Rache_ selber: des Willens Widerwille +gegen die Zeit und ihr `Es war.` + +Wahrlich, eine grosse Narrheit wohnt in unserm Willen; und zum Fluche +wurde es allem Menschlichen, dass diese Narrheit Geist lernte! + +Der Geist der Rache: meine Freunde, das war bisher der Menschen bestes +Nachdenken; und wo Leid war, da sollte immer Strafe sein. + +`Strafe` nämlich, so heisst sich die Rache selber: mit einem Lügenwort +heuchelt sie sich ein gutes Gewissen. + +Und weil im Wollenden selber Leid ist, darob dass es nicht zurück +wollen kann, - also sollte Wollen selber und alles Leben - Strafe +sein! + +Und nun wälzte sich Wolke auf Wolke über den Geist: bis endlich der +Wahnsinn predigte: `Alles vergeht, darum ist Alles werth zu vergehn!` + +`Und diess ist selber Gerechtigkeit, jenes Gesetz der Zeit, dass sie +ihre Kinder fressen muss`: also predigte der Wahnsinn. + +`Sittlich sind die Dinge geordnet nach Recht und Strafe. Oh wo ist die +Erlösung vom Fluss der Dinge und der Strafe Dasein`? Also predigte der +Wahnsinn. + +`Kann es Erlösung geben, wenn es ein ewiges Recht giebt? Ach, +unwälzbar ist der Stein "Es war": ewig müssen auch alle Strafen sein!` +Also predigte der Wahnsinn. + +`Keine That kann vernichtet werden: wie könnte sie durch die Strafe +ungethan werden! Diess, diess ist das Ewige an der Strafe "Dasein", +dass das Dasein auch ewig wieder That und Schuld sein muss! + +Es sei denn, dass der Wille endlich sich selber erlöste und Wollen zu +Nicht-Wollen würde -`: doch ihr kennt, meine Brüder, diess Fabellied +des Wahnsinns! + +Weg führte ich euch von diesen Fabelliedern, als ich euch lehrte: `der +Wille ist ein Schaffender.` + +Alles `Es war` ist ein Bruchstück, ein Räthsel, ein grauser Zufall - +bis der schaffende Wille dazu sagt: `aber so wollte ich es!` + +Bis der schaffende Wille dazu sagt: `Aber so will ich es! So werde +ich's wollen!` + +Aber sprach er schon so? Und wann geschieht diess? Ist der Wille schon +abgeschirrt von seiner eignen Thorheit? + +Wurde der Wille sich selber schon Erlöser und Freudebringer? Verlernte +er den Geist der Rache und alles Zähneknirschen? + +Und wer lehrte ihn Versöhnung mit der Zeit, und Höheres als alle +Versöhnung ist? + +Höheres als alle Versöhnung muss der Wille wollen, welcher der Wille +zur Macht ist -: doch wie geschieht ihm das? Wer lehrte ihn auch noch +das Zurückwollen?" + +- Aber an dieser Stelle seiner Rede geschah es, dass Zarathustra +plötzlich innehielt und ganz einem Solchen gleich sah, der auf das +Äusserste erschrickt. Mit erschrecktem Auge blickte er auf seine +Jünger; sein Auge durchbohrte wie mit Pfeilen ihre Gedanken und +Hintergedanken. Aber nach einer kleinen Weile lachte er schon wieder +und sagte begütigt: + +"Es ist schwer, mit Menschen zu leben, weil Schweigen so schwer ist. +Sonderlich für einen Geschwätzigen." - + +Also sprach Zarathustra. Der Bucklichte aber hatte dem Gespräche +zugehört und sein Gesicht dabei bedeckt; als er aber Zarathustra +lachen hörte, blickte er neugierig auf und sagte langsam: + +"Aber warum redet Zarathustra anders zu uns als zu seinen Jüngern?" + +Zarathustra antwortete: "Was ist da zum Verwundern! Mit Bucklichten +darf man schon bucklicht reden!" + +"Gut, sagte der Bucklichte; und mit Schülern darf man schon aus der +Schule schwätzen. + +Aber warum redet Zarathustra anders zu seinen Schülern - als zu sich +selber?" - + + + +Von der Menschen-Klugheit + +Nicht die Höhe: der Abhang ist das Furchtbare! + +Der Abhang, wo der Blick _hinunter_ stürzt und die Hand _hinauf_ +greift. Da schwindelt dem Herzen vor seinem doppelten Willen. + +Ach, Freunde, errathet ihr wohl auch meines Herzens doppelten Willen? + +Das, Das ist _mein_ Abhang und meine Gefahr, dass mein Blick in die +Höhe stürzt, und dass meine Hand sich halten und stützen möchte - an +der Tiefe! + +An den Menschen klammert sich mein Wille, mit Ketten binde ich mich an +den Menschen, weil es mich hinauf reisst zum Obermenschen: denn dahin +will mein andrer Wille. + +Und _dazu_ lebe ich blind unter den Menschen; gleich als ob ich sie +nicht kennte: dass meine Hand ihren Glauben an Festes nicht ganz +verliere. + +Ich kenne euch Menschen nicht: diese Finsterniss und Tröstung ist oft +um mich gebreitet. + +Ich sitze am Thorwege für jeden Schelm und frage: wer will mich +betrügen? + +Das ist meine erste Menschen-Klugheit, dass ich mich betrügen lasse, +um nicht auf der Hut zu sein vor Betrügern. + +Ach, wenn ich auf der Hut wäre vor dem Menschen: wie könnte meinem +Balle der Mensch ein Anker sein! Zu leicht risse es mich hinauf und +hinweg! + +Diese Vorsehung ist über meinem Schicksal, dass ich ohne Vorsicht sein +muss. + +Und wer unter Menschen nicht verschmachten will, muss lernen, aus +allen Gläsern zu trinken; und wer unter Menschen rein bleiben will, +muss verstehn, sich auch mit schmutzigem Wasser zu waschen. + +Und also sprach ich oft mir zum Troste: "Wohlan! Wohlauf! Altes Herz! +Ein Unglück missrieth dir: geniesse diess als dein - Glück!" + +Diess aber ist meine andre Menschen-Klugheit: ich schone die _Eitlen_ +mehr als die Stolzen. + +Ist nicht verletzte Eitelkeit die Mutter aller Trauerspiele? Wo aber +Stolz verletzt wird, da wächst wohl etwas Besseres noch, als Stolz +ist. + +Damit das Leben gut anzuschaun sei, muss sein Spiel gut gespielt +werden: dazu aber bedarf es guter Schauspieler. + +Gute Schauspieler fand ich alle Eitlen: sie spielen und wollen, dass +ihnen gern zugeschaut werde, - all ihr Geist ist bei diesem Willen. + +Sie führen sich auf, sie erfinden sich; in ihrer Nähe liebe ich's, dem +Leben zuzuschaun, - es heilt von der Schwermuth. + +Darum schone ich die Eitlen, weil sie mir Arzte sind meiner Schwermuth +und mich am Menschen fest halten als an einem Schauspiele. + +Und dann: wer ermisst am Eitlen die ganze Tiefe seiner Bescheidenheit! +Ich bin ihm gut und mitleidig ob seiner Bescheidenheit. + +Von euch will er seinen Glauben an sich lernen; er nährt sich an euren +Blicken, er frisst das Lob aus euren Händen. + +Euren Lügen glaubt er noch, wenn ihr gut über ihn lügt: denn im +Tiefsten seufzt sein Herz: "was bin _ich_!" + +Und wenn das die rechte Tugend ist, die nicht um sich selber weiss: +nun, der Eitle weiss nicht um seine Bescheidenheit! - + +Das ist aber meine dritte Menschen-Klugheit, dass ich mir den Anblick +der Bösen nicht verleiden lasse durch eure Furchtsamkeit. + +Ich bin selig, die Wunder zu sehn, welche heisse Sonne ausbrütet: +Tiger und Palmen und Klapperschlangen. + +Auch unter Menschen giebt es schöne Brut heisser Sonne und viel +Wunderwürdiges an den Bösen. + +Zwar, wie eure Weisesten mir nicht gar so weise erschienen: so fand +ich auch der Menschen Bosheit unter ihrem Rufe. + +Und oft fragte ich mit Kopfschütteln: Warum noch klappern, ihr +Klapperschlangen? + +Wahrlich, es giebt auch für das Böse noch eine Zukunft! Und der +heisseste Süden ist noch nicht entdeckt für den Menschen. + +Wie Manches heisst jetzt schon ärgste Bosheit, was doch nur zwölf +Schuhe breit und drei Monate lang ist! Einst aber werden grössere +Drachen zur Welt kommen. + +Denn dass dem Übermenschen sein Drache nicht fehle, der Über-Drache, +der seiner würdig ist: dazu muss viel heisse Sonne noch auf feuchten +Urwald glühen! + +Aus euren Wildkatzen müssen erst Tiger geworden sein und aus euren +Giftkröten Krokodile: denn der gute Jäger soll eine gute Jagd haben! + +Und wahrlich, ihr Guten und Gerechten! An euch ist Viel zum Lachen und +zumal eure Furcht vor dem, was bisher "Teufel" hiess! + +So fremd seid ihr dem Grossen mit eurer Seele, dass euch der +Übermensch _furchtbar_ sein würde in seiner Güte! + +Und ihr Weisen und Wissenden, ihr würdet vor dem Sonnenbrande der +Weisheit flüchten, in dem der Übermensch mit Lust seine Nacktheit +badet! + +Ihr höchsten Menschen, denen mein Auge begegnete! das ist mein Zweifel +an euch und mein heimliches Lachen: ich rathe, ihr würdet meinen +Übermenschen - Teufel heissen! + +Ach, ich ward dieser Höchsten und Besten müde: aus ihrer "Höhe" +verlangte mich hinauf, hinaus, hinweg zu dem Übermenschen! + +Ein Grausen überfiel mich, als ich diese Besten nackend sah: da +wuchsen mir die Flügel, fortzuschweben in ferne Zukünfte. + +In fernere Zukünfte, in südlichere Süden, als je ein Bildner träumte: +dorthin, wo Götter sich aller Kleider schämen! + +Aber verkleidet will ich _euch_ sehn, ihr Nächsten und Mitmenschen, +und gut geputzt, und eitel, und würdig, als "die Guten und +Gerechten," - + +Und verkleidet will ich selber unter euch sitzen, - dass ich euch und +mich _verkenne_: das ist nämlich meine letzte Menschen-Klugheit. + +Also sprach Zarathustra. + + + +Die stillste Stunde + +"Was geschah mir, meine Freunde? Ihr seht mich verstört, +fortgetrieben, unwillig-folgsam, bereit zu gehen - ach, von _euch_ +fortzugehen! + +Ja, noch Ein Mal muss Zarathustra in seine Einsamkeit: aber unlustig +geht diessmal der Bär zurück in seine Höhle! + +Was geschah mir? Wer gebeut diess? - Ach, meine zornige Herrin will es +so, sie sprach zu mir: nannte ich je euch schon ihren Namen? + +Gestern gen Abend sprach zu mir _meine_stillste_Stunde_: das ist der +Name meiner furchtbaren Herrin. + +Und so geschah's, - denn Alles muss ich euch sagen, dass euer Herz +sich nicht verhärte gegen den plötzlich Scheidenden! + +Kennt ihr den Schrecken des Einschlafenden? - + +Bis in die Zehen hinein erschrickt er, darob, dass ihm der Boden +weicht und der Traum beginnt. + +Dieses sage ich euch zum Gleichniss. Gestern, zur stillsten Stunde, +wich mir der Boden: der Traum begann. + +Der Zeiger rückte, die Uhr meines Lebens holte Athem - nie hörte ich +solche Stille um mich: also dass mein Herz erschrak. + +Dann sprach es ohne Stimme zu mir: `Du weisst es, Zarathustra?` - + +Und ich schrie vor Schrecken bei diesem Flüstern, und das Blut wich +aus meinem Gesichte: aber ich schwieg. + +Da sprach es abermals ohne Stimme zu mir: `Du weisst es, Zarathustra, +aber du redest es nicht!` - + +Und ich antwortete endlich gleich einem Trotzigen: `Ja, ich weiss es, +aber ich will es nicht reden!` + +Da sprach es wieder ohne Stimme zu mir: `Du _willst_ nicht, +Zarathustra? Ist diess auch wahr? Verstecke dich nicht in deinen +Trotz!` - + +Und ich weinte und zitterte wie ein Kind und sprach: `Ach, ich wollte +schon, aber wie kann ich es! Erlass mir diess nur! Es ist über meine +Kraft!` + +Da sprach es wieder ohne Stimme zu mir: `Was liegt an dir, +Zarathustra! Sprich dein Wort und zerbrich!` - + +Und ich antwortete: `Ach, ist es _mein_ Wort? Wer bin ich? Ich warte +des Würdigeren; ich bin nicht werth, an ihm auch nur zu zerbrechen.` + +Da sprach es wieder ohne Stimme zu mir: `Was liegt an dir? Du bist mir +noch nicht demüthig genug. Die Demuth hat das härteste Fell.` - + +Und ich antwortete: `Was trug nicht schon das Fell meiner Demuth! Am +Fusse wohne ich meiner Höhe: wie hoch meine Gipfel sind? Niemand sagte +es mir noch. Aber gut kenne ich meine Thäler.` + +Da sprach es wieder ohne Stimme zu mir: `Oh Zarathustra, wer Berge zu +versetzen hat, der versetzt auch Thäler und Niederungen.` - + +Und ich antwortete: `Noch versetzte mein Wort keine Berge, und was ich +redete, erreichte die Menschen nicht. Ich gieng wohl zu den Menschen, +aber noch langte ich nicht bei ihnen an.` + +Da sprach es wieder ohne Stimme zu mir: `Was weisst du _davon_! Der +Thau fällt auf das Gras, wenn die Nacht am verschwiegensten ist.` - + +Und ich antwortete: `sie verspotteten mich, als ich meinen eigenen Weg +fand und gieng; und in Wahrheit zitterten damals meine Füsse.` + +Und so sprachen sie zu mir: `du verlerntest den Weg, nun verlernst du +auch das Gehen!` + +Da sprach es wieder ohne Stimme zu mir: `Was liegt an ihrem Spotte! Du +bist Einer, der das Gehorchen verlernt hat: nun sollst du befehlen! + +Weisst du nicht, _wer_ Allen am nöthigsten thut? Der Grosses befiehlt. + +Grosses vollführen ist schwer: aber das Schwerere ist, Grosses +befehlen. + +Das ist dein Unverzeihlichstes: du hast die Macht, und du willst nicht +herrschen.` - + +Und ich antwortete: `Mir fehlt des Löwen Stimme zu allem Befehlen.` + +Da sprach es wieder wie ein Flüstern zu mir: `Die stillsten Worte sind +es, welche den Sturm bringen. Gedanken, die mit Taubenfüssen kommen, +lenken die Welt. + +Oh Zarathustra, du sollst gehen als ein Schatten dessen, was kommen +muss: so wirst du befehlen und befehlend vorangehen.` - + +Und ich antwortete: `Ich schäme mich.` + +Da sprach es wieder ohne Stimme zu mir: `Du musst noch Kind werden und +ohne Scham. + +Der Stolz der Jugend ist noch auf dir, spät bist du jung geworden: +aber wer zum Kinde werden will, muss auch noch seine Jugend +überwinden.` - + +Und ich besann mich lange und zitterte. Endlich aber sagte ich, was +ich zuerst sagte: `Ich will nicht.` + +Da geschah ein Lachen um mich. Wehe, wie diess Lachen mir die +Eingeweide zerriss und das Herz aufschlitzte! + +Und es sprach zum letzten Male zu mir: `Oh Zarathustra, deine Früchte +sind reif, aber du bist nicht reif für deine Früchte! + +So musst du wieder in die Einsamkeit: denn du sollst noch mürbe +werden.` - + +Und wieder lachte es und floh: dann wurde es stille um mich wie mit +einer zwiefachen Stille. Ich aber lag am Boden, und der Schweiss floss +mir von den Gliedern. + +- Nun hörtet ihr Alles, und warum ich in meine Einsamkeit zurück muss. +Nichts verschwieg ich euch, meine Freunde. + +Aber auch diess hörtet ihr von mir, _wer_ immer noch aller Menschen +Verschwiegenster ist - und es sein will! + +Ach meine Freunde! Ich hätte euch noch Etwas zu sagen, ich hätte euch +noch Etwas zu geben! Warum gebe ich es nicht? Bin ich denn geizig?" - + +Als Zarathustra aber diese Worte gesprochen hatte, überfiel ihn die +Gewalt des Schmerzes und die Nähe des Abschieds von seinen Freunden, +also dass er laut weinte; und Niemand wusste ihn zu trösten. Des +Nachts aber gieng er allein fort und verliess seine Freunde. + + + + +Dritter Theil + +"Ihr seht nach Oben, wenn ihr nach Erhebung verlangt. Und ich sehe +hinab, weil ich erhoben bin. + +Wer von euch kann zugleich lachen und erhoben sein? + +Wer auf den höchsten Bergen steigt, der lacht über alle Trauer-Spiele +und Trauer-Ernste." + +Zarathustra, vom Lesen und Schreiben. + + + +Der Wanderer + +Um Mitternacht war es, da nahm Zarathustra seinen Weg über den Rücken +der Insel, dass er mit dem frühen Morgen an das andre Gestade käme: +denn dort wollte er zu Schiff steigen. Es gab nämlich allda eine gute +Rhede, an der auch fremde Schiffe gern vor Anker giengen; die nahmen +Manchen mit sich, der von den glückseligen Inseln über das Meer +wollte. Als nun Zarathustra so den Berg hinanstieg, gedachte er +unterwegs des vielen einsamen Wanderns von Jugend an, und wie viele +Berge und Rücken und Gipfel er schon gestiegen sei. + +Ich bin ein Wanderer und ein Bergsteiger, sagte er zu seinem Herzen, +ich liebe die Ebenen nicht und es scheint, ich kann nicht lange still +sitzen. + +Und was mir nun auch noch als Schicksal und Erlebniss komme, - ein +Wandern wird darin sein und ein Bergsteigen: man erlebt endlich nur +noch sich selber. + +Die Zeit ist abgeflossen, wo mir noch Zufälle begegnen durften; und +was _könnte_ jetzt noch zu mir fallen, was nicht schon mein Eigen +wäre! + +Es kehrt nur zurück, es kommt mir endlich heim - mein eigen Selbst, +und was von ihm lange in der Fremde war und zerstreut unter alle Dinge +und Zufälle. + +Und noch Eins weiss ich: ich stehe jetzt vor meinem letzten Gipfel und +vor dem, was mir am längsten aufgespart war. Ach, meinen härtesten Weg +muss ich hinan! Ach, ich begann meine einsamste Wanderung! + +Wer aber meiner Art ist, der entgeht einer solchen Stunde nicht: der +Stunde, die zu ihm redet: "Jetzo erst gehst du deinen Weg der Grösse! +Gipfel und Abgrund - das ist jetzt in Eins beschlossen! + +Du gehst deinen Weg der Grösse: nun ist deine letzte Zuflucht worden, +was bisher deine letzte Gefahr hiess! + +Du gehst deinen Weg der Grösse: das muss nun dein bester Muth sein, +dass es hinter dir keinen Weg mehr giebt! + +Du gehst deinen Weg der Grösse; hier soll dir Keiner nachschleichen! +Dein Fuss selber löschte hinter dir den Weg aus, und über ihm steht +geschrieben: Unmöglichkeit. + +Und wenn dir nunmehr alle Leitern fehlen, so musst du verstehen, noch +auf deinen eigenen Kopf zu steigen: wie wolltest du anders aufwärts +steigen? + +Auf deinen eigenen Kopf und hinweg über dein eigenes Herz! Jetzt muss +das Mildeste an dir noch zum Härtesten werden. + +Wer sich stets viel geschont hat, der kränkelt zuletzt an seiner +vielen Schonung. Gelobt sei, was hart macht! Ich lobe das Land nicht, +wo Butter und Honig - fliesst! + +Von sich _absehn_ lernen ist nöthig, um _Viel_ zu sehn: - diese Härte +thut jedem Berge-Steigenden Noth. + +Wer aber mit den Augen zudringlich ist als Erkennender, wie sollte der +von allen Dingen mehr als ihre vorderen Gründe sehn! + +Du aber, oh Zarathustra, wolltest aller Dinge Grund schaun und +Hintergrund: so musst du schon über dich selber steigen, - hinan, +hinauf, bis du auch deine Sterne noch _unter_ dir hast! + +Ja! Hinab auf mich selber sehn und noch auf meine Sterne: das erst +hiesse mir mein _Gipfel_, das blieb mir noch zurück als mein _letzter_ +Gipfel! -" + +Also sprach Zarathustra im Steigen zu sich, mit harten Sprüchlein sein +Herz tröstend: denn er war wund am Herzen wie noch niemals zuvor. Und +als er auf die Höhe des Bergrückens kam, siehe, da lag das andere Meer +vor ihm ausgebreitet: und er stand still und schwieg lange. Die Nacht +aber war kalt in dieser Höhe und klar und hellgestirnt. + +Ich erkenne mein Loos, sagte er endlich mit Trauer. Wohlan! Ich bin +bereit. Eben begann meine letzte Einsamkeit. + +Ach, diese schwarze traurige See unter mir! Ach, diese schwangere +nächtliche Verdrossenheit! Ach, Schicksal und See! Zu euch muss ich +nun _hinab_ steigen! + +Vor meinem höchsten Berge stehe ich und vor meiner längsten Wanderung: +darum muss ich erst tiefer hinab als ich jemals stieg: + +- tiefer hinab in den Schmerz als ich jemals stieg, bis hinein in +seine schwärzeste Fluth! So will es mein Schicksal: Wohlan! Ich bin +bereit. + +Woher kommen die höchsten Berge? so fragte ich einst. Da lernte ich, +dass sie aus dem Meere kommen. + +Diess Zeugniss ist in ihr Gestein geschrieben und in die Wände ihrer +Gipfel. Aus dem Tiefsten muss das Höchste zu seiner Höhe kommen. - + +Also sprach Zarathustra auf der Spitze des Berges, wo es kalt war; +als er aber in die Nähe des Meeres kam und zuletzt allein unter den +Klippen stand, da war er unterwegs müde geworden und sehnsüchtiger als +noch zuvor. + +Es schläft jetzt Alles noch, sprach er; auch das Meer schläft. +Schlaftrunken und fremd blickt sein Auge nach mir. + +Aber es athmet warm, das fühle ich. Und ich fühle auch, dass es +träumt. Es windet sieh träumend auf harten Kissen. + +Horch! Horch! Wie es stöhnt von bösen Erinnerungen! Oder bösen +Erwartungen? + +Ach, ich bin traurig mit dir, du dunkles Ungeheuer, und mir selber +noch gram um deinetwillen. + +Ach, dass meine Hand nicht Stärke genug hat! Gerne, wahrlich, möchte +ich dich von bösen Träumen erlösen! - + +Und indem Zarathustra so sprach, lachte er mit Schwermuth und +Bitterkeit über sich selber. "Wie! Zarathustra! sagte er, willst du +noch dem Meere Trost singen? + +Ach, du liebreicher Narr Zarathustra, du Vertrauens-Überseliger! Aber +so warst du immer: immer kamst du vertraulich zu allem Furchtbaren. + +Jedes Ungethüm wolltest du noch streicheln. Ein Hauch warmen Athems, +ein Wenig weiches Gezottel an der Tatze -: und gleich warst du bereit, +es zu lieben und zu locken. + +Die _Liebe_ ist die Gefahr des Einsamsten, die Liebe zu Allem, +wenn es nur lebt! Zum Lachen ist wahrlich meine Narrheit und meine +Bescheidenheit in der Liebe!" - + +Also sprach Zarathustra und lachte dabei zum andern Male: da aber +gedachte er seiner verlassenen Freunde -, und wie als ob er sich mit +seinen Gedanken an ihnen vergangen habe, zürnte er sich ob seiner +Gedanken. Und alsbald geschah es, dass der Lachende weinte: - vor Zorn +und Sehnsucht weinte Zarathustra bitterlich. + + + +Vom Gesicht und Räthsel + +1. + +Als es unter den Schiffsleuten ruchbar wurde, dass Zarathustra auf dem +Schiffe sei, - denn es war ein Mann zugleich mit ihm an Bord gegangen, +der von den glückseligen Inseln kam - da entstand eine grosse +Neugierde und Erwartung. Aber Zarathustra schwieg zwei Tage und war +kalt und taub vor Traurigkeit, also, dass er weder auf Blicke noch +auf Fragen antwortete. Am Abende aber des zweiten Tages that er +seine Ohren wieder auf, ob er gleich noch schwieg: denn es gab viel +Seltsames und Gefährliches auf diesem Schiffe anzuhören, welches +weither kam und noch weiterhin wollte. Zarathustra aber war ein Freund +aller Solchen, die weite Reisen thun und nicht ohne Gefahr leben +mögen. Und siehe! zuletzt wurde ihm im Zuhören die eigne Zunge gelöst, +und das Eis seines Herzens brach: - da begann er also zu reden: + +Euch, den kühnen Suchern, Versuchern, und wer je sich mit listigen +Segeln auf furchtbare Meere einschiffte, - + +euch, den Räthsel-Trunkenen, den Zwielicht-Frohen, deren Seele mit +Flöten zu jedem Irr-Schlunde gelockt wird: + +- denn nicht wollt ihr mit feiger Hand einem Faden nachtasten; und, wo +ihr _errathen_ könnt, da hasst ihr es, zu _erschliessen_ - + +euch allein erzähle ich das Räthsel, das ich _sah_, - das Gesicht des +Einsamsten. - + +Düster gierig ich jüngst durch leichenfarbne Dämmerung, - düster +und hart, mit gepressten Lippen. Nicht nur Eine Sonne war mir +untergegangen. + +Ein Pfad, der trotzig durch Geröll stieg, ein boshafter, einsamer, dem +nicht Kraut, nicht Strauch mehr zusprach: ein Bergpfad knirschte unter +dem Trotz meines Fusses. + +Stumm über höhnischem Geklirr von Kieseln schreitend, den Stein +zertretend, der ihn gleiten liess: also zwang mein Fuss sich aufwärts. + +Aufwärts: - dem Geiste zum Trotz, der ihn abwärts zog, abgrundwärts +zog, dem Geiste der Schwere, meinem Teufel und Erzfeinde. + +Aufwärts: - obwohl er auf mir sass, halb Zwerg, halb Maulwurf; lahm; +lähmend; Blei durch mein Ohr, Bleitropfen-Gedanken in mein Hirn +träufelnd. + +"Oh Zarathustra, raunte er höhnisch Silb' um Silbe, du Stein der +Weisheit! Du warfst dich hoch, aber jeder geworfene Stein muss - +fallen! + +Oh Zarathustra, du Stein der Weisheit, du Schleuderstein, du +Stern-Zertrümmerer! Dich selber warfst du so hoch, - aber jeder +geworfene Stein - muss fallen! + +Verurtheilt zu dir selber und zur eignen Steinigung: oh Zarathustra, +weit warfst du ja den Stein, - aber auf _dich_ wird er zurückfallen!" + +Drauf schwieg der Zwerg; und das währte lange. Sein Schweigen aber +drückte mich; und solchermaassen zu Zwein ist man wahrlich einsamer +als zu Einem! + +Ich stieg, ich stieg, ich träumte, ich dachte, - aber Alles drückte +mich. Einem Kranken glich ich, den seine schlimme Marter müde macht, +und den wieder ein schlimmerer Traum aus dem Einschlafen weckt. - + +Aber es giebt Etwas in mir, das ich Muth heisse: das schlug bisher mir +jeden Unmuth todt. Dieser Muth hiess mich endlich stille stehn und +sprechen: "Zwerg! Du! Oder ich!" - + +Muth nämlich ist der beste Todtschläger, - Muth, welcher _angreift_: +denn in jedem Angriffe ist klingendes Spiel. + +Der Mensch aber ist das muthigste Thier: damit überwand er jedes +Thier. Mit klingendem Spiele überwand er noch jeden Schmerz; +Menschen-Schmerz aber ist der tiefste Schmerz. + +Der Muth schlägt auch den Schwindel todt an Abgründen: und wo stünde +der Mensch nicht an Abgründen! Ist Sehen nicht selber - Abgründe +sehen? + +Muth ist der beste Todtschläger: der Muth schlägt auch das Mitleiden +todt. Mitleiden aber ist der tiefste Abgrund: so tief der Mensch in +das Leben sieht, so tief sieht er auch in das Leiden. + +Muth aber ist der beste Todtschläger, Muth, der angreift: der schlägt +noch den Tod todt, denn er spricht: "War _das_ das Leben? Wohlan! Noch +Ein Mal!" + +In solchem Spruche aber ist viel klingendes Spiel. Wer Ohren hat, der +höre. - + + +2. + +"Halt! Zwerg! sprach ich. Ich! Oder du! Ich aber bin der Stärkere von +uns Beiden -: du kennst meinen abgründlichen Gedanken nicht! _Den_ - +könntest du nicht tragen!" - + +Da geschah, was mich leichter machte: denn der Zwerg sprang mir von +der Schulter, der Neugierige! Und er hockte sich auf einen Stein vor +mich hin. Es war aber gerade da ein Thorweg, wo wir hielten. + +"Siehe diesen Thorweg! Zwerg! sprach ich weiter: der hat zwei +Gesichter. Zwei Wege kommen hier zusammen: die gieng noch Niemand zu +Ende. + +Diese lange Gasse zurück: die währt eine Ewigkeit. Und jene lange +Gasse hinaus - das ist eine andre Ewigkeit. + +Sie widersprechen sich, diese Wege; sie stossen sich gerade vor den +Kopf: - und hier, an diesem Thorwege, ist es, wo sie zusammen kommen. +Der Name des Thorwegs steht oben geschrieben: `Augenblick`. + +Aber wer Einen von ihnen weiter gienge - und immer weiter und +immer ferner: glaubst du, Zwerg, dass diese Wege sich ewig +widersprechen?" - + +"Alles Gerade lügt, murmelte verächtlich der Zwerg. Alle Wahrheit ist +krumm, die Zeit selber ist ein Kreis." + +"Du Geist der Schwere! sprach ich zürnend, mache dir es nicht zu +leicht! Oder ich lasse dich hocken, wo du hockst, Lahmfuss, - und ich +trug dich _hoch_! + +Siehe, sprach ich weiter, diesen Augenblick! Von diesem Thorwege +Augenblick läuft eine lange ewige Gasse _rückwärts_ hinter uns liegt +eine Ewigkeit. + +Muss nicht, was laufen _kann_ von allen Dingen, schon einmal diese +Gasse gelaufen sein? Muss nicht, was geschehn _kann_ von allen Dingen, +schon einmal geschehn, gethan, vorübergelaufen sein? + +Und wenn Alles schon dagewesen ist: was hältst du Zwerg von diesem +Augenblick? Muss auch dieser Thorweg nicht schon - dagewesen sein? + +Und sind nicht solchermaassen fest alle Dinge verknotet, dass dieser +Augenblick _alle_ kommenden Dinge nach sich zieht? _Also_ - - sich +selber noch? + +Denn, was laufen _kann_ von allen Dingen: auch in dieser langen Gasse +_hinaus_ - _muss_ es einmal noch laufen! - + +Und diese langsame Spinne, die im Mondscheine kriecht, und dieser +Mondschein selber, und ich und du im Thorwege, zusammen flüsternd, von +ewigen Dingen flüsternd - müssen wir nicht Alle schon dagewesen sein? + +- und wiederkommen und in jener anderen Gasse laufen, hinaus, vor +uns, in dieser langen schaurigen Gasse - müssen wir nicht ewig +wiederkommen? -" + +Also redete ich, und immer leiser: denn ich fürchtete mich vor meinen +eignen Gedanken und Hintergedanken. Da, plötzlich, hörte ich einen +Hund nahe _heulen_. + +Hörte ich jemals einen Hund so heulen? Mein Gedanke lief zurück. Ja! +Als ich Kind war, in fernster Kindheit: + +- da hörte ich einen Hund so heulen. Und sah ihn auch, gesträubt, den +Kopf nach Oben, zitternd, in stillster Mitternacht, wo auch Hunde an +Gespenster glauben: + +- also dass es mich erbarmte. Eben nämlich gieng der volle Mond, +todtschweigsam, über das Haus, eben stand er still, eine runde Gluth, +- still auf flachem Dache, gleich als auf fremdem Eigenthume: - + +darob entsetzte sich damals der Hund: denn Hunde glauben an Diebe und +Gespenster. Und als ich wieder so heulen hörte, da erbarmte es mich +abermals. + +Wohin war jetzt Zwerg? und Thorweg? Und Spinne? Und alles Flüstern? +Träumte ich denn? Wachte ich auf? Zwischen wilden Klippen stand ich +mit Einem Male, allein, öde, im ödesten Mondscheine. + +Aber da lag ein Mensch! Und da! Der Hund, springend, gesträubt, +winselnd, - jetzt sah er mich kommen - da heulte er wieder, da +_schrie_ er: - hörte ich je einen Hund so Hülfe schrein? + +Und, wahrlich, was ich sah, desgleichen sah ich nie. Einen jungen +Hirten sah ich, sich windend, würgend, zuckend, verzerrten Antlitzes, +dem eine schwarze schwere Schlange aus dem Munde hieng. + +Sah ich je so viel Ekel und bleiches Grauen auf Einem Antlitze? Er +hatte wohl geschlafen? Da kroch ihm die Schlange in den Schlund - da +biss sie sich fest. + +Meine Hand riss die Schlange und riss: - umsonst! sie riss die +Schlange nicht aus dem Schlunde. Da schrie es aus mir: "Beiss zu! +Beiss zu! + +Den Kopf ab! Beiss zu!" - so schrie es aus mir, mein Grauen, mein +Hass, mein Ekel, mein Erbarmen, all mein Gutes und Schlimmes schrie +mit Einem Schrei aus mir. - + +Ihr Kühnen um mich! Ihr Sucher, Versucher, und wer von euch mit +listigen Segeln sich in unerforschte Meere einschiffte! Ihr +Räthsel-Frohen! + +So rathet mir doch das Räthsel, das ich damals schaute, so deutet mir +doch das Gesicht des Einsamsten! + +Denn ein Gesicht war's und ein Vorhersehn: - _was_ sah ich damals im +Gleichnisse? Und _wer_ ist, der einst noch kommen muss? + +_Wer_ ist der Hirt, dem also die Schlange in den Schlund kroch? _Wer_ +ist der Mensch, dem also alles Schwerste, Schwärzeste in den Schlund +kriechen wird? + +- Der Hirt aber biss, wie mein Schrei ihm rieth; er biss mit gutem +Bisse! Weit weg spie er den Kopf der Schlange -: und sprang empor. - + +Nicht mehr Hirt, nicht mehr Mensch, - ein Verwandelter, ein +Umleuchteter, welcher _lachte_! Niemals noch auf Erden lachte je ein +Mensch, wie _er_ lachte! + +Oh meine Brüder, ich hörte ein Lachen, das keines Menschen Lachen war, +- - und nun frisst ein Durst an mir, eine Sehnsucht, die nimmer stille +wird. + +Meine Sehnsucht nach diesem Lachen frisst an mir: oh wie ertrage ich +noch zu leben! Und wie ertrüge ich's, jetzt zu sterben! - + +Also sprach Zarathustra. + + + +Von der Seligkeit wider Willen + +Mit solchen Räthseln und Bitternissen im Herzen fuhr Zarathustra über +das Meer. Als er aber vier Tagereisen fern war von den glückseligen +Inseln und von seinen Freunden, da hatte er allen seinen Schmerz +überwunden -: siegreich und mit festen Füssen stand er wieder auf +seinem Schicksal. Und damals redete Zarathustra also zu seinem +frohlockenden Gewissen: + +"Allein bin ich wieder und will es sein, allein mit reinem Himmel und +freiem Meere; und wieder ist Nachmittag um mich. + +Des Nachmittags fand ich zum ersten Male einst meine Freunde, des +Nachmittags auch zum anderen Male: - zur Stunde, da alles Licht +stiller wird. + +Denn was von Glück noch unterwegs ist zwischen Himmel und Erde, das +sucht sich nun zur Herberge noch eine lichte Seele: _vor_Glück_ ist +alles Licht jetzt stiller worden. + +Oh Nachmittag meines Lebens! Einst stieg auch _mein_ Glück zu +Thale, dass es sich eine Herberge suche: da fand es diese offnen +gastfreundlichen Seelen. + +Oh Nachmittag meines Lebens! Was gab ich nicht hin, dass ich Eins +hätte: diese lebendige Pflanzung meiner Gedanken und diess Morgenlicht +meiner höchsten Hoffnung! + +Gefährten suchte einst der Schaffende und Kinder _seiner_ Hoffnung: +und siehe, es fand sich, dass er sie nicht finden könne, es sei denn, +er schaffe sie selber erst. + +Also bin ich mitten in meinem Werke, zu meinen Kindern gehend und von +ihnen kehrend: um seiner Kinder willen muss Zarathustra sich selbst +vollenden. + +Denn von Grund aus liebt man nur sein Kind und Werk; und wo grosse +Liebe zu sich selber ist, da ist sie der Schwangerschaft Wahrzeichen: +so fand ich's. + +Noch grünen mir meine Kinder in ihrem ersten Frühlinge, nahe bei +einander stehend und gemeinsam von Winden geschüttelt, die Bäume +meines Gartens und besten Erdreichs. + +Und wahrlich! Wo solche Bäume bei einander stehn, da _sind_ +glückselige Inseln! + +Aber einstmals will ich sie ausheben und einen jeden für sich allein +stellen: dass er Einsamkeit lerne und Trotz und Vorsicht. + +Knorrig und gekrümmt und mit biegsamer Härte soll er mir dann am Meere +dastehn, ein lebendiger Leuchtthurm unbesiegbaren Lebens. + +Dort, wo die Stürme hinab in's Meer stürzen, und des Gebirgs Rüssel +Wasser trinkt, da soll ein jeder einmal seine Tag- und Nachtwachen +haben, zu _seiner_ Prüfung und Erkenntniss. + +Erkannt und geprüft soll er werden, darauf, ob er meiner Art und +Abkunft ist, - ob er eines langen Willens Herr sei, schweigsam, auch +wenn er redet, und nachgebend also, dass er im Geben _nimmt_: - + +- dass er einst mein Gefährte werde und ein Mitschaffender und +Mitfeiernder Zarathustra's -: ein Solcher, der mir meinen Willen auf +meine Tafeln schreibt: zu aller Dinge vollerer Vollendung. + +Und um seinetwillen und seines Gleichen muss ich selber _mich_ +vollenden: darum weiche ich jetzt meinem Glücke aus und biete mich +allem Unglücke an - zu _meiner_ letzten Prüfung und Erkenntniss. + +Und wahrlich, Zeit war's, dass ich gierig; und des Wanderers Schatten +und die längste Weile und die stillste Stunde - alle redeten mir zu: +`es ist höchste Zeit!` + +Der Wind blies mir durch's Schlüsselloch und sagte `Komm!` Die Thür +sprang mir listig auf und sagte `Geh!` + +Aber ich lag angekettet an die Liebe zu meinen Kindern: das Begehren +legte mir diese Schlinge, das Begehren nach Liebe, dass ich meiner +Kinder Beute würde und mich an sie verlöre. + +Begehren - das heisst mir schon: mich verloren haben. Ich habe euch, +meine Kinder! In diesem Haben soll Alles Sicherheit und Nichts +Begehren sein. + +Aber brütend lag die Sonne meiner Liebe auf mir, im eignen Safte +kochte Zarathustra, - da flogen Schatten und Zweifel über mich weg. + +Nach Frost und Winter gelüstete mich schon: `oh dass Frost und Winter +mich wieder knacken und knirschen machten!` seufzte ich: - da stiegen +eisige Nebel aus mir auf. + +Meine Vergangenheit brach ihm Gräber, manch lebendig begrabner +Schmerz wachte auf -: ausgeschlafen hatte er sich nur, versteckt in +Leichen-Gewänder. + +Also rief mir Alles in Zeichen zu: `es ist Zeit!` - Aber ich - hörte +nicht: bis endlich mein Abgrund sich rührte und mein Gedanke mich +biss. + +Ach, abgründlicher Gedanke, der du _mein_ Gedanke bist! Wann finde ich +die Stärke, dich graben zu hören und nicht mehr zu zittern? + +Bis zur Kehle hinauf klopft mir das Herz, wenn ich dich graben höre! +Dein Schweigen noch will mich würgen, du abgründlich Schweigender! + +Noch wagte ich niemals, dich _herauf_ zu rufen: genug schon, dass +ich dich mit mir - trug! Noch war ich nicht stark genug zum letzten +Löwen-Übermuthe und -Muthwillen. + +Genug des Furchtbaren war mir immer schon deine Schwere: aber einst +soll ich noch die Stärke finden und die Löwen-Stimme, die dich herauf +ruft! + +Wenn ich mich dessen erst überwunden habe, dann will ich mich auch +des Grösseren noch überwinden; und ein _Sieg_ soll meiner Vollendung +Siegel sein! - + +Inzwischen treibe ich noch auf ungewissen Meeren; der Zufall +schmeichelt mir, der glattzüngige; vorwärts und rückwärts schaue ich +-, noch schaue ich kein Ende. + +Noch kam mir die Stunde meines letzten Kampfes nicht, - oder kommt sie +wohl mir eben? Wahrlich, mit tückischer Schönheit schaut mich rings +Meer und Leben an! + +Oh Nachmittag meines Lebens! Oh Glück vor Abend! Oh Hafen auf hoher +See! Oh Friede im Ungewissen! Wie misstraue ich euch Allen! + +Wahrlich, misstrauisch bin ich gegen eure tückische Schönheit! Dem +Liebenden gleiche ich, der allzusammtenem Lächeln misstraut. + +Wie er die Geliebteste vor sich her stösst, zärtlich noch in seiner +Härte, der Eifersüchtige -, also stosse ich diese selige Stunde vor +mir her. + +Hinweg mit dir, du selige Stunde! Mit dir kam mir eine Seligkeit wider +Willen! Willig zu meinem tiefsten Schmerze stehe ich hier: - zur +Unzeit kamst du! + +Hinweg mit dir, du selige Stunde! Lieber nimm Herberge dort - bei +meinen Kindern! Eile! und segne sie vor Abend noch mit _meinem_ +Glücke! + +Da naht schon der Abend: die Sonne sinkt. Dahin - mein Glück! -" + +Also sprach Zarathustra. Und er wartete auf sein Unglück die ganze +Nacht: aber er wartete umsonst. Die Nacht blieb hell und still, und +das Glück selber kam ihm immer näher und näher. Gegen Morgen aber +lachte Zarathustra zu seinem Herzen und sagte spöttisch: "das Glück +läuft mir nach. Das kommt davon, dass ich nicht den Weibern nachlaufe. +Das Glück aber ist ein Weib." + + + +Vor Sonnen-Aufgang + +Oh Himmel über mir, du Reiner! Tiefer! Du Licht-Abgrund! Dich schauend +schaudere ich vor göttlichen Begierden. + +In deine Höhe mich zu werfen - das ist _meine_ Tiefe! In deine +Reinheit mich zu bergen - das ist _meine_ Unschuld! + +Den Gott verhüllt seine Schönheit: so verbirgst du deine Sterne. Du +redest nicht: _so_ kündest du mir deine Weisheit. + +Stumm über brausendem Meere bist du heut mir aufgegangen, deine Liebe +und deine Scham redet Offenbarung zu meiner brausenden Seele. + +Dass du schön zu mir kamst, verhüllt in deine Schönheit, dass du stumm +zu mir sprichst, offenbar in deiner Weisheit: + +Oh wie erriethe ich nicht alles Schamhafte deiner Seele! _Vor_ der +Sonne kamst du zu mir, dem Einsamsten. + +Wir sind Freunde von Anbeginn: uns ist Gram und Grauen und Grund +gemeinsam; noch die Sonne ist uns gemeinsam. + +Wir reden nicht zu einander, weil wir zu Vieles wissen -: wir +schweigen uns an, wir lächeln uns unser Wissen zu. + +Bist du nicht das Licht zu meinem Feuer? Hast du nicht die +Schwester-Seele zu meiner Einsicht? + +Zusammen lernten wir Alles; zusammen lernten wir über uns zu uns +selber aufsteigen und wolkenlos lächeln: - + +- wolkenlos hinab lächeln aus lichten Augen und aus meilenweiter +Ferne, wenn unter uns Zwang und Zweck und Schuld wie Regen dampfen. + +Und wanderte ich allein: _wes_ hungerte meine Seele in Nächten und +Irr-Pfaden? Und stieg ich Berge, _wen_ suchte ich je, wenn nicht dich, +auf Bergen? + +Und all mein Wandern und Bergsteigen: eine Noth war's nur und ein +Behelf des Unbeholfenen: - _fliegen_ allein will mein ganzer Wille, in +_dich_ hinein fliegen! + +Und wen hasste ich mehr, als ziehende Wolken und Alles, was dich +befleckt? Und meinen eignen Hass hasste ich noch, weil er dich +befleckte! + +Den ziehenden Wolken bin ich gram, diesen schleichenden Raub-Katzen: +sie nehmen dir und mir, was uns gemein ist, - das ungeheure +unbegrenzte Ja- und Amen-sagen. + +Diesen Mittlern und Mischern sind wir gram, den ziehenden Wolken: +diesen Halb- und Halben, welche weder segnen lernten, noch von Grund +aus fluchen. + +Lieber will ich noch unter verschlossnem Himmel in der Tonne sitzen, +lieber ohne Himmel im Abgrund sitzen, als dich, Licht-Himmel, mit +Zieh-Wolken befleckt sehn! + +Und oft gelüstete mich, sie mit zackichten Blitz-Golddrähten +festzuheften, dass ich, gleich dem Donner, auf ihrem Kessel-Bauche die +Pauke schlüge: - + +- ein zorniger Paukenschläger, weil sie mir dein Ja! und Amen! rauben, +du Himmel über mir, du Reiner! Lichter! Du Licht-Abgrund! - weil sie +dir _mein_ Ja! und Amen! rauben. + +Denn lieber noch will ich Lärm und Donner und Wetter-Flüche, als diese +bedächtige zweifelnde Katzen-Ruhe; und auch unter Menschen hasse +ich am besten alle Leisetreter und Halb- und Halben und zweifelnde, +zögernde Zieh-Wolken. + +Und "wer nicht segnen kann, der soll fluchen _lernen_!" - diese helle +Lehre fiel mir aus hellem Himmel, dieser Stern steht auch noch in +schwarzen Nächten an meinem Himmel. + +Ich aber bin ein Segnender und ein Ja-sager, wenn du nur um mich bist, +du Reiner! Lichter! Du Licht-Abgrund! - in alle Abgründe trage ich da +noch mein segnendes Ja-sagen. + +Zum Segnenden bin ich worden und zum Ja-sagenden: und dazu rang ich +lange und war ein Ringer, dass ich einst die Hände frei bekäme zum +Segnen. + +Das aber ist mein Segnen: über jedwedem Ding als sein eigener Himmel +stehn, als sein rundes Dach, seine azurne Glocke und ewige Sicherheit: +und selig ist, wer also segnet! + +Denn alle Dinge sind getauft am Borne der Ewigkeit und jenseits von +Gut und Böse; Gut und Böse selber aber sind nur Zwischenschatten und +feuchte Trübsale und Zieh-Wolken. + +Wahrlich, ein Segnen ist es und kein Lästern, wenn ich lehre: "über +allen Dingen steht der Himmel Zufall, der Himmel Unschuld, der Himmel +Ohngefähr, der Himmel Übermuth." + +"Von Ohngefähr" - das ist der älteste Adel der Welt, den gab ich allen +Dingen zurück, ich erlöste sie von der Knechtschaft unter dem Zwecke. + +Diese Freiheit und Himmels-Heiterkeit stellte ich gleich azurner +Glocke über alle Dinge, als ich lehrte, dass über ihnen und durch sie +kein "ewiger Wille" - will. + +Diesen Übermuth und diese Narrheit stellte ich an die Stelle +jenes Willens, als ich lehrte: "bei Allem ist Eins unmöglich - +Vernünftigkeit!" + +Ein _Wenig_ Vernunft zwar, ein Same der Weisheit zerstreut von Stern +zu Stern, - dieser Sauerteig ist allen Dingen eingemischt: um der +Narrheit willen ist Weisheit allen Dingen eingemischt! + +Ein Wenig Weisheit ist schon möglich; aber diese selige Sicherheit +fand ich an allen Dingen: dass sie lieber noch auf den Füssen des +Zufalls - _tanzen_. + +Oh Himmel über mir, du Reiner! Hoher! Das ist mir nun deine Reinheit, +dass es keine ewige Vernunft-Spinne und -Spinnennetze giebt: - + +- dass du mir ein Tanzboden bist für göttliche Zufälle, dass du mir +ein Göttertisch bist für göttliche Würfel und Würfelspieler! - + +Doch du erröthest? Sprach ich Unaussprechbares? Lästerte ich, indem +ich dich segnen wollte? + +Oder ist es die Scham zu Zweien, welche dich erröthen machte? - +Heissest du mich gehn und schweigen, weil nun - der _Tag_ kommt? + +Die Welt ist tief -: und tiefer als je der Tag gedacht hat. Nicht +Alles darf vor dem Tage Worte haben. Aber der Tag kommt: so scheiden +wir nun! + +Oh Himmel über mir, du Schamhafter! Glühender! Oh du mein Glück vor +Sonnen-Aufgang! Der Tag kommt: so scheiden wir nun! - + +Also sprach Zarathustra. + + + +Von der verkleinernden Tugend + +1. + +Als Zarathustra wieder auf dem festen Lande war, gieng er nicht +stracks auf sein Gebirge und seine Höhle los, sondern that viele Wege +und Fragen und erkundete diess und das, also, dass er von sich selber +im Scherze sagte: "siehe einen Fluss, der in vielen Windungen zurück +zur Quelle fliesst!" Denn er wollte in Erfahrung bringen, was sich +inzwischen _mit_dem_Menschen_ zugetragen habe: ob er grösser oder +kleiner geworden sei. Und ein Mal sah er eine Reihe neuer Häuser; da +wunderte er sich und sagte: + +"Was bedeuten diese Häuser? Wahrlich, keine grosse Seele stellte sie +hin, sich zum Gleichnisse! + +Nahm wohl ein blödes Kind sie aus seiner Spielschachtel? Dass doch ein +anderes Kind sie wieder in seine Schachtel thäte! + +Und diese Stuben und Kammern: können _Männer_ da aus- und eingehen? +Gemacht dünken sie mich für Seiden-Puppen; oder für Naschkatzen, die +auch wohl an sich naschen lassen." + +Und Zarathustra blieb stehn und dachte nach. Endlich sagte er betrübt: +"Es ist _Alles_ kleiner geworden! + +Überall sehe ich niedrigere Thore: wer _meiner_ Art ist, geht da wohl +noch hindurch, aber - er muss sich bücken! + +Oh wann komme ich wieder in meine Heimat, wo ich mich nicht mehr +bücken muss - nicht mehr bücken muss vor den Kleinen!" - Und +Zarathustra seufzte und blickte in die Ferne. - + +Desselbigen Tages aber redete er seine Rede über die verkleinernde +Tugend. + + +2. + +Ich gehe durch diess Volk und halte meine Augen offen: sie vergeben +mir es nicht, dass ich auf ihre Tugenden nicht neidisch bin. + +Sie beissen nach mir, weil ich zu ihnen sage: für kleine Leute sind +kleine Tugenden nöthig - und weil es mir hart eingeht, dass kleine +Leute _nöthig_ sind! + +Noch gleiche ich dem Hahn hier auf fremdem Gehöfte, nach dem auch die +Hennen beissen; doch darob bin ich diesen Hennen nicht ungut. + +Ich bin höflich gegen sie wie gegen alles kleine Ärgerniss; gegen das +Kleine stachlicht zu sein dünkt mich eine Weisheit für Igel. + +Sie reden Alle von mir, wenn sie Abends um's Feuer sitzen, - sie reden +von mir, aber Niemand denkt - an mich! + +Diess ist die neue Stille, die ich lernte: ihr Lärm um mich breitet +einen Mantel über meine Gedanken. + +Sie lärmen unter einander: "was will uns diese düstere Wolke? sehen +wir zu, dass sie uns nicht eine Seuche bringe!" + +Und jüngst riss ein Weib sein Kind an sich, das zu mir wollte: "nehmt +die Kinder weg! schrie es; solche Augen versengen Kinder-Seelen." + +Sie husten, wenn ich rede: sie meinen, Husten sei ein Einwand gegen +starke Winde, - sie errathen Nichts vom Brausen meines Glückes! + +"Wir haben noch keine Zeit für Zarathustra" - so wenden sie ein; aber +was liegt an einer Zeit, die für Zarathustra "keine Zeit hat"? + +Und wenn sie gar mich rühmen: wie könnte ich wohl auf _ihrem_ Ruhme +einschlafen? Ein Stachel-Gürtel ist mir ihr Lob: es kratzt mich noch, +wenn ich es von mir thue. + +Und auch das lernte ich unter ihnen: der Lobende stellt sich, als gäbe +er zurück, in Wahrheit aber will er mehr beschenkt sein! + +Fragt meinen Fuss, ob ihm ihre Lob- und Lock-Weise gefällt! Wahrlich, +nach solchem Takt und Tiktak mag er weder tanzen, noch stille stehn. + +Zur kleinen Tugend möchten sie mich locken und loben; zum Tiktak des +kleinen Glücks möchten sie meinen Fuss überreden. + +Ich gehe durch diess Volk und halte die Augen offen: sie sind +_kleiner_ geworden und werden immer kleiner: - das aber macht ihre +Lehre von Glück und Tugend. + +Sie sind nämlich auch in der Tugend bescheiden - denn sie wollen +Behagen. Mit Behagen aber verträgt sich nur die bescheidene Tugend. + +Wohl lernen auch sie auf ihre Art Schreiten und Vorwärts-Schreiten: +das heisse ich ihr _Humpeln_ -. Damit werden sie jedem zum Anstosse, +der Eile hat. + +Und Mancher von ihnen geht vorwärts und blickt dabei zurück, mit +versteiftem Nacken: dem renne ich gern wider den Leib. + +Fuss und Augen sollen nicht lügen, noch sich einander Lügen strafen. +Aber es ist viel Lügnerei bei den kleinen Leuten. + +Einige von ihnen wollen, aber die Meisten werden nur gewollt. Einige +von ihnen sind ächt, aber die Meisten sind schlechte Schauspieler. + +Es giebt Schauspieler wider Wissen unter ihnen und Schauspieler +wider Willen -, die Ächten sind immer selten, sonderlich die ächten +Schauspieler. + +Des Mannes ist hier wenig: darum vermännlichen sich ihre Weiber. Denn +nur wer Mannes genug ist, wird im Weibe _das_Weib_ - erlösen. + +Und diese Heuchelei fand ich unter ihnen am schlimmsten: dass auch +Die, welche befehlen, die Tugenden Derer heucheln, welche dienen. + +"Ich diene, du dienst, wir dienen" - so betet hier auch die Heuchelei +der Herrschenden, - und wehe, wenn der erste Herr _nur_ der erste +Diener ist! + +Ach, auch in ihre Heucheleien verflog sich wohl meines Auges Neugier; +und gut errieth ich all ihr Fliegen-Glück und ihr Summen um besonnte +Fensterscheiben. + +Soviel Güte, soviel Schwäche sehe ich. Soviel Gerechtigkeit und +Mitleiden, soviel Schwäche. + +Rund, rechtlich und gütig sind sie mit einander, wie Sandkörnchen +rund, rechtlich und gütig mit Sandkörnchen sind. + +Bescheiden ein kleines Glück umarmen - das heissen sie "Ergebung"! und +dabei schielen sie bescheiden schon nach einem neuen kleinen Glücke +aus. + +Sie wollen im Grunde einfältiglich Eins am meisten: dass ihnen Niemand +wehe thue. So kommen sie jedermann zuvor und thun ihm wohl. + +Diess aber ist _Feigheit_: ob es schon "Tugend" heisst. - + +Und wenn sie einmal rauh reden, diese kleinen Leute: _ich_ höre darin +nur ihre Heiserkeit, - jeder Windzug nämlich macht sie heiser. + +Klug sind sie, ihre Tugenden haben kluge Finger. Aber ihnen fehlen die +Fäuste, ihre Finger wissen nicht, sich hinter Fäuste zu verkriechen. + +Tugend ist ihnen das, was bescheiden und zahm macht: damit machten +sie den Wolf zum Hunde und den Menschen selber zu des Menschen bestem +Hausthiere. + +"Wir setzten unsern Stuhl in die _Mitte_ - das sagt mir ihr Schmunzeln +- und ebenso weit weg von sterbenden Fechtern wie von vergnügten +Säuen." + +Diess aber ist - _Mittelmässigkeit_: ob es schon Mässigkeit heisst. - + + +3. + +Ich gehe durch diess Volk und lasse manches Wort fallen: aber sie +wissen weder zu nehmen noch zu behalten. + +Sie wundern sich, dass ich nicht kam, auf Lüste und Laster zu lästern; +und wahrlich, ich kam auch nicht, dass ich vor Taschendieben warnte! + +Sie wundern sich, dass ich nicht bereit bin, ihre Klugheit noch zu +witzigen und zu spitzigen: als ob sie noch nicht genug der Klüglinge +hätten, deren Stimme mir gleich Schieferstiften kritzelt! + +Und wenn ich rufe: "Flucht allen feigen Teufeln in euch, die gerne +winseln und Hände falten und anbeten möchten": so rufen sie: +"Zarathustra ist gottlos". + +Und sonderlich rufen es ihre Lehrer der Ergebung -; aber gerade ihnen +liebe ich's, in das Ohr zu schrein: Ja! Ich _bin_ Zarathustra, der +Gottlose! + +Diese Lehrer der Ergebung! Überall hin, wo es klein und krank und +grindig ist, kriechen sie, gleich Läusen; und nur mein Ekel hindert +mich, sie zu knacken. + +Wohlan! Diess ist meine Predigt für _ihre_ Ohren: ich bin Zarathustra, +der Gottlose, der da spricht "wer ist gottloser denn ich, dass ich +mich seiner Unterweisung freue?" + +Ich bin Zarathustra, der Gottlose: wo finde ich Meines-Gleichen? Und +alle Die sind Meines-Gleichen, die sich selber ihren Willen geben und +alle Ergebung von sich abthun. + +Ich bin Zarathustra, der Gottlose: ich koche mir noch jeden Zufall in +_meinem_ Topfe. Und erst, wenn er da gar gekocht ist, heisse ich ihn +willkommen, als _meine_ Speise. + +Und wahrlich, mancher Zufall kam herrisch zu mir: aber herrischer noch +sprach zu ihm mein _Wille_, - da lag er schon bittend auf den Knieen - + +- bittend, dass er Herberge finde und Herz bei mir, und +schmeichlerisch zuredend: "sieh doch; oh Zarathustra, wie nur Freund +zu Freunde kommt!" - + +Doch was rede ich, wo Niemand _meine_ Ohren hat! Und so will ich es +hinaus in alle Winde rufen: + +Ihr werdet immer kleiner, ihr kleinen Leute! Ihr bröckelt ab, ihr +Behaglichen! Ihr geht mir noch zu Grunde - + +- an euren vielen kleinen Tugenden, an eurem vielen kleinen +Unterlassen, an eurer vielen kleinen Ergebung! + +Zu viel schonend, zu viel nachgebend: so ist euer Erdreich! Aber dass +ein Baum _gross_ werde, dazu will er um harte Felsen harte Wurzeln +schlagen! + +Auch was ihr unterlasse, webt am Gewebe aller Menschen-Zukunft; auch +euer Nichts ist ein Spinnennetz und eine Spinne, die von der Zukunft +Blute lebt. + +Und wenn ihr nehmt, so ist es wie stehlen, ihr kleinen Tugendhaften; +aber noch unter Schelmen spricht die _Ehre_: "man soll nur stehlen, wo +man nicht rauben kann." + +"Es giebt sich" - das ist auch eine Lehre der Ergebung. Aber ich sage +euch, ihr Behaglichen: _es_nimmt_sich_ und wird immer mehr noch von +euch nehmen! + +Ach, dass ihr alles _halbe_ Wollen von euch abthätet und entschlossen +würdet zur Trägheit wie zur That! + +Ach, dass ihr mein Wort verstündet: "thut immerhin, was ihr wollt, - +aber seid erst Solche, die _wollen_können_!" + +"Liebt immerhin euren Nächsten gleich euch, - aber seid mir erst +solche, die _sich_selber_lieben_ - + +- mit der grossen Liebe lieben, mit der grossen Verachtung lieben!" +Also spricht Zarathustra, der Gottlose. - + +Doch was rede ich, wo Niemand _meine_ Ohren hat! Es ist hier noch eine +Stunde zu früh für mich. + +Mein eigner Vorläufer bin ich unter diesem Volke, mein eigner +Hahnen-Ruf durch dunkle Gassen. + +Aber _ihre_ Stunde kommt! Und es kommt auch die meine! Stündlich +werden sie kleiner, ärmer, unfruchtbarer, - armes Kraut! armes +Erdreich! + +Und _bald_ sollen sie mir dastehn wie dürres Gras und Steppe, und +wahrlich! ihrer selber müde - und mehr, als nach Wasser, nach _Feuer_ +lechzend! + +Oh gesegnete Stunde des Blitzes! Oh Geheimniss vor Mittag! - Laufende +Feuer will ich einst noch aus ihnen machen und Verkünder mit +Flammen-Zungen: - + +- verkünden sollen sie einst noch mit Flammen-Zungen: Er kommt, er ist +nahe, der grosse Mittag! + +Also sprach Zarathustra. + + + +Auf dem Ölberge + +Der Winter, ein schlimmer Gast, sitzt bei mir zu Hause; blau sind +meine Hände von seiner Freundschaft Händedruck. + +Ich ehre ihn, diesen schlimmen Gast, aber lasse gerne ihn allein +sitzen. Gerne laufe ich ihm davon; und, läuft man _gut_, so entläuft +man ihm! + +Mit warmen Füssen und warmen Gedanken laufe ich dorthin, wo der Wind +stille steht, - zum Sonnen-Winkel meines Ölbergs. + +Da lache ich meines gestrengen Gastes und bin ihm noch gut, dass er zu +Hause mir die Fliegen wegfängt und vielen kleinen Lärm stille macht. + +Er leidet es nämlich nicht, wenn eine Mücke singen will, oder gar +zwei; noch die Gasse macht er einsam, dass der Mondschein drin Nachts +sich fürchtet. + +Ein harter Gast ist er, - aber ich ehre ihn, und nicht bete ich, +gleich den Zärtlingen, zum dickbäuchichten Feuer-Götzen. + +Lieber noch ein Wenig zähneklappern als Götzen anbeten! - so will's +meine Art. Und sonderlich bin ich allen brünstigen dampfenden +dumpfigen Feuer-Götzen gram. + +Wen ich liebe, den liebe ich Winters besser als Sommers; besser spotte +ich jetzt meiner Feinde und herzhafter, seit der Winter mir im Hause +sitzt. + +Herzhaft wahrlich, selbst dann noch, wenn ich zu Bett _krieche_ -: da +lacht und muthwillt noch mein verkrochenes Glück; es lacht noch mein +Lügen-Traum. + +Ich - ein Kriecher? Niemals kroch ich im Leben vor Mächtigen; und +log ich je, so log ich aus Liebe. Desshalb bin ich froh auch im +Winter-Bette. + +Ein geringes Bett wärmt mich mehr als ein reiches, denn ich bin +eifersüchtig auf meine Armuth. Und im Winter ist sie mir am treuesten. + +Mit einer Bosheit beginne ich jeden Tag, ich spotte des Winters mit +einem kalten Bade: darob brummt mein gestrenger Hausfreund. + +Auch kitzle ich ihn gerne mit einem Wachskerzlein: dass er mir endlich +den Himmel herauslasse aus aschgrauer Dämmerung. + +Sonderlich boshaft bin ich nämlich des Morgens: zur frühen Stunde, +da der Eimer am Brunnen klirrt und die Rosse warm durch graue Gassen +wiehern: - + +Ungeduldig warte ich da, dass mir endlich der lichte Himmel aufgehe, +der schneebärtige Winter-Himmel, der Greis und Weisskopf, - + +- der Winter-Himmel, der schweigsame, der oft noch seine Sonne +verschweigt! + +Lernte ich wohl von ihm das lange lichte Schweigen? Oder lernte er's +von mir? Oder hat ein jeder von uns es selbst erfunden? + +Aller guten Dinge Ursprung ist tausendfältig, - alle guten +muthwilligen Dinge springen vor Lust in's Dasein: wie sollten sie das +immer nur - Ein Mal thun! + +Ein gutes muthwilliges Ding ist auch das lange Schweigen und gleich +dem Winter-Himmel blicken aus lichtem rundäugichten Antlitze: - + +- gleich ihm seine Sonne verschweigen und seinen unbeugsamen +Sonnen-Willen: wahrlich, diese Kunst und diesen Winter-Muthwillen +lernte ich _gut_! + +Meine liebste Bosheit und Kunst ist es, dass mein Schweigen lernte, +sich nicht durch Schweigen zu verrathen. + +Mit Worten und Würfeln klappernd überliste ich mir die feierlichen +Warter: allen diesen gestrengen Aufpassern soll mein Wille und Zweck +entschlüpfen. + +Dass mir Niemand in meinen Grund und letzten Willen hinab sehe, - dazu +erfand ich mir das lange lichte Schweigen. + +So manchen Klugen fand ich: der verschleierte sein Antlitz und trübte +sein Wasser, dass Niemand ihm hindurch und hinunter sehe. + +Aber zu ihm gerade kamen die klügeren Misstrauer und Nussknacker: ihm +gerade fischte man seinen verborgensten Fisch heraus! + +Sondern die Hellen, die Wackern, die Durchsichtigen - das sind mir +die klügsten Schweiger: denen so _tief_ ihr Grund ist, dass auch das +hellste Wasser ihn nicht - verräth. - + +Du schneebärtiger schweigender Winter-Himmel, du rundäugichter +Weisskopf über mir! Oh du himmlisches Gleichniss meiner Seele und +ihres Muthwillens! + +Und _muss_ ich mich nicht verbergen, gleich Einem, der Gold +verschluckt hat, - dass man mir nicht die Seele aufschlitze? + +_Muss_ ich nicht Stelzen tragen, dass sie meine langen Beine +_übersehen_, - alle diese Neidbolde und Leidholde, die um mich sind? + +Diese räucherigen, stubenwarmen, verbrauchten, vergrünten, +vergrämelten Seelen - wie _könnte_ ihr Neid mein Glück ertragen! + +So zeige ich ihnen nur das Eis und den Winter auf meinen Gipfeln - und +_nicht_, dass mein Berg noch alle Sonnengürtel um sich schlingt! + +Sie hören nur meine Winter-Stürme pfeifen: und _nicht_, dass ich +auch über warme Meere fahre, gleich sehnsüchtigen, schweren, heissen +Südwinden. + +Sie erbarmen sich noch meiner Unfälle und Zufälle: - aber _mein_ Wort +heisst: "lasst den Zufall zu mir kommen: unschuldig ist er, wie ein +Kindlein!" + +Wie _könnten_ sie mein Glück ertragen, wenn ich nicht Unfälle und +Winter-Nöthe und Eisbären-Mützen und Schneehimmel-Hüllen um mein Glück +legte! + +- wenn ich mich nicht selbst ihres _Mitleids_ erbarmte - des Mitleids +dieser Neidbolde und Leidholde! + +- wenn ich nicht selber vor ihnen seufzte und frostklapperte und mich +geduldsam in ihr Mitleid wickeln _liesse_! + +Diess ist der weise Muthwille und Wohlwille meiner Seele, dass sie +ihren Winter und ihre Froststürme _nicht_verbirgt_; sie verbirgt auch +ihre Frostbeulen nicht. + +Des Einen Einsamkeit ist die Flucht des Kranken; des Andern Einsamkeit +die Flucht _vor_ den Kranken. + +Mögen sie mich klappern und seufzen _hören_ vor Winterkälte, alle +diese armen scheelen Schelme um mich! Mit solchem Geseufz und +Geklapper flüchte ich noch vor ihren geheizten Stuben. + +Mögen sie mich bemitleiden und bemitseufzen ob meiner Frostbeulen: "am +Eis der Erkenntniss _erfriert_ er uns noch!" - so klagen sie. + +Inzwischen laufe ich mit warmen Füssen kreuz und quer auf meinem +Ölberge: im Sonnen-Winkel meines Ölberges singe und spotte ich alles +Mitleids. - + +Also sang Zarathustra. + + + +Vom Vorübergehen + +Also, durch viel Volk und vielerlei Städte langsam hindurchschreitend, +gierig Zarathustra auf Umwegen zurück zu seinem Gebirge und seiner +Höhle. Und siehe, dabei kam er unversehens auch an das Stadtthor +der _grossen_Stadt_: hier aber sprang ein schäumender Narr mit +ausgebreiteten Händen auf ihn zu und trat ihm in den Weg. Diess aber +war der selbige Narr, welchen das Volk "den Affen Zarathustra's" +hiess: denn er hatte ihm Etwas vom Satz und Fall der Rede abgemerkt +und borgte wohl auch gerne vom Schatze seiner Weisheit. Der Narr aber +redete also zu Zarathustra: + +"Oh Zarathustra, hier ist die grosse Stadt: hier hast du Nichts zu +suchen und Alles zu verlieren. + +Warum wolltest du durch diesen Schlamm waten? Habe doch Mitleiden mit +deinem Fusse! Speie lieber auf das Stadtthor und - kehre um! + +Hier ist die Hölle für Einsiedler-Gedanken: hier werden grosse +Gedanken lebendig gesotten und klein gekocht. + +Hier verwesen alle grossen Gefühle: hier dürfen nur klapperdürre +Gefühlchen klappern! + +Riechst du nicht schon die Schlachthäuser und Garküchen des Geistes? +Dampft nicht diese Stadt vom Dunst geschlachteten Geistes? + +Siehst du nicht die Seelen hängen wie schlaffe schmutzige Lumpen? - +Und sie machen noch Zeitungen aus diesen Lumpen! + +Hörst du nicht, wie der Geist hier zum Wortspiel wurde? Widriges +Wort-Spülicht bricht er heraus! - Und sie machen noch Zeitungen aus +diesem Wort-Spülicht. + +Sie hetzen einander und wissen nicht, wohin? Sie erhitzen einander und +wissen nicht, warum? Sie klimpern mit ihrem Bleche, sie klingeln mit +ihrem Golde. + +Sie sind kalt und suchen sich Wärme bei gebrannten Wassern; sie sind +erhitzt und suchen Kühle bei gefrorenen Geistern; sie sind Alle siech +und süchtig an öffentlichen Meinungen. + +Alle Lüste und Laster sind hier zu Hause; aber es giebt hier auch +Tugendhafte, es giebt viel anstellige angestellte Tugend: - + +Viel anstellige Tugend mit Schreibfingern und hartem Sitz- und +Warte-Fleische, gesegnet mit kleinen Bruststernen und ausgestopften +steisslosen Töchtern. + +Es giebt hier auch viel Frömmigkeit und viel gläubige +Speichel-Leckerei, Schmeichel-Bäckerei vor dem Gott der Heerschaaren. + +`Von Oben` her träufelt ja der Stern und der gnädige Speichel; nach +Oben hin sehnt sich jeder sternenlose Busen. + +Der Mond hat seinen Hof, und der Hof hat seine Mondkälber: zu Allem +aber, was vom Hofe kommt, betet das Bettel-Volk und alle anstellige +Bettel-Tugend. + +`Ich diene, du dienst, wir dienen` - so betet alle anstellige Tugend +hinauf zum Fürsten: dass der verdiente Stern sich endlich an den +schmalen Busen hefte! + +Aber der Mond dreht sich noch um alles Irdische: so dreht sich auch +der Fürst noch um das Aller-Irdischste -: das aber ist das Gold der +Krämer. + +Der Gott der Heerschaaren ist kein Gott der Goldbarren; der Fürst +denkt, aber der Krämer - lenkt! + +Bei Allem, was licht und stark und gut in dir ist, oh Zarathustra! +Speie auf diese Stadt der Krämer und kehre um! + +Hier fliesst alles Blut faulicht und lauicht und schaumicht durch alle +Adern: speie auf die grosse Stadt, welche der grosse Abraum ist, wo +aller Abschaum zusammenschäumt! + +Speie auf die Stadt der eingedrückten Seelen und schmalen Brüste, der +spitzen Augen, der klebrigen Finger - + +- auf die Stadt der Aufdringlinge, der Unverschämten, der Schreib- und +Schreihälse, der überheizten Ehrgeizigen: - + +- wo alles Anbrüchige, Anrüchige, Lüsterne, Düsterne, Übermürbe, +Geschwürige, Verschwörerische zusammenschwärt: - + +- speie auf die grosse Stadt und kehre um!" - - + +Hier aber unterbrach Zarathustra den schäumenden Narren und hielt ihm +den Mund zu. + +"Höre endlich auf! rief Zarathustra, mich ekelt lange schon deiner +Rede und deiner Art! + +Warum wohntest du so lange am Sumpfe, dass du selber zum Frosch und +zur Kröte werden musstest? + +Fliesst dir nicht selber nun ein faulichtes schaumichtes Sumpf-Blut +durch die Adern, dass du also quaken und lästern lerntest? + +Warum giengst du nicht in den Wald? Oder pflügtest die Erde? Ist das +Meer nicht voll von grünen Eilanden? + +Ich verachte dein Verachten; und wenn du mich warntest, - warum +warntest du dich nicht selber? + +Aus der Liebe allein soll mir mein Verachten und mein warnender Vogel +auffliegen: aber nicht aus dem Sumpfe! - + +Man heisst dich meinen Affen, du schäumender Narr: aber ich heisse +dich mein Grunze-Schwein, - durch Grunzen verdirbst du mir noch mein +Lob der Narrheit. + +Was war es denn, was dich zuerst grunzen machte? Dass Niemand dir +genug _geschmeichelt_ hat: - darum setztest du dich hin zu diesem +Unrathe, dass du Grund hättest viel zu grunzen, - + +- dass du Grund hättest zu vieler _Rache_! Rache nämlich, du eitler +Narr, ist all dein Schäumen, ich errieth dich wohl! + +Aber dein Narren-Wort thut _mir_ Schaden, selbst, wo du Recht hast! +Und wenn Zarathustra's Wort sogar hundert Mal Recht _hätte_: du +würdest mit meinem Wort immer - Unrecht _thun_!" + +Also sprach Zarathustra; und er blickte die grosse Stadt an, seufzte +und schwieg lange. Endlich redete er also: + +Mich ekelt auch dieser grossen Stadt und nicht nur dieses Narren. Hier +und dort ist Nichts zu bessern, Nichts zu bösern. + +Wehe dieser grossen Stadt! - Und ich wollte, ich sähe schon die +Feuersäule, in der sie verbrannt wird! + +Denn solche Feuersäulen müssen dem grossen Mittage vorangehn. Doch +diess hat seine Zeit und sein eigenes Schicksal. - + +Diese Lehre aber gebe ich dir, du Narr, zum Abschiede: wo man nicht +mehr lieben kann, da soll man - _vorübergehn_! - + +Also sprach Zarathustra und gieng an dem Narren und der grossen Stadt +vorüber. + + + +Von den Abtrünnigen + +1. + +Ach, liegt Alles schon welk und grau, was noch jüngst auf dieser Wiese +grün und bunt stand? Und wie vielen Honig der Hoffnung trug ich von +hier in meine Bienenkörbe! + +Diese jungen Herzen sind alle schon alt geworden, - und nicht alt +einmal! nur müde, gemein, bequem: - sie heissen es "Wir sind wieder +fromm geworden." + +Noch jüngst sah ich sie in der Frühe auf tapferen Füssen hinauslaufen: +aber ihre Füsse der Erkenntniss wurden müde, und nun verleumden sie +auch noch ihre Morgen-Tapferkeit! + +Wahrlich, Mancher von ihnen hob einst die Beine wie ein Tänzer, ihm +winkte das Lachen in meiner Weisheit: - da besann er sich. Eben sah +ich ihn krumm - zum Kreuze kriechen. + +Um Licht und Freiheit flatterten sie einst gleich Mücken und jungen +Dichtern. Ein Wenig älter, ein Wenig kälter: und schon sind sie +Dunkler und Munkler und Ofenhocker. + +Verzagte ihnen wohl das Herz darob, dass mich die Einsamkeit +verschlang gleich einem Wallfische? Lauschte ihr Ohr wohl +sehnsüchtig-lange _umsonst_ nach mir und meinen Trompeten- und +Herolds-Rufen? + +- Ach! Immer sind ihrer nur Wenige, deren Herz einen langen Muth und +Übermuth hat; und solchen bleibt auch der Geist geduldsam. Der Rest +aber ist _feige_. + +Der Rest: das sind immer die Allermeisten, der Alltag, der Überfluss, +die Viel-zu-Vielen - diese alle sind feige! - + +Wer meiner Art ist, dem werden auch die Erlebnisse meiner Art über +den Weg laufen: also, dass seine ersten Gesellen Leichname und +Possenreisser sein müssen. + +Seine zweiten Gesellen aber - die werden sich seine _Gläubigen_ +heissen: ein lebendiger Schwarm, viel Liebe, viel Thorheit, viel +unbärtige Verehrung. + +An diese Gläubigen soll Der nicht sein Herz binden, wer meiner Art +unter Menschen ist; an diese Lenze und bunte Wiesen soll Der nicht +glauben, wer die flüchtig-feige Menschenart kennt! + +_Könnten_ sie anders, so würden sie auch anders _wollen_. Halb- und +Halbe verderben alles Ganze. Dass Blätter welk werden, - was ist da zu +klagen! + +Lass sie fahren und fallen, oh Zarathustra, und klage nicht! Lieber +noch blase mit raschelnden Winden unter sie, - + +- blase unter diese Blätter, oh Zarathustra: dass alles _Welke_ +schneller noch von dir davonlaufen! - + + +2. + +"Wir sind wieder fromm geworden" - so bekennen diese Abtrünnigen; und +Manche von ihnen sind noch zu feige, also zu bekennen. + +Denen sehe ich in's Auge, - denen sage ich es in's Gesicht und in die +Röthe ihrer Wangen: ihr seid Solche, welche wieder _beten_! + +Es ist aber eine Schmach, zu beten! Nicht für Alle, aber für dich und +mich und wer auch im Kopfe sein Gewissen hat. Für _dich_ ist es eine +Schmach, zu beten! + +Du weisst es wohl: dein feiger Teufel in dir, der gerne Hände-falten +und Hände-in-den-Schooss-legen und es bequemer haben möchte: - dieser +feige Teufel redet dir zu "es _giebt_ einen Gott!" + +_Damit_ aber gehörst du zur lichtscheuen Art, denen Licht nimmer Ruhe +lässt; nun musst du täglich deinen Kopf tiefer in Nacht und Dunst +stecken! + +Und wahrlich, du wähltest die Stunde gut: denn eben wieder fliegen die +Nachtvögel aus. Die Stunde kam allem lichtscheuen Volke, die Abend- +und Feierstunde, wo es nicht - "feiert." + +Ich höre und rieche es: es kam ihre Stunde für Jagd und Umzug, nicht +zwar für eine wilde Jagd, sondern für eine zahme lahme schnüffelnde +Leisetreter- und Leisebeter-Jagd, - + +- für eine Jagd auf seelenvolle Duckmäuser: alle Herzens- Mausefallen +sind jetzt wieder aufgestellt! Und wo ich einen Vorhang aufhebe, da +kommt ein Nachtfalterchen herausgestürzt. + +Hockte es da wohl zusammen mit einem andern Nachtfalterchen? Denn +überall rieche ich kleine verkrochne Gemeinden; und wo es Kämmerlein +giebt, da giebt es neue Bet-Brüder drin und den Dunst von Bet-Brüdern. + +Sie sitzen lange Abende bei einander und sprechen: lasset uns wieder +werden wie die Kindlein und "lieber Gott" sagen! - an Mund und Magen +verdorben durch die frommen Zuckerbäcker. + +Oder sie sehen lange Abende einer listigen lauernden Kreuzspinne zu, +welche den Spinnen selber Klugheit predigt und also lehrt: "unter +Kreuzen ist gut spinnen!" + +Oder sie sitzen Tags über mit Angelruthen an Sümpfen und glauben sich +_tief_ damit; aber wer dort fischt, wo es keine Fische giebt, den +heisse ich noch nicht einmal oberflächlich! + +Oder sie lernen fromm-froh die Harfe schlagen bei einem +Lieder-Dichter, der sich gern jungen Weibchen in's Herz harfnen +möchte: - denn er wurde der alten Weibchen müde und ihres Lobpreisens. + +Oder sie lernen gruseln bei einem gelehrten Halb-Tollen, der in +dunklen Zimmern wartet, dass ihm die Geister kommen - und der Geist +ganz davonläuft! + +Oder sie horchen einem alten umgetriebnen Schnurr- und Knurrpfeifer +zu, der trüben Winden die Trübsal der Töne ablernte; nun pfeift er +nach dem Winde und predigt in trüben Tönen Trübsal. + +Und Einige von ihnen sind sogar Nachtwächter geworden: die verstehen +jetzt in Hörner zu blasen und Nachts umherzugehn und alte Sachen +aufzuwecken, die lange schon eingeschlafen sind. + +Fünf Worte von alten Sachen hörte ich gestern Nachts an der +Garten-Mauer: die kamen von solchen alten betrübten trocknen +Nachtwächtern. + +"Für einen Vater sorgt er nicht genug um seine Kinder: Menschen-Väter +thun diess besser!" - + +"Er ist zu alt! Er sorgt schon gar nicht mehr um seine Kinder" - also +antwortete der andere Nachtwächter. + +"_Hat_ er denn Kinder? Niemand kann's beweisen, wenn er's selber nicht +beweist! Ich wollte längst, er bewiese es einmal gründlich." + +"Beweisen? Als ob _Der_ je Etwas bewiesen hätte! Beweisen fällt ihm +schwer; er hält grosse Stücke darauf, dass man ihm glaubt." + +"Ja! Ja! Der Glaube macht ihn selig, der Glaube an ihn. Das ist so die +Art alter Leute! So geht's uns auch!" - + +- Also sprachen zu einander die zwei alten Nachtwächter und +Lichtscheuchen, und tuteten darauf betrübt in ihre Hörner: so +geschah's gestern Nachts an der Garten-Mauer. + +Mir aber wand sich das Herz vor Lachen und wollte brechen und wusste +nicht, wohin? und sank in's Zwerchfell. + +Wahrlich, das wird noch mein Tod sein, dass ich vor Lachen ersticke, +wenn ich Esel betrunken sehe und Nachtwächter also an Gott zweifeln +höre. + +Ist es denn nicht _lange_ vorbei auch für alle solche Zweifel? Wer +darf noch solche alte eingeschlafne lichtscheue Sachen aufwecken! + +Mit den alten Göttern gieng es ja lange schon zu Ende: - und wahrlich, +ein gutes fröhliches Götter-Ende hatten sie! + +Sie "dämmerten" sich nicht zu Tode, - das lügt man wohl! Vielmehr: sie +haben sich selber einmal zu Tode - _gelacht_! + +Das geschah, als das gottloseste Wort von einem Gotte selber ausgieng, +- das Wort: "Es ist Ein Gott! Du sollst keinen andern Gott haben neben +mir!" - + +- ein alter Grimm-Bart von Gott, ein eifersüchtiger vergass sich also: + +Und alle Götter lachten damals und wackelten auf ihren Stühlen und +riefen: "Ist das nicht eben Göttlichkeit, dass es Götter, aber keinen +Gott giebt?" + +Wer Ohren hat, der höre. - + +Also redete Zarathustra in der Stadt, die er liebte und welche +zubenannt ist die bunte Kuh. Von hier nämlich hatte er nur noch zwei +Tage zu gehen, dass er wieder in seine Höhle käme und zu seinen +Thieren; seine Seele aber frohlockte beständig ob der Nähe seiner +Heimkehr. - + + + +Die Heimkehr + +Oh Einsamkeit! Du meine _Heimat_ Einsamkeit! Zu lange lebte ich wild +in wilder Fremde, als dass ich nicht mit Thränen zu dir heimkehrte! + +Nun drohe mir nur mit dem Finger, wie Mütter drohn, nein lächle mir +zu, wie Mütter lächeln, nun sprich nur: "Und wer war das, der wie ein +Sturmwind einst von mir davonstürmte? - + +- der scheidend rief: zu lange sass ich bei der Einsamkeit, da +verlernte ich das Schweigen! _Das_ - lerntest du nun wohl? + +Oh Zarathustra, Alles weiss ich: und dass du unter den Vielen +_verlassener_ warst, du Einer, als je bei mir! + +Ein Anderes ist Verlassenheit, ein Anderes Einsamkeit: _Das_ - +lerntest du nun! Und dass du unter Menschen immer wild und fremd sein +wirst: + +-Wild und fremd auch noch, wenn sie dich lieben: denn zuerst von Allem +wollen sie _geschont_ sein! + +Hier aber bist du bei dir zu Heim und Hause; hier kannst du Alles +hinausreden und alle Gründe ausschütten, Nichts schämt sich hier +versteckter, verstockter Gefühle. + +Hier kommen alle Dinge liebkosend zu deiner Rede und schmeicheln dir: +denn sie wollen auf deinem Rücken reiten. Auf jedem Gleichniss reitest +du hier zu jeder Wahrheit. + +Aufrecht und aufrichtig darfst du hier zu allen Dingen reden: und +wahrlich, wie Lob klingt es ihren Ohren, dass Einer mit allen Dingen - +gerade redet! + +Ein Anderes aber ist Verlassensein. Denn, weisst du noch, oh +Zarathustra? Als damals dein Vogel über dir schrie, als du im Walde +standest, unschlüssig, wohin? unkundig, einem Leichnam nahe: - + +- als du sprachst: mögen mich meine Thiere führen! Gefährlicher fand +ich's unter Menschen, als unter Thieren: - _Das_ war Verlassenheit! + +Und weisst du noch, oh Zarathustra? Als du auf deiner Insel sassest, +unter leeren Eimern ein Brunnen Weins, gebend und ausgebend, unter +Durstigen schenkend und ausschenkend: + +- bis du endlich durstig allein unter Trunkenen sassest und nächtlich +klagtest `ist Nehmen nicht seliger als Geben? Und Stehlen noch seliger +als Nehmen?` - _Das_ war Verlassenheit! + +Und weisst du noch, oh Zarathustra? Als deine stillste Stunde kam und +dich von dir selber forttrieb, als sie mit bösem Flüstern sprach: +`Sprich und zerbrich!` - + +- als sie dir all dein Warten und Schweigen leid machte und deinen +demüthigen Muth entmuthigte: _Das_ war Verlassenheit!" - + +Oh Einsamkeit! Du meine Heimat Einsamkeit! Wie selig und zärtlich +redet deine Stimme zu mir! + +Wir fragen einander nicht, wir klagen einander nicht, wir gehen offen +mit einander durch offne Thüren. + +Denn offen ist es bei dir und hell; und auch die Stunden laufen hier +auf leichteren Füssen. Im Dunklen nämlich trägt man schwerer an der +Zeit, als im Lichte. + +Hier springen mir alles Seins Worte und Wort-Schreine auf: alles Sein +will hier Wort werden, alles Werden will hier von mir reden lernen. + +Da unten aber - da ist alles Reden umsonst! Da ist Vergessen und +Vorübergehn die beste Weisheit: _Das_ - lernte ich nun! + +Wer Alles bei den Menschen begreifen wollte, der müsste Alles +angreifen. Aber dazu habe ich zu reinliche Hände. + +Ich mag schon ihren Athem nicht einathmen; ach, dass ich so lange +unter ihrem Lärm und üblem Athem lebte! + +Oh selige Stille um mich! Oh reine Gerüche um mich! Oh wie aus tiefer +Brust diese Stille reinen Athem holt! Oh wie sie horcht, diese selige +Stille! + +Aber da unten - da redet Alles, da wird Alles überhört. Man mag seine +Weisheit mit Glocken einläuten: die Krämer auf dem Markte werden sie +mit Pfennigen überklingeln! + +Alles bei ihnen redet, Niemand weiss mehr zu verstehn. Alles fällt +in's Wasser, Nichts fällt mehr in tiefe Brunnen. + +Alles bei ihnen redet, Nichts geräth mehr und kommt zu Ende. Alles +gackert, aber wer will noch still auf dem Neste sitzen und Eier +brüten? + +Alles bei ihnen redet, Alles wird zerredet. Und was gestern noch zu +hart war für die Zeit selber und ihren Zahn: heute hängt es zerschabt +und zernagt aus den Mäulern der Heutigen. + +Alles bei ihnen redet, Alles wird verrathen. Und was einst +Geheimniss hiess und Heimlichkeit tiefer Seelen, heute gehört es den +Gassen-Trompetern und andern Schmetterlingen. + +Oh Menschenwesen, du wunderliches! Du Lärm auf dunklen Gassen! Nun +liegst du wieder hinter mir: - meine grösste Gefahr liegt hinter mir! + +Im Schonen und Mitleiden lag immer meine grösste Gefahr; und alles +Menschenwesen will geschont und gelitten sein. + +Mit verhaltenen Wahrheiten, mit Narrenhand und vernarrtem Herzen und +reich an kleinen Lügen des Mitleidens: - also lebte ich immer unter +Menschen. + +Verkleidet sass ich unter ihnen, bereit, _mich_ zu verkennen, dass ich +_sie_ ertrüge, und gern mir zuredend "du Narr, du kennst die Menschen +nicht!" + +Man verlernt die Menschen, wenn man unter Menschen lebt: zu viel +Vordergrund ist an allen Menschen, - was sollen da weitsichtige, +weit-süchtige Augen! + +Und wenn sie mich verkannten: ich Narr schonte sie darob mehr, als +mich: gewohnt zur Härte gegen mich und oft noch an mir selber mich +rächend für diese Schonung. + +Zerstochen von giftigen Fliegen und ausgehöhlt, dem Steine gleich, von +vielen Tropfen Bosheit, so sass ich unter ihnen und redete mir noch +zu: "unschuldig ist alles Kleine an seiner Kleinheit!" + +Sonderlich Die, welche sich "die Guten" heissen, fand ich als die +giftigsten Fliegen: sie stechen in aller Unschuld, sie lügen in aller +Unschuld; wie _vermöchten_ sie, gegen mich - gerecht zu sein! + +Wer unter den Guten lebt, den lehrt Mitleid lügen. Mitleid macht +dumpfe Luft allen freien Seelen. Die Dummheit der Guten nämlich ist +unergründlich. + +Mich selber verbergen und meinen Reichthum - _das_ lernte ich da +unten: denn jeden fand ich noch arm am Geiste. Das war der Lug meines +Mitleidens, dass ich bei jedem wusste, + +- dass ich jedem es ansah und anroch, was ihm Geistes _genug_ und was +ihm schon Geistes _zuviel_ war! + +Ihre steifen Weisen: ich hiess sie weise, nicht steif, - so lernte +ich Worte verschlucken. Ihre Todtengräber: ich hiess sie Forscher und +Prüfer, - so lernte ich Worte vertauschen. + +Die Todtengräber graben sich Krankheiten an. Unter altem Schutte ruhn +schlimme Dünste. Man soll den Morast nicht aufrühren. Man soll auf +Bergen leben. + +Mit seligen Nüstern athme ich wieder Berges-Freiheit! Erlöst ist +endlich meine Nase vom Geruch alles Menschenwesens! + +Von scharfen Lüften gekitzelt, wie von schäumenden Weinen, _niest_ +meine Seele, - niest und jubelt sich zu: Gesundheit! + +Also sprach Zarathustra. + + + +Von den drei Bösen + +1. + +Im Traum, im letzten Morgentraume stand ich heut auf einem Vorgebirge, +- jenseits der Welt, hielt eine Wage und _wog_ die Welt. + +Oh dass zu früh mir die Morgenröthe kam: die glühte mich +wach, die Eifersüchtige! Eifersüchtig ist sie immer auf meine +Morgentraum-Gluthen. + +Messbar für Den, der Zeit hat, wägbar für einen guten Wäger, +erfliegbar für starke Fittige, errathbar für göttliche Nüsseknacker: +also fand mein Traum die Welt: - + +Mein Traum, ein kühner Segler, halb Schiff, halb Windsbraut, gleich +Schmetterlingen schweigsam, ungeduldig gleich Edelfalken: wie hatte er +doch zum Welt-Wägen heute Geduld und Weile! + +Sprach ihm heimlich wohl meine Weisheit zu, meine lachende wache +Tags-Weisheit, welche über alle "unendliche Welten" spottet? Denn sie +spricht: "wo Kraft ist, wird auch die _Zahl_ Meisterin: die hat mehr +Kraft." + +Wie sicher schaute mein Traum auf diese endliche Welt, nicht +neugierig, nicht altgierig, nicht fürchtend, nicht bittend: - + +- als ob ein voller Apfel sich meiner Hand böte, ein reifer Goldapfel, +mit kühl-sanfter sammtener Haut: - so bot sich mir die Welt: - + +- als ob ein Baum mir winke, ein breitästiger, starkwilliger, gekrümmt +zur Lehne und noch zum Fussbrett für den Wegmüden: so stand die Welt +auf meinem Vorgebirge: - + +- als ob zierliche Hände mir einen Schrein entgegentrügen, - einen +Schrein offen für das Entzücken schamhafter verehrender Augen: also +bot sich mir heute die Welt entgegen: - + +- nicht Räthsel genug, um Menschen-Liebe davon zu scheuchen, nicht +Lösung genug, um Menschen-Weisheit einzuschläfern: - ein menschlich +gutes Ding war mir heut die Welt, der man so Böses nachredet! + +Wie danke ich es meinem Morgentraum, dass ich also in der Frühe heut +die Welt wog! Als ein menschlich gutes Ding kam er zu mir, dieser +Traum und Herzenströster! + +Und dass ich's ihm gleich thue am Tage und sein Bestes ihm nach- und +ablerne: will ich jetzt die drei bösesten Dinge auf die Wage thun und +menschlich gut abwägen. - + +Wer da segnen lehrte, der lehrte auch fluchen: welches sind in der +Welt die drei bestverfluchten Dinge? Diese will ich auf die Wage thun. + +Wollust, Herrschsucht, Selbstsucht: diese Drei wurden bisher am besten +verflucht und am schlimmsten beleu- und belügenmundet, - diese Drei +will ich menschlich gut abwägen. + +Wohlauf! Hier ist mein Vorgebirg und da das Meer: _das_ wälzt sich zu +mir heran, zottelig, schmeichlerisch, das getreue alte hundertköpfige +Hunds-Ungethüm, das ich liebe. + +Wohlauf! Hier will ich die Wage halten über gewälztem Meere: und auch +einen Zeugen wähle ich, dass er zusehe, - dich, du Einsiedler-Baum, +dich starkduftigen, breitgewölbten, den ich liebe! - + +Auf welcher Brücke geht zum Dereinst das Jetzt? Nach welchem Zwange +zwingt das Hohe sich zum Niederen? Und was heisst auch das Höchste +noch - hinaufwachsen? - + +Nun steht die Wage gleich und still: drei schwere Fragen warf ich +hinein, drei schwere Antworten trägt die andre Wagschale. + + +2. + +Wollust: allen busshemdigen Leib-Verächtern ihr Stachel und Pfahl, +und als "Welt" verflucht bei allen Hinterweltlern: denn sie höhnt und +narrt alle Wirr- und Irr-Lehrer. + +Wollust: dem Gesindel das langsame Feuer, auf dem es verbrannt wird; +allem wurmichten Holze, allen stinkenden Lumpen der bereite Brunst- +und Brodel-Ofen. + +Wollust: für die freien Herzen unschuldig und frei, das Garten-Glück +der Erde, aller Zukunft Dankes-Überschwang an das Jetzt. + +Wollust: nur dem Welken ein süsslich Gift, für die Löwen-Willigen aber +die grosse Herzstärkung, und der ehrfürchtig geschonte Wein der Weine. + +Wollust: das grosse Gleichniss-Glück für höheres Glück und höchste +Hoffnung. Vielem nämlich ist Ehe verheissen und mehr als Ehe, - + +- Vielem, das fremder sich ist, als Mann und Weib: - und wer begriff +es ganz, _wie_fremd_ sich Mann und Weib sind! + +Wollust: - doch ich will Zäune um meine Gedanken haben und auch noch +um meine Worte: dass mir nicht in meine Gärten die Schweine und +Schwärmer brechen! - + +Herrschsucht: die Glüh-Geissel der härtesten Herzensharten; die grause +Marter, die sich dem Grausamsten selber aufspart; die düstre Flamme +lebendiger Scheiterhaufen. + +Herrschsucht: die boshafte Bremse, die den eitelsten Völkern +aufgesetzt wird; die Verhöhnerin aller ungewissen Tugend; die auf +jedem Rosse und jedem Stolze reitet. + +Herrschsucht: das Erdbeben, das alles Morsche und Höhlichte bricht und +aufbricht; die rollende grollende strafende Zerbrecherin übertünchter +Gräber; das blitzende Fragezeichen neben vorzeitigen Antworten. + +Herrschsucht: vor deren Blick der Mensch kriecht und duckt und fröhnt +und niedriger wird als Schlange und Schwein: - bis endlich die grosse +Verachtung aus ihm aufschreie -, + +Herrschsucht: die furchtbare Lehrerin der grossen Verachtung, welche +Städten und Reichen in's Antlitz predigt "hinweg mit dir!" - bis es +aus ihnen selber aufschreie "hinweg mit _mir_!" + +Herrschsucht: die aber lockend auch zu Reinen und Einsamen und hinauf +zu selbstgenugsamen Höhen steigt, glühend gleich einer Liebe, welche +purpurne Seligkeiten lockend an Erdenhimmel malt. + +Herrschsucht: doch wer hiesse es _Sucht_, wenn das Hohe hinab nach +Macht gelüstet! Wahrlich, nichts Sieches und Süchtiges ist an solchem +Gelüsten und Niedersteigen! + +Dass die einsame Höhe sich nicht ewig vereinsame und selbst +begnüge; dass der Berg zu Thale komme und die Winde der Höhe zu den +Niederungen: - + +Oh wer fände den rechten Tauf- und Tugendnamen für solche Sehnsucht! +"Schenkende Tugend" - so nannte das Unnennbare einst Zarathustra. + +Und damals geschah es auch, - und wahrlich, es geschah zum ersten +Male! - dass sein Wort die _Selbstsucht_ selig pries, die heile, +gesunde Selbstsucht, die aus mächtiger Seele quillt: - + +- aus mächtiger Seele, zu welcher der hohe Leib gehört, der schöne, +sieghafte, erquickliche, um den herum jedwedes Ding Spiegel wird: + +- der geschmeidige überredende Leib, der Tänzer, dessen Gleichniss +und Auszug die selbst-lustige Seele ist. Solcher Leiber und Seelen +Selbst-Lust heisst sich selber: "Tugend." + +Mit ihren Worten von Gut und Schlecht schirmt sich solche Selbst-Lust +wie mit heiligen Hainen; mit den Namen ihres Glücks bannt sie von sich +alles Verächtliche. + +Von sich weg bannt sie alles Feige; sie spricht: Schlecht - das ist +feige! Verächtlich dünkt ihr der immer Sorgende, Seufzende, Klägliche +und wer auch die kleinsten Vortheile aufliest. + +Sie verachtet auch alle wehselige Weisheit: denn, wahrlich, es giebt +auch Weisheit, die im Dunklen blüht, eine Nachtschatten-Weisheit: als +welche immer seufzt: "Alles ist eitel!" + +Das scheue Misstrauen gilt ihr gering, und Jeder, wer Schwüre statt +Blicke und Hände will: auch alle allzu misstrauische Weisheit, - denn +solche ist feiger Seelen Art. + +Geringer noch gilt ihr der Schnell-Gefällige, der Hündische, der +gleich auf dem Rücken liegt, der Demüthige; und auch Weisheit giebt +es, die demüthig und hündisch und fromm und schnellgefällig ist. + +Verhasst ist ihr gar und ein Ekel, wer nie sich wehren will, +wer giftigen Speichel und böse Blicke hinunterschluckt, der +All-zu-Geduldige, Alles-Dulder, Allgenügsame: das nämlich ist die +knechtische Art. + +Ob Einer vor Göttern und göttlichen Fusstritten knechtisch ist, ob vor +Menschen und blöden Menschen-Meinungen: _alle_ Knechts-Art speit sie +an, diese selige Selbstsucht! + +Schlecht: so beisst sie Alles, was geknickt und knickerisch-knechtisch +ist, unfreie Zwinker-Augen, gedruckte Herzen, und jene falsche +nachgebende Art, welche mit breiten feigen Lippen küsst. + +Und After-Weisheit: so heisst sie Alles, was Knechte und Greise +und Müde witzeln; und sonderlich die ganze schlimme aberwitzige, +überwitzige Priester-Narrheit! + +Die After-Weisen aber, alle die Priester, Weltmüden und wessen Seele +von Weibs- und Knechtsart ist, - oh wie hat ihr Spiel von jeher der +Selbstsucht übel mitgespielt! + +Und Das gerade sollte Tugend sein und Tugend heissen, _dass_ man der +Selbstsucht übel mitspiele! Und "selbstlos" - so wünschten sich selber +mit gutem Grunde alle diese weltmüden Feiglinge und Kreuzspinnen! + +Aber denen Allen kommt nun der Tag, die Wandlung, das Richtschwert, +_der_grosse_Mittag_: da soll Vieles offenbar werden! + +Und wer das Ich heil und heilig spricht und die Selbstsucht selig, +wahrlich, der spricht auch, was er weiss, ein Weissager: "Siehe, er +kommt, er ist nahe, der grosse Mittag!" + +Also sprach Zarathustra. + + + +Vom Geist der Schwere + +1. + +Mein Mundwerk - ist des Volks: zu grob und herzlich rede ich für die +Seidenhasen. Und noch fremder klingt mein Wort allen Tinten-Fischen +und Feder-Füchsen. + +Meine Hand - ist eine Narrenhand: wehe allen Tischen und Wänden, und +was noch Platz hat für Narren-Zierath, Narren-Schmierath! + +Mein Fuss - ist ein Pferdefuss; damit trapple und trabe ich über Stock +und Stein, kreuz- und querfeld-ein und bin des Teufels vor Lust bei +allem schnellen Laufen. + +Mein Magen - ist wohl eines Adlers Magen? Denn er liebt am liebsten +Lammfleisch. Gewisslich aber ist er eines Vogels Magen. + +Von unschuldigen Dingen genährt und von Wenigem, bereit und ungeduldig +zu fliegen, davonzufliegen - das ist nun meine Art: wie sollte nicht +Etwas daran von Vogel-Art sein! + +Und zumal, dass ich dem Geist der Schwere feind bin, das ist +Vogel-Art: und wahrlich, todfeind, erzfeind, urfeind! Oh wohin flog +und verflog sich nicht schon meine Feindschaft! + +Davon könnte ich schon ein Lied singen - - und _will_ es singen: ob +ich gleich allein in leerem Hause bin und es meinen eignen Ohren +singen muss. + +Andre Sänger giebt es freilich, denen macht das volle Haus erst ihre +Kehle weide, ihre Hand gesprächig, ihr Auge ausdrücklich, ihr Herz +wach: - Denen gleiche ich nicht. - + + +2. + +Wer die Menschen einst fliegen lehrt, der hat alle Grenzsteine +verrückt; alle Grenzsteine selber werden ihm in die Luft fliegen, die +Erde wird er neu taufen - als "die Leichte." + +Der Vogel Strauss läuft schneller als das schnellste Pferd, aber auch +er steckt noch den Kopf schwer in schwere Erde: also der Mensch, der +noch nicht fliegen kann. + +Schwer heisst ihm Erde und Leben; und so _will_ es der Geist der +Schwere! Wer aber leicht werden will und ein Vogel, der muss sich +selber lieben: - also lehre _ich_. + +Nicht freilich mit der Liebe der Siechen und Süchtigen: denn bei denen +stinkt auch die Eigenliebe! + +Man muss sich selber lieben lernen - also lehre ich - mit einer heilen +und gesunden Liebe: dass man es bei sich selber aushalte und nicht +umherschweife. + +Solches Umherschweifen tauft sich "Nächstenliebe": mit diesem Worte +ist bisher am besten gelogen und geheuchelt worden, und sonderlich von +Solchen, die aller Welt schwer fielen. + +Und wahrlich, das ist kein Gebot für Heute und Morgen, sich lieben +_lernen_. Vielmehr ist von allen Künsten diese die feinste, listigste, +letzte und geduldsamste. + +Für seinen Eigener ist nämlich alles Eigene gut versteckt; und von +allen Schatzgruben wird die eigne am spätesten ausgegraben, - also +schafft es der Geist der Schwere. + +Fast in der Wiege giebt man uns schon schwere Worte und Werthe mit: +"gut" und "böse" - so heisst sich diese Mitgift. Um derentwillen +vergiebt man uns, dass wir leben. + +Und dazu lässt man die Kindlein zu sich kommen, dass man ihnen bei +Zeiten wehre, sich selber zu lieben: also schafft es der Geist der +Schwere. + +Und wir - wir schleppen treulich, was man uns mitgiebt, auf harten +Schultern und über rauhe Berge! Und schwitzen wir, so sagt man uns: +"Ja, das Leben ist schwer zu tragen!" + +Aber der Mensch nur ist sich schwer zu tragen! Das macht, er schleppt +zu vieles Fremde auf seinen Schultern. Dem Kameele gleich kniet er +nieder und lässt sich gut aufladen. + +Sonderlich der starke, tragsame Mensch, dem Ehrfurcht innewohnt: zu +viele _fremde_ schwere Worte und Werthe lädt er auf sich, - nun dünkt +das Leben ihm eine Wüste! + +Und wahrlich! Auch manches _Eigene_ ist schwer zu tragen! Und viel +Inwendiges am Menschen ist der Auster gleich, nämlich ekel und +schlüpfrig und schwer erfasslich -, + +- also dass eine edle Schale mit edler Zierath fürbitten muss. Aber +auch diese Kunst muss man lernen: Schale _haben_ und schönen Schein +und kluge Blindheit! + +Abermals trügt über Manches am Menschen, dass manche Schale gering und +traurig und zu sehr Schale ist. Viel verborgene Güte und Kraft wird +nie errathen; die köstlichsten Leckerbissen finden keine Schmecker! + +Die Frauen wissen das, die köstlichsten: ein Wenig fetter, ein Wenig +magerer - oh wie viel Schicksal liegt in so Wenigem! + +Der Mensch ist schwer zu entdecken und sich selber noch am schwersten; +oft lügt der Geist über die Seele. Also schafft es der Geist der +Schwere. + +Der aber hat sich selber entdeckt, welcher spricht: Das ist _mein_ +Gutes und Böses: damit hat er den Maulwurf und Zwerg stumm gemacht, +welcher spricht "Allen gut, Allen bös." + +Wahrlich, ich mag auch Solche nicht, denen jegliches Ding gut und +diese Welt gar die beste heisst. Solche nenne ich die Allgenügsamen. + +Allgenügsamkeit, die Alles zu schmecken weiss: das ist nicht der beste +Geschmack! Ich ehre die widerspänstigen wählerischen Zungen und Mägen, +welche "Ich" und "Ja" und "Nein" sagen lernten. + +Alles aber kauen und verdauen - das ist eine rechte Schweine-Art! +Immer I-a sagen - das lernte allein der Esel, und wer seines Geistes +ist! - + +Das tiefe Gelb und das heisse Roth: so will es _mein_ Geschmack, - +der mischt Blut zu allen Farben. Wer aber sein Haus weiss tüncht, der +verräth mir eine weissgetünchte Seele. + +In Mumien verliebt die Einen, die Andern in Gespenster; und Beide +gleich feind allem Fleisch und Blute - oh wie gehen Beide mir wider +den Geschmack! Denn ich liebe Blut. + +Und dort will ich nicht wohnen und weilen, wo Jedermann spuckt und +speit: das ist nun _mein_ Geschmack, - lieber noch lebte ich unter +Dieben und Meineidigen. Niemand trägt Gold im Munde. + +Widriger aber sind mir noch alle Speichellecker; und das widrigste +Thier von Mensch, das ich fand, das taufte ich Schmarotzer: das wollte +nicht lieben und doch von Liebe leben. + +Unselig heisse ich Alle, die nur Eine Wahl haben: böse Thiere zu +werden oder böse Thierbändiger: bei Solchen würde ich mir keine Hütten +bauen. + +Unselig heisse ich auch Die, welche immer _warten_ müssen, - die gehen +mir wider den Geschmack: alle die Zöllner und Krämer und Könige und +andren Länder- und Ladenhüter. + +Wahrlich, ich lernte das Warten auch und von Grund aus, + +- aber nur das Warten auf _mich_. Und über Allem lernte ich stehn und +gehn und laufen und springen und klettern und tanzen. + +Das ist aber meine Lehre: wer einst fliegen lernen will, der muss +erst stehn und gehn und laufen und klettern und tanzen lernen: - man +erfliegt das Fliegen nicht! + +Mit Strickleitern lernte ich manches Fenster erklettern, mit hurtigen +Beinen klomm ich auf hohe Masten: auf hohen Masten der Erkenntniss +sitzen dünkte mich keine geringe Seligkeit, - + +- gleich kleinen Flammen flackern auf hohen Masten: ein kleines Licht +zwar, aber doch ein grosser Trost für verschlagene Schiffer und +Schiffbrüchige! - + +Auf vielerlei Weg und Weise kam ich zu meiner Wahrheit; nicht auf +Einer Leiter stieg ich zur Höhe, wo mein Auge in meine Ferne schweift. + +Und ungern nur fragte ich stets nach Wegen, - das gieng mir immer +wider den Geschmack! Lieber fragte und versuchte ich die Wege selber. + +Ein Versuchen und Fragen war all mein Gehen: - und wahrlich, auch +antworten muss man _lernen_ auf solches Fragen! Das aber - ist mein +Geschmack: + +- kein guter, kein schlechter, aber _mein_ Geschmack, dessen ich weder +Scham noch Hehl mehr habe. + +"Das - ist nun _mein_ Weg, - wo ist der eure?" so antwortete ich +Denen, welche mich "nach dem Wege" fragten. _Den_ Weg nämlich - den +giebt es nicht! + +Also sprach Zarathustra. + + + +Von alten und neuen Tafeln + +1. + +Hier sitze ich und warte, alte zerbrochene Tafeln um mich und auch +neue halb beschriebene Tafeln. Wann kommt meine Stunde? + +- die Stunde meines Niederganges, Unterganges: denn noch Ein Mal will +ich zu den Menschen gehn. + +Dess warte ich nun: denn erst müssen mir die Zeichen kommen, +dass es _meine_ Stunde sei, - nämlich der lachende Löwe mit dem +Taubenschwarme. + +Inzwischen rede ich als Einer, der Zeit hat, zu mir selber. Niemand +erzählt mir Neues: so erzähle ich mir mich selber. - + + +2. + +Als ich zu den Menschen kam, da fand ich sie sitzen auf einem alten +Dünkel: Alle dünkten sich lange schon zu wissen, was dem Menschen gut +und böse sei. + +Eine alte müde Sache dünkte ihnen alles Reden von Tugend; und wer +gut schlafen wollte, der sprach vor Schlafengehen noch von "Gut" und +"Böse". + +Diese Schläferei störte ich auf, als ich lehrte: was gut und böse ist, +_das_weiss_noch_Niemand_: - es sei denn der Schaffende! + +- Das aber ist Der, welcher des Menschen Ziel schafft und der Erde +ihren Sinn giebt und ihre Zukunft: Dieser erst _schafft_ es, _dass_ +Etwas gut und böse ist. + +Und ich hiess sie ihre alten Lehr-Stühle umwerfen, und wo nur jener +alte Dünkel gesessen hatte; ich hiess sie lachen über ihre grossen +Tugend-Meister und Heiligen und Dichter und Welt-Erlöser. + +Über ihre düsteren Weisen hiess ich sie lachen, und wer je als +schwarze Vogelscheuche warnend auf dem Baume des Lebens gesessen +hatte. + +An ihre grosse Gräberstrasse setzte ich mich und selber zu Aas und +Geiern - und ich lachte über all ihr Einst und seine mürbe verfallende +Herrlichkeit. + +Wahrlich, gleich Busspredigern und Narrn schrie ich Zorn und Zeter +über all ihr Grosses und Kleines -, dass ihr Bestes so gar klein ist! +Dass ihr Bösestes so gar klein ist! - also lachte ich. + +Meine weise Sehnsucht schrie und lachte also aus mir, die auf +Bergen geboren ist, eine wilde Weisheit wahrlich! - meine grosse +flügelbrausende Sehnsucht. + +Und oft riss sie mich fort und hinauf und hinweg und mitten im +Lachen: da flog ich wohl schaudernd, ein Pfeil, durch sonnentrunkenes +Entzücken: + +- hinaus in ferne Zukünfte, die kein Traum noch sah, in heissere +Süden, als je sich Bildner träumten: dorthin, wo Götter tanzend sich +aller Kleider schämen: - + +- dass ich nämlich in Gleichnissen rede und gleich Dichtern hinke und +stammle: und wahrlich, ich schäme mich, dass ich noch Dichter sein +muss! - + +Wo alles Werden mich Götter-Tanz und Götter-Muthwillen dünkte, und die +Welt los- und ausgelassen und zu sich selber zurückfliehend: - + +- als ein ewiges Sich-fliehn und -Wiedersuchen vieler Götter, als das +selige Sich-Widersprechen, Sich-Wieder-hören, Sich-Wieder-Zugehören +vieler Götter: - + +Wo alle Zeit mich ein seliger Hohn auf Augenblicke dünkte, wo die +Nothwendigkeit die Freiheit selber war, die selig mit dem Stachel der +Freiheit spielte: - + +Wo ich auch meinen alten Teufel und Erzfeind wiederfand, den Geist der +Schwere und Alles, was er schuf: Zwang, Satzung, Noth und Folge und +Zweck und Wille und Gut und Böse: - + +Denn muss nicht dasein, _über_ das getanzt, hinweggetanzt werde? +Müssen nicht um der Leichten, Leichtesten willen - Maulwürfe und +schwere Zwerge dasein? - - + + +3. + +Dort war's auch, wo ich das Wort "Übermensch" vom Wege auflas, und +dass der Mensch Etwas sei, das überwunden werden müsse, + +- dass der Mensch eine Brücke sei und kein Zweck: sich selig preisend +ob seines Mittags und Abends, als Weg zu neuen Morgenröthen: + +- das Zarathustra-Wort vom grossen Mittage, und was sonst ich über den +Menschen aufhängte, gleich purpurnen zweiten Abendröthen. + +Wahrlich, auch neue Sterne liess ich sie sehn sammt neuen Nächten; und +über Wolken und Tag und Nacht spannte ich noch das Lachen aus wie ein +buntes Gezelt. + +Ich lehrte sie all _mein_ Dichten und Trachten: in Eins zu dichten und +zusammen zu tragen, was Bruchstück ist am Menschen und Räthsel und +grauser Zufall, - + +- als Dichter, Räthselrather und Erlöser des Zufalls lehrte ich sie an +der Zukunft schaffen, und Alles, das _war_ -, schaffend zu erlösen. + +Das Vergangne am Menschen zu erlösen und alles "Es war" umzuschauen, +bis der Wille spricht: "Aber so wollte ich es! So werde ich's wollen +-" + +- Diess hiess ich ihnen Erlösung, Diess allein lehrte ich sie Erlösung +heissen. - - + +Nun warte ich _meiner_ Erlösung -, dass ich zum letzten Male zu ihnen +gehe. + +Denn noch Ein Mal will ich zu den Menschen: _unter_ ihnen will ich +untergehen, sterbend will ich ihnen meine reichste Gabe geben! + +Der Sonne lernte ich Das ab, wenn sie hinabgeht, die Überreiche: Gold +schüttet sie da in's Meer aus unerschöpflichem Reichthume, - + +- also, dass der ärmste Fischer noch mit _goldenem_ Ruder rudert! +Diess nämlich sah ich einst und wurde der Thränen nicht satt im +Zuschauen. - - + +Der Sonne gleich will auch Zarathustra untergehn: nun sitzt er hier +und wartet, alte zerbrochne Tafeln um sich und auch neue Tafeln, - +halbbeschriebene. + + +4. + +Siehe, hier ist eine neue Tafel: aber wo sind meine Brüder, die sie +mit mir zu Thale und in fleischerne Herzen tragen? - + +Also heischt es meine grosse Liebe zu den Fernsten: schone deinen +Nächsten nicht! Der Mensch ist Etwas, das überwunden werden muss. + +Es giebt vielerlei Weg und Weise der Überwindung.- da siehe _du_ zu! +Aber nur ein Possenreisser denkt: "der Mensch kann auch _übersprungen_ +werden." + +Überwinde dich selber noch in deinem Nächsten: und ein Recht, das du +dir rauben kannst, sollst du dir nicht geben lassen! + +Was du thust, das kann dir Keiner wieder thun. Siehe, es giebt keine +Vergeltung. + +Wer sich nicht befehlen kann, der soll gehorchen. Und Mancher _kann_ +sich befehlen, aber da fehlt noch Viel, dass er sich auch gehorche! + + +5. + +Also will es die Art edler Seelen: sie wollen Nichts _umsonst_ haben, +am wenigsten das Leben. + +Wer vom Pöbel ist, der will umsonst leben; wir Anderen aber, denen +das Leben sich gab, - wir sinnen immer darüber, _was_ wir am besten +_dagegen_ geben! + +Und wahrlich, diess ist eine vornehme Rede, welche spricht: "was _uns_ +das Leben verspricht, das wollen _wir_ - dem Leben halten!" + +Man soll nicht geniessen wollen, wo man nicht zu geniessen giebt. Und +- man soll nicht geniessen _wollen_! + +Genuss und Unschuld nämlich sind die schamhaftesten Dinge: Beide +wollen nicht gesucht sein. Man soll sie _haben_ -, aber man soll eher +noch nach Schuld und Schmerzen _suchen_! - + + +6. + +Oh meine Brüder, wer ein Erstling ist, der wird immer geopfert. Nun +aber sind wir Erstlinge. + +Wir bluten Alle an geheimen Opfertischen, wir brennen und braten Alle +zu Ehren alter Götzenbilder. + +Unser Bestes ist noch jung: das reizt alte Gaumen. Unser Fleisch ist +zart, unser Fell ist nur ein Lamm-Fell: - wie sollten wir nicht alte +Götzenpriester reizen! + +_In_uns_selber_ wohnt er noch, der alte Götzenpriester, der unser +Bestes sich zum Schmause brät. Ach, meine Brüder, wie sollten +Erstlinge nicht Opfer sein! + +Aber so will es unsre Art; und ich liebe Die, welche sich nicht +bewahren wollen. Die Untergehenden liebe ich mit meiner ganzen Liebe: +denn sie gehn hinüber. - + + +7. + +Wahr sein - das _können_ Wenige! Und wer es kann, der will es noch +nicht! Am wenigsten aber können es die Guten. + +Oh diese Guten! - Gute Menschen reden nie die Wahrheit; für den Geist +ist solchermaassen gut sein eine Krankheit. + +Sie geben nach, diese Guten, sie ergeben sich, ihr Herz spricht nach, +ihr Grund gehorcht; wer aber gehorcht, der hört sich selber nicht! + +Alles, was den Guten böse heisst, muss zusammen kommen, dass Eine +Wahrheit geboren werde: oh meine Brüder, seid ihr auch böse genug zu +_dieser_ Wahrheit? + +Das verwegene Wagen, das lange Misstrauen, das grausame Nein, der +Überdruss, das Schneiden in's Lebendige - wie selten kommt _das_ +zusammen! Aus solchem Samen aber wird Wahrheit gezeugt! + +_Neben_ dem bösen Gewissen wuchs bisher alles _Wissen_! Zerbrecht, +zerbrecht mir, ihr Erkennenden, die alten Tafeln! + + +8. + +Wenn das Wasser Balken hat, wenn Stege und Geländer über den Fluss +springen: wahrlich, da findet Keiner Glauben, der da spricht: "Alles +ist im Fluss." + +Sondern selber die Tölpel widersprechen ihm. "Wie? sagen die Tölpel, +Alles wäre im Flusse? Balken und Geländer sind doch _über_ dem +Flusse!" + +"_Über_ dem Flusse ist Alles fest, alle die Werthe der Dinge, die +Brücken, Begriffe, alles `Gut` und `Böse`: das ist Alles fest!" - + +Kommt gar der harte Winter, der Fluss-Thierbändiger: dann lernen +auch die Witzigsten Misstrauen; und, wahrlich, nicht nur die Tölpel +sprechen dann: "Sollte nicht Alles - _stille_stehn_?" + +"Im Grunde steht Alles stille" -, das ist eine rechte Winter-Lehre, +ein gut Ding für unfruchtbare Zeit, ein guter Trost für Winterschläfer +und Ofenhocker. + +"Im Grund steht Alles still" -: _dagegen_ aber predigt der Thauwind! + +Der Thauwind, ein Stier, der kein pflügender Stier ist, - ein +wüthender Stier, ein Zerstörer, der mit zornigen Hörnern Eis bricht! +Eis aber - - _bricht_Stege_! + +Oh meine Brüder, ist _jetzt_ nicht Alles _im_Flusse_? Sind nicht alle +Geländer und Stege in's Wasser gefallen? Wer _hielte_ sich noch an +"Gut" und "Böse"? + +"Wehe uns! Heil uns! Der Thauwind weht!" - Also predigt mir, oh meine +Brüder, durch alle Gassen! + + +9. + +Es giebt einen alten Wahn, der heisst Gut und Böse. Um Wahrsager und +Sterndeuter drehte sich bisher das Rad dieses Wahns. + +Einst glaubte man an Wahrsager und Sterndeuter: und darum glaubte man +"Alles ist Schicksal: du sollst, denn du musst!" + +Dann wieder misstraute man allen Wahrsagern und Sterndeutern: und +_darum_ glaubte man "Alles ist Freiheit: du kannst, denn du willst!" + +Oh meine Brüder, über Sterne und Zukunft ist bisher nur gewähnt, nicht +gewusst worden: und _darum_ ist über Gut und Böse bisher nur gewähnt, +nicht gewusst worden! + + +10. + +"Du sollst nicht rauben! Du sollst nicht todtschlagen!" - solche Worte +hiess man einst heilig; vor ihnen beugte man Knie und Köpfe und zog +die Schuhe aus. + +Aber ich frage euch: wo gab es je bessere Räuber und Todtschläger in +der Welt, als es solche heilige Worte waren? + +Ist in allem Leben selber nicht - Rauben und Todtschlagen? Und dass +solche Worte heilig hiessen, wurde damit die _Wahrheit_ selber nicht - +todtgeschlagen? + +Oder war es eine Predigt des Todes, dass heilig hiess, was allem Leben +widersprach und widerrieth? - Oh meine Brüder, zerbrecht, zerbrecht +mir die alten tafeln! + + +11. + +Diess ist mein Mitleid mit allem Vergangenen, dass ich sehe: es ist +preisgegeben, - + +- der Gnade, dem Geiste, dem Wahnsinne jedes Geschlechtes +preisgegeben, das kommt und Alles, was war, zu seiner Brücke umdeutet! + +Ein grosser Gewalt-Herr könnte kommen, ein gewitzter Unhold, der mit +seiner Gnade und Ungnade alles Vergangene zwänge und zwängte: bis es +ihm Brücke würde und Vorzeichen und Herold und Hahnenschrei. + +Diess aber ist die andre Gefahr und mein andres Mitleiden: - wer vom +Pöbel ist, dessen Gedenken geht zurück bis zum Grossvater, - mit dem +Grossvater aber hört die Zeit auf. + +Also ist alles Vergangene preisgegeben: denn es könnte einmal kommen, +dass der Pöbel Herr würde und in seichten Gewässern alle Zeit +ertränke. + +Darum, oh meine Brüder, bedarf es eines _neuen_Adels_, der allem Pöbel +und allem Gewalt-Herrischen Widersacher ist und auf neue Tafeln neu +das Wort schreibt "edel". + +Vieler Edlen nämlich bedarf es und vielerlei Edlen, dass es Adel gebe! +Oder, wie ich einst im Gleichniss sprach: "Das eben ist Göttlichkeit, +dass es Götter, aber keinen Gott giebt!" + + +12. + +Oh meine Brüder, ich weihe und weise euch zu einem neuen Adel: ihr +sollt mir Zeuger und Züchter werden und Säemänner der Zukunft, - + +- wahrlich, nicht zu einem Adel, den ihr kaufen könntet gleich den +Krämern und mit Krämer-Golde: denn wenig Werth hat Alles, was seinen +Preis hat. + +Nicht, woher ihr kommt, mache euch fürderhin eure Ehre, sondern wohin +ihr geht! Euer Wille und euer Fuss, der über euch selber hinaus will, +- das mache eure neue Ehre! + +Wahrlich nicht, dass ihr einem Fürsten gedient habt - was liegt noch +an Fürsten! - oder dem, was steht, zum Bollwerk wurdet, dass es fester +stünde! + +Nicht, dass euer Geschlecht an Höfen höfisch wurde, und ihr lerntet, +bunt, einem Flamingo ähnlich, lange Stunden in flachen Teichen stehn. + +- Denn Stehen-_können_ ist ein Verdienst bei Höflingen; und +alle Höflinge glauben, zur Seligkeit nach dem Tode gehöre - +Sitzen-_dürfen_! - + +Nicht auch, dass ein Geist, den sie heilig nennen, eure Vorfahren in +gelobte Länder führte, die _ich_ nicht lobe: denn wo der schlimmste +aller Bäume wuchs, das Kreuz, - an dem Lande ist Nichts zu loben! - + +- und wahrlich, wohin dieser "heilige Geist" auch seine Ritter führte, +immer liefen bei solchen Zügen - Ziegen und Gänse und Kreuz- und +Querköpfe _voran_! - + +Oh meine Brüder, nicht zurück soll euer Adel schauen, sondern +_hinaus_! Vertriebene sollt ihr sein aus allen Vater- und +Urväterländern! + +Eurer Kinder Land sollt ihr lieben: diese Liebe sei euer neuer Adel, +- das unentdeckte, im feinsten Meere! Nach ihm heisse ich eure Segel +suchen und suchen! + +An euren Kindern sollt ihr _gutmachen_, dass ihr eurer Väter Kinder +seid: alles Vergangene sollt ihr _so_ erlösen! Diese neue Tafel stelle +ich über euch! + + +13. + +"Wozu leben? Alles ist eitel! Leben - das ist Stroh dreschen; Leben - +das ist sich verbrennen und doch nicht warm werden." - + +Solch alterthümliches Geschwätz gilt immer noch als "Weisheit"; dass +es aber alt ist und dumpfig riecht, _darum_ wird es besser geehrt. +Auch der Moder adelt. - + +Kinder durften so reden: die _scheuen_ das Feuer, weil es sie brannte! +Es ist viel Kinderei in den alten Büchern der Weisheit. + +Und wer immer "Stroh drischt", wie sollte der auf das Dreschen lästern +dürfen! Solchem Narren müsste man doch das Maul verbinden! + +Solche setzen sich zu Tisch und bringen Nichts mit, selbst den guten +Hunger nicht: - und nun lästern sie "Alles ist eitel!" + +Aber gut essen und trinken, oh meine Brüder, ist wahrlich keine eitle +Kunst! Zerbrecht, zerbrecht mir die Tafeln der Nimmer-Frohen! + + +14. + +"Dem Reinen ist Alles rein" - so spricht das Volk. Ich aber sage euch: +den Schweinen wird Alles Schwein! + +Darum predigen die Schwärmer und Kopfhänger, denen auch das Herz +niederhängt: "die Welt selber ist ein kothiges Ungeheuer." + +Denn diese Alle sind unsäuberlichen Geistes; sonderlich aber Jene, +welche nicht Ruhe, noch Rast haben, es sei denn, sie sehen die Welt +_von_hinten_, - die Hinterweltler! + +_Denen_ sage ich in's Gesicht, ob es gleich nicht lieblich klingt: +die Welt gleicht darin dem Menschen, dass sie einen Hintern hat, - +_so_Viel_ ist wahr! + +Es giebt in der Welt viel Koth: _so_Viel_ ist wahr! Aber darum ist die +Welt selber noch kein kothiges Ungeheuer! + +Es ist Weisheit darin, dass Vieles in der Welt übel riecht: der Ekel +selber schafft Flügel und quellenahnende Kräfte! + +An dem Besten ist noch Etwas zum Ekeln; und der Beste ist noch Etwas, +das überwunden werden muss! - + +Oh meine Brüder, es ist viel Weisheit darin, dass viel Koth in der +Welt ist! - + + +15. + +Solche Sprüche hörte ich fromme Hinterweltler zu ihrem Gewissen reden; +und wahrlich, ohne Arg und Falsch, - ob es Schon nichts Falscheres in +der Welt giebt, noch Ärgeres. + +"Lass doch die Welt der Welt sein! Hebe dawider auch nicht Einen +Finger auf!" + +"Lass, wer da wolle, die Leute würgen und stechen und schneiden und +schaben: hebe dawider auch nicht Einen Finger auf! Darob lernen sie +noch der Welt absagen." + +"Und deine eigne Vernunft - die sollst du selber görgeln und würgen; +denn es ist eine Vernunft von dieser Welt, - darob lernst du selber +der Welt absagen." - + +- Zerbrecht, zerbrecht mir, oh meine Brüder, diese alten Tafeln der +Frommen! Zersprecht mir die Sprüche der Welt-Verleumder! + + +16. + +"Wer viel lernt, der verlernt alles heftige Begehren" - das flüstert +man heute sich zu auf allen dunklen Gassen. + +"Weisheit macht müde, es lohnt sich - Nichts; du sollst nicht +begehren!" - diese neue Tafel fand ich hängen selbst auf offnen +Märkten. + +Zerbrecht mir, oh meine Brüder, zerbrecht mir auch diese _neue_ +Tafel! Die Welt-Müden hängten sie hin und die Prediger des Todes, +und auch die Stockmeister: denn seht, es ist auch eine Predigt zur +Knechtschaft! - + +Dass sie schlecht lernten und das Beste nicht, und Alles zu früh und +Alles zu geschwind: dass sie schlecht _assen_, daher kam ihnen jener +verdorbene Magen, - + +- ein verdorbener Magen ist nämlich ihr Geist: _der_ räth zum Tode! +Denn wahrlich, meine Brüder, der Geist _ist_ ein Magen! + +Das Leben ist ein Born der Lust: aber aus wem der verdorbene Magen +redet, der Vater der Trübsal, dem sind alle Quellen vergiftet. + +Erkennen: das ist _Lust_ dem Löwen-willigen! Aber wer müde wurde, der +wird selber nur "gewollt", mit dem spielen alle Wellen. + +Und so ist es immer schwacher Menschen Art: sie verlieren sich auf +ihren Wegen. Und zuletzt fragt noch ihre Müdigkeit: "wozu giengen wir +jemals Wege! Es ist Alles gleich!" + +_Denen_ klingt es lieblich zu Ohren, dass gepredigt wird: "Es verlohnt +sich Nichts! Ihr sollt nicht wollen!" Diess aber ist eine Predigt zur +Knechtschaft. + +Oh meine Brüder, ein frischer Brause-Wind kommt Zarathustra allen +Weg-Müden; viele Nasen wird er noch niesen machen! + +Auch durch Mauern bläst mein freier Athem, und hinein in Gefängnisse +und eingefangne Geister! + +Wollen befreit: denn Wollen ist Schaffen: so lehre ich. Und _nur_ zum +Schaffen sollt ihr lernen! + +Und auch das Lernen sollt ihr erst von mir _lernen_, das Gut-Lernen! - +Wer Ohren hat, der höre! + + +17. + +Da steht der Nachen, - dort hinüber geht es vielleicht in's grosse +Nichts. - Aber wer will in diess "Vielleicht" einsteigen? + +Niemand von euch will in den Todes-Nachen einsteigen! Wieso wollt ihr +dann _Welt-Müde_ sein! + +Weltmüde! Und noch nicht einmal Erd-Entrückte wurdet ihr! Lüstern +fand ich euch immer noch nach Erde, verliebt noch in die eigne +Erd-Müdigkeit! + +Nicht umsonst hängt euch die Lippe herab: - ein kleiner Erden-Wunsch +sitzt noch darauf! Und im Auge - schwimmt da nicht ein Wölkchen +unvergessner Erden-Lust? + +Es giebt auf Erden viel gute Erfindungen, die einen nützlich, die +andern angenehm: derentwegen ist die Erde zu lieben. + +Und mancherlei so gut Erfundenes giebt es da, dass es ist wie des +Weibes Busen: nützlich zugleich und angenehm. + +Ihr Welt-Müden aber! Ihr Erden-Faulen! Euch soll man mit Ruthen +streichen! Mit Ruthenstreichen soll man euch wieder muntre Beine +machen. + +Denn: seid ihr nicht Kranke und verlebte Wichte, deren die Erde müde +ist, so seid ihr schlaue Faulthiere oder naschhafte verkrochene +Lust-Katzen. Und wollt ihr nicht wieder lustig _laufen_, so sollt ihr +- dahinfahren! + +An Unheilbaren soll man nicht Arzt sein wollen: also lehrt es +Zarathustra: - so sollt ihr dahinfahren! + +Aber es gehört mehr _Muth_ dazu, ein Ende zu machen, als einen neuen +Vers: das wissen alle Ärzte und Dichter. - + + +18. + +Oh meine Brüder, es giebt Tafeln, welche die Ermüdung, und Tafeln, +welche die Faulheit schuf, die faulige: ob sie schon gleich reden, so +wollen sie doch ungleich gehört sein. - + +Seht hier diesen Verschmachtenden! Nur eine Spanne weit ist er noch +von seinem Ziele, aber vor Müdigkeit hat er sich trotzig hier in den +Staub gelegt: dieser Tapfere! + +Vor Müdigkeit gähnt er Weg und Erde und Ziel und sich selber an: +keinen Schritt will er noch weiter thun, - dieser Tapfere! + +Nun glüht die Sonne auf ihn, und die Hunde lecken nach seinem +Schweisse: aber er liegt da in seinem Trotze und will lieber +verschmachten: - + +- eine Spanne weit von seinem Ziele verschmachten! Wahrlich, ihr +werdet ihn noch an den Haaren in seinen Himmel ziehen müssen, - diesen +Helden! + +Besser noch, ihr lasst ihn liegen, wohin er sich gelegt hat, dass der +Schlaf ihm komme, der Tröster, mit kühlendem Rausche-Regen: + +Lasst ihn liegen, bis er von selber wach wird, bis er von selber alle +Müdigkeit widerruft und was Müdigkeit aus ihm lehrte! + +Nur, meine Brüder, dass ihr die Hunde von ihm scheucht, die faulen +Schleicher, und all das schwärmende Geschmeiss: - + +- all das schwärmende Geschmeiss der "Gebildeten", das sich am +Schweisse jedes Helden - gütlich thut! - + + +19. + +Ich schliesse Kreise um mich und heilige Grenzen; immer Wenigere +steigen mit mir auf immer höhere Berge, - ich baue ein Gebirge aus +immer heiligeren Bergen. - + +Wohin ihr aber auch mit mir steigen mögt, oh meine Brüder: seht zu, +dass nicht ein _Schmarotzer_ mit euch steige! + +Schmarotzer: das ist ein Gewürm, ein kriechendes, geschmiegtes, das +fett werden will an euren kranken wunden Winkeln. + +Und _das_ ist seine Kunst, dass er steigende Seelen erräth, wo sie +müde sind: in euren Gram und Unmuth, in eure zarte Scham baut er sein +ekles Nest. + +Wo der Starke schwach, der Edle allzumild ist, - dahinein baut er sein +ekles Nest: der Schmarotzer wohnt, wo der Grosse kleine wunde Winkel +hat. + +Was ist die höchste Art alles Seienden und was die geringste? Der +Schmarotzer ist die geringste Art; wer aber höchster Art ist, der +ernährt die meisten Schmarotzer. + +Die Seele nämlich, welche die längste Leiter hat und am tiefsten +hinunter kann: wie sollten nicht an der die meisten Schmarotzer +sitzen? - + +- die umfänglichste Seele, welche am weitesten in sich laufen und +irren und schweifen kann; die nothwendigste, welche sich aus Lust in +den Zufall stürzt: - + +- die seiende Seele, welche in's Werden taucht; die habende, welche +in's Wollen und Verlangen _will_: - + +- die sich selber fliehende, die sich selber im weitesten Kreise +einholt; die weiseste Seele, welcher die Narrheit am süssesten +zuredet: - + +- die sich selber liebendste, in der alle Dinge ihr Strömen +und Wiederströmen und Ebbe und Fluth haben: - oh wie sollte +_die_höchste_Seele_ nicht die schlimmsten Schmarotzer haben? + + +20. + +Oh meine Brüder, bin ich denn grausam? Aber ich sage: was fällt, das +soll man auch noch stossen! + +Das Alles von Heute - das fällt, das verfällt: wer wollte es halten! +Aber ich - ich _will_ es noch stossen! + +Kennt ihr die Wollust, die Steine in steile Tiefen rollt? - Diese +Menschen von heute: seht sie doch, wie sie in meine Tiefen rollen! + +Ein Vorspiel bin ich besserer Spieler, oh meine Brüder! Ein Beispiel! +_Thut_ nach meinem Beispiele! + +Und wen ihr nicht fliegen lehrt, den lehrt mir - schneller fallen! - + + +21. + +Ich liebe die Tapferen: aber es ist nicht genug, Hau-Degen sein, - man +muss auch wissen Hau-schau-_Wen_! + +Und oft ist mehr Tapferkeit darin, dass Einer an sich hält und +vorübergeht: _damit_ er sich dem würdigeren Feinde aufspare! + +Ich sollt nur Feinde haben, die zu hassen sind, aber nicht Feinde zum +Verachten: ihr müsst stolz auf euren Feind sein: also lehrte ich schon +Ein Mal. + +Dem würdigeren Feinde, oh meine Freunde, sollt ihr euch aufsparen: +darum müsst ihr an Vielem vorübergehn, - + +- sonderlich an vielem Gesindel, das euch in die Ohren lärmt von Volk +und Völkern. + +Haltet euer Auge rein von ihrem Für und Wider! Da giebt es viel Recht, +viel Unrecht: wer da zusieht, wird zornig. + +Dreinschaun, dreinhaun - das ist da Eins: darum geht weg in die Wälder +und legt euer Schwert schlafen! + +Geht _eure_ Wege! Und lasst Volk und Völker die ihren gehn! - dunkle +Wege wahrlich, auf denen auch nicht Eine Hoffnung mehr wetterleuchtet! + +Mag da der Krämer herrschen, wo Alles, was noch glänzt - Krämer-Gold +ist! Es ist die Zeit der Könige nicht mehr: was sich heute Volk +heisst, verdient keine Könige. + +Seht doch, wie diese Völker jetzt selber den Krämern gleich thun: sie +lesen sich die kleinsten Vortheile noch aus jedem Kehricht! + +Sie lauern einander auf, sie lauern einander Etwas ab, - das heissen +sie "gute Nachbarschaft." Oh selige ferne Zeit, wo ein Volk sich +sagte: "ich will über Völker - _Herr_ sein!" + +Denn, meine Brüder: das Beste soll herrschen, das Beste will auch +herrschen! Und wo die Lehre anders lautet, da - _fehlt_ es am Besten. + + +22. + +Wenn _Die_ - Brod umsonst hätten, wehe! Wonach würden _Die_ schrein! +Ihr Unterhalt - das ist ihre rechte Unterhaltung; und sie sollen es +schwer haben! + +Raubthiere sind es.- in ihrem "Arbeiten" - da ist auch noch Rauben, in +ihrem "Verdienen" - da ist auch noch Überlisten! Darum sollen sie es +schwer haben! + +Bessere Raubthiere sollen sie also werden, feinere, klügere, +_menschen-ähnlichere_: der Mensch nämlich ist das beste Raubthier. + +Allen Thieren hat der Mensch schon ihre Tugenden abgeraubt: das macht, +von allen Thieren hat es der Mensch am schwersten gehabt. + +Nur noch die Vögel sind über ihm. Und wenn der Mensch noch fliegen +lernte, wehe! _wohinauf_ - würde seine Raublust fliegen! + + +23. + +So will ich Mann und Weib: kriegstüchtig den Einen, gebärtüchtig das +Andre, beide aber tanztüchtig mit Kopf und Beinen. + +Und verloren sei uns der Tag, wo nicht Ein Mal getanzt wurde! Und +falsch heisse uns jede Wahrheit, bei der es nicht Ein Gelächter gab! + + +24. + +Euer Eheschliessen: seht zu, dass es nicht ein schlechtes _Schliessen_ +sei! Ihr schlosset zu schnell: so _folgt_ daraus - Ehebrechen! + +Und besser noch Ehebrechen als Ehe-biegen, Ehelügen! - So sprach mir +ein Weib: "wohl brach ich die Ehe, aber zuerst brach die Ehe - mich!" + +Schlimm-Gepaarte fand ich immer als die schlimmsten Rachsüchtigen: sie +lassen es aller Welt entgelten, dass sie nicht mehr einzeln laufen. + +Desswillen will ich, dass Redliche zu einander reden: "wir lieben +uns: lasst uns _zusehn_, dass wir uns lieb behalten! Oder soll unser +Versprechen ein Versehen sein?" + +- "Gebt uns eine Frist und kleine Ehe, dass wir zusehn, ob wir zur +grossen Ehe taugen! Es ist ein grosses Ding, immer zu Zwein sein!" + +Also rathe ich allen Redlichen; und was wäre denn meine Liebe zum +Übermenschen und zu Allem, was kommen soll, wenn ich anders riethe und +redete! + +Nicht nur fort euch zu pflanzen, sondern _hinauf_ - dazu, oh meine +Brüder, helfe euch der Garten der Ehe! + + +25. + +Wer über alte Ursprünge weise wurde, siehe, der wird zuletzt nach +Quellen der Zukunft suchen und nach neuen Ursprüngen. - + +Oh meine Brüder, es ist nicht über lange, da werden _neue_Völker_ +entspringen und neue Quellen hinab in neue Tiefen rauschen. + +Das Erdbeben nämlich - das verschüttet viel Brunnen, das schafft viel +Verschmachten: das hebt auch innre Kräfte und Heimlichkeiten an's +Licht. + +Das Erdbeben macht neue Quellen offenbar. Im Erdbeben alter Völker +brechen neue Quellen aus. + +Und wer da ruft: "Siehe hier ein Brunnen für viele Durstige, Ein Herz +für viele Sehnsüchtige, Ein Wille für viele Werkzeuge": - um den +sammelt sich ein _Volk_, das ist: viel Versuchende. + +Wer befehlen kann, wer gehorchen muss - Das wird da versucht! Ach, +mit welch langem Suchen und Rathen und Missrathen und Lernen und +Neu-Versuchen! + +Die Menschen-Gesellschaft: die ist ein Versuch, so lehre ich's, - ein +langes Suchen: sie sucht aber den Befehlenden! - + +- ein Versuch, oh meine Brüder! Und _kein_ "Vertrag"! Zerbrecht, +zerbrecht mir solch Wort der Weich-Herzen und Halb- und Halben! + + +26. + +Oh meine Brüder! Bei Welchen liegt doch die grösste Gefahr aller +Menschen-Zukunft? Ist es nicht bei den Guten und Gerechten? - + +- als bei Denen, die sprechen und im Herzen fühlen: "wir wissen schon, +was gut ist und gerecht, wir haben es auch; wehe Denen, die hier noch +suchen!" - + +Und was für Schaden auch die Bösen thun mögen: der Schaden der Guten +ist der schädlichste Schaden! + +Und was für Schaden auch die Welt-Verleumder thun mögen: der Schaden +der Guten ist der schädlichste Schaden. + +Oh meine Brüder, den Guten und Gerechten sah Einer einmal in's Herz, +der da sprach: "es sind die Pharisäer." Aber man verstand ihn nicht. + +Die Guten und Gerechten selber durften ihn nicht verstehen: ihr Geist +ist eingefangen in ihr gutes Gewissen. Die Dummheit der Guten ist +unergründlich klug. + +Das aber ist die Wahrheit: die Guten _müssen_ Pharisäer sein, - sie +haben keine Wahl! + +Die Guten _müssen_ Den kreuzigen, der sich seine eigne Tugend +erfindet! Das _ist_ die Wahrheit! + +Der Zweite aber, der ihr Land entdeckte, Land, Herz und Erdreich +der Guten und Gerechten: das war, der da fragte: "wen hassen sie am +meisten?" + +Den _Schaffenden_ hassen sie am meisten: den, der Tafeln bricht und +alte Werthe, den Brecher - den heissen sie Verbrecher. + +Die Guten nämlich - die _können_ nicht schaffen: die sind immer der +Anfang vom Ende:- + +- sie kreuzigen Den, der neue Werthe auf neue Tafeln schreibt, sie +opfern _sich_ die Zukunft, - sie kreuzigen alle Menschen-Zukunft! + +Die Guten - die waren immer der Anfang vom Ende. - + + +27. + +Oh meine Brüder, verstandet ihr auch diess Wort? Und was ich einst +sagte vom "letzten Menschen"? - - + +Bei Welchen liegt die grösste Gefahr aller Menschen-Zukunft? Ist es +nicht bei den Guten und Gerechten? + +Zerbrecht, zerbrecht mir die Guten und Gerechten! - Oh meine Brüder, +verstandet ihr auch diess Wort? + + +28. + +Ihr flieht von mir? Ihr seid erschreckt? Ihr zittert vor diesem Worte? + +Oh meine Brüder, als ich euch die Guten zerbrechen hiess und die +Tafeln der Guten: da erst schiffte ich den Menschen ein auf seine hohe +See. + +Und nun erst kommt ihm der grosse Schrecken, das grosse Um-sich-sehn, +die grosse Krankheit, der grosse Ekel, die grosse See-Krankheit. + +Falsche Küsten und falsche Sicherheiten lehrten euch die Guten; in +Lügen der Guten wart ihr geboren und geborgen. Alles ist in den Grund +hinein verlogen und verbogen durch die Guten. + +Aber wer das Land "Mensch" entdeckte, entdeckte auch das Land +"Menschen-Zukunft". Nun sollt ihr mir Seefahrer sein, wackere, +geduldsame! + +Aufrecht geht mir bei Zeiten, oh meine Brüder, lernt aufrecht gehn! +Das Meer stürmt: Viele wollen an euch sich wieder aufrichten. + +Das Meer stürmt: Alles ist im Meere. Wohlan! Wohlauf! Ihr alten +Seemanns-Herzen! + +Was Vaterland! _Dorthin_ will unser Steuer, wo unser _Kinder-Land_ +ist! Dorthinaus, stürmischer als das Meer, stürmt unsre grosse +Sehnsucht! - + + +29. + +"Warum so hart! - sprach zum Diamanten einst die Küchen-Kohle; sind +wir denn nicht Nah-Verwandte?" - + +Warum so weich? Oh meine Brüder, also frage _ich_ euch: seid ihr denn +nicht - meine Brüder? + +Warum so weich, so weichend und nachgebend? Warum ist so viel +Leugnung, Verleugnung in eurem Herzen? So wenig Schicksal in eurem +Blicke? + +Und wollt ihr nicht Schicksale sein und Unerbittliche: wie könntet ihr +mit mir - siegen? + +Und wenn eure Härte nicht blitzen und scheiden und zerschneiden will: +wie könntet ihr einst mit mir - schaffen? + +Die Schaffenden nämlich sind hart. Und Seligkeit muss es euch dünken, +eure Hand auf Jahrtausende zu drücken wie auf Wachs, - + +- Seligkeit, auf dem Willen von Jahrtausenden zu schreiben wie auf +Erz, - härter als Erz, edler als Erz. Ganz hart ist allein das +Edelste. + +Diese neue Tafel, oh meine Brüder, stelle ich über euch: werdet +hart! - + + +30. + +Oh du mein Wille! Du Wende aller Noth du _meine_ Nothwendigkeit! +Bewahre mich vor allen kleinen Siegen! + +Du Schickung meiner Seele, die ich Schicksal heisse! Du-In-mir! +Über-mir! Bewahre und spare mich auf zu Einem grossen Schicksale! + +Und deine letzte Grösse, mein Wille, spare dir für dein Letztes auf, - +dass du unerbittlich bist _in_ deinem Siege! Ach, wer unterlag nicht +seinem Siege! + +Ach, wessen Auge dunkelte nicht in dieser trunkenen Dämmerung! Ach, +wessen Fuss taumelte nicht und verlernte im Siege - stehen! - + +- Dass ich einst bereit und reif sei im grossen Mittage: bereit und +reif gleich glühendem Erze, blitzschwangrer Wolke und schwellendem +Milch-Euter: - + +- bereit zu mir selber und zu meinem verborgensten Willen: ein Bogen +brünstig nach seinem Pfeile, ein Pfeil brünstig nach seinem Sterne: - + +- ein Stern bereit und reif in seinem Mittage, glühend, durchbohrt, +selig vor vernichtenden Sonnen-Pfeilen: - + +- eine Sonne selber und ein unerbittlicher Sonnen-Wille, zum +Vernichten bereit im Siegen! + +Oh Wille, Wende aller Noth, du _meine_ Nothwendigkeit! Spare mich auf +zu Einem grossen Siege! - - + +Also sprach Zarathustra. + + + +Der Genesende + +1. + +Eines Morgens, nicht lange nach seiner Rückkehr zur Höhle, sprang +Zarathustra von seinem Lager auf wie ein Toller, schrie mit +furchtbarer Stimme und gebärdete sich, als ob noch Einer auf dem Lager +läge, der nicht davon aufstehn wolle; und also tönte Zarathustra's +Stimme, dass seine Thiere erschreckt hinzukamen, und dass aus allen +Höhlen und Schlupfwinkeln, die Zarathustra's Höhle benachbart waren, +alles Gethier davon huschte, - fliegend, flatternd, kriechend, +springend, wie ihm nur die Art von Fuss und Flügel gegeben war. +Zarathustra aber redete diese Worte: + +Herauf, abgründlicher Gedanke, aus meiner Tiefe! Ich bin dein Hahn und +Morgen-Grauen, verschlafener Wurm: auf! auf! Meine Stimme soll dich +schon wach krähen! + +Knüpfe die Fessel deiner Ohren los: horche! Denn ich will dich hören! +Auf! Auf! Hier ist Donners genug, dass auch Gräber horchen lernen! + +Und wische den Schlaf und alles Blöde, Blinde aus deinen Augen! Höre +mich auch mit deinen Augen: meine Stimme ist ein Heilmittel noch für +Blindgeborne. + +Und bist du erst wach, sollst du mir ewig wach bleiben. Nicht ist das +_meine_ Art, Urgrossmütter aus dem Schlafe wecken, dass ich sie heisse +- weiterschlafen! + +Du regst dich, dehnst dich, röchelst? Auf! Auf! Nicht röcheln - reden +sollst du mir! Zarathustra ruft dich, der Gottlose! + +Ich, Zarathustra, der Fürsprecher des Lebens, der Fürsprecher +des Leidens, der Fürsprecher des Kreises - dich rufe ich, meinen +abgründlichsten Gedanken! + +Heil mir! Du kommst - ich höre dich! Mein Abgrund _redet_, meine +letzte Tiefe habe ich an's Licht gestülpt! + +Heil mir! Heran! Gieb die Hand - - ha! lass! Haha! - - Ekel, Ekel, +Ekel - - - wehe mir! + + +2. + +Kaum aber hatte Zarathustra diese Worte gesprochen, da stürzte er +nieder gleich einem Todten und blieb lange wie ein Todter. Als er aber +wieder zu sich kam, da war er bleich und zitterte und blieb liegen und +wollte lange nicht essen noch trinken. Solches Wesen dauerte an ihm +sieben Tage; seine Thiere verliessen ihn aber nicht bei Tag und Nacht, +es sei denn, dass der Adler ausflog, Speise zu holen. Und was er +holte und zusammenraubte, das legte er auf Zarathustra's Lager: also +dass Zarathustra endlich unter gelben und rothen Beeren, Trauben, +Rosenäpfeln, wohlriechendem Krautwerke und Pinien-Zapfen lag. Zu +seinen Füssen aber waren zwei Lämmer gebreitet, welche der Adler mit +Mühe ihren Hirten abgeraubt hatte. + +Endlich, nach sieben Tagen, richtete sich Zarathustra auf seinem Lager +auf, nahm einen Rosenapfel in die Hand, roch daran und fand seinen +Geruch lieblich. Da glaubten seine Thiere, die Zeit sei gekommen, mit +ihm zu reden. + +"Oh Zarathustra, sagten sie, nun liegst du schon sieben Tage so, mit +schweren Augen: willst du dich nicht endlich wieder auf deine Füsse +stellen? + +Tritt hinaus aus deiner Höhle: die Welt wartet dein wie ein Garten. +Der Wind spielt mit schweren Wohlgerüchen, die zu dir wollen; und alle +Bäche möchten dir nachlaufen. + +Alle Dinge sehnen sich nach dir, dieweil du sieben Tage allein +bliebst, - tritt hinaus aus deiner Höhle! Alle Dinge wollen deine +Ärzte sein! + +Kam wohl eine neue Erkenntniss zu dir, eine saure, schwere? Gleich +angesäuertem Teige lagst du, deine Seele gieng auf und schwoll über +alle ihre Ränder. -" + +- Oh meine Thiere, antwortete Zarathustra, schwätzt also weiter +und lasst mich zuhören! Es erquickt mich so, dass ihr schwätzt: wo +geschwätzt wird, da liegt mir schon die Welt wie ein Garten. + +Wie lieblich ist es, dass Worte und Töne da sind: sind nicht Worte und +Töne Regenbogen und Schein-Brücken zwischen Ewig-Geschiedenem? + +Zu jeder Seele gehört eine andre Welt; für jede Seele ist jede andre +Seele eine Hinterwelt. + +Zwischen dem Ähnlichsten gerade lügt der Schein am schönsten; denn die +kleinste Kluft ist am schwersten zu überbrücken. + +Für mich - wie gäbe es ein Ausser-mir? Es giebt kein Aussen! Aber +das vergessen wir bei allen Tönen; wie lieblich ist es, dass wir +vergessen! + +Sind nicht den Dingen Namen und Töne geschenkt, dass der Mensch sich +an den Dingen erquicke? Es ist eine schöne Narrethei, das Sprechen: +damit tanzt der Mensch über alle Dinge. + +Wie lieblich ist alles Reden und alle Lüge der Töne! Mit Tönen tanzt +unsre Liebe auf bunten Regenbögen. - + +- "Oh Zarathustra, sagten darauf die Thiere, Solchen, die denken wie +wir, tanzen alle Dinge selber: das kommt und reicht sich die Hand und +lacht und flieht - und kommt zurück. + +Alles geht, Alles kommt zurück; ewig rollt das Rad des Seins. Alles +stirbt, Alles blüht wieder auf, ewig läuft das Jahr des Seins. + +Alles bricht, Alles wird neu gefügt; ewig baut sich das gleiche Haus +des Seins. Alles scheidet, Alles grüsst sich wieder; ewig bleibt sich +treu der Ring des Seins. + +In jedem Nu beginnt das Sein; um jedes Hier rollt sich die Kugel Dort. +Die Mitte ist überall. Krumm ist der Pfad der Ewigkeit." - + +- Oh ihr Schalks-Narren und Drehorgeln! antwortete Zarathustra und +lächelte wieder, wie gut wisst ihr, was sich in sieben Tagen erfüllen +musste: - + +- und wie jenes Unthier mir in den Schlund kroch und mich würgte! Aber +ich biss ihm den Kopf ab und spie ihn weg von mir. + +Und ihr, - ihr machtet schon ein Leier-Lied daraus? Nun aber liege +ich da, müde noch von diesem Beissen und Wegspein, krank noch von der +eigenen Erlösung. + +Und ihr schautet dem Allen zu? Oh meine Thiere, seid auch ihr grausam? +Habt ihr meinem grossen Schmerze zuschaun wollen, wie Menschen thun? +Der Mensch nämlich ist das grausamste Thier. + +Bei Trauerspielen, Stierkämpfen und Kreuzigungen ist es ihm bisher am +wohlsten geworden auf Erden; und als er sich die Hölle erfand, siehe, +da war das sein Himmel auf Erden. + +Wenn der grosse Mensch schreit -: flugs läuft der kleine hinzu; und +die Zunge hängt ihm aus dem Halse vor Lüsternheit. Er aber heisst es +sein "Mitleiden." + +Der kleine Mensch, sonderlich der Dichter - wie eifrig klagt er das +Leben in Worten an! Hört hin, aber überhört mir die Lust nicht, die in +allem Anklagen ist! + +Solche Ankläger des Lebens: die überwindet das Leben mit einem +Augenblinzeln. "Du liebst mich? sagt die Freche; warte noch ein Wenig, +noch habe ich für dich nicht Zeit." + +Der Mensch ist gegen sich selber das grausamste Thier; und bei Allem, +was sich "Sünder" und "Kreuzträger" und "Büsser" heisst, überhört mir +die Wollust nicht, die in diesem Klagen und Anklagen ist! + +Und ich selber - will ich damit des Menschen Ankläger sein? Ach, meine +Thiere, Das allein lernte ich bisher, dass dem Menschen sein Bösestes +nöthig ist zu seinem Besten, - + +- dass alles Böseste seine beste _Kraft_ ist und der härteste Stein +dem höchsten Schaffenden; und dass der Mensch besser _und_ böser +werden muss: - + +Nicht an _diess_ Marterholz war ich geheftet, dass ich weiss: der +Mensch ist böse, - sondern ich schrie, wie noch Niemand geschrien hat: + +"Ach dass sein Bösestes so gar klein ist! Ach dass sein Bestes so gar +klein ist!" + +Der grosse Überdruss am Menschen - _der_ würgte mich und war mir in +den Schlund gekrochen: und was der Wahrsager wahrsagte: "Alles ist +gleich, es lohnt sich Nichts, Wissen würgt." + +Eine lange Dämmerung hinkte vor mir her, eine todesmüde, todestrunkene +Traurigkeit, welche mit gähnendem Munde redete. + +"Ewig kehrt er wieder, der Mensch, dess du müde bist, der kleine +Mensch" - so gähnte meine Traurigkeit und schleppte den Fuss und +konnte nicht einschlafen. + +Zur Höhle wandelte sich mir die Menschen-Erde, ihre Brust sank hinein, +alles Lebendige ward mir Menschen-Moder und Knochen und morsche +Vergangenheit. + +Mein Seufzen sass auf allen Menschen-Gräbern und konnte nicht mehr +aufstehn; mein Seufzen und Fragen unkte und würgte und nagte und +klagte bei Tag und Nacht: + +- "ach, der Mensch kehrt ewig wieder! Der kleine Mensch kehrt ewig +wieder!" - + +Nackt hatte ich einst Beide gesehn, den grössten Menschen und den +kleinsten Menschen: allzuähnlich einander, - allzumenschlich auch den +Grössten noch! + +Allzuklein der Grösste! - Das war mein Überdruss am Menschen! Und +ewige Wiederkunft auch des Kleinsten! - Das war mein Überdruss an +allem Dasein! + +Ach, Ekel! Ekel! Ekel! - - Also sprach Zarathustra und seufzte und +schauderte; denn er erinnerte sich seiner Krankheit. Da liessen ihn +aber seine Thiere nicht weiter reden. + +"Sprich nicht weiter, du Genesender! - so antworteten ihm seine +Thiere, sondern geh hinaus, wo die Welt auf dich wartet gleich einem +Garten. + +Geh hinaus zu den Rosen und Bienen und Taubenschwärmen! Sonderlich +aber zu den Singe-Vögeln: dass du ihnen das _Singen_ ablernst! + +Singen nämlich ist für Genesende; der Gesunde mag reden. Und wenn auch +der Gesunde Lieder will, will er andre Lieder doch als der Genesende." + +- "Oh ihr Schalks-Narren und Drehorgeln, so schweigt doch! - +antwortete Zarathustra und lächelte über seine Thiere. Wie gut ihr +wisst, welchen Trost ich mir selber in sieben Tagen erfand! + +Dass ich wieder singen müsse, - _den_ Trost erfand ich mir und _diese_ +Genesung: wollt ihr auch daraus gleich wieder ein Leier-Lied machen?" + +- "Sprich nicht weiter, antworteten ihm abermals seine Thiere; lieber +noch, du Genesender, mache dir erst eine Leier zurecht, eine neue +Leier! + +Denn siehe doch, oh Zarathustra! Zu deinen neuen Liedern bedarf es +neuer Leiern. + +Singe und brause über, oh Zarathustra, heile mit neuen Liedern deine +Seele: dass du dein grosses Schicksal tragest, das noch keines +Menschen Schicksal war! + +Denn deine Thiere wissen es wohl, oh Zarathustra, wer du bist und +werden musst: siehe, du bist der Lehrer der ewigen Wiederkunft -, das +ist nun _dein_ Schicksal! + +Dass du als der Erste diese Lehre lehren musst, - wie sollte diess +grosse Schicksal nicht auch deine grösste Gefahr und Krankheit sein! + +Siehe, wir wissen, was du lehrst: dass alle Dinge ewig wiederkehren +und wir selber mit, und dass wir schon ewige Male dagewesen sind, und +alle Dinge mit uns. + +Du lehrst, dass es ein grosses Jahr des Werdens giebt, ein Ungeheuer +von grossem Jahre: das muss sich, einer Sanduhr gleich, immer wieder +von Neuem umdrehn, damit es von Neuem ablaufe und auslaufe: - + +- so dass alle diese Jahre sich selber gleich sind, im Grössten und +auch im Kleinsten, - so dass wir selber in jedem grossen Jahre uns +selber gleich sind, im Grössten und auch im Kleinsten. + +Und wenn du jetzt sterben wolltest, oh Zarathustra: siehe, wir wissen +auch, wie du da zu dir sprechen würdest: - aber deine Thiere bitten +dich, dass du noch nicht sterbest! + +Du würdest sprechen und ohne Zittern, vielmehr aufathmend vor +Seligkeit: denn eine grosse Schwere und Schwüle wäre von dir genommen, +du Geduldigster! - + +`Nun sterbe und schwinde ich, würdest du sprechen, und im Nu bin ich +ein Nichts. Die Seelen sind so sterblich wie die Leiber. + +Aber der Knoten von Ursachen kehrt wieder, in den ich verschlungen +bin, - der wird mich wieder schaffen! Ich selber gehöre zu den +Ursachen der ewigen Wiederkunft. + +Ich komme wieder, mit dieser Sonne, mit dieser Erde, mit diesem Adler, +mit dieser Schlange - _nicht_ zu einem neuen Leben oder besseren Leben +oder ähnlichen Leben: + +- ich komme ewig wieder zu diesem gleichen und selbigen Leben, im +Grössten und auch im Kleinsten, dass ich wieder aller Dinge ewige +Wiederkunft lehre, - + +- dass ich wieder das Wort spreche vom grossen Erden- und +Menschen-Mittage, dass -ich wieder den Menschen den Übermenschen +künde. + +Ich sprach mein Wort, ich zerbreche an meinem Wort: so will es mein +ewiges Loos -, als Verkündiger gehe ich zu Grunde! + +Die Stunde kam nun, dass der Untergehende sich selber segnet. Also +_endet_ Zarathustra's Untergang.`" - - + +Als die Thiere diese Worte gesprochen hatten, schwiegen sie und +warteten, dass Zarathustra Etwas zu ihnen sagen werde: aber +Zarathustra hörte nicht, dass sie schwiegen. Vielmehr lag er still, +mit geschlossenen Augen, einem Schlafenden ähnlich, ob er schon nicht +schlief: denn er unterredete sich eben mit seiner Seele. Die Schlange +aber und der Adler, als sie ihn solchermaassen schweigsam fanden, +ehrten die grosse Stille um ihn und machten sich behutsam davon. + + + +Von der grossen Sehnsucht + +Oh meine Seele, ich lehrte dich "Heute" sagen wie "Einst" und +"Ehemals" und über alles Hier und Da und Dort deinen Reigen hinweg +tanzen. + +Oh meine Seele, ich erlöste dich von allen Winkeln, ich kehrte Staub, +Spinnen und Zwielicht von dir ab. + +Oh meine Seele, ich wusch die kleine Scham und die Winkel-Tugend von +dir ab und überredete dich, nackt vor den Augen der Sonne zu stehn. + +Mit dem Sturme, welcher "Geist" heisst, blies ich über deine wogende +See; alle Wolken blies ich davon, ich erwürgte selbst die Würgerin, +die "Sünde" heisst. + +Oh meine Seele, ich gab dir das Recht, Nein zu sagen wie der Sturm und +Ja zu sagen wie offner Himmel Ja sagt: still wie Licht stehst du und +gehst du nun durch verneinende Stürme. + +Oh meine Seele, ich gab dir die Freiheit zurück über Erschaffnes und +Unerschaffnes: und wer kennt, wie du sie kennst, die Wollust des +Zukünftigen? + +Oh meine Seele, ich lehrte dich das Verachten, das nicht wie ein +Wurmfrass kommt, das grosse, das liebende Verachten, welches am +meisten liebt, wo es am meisten verachtet. + +Oh meine Seele, ich lehrte dich so überreden, dass du zu dir die +Gründe selber überredest: der Sonne gleich, die das Meer noch zu +seiner Höhe überredet. + +Oh meine Seele, ich nahm von dir alles Gehorchen Kniebeugen und +Herr-Sagen; ich gab dir selber den Namen "Wende der Noth" und +"Schicksal". + +Oh meine Seele, ich gab dir neue Namen und bunte Spielwerke, ich hiess +dich "Schicksal" und "Umfang der Umfänge" und "Nabelschnur der Zeit" +und "azurne Glocke". + +Oh meine Seele, deinem Erdreich gab ich alle Weisheit zu trinken, +alle neuen Weine und auch alle unvordenklich alten starken Weine der +Weisheit. + +Oh meine Seele, jede Sonne goss ich auf dich und jede Nacht und +jedes Schweigen und jede Sehnsucht: - da wuchsest du mir auf wie ein +Weinstock. + +Oh meine Seele, überreich und schwer stehst du nun da, ein Weinstock +mit schwellenden Eutern und gedrängten braunen Gold-Weintrauben: - + +- gedrängt und gedrückt von deinem Glücke, wartend vor Überflusse und +schamhaft noch ob deines Wartens. + +Oh meine Seele, es giebt nun nirgends eine Seele, die liebender wäre +und umfangender und umfänglicher! Wo wäre Zukunft und Vergangnes näher +beisammen als bei dir? + +Oh meine Seele, ich gab dir Alles, und alle meine Hände sind an +dich leer geworden: - und nun! Nun sagst du mir lächelnd und voll +Schwermuth: "Wer von uns hat zu danken? - + +- hat der Geber nicht zu danken, dass der Nehmende nahm? Ist Schenken +nicht eine Nothdurft? Ist Nehmen nicht - Erbarmen?" - + +Oh meine Seele, ich verstehe das Lächeln deiner Schwermuth: dein +Über-Reichthum selber streckt nun sehnende Hände aus! + +Deine Fülle blickt über brausende Meere hin und sucht und wartet; die +Sehnsucht der Über-Fülle blickt aus deinem lächelnden Augen-Himmel! + +Und wahrlich, oh meine Seele! Wer sähe dein Lächeln und schmelze nicht +vor Thränen? Die Engel selber schmelzen vor Thränen ob der Über-Güte +deines Lächelns. + +Deine Güte und Über-Güte ist es, die nicht klagen und weinen will: und +doch sehnt sich, oh meine Seele, dein Lächeln nach Thränen und dein +zitternder Mund nach Schluchzen. + +"Ist alles Weinen nicht ein Klagen? Und alles Klagen nicht ein +Anklagen?" Also redest du zu dir selber, und darum willst du, oh meine +Seele, lieber lächeln, als dein Leid ausschütten. + +- in stürzende Thränen ausschütten all dein Leid über deine Fülle und +über all die Drängniss des Weinstocks nach Winzer und Winzermesser! + +Aber willst du nicht weinen, nicht ausweinen deine purpurne +Schwermuth, so wirst du _singen_ müssen, oh meine Seele! - Siehe, ich +lächle selber, der ich dir solches vorhersage: + +- singen, mit brausendem Gesange, bis alle Meere still werden, dass +sie deiner Sehnsucht zuhorchen, - + +- bis über stille sehnsüchtige Meere der Nachen schwebt, das güldene +Wunder, um dessen Gold alle guten schlimmen wunderlichen Dinge +hüpfen: - + +- auch vieles grosse und kleine Gethier und Alles, was leichte +wunderliche Füsse hat, dass es auf veilchenblauen Pfaden laufen +kann, - + +- hin zu dem güldenen Wunder, dem freiwilligen Nachen und zu seinem +Herrn: das aber ist der Winzer, der mit diamantenem Winzermesser +wartet, - + +- dein grosser Löser, oh meine Seele, der Namenlose - - dem zukünftige +Gesänge erst Namen finden! Und wahrlich, schon duftet dein Athem nach +zukünftigen Gesängen, - + +- schon glühst du und träumst, schon trinkst du durstig an allen +tiefen klingenden Trost-Brunnen, schon ruht deine Schwermuth in der +Seligkeit zukünftiger Gesänge! - - + +Oh meine Seele, nun gab ich dir Alles und auch mein +Letztes, und alle meine Hände sind an dich leer geworden: - +_dass_ich_dich_singen_hiess_, siehe, das war mein Letztes! + +Dass ich dich singen hiess, sprich nun, sprich: _wer_ von uns hat +jetzt - zu danken? - Besser aber noch: singe mir, singe, oh meine +Seele! Und mich lass danken! - + +Also sprach Zarathustra. + + + +Das andere Tanzlied + +1. + +"In dein Auge schaute ich jüngst, oh Leben: Gold sah ich in deinem +Nacht-Auge blinken, - mein Herz stand still vor dieser Wollust: + +- einen goldenen Kahn sah ich blinken auf mächtigen Gewässern, einen +sinkenden, trinkenden, wieder winkenden goldenen Schaukel-Kahn! + +Nach meinem Fusse, dem tanzwüthigen, warfst du einen Blick, einen +lachenden fragenden schmelzenden Schaukel-Blick: + +Zwei Mal nur regtest du deine Klapper mit kleinen Händen - da +schaukelte schon mein Fuss vor Tanz-Wuth. - + +Meine Fersen bäumten sich, meine Zehen horchten, dich zu verstehen: +trägt doch der Tänzer sein Ohr - in seinen Zehen! + +Zu dir hin sprang ich: da flohst du zurück vor meinem Sprunge; und +gegen mich züngelte deines fliehenden fliegenden Haars Zunge! + +Von dir weg sprang ich und von deinen Schlangen: da standst du schon, +halbgewandt, das Auge voll Verlangen. + +Mit krummen Blicken - lehrst du mich krumme Bahnen; auf krummen Bahnen +lernt mein Fuss - Tücken! + +Ich fürchte dich Nahe, ich liebe dich Ferne; deine Flucht lockt mich, +dein Suchen stockt mich: - ich leide, aber was litt ich um dich nicht +gerne! + +Deren Kälte zündet, deren Hass verführt, deren Flucht bindet, deren +Spott - rührt: + +- wer hasste dich nicht, dich grosse Binderin, Umwinderin, +Versucherin, Sucherin, Finderin! Wer liebte dich nicht, dich +unschuldige, ungeduldige, windseilige, kindsäugige Sünderin! + +Wohin ziehst du mich jetzt, du Ausbund und Unband? Und jetzt fliehst +du mich wieder, du süsser Wildfang und Undank! + +Ich tanze dir nach, ich folge dir auch auf geringer Spur. Wo bist du? +Gieb mir die Hand! Oder einen Finger nur! + +Hier sind Höhlen und Dickichte: wir werden uns verirren! - Halt! Steh +still! Siehst du nicht Eulen und Fledermäuse schwirren? + +Du Eule! Du Fledermaus! Du willst mich äffen? Wo sind wir? Von den +Hunden lerntest du diess Heulen und Kläffen. + +Du fletschest mich lieblich an mit weissen Zähnlein, deine bösen Augen +springen gegen mich aus lockichtem Mähnlein! + +Das ist ein Tanz über Stock und Stein: ich bin der Jäger, - willst du +mein Hund oder meine Gemse sein? + +Jetzt neben mir! Und geschwind, du boshafte Springerin! Jetzt hinauf! +Und hinüber! - Wehe! Da fiel ich selber im Springen hin! + +Oh sieh mich liegen, du Übermuth, und um Gnade flehn! Gerne möchte ich +mit dir - lieblichere Pfade gehn! + +- der Liebe Pfade durch stille bunte Büsche! Oder dort den See +entlang: da schwimmen und tanzen Goldfische! + +Du bist jetzt müde? Da drüben sind Schafe und Abendröthen: ist es +nicht schön, zu schlafen, wenn Schäfer flöten? + +Du bist so arg müde? Ich trage dich hin, lass nur die Arme sinken! Und +hast du Durst, - ich hätte wohl Etwas, aber dein Mund will es nicht +trinken! - + +- Oh diese verfluchte flinke gelenke Schlange und Schlupf-Hexe! Wo +bist du hin? Aber im Gesicht fühle ich von deiner Hand zwei Tupfen und +rothe Klexe! + +Ich bin es wahrlich müde, immer dein schafichter Schäfer zu sein! Du +Hexe, habe ich dir bisher gesungen, nun sollst _du_ mir - schrein! + +Nach dem Takt meiner Peitsche sollst du mir tanzen und schrein! Ich +vergass doch die Peitsche nicht? - Nein!" - + + +2. + +Da antwortete mir das Leben also und hielt sich dabei die zierlichen +Ohren zu: + +"Oh Zarathustra! Klatsche doch nicht so fürchterlich mit deiner +Peitsche! Du weisst es ja: Lärm mordet Gedanken, - und eben kommen mir +so zärtliche Gedanken. + +Wir sind Beide zwei rechte Thunichtgute und Thunichtböse. Jenseits von +Gut und Böse fanden wir unser Eiland und unsre grüne Wiese - wir Zwei +allein! Darum müssen wir schon einander gut sein! + +Und lieben wir uns auch nicht von Grund aus -, muss man sich denn gram +sein, wenn man sich nicht von Grund aus liebt? + +Und dass ich dir gut bin und oft zu gut, Das weisst du: und der Grund +ist, dass ich auf deine Weisheit eifersüchtig bin. Ah, diese tolle +alte Närrin von Weisheit! + +Wenn dir deine Weisheit einmal davonliefe, ach! da liefe dir schnell +auch meine Liebe noch davon." - + +Darauf blickte das Leben nachdenklich hinter sich und um sich und +sagte leise: "Oh Zarathustra, du bist mir nicht treu genug! + +Du liebst mich lange nicht so sehr wie du redest; ich weiss, du denkst +daran, dass du mich bald verlassen willst. + +Es giebt eine alte schwere schwere Brumm-Glocke: die brummt Nachts bis +zu deiner Höhle hinauf: - + +- hörst du diese Glocke Mitternachts die Stunde schlagen, so denkst du +zwischen Eins und Zwölf daran - + +- du denkst daran, oh Zarathustra, ich weiss es, dass du mich bald +verlassen willst!" - + +"Ja, antwortete ich zögernd, aber du weisst es auch -" Und ich sagte +ihr Etwas in's Ohr, mitten hinein zwischen ihre verwirrten gelben +thörichten Haar-Zotteln. + +Du _weisst_ Das, oh Zarathustra? Das weiss Niemand. - - + +Und wir sahen uns an und blickten auf die grüne Wiese, über welche +eben der kühle Abend lief, und weinten mit einander. - Damals aber war +mir das Leben lieber, als je alle meine Weisheit. - + +Also sprach Zarathustra. + + +3. + + Eins! + Oh Mensch! Gieb Acht! + Zwei! + Was spricht die tiefe Mitternacht? + Drei! + "Ich schlief, ich schlief -," + Vier! + "Auf tiefen Traum bin ich erwacht:-" + Fünf! + "Die Welt ist tief," + Sechs! + "Und tiefer als der Tag gedacht." + Sieben! + "Tief ist ihr Weh -," + Acht! + "Lust - tiefer noch als Herzeleid:" + Neun! + "Weh spricht: Vergeh!" + Zehn! + "Doch alle Lust will Ewigkeit -," + Elf! + "- will tiefe, tiefe Ewigkeit!" + Zwölf! + + + +Die sieben Siegel + +(Oder: das Ja- und Amen-Lied) + +1. + +Wenn ich ein Wahrsager bin und voll jenes wahrsagerischen Geistes, der +auf hohem Joche zwischen zwei Meeren wandelt, - + +zwischen Vergangenem und Zukünftigem als schwere Wolke wandelt, - +schwülen Niederungen feind und Allem, was müde ist und nicht sterben, +noch leben kann.- + +zum Blitze bereit im dunklen Busen und zum erlösenden Lichtstrahle, +schwanger von Blitzen, die Ja! sagen, Ja! lachen, zu wahrsagerischen +Blitzstrahlen: - + +- selig aber ist der also Schwangere! Und wahrlich, lange muss als +schweres Wetter am Berge hängen, wer einst das Licht der Zukunft +zünden soll! - + +Oh wie sollte ich nicht nach der Ewigkeit brünstig sein und nach dem +hochzeitlichen Ring der Ringe, - dem Ring de Wiederkunft! + +Nie noch fand ich das Weib, von dem ich Kinder mochte, sei denn dieses +Weib, das ich lieb: denn ich liebe dich, oh Ewigkeit! + +Denn ich liebe dich, oh Ewigkeit! + + +2. + +Wenn mein Zorn je Gräber brach, Grenzsteine rückte und alte Tafeln +zerbrochen in steile Tiefen rollte: + +Wenn mein Hohn je vermoderte Worte zerblies, und ich wie ein Besen kam +den Kreuzspinnen und als Fegewind alten verdumpften Grabkammern: + +Wenn ich je frohlockend sass, wo alte Götter begraben liegen, +weltsegnend, weltliebend neben den Denkmalen alter Welt-Verleumder: - + +- denn selbst Kirchen und Gottes-Gräber liebe ich, wenn der Himmel +erst reinen Auges durch ihre zerbrochenen Decken blickt; gern sitze +ich gleich Gras und rothem Mohne auf zerbrochnen Kirchen - + +Oh wie sollte ich nicht nach der Ewigkeit brünstig sein und nach dem +hochzeitlichen Ring der Ringe, - dem Ring de Wiederkunft! + +Nie noch fand ich das Weib, von dem ich Kinder mochte, sei denn dieses +Weib, das ich lieb: denn ich liebe dich, oh Ewigkeit! + +Denn ich liebe dich, oh Ewigkeit! + + +3. + +Wenn je ein Hauch zu mir kam vom schöpferischen Hauche und von jener +himmlischen Noth, die noch Zufälle zwingt, Sternen-Reigen zu tanzen: + +Wenn ich je mit dem Lachen des schöpferischen Blitzes lachte, dem der +lange Donner der That grollend, aber gehorsam nachfolgt: + +Wenn ich je am Göttertisch der Erde mit Göttern Würfel spielte, dass +die Erde bebte und brach und Feuerflüsse heraufschnob: - + +- denn ein Göttertisch ist die Erde, und zitternd von schöpferischen +neuen Worten und Götter-Würfen: - + +Oh wie sollte ich nicht nach der Ewigkeit brünstig sein und nach dem +hochzeitlichen Ring der Ringe, - dem Ring de Wiederkunft! + +Nie noch fand ich das Weib, von dem ich Kinder mochte, sei denn dieses +Weib, das ich lieb: denn ich liebe dich, oh Ewigkeit! + +Denn ich liebe dich, oh Ewigkeit! + + +4. + +Wenn ich je vollen Zuges trank aus jenem schäumenden Würz- und +Mischkruge, in dem alle Dinge gut gemischt sind: + +Wenn meine Hand je Fernstes zum Nächsten goss und Feuer zu Geist und +Lust zu Leid und Schlimmstes zum Gütigsten: + +Wenn ich selber ein Korn bin von jenem erlösenden Salze, welches +macht, dass alle Dinge im Mischkruge gut sich mischen: - + +- denn es giebt ein Salz, das Gutes mit Bösem bindet; und auch das +Böseste ist zum Würzen würdig und zum letzten Überschäumen: - + +Oh wie sollte ich nicht nach der Ewigkeit brünstig sein und nach dem +hochzeitlichen Ring der Ringe, - dem Ring de Wiederkunft! + +Nie noch fand ich das Weib, von dem ich Kinder mochte, sei denn dieses +Weib, das ich lieb: denn ich liebe dich, oh Ewigkeit! + +Denn ich liebe dich, oh Ewigkeit! + + +5. + +Wenn ich dem Meere hold bin und Allem, was Meeres-Art ist, und am +holdesten noch, wenn es mir zornig widerspricht: + +Wenn jene suchende Lust in mir ist, die nach Unentdecktem die Segel +treibt, wenn eine Seefahrer-Lust in meiner Lust ist: + +Wenn je mein Frohlocken rief: "die Küste schwand, - nun fiel mir die +letzte Kette ab - + +- das Grenzenlose braust um mich, weit hinaus glänzt mir Raum und +Zeit, wohlan! wohlauf! altes Herz!" - + +Oh wie sollte ich nicht nach der Ewigkeit brünstig sein und nach dem +hochzeitlichen Ring der Ringe, - dem Ring de Wiederkunft! + +Nie noch fand ich das Weib, von dem ich Kinder mochte, sei denn dieses +Weib, das ich lieb: denn ich liebe dich, oh Ewigkeit! + +Denn ich liebe dich, oh Ewigkeit! + + +6. + +Wenn meine Tugend eines Tänzers Tugend ist, und ich oft mit beiden +Füssen in gold-smaragdenes Entzücken sprang: + +Wenn meine Bosheit eine lachende Bosheit ist, heimisch unter +Rosenhängen und Lilien-Hecken: + +- im Lachen nämlich ist alles Böse bei einander, aber heilig- und +losgesprochen durch seine eigne Seligkeit: - + +Und wenn Das mein A und O ist, dass alles Schwere leicht, aller Leib +Tänzer, aller Geist Vogel werde: und wahrlich, Das ist mein A und O! - + +Oh wie sollte ich nicht nach der Ewigkeit brünstig sein und nach dem +hochzeitlichen Ring der Ringe, - dem Ring de Wiederkunft! + +Nie noch fand ich das Weib, von dem ich Kinder mochte, sei denn dieses +Weib, das ich lieb: denn ich liebe dich, oh Ewigkeit! + +Denn ich liebe dich, oh Ewigkeit! + + +7. + +Wenn ich je stille Himmel über mir ausspannte und mit eignen Flügeln +in eigne Himmel flog: + +Wenn ich spielend in tiefen Licht-Fernen schwamm, und meiner Freiheit +Vogel-Weisheit kam: - + +- so aber spricht Vogel-Weisheit: "Siehe, es giebt kein Oben, kein +Unten! Wirf dich umher, hinaus, zurück, du Leichter! Singe! sprich +nicht mehr! + +- sind alle Worte nicht für die Schweren gemacht? Lügen dem Leichten +nicht alle Worte! Singe! sprich nicht mehr!" - + +Oh wie sollte ich nicht nach der Ewigkeit brünstig sein und nach dem +hochzeitlichen Ring der Ringe, - dem Ring de Wiederkunft! + +Nie noch fand ich das Weib, von dem ich Kinder mochte, sei denn dieses +Weib, das ich lieb: denn ich liebe dich, oh Ewigkeit! + +Denn ich liebe dich, oh Ewigkeit! + + + + +Vierter und letzter Theil + +Ach, wo in der Welt geschahen grössere Thorheiten, als bei den +Mitleidigen? Und was in der Weit stiftete mehr Leid, als die +Thorheiten der Mitleidigen? + +Wehe allen Liebenden, die nicht noch eine Höhe haben, welche über +ihrem Mitleiden ist! + +Also sprach der Teufel einst zu mir: "auch Gott hat seine Hölle: das +ist seine Liebe zu den Menschen." + +Und jüngst hörte ich ihn diess Wort sagen: "Gott ist todt; an seinem +Mitleiden mit den Menschen ist Gott gestorben." + +Zarathustra, Von den Mitleidigen + + + +Das Honig-Opfer + +- Und wieder liefen Monde und Jahre über Zarathustra's Seele, und er +achtete dessen nicht; sein Haar aber wurde weiss. Eines Tages, als +er auf einem Steine vor seiner Höhle sass und still hinausschaute, - +man schaut aber dort auf das Meer hinaus, und hinweg über gewundene +Abgründe - da giengen seine Thiere nachdenklich um ihn herum und +stellten sich endlich vor ihn hin. + +"Oh Zarathustra, sagten sie, schaust du wohl aus nach deinem Glücke?" +- "Was liegt am Glücke! antwortete er, ich trachte lange nicht mehr +nach Glücke, ich trachte nach meinem Werke." - "Oh Zarathustra, +redeten die Thiere abermals, Das sagst du als Einer, der des Guten +übergenug hat. Liegst du nicht in einem himmelblauen See von Glück?" +- "Ihr Schalks-Narren, antwortete Zarathustra und lächelte, wie gut +wähltet ihr das Gleichniss! Aber ihr wisst auch, dass mein Glück +schwer ist und nicht wie eine flüssige Wasserwelle: es drängt mich und +will nicht von mir und thut gleich geschmolzenem Peche." - + +Da giengen die Thiere wieder nachdenklich um ihn herum und stellten +sich dann abermals vor ihn hin. "Oh Zarathustra, sagten sie, _daher_ +also kommt es, dass du selber immer gelber und dunkler wirst, obschon +dein Haar weiss und flächsern aussehen will? Siehe doch, du sitzest in +deinem Peche!" - "Was sagt ihr da, meine Thiere, sagte Zarathustra und +lachte dazu, wahrlich, ich lästerte als ich von Peche sprach. Wie mir +geschieht, so geht es allen Früchten, die reif werden. Es ist der +_Honig_ in meinen Adern, der mein Blut dicker und auch meine Seele +stiller macht." - "So wird es sein, oh Zarathustra, antworteten die +Thiere und drängten sich an ihn; willst du aber nicht heute auf einen +hohen Berg steigen? Die Luft ist rein, und man sieht heute mehr von +der Welt als jemals." - "Ja, meine Thiere, antwortete er, ihr rathet +trefflich und mir nach dem Herzen: ich will heute auf einen hohen +Berg steigen! Aber sorgt, dass dort Honig mir zur Hand sei, gelber, +weisser, guter, eisfrischer Waben-Goldhonig. Denn wisset, ich will +droben das Honig-Opfer bringen." - + +Als Zarathustra aber oben auf der Höhe war, sandte er die Thiere heim, +die ihn geleitet hatten, und fand, dass er nunmehr allein sei: - da +lachte er aus ganzem Herzen, sah sich um und sprach also: + +Dass ich von Opfern sprach und Honig-Opfern, eine List war's nur +meiner Rede und, wahrlich, eine nützliche Thorheit! Hier oben +darf ich schon freier reden, als vor Einsiedler-Höhlen und +Einsiedler-Hausthieren. + +Was opfern! Ich verschwende, was mir geschenkt wird, ich Verschwender +mit tausend Händen: wie dürfte ich Das noch - Opfern heissen! + +Und als ich nach Honig begehrte, begehrte ich nur nach Köder und +süssem Seime und Schleime, nach dem auch Brummbären und wunderliche +mürrische böse Vögel die Zunge lecken: + +- nach dem besten Köder, wie er Jägern und Fischfängern noththut. Denn +wenn die Welt wie ein dunkler Thierwald ist und aller wilden Jäger +Lustgarten, so dünkt sie mich noch mehr und lieber ein abgründliches +reiches Meer, + +- ein Meer voll bunter Fische und Krebse, nach dem es auch Götter +gelüsten möchte, dass sie an ihm zu Fischern würden und zu +Netz-Auswerfern: so reich ist die Welt an Wunderlichem, grossem und +kleinem! + +Sonderlich die Menschen-Welt, das Menschen-Meer: - nach _dem_ werfe +ich nun meine goldene Angelruthe aus und spreche: thue dich auf, du +Menschen-Abgrund! + +Thue dich auf und wirf mir deine Fische und Glitzer-Krebse zu! +Mit meinem besten Köder ködere ich mir heute die wunderlichsten +Menschen-Fische! + +- mein Glück selber werfe ich hinaus in alle Weiten und Fernen, +zwischen Aufgang, Mittag und Niedergang, ob nicht an meinem Glücke +viele Menschen-Fische zerrn und zappeln lernen. + +Bis sie, anbeissend an meine spitzen verborgenen Haken, hinauf müssen +in _meine_ Höhe, die buntesten Abgrund-Gründlinge zu dem boshaftigsten +aller Menschen- Fischfänger. + +_Der_ nämlich bin ich von Grund und Anbeginn, ziehend, heranziehend, +hinaufziehend, aufziehend, ein Zieher, Züchter und Zuchtmeister, der +sich nicht umsonst einstmals zusprach: "Werde, der du bist!" + +Also mögen nunmehr die Menschen zu mir _hinauf_ kommen: denn noch +warte ich der Zeichen, dass es Zeit sei zu meinem Niedergange, noch +gehe ich selber nicht unter, wie ich muss, unter Menschen. + +Dazu warte ich hier, listig und spöttisch auf hohen Bergen, kein +Ungeduldiger, kein Geduldiger, vielmehr Einer, der auch die Geduld +verlernt hat, - weil er nicht mehr "duldet." + +Mein Schicksal nämlich lässt mir Zeit: es vergass mich wohl? Oder +sitzt es hinter einem grossen Steine im Schatten und fängt Fliegen? + +Und wahrlich, ich bin ihm gut darob, meinem ewigen Schicksale, dass +es mich nicht hetzt und drängt und mir Zeit zu Possen lässt und +Bosheiten: also dass ich heute zu einem Fischfange auf diesen hohen +Berg stieg. + +Fieng wohl je ein Mensch auf hohen Bergen Fische? Und wenn es auch +eine Thorheit ist, was ich hier oben will und treibe: besser noch +Diess, als dass ich da unten feierlich würde vor Warten und grün und +gelb - + +- ein gespreitzter Zornschnauber vor Warten, ein heiliger Heule-Sturm +aus Bergen, ein Ungeduldiger, der in die Thäler hinabruft: "Hört, oder +ich peitsche euch mit der Geissel Gottes!" + +Nicht dass ich solchen Zürnern darob gram würde: zum Lachen sind +sie mir gut genung! Ungeduldig müssen sie schon sein, diese grossen +Lärmtrommeln, welche heute oder niemals zu Worte kommen! + +Ich aber und mein Schicksal - wir reden nicht zum Heute, wir reden +auch nicht zum Niemals: wir haben zum Reden schon Geduld und Zeit und +Überzeit. Denn einst muss er doch kommen und darf nicht vorübergehn. + +Wer muss einst kommen und darf nicht vorübergehn? Unser grosser Hazar, +das ist unser grosses fernes Menschen-Reich, das Zarathustra-Reich von +tausend Jahren - - + +Wie ferne mag solches "Ferne" sein? was geht's mich an! Aber darum +steht es mir doch nicht minder fest -, mit beiden Füssen stehe ich +sicher auf diesem Grunde, + +- auf einem ewigen Grunde, auf hartem Urgesteine, auf diesem höchsten +härtesten Urgebirge, zu dem alle Winde kommen als zur Wetterscheide, +fragend nach Wo? und Woher? und Wohinaus? + +Hier lache, lache meine helle heile Bosheit! Von hohen Bergen wirf +hinab dein glitzerndes Spott-Gelächter! Ködere mit deinem Glitzern mir +die schönsten Menschen-Fische! + +Und was in allen Meeren _mir_ zugehört, mein An-und-für-mich in allen +Dingen - _Das_ fische mir heraus, _Das_ führe zu mir herauf: dess +warte ich, der boshaftigste aller Fischfänger. + +Hinaus, hinaus, meine Angel! Hinein, hinab, Köder meines Glücks! +Träufle deinen süssesten Thau, mein Herzens-Honig! Beisse, meine +Angel, in den Bauch aller schwarzen Trübsal! + +Hinaus, hinaus, mein Auge! Oh welche vielen Meere rings um mich, welch +dämmernde Menschen-Zukünfte! Und über mir - welch rosenrothe Stille! +Welch entwölktes Schweigen! + + + +Der Nothschrei + +Des nächsten Tages sass Zarathustra wieder auf seinem Steine vor der +Höhle, während die Thiere draussen in der Welt herumschweiften, dass +sie neue Nahrung heimbrächten, - auch neuen Honig: denn Zarathustra +hatte den alten Honig bis auf das letzte Korn verthan und +verschwendet. Als er aber dermaassen dasass, mit einem Stecken in +der Hand, und den Schatten seiner Gestalt auf der Erde abzeichnete, +nachdenkend und, wahrlich! nicht über sich und seinen Schatten - da +erschrak er mit Einem Male und fuhr zusammen: denn er sahe neben +seinem Schatten noch einen andern Schatten. Und wie er schnell um sich +blickte und aufstand, siehe, da stand der Wahrsager neben ihm, der +selbe, den er einstmals an seinem Tische gespeist und getränkt hatte, +der Verkündiger der grossen Müdigkeit, welcher lehrte: "Alles ist +gleich, es lohnt sich Nichts, Welt ist ohne Sinn, Wissen würgt." Aber +sein Antlitz hatte sich inzwischen verwandelt; und als ihm Zarathustra +in die Augen blickte, wurde sein Herz abermals erschreckt: so viel +schlimme Verkündigungen und aschgraue Blitze liefen über diess +Gesicht. + +Der Wahrsager, der es wahrgenommen, was sich in Zarathustra's Seele +zutrug, wischte mit der Hand über sein Antlitz hin, wie als ob er +dasselbe wegwischen wollte; desgleichen that auch Zarathustra. Und als +Beide dergestalt sich schweigend gefasst und gekräftigt hatten, gaben +sie sich die Hände, zum Zeichen, dass sie sich wiedererkennen wollten. + +"Sei mir willkommen, sagte Zarathustra, du Wahrsager der grossen +Müdigkeit, du sollst nicht umsonst einstmals mein Tisch- und +Gastfreund gewesen sein. Iss und trink auch heute bei mir und vergieb +es, dass ein vergnügter alter Mann mit dir zu Tische sitzt!" - "Ein +vergnügter alter Mann? antwortete der Wahrsager, den Kopf schüttelnd: +wer du aber auch bist oder sein willst, oh Zarathustra, du bist es +zum Längsten hier Oben gewesen, - dein Nachen soll über Kurzem nicht +mehr im Trocknen sitzen!" - "Sitze ich denn im Trocknen?" fragte +Zarathustra lachend. - "Die Wellen um deinen Berg, antwortete der +Wahrsager, steigen und steigen, die Wellen grosser Noth und Trübsal: +die werden bald auch deinen Nachen heben und dich davontragen." - +Zarathustra schwieg hierauf und wunderte sich. - "Hörst du noch +Nichts? fuhr der Wahrsager fort: rauscht und braust es nicht herauf +aus der Tiefe?" - Zarathustra schwieg abermals und horchte: da hörte +er einen langen, langen Schrei, welchen die Abgründe sich zuwarfen und +weitergaben, denn keiner wollte ihn behalten: so böse klang er. + +"Du schlimmer Verkündiger, sprach endlich Zarathustra, das ist ein +Nothschrei und der Schrei eines Menschen, der mag wohl aus einem +schwarzen Meere kommen. Aber was geht mich Menschen-Noth an! Meine +letzte Sünde, die mir aufgespart blieb, - weisst du wohl, wie sie +heisst?" + +- "Mitleiden! antwortete der Wahrsager aus einem überströmenden Herzen +und hob beide Hände empor - oh Zarathustra, ich komme, dass ich dich +zu deiner letzten Sünde verführe!" - + +Und kaum waren diese Worte gesprochen, da erscholl der Schrei +abermals, und länger und ängstlicher als vorher, auch schon viel +näher. "Hörst du? Hörst du, oh Zarathustra? rief der Wahrsager, dir +gilt der Schrei, dich ruft er: komm, komm, komm, es ist Zeit, es ist +höchste Zeit!" - + +Zarathustra schwieg hierauf, verwirrt und erschüttert; endlich fragte +er, wie Einer, der bei sich selber zögert: "Und wer ist das, der dort +mich ruft?" + +"Aber du weisst es ja, antwortete der Wahrsager heftig, was verbirgst +du dich? _Der_höhere_Mensch_ ist es, der nach dir schreit!" + +"Der höhere Mensch? schrie Zarathustra von Grausen erfasst: was will +_der_? Was will _der_? Der höhere Mensch! Was will der hier?" - und +seine Haut bedeckte sich mit Schweiss. + +Der Wahrsager aber antwortete nicht auf die Angst Zarathustra's, +sondern horchte und horchte nach der Tiefe zu. Als es jedoch lange +Zeit dort stille blieb, wandte er seinen Blick zurück und sahe +Zarathustra stehn und zittern. + +"Oh Zarathustra, hob er mit trauriger Stimme an, du stehst nicht da +wie Einer, den sein Glück drehend macht: du wirst tanzen müssen, dass +du mir nicht umfällst! + +Aber wenn du auch vor mir tanzen wolltest und alle deine Seitensprünge +springen: Niemand soll mir doch sagen dürfen: `Siehe, hier tanzt der +letzte frohe Mensch!` + +Umsonst käme Einer auf diese Höhe, der den hier suchte: Höhlen fände +er wohl und Hinter-Höhlen, Verstecke für Versteckte, aber nicht +Glücks-Schachte und Schatzkammern und neue Glücks-Goldadern. + +Glück - wie fände man wohl das Glück bei solchen Vergrabenen und +Einsiedlern! Muss ich das letzte Glück noch auf glückseligen Inseln +suchen und ferne zwischen vergessenen Meeren? + +Aber Alles ist gleich, es lohnt sich Nichts, es hilft kein Suchen, es +giebt auch keine glückseligen Inseln mehr!" - - + +Also seufzte der Wahrsager; bei seinem letzten Seufzer aber wurde +Zarathustra wieder hell und sicher, gleich Einem, der aus einem tiefen +Schlunde an's Licht kommt. "Nein! Nein! Drei Mal Nein! rief er mit +starker Stimme und strich sich den Bart - _Das_ weiss ich besser! +Es giebt noch glückselige Inseln! Stille _davon_, du seufzender +Trauersack! + +Höre _davon_ auf zu plätschern, du Regenwolke am Vormittag! Stehe ich +denn nicht schon da, nass von deiner Trübsal und begossen wie ein +Hund? + +Nun schüttle ich mich und laufe dir davon, dass ich wieder trocken +werde: dess darfst du nicht Wunder haben! Dünke ich dir unhöflich? +Aber hier ist _mein_ Hof. + +Was aber deinen höheren Menschen angeht: wohlan! ich suche ihn flugs +in jenen Wäldern: _daher_ kam sein Schrei. Vielleicht bedrängt ihn da +ein böses Thier. + +Er ist in _meinem_ Bereiche: darin soll er mir nicht zu Schaden +kommen! Und wahrlich, es giebt viele böse Thiere bei mir." - + +Mit diesen Worten wandte sich Zarathustra zum Gehen. Da sprach der +Wahrsager: "Oh Zarathustra, du bist ein Schelm! + +Ich weiss es schon: du willst mich los sein! Lieber noch läufst du in +die Wälder und stellst bösen Thieren nach! + +Aber was hilft es dir? Des Abends wirst du doch mich wiederhaben, in +deiner eignen Höhle werde ich dasitzen, geduldig und schwer wie ein +Klotz - und auf dich warten!" + +"So sei's! rief Zarathustra zurück im Fortgehn: und was mein ist in +meiner Höhle, gehört auch dir, meinem Gastfreunde! + +Solltest du aber drin noch Honig finden, wohlan! so lecke ihn nur auf, +du Brummbär, und versüsse deine Seele! Am Abende nämlich wollen wir +Beide guter Dinge sein, + +- guter Dinge und froh darob, dass dieser Tag zu Ende gieng! Und du +selber sollst zu meinen Liedern als mein Tanzbär tanzen. + +Du glaubst nicht daran? Du schüttelst den Kopf? Wohlan! Wohlauf! Alter +Bär! Aber auch ich - bin ein Wahrsager." + +Also sprach Zarathustra. + + + +Gespräch mit den Königen + +1. + +Zarathustra war noch keine Stunde in seinen Bergen und Wäldern +unterwegs, da sahe er mit Einem Male einen seltsamen Aufzug. Gerade +auf dem Wege, den er hinabwollte, kamen zwei Könige gegangen, mit +Kronen und Purpurgürteln geschmückt und bunt wie Flamingo-Vögel: die +trieben einen beladenen Esel vor sich her. "Was wollen diese Könige +in meinem Reiche?" sprach Zarathustra erstaunt zu seinem Herzen und +versteckte Sich geschwind hinter einem Busche. Als aber die Könige bis +zu ihm herankamen, sagte er, halblaut, wie Einer, der zu sich allein +redet: "Seltsam! Seltsam! Wie reimt sich Das zusammen? Zwei Könige +sehe ich - und nur Einen Esel!" + +Da machten die beiden Könige Halt, lächelten, sahen nach der Stelle +hin, woher die Stimme kam, und sahen sich nachher selber in's Gesicht. +"Solcherlei denkt man wohl auch unter uns, sagte der König zur +Rechten, aber man spricht es nicht aus." + +Der König zur Linken aber zuckte mit den Achseln und antwortete: "Das +mag wohl ein Ziegenhirt sein. Oder ein Einsiedler, der zu lange unter +Felsen und Bäumen lebte. Gar keine Gesellschaft nämlich verdirbt auch +die guten Sitten." + +"Die guten Sitten? entgegnete unwillig und bitter der andre König: wem +laufen wir denn aus dem Wege? Ist es nicht den `guten Sitten`? Unsrer +`guten Gesellschaft`? + +Lieber, wahrlich, unter Einsiedlern und Ziegenhirten als mit unserm +vergoldeten falschen überschminkten Pöbel leben, - ob er sich schon +`gute Gesellschaft` heisst, + +- ob er sich schon `Adel` heisst. Aber da ist Alles falsch und faul, +voran das Blut, Dank alten schlechten Krankheiten und schlechteren +Heil-Künstlern. + +Der Beste und Liebste ist mir heute noch ein gesunder Bauer, grob, +listig, hartnäckig, langhaltig: das ist heute die vornehmste Art. + +Der Bauer ist heute der Beste; und Bauern-Art sollte Herr sein! Aber +es ist das Reich des Pöbels, - ich lasse mir Nichts mehr vormachen. +Pöbel aber, das heisst: Mischmasch. + +Pöbel-Mischmasch: darin ist Alles in Allem durcheinander, Heiliger und +Hallunke und Junker und Jude und jeglich Vieh aus der Arche Noäh. + +Gute Sitten! Alles ist bei uns falsch und faul. Niemand weiss mehr +zu verehren: _dem_ gerade laufen wir davon. Es sind süssliche +zudringliche Hunde, sie vergolden Palmenblätter. + +Dieser Ekel würgt mich, dass wir Könige selber falsch wurden, +überhängt und verkleidet durch alten vergilbten Grossväter-Prunk, +Schaumünzen für die Dümmsten und die Schlauesten, und wer heute Alles +mit der Macht Schacher treibt! + +Wir _sind_ nicht die Ersten - und müssen es doch _bedeuten_: dieser +Betrügerei sind wir endlich satt und ekel geworden. + +Dem Gesindel giengen wir aus dem Wege, allen diesen Schreihälsen und +Schreib-Schmeissfliegen, dem Krämer-Gestank, dem Ehrgeiz-Gezappel, dem +üblen Athem -: pfui, unter dem Gesindel leben, + +- pfui, unter dem Gesindel die Ersten zu bedeuten! Ach, Ekel! Ekel! +Ekel! Was liegt noch an uns Königen!" - + +"Deine alte Krankheit fällt dich an, sagte hier der König zur Linken, +der Ekel fällt dich an, mein armer Bruder. Aber du weisst es doch, es +hört uns Einer zu." + +Sofort erhob sich Zarathustra, der zu diesen Reden Ohren und Augen +aufgesperrt hatte, aus seinem Schlupfwinkel, trat auf die Könige zu +und begann: + +"Der Euch zuhört, der Euch gerne zuhört, ihr Könige, der heisst +Zarathustra. + +Ich bin Zarathustra, der einst sprach: `Was liegt noch an Königen!` +Vergebt mir, ich freute mich, als Ihr zu einander sagtet: `Was liegt +an uns Königen!` + +Hier aber ist _mein_ Reich und meine Herrschaft: was mögt Ihr wohl +in meinem Reiche suchen? Vielleicht aber _fandet_ Ihr unterwegs, was +_ich_ suche: nämlich den höheren Menschen." + +Als Diess die Könige hörten, schlugen sie sich an die Brust und +sprachen mit Einem Munde: "Wir sind erkannt! + +Mit dem Schwerte dieses Wortes zerhaust du unsres Herzens dickste +Finsterniss. Du entdecktest unsre Noth, denn siehe! Wir sind +unterwegs, dass wir den höheren Menschen fänden - + +- den Menschen, der höher ist als wir: ob wir gleich Könige sind. Ihm +führen wir diesen Esel zu. Der höchste Mensch nämlich soll auf Erden +auch der höchste Herr sein. + +Es giebt kein härteres Unglück in allem Menschen-Schicksale, als wenn +die Mächtigen der Erde nicht auch die ersten Menschen sind. Da wird +Alles falsch und schief und ungeheuer. + +Und wenn sie gar die letzten sind und mehr Vieh als Mensch: da +steigt und steigt der Pöbel im Preise, und endlich spricht gar die +Pöbel-Tugend: `siehe, ich allein bin Tugend!` - + +Was hörte ich eben? antwortete Zarathustra; welche Weisheit bei +Königen! Ich bin entzückt, und, wahrlich, schon gelüstet's mich, einen +Reim darauf zu machen: - + +- mag es auch ein Reim werden, der nicht für Jedermanns Ohren taugt. +Ich verlernte seit langem schon die Rücksicht auf lange Ohren. Wohlan! +Wohlauf! + +(Hier aber geschah es, dass auch der Esel zu Worte kam: er sagte aber +deutlich und mit bösem Willen I-A.) + + Einstmals - ich glaub', im Jahr des Heiles Eins - + Sprach die Sibylle, trunken sonder Weins: + `Weh, nun geht's schief! + Verfall! Verfall! Nie sank die Welt so tief! + Rom sank zur Hure und zur Huren-Bude, + Rom's Caesar sank zum Vieh, Gott selbst - ward Jude!`" + + +2. + +An diesen Reimen Zarathustra's weideten sich die Könige; der König zur +Rechten aber sprach: "oh Zarathustra, wie gut thaten wir, dass wir +auszogen, dich zu sehn! + +Deine Feinde nämlich zeigten uns dein Bild in ihrem Spiegel: da +blicktest du mit der Fratze eines Teufels und hohnlachend: also dass +wir uns vor dir fürchteten. + +Aber was half's! Immer wieder stachst du uns in Ohr und Herz mit +deinen Sprüchen. Da sprachen wir endlich: was liegt daran, wie er +aussieht! + +Wir müssen ihn _hören_, ihn, der lehrt `ihr sollt den Frieden lieben +als Mittel zu neuen Kriegen, und den kurzen Frieden mehr als den +langen!` + +Niemand sprach je so kriegerische Worte: `Was ist gut? Tapfer sein ist +gut. Der gute Krieg ist's, der jede Sache heiligt.` + +Oh Zarathustra, unsrer Väter Blut rührte sich bei solchen Worten in +unserm Leibe: das war wie die Rede des Frühlings zu alten Weinfässern. + +Wenn die Schwerter durcheinander liefen gleich rothgefleckten +Schlangen, da wurden unsre Väter dem Leben gut; alles Friedens Sonne +dünkte sie flau und lau, der lange Frieden aber machte Scham. + +Wie sie seufzten, unsre Väter, wenn sie an der Wand blitzblanke +ausgedorrte Schwerter sahen! Denen gleich dürsteten sie nach Krieg. +Ein Schwert nämlich will Blut trinken und funkelt vor Begierde." - - + +- Als die Könige dergestalt mit Eifer von dem Glück ihrer Väter +redeten und schwätzten, überkam Zarathustra keine kleine Lust, ihres +Eifers zu spotten: denn ersichtlich waren es sehr friedfertige Könige, +welche er vor sich sah, solche mit alten und feinen Gesichtern. Aber +er bezwang sich. "Wohlan! sprach er, dorthin führt der Weg, da liegt +die Höhle Zarathustra's; und dieser Tag soll einen langen Abend haben! +Jetzt aber ruft mich eilig ein Nothschrei fort von Euch. + +Es ehrt meine Höhle, wenn Könige in ihr sitzen und warten wollen: +aber, freilich, Ihr werdet lange warten müssen! + +Je nun! Was thut's! Wo lernt man heute besser warten als an Höfen? Und +der Könige ganze Tugend, die ihnen übrig blieb, - heisst sie heute +nicht: Warten-_können_?" + +Also sprach Zarathustra. + + + +Der Blutegel + +Und Zarathustra gieng nachdenklich weiter und tiefer, durch Wälder und +vorbei an moorigen Gründen; wie es aber Jedem ergeht, der über schwere +Dinge nachdenkt, so trat er unversehens dabei auf einen Menschen. Und +siehe, da sprützten ihm mit Einem Male ein Weheschrei und zwei Flüche +und zwanzig schlimme Schimpfworte in's Gesicht: also dass er in seinem +Schrecken den Stock erhob und auch auf den Getretenen noch zuschlug. +Gleich darauf aber kam ihm die Besinnung; und sein Herz lachte über +die Thorheit, die er eben gethan hatte. + +"Vergieb, sagte er zu dem Getretenen, der sich grimmig erhoben und +gesetzt hatte, vergieb und vernimm vor Allem erst ein Gleichniss. + +Wie ein Wanderer, der von fernen Dingen träumt, unversehens auf +einsamer Strasse einen schlafenden Hund anstösst, einen Hund, der in +der Sonne liegt: + +- wie da Beide auffahren, sich anfahren, Todfeinden gleich, diese zwei +zu Tod Erschrockenen: also ergieng es uns. + +Und doch! Und doch - wie wenig hat gefehlt, dass sie einander +liebkosten, dieser Hund und dieser Einsame! Sind sie doch Beide - +Einsame!" + +- "Wer du auch sein magst, sagte immer noch grimmig der Getretene, +du trittst mir auch mit deinem Gleichniss zu nahe, und nicht nur mit +deinem Fusse! + +Siehe doch, bin ich denn ein Hund?" - und dabei erhob sich der +Sitzende und zog seinen nackten Arm aus dem Sumpfe. Zuerst nämlich +hatte er ausgestreckt am Boden gelegen, verborgen und unkenntlich +gleich Solchen, die einem Sumpf-Wilde auflauern. + +"Aber was treibst du doch!" rief Zarathustra erschreckt, denn er +sahe, dass über den nackten Arm weg viel Blut floss, - was ist dir +zugestossen? Biss dich, du Unseliger, ein schlimmes Thier? + +Der Blutende lachte, immer noch erzürnt. "Was geht's dich an! sagte er +und wollte weitergehn. Hier bin ich heim und in meinem Bereiche. Mag +mich fragen, wer da will: einem Tölpel aber werde ich schwerlich +antworten." + +"Du irrst, sagte Zarathustra mitleidig und hielt ihn fest, du irrst: +hier bist du nicht bei dir, sondern in meinem Reiche, und darin soll +mir Keiner zu Schaden kommen. + +Nenne mich aber immerhin, wie du willst, - ich bin, der ich sein muss. +Ich selber heisse mich Zarathustra. + +Wohlan! Dort hinauf geht der Weg zu Zarathustra's Höhle: die ist nicht +fern, - willst du nicht bei mir deiner Wunden warten? + +Es gieng dir schlimm, du Unseliger, in diesem Leben: erst biss dich +das Thier, und dann - trat dich der Mensch!" - - + +Als aber der Getretene den Namen Zarathustra's hörte, verwandelte er +sich. "Was geschieht mir doch! rief er aus, _wer_ kümmert mich denn +noch in diesem Leben, als dieser Eine Mensch, nämlich Zarathustra, und +jenes Eine Thier, das vom Blute lebt, der Blutegel? + +Des Blutegels halber lag ich hier an diesem Sumpfe wie ein Fischer, +und schon war mein ausgehängter Arm zehn Mal angebissen, da beisst +noch ein schönerer Igel nach meinem Blute, Zarathustra selber! + +Oh Glück! Oh Wunder! Gelobt sei dieser Tag, der mich in diesen Sumpf +lockte! Gelobt sei der beste lebendigste Schröpfkopf, der heut lebt, +gelobt sei der grosse Gewissens-Blutegel Zarathustra!" - + +Also sprach der Getretene; und Zarathustra freute sich über seine +Worte und ihre feine ehrfürchtige Art. "Wer bist du? fragte er und +reichte ihm die Hand, zwischen uns bleibt Viel aufzuklären und +aufzuheitern: aber schon, dünkt mich, wird es reiner heller Tag." + +"Ich bin _der_Gewissenhafte_des_Geistes_, antwortete der Gefragte, und +in Dingen des Geistes nimmt es nicht leicht Einer strenger, enger und +härter als ich, ausgenommen der, von dem ich's lernte, Zarathustra +selber. + +Lieber Nichts wissen, als Vieles halb wissen! Lieber ein Narr sein auf +eigne Faust, als ein Weiser nach fremdem Gutdünken! Ich - gehe auf den +Grund: + +- was liegt daran, ob er gross oder klein ist? Ob er Sumpf oder Himmel +heisst? Eine Hand breit Grund ist mir genung: wenn er nur wirklich +Grund und Boden ist! + +- eine Hand breit Grund: darauf kann man stehn. In der rechten +Wissen-Gewissenschaft giebt es nichts Grosses und nichts Kleines." + +"So bist du vielleicht der Erkenner des Blutegels? fragte Zarathustra; +und du gehst dem Blutegel nach bis auf die letzten Gründe, du +Gewissenhafter?" + +"Oh Zarathustra, antwortete der Getretene, das wäre ein Ungeheures, +wie dürfte ich mich dessen unterfangen! + +Wess ich aber Meister und Kenner bin, das ist des Blutegels _Hirn_: - +das ist _meine_ Welt! + +Und es ist auch eine Welt! Vergieb aber, dass hier mein Stolz zu Worte +kommt, denn ich habe hier nicht meines Gleichen. Darum sprach ich +`hier bin ich heim.` + +Wie lange gehe ich schon diesem Einen nach, dem Hirn des Blutegels, +dass die schlüpfrige Wahrheit mir hier nicht mehr entschlüpfe! Hier +ist _mein_ Reich! + +- darob warf ich alles Andere fort, darob wurde mir alles. Andre +gleich; und dicht neben meinem Wissen lagert mein schwarzes Unwissen. + +Mein Gewissen des Geistes will es so von mir, dass ich Eins weiss und +sonst Alles nicht weiss: es ekelt mich aller Halben des Geistes, aller +Dunstigen, Schwebenden, Schwärmerischen. + +Wo meine Redlichkeit aufhört, bin ich blind und will auch blind sein. +Wo ich aber wissen will, will ich auch redlich sein, nämlich hart, +streng, eng, grausam, unerbittlich. + +Dass _du_ einst sprachst, oh Zarathustra: `Geist ist das Leben, das +selber in's Leben schneidet,` das führte und verführte mich zu deiner +Lehre. Und, wahrlich, mit eignem Blute mehrte ich mir das eigne +Wissen!" + +- "Wie der Augenschein lehrt," fiel Zarathustra ein; denn immer noch +floss das Blut an dem nackten Arme des Gewissenhaften herab. Es hatten +nämlich zehn Blutegel sich in denselben eingebissen. + +"Oh du wunderlicher Gesell, wie Viel lehrt mich dieser Augenschein +da, nämlich du selber! Und nicht Alles dürfte ich vielleicht in deine +strengen Ohren giessen! + +Wohlan! So scheiden wir hier! Doch möchte ich gerne dich wiederfinden. +Dort hinauf führt der Weg zu meiner Höhle: heute Nacht sollst du dort +mein lieber Gast sein! + +Gerne möchte ich's auch an deinem Leibe wieder gut machen, dass +Zarathustra dich mit Füssen trat: darüber denke ich nach. Jetzt aber +ruft mich ein Nothschrei eilig fort von dir." + +Also sprach Zarathustra. + + + +Der Zauberer + +1. + +Als aber Zarathustra um einen Felsen herumbog, da sahe er, nicht +weit unter sich, auf dem gleichen Wege, einen Menschen, der die +Glieder warf wie ein Tobsüchtiger und endlich bäuchlings zur Erde +niederstürzte. "Halt! sprach da Zarathustra zu seinem Herzen, Der +dort muss wohl der höhere Mensch sein, von ihm kam jener schlimme +Nothschrei, - ich will sehn, ob da zu helfen ist." Als er aber +hinzulief, an die Stelle, wo der Mensch auf dem Boden lag, fand er +einen zitternden alten Mann mit stieren Augen; und wie sehr sich +Zarathustra mühte, dass er ihn aufrichte und wieder auf seine Beine +stelle, es war umsonst. Auch schien der Unglückliche nicht zu merken, +dass jemand um ihn sei; vielmehr sah er sich immer mit rührenden +Gebärden um, wie ein von aller Welt Verlassener und Vereinsamter. +Zuletzt aber, nach vielem Zittern, Zucken und Sich-zusammen-Krümmen, +begann er also zu jammern: + + Wer wärmt mich, wer liebt mich noch? + Gebt heisse Hände! + Gebt Herzens-Kohlenbecken! + Hingestreckt, schaudernd, + Halbtodtem gleich, dem man die Füsse wärmt - + Geschüttelt, ach! von unbekannten Fiebern, + Zitternd vor spitzen eisigen Frost-Pfeilen, + Von dir gejagt, Gedanke! + Unnennbarer! Verhüllter! Entsetzlicher! + Du Jäger hinter Wolken! + Darniedergeblitzt von dir, + Du höhnisch Auge, das mich aus Dunklem anblickt: + - so liege ich, + Biege mich, winde mich, gequält + Von allen ewigen Martern, + Getroffen + Von Dir, grausamster Jäger, + Du unbekannter - Gott! + + Triff tiefer, + Triff Ein Mal noch! + Zerstich, zerbrich diess Herz! + Was soll diess Martern + Mit zähnestumpfen Pfeilen? + Was blickst du wieder, + Der Menschen-Qual nicht müde, + Mit schadenfrohen Götter-Blitz-Augen? + Nicht tödten willst du, + Nur martern, martern? + Wozu - _mich_ martern, + Du schadenfroher unbekannter Gott? - + + Haha! Du schleichst heran? + Bei solcher Mitternacht + Was willst du? Sprich! + Du drängst mich, drückst mich - + Ha! schon viel zu nahe! + Weg! Weg! + Du hörst mich athmen, + Du behorchst mein Herz, + Du Eifersüchtiger - + Worauf doch eifersüchtig? + Weg! Weg! Wozu die Leiter? + Willst _du_hinein_, + In's Herz, + Einsteigen, in meine heimlichsten + Gedanken einsteigen? + Schamloser! Unbekannter - Dieb! + Was willst du dir erstehlen, + Was willst du dir erhorchen, + Was willst du dir erfoltern, + Du Folterer! + Du - Henker-Gott! + Oder soll ich, dem Hunde gleich, + Vor dir mich wälzen? + Hingebend, begeistert-ausser-mir, + Dir - Liebe zuwedeln? + + Umsonst! Stich weiter, + Grausamster Stachel! Nein, + Kein Hund - dein Wild nur bin ich, + Grausamster Jäger! + Dein stolzester Gefangner, + Du Räuber hinter Wolken! + Sprich endlich, + Was willst du, Wegelagerer, von _mir_? + Du Blitz-Verhüllter! Unbekannter! Sprich, + Was _willst_ du, unbekannter Gott? - - + + Wie? Lösegeld? + Was willst du Lösegelds? + Verlange Viel - das räth mein Stolz! + Und rede kurz - das räth mein andrer Stolz! + Haha! + + Mich - willst du? Mich? + Mich - ganz? + + Haha! + Und marterst mich, Narr, der du bist, + Zermarterst meinen Stolz? + Gieb _Liebe_ mir - wer wärmt mich noch? + Wer liebt mich noch? - gieb heisse Hände, + Gieb Herzens-Kohlenbecken, + Gieb mir, dem Einsamsten, + Den Eis, ach! siebenfaches Eis + Nach Feinden selber, + Nach Feinden schmachten lehrt, + Gieb, ja ergieb, + Grausamster Feind, + Mir - _dich_! - - + + Davon! + Da floh er selber, + Mein letzter einziger Genoss, + Mein grosser Feind, + Mein Unbekannter, + Mein Henker-Gott! - + + - Nein! Komm zurück, + Mit allen deinen Martern! + Zum Letzten aller Einsamen + Oh komm zurück! + All meine Thränen-Bäche laufen + Zu dir den Lauf! + + Und meine letzte Herzens-Flamme - + _Dir_ glüht sie auf! + Oh komm zurück, + Mein unbekannter Gott! Mein Schmerz! Mein letztes - + Glück! + + +2. + +- Hier aber konnte sich Zarathustra nicht länger halten, nahm seinen +Stock und schlug mit allen Kräften auf den jammernden los. "Halt ein! +schrie er ihm zu, mit ingrimmigem Lachen, halt ein, du Schauspieler! +Du Falschmünzer! Du Lügner aus dem Grunde! Ich erkenne dich wohl! + +Ich will dir schon warme Beine machen, du schlimmer Zauberer, ich +verstehe mich gut darauf, Solchen wie du bist - einzuheizen!" + +- "Lass ab, sagte der alte Mann und sprang vom Boden auf, schlage +nicht mehr, oh Zarathustra! Ich trieb's also nur zum Spiele! + +Solcherlei gehört zu meiner Kunst; dich selber wollte ich auf die +Probe stellen, als ich dir diese Probe gab! Und, wahrlich, du hast +mich gut durchschaut! + +Aber auch du - gabst mir von dir keine kleine Probe: du bist _hart_, +du weiser Zarathustra! Hart schlägst du zu mit deinen `Wahrheiten`, +dein Knüttel erzwingt von mir - _diese_ Wahrheit!" + +- "Schmeichle nicht, antwortete Zarathustra, immer noch erregt und +finsterblickend, du Schauspieler aus dem Grunde! Du bist falsch: was +redest du - von Wahrheit! + +Du Pfau der Pfauen, du Meer der Eitelkeit, _was_ spieltest du vor mir, +du schlimmer Zauberer, an _wen_ sollte ich glauben, als du in solcher +Gestalt jammertest?" + +"Den Büsser des Geistes, sagte der alte Mann, _den_ - spielte ich: du +selber erfandest einst diess Wort - + +- den Dichter und Zauberer, der gegen sich selber endlich seinen Geist +wendet, den Verwandelten, der an seinem bösen Wissen und Gewissen +erfriert. + +Und gesteh es nur ein: es währte lange, oh Zarathustra, bis du hinter +meine Kunst und Lüge kamst! _Du_glaubtest_ an meine Noth, als du mir +den Kopf mit beiden Händen hieltest, - + +- ich hörte dich jammern `man hat ihn zu wenig geliebt, zu wenig +geliebt!` Dass ich dich soweit betrog, darüber frohlockte inwendig +meine Bosheit." + +"Du magst Feinere betrogen haben als mich, sagte Zarathustra hart. Ich +bin nicht auf der Hut vor Betrügern, ich _muss_ ohne Vorsicht sein: so +will es mein Loos. + +Du aber - _musst_ betrügen: so weit kenne ich dich! Du musst immer +zwei- drei- vier- und fünfdeutig sein! Auch was du jetzt bekanntest, +war mir lange nicht wahr und nicht falsch genung! + +Du schlimmer Falschmünzer, wie könntest du anders! Deine Krankheit +würdest du noch schminken, wenn du dich deinem Arzte nackt zeigtest. + +So schminktest du eben vor mir deine Lüge, als du sprachst: `ich +trieb's also _nur_ zum Spiele!` Es war auch _Ernst_ darin, du _bist_ +Etwas von einem Büsser des Geistes! + +Ich errathe dich wohl: du wurdest der Bezauberer Aller, aber gegen +dich hast du keine Lüge und List mehr übrig, - du selber bist dir +entzaubert! + +Du erntetest den Ekel ein, als deine Eine Wahrheit. Kein Wort ist mehr +an dir ächt, aber dein Mund: nämlich der Ekel, der an deinem Munde +klebt." - - + +- "Wer bist du doch! schrie hier der alte Zauberer mit einer trotzigen +Stimme, wer darf also zu _mir_ reden, dem Grössten, der heute lebt?" +- und ein grüner Blitz schoss aus seinem Auge nach Zarathustra. Aber +gleich darauf verwandelte er sich und sagte traurig: + +"Oh Zarathustra, ich bin's müde, es ekelt mich meiner Künste, ich bin +nicht _gross_, was verstelle ich mich! Aber, du weisst es wohl - ich +suchte nach Grösse! + +Einen grossen Menschen wollte ich vorstellen und überredete Viele: +aber diese Lüge gieng über meine Kraft. An ihr zerbreche ich. + +Oh Zarathustra, Alles ist Lüge an mir; aber dass ich zerbreche - diess +mein Zerbrechen ist _ächt_!" - + +"Es ehrt dich, sprach Zarathustra düster und zur Seite niederblickend, +es ehrt dich, dass du nach Grösse suchtest, aber es verräth dich auch. +Du bist nicht gross. + +Du schlimmer alter Zauberer, _das_ ist dein Bestes und Redlichstes, +was ich an dir ehre, dass du deiner müde wurdest und es aussprachst: +`ich bin nicht gross.` + +_Darin_ ehre ich dich als einen Büsser des Geistes: und wenn auch nur +für einen Hauch und Husch, diesen Einen Augenblick warst du - ächt. + +Aber sprich, was suchst du hier in _meinen_ Wäldern und Felsen? Und +wenn du _mir_ dich in den Weg legtest, welche Probe wolltest du von +mir? - + +- wess versuchtest du _mich_?" - + +Also sprach Zarathustra, und seine Augen funkelten. Der alte Zauberer +schwieg eine Weile, dann sagte er: "Versuchte ich dich? Ich - suche +nur. + +Oh Zarathustra, ich suche einen Ächten, Rechten, Einfachen, +Eindeutigen, einen Menschen aller Redlichkeit, ein Gefäss der +Weisheit, einen Heiligen der Erkenntniss, einen grossen Menschen! + +Weisst du es denn nicht, oh Zarathustra? Ich suche Zarathustra." + +- Und hier entstand ein langes Stillschweigen zwischen Beiden; +Zarathustra aber versank tief hinein in sich selber, also dass er die +Augen schloss. Dann aber, zu seinem Unterredner zurückkehrend, ergriff +er die Hand des Zauberers und sprach, voller Artigkeit und Arglist: + +"Wohlan! Dort hinauf führt der Weg, da liegt die Höhle Zarathustra's. +In ihr darfst du suchen, wen du finden möchtest. + +Und frage meine Thiere um Rath, meinen Adler und meine Schlange: die +sollen dir suchen helfen. Meine Höhle aber ist gross. + +Ich selber freilich - ich sah noch keinen grossen Menschen. Was gross +ist, dafür ist das Auge der Feinsten heute grob. Es ist das Reich des +Pöbels. + +So Manchen fand ich schon, der streckte und blähte sich, und das +Volk schrie: `Seht da, einen grossen Menschen!` Aber was helfen alle +Blasebälge! Zuletzt fährt der Wind heraus. + +Zuletzt platzt ein Frosch, der sich zu lange aufblies: da fährt der +Wind heraus. Einem Geschwollnen in den Bauch stechen, das heisse ich +eine brave Kurzweil. Hört das, ihr Knaben! + +Diess Heute ist des Pöbels: wer _weiss_ da noch, was gross, was klein +ist! Wer suchte da mit Glück nach Grösse! Ein Narr allein: den Narren +glückt's. + +Du suchst nach grossen Menschen, du wunderlicher Narr? Wer _lehrte's_ +dich? Ist heute dazu die Zeit? Oh du schlimmer Sucher, was - versuchst +du mich?" - - + +Also sprach Zarathustra, getrösteten Herzens, und gierig lachend +seines Wegs fürbass. + + + +Ausser Dienst + +Nicht lange aber, nachdem Zarathustra sich von dem Zauberer losgemacht +hatte, sahe er wiederum Jemanden am Wege sitzen, den er gierig, +nämlich einen schwarzen langen Mann mit einem hageren Bleichgesicht: +_der_ verdross ihn gewaltig. "Wehe, sprach er zu seinem Herzen, da, +sitzt vermummte Trübsal, das dünkt mich von der Art der Priester: was +wollen _die_ in meinem Reiche? + +Wie! Kaum bin ich jenem Zauberer entronnen: muss mir da wieder ein +anderer Schwarzkünstler über den Weg laufen, - + +- irgend ein Hexenmeister mit Handauflegen, ein dunkler Wunderthäter +von Gottes Gnaden, ein gesalbter Welt-Verleumder, den der Teufel holen +möge! + +Aber der Teufel ist nie am Platze, wo er am Platze wäre: immer kommt +er zu spät, dieser vermaledeite Zwerg und Klumpfuss!" - + +Also fluchte Zarathustra ungeduldig in seinem Herzen und gedachte, wie +er abgewandten Blicks an dem schwarzen Manne vorüberschlüpfe: aber +siehe, es kam anders. Im gleichen Augenblicke nämlich hatte ihn schon +der Sitzende erblickt; und nicht unähnlich einem Solchen, dem ein +unvermuthetes Glück zustösst, sprang er auf und gieng auf Zarathustra +los. + +"Wer du auch bist, du Wandersmann, sprach er, hilf einem Verirrten, +einem Suchenden, einem alten Manne, der hier leicht zu Schaden kommt! + +Diese Welt hier ist mir fremd und fern, auch hörte ich wilde Thiere +heulen; und Der, welcher mir hätte Schutz bieten können, der ist +selber nicht mehr. + +Ich suchte den letzten frommen Menschen, einen Heiligen und +Einsiedler, der allein in seinem Walde noch Nichts davon gehört hatte, +was alle Welt heute weiss." + +"_Was_ weiss heute alle Welt? fragte Zarathustra. Etwa diess, dass der +alte Gott nicht mehr lebt, an den alle Welt einst geglaubt hat?" + +"Du sagst es, antwortete der alte Mann betrübt. Und ich diente diesem +alten Gotte bis zu seiner letzten Stunde. + +Nun aber bin ich ausser Dienst, ohne Herrn, und doch nicht frei, auch +keine Stunde mehr lustig, es sei denn in Erinnerungen. + +Dazu stieg ich in diese Berge, dass ich endlich wieder ein Fest mir +machte, wie es einem alten Papste und Kirchen-Vater zukommt: denn +wisse, ich bin der letzte Papst! - ein Fest frommer Erinnerungen und +Gottesdienste. + +Nun aber ist er selber todt, der frömmste Mensch, jener Heilige im +Walde, der seinen Gott beständig mit Singen und Brummen lobte. + +Ihn selber fand ich nicht mehr, als ich seine Hütte fand, - wohl aber +zwei Wölfe darin, welche um seinen Tod heulten - denn alle Thiere +liebten ihn. Da lief ich davon. + +Kam ich also umsonst in diese Wälder und Berge? Da entschloss sich +mein Herz, dass ich einen Anderen suchte, den Frömmsten aller Derer, +die nicht an Gott glauben -, dass ich Zarathustra suchte!" + +Also sprach der Greis und blickte scharfen Auges Den an, welcher vor +ihm stand; Zarathustra aber ergriff die Hand des alten Papstes und +betrachtete sie lange mit Bewunderung. + +"Siehe da, du Ehrwürdiger, sagte er dann, welche schöne und lange +Hand! Das ist die Hand eines Solchen, der immer Segen ausgetheilt hat. +Nun aber hält sie Den fest, welchen du suchst, mich, Zarathustra. + +Ich bin's, der gottlose Zarathustra, der da spricht: wer ist gottloser +als ich, dass ich mich seiner Unterweisung freue?" - + +Also sprach Zarathustra und durchbohrte mit seinen Blicken die +Gedanken und Hintergedanken des alten Papstes. Endlich begann dieser: + +"Wer ihn am meisten liebte und besass, der hat ihn nun am meisten auch +verloren -: + +- siehe, ich selber bin wohl von uns Beiden jetzt der Gottlosere? Aber +wer könnte daran sich freuen!" - + +"Du dientest ihm bis zuletzt, fragte Zarathustra nachdenklich, nach +einem tiefen Schweigen, du weisst, _wie_ er starb? Ist es wahr, was +man spricht, dass ihn das Mitleiden erwürgte, + +- dass er es sah, wie _der_Mensch_ am Kreuze hieng, und es nicht +ertrug, dass die Liebe zum Menschen seine Hölle und zuletzt sein Tod +wurde?" - - + +Der alte Papst aber antwortete nicht, sondern blickte scheu und mit +einem schmerzlichen und düsteren Ausdrucke zur Seite. + +"Lass ihn fahren, sagte Zarathustra nach einem langen Nachdenken, +indem er immer noch dem alten Manne gerade in's Auge blickte. + +Lass ihn fahren, er ist dahin. Und ob es dich auch ehrt, dass du +diesem Todten nur Gutes nachredest, so weisst du so gut als ich, _wer_ +er war; und dass er wunderliche Wege gieng." + +"Unter drei Augen gesprochen, sagte erheitert der alte Papst (denn er +war auf Einem Auge blind), in Dingen Gottes bin ich aufgeklärter als +Zarathustra selber - und darf es sein. + +Meine Liebe diente ihm lange Jahre, mein Wille gierig allem seinen +Willen nach. Ein guter Diener aber weiss Alles, und Mancherlei auch, +was sein Herr sich selbst verbirgt. + +Es war ein verborgener Gott, voller Heimlichkeit. Wahrlich zu einem +Sohne sogar kam er nicht anders als auf Schleichwegen. An der Thür +seines Glaubens steht der Ehebruch. + +Wer ihn als einen Gott der Liebe preist, denkt nicht hoch genug von +der Liebe selber. Wollte dieser Gott nicht auch Richter sein? Aber der +Liebende liebt jenseits von Lohn und Vergeltung. + +Als er jung war, dieser Gott aus dem Morgenlande, da war er hart und +rachsüchtig und erbaute sich eine Hölle zum Ergötzen seiner Lieblinge. + +Endlich aber wurde er alt und weich und mürbe und mitleidig, einem +Grossvater ähnlicher als einem Vater, am ähnlichsten aber einer +wackeligen alten Grossmutter. + +Da sass er, welk, in seinem Ofenwinkel, härmte sich ob seiner +schwachen Beine, weltmüde, willensmüde, und erstickte eines Tags an +seinem allzugrossen Mitleiden." - - + +"Du alter Papst, sagte hier Zarathustra dazwischen, hast du _Das_ mit +Augen angesehn? Es könnte wohl so abgegangen sein: so, _und_ auch +anders. Wenn Götter sterben, sterben sie immer viele Arten Todes. + +Aber wohlan! So oder so, so und so - er ist dahin! Er gieng meinen +Ohren und Augen wider den Geschmack, Schlimmeres möchte ich ihm nicht +nachsagen. + +Ich liebe Alles, was hell blickt und redlich redet. Aber er - du +weisst es ja, du alter Priester, es war Etwas von deiner Art an ihm, +von Priester-Art - er war vieldeutig. + +Er war auch undeutlich. Was hat er uns darob gezürnt, dieser +Zornschnauber, dass wir ihn schlecht verstanden Aber warum sprach er +nicht reinlicher? + +Und lag es an unsern Ohren, warum gab er uns Ohren, die ihn schlecht +hörten? War Schlamm in unsern Ohren, wohlan! wer legte ihn hinein? + +Zu Vieles missrieth ihm, diesem Töpfer, der nicht ausgelernt hatte! +Dass er aber Rache an seinen Töpfen und Geschöpfen nahm, dafür +dass sie ihm schlecht geriethen, - das war eine Sünde wider den +_guten_Geschmack_. + +Es giebt auch in der Frömmigkeit guten Geschmack: der sprach endlich +`Fort mit einem _solchen_ Gotte! Lieber keinen Gott, lieber auf eigne +Faust Schicksal machen, lieber Narr sein, lieber selber Gott sein!`" + +- "Was höre ich! sprach hier der alte Papst mit gespitzten Ohren; +oh Zarathustra, du bist frömmer als du glaubst, mit einem solchen +Unglauben! Irgend ein Gott in dir bekehrte dich zu deiner +Gottlosigkeit. + +Ist es nicht deine Frömmigkeit selber, die dich nicht mehr an einen +Gott glauben lässt? Und deine übergrosse Redlichkeit wird dich auch +noch jenseits von Gut und Böse wegfuhren! + +Siehe, doch, was blieb dir aufgespart? Du hast Augen und Hand und +Mund, die sind zum Segnen vorher bestimmt seit Ewigkeit. Man segnet +nicht mit der Hand allein. + +In deiner Nähe, ob du schon der Gottloseste sein willst, wittere ich +einen heimlichen Weih- und Wohlgeruch von langen Segnungen: mir wird +wohl und wehe dabei. + +Lass mich deinen Gast sein, oh Zarathustra, für eine einzige Nacht! +Nirgends auf Erden wird es mir jetzt wohler als bei dir!" - + +"Amen! So soll es sein! sprach Zarathustra mit grosser Verwunderung, +dort hinauf führt der Weg, da liegt die Höhle Zarathustra's. + +Gerne, fürwahr, würde ich dich selber dahin geleiten, du Ehrwürdiger, +denn ich liebe alle frommen Menschen. Aber jetzt ruft mich eilig ein +Nothschrei weg von dir. + +In meinem Bereiche soll mir Niemand zu Schaden kommen; meine Höhle ist +ein guter Hafen. Und am liebsten möchte ich jedweden Traurigen wieder +auf festes Land und feste Beine stellen. + +Wer aber nähme dir _deine_ Schwermuth von der Schulter? Dazu bin ich +zu schwach. Lange, wahrlich, möchten wir warten, bis dir Einer deinen +Gott wieder aufweckt. + +Dieser alte Gott nämlich lebt nicht mehr: der ist gründlich todt." - + +Also sprach Zarathustra. + + + +Der hässlichste Mensch + +- Und wieder liefen Zarathustra's Füsse durch Berge und Wälder, und +seine Augen suchten und suchten, aber nirgends war Der zu sehen, +welchen sie sehn wollten, der grosse Nothleidende und Nothschreiende. +Auf dem ganzen Wege aber frohlockte er in seinem Herzen und war +dankbar. "Welche guten Dinge, sprach er, schenkte mir doch dieser Tag, +zum Entgelt, dass er schlimm begann! Welche seltsamen Unterredner fand +ich! + +An deren Worten will ich lange nun kauen gleich als an guten Körnern; +klein soll mein Zahn sie mahlen und malmen, bis sie mir wie Milch in +die Seele fliessen!" - - + +Als aber der Weg wieder um einen Felsen bog, veränderte sich mit Einem +Male die Landschaft, und Zarathustra trat in ein Reich des Todes. Hier +starrten schwarze und rothe Klippen empor: kein Gras, kein Baum, keine +Vogelstimme. Es war nämlich ein Thal, welches alle Thiere mieden, +auch die Raubthiere-, nur dass eine Art hässlicher, dicker, grüner +Schlangen, wenn sie alt wurden, hierher kamen, um zu sterben. Darum +nannten diess Thal die Hirten: Schlangen-Tod. + +Zarathustra aber versank in eine schwarze Erinnerung, denn ihm war, +als habe er schon ein Mal in diesem Thal gestanden. Und vieles Schwere +legte sich ihm über den Sinn: also, dass er langsam gieng und immer +langsamer und endlich still stand. Da aber sahe er, als er die Augen +aufthat, Etwas, das am Wege sass, gestaltet wie ein Mensch und kaum +wie ein Mensch, etwas Unaussprechliches. Und mit Einem Schlage +überfiel Zarathustra die grosse Scham darob, dass er so Etwas mit den +Augen angesehn habe: erröthend bis hinauf an sein weisses Haar, wandte +er den Blick ab und hob den Fuss, dass er diese schlimme Stelle +verlasse. Da aber wurde die todte Öde laut: vom Boden auf nämlich +quoll es gurgelnd und röchelnd, wie Wasser Nachts durch verstopfte +Wasser-Röhren gurgelt und röchelt; und zuletzt wurde daraus eine +Menschen-Stimme und Menschen-Rede: - die lautete also. + +"Zarathustra! Zarathustra! Rathe mein Räthsel! Sprich, sprich! Was ist +_die_Rache_am_Zeugen_? + +Ich locke dich zurück, hier ist glattes Eis! Sieh zu, sieh zu, ob dein +Stolz sich hier nicht die Beine bricht! + +Du dünkst dich weise, du stolzer Zarathustra! So rathe doch das +Räthsel, du harter Nüsseknacker, - das Räthsel, das ich bin! So sprich +doch - wer bin _ich_!" + +- Als aber Zarathustra diese Worte gehört hatte, - was glaubt ihr +wohl, dass sich da mit seiner Seele zutrug? Das Mitleiden fiel ihn an; +und er sank mit Einem Male nieder, wie ein Eichbaum, der lange vielen +Holzschlägern widerstanden hat, - schwer, plötzlich, zum Schrecken +selber für Die, welche ihn fällen wollten. Aber schon stand er wieder +vom Boden auf, und sein Antlitz wurde hart. + +"Ich erkenne dich wohl, sprach er mit einer erzenen Stimme: du bist +der Mörder Gottes! Lass mich gehn. + +Du _ertrugst_ Den nicht, der _dich_ sah, - der dich immer und durch +und durch sah, du hässlichster Mensch! Du nahmst Rache an diesem +Zeugen!" + +Also sprach Zarathustra und wollte davon; aber der Unaussprechliche +fasste nach einem Zipfel seines Gewandes und begann von Neuem zu +gurgeln und nach Worten zu suchen. "Bleib!" sagte er endlich - + +- "bleib! Geh nicht vorüber! Ich errieth, welche Axt dich zu Boden +schlug: Heil dir, oh Zarathustra, dass du wieder stehst! + +Du erriethest, ich weiss es gut, wie Dem zu Muthe ist, der ihn +tödtete, - dem Mörder Gottes. Bleib! Setze dich her zu mir, es ist +nicht umsonst. + +Zu wem wollte ich, wenn nicht zu dir? Bleib, setze dich! Blicke mich +aber nicht an! Ehre also - meine Hässlichkeit! + +Sie verfolgen mich: nun bist _du_ meine letzte Zuflucht. _Nicht_ mit +ihrem Hasse, _nicht_ mit ihren Häschern: - oh solcher Verfolgung würde +ich spotten und stolz und froh sein! + +War nicht aller Erfolg bisher bei den Gut-Verfolgten? Und wer gut +verfolgt, lernt leicht _folgen_: - ist er doch einmal - hinterher! +Aber ihr _Mitleid_ ist's - + +- ihr Mitleid ist's, vor dem ich flüchte und dir zuflüchte. Oh +Zarathustra, schütze mich, du meine letzte Zuflucht, du Einziger, der +mich errieth: + +- du erriethest, wie Dem zu Muthe ist, welcher _ihn_ tödtete. Bleib! +Und willst du gehn, du Ungeduldiger: geh nicht den Weg, den ich kam. +_Der_ Weg ist schlecht. + +Zürnst du mir, dass ich zu lange schon rede-rade-breche? Dass ich +schon dir rathe? Aber wisse, ich bin's, der hässlichste Mensch, + +- der auch die grössten schwersten Füsse hat. Wo _ich_ gieng, ist der +Weg schlecht. Ich trete alle Wege todt und zu Schanden. + +Dass du aber an mir vorübergiengst, schweigend; dass du erröthetest, +ich sah es wohl: daran erkannte ich dich als Zarathustra. + +Jedweder Andere hätte mir sein Almosen zugeworfen, sein Mitleiden, +mit Blick und Rede. Aber dazu - bin ich nicht Bettler genug, das +erriethest du - + +- dazu bin ich zu _reich_, reich an Grossem, an Furchtbarem, am +Hässlichsten, am Unaussprechlichsten! Deine Scham, oh Zarathustra, +_ehrte_ mich! + +Mit Noth kam ich heraus aus dem Gedräng der Mitleidigen, - dass ich +den Einzigen fände, der heute lehrt `Mitleiden ist zudringlich` - +dich, oh Zarathustra! + +- sei es eines Gottes, sei es der Menschen Mitleiden: Mitleiden geht +gegen die Scham. Und nicht-helfen-wollen kann vornehmer sein als jene +Tugend, die zuspringt. + +_Das_ aber heisst heute Tugend selber bei allen kleinen Leuten, das +Mitleiden: - die haben keine Ehrfurcht vor grossem Unglück, vor +grosser Hässlichkeit, vor grossem Missrathen. + +Über diese Alle blicke ich hinweg, wie ein Hund über die Rücken +wimmelnder Schafheerden wegblickt. Es sind kleine wohlwollige +wohlwillige graue Leute. + +Wie ein Reiher verachtend über flache Teiche wegblickt, mit +zurückgelegtem Kopfe: so blicke ich über das Gewimmel grauer kleiner +Wellen und Willen und Seelen weg. + +Zu lange hat man ihnen Recht gegeben, diesen kleinen Leuten: _so_ gab +man ihnen endlich auch die Macht - nun lehren sie: `gut ist nur, was +kleine Leute gut heissen.` + +Und `Wahrheit` heisst heute, was der Prediger sprach, der selber aus +ihnen herkam, jener wunderliche Heilige und Fürsprecher der kleinen +Leute, welcher von sich zeugte `ich - bin die Wahrheit.` + +Dieser Unbescheidne macht nun lange schon den kleinen Leuten den Kamm +hoch schwellen - er, der keinen kleinen Irrthum lehrte, als er lehrte +`ich - bin die Wahrheit.` + +Ward einem Unbescheidnen jemals höflicher geantwortet? - Du aber, oh +Zarathustra, giengst an ihm vorüber und sprachst: `Nein! Nein! Drei +Mal Nein!` + +Du warntest vor seinem Irrthum, du warntest als der Erste vor dem +Mitleiden - nicht Alle, nicht Keinen, sondern dich und deine Art. + +Du schämst dich an der Scham des grossen Leidenden; und wahrlich, wenn +du sprichst `von dem Mitleiden her kommt eine grosse Wolke, habt Acht, +ihr Menschen!` + +- wenn du lehrst `alle Schaffenden sind hart, alle grosse Liebe +ist über ihrem Mitleiden`: oh Zarathustra, wie gut dünkst du mich +eingelernt auf Wetter-Zeichen! + +Du selber aber - warne dich selber auch vor _deinem_ Mitleiden! +Denn Viele sind zu dir unterwegs, viele Leidende, Zweifelnde, +Verzweifelnde, Ertrinkende, Frierende - + +Ich warne dich auch vor mir. Du erriethest mein bestes, schlimmstes +Räthsel, mich selber und was ich that. Ich kenne die Axt, die dich +fällt. + +Aber er - _musste_ sterben: er sah mit Augen, welche _Alles_ sahn, - +er sah des Menschen Tiefen und Gründe, alle seine verhehlte Schmach +und Hässlichkeit. + +Sein Mitleiden kannte keine Scham: er kroch in meine schmutzigsten +Winkel. Dieser Neugierigste, Über-Zudringliche, Über-Mitleidige musste +sterben. + +Er sah immer _mich_: an einem solchen Zeugen wollte ich Rache haben - +oder selber nicht leben. + +Der Gott, der Alles sah, _auch_den_Menschen_ dieser Gott musste +sterben! Der Mensch _erträgt_ es nicht, dass solch ein Zeuge lebt." + +Also, sprach der hässlichste Mensch. Zarathustra aber erhob sich +und schickte sich an fortzugehn: denn ihn fröstelte bis in seine +Eingeweide. + +"Du Unaussprechlicher, sagte er, du warntest mich vor deinem Wege. +Zum Danke dafür lobe ich dir den meinen. Siehe, dort hinauf liegt die +Höhle Zarathustra's. + +Meine Höhle ist gross und tief und hat viele Winkel; da findet der +Versteckteste sein Versteck. Und dicht bei ihr sind hundert Schlüpfe +und Schliche für kriechendes, flatterndes und springendes Gethier. + +Du Ausgestossener, der du dich selber ausstiessest, du willst nicht +unter Menschen und Menschen-Mitleid wohnen? Wohlan, so thu's mir +gleich! So lernst du auch von mir; nur der Thäter lernt. + +Und rede zuerst und -nächst mit meinen Thieren! Das stolzeste Thier +und das klügste Thier - die möchten uns Beiden wohl die rechten +Rathgeber sein!" - - + +Also sprach Zarathustra und gieng seiner Wege, nachdenklicher und +langsamer noch als zuvor: denn er fragte sich Vieles und wusste sich +nicht leicht zu antworten. + +"Wie arm ist doch der Mensch! dachte er in seinem Herzen, wie +hässlich, wie röchelnd, wie voll verborgener Scham! + +Man sagt mir, dass der Mensch sich selber liebe: ach, wie gross muss +diese Selber-Liebe sein! Wie viel Verachtung hat sie wider sich! + +Auch dieser da liebte sich, wie er sich verachtete, - ein grosser +Liebender ist er mir und ein grosser Verächter. + +Keinen fand ich noch, der sich tiefer verachtet hätte: auch _Das_ ist +Höhe. Wehe, war _Der_ vielleicht der höhere Mensch, dessen Schrei ich +hörte? + +Ich liebe die grossen Verachtenden. Der Mensch aber ist Etwas, das +überwunden werden muss." - - + + + +Der freiwillige Bettler + +Als Zarathustra den hässlichsten Menschen verlassen hatte, fror ihn, +und er fühlte sich einsam: es gieng ihm nämlich vieles Kalte und +Einsame durch die Sinne, also, dass darob auch seine Glieder kälter +wurden. Indem er aber weiter und weiter stieg, hinauf, hinab, bald an +grünen Weiden vorbei, aber auch über wilde steinichte Lager, wo ehedem +wohl ein ungeduldiger Bach sich zu Bett gelegt hatte.- da wurde ihm +mit Einem Male wieder wärmer und herzlicher zu Sinne. + +"Was geschah mir doch? fragte er sich, etwas Warmes und Lebendiges +erquickt mich, das muss in meiner Nähe sein. + +Schon bin ich weniger allein; unbewusste Gefährten und Brüder +schweifen um mich, ihr warmer Athem rührt an meine Seele." + +Als er aber um sich spähete und nach den Tröstern seiner Einsamkeit +suchte: siehe, da waren es Kühe, welche auf einer Anhöhe bei einander +standen; deren Nähe und Geruch hatten sein Herz erwärmt. Diese Kühe +aber schienen mit Eifer einem Redenden zuzuhören und gaben nicht auf +Den Acht, der herankam. Wie aber Zarathustra ganz in ihrer Nähe war, +hörte er deutlich, dass eine Menschen-Stimme aus der Mitte der Kühe +heraus redete; und ersichtlich hatten sie allesammt ihre Köpfe dem +Redenden zugedreht. + +Da sprang Zarathustra mit Eifer hinauf und drängte die Thiere +auseinander, denn er fürchtete, dass hier jemandem ein Leids geschehn +sei, welchem schwerlich das Mitleid von Kühen abhelfen mochte. Aber +darin hatte er sich getäuscht; denn siehe, da sass ein Mensch auf der +Erde und schien den Thieren zuzureden, dass sie keine Scheu vor ihm +haben sollten, ein friedfertiger Mensch und Berg-Prediger, aus dessen +Augen die Güte selber predigte. "Was suchst du hier?" rief Zarathustra +mit Befremden. + +"Was ich hier suche? antwortete er: das Selbe, was du suchst, du +Störenfried! nämlich das Glück auf Erden. + +Dazu aber möchte ich von diesen Kühen lernen. Denn, weisst du wohl, +einen halben Morgen schon rede ich ihnen zu, und eben wollten sie mir +Bescheid geben. Warum doch störst du sie? + +So wir nicht umkehren und werden wie die Kühe, so kommen wir nicht +in das Himmelreich. Wir sollten ihnen nämlich Eins ablernen: das +Wiederkäuen. + +Und wahrlich, wenn der Mensch auch die ganze Welt gewönne und lernte +das Eine nicht, das Wiederkäuen: was hülfe es! Er würde nicht seine +Trübsal los + +- seine grosse Trübsal: die aber heisst heute _Ekel_. Wer hat heute +von Ekel nicht Herz, Mund und Augen voll? Auch du! Auch du! Aber siehe +doch diese Kühe an!" - + +Also sprach der Berg-Prediger und wandte dann seinen eignen Blick +Zarathustra zu, - denn bisher hieng er mit Liebe an den Kühen -: da +aber verwandelte er sich. "Wer ist das, mit dem ich rede? rief er +erschreckt und sprang vom Boden empor. + +Diess ist der Mensch ohne Ekel, diess ist Zarathustra selber, der +Überwinder des grossen Ekels, diess ist das Auge, diess ist der Mund, +diess ist das Herz Zarathustra's selber." + +Und indem er also sprach, küsste er Dem, zu welchem er redete, die +Hände, mit überströmenden Augen, und gebärdete sich ganz als Einer, +dem ein kostbares Geschenk und Kleinod unversehens vom Himmel fällt. +Die Kühe aber schauten dem Allen zu und wunderten sich. + +"Sprich nicht von mir, du Wunderlicher! Lieblicher! sagte Zarathustra +und wehrte seiner Zärtlichkeit, sprich mir erst von dir! Bist du nicht +der freiwillige Bettler, der einst einen grossen Reichthum von sich +warf, - + +- der sich seines Reichthums schämte und der Reichen, und zu den +Ärmsten floh, dass er ihnen seine Fülle und sein Herz schenke? Aber +sie nahmen ihn nicht an." + +"Aber sie nahmen mich nicht an, sagte der freiwillige Bettler, du +weisst es ja. So gieng ich endlich zu den Thieren und zu diesen +Kühen." + +"Da lerntest du, unterbrach Zarathustra den Redenden, wie es schwerer +ist, recht geben als recht nehmen, und dass gut schenken eine _Kunst_ +ist und die letzte listigste Meister-Kunst der Güte." + +"Sonderlich heutzutage, antwortete der freiwillige Bettler: heute +nämlich, wo alles Niedrige aufständisch ward und scheu und auf seine +Art hoffährtig: nämlich auf Pöbel-Art. + +Denn es kam die Stunde, du weisst es ja, für den grossen schlimmen +langen langsamen Pöbel- und Sklaven-Aufstand: der wächst und wächst! + +Nun empört die Niedrigen alles Wohlthun und kleine Weggeben; und die +Überreichen mögen auf der Hut sein! + +Wer heute gleich bauchichten Flaschen tröpfelt aus allzuschmalen +Hälsen: - solchen Flaschen bricht man heute gern den Hals. + +Lüsterne Gier, gallichter Neid, vergrämte Rachsucht, Pöbel-Stolz: das +sprang mir Alles in's Gesicht. Es ist nicht mehr wahr, dass die Armen +selig sind. Das Himmelreich aber ist bei den Kühen." + +Und warum ist es nicht bei den Reichen? fragte Zarathustra versuchend, +während er den Kühen wehrte, die den Friedfertigen zutraulich +anschnauften. + +"Was versuchst du mich? antwortete dieser. Du weisst es selber besser +noch als ich. Was trieb mich doch zu den Ärmsten, oh Zarathustra? War +es nicht der Ekel vor unsern Reichsten? + +- vor den Sträflingen des Reichthums, welche sich ihren Vortheil aus +jedem Kehricht auflesen, mit kalten Augen, geilen Gedanken, vor diesem +Gesindel, das gen Himmel stinkt, + +- vor diesem vergüldeten verfälschten Pöbel, dessen Väter Langfinger +oder Aasvögel oder Lumpensammler waren, mit Weibern willfährig, +lüstern, vergesslich: - sie haben's nämlich alle nicht weit zur Hure - + +Pöbel oben, Pöbel unten! Was ist heute noch `Arm` und `Reich`! Diesen +Unterschied verlernte ich, - da floh ich davon, weiter, immer weiter, +bis ich zu diesen Kühen kam." + +Also sprach der Friedfertige und schnaufte selber und schwitzte +bei seinen Worten: also dass die Kühe sich von Neuem wunderten. +Zarathustra aber sah ihm immer mit Lächeln in's Gesicht, als er so +hart redete, und schüttelte dazu schweigend den Kopf. + +"Du thust dir Gewalt an, du Berg-Prediger, wenn du solche harte Worte +brauchst. Für solche Härte wuchs dir nicht der Mund, nicht das Auge. + +Auch, wie mich dünkt, dein Magen selber nicht: _dem_ widersteht all +solches Zürnen und Hassen und Überschäumen. Dein Magen will sanftere +Dinge: du bist kein Fleischer. + +Vielmehr dünkst du mich ein Pflanzler und Wurzelmann. Vielleicht +malmst du Körner. Sicherlich aber bist du fleischlichen Freuden abhold +und liebst den Honig." + +"Du erriethst mich gut, antwortete der freiwillige Bettler, mit +erleichtertem Herzen. Ich liebe den Honig, ich malme auch Körner, denn +ich suchte, was lieblich mundet und reinen Athem macht: + +- auch was lange Zeit braucht, ein Tag- und Maul-Werk für sanfte +Müssiggänger und Tagediebe. + +Am weitesten freilich brachten es diese Kühe: die erfanden sich das +Wiederkäuen und In-der-Sonne-Liegen. Auch enthalten sie sich aller +schweren Gedanken, welche das Herz blähn." + +"- Wohlan! sagte Zarathustra: du solltest auch _meine_ Thiere sehn, +meinen Adler und meine Schlange, - ihres Gleichen giebt es heute nicht +auf Erden. + +Siehe, dorthin führt der Weg zu meiner Höhle: sei diese Nacht ihr +Gast. Und rede mit meinen Thieren vom Glück der Thiere, - + +- bis ich selber heimkomme. Denn jetzt ruft ein Nothschrei Mich +eilig weg von dir. Auch findest du neuen Honig bei mir, eisfrischen +Waben-Goldhonig: den iss! + +Jetzt aber nimm flugs Abschied von deinen Kühen, du Wunderlicher! +Lieblicher! ob es dir schon schwer werden mag. Denn es sind deine +wärmsten Freunde und Lehrmeister!" - + +"- Einen ausgenommen, den ich noch lieber habe, antwortete der +freiwillige Bettler. Du selber bist gut und besser noch als eine Kuh, +oh Zarathustra!" + +"Fort, fort mit dir! du arger Schmeichler! schrie Zarathustra mit +Bosheit, was verdirbst du mich mit solchem Lob und Schmeichel-Honig?" + +"Fort, fort von mir!" schrie er noch Ein Mal und schwang seinen Stock +nach dem zärtlichen Bettler: der aber lief hurtig davon. + + + +Der Schatten + +Kaum aber war der freiwillige Bettler davongelaufen und Zarathustra +wieder mit sich allein, da hörte er hinter sich eine neue Stimme: die +rief "Halt! Zarathustra! So warte doch! Ich bin's ja, oh Zarathustra, +ich, dein Schatten!" Aber Zarathustra wartete nicht, denn ein +plötzlicher Verdruss überkam ihn ob des vielen Zudrangs und Gedrängs +in seinen Bergen. "Wo ist meine Einsamkeit hin? sprach er. + +Es wird mir wahrlich zu viel; diess Gebirge wimmelt, mein Reich ist +nicht mehr von _dieser_ Welt, ich brauche neue Berge. + +Mein Schatten ruft mich? Was liegt an meinem Schatten! Mag er mir +nachlaufen! ich - laufe ihm davon." - + +Also sprach Zarathustra zu seinem Herzen und lief davon. Aber Der, +welcher hinter ihm war, folgte ihm nach: so dass alsbald drei Laufende +hinter einander her waren, nämlich voran der freiwillige Bettler, +dann Zarathustra und zudritt und -hinterst sein Schatten. Nicht lange +liefen sie so, da kam Zarathustra zur Besinnung über seine Thorheit +und schüttelte mit Einem Rucke allen Verdruss und Überdruss von sich. + +"Wie! sprach er, geschahen nicht von je die lächerlichsten Dinge bei +uns alten Einsiedlern und Heiligen? + +Wahrlich, meine Thorheit wuchs hoch in den Bergen! Nun höre ich sechs +alte Narren-Beine hinter einander her klappern! + +Darf aber Zarathustra sich wohl vor einem Schatten fürchten? Auch +dünkt mich zu guterletzt, dass er längere Beine hat als ich." + +Also sprach Zarathustra, lachend mit Augen und Eingeweiden, blieb +stehen und drehte sich schnell herum - und siehe, fast warf er dabei +seinen Nachfolger und Schatten zu Boden: so dicht schon folgte ihm +derselbe auf den Fersen, und so schwach war er auch. Als er ihn +nämlich mit Augen prüfte, erschrak er wie vor einem plötzlichen +Gespenste: so dünn, schwärzlich, hohl und überlebt sah dieser +Nachfolger aus. + +"Wer bist du? fragte Zarathustra heftig, was treibst du hier? Und +wesshalb heissest du dich meinen Schatten? Du gefällst mir nicht." + +"Vergieb mir, antwortete der Schatten, dass ich's bin; und wenn ich +dir nicht gefalle, wohlan, oh Zarathustra! darin lobe ich dich und +deinen guten Geschmack. + +Ein Wanderer bin ich, der viel schon hinter deinen Fersen her gieng: +immer unterwegs, aber ohne Ziel, auch ohne Heim: also dass mir +wahrlich wenig zum ewigen Juden fehlt, es sei denn, dass ich nicht +ewig, und auch nicht Jude bin. + +Wie? Muss ich immerdar unterwegs sein? Von jedem Winde gewirbelt, +unstät, fortgetrieben? Oh Erde, du wardst mir zu rund! + +Auf jeder Oberfläche sass ich schon, gleich müdem Staube schlief ich +ein auf Spiegeln und Fensterscheiben: Alles nimmt von mir, Nichts +giebt, ich werde dünn, - fast gleiche ich einem Schatten. + +Dir aber, oh Zarathustra, flog und zog ich am längsten nach, und, +verbarg ich mich schon vor dir, so war ich doch dein bester Schatten: +wo du nur gesessen hast, sass ich auch. + +Mit dir bin ich in fernsten, kältesten Welten umgegangen, einem +Gespenste gleich, das freiwillig über Winterdächer und Schnee läuft. + +Mit dir strebte ich in jedes Verbotene, Schlimmste, Fernste: und wenn +irgend Etwas an mir Tugend ist, so ist es, dass ich vor keinem Verbote +Furcht hatte. + +Mit dir zerbrach ich, was je mein Herz verehrte, alle Grenzsteine +und Bilder warf ich um, den gefährlichsten Wünschen lief ich nach, - +wahrlich, über jedwedes Verbrechen lief ich einmal hinweg. + +Mit dir verlernte ich den Glauben an Worte und Werthe und grosse +Namen. Wenn der Teufel sich häutet, fällt da nicht auch sein Name ab? +der ist nämlich auch Haut. Der Teufel selber ist vielleicht - Haut. + +`Nichts ist wahr, Alles ist erlaubt`: so sprach ich mir zu. In die +kältesten Wasser stürzte ich mich, mit Kopf und Herzen. Ach, wie oft +stand ich darob nackt als rother Krebs da! + +Ach, wohin kam mir alles Gute und alle Scham und aller Glaube an die +Guten! Ach, wohin ist jene verlogne Unschuld, die ich einst besass, +die Unschuld der Guten und ihrer edlen Lügen! + +Zu oft, wahrlich, folgte ich der Wahrheit dicht auf dem Fusse: da trat +sie mir vor den Kopf. Manchmal meinte ich zu lügen, und siehe! da erst +traf ich - die Wahrheit. + +Zu Viel klärte sich mir auf: nun geht es mich Nichts mehr an. Nichts +lebt mehr, das ich liebe, - wie sollte ich noch mich selber lieben? + +`Leben, wie ich Lust habe, oder gar nicht leben`: so will ich's, so +will's auch der Heiligste. Aber, wehe! wie habe _ich_ noch - Lust? + +Habe _ich_ - noch ein Ziel? Einen Hafen, nach dem _mein_ Segel läuft? + +Einen guten Wind? Ach, nur wer weiss, _wohin_ er fährt, weiss auch, +welcher Wind gut und sein Fahrwind ist. + +Was blieb mir noch zurück? Ein Herz müde und frech; ein unstäter +Wille; Flatter-Flügel; ein zerbrochnes Rückgrat. + +Diess Suchen nach _meinem_ Heim: oh Zarathustra, weisst du wohl, diess +Suchen war _meine_ Heimsuchung, es frisst mich auf. + +`Wo ist - _mein_ Heim?` Darnach frage und suche und suchte ich, das +fand ich nicht. Oh ewiges Überall, oh ewiges Nirgendwo, oh ewiges - +Umsonst!" + +Also sprach der Schatten, und Zarathustra's Gesicht verlängerte sich +bei seinen Worten. "Du bist mein Schatten! sagte er endlich, mit +Traurigkeit. + +Deine Gefahr ist keine kleine, du freier Geist und Wanderer! Du +hast einen schlimmen Tag gehabt: sieh zu, dass dir nicht noch ein +schlimmerer Abend kommt! + +Solchen Unstäten, wie du, dünkt zuletzt auch ein Gefängniss selig. +Sahst du je, wie eingefangne Verbrecher schlafen? Sie schlafen ruhig, +sie gemessen ihre neue Sicherheit. + +Hüte dich, dass dich nicht am Ende noch ein enger Glaube einfängt, +ein harter, strenger Wahn! Dich nämlich verführt und versucht nunmehr +Jegliches, das eng und fest ist. + +Du hast das Ziel verloren: wehe, wie wirst du diesen Verlust +verscherzen und verschmerzen? Damit - hast du auch den Weg verloren! + +Du armer Schweifender, Schwärmender, du müder Schmetterling! willst du +diesen Abend eine Rast und Heimstätte haben? So gehe hinauf zu meiner +Höhle! + +Dorthin führt der Weg zu meiner Höhle. Und jetzo will ich Schnell +wieder von dir davonlaufen. Schon liegt es wie ein Schatten auf mir. + +Ich will allein laufen, dass es wieder hell um mich werde. Dazu muss +ich noch lange lustig auf den Beinen sein. Des Abends aber wird bei +mir - getanzt!" - - + +Also sprach Zarathustra. + + + +Mittags + +- Und Zarathustra lief und lief und fand Niemanden mehr und war allein +und fand immer wieder sich und genoss und schlürfte seine Einsamkeit +und dachte an gute Dinge, - stundenlang. Um die Stunde des Mittags +aber, als die Sonne gerade über Zarathustra's Haupte stand, kam er an +einem alten krummen und knorrichten Baume vorbei, der von der reichen +Liebe eines Weinstocks rings umarmt und vor sich selber verborgen war: +von dem hiengen gelbe Trauben in Fülle dem Wandernden entgegen. Da +gelüstete ihn, einen kleinen Durst zu löschen und sich eine Traube +abzubrechen; als er aber schon den Arm dazu ausstreckte, da +gelüstete ihn etwas Anderes noch mehr: nämlich sich neben den Baum +niederzulegen, um die Stunde des vollkommnen Mittags, und zu schlafen. + +Diess that Zarathustra; und sobald er auf dem Boden lag, in der +Stille und Heimlichkeit des bunten Grases, hatte er auch schon seinen +kleinen Durst vergessen und schlief ein. Denn, wie das Sprichwort +Zarathustra's sagt: Eins ist nothwendiger als das Andre. Nur dass +seine Augen offen blieben: - sie wurden nämlich nicht satt, den Baum +und die Liebe des Weinstocks zu sehn und zu preisen. Im Einschlafen +aber sprach Zarathustra also zu seinem Herzen: + +Still! Still! Ward die Welt nicht eben vollkommen? Was geschieht mir +doch? + +Wie ein zierlicher Wind, ungesehn, auf getäfeltem Meere tanzt, leicht, +federleicht: so - tanzt der Schlaf auf mir, + +Kein Auge drückt er mir zu, die Seele lässt er mir wach. Leicht ist +er, wahrlich! federleicht. + +Er überredet mich, ich weiss nicht wie?, er betupft mich innewendig +mit schmeichelnder Hand, er zwingt mich. Ja, er zwingt mich, dass +meine Seele sich ausstreckt: - + +- wie sie mir lang und müde wird, meine wunderliche Seele! Kam ihr +eines siebenten Tages Abend gerade am Mittage? Wandelte sie zu lange +schon selig zwischen guten und reifen Dingen? + +Sie streckt sich lang aus, lang, - länger! sie liegt stille, meine +wunderliche Seele. Zu viel Gutes hat sie schon geschmeckt, diese. +goldene Traurigkeit drückt sie, sie verzieht den Mund. + +- Wie ein Schiff, das in seine stillste Bucht einlief: - nun lehnt es +sich an die Erde, der langen Reisen müde und der ungewissen Meere. Ist +die Erde nicht treuer? + +Wie solch ein Schiff sich dem Lande anlegt, anschmiegt: - da genügt's, +dass eine Spinne vom Lande her zu ihm ihren Faden spinnt. Keiner +stärkeren Taue bedarf es da. + +Wie solch ein müdes Schiff in der stillsten Bucht: so ruhe auch ich +nun der Erde nahe, treu, zutrauend, wartend, mit den leisesten Fäden +ihr angebunden. + +Oh Glück! Oh Glück! Willst du wohl singen, oh meine Seele? Du liegst +im Grase. Aber das ist die heimliche feierliche Stunde, wo kein Hirt +seine Flöte bläst. + +Scheue dich! Heisser Mittag schläft auf den Fluren. Singe. nicht! +Still! Die Welt ist vollkommen. + +Singe nicht, du Gras-Geflügel, oh meine Seele! Flüstere nicht einmal! +Sieh doch - still! der alte Mittag schläft, er bewegt den Mund: trinkt +er nicht eben einen Tropfen Glücks - + +- einen alten braunen Tropfen goldenen Glücks, goldenen Weins? Es +huscht über ihn hin, sein Glück lacht. So - lacht ein Gott. Still! - + +- "Zum Glück, wie wenig genügt schon zum Glücke!" So sprach ich einst, +und dünkte mich klug. Aber es war eine Lästerung: _das_ lernte ich +nun. Kluge Narrn reden besser. + +Das Wenigste gerade, das Leiseste, Leichteste, einer Eidechse +Rascheln, ein Hauch, ein Husch, ein Augen-Blidk - _Wenig_ macht die +Art des _besten_ Glücks. Still! + +- Was geschah mir: Horch! Flog die Zeit wohl davon? Falle ich nicht? +Fiel ich nicht - horch! in den Brunnen der Ewigkeit? + +- Was geschieht mir? Still! Es sticht mich - wehe - in's Herz? In's +Herz! Oh zerbrich, zerbrich, Herz, nach solchem Glücke, nach solchem +Stiche! + +- Wie? Ward die Welt nicht eben vollkommen? Rund und reif? Oh des +goldenen runden Reifs - wohin fliegt er wohl? Laufe ich ihm nach! +Husch! + +Still - - (und hier dehnte sich Zarathustra und fühlte, dass er +schlafe.) - + +Auf! sprach er zu sich selber, du Schläfer! Du Mittagsschläfer! +Wohlan, wohlauf, ihr alten Beine! Zeit ist's und Überzeit, manch gut +Stück Wegs blieb euch noch zurück - + +Nun schlieft ihr euch aus, wie lange doch? Eine halbe Ewigkeit! +Wohlan, wohlauf nun, mein altes Herz! Wie lange erst darfst du nach +solchem Schlaf - dich auswachen? + +(Aber da schlief er schon von Neuem ein, und seine Seele sprach gegen +ihn und wehrte sich und legte sich wieder hin) - "Lass mich doch! +Still! Ward nicht die Welt eben vollkommen? Oh des goldnen runden +Balls!" - + +"Steh auf, sprach Zarathustra, du kleine Diebin, du Tagediebin! Wie? +Immer noch sich strecken, gähnen, seufzen, hinunterfallen in tiefe +Brunnen? + +Wer bist du doch! Oh meine Seele!" (und hier erschrak er, denn ein +Sonnenstrahl fiel vom Himmel herunter auf sein Gesicht) + +"Oh Himmel über mir, sprach er seufzend und setzte sich aufrecht, du +schaust mir zu? Du horchst meiner wunderlichen Seele zu? + +Wann trinkst du diesen Tropfen Thau's, der auf alle Erden-Dinge +niederfiel, - wann trinkst du diese wunderliche Seele - + +- wann, Brunnen der Ewigkeit! du heiterer schauerlicher +Mittags-Abgrund! wann trinkst du meine Seele in dich zurück?" + +Also sprach Zarathustra und erhob sich von seinem Lager am Baume wie +aus einer fremden Trunkenheit: und siehe, da stand die Sonne immer +noch gerade über seinem Haupte. Es möchte aber Einer daraus mit Recht +abnehmen, dass Zarathustra damals nicht lange geschlafen habe. + + + +Die Begrüssung + +Am späten Nachmittage war es erst, dass Zarathustra, nach langem +umsonstigen Suchen und Umherstreifen, wieder zu seiner Höhle heimkam. +Als er aber derselben gegenüberstand, nicht zwanzig Schritt mehr von +ihr ferne, da geschah das, was er jetzt am wenigsten erwartete: von +Neuem hörte er den grossen _Nothschrei_. Und, erstaunlich! diess +Mal kam derselbige aus seiner eignen Höhle. Es war aber ein langer +vielfältiger seltsamer Schrei, und Zarathustra unterschied deutlich, +dass er sich aus vielen Stimmen zusammensetze: mochte er schon, aus +der Ferne gehört, gleich dem Schrei aus einem einzigen Munde klingen. + +Da sprang Zarathustra auf seine Höhle zu, und siehe! welches +Schauspiel erwartete ihn erst nach diesem Hörspiele! Denn da sassen +sie allesammt bei einander, an denen er des Tags vorübergegangen war: +der König zur Rechten und der König zur Linken, der alte Zauberer, +der Papst, der freiwillige Bettler, der Schatten, der Gewissenhafte +des Geistes, der traurige Wahrsager und der Esel; der hässlichste +Mensch aber hatte sich eine Krone aufgesetzt und zwei Purpurgürtel +umgeschlungen, - denn er liebte es, gleich allen Hässlichen, sich +zu verkleiden und schön zu thun. Inmitten aber dieser betrübten +Gesellschaft stand der Adler Zarathustra's, gesträubt und unruhig, +denn er sollte auf zu Vieles antworten, wofür sein Stolz keine Antwort +hatte; die kluge Schlange aber hieng um seinen Hals. + +Diess Alles schaute Zarathustra mit grosser Verwunderung; dann prüfte +er jeden Einzelnen seiner Gäste mit leutseliger Neugierde, las ihre +Seelen ab und wunderte sich von Neuem. Inzwischen hatten sich die +Versammelten von ihren Sitzen erhoben und warteten mit Ehrfurcht, dass +Zarathustra reden werde. Zarathustra aber sprach also: + +"Ihr Verzweifelnden! Ihr Wunderlichen! Ich hörte also _euren_ +Nothschrei? Und nun weiss ich auch, wo Der zu suchen ist, den ich +umsonst heute suchte: der höhere Mensch -: + +- in meiner eignen Höhle sitzt er, der höhere Mensch! Aber was wundere +ich mich! Habe ich ihn nicht selber zu mir gelockt durch Honig-Opfer +und listige Lockrufe meines Glücks? + +Doch dünkt mir, ihr taugt euch schlecht zur Gesellschaft, ihr macht +einander das Herz unwirsch, ihr Nothschreienden, wenn ihr hier +beisammen sitzt? Es muss erst Einer kommen, + +- Einer, der euch wieder lachen macht, ein guter fröhlicher Hanswurst, +ein Tänzer und Wind und Wildfang, irgend ein alter Narr: - was dünket +euch? + +Vergebt mir doch, ihr Verzweifelnden, dass ich vor euch mit solch +kleinen Worten rede, unwürdig, wahrlich!, solcher Gäste! Aber ihr +errathet nicht, _was_ mein Herz muthwillig macht: - + +- ihr selber thut es und euer Anblick, vergebt es mir! Jeder nämlich +wird muthig, der einem Verzweifelnden zuschaut. Einem Verzweifelnden +zuzusprechen - dazu dünkt sich jeder stark genug. + +Mir selber gabt ihr diese Kraft, - eine gute Gabe, meine hohen Gäste! +Ein rechtschaffnes Gastgeschenk! Wohlan, so zürnt nun nicht, dass ich +euch auch vom Meinigen anbiete. + +Diess hier ist mein Reich und meine Herrschaft: was aber mein ist, für +diesen Abend und diese Nacht soll es euer sein. Meine Thiere sollen +euch dienen: meine Höhle sei eure Ruhestatt! + +Bei mir zu Heim-und-Hause soll Keiner verzweifeln, in meinem Reviere +schütze ich jeden vor seinen wilden Thieren. Und das ist das Erste, +was ich euch anbiete: Sicherheit! + +Das Zweite aber ist: mein kleiner Finger. Und habt ihr _den_ erst, so +nehmt nur noch die ganze Hand, wohlan! und das Herz dazu! Willkommen +hier, willkommen, meine Gastfreunde!" + +Also sprach Zarathustra und lachte vor Liebe und Bosheit. Nach +dieser Begrüssung verneigten sich seine Gäste abermals und schwiegen +ehrfürchtig; der König zur Rechten aber antwortete ihm in ihrem Namen. + +"Daran, oh Zarathustra, wie du uns Hand und Gruss botest, erkennen wir +dich als Zarathustra. Du erniedrigtest dich vor uns; fast thatest du +unserer Ehrfurcht wehe -: + +- wer aber vermochte gleich dir sich mit solchem Stolze zu +erniedrigen? _Das_ richtet uns selber auf, ein Labsal ist es unsern +Augen und Herzen. + +Diess allein nur zu schaun, stiegen gern wir auf höhere Berge, als +dieser Berg ist. Als Schaulustige nämlich kamen wir, wir wollten sehn, +was trübe Augen hell macht. + +Und siehe, schon ist es vorbei mit allem unsern Nothschrein. Schon +steht Sinn und Herz uns offen und ist entzückt. Wenig fehlt: und unser +Muth wird muthwillig. + +Nichts, oh Zarathustra, wächst Erfreulicheres auf Erden, als ein hoher +starker Wille: der ist ihr schönstes Gewächs. Eine ganze Landschaft +erquickt sich an Einem solchen Baume. + +Der Pinie vergleiche ich, wer gleich dir, oh Zarathustra, aufwächst: +lang, schweigend, hart, allein, besten biegsamsten Holzes, herrlich, - + +- zuletzt aber hinausgreifend mit starken grünen Ästen nach _seiner_ +Herrschaft, starke Fragen fragend vor Winden und Wettern und was immer +auf Höhen heimisch ist, + +- stärker antwortend, ein Befehlender, ein Siegreicher: oh wer sollte +nicht, solche Gewächse zu schaun, auf hohe Berge steigen? + +Deines Baumes hier, oh Zarathustra, erlabt sich auch der Düstere, der +Missrathene, an deinem Anblicke wird auch der Unstäte sicher und heilt +sein Herz. + +Und wahrlich, zu deinem Berge und Baume richten sich heute viele +Augen; eine grosse Sehnsucht hat sich aufgemacht, und Manche lernten +fragen: wer ist Zarathustra? + +Und wem du jemals dein Lied und deinen Honig in's Ohr geträufelt: alle +die Versteckten, die Einsiedler, die Zweisiedler sprachen mit Einem +Male zu ihrem Herzen: + +`Lebt Zarathustra noch? Es lohnt sich nicht mehr zu leben, Alles ist +gleich, Alles ist umsonst: oder - wir müssen mit Zarathustra leben!` + +`Warum kommt er nicht, der sich so lange ankündigte? also fragen +Viele; verschlang ihn die Einsamkeit? Oder sollen wir wohl zu ihm +kommen?` + +Nun geschieht's, dass die Einsamkeit selber mürbe wird und zerbricht, +einem Grabe gleich, das zerbricht und seine Todten nicht mehr halten +kann. Überall sieht man Auferstandene. + +Nun steigen und steigen die Wellen um deinen Berg, oh Zarathustra. Und +wie hoch auch deine Höhe ist, Viele müssen zu dir hinauf; dein Nachen +soll nicht lange mehr im Trocknen sitzen. + +Und dass wir Verzweifelnde jetzt in deine Höhle kamen und schon nicht +mehr verzweifeln: ein Wahr- und Vorzeichen ist es nur, davon, dass +Bessere zu dir unterwegs sind, - + +- denn er selber ist zu dir unterwegs, der letzte Rest Gottes unter +Menschen, das ist: alle die Menschen der grossen Sehnsucht, des +grossen Ekels, des grossen Überdrusses, + +- Alle, die nicht leben wollen, oder sie lernen wieder _hoffen_ - oder +sie lernen von dir, oh Zarathustra, die _grosse_ Hoffnung!" + +Also sprach der König zur Rechten und ergriff die Hand Zarathustra's, +um sie zu küssen; aber Zarathustra wehrte seiner Verehrung und trat +erschreckt zurück, schweigend und plötzlich wie in weite Fernen +entfliehend. Nach einer kleinen Weile aber war er schon wieder bei +seinen Gästen, blickte sie mit hellen, prüfenden Augen an und sprach: + +Meine Gäste, ihr höheren Menschen, ich will deutsch und deutlich mit +euch reden. Nicht auf _euch_ wartete ich hier in diesen Bergen. + +("Deutsch und deutlich? Dass Gott erbarm! sagte hier der König zur +Linken, bei Seite; man merkt, er kennt die lieben Deutschen nicht, +dieser Weise aus dem Morgenlande! + +Aber er meint `deutsch und derb` - wohlan! Das ist heutzutage noch +nicht der schlimmste Geschmack!") + +"Ihr mögt wahrlich insgesammt höhere Menschen sein, fuhr Zarathustra +fort: aber für mich - seid ihr nicht hoch und stark genug. + +Für mich, das heisst: für das Unerbittliche, das in mir schweigt, aber +nicht immer schweigen wird. Und gehört ihr zu mir, so doch nicht als +mein rechter Arm. + +Wer nämlich selber auf kranken und zarten Beinen steht, gleich +euch, der will vor Allem, ob er's weiss oder sich verbirgt: dass er +_geschont_ werde. + +Meine Arme und meine Beine aber schone ich nicht, ich schone meine +Krieger nicht: wieso könntet ihr zu _meinem_ Kriege taugen? + +Mit euch verdürbe ich mir jeden Sieg noch. Und Mancher von euch fiele +schon um, wenn er nur den lauten Schall meiner Trommeln hörte. + +Auch seid ihr mir nicht schön genug und wohlgeboren. Ich brauche reine +glatte Spiegel für meine Lehren; auf eurer Oberfläche verzerrt sich +noch mein eignes Bildniss. + +Eure Schultern drückt manche Last, manche Erinnerung; manch schlimmer +Zwerg hockt in euren Winkeln. Es giebt verborgenen Pöbel auch in euch. + +Und seid ihr auch hoch und höherer Art: Vieles an euch ist krumm und +missgestalt. Da ist kein Schmied in der Welt, der euch mir zurecht und +gerade schlüge. + +Ihr seid nur Brücken: mögen Höhere auf euch hinüber schreiten! Ihr +bedeutet Stufen: so zürnt Dem nicht, der über euch hinweg in _seine_ +Höhe steigt! + +Aus eurem Samen mag auch mir einst ein ächter Sohn und vollkommener +Erbe wachsen: aber das ist ferne. Ihr selber seid Die nicht, welchen +mein Erbgut und Name zugehört. + +Nicht auf euch warte ich hier in diesen Bergen, nicht mit euch darf +ich zum letzten Male niedersteigen. Als Vorzeichen kamt ihr mir nur, +dass schon Höhere zu mir unterwegs sind, - + +- _nicht_ die Menschen der grossen Sehnsucht, des grossen Ekels, des +grossen Überdrusses und Das, was ihr den Überrest Gottes nanntet. + +- Nein! Nein! Drei Mal Nein! Auf _Andere_ warte ich hier in diesen +Bergen und will meinen Fuss nicht ohne sie von dannen heben, + +- auf Höhere, Stärkere, Sieghaftere, Wohlgemuthere, Solche, die +rechtwinklig gebaut sind an Leib und Seele: _lachende_Löwen_ müssen +kommen! + +Oh, meine Gastfreunde, ihr Wunderlichen, - hörtet ihr noch Nichts von +meinen Kindern? Und dass sie zu mir unterwegs sind? + +Sprecht mir doch von meinen Gärten, von meinen glückseligen Inseln, +von meiner neuen schönen Art, - warum sprecht ihr mir nicht davon? + +Diess Gastgeschenk erbitte ich mir von eurer Liebe, dass ihr mir von +meinen Kindern sprecht. Hierzu bin ich reich, hierzu ward ich arm: was +gab ich nicht hin, + +- was gäbe ich nicht hin, dass ich Eins hätte: _diese_ Kinder, _diese_ +lebendige Pflanzung, _diese_ Lebensbäume meines Willens und meiner +höchsten Hoffnung!" + +Also sprach Zarathustra und hielt plötzlich inne in seiner Rede: denn +ihn überfiel seine Sehnsucht, und er schloss Augen und Mund vor der +Bewegung seines Herzens. Und auch alle seine Gäste schwiegen und +standen still und bestürzt: nur dass der alte Wahrsager mit Händen und +Gebärden Zeichen gab. + + + +Das Abendmahl + +An dieser Stelle nämlich unterbrach der Wahrsager die Begrüssung +Zarathustra's und seiner Gäste: er drängte sich vor, wie Einer, der +keine Zeit zu verlieren hat, fasste die Hand Zarathustra's und rief: +"Aber Zarathustra! + +Eins ist nothwendiger als das Andre, so redest du selber: wohlan, Eins +ist _mir_ jetzt nothwendiger als alles Andere. + +Ein Wort zur rechten Zeit: hast du mich nicht zum _Mahle_ eingeladen? +Und hier sind viele, die lange Wege machten. Du willst uns doch nicht +mit Reden abspeisen? + +Auch gedachtet ihr Alle mir schon zu viel des Erfrierens, Ertrinkens, +Erstickens und andrer Leibes-Nothstände: Keiner aber gedachte _meines_ +Nothstandes, nämlich des Verhungerns -" + +(Also sprach der Wahrsager; wie die Thiere Zarathustra's aber diese +Worte hörten, liefen sie vor Schrecken davon. Denn sie sahen, dass +was sie auch am Tage heimgebracht hatten, nicht genug sein werde, den +Einen Wahrsager zu stopfen.) + +"Eingerechnet das Verdursten, fuhr der Wahrsager fort. Und ob ich +schon Wasser hier plätschern höre, gleich Reden der Weisheit, nämlich +reichlich und unermüdlich: ich - will _Wein_! + +Nicht jeder ist gleich Zarathustra ein geborner Wassertrinker. Wasser +taugt auch nicht für Müde und Verwelkte: _uns_ gebührt Wein, - _der_ +erst giebt plötzliches Genesen und stegreife Gesundheit!" + +Bei dieser Gelegenheit, da der Wahrsager nach Wein begehrte, geschah +es, dass auch der König zur Linken, der Schweigsame, einmal zu Worte +kam. "Für Wein, sprach er, trugen _wir_ Sorge, ich sammt meinem +Bruder, dem Könige zur Rechten: wir haben Weins genug, - einen ganzen +Esel voll. So fehlt Nichts als Brod." + +"Brod? entgegnete Zarathustra und lachte dazu. Nur gerade Brod haben +Einsiedler nicht. Aber der Mensch lebt nicht vom Brod allein, sondern +auch vom Fleische guter Lämmer, deren ich zwei habe: + +- _Die_ soll man geschwinde schlachten und würzig, mit Salbei, +zubereiten: so liebe ich's. Und auch an Wurzeln und Früchten fehlt es +nicht, gut genug selbst für Lecker- und Schmeckerlinge; noch an Nüssen +und andern Räthseln zum Knacken. + +Also wollen wir in Kürze eine gute Mahlzeit machen. Wer aber mit essen +will, muss auch mit Hand anlegen, auch die Könige. Bei Zarathustra +nämlich darf auch ein König Koch sein." + +Mit diesem Vorschlage war Allen nach dem Herzen geredet: nur dass der +freiwillige Bettler sich gegen Fleisch und Wein und Würzen sträubte. + +"Nun hört mir doch diesen Schlemmer Zarathustra! sagte er scherzhaft: +geht man dazu in Höhlen und Hoch-Gebirge, dass man solche Mahlzeiten +macht? + +Nun freilich verstehe ich, was er einst uns lehrte: `Gelobt sei die +kleine Armuth!` Und warum er die Bettler abschaffen will." + +"Sei guter Dinge, antwortete ihm Zarathustra, wie ich es bin. Bleibe +bei deiner Sitte, du Trefflicher, malme deine Körner, trink dein +Wasser, lobe deine Küche: wenn sie dich nur fröhlich macht! + +Ich bin ein Gesetz nur für die Meinen, ich bin kein Gesetz für Alle. +Wer aber zu mir gehört, der muss von starken Knochen sein, auch von +leichten Füssen, - + +- lustig zu Kriegen und Festen, kein Düsterling, kein Traum-Hans, +bereit zum Schwersten wie zu seinem Feste, gesund und heil. + +Das Beste gehört den Meinen und mir; und giebt man's uns nicht, so +nehmen wir's: - die beste Nahrung, den reinsten Himmel, die stärksten +Gedanken, die schönsten Fraun!" - + +Also sprach Zarathustra; der König zur Rechten aber entgegnete: +"Seltsam! Vernahm man je solche kluge Dinge aus dem Munde eines +Weisen? + +Und wahrlich, das ist das Seltsamste an einem Weisen, wenn er zu +alledem auch noch klug und kein Esel ist." + +Also sprach der König zur Rechten und wunderte sich; der Esel aber +sagte zu seiner Rede mit bösem Willen I-A. Diess aber war der +Anfang von jener langen Mahlzeit, welche "das Abendmahl" in den +Historien-Büchern genannt wird. Bei derselben aber wurde von nichts +Anderem geredet als _vom_höheren_Menschen_. + + + +Vom höheren Menschen + +1. + +Als ich zum ersten Male zu den Menschen kam, da that ich die +Einsiedler-Thorheit, die grosse Thorheit: ich stellte mich auf den +Markt. + +Und als ich zu Allen redete, redete ich zu Keinem. Des Abends aber +waren Seiltänzer meine Genossen, und Leichname; und ich selber fast +ein Leichnam. + +Mit dem neuen Morgen aber kam mir eine neue Wahrheit: da lernte ich +sprechen "Was geht mich Markt und Pöbel und Pöbel-Lärm und lange +Pöbel-Ohren an!" + +Ihr höheren Menschen, Diess lernt von mir: auf dem Markt glaubt +Niemand an höhere Menschen. Und wollt ihr dort reden, wohlan! Der +Pöbel aber blinzelt "wir sind Alle gleich." + +"Ihr höheren Menschen, - so blinzelt der Pöbel - es giebt keine +höheren Menschen, wir sind Alle gleich, Mensch ist Mensch, vor Gott - +sind wir Alle gleich!" + +Vor Gott! - Nun aber starb dieser Gott. Vor dem Pöbel aber wollen wir +nicht gleich sein. Ihr höheren Menschen, geht weg vom Markt! + + +2. + +Vor Gott! - Nun aber starb dieser Gott! Ihr höheren Menschen, dieser +Gott war eure grösste Gefahr. + +Seit er im Grabe liegt, seid ihr erst wieder auferstanden. Nun erst +kommt der grosse Mittag, nun erst wird der höhere Mensch - Herr! + +Verstandet ihr diess Wort, oh meine Brüder? Ihr seid erschreckt: wird +euren Herzen schwindlig? Klafft euch hier der Abgrund? Kläfft euch +hier der Höllenhund? + +Wohlan! Wohlauf! Ihr höheren Menschen! Nun erst kreisst der Berg der +Menschen-Zukunft. Gott starb: nun wollen _wir_, - dass der Übermensch +lebe. + + +3. + +Die Sorglichsten fragen heute: "wie bleibt der Mensch erhalten?" +Zarathustra aber fragt als der Einzige und Erste: "wie wird der Mensch +_überwunden_?" + +Der Übermensch liegt mir am Herzen, _der_ ist mein Erstes und +Einziges, - und _nicht_ der Mensch: nicht der Nächste, nicht der +Ärmste, nicht der Leidendste, nicht der Beste - + +Oh meine Brüder, was ich lieben kann am Menschen, das ist, dass er ein +Übergang ist und ein Untergang. Und auch an euch ist vieles, das mich +lieben und hoffen macht. + +Dass ihr verachtetet, ihr höheren Menschen, das macht mich hoffen. Die +grossen Verachtenden nämlich sind die grossen Verehrenden. + +Dass ihr verzweifeltet, daran ist Viel zu ehren. Denn ihr lerntet +nicht, wie ihr euch ergäbet, ihr lerntet die kleinen Klugheiten nicht. + +Heute nämlich wurden die kleinen Leute Herr: die predigen Alle +Ergebung und Bescheidung und Klugheit und Fleiss und Rücksicht und das +lange Und-so-weiter der kleinen Tugenden. + +Was von Weibsart ist, was von Knechtsart stammt und sonderlich der +Pöbel-Mischmasch: _Das_ will nun Herr werden alles Menschen-Schicksals +- oh Ekel! Ekel! Ekel! + +_Das_ frägt und frägt und wird nicht müde: "Wie erhält sich der +Mensch, am besten, am längsten, am angenehmsten?" Damit - sind sie die +Herrn von Heute. + +Diese Herrn von Heute überwindet mir, oh meine Brüder, - diese kleinen +Leute: _die_ sind des Übermenschen grösste Gefahr! + +Überwindet mir, ihr höheren Menschen, die kleinen Tugenden, die +kleinen Klugheiten, die Sandkorn-Rücksichten, den Ameisen-Kribbelkram, +das erbärmliche Behagen, das "Glück der Meisten" -! + +Und lieber verzweifelt, als dass ihr euch ergebt. Und, wahrlich, ich +liebe euch dafür, dass ihr heute nicht zu leben wisst, ihr höheren +Menschen! So nämlich lebt _ihr_ - am Besten! + + +4. + +Habt ihr Muth, oh meine Brüder? Seid ihr herzhaft? _Nicht_ Muth vor +Zeugen, sondern Einsiedler- und Adler-Muth, dem auch kein Gott mehr +zusieht? + +Kalte Seelen, Maulthiere, Blinde, Trunkene heissen mir nicht herzhaft. +Herz hat, wer Furcht kennt, aber Furcht _zwingt_, er den Abgrund +sieht, aber mit _Stolz_. + +Wer den Abgrund sieht, aber mit Adlers-Augen, wer mit Adlers-Krallen +den Abgrund _fasst_: Der hat Muth. - - + + +5. + +"Der Mensch ist böse" - so sprachen mir zum Troste alle Weisesten. +Ach, wenn es heute nur noch wahr ist! Denn das Böse ist des Menschen +beste Kraft. + +"Der Mensch muss besser und böser werden" - so lehre _ich_. Das +Böseste ist nöthig zu des Übermenschen Bestem. + +Das mochte gut sein für jenen Prediger der kleinen Leute, dass er litt +und trug an des Menschen Sünde. Ich aber erfreue mich der grossen +Sünde als meines grossen _Trostes_. - + +Solches ist aber nicht für lange Ohren gesagt. Jedwedes Wort gehört +auch nicht in jedes Maul. Das sind feine ferne Dinge: nach denen +sollen nicht Schafs-Klauen greifen! + + +6. + +Ihr höheren Menschen, meint ihr, ich sei da, gut zu machen, was ihr +schlecht machtet? + +Oder ich wollte fürderhin euch Leidende bequemer betten? Oder euch +Unstäten, Verirrten, Verkletterten neue leichtere Fusssteige zeigen? + +Nein! Nein! Drei Mal Nein! Immer Mehr, immer Bessere eurer Art sollen +zu Grunde gehn, - denn ihr sollt es immer schlimmer und härter haben. +So allein - + +- so allein wächst der Mensch in _die_ Höhe, wo der Blitz ihn trifft +und zerbricht: hoch genug für den Blitz! + +Auf Weniges, auf Langes, auf Fernes geht mein Sinn und meine +Sehnsucht: was gienge mich euer kleines, vieles, kurzes Elend an! + +Ihr leidet mir noch nicht genug! Denn ihr leidet an euch, ihr littet +noch nicht _am_Menschen_. Ihr würdet lügen, wenn ihr's anders sagtet! +Ihr leidet Alle nicht, woran ich litt. - - + + +7. + +Es ist mir nicht genug, dass der Blitz nicht mehr schadet. Nicht +ableiten will ich ihn: er soll lernen für _mich_ - arbeiten. - + +Meine Weisheit sammlet sich lange schon gleich einer Wolke, sie wird +stiller und dunkler. So thut jede Weisheit, welche _einst_ Blitze +gebären soll. - + +Diesen Menschen von Heute will ich nicht _Licht_ sein, nicht Licht +heissen. _Die_ - will ich blenden: Blitz meiner Weisheit! Stich ihnen +die Augen aus! + + +8. + +Wollt Nichts über euer Vermögen: es giebt eine schlimme Falschheit bei +Solchen, die über ihr Vermögen wollen. + +Sonderlich, wenn sie grosse Dinge wollen! Denn sie wecken Misstrauen +gegen grosse Dinge, diese feinen Falschmünzer und Schauspieler: - + +- bis sie endlich falsch vor sich selber sind, schieläugig, +übertünchter Wurmfrass, bemäntelt durch starke Worte, durch +Aushänge-Tugenden, durch glänzende falsche Werke. + +Habt da eine gute Vorsicht, ihr höheren Menschen! Nichts nämlich gilt +mir heute kostbarer und seltner als Redlichkeit. + +Ist diess Heute nicht des Pöbels? Pöbel aber weiss nicht, was gross, +was klein, was gerade und redlich ist: der ist unschuldig krumm, der +lügt immer. + + +9. + +Habt heute ein gutes Misstrauen, ihr höheren Menschen, ihr Beherzten! +Ihr Offenherzigen! Und haltet eure Gründe geheim! Diess Heute nämlich +ist des Pöbels. + +Was der Pöbel ohne Gründe einst glauben lernte, wer könnte ihm durch +Gründe Das - umwerfen? + +Und auf dem Markte überzeugt man mit Gebärden. Aber Gründe machen den +Pöbel misstrauisch. + +Und wenn da einmal Wahrheit zum Siege kam, so fragt euch Mit gutem +Misstrauen: "welch starker Irrthum hat für sie gekämpft?" + +Hütet euch auch vor den Gelehrten! Die hassen euch: denn sie sind +unfruchtbar! Sie haben kalte vertrocknete Augen, vor ihnen liegt jeder +Vogel entfedert. + +Solche brüsten sich damit, dass sie nicht lügen: aber Ohnmacht zur +Lüge ist lange noch nicht Liebe zur Wahrheit. Hütet euch! + +Freiheit von Fieber ist lange noch nicht Erkenntniss! Ausgekälteten +Geistern glaube ich nicht. Wer nicht lügen kann, weiss nicht, was +Wahrheit ist. + + +10. + +Wollt ihr hoch hinaus, so braucht die eignen Beine! Lasst euch nicht +empor _tragen_, setzt euch nicht auf fremde Rücken und Köpfe! + +Du aber stiegst zu Pferde? Du reitest nun hurtig hinauf zu deinem +Ziele? Wohlan, mein Freund! Aber dein lahmer Fuss sitzt auch mit zu +Pferde! + +Wenn du an deinem Ziele bist, wenn du von deinem Pferde springst: auf +deiner _Höhe_ gerade, du höherer Mensch - wirst du stolpern! + + +11. + +Ihr Schaffenden, ihr höheren Menschen! Man ist nur für das eigne Kind +schwanger. + +Lasst euch Nichts vorreden, einreden! Wer ist denn _euer_ Nächster? +Und handelt ihr auch "für den Nächsten", - ihr schafft doch nicht für +ihn! + +Verlernt mir doch diess "Für", ihr Schaffenden: eure Tugend gerade +will es, dass ihr kein Ding mit "für" und "um" und "weil" thut. Gegen +diese falschen kleinen Worte sollt ihr euer Ohr zukleben. + +Das "für den Nächsten" ist die Tugend nur der kleinen Leute: da heisst +es "gleich und gleich" und "Hand wäscht Hand": - sie haben nicht Recht +noch Kraft zu _eurem_ Eigennutz! + +In eurem Eigennutz, ihr Schaffenden, ist der Schwangeren Vorsicht und +Vorsehung! Was Niemand noch mit Augen sah, die Frucht: die schirmt und +schont und nährt eure ganze Liebe. + +Wo eure ganze Liebe ist, bei eurem Kinde, da ist auch eure ganze +Tugend! Euer Werk, euer Wille ist _euer_ "Nächster": lasst euch keine +falschen Werthe einreden! + + +12. + +Ihr Schaffenden, ihr höheren Menschen! Wer gebären muss, der ist +krank; wer aber geboren hat, ist unrein. + +Fragt die Weiber: man gebiert nicht, weil es Vergnügen macht. Der +Schmerz macht Hühner und Dichter gackern. + +Ihr Schaffenden, an euch ist viel Unreines. Das macht, ihr musstet +Mütter sein. + +Ein neues Kind: oh wie viel neuer Schmutz kam auch zur Welt! Geht bei +Seite! Und wer geboren hat, soll seine Seele rein waschen! + + +13. + +Seid nicht tugendhaft über eure Kräfte! Und wollt Nichts von euch +wider die Wahrscheinlichkeit! + +Geht in den Fusstapfen, wo schon eurer Väter Tugend gierig! Wie +wolltet ihr hoch steigen, wenn nicht eurer Väter Wille mit euch +steigt? + +Wer aber Erstling sein will, sehe zu, dass er nicht auch Letztling +werde! Und wo die Laster eurer Väter sind, darin sollt ihr nicht +Heilige bedeuten wollen! + +Wessen Väter es mit Weibern hielten und mit starken Weinen und +Wildschweinen: was wäre es, wenn Der von sich Keuschheit wollte? + +Eine Narrheit wäre es! Viel, wahrlich, dünkt es mich für einen +Solchen, wenn er Eines oder zweier oder dreier Weiber Mann ist. + +Und stiftete er Klöster und schriebe über die Thür: "der Weg zum +Heiligen," - ich spräche doch: wozu! es ist eine neue Narrheit! + +Er stiftete sich selber ein Zucht- und Fluchthaus: wohl bekomm's! Aber +ich glaube nicht daran. + +In der Einsamkeit wächst, was Einer in sie bringt, auch das innere +Vieh. Solchergestalt widerräth sich Vielen die Einsamkeit. + +Gab es Schmutzigeres bisher auf Erden als Wüsten-Heilige? _Um_die_ +herum war nicht nur der Teufel los, - sondern auch das Schwein. + + +14. + +Scheu, beschämt, ungeschickt, einem Tiger gleich, dem der Sprung +missrieth: also, ihr höheren Menschen, sah ich oft euch bei Seite +schleichen. Ein _Wurf_ missrieth euch. + +Aber, ihr Würfelspieler, was liegt daran! Ihr lerntet nicht spielen +und spotten, wie man spielen und spotten muss! Sitzen wir nicht immer +an einem grossen Spott- und Spieltische? + +Und wenn euch Grosses missrieth, seid ihr selber darum - missrathen? +Und missriethet ihr selber, missrieth darum - der Mensch? Missrieth +aber der Mensch: wohlan! wohlauf! + + +15. + +Je höher von Art, je seltener geräth ein Ding. Ihr höheren Menschen +hier, seid ihr nicht alle - missgerathen? + +Seid guten Muths, was liegt daran! Wie Vieles ist noch möglich! Lernt +über euch selber lachen, wie man lachen muss! + +Was Wunders auch, dass ihr missriethet und halb geriethet, ihr +Halb-Zerbrochenen! Drängt und stösst sich nicht in euch - des Menschen +_Zukunft_? + +Des Menschen Fernstes, Tiefstes, Sternen-Höchstes, seine ungeheure +Kraft: schäumt Das nicht alles gegen einander in eurem Topfe? + +Was Wunders, dass mancher Topf zerbricht! Lernt über euch lachen, wie +man lachen muss! Ihr höheren Menschen, oh wie Vieles ist noch möglich! + +Und wahrlich, wie Viel gerieth schon! Wie reich ist diese Erde an +kleinen guten vollkommenen Dingen, an Wohlgerathenem! + +Stellt kleine gute vollkommne Dinge um euch, ihr höheren Menschen! +Deren goldene Reife heilt das Herz. Vollkommnes lehrt hoffen. + + +16. + +Welches war hier auf Erden bisher die grösste Sünde? War es nicht das +Wort Dessen, der sprach: "Wehe Denen, die hier lachen!" + +Fand er zum Lachen auf der Erde selber keine Gründe? So suchte er nur +schlecht. Ein Kind findet hier noch Gründe. + +Der - liebte nicht genug: sonst hätte er auch uns geliebt, die +Lachenden! Aber er hasste und höhnte uns, Heulen und Zähneklappern +verhiess er uns. + +Muss man denn gleich fluchen, wo man nicht liebt? Das - dünkt mich ein +schlechter Geschmack. Aber so that er, dieser Unbedingte. Er kam vom +Pöbel. + +Und er selber liebte nur nicht genug: sonst hätte er weniger gezürnt, +dass man ihn nicht liebe. Alle grosse Liebe _will_ nicht Liebe: - die +will mehr. + +Geht aus dem Wege allen solchen Unbedingten! Das ist eine arme kranke +Art, eine Pöbel-Art: sie sehn schlimm diesem Leben zu, sie haben den +bösen Blick für diese Erde. + +Geht aus dem Wege allen solchen Unbedingten! Sie haben Schwere Füsse +und schwüle Herzen: - sie wissen nicht zu tanzen. Wie möchte Solchen +wohl die Erde leicht sein! + + +17. + +Krumm kommen alle guten Dinge ihrem Ziele nahe. Gleich Katzen machen +sie Buckel, sie schnurren innewendig vor ihrem nahen Glücke, - alle +guten Dinge lachen. + +Der Schritt verräth, ob Einer schon auf _seiner_ Bahn schreitet: so +seht mich gehn! Wer aber seinem Ziel nahe kommt, der tanzt. + +Und, wahrlich, zum Standbild ward ich nicht, noch stehe ich nicht da, +starr, stumpf, steinern, eine Säule; ich liebe geschwindes Laufen. + +Und wenn es auf Erden auch Moor und dicke Trübsal giebt: wer leichte +Füsse hat, läuft über Schlamm noch hinweg und tanzt wie auf gefegtem +Eise. + +Erhebt eure Herzen, meine Brüder, hoch! höher! Und vergesst mir auch +die Beine nicht! Erhebt auch eure Beine, ihr guten Tänzer, und besser +noch: ihr steht auch auf dem Kopf! + + +18. + +Diese Krone des Lachenden, diese Rosenkranz-Krone: ich selber setzte +mir diese Krone auf, ich selber sprach heilig mein Gelächter. Keinen +Anderen fand ich heute stark genug dazu. + +Zarathustra der Tänzer, Zarathustra der Leichte, der mit den Flügeln +winkt, ein Flugbereiter, allen Vögeln zuwinkend, bereit und fertig, +ein Selig-Leichtfertiger: - + +Zarathustra der Wahrsager, Zarathustra der Wahrlacher, kein +Ungeduldiger, kein Unbedingter, Einer, der Sprünge und Seitensprünge +liebt; ich selber setzte mir diese Krone auf! + + +19. + +Erhebt eure Herzen, meine Brüder, hoch! höher! Und vergesst mir auch +die Beine nicht! Erhebt auch eure Beine, ihr guten Tänzer, und besser +noch: ihr steht auch auf dem Kopf! + +Es giebt auch im Glück schweres Gethier, es giebt Plumpfüssler von +Anbeginn. Wunderlich müht sie sich ab, einem Elephanten gleich, der +sich müht auf dem Kopf zu stehn. + +Besser aber noch närrisch sein vor Glücke als närrisch vor Unglücke, +besser plump tanzen als lahm gehn. So lernt mir doch meine Weisheit +ab: auch das schlimmste Ding hat zwei gute Kehrseiten, - + +- auch das schlimmste Ding hat gute Tanzbeine: so lernt mir doch euch +selbst, ihr höheren Menschen, auf eure rechten Beine stellen! + +So verlernt mir doch Trübsal-Blasen und alle Pöbel-Traurigkeit! Oh wie +traurig dünken mich heute des Pöbels Hanswürste noch! Diess Heute aber +ist des Pöbels. + + +20. + +Dem Winde thut mir gleich, wenn er aus seinen Berghöhlen stürzt: nach +seiner eignen Pfeife will er tanzen, die Meere zittern und hüpfen +unter seinen Fusstapfen. + +Der den Eseln Flügel giebt, der Löwinnen melkt, gelobt sei dieser gute +unbändige Geist, der allem Heute und allem Pöbel wie ein Sturmwind +kommt, - + +- der Distel- und Tiftelköpfen feind ist und allen welken Blättern und +Unkräutern: gelobt sei dieser wilde gute freie Sturmgeist, welcher auf +Mooren und Trübsalen wie auf Wiesen tanzt! + +Der die Pöbel-Schwindhunde hasst und alles missrathene düstere +Gezücht: gelobt sei dieser Geist aller freien Geister, der lachende +Sturm, welcher allen Schwarzsichtigen, Schwärsüchtigen Staub in die +Augen bläst! + +Ihr höheren Menschen, euer Schlimmstes ist: ihr lerntet alle nicht +tanzen, wie man tanzen muss - über euch hinweg tanzen! Was liegt +daran, dass ihr missriethet! + +Wie Vieles ist noch möglich! So _lernt_ doch über euch hinweg lachen! +Erhebt eure Herzen, ihr guten Tänzer, hoch! höher! Und vergesst mir +auch das gute Lachen nicht! + +Diese Krone des Lachenden, diese Rosenkranz-Krone: euch, meinen +Brüdern, werfe ich diese Krone zu! Das Lachen sprach ich heilig; ihr +höheren Menschen, _lernt_ mir - lachen! + + + +Das Lied der Schwermuth + +1. + +Als Zarathustra diese Reden sprach, stand er nahe dem Eingange seiner +Höhle; mit den letzten Worten aber entschlüpfte er seinen Gästen und +floh für eine kurze Weile in's Freie. + +"Oh reine Gerüche um mich, rief er aus, oh selige Stille um mich! Aber +wo sind meine Thiere? Heran, heran, mein Adler und meine Schlange! + +Sagt mir doch, meine Thiere: diese höheren Menschen insgesammt - +_riechen_ sie vielleicht nicht gut? Oh reine Gerüche um mich! Jetzo +weiss und fühle ich erst, wie ich euch, meine Thiere, liebe." + +- Und Zarathustra sprach nochmals: "ich liebe euch, meine Thiere!" Der +Adler aber und die Schlange drängten sich an ihn, als er diese Worte +sprach, und sahen zu ihm hinauf. Solchergestalt waren sie zu drei +still beisammen und schnüffelten und schlürften mit einander die gute +Luft. Denn die Luft war hier draussen besser als bei den höheren +Menschen. + + +2. + +Kaum aber hatte Zarathustra seine Höhle verlassen, da erhob sich der +alte Zauberer, sah listig umher und sprach: "Er ist hinaus! + +Und schon, ihr höheren Menschen - dass ich euch mit diesem Lob- und +Schmeichel-Namen kitzle, gleich ihm selber - schon fällt mich mein +schlimmer Trug- und Zaubergeist an, mein schwermüthiger Teufel, + +- welcher diesem Zarathustra ein Widersacher ist aus dem Grunde: +vergebt es ihm! Nun will er vor euch zaubern, er hat gerade _seine_ +Stunde; umsonst ringe ich mit diesem bösen Geiste. + +Euch Allen, welche Ehren ihr euch mit Worten geben mögt, ob ihr +euch `die freien Geister` nennt oder `die Wahrhaftigen` oder `die +Büsser des Geistes` oder `die Entfesselten` oder `die grossen +Sehnsüchtigen` - + +- euch Allen, die ihr _am_grossen_Ekel_ leidet gleich mir, denen der +alte Gott starb und noch kein neuer Gott in Wiegen und Windeln liegt, +- euch Allen ist mein böser Geist und Zauber-Teufel hold. + +Ich kenne euch, ihr höheren Menschen, ich kenne ihn, - ich kenne auch +diesen Unhold, den ich wider Willen liebe, diesen Zarathustra: er +selber dünkt mich öfter gleich einer schönen Heiligen-Larve, + +- gleich einem neuen wunderlichen Mummenschanze, in dem sich +mein böser Geist, der schwermüthige Teufel, gefällt: - ich liebe +Zarathustra, so dünkt mich oft, um meines bösen Geistes Willen. - + +Aber schon fällt _der_ mich an und zwingt mich, dieser Geist der +Schwermuth, dieser Abend-Dämmerungs-Teufel: und, wahrlich, ihr höheren +Menschen, es gelüstet ihn - + +- macht nur die Augen auf! - es gelüstet ihn, _nackt_ zu kommen, ob +männlich, ob weiblich, noch weiss ich's nicht: aber er kommt, er +zwingt mich, wehe! macht eure Sinne auf! + +Der Tag klingt ab, allen Dingen kommt nun der Abend, auch den besten +Dingen; hört nun und seht, ihr höheren Menschen, welcher Teufel, ob +Mann, ob Weib, dieser Geist der Abend-Schwermuth ist!" + +Also sprach der alte Zauberer, sah listig umher und griff dann zu +seiner Harfe. + + +3. + +Bei abgehellter Luft, Wenn schon des Thau's Tröstung Zur Erde +niederquillt, Unsichtbar, auch ungehört: - Denn zartes Schuhwerk trägt +Der Tröster Thau gleich allen Trost-Milden -: Gedenkst du da, gedenkst +du, heisses Herz, Wie einst du durstetest, Nach himmlischen Thränen +und Thau-Geträufel Versengt und müde durstetest, Dieweil auf gelben +Gras-Pfaden Boshaft abendliche Sonnenblicke Durch schwarze Bäume um +dich liefen, Blendende Sonnen-Gluthblicke, schadenfrohe. + +"Der _Wahrheit_ Freier? Du? - so höhnten sie - Nein! Nur ein Dichter! +Ein Thier, ein listiges, raubendes, schleichendes, Das lügen muss, +Das wissentlich, willentlich lügen muss: Nach Beute lüstern, Bunt +verlarvt, Sich selber Larve, Sich selbst zur Beute - _Das_ - der +Wahrheit Freier? Nein! Nur Narr! Nur Dichter! Nur Buntes redend, Aus +Narren-Larven bunt herausschreiend, Herumsteigend auf lügnerischen +Wort-Brücken, Auf bunten Regenbogen, Zwischen falschen Himmeln Und +falschen Erden, Herumschweifend, herumschwebend, - _Nur_ Narr! _Nur_ +Dichter! + +_Das_ - der Wahrheit Freier? Nicht still, starr, glatt, kalt, Zum +Bilde worden, Zur Gottes-Säule, Nicht aufgestellt vor Tempeln, Eines +Gottes Thürwart: Nein! Feindselig solchen Wahrheits-Standbildern, In +jeder Wildniss heimischer als vor Tempeln, Voll Katzen-Muthwillens, +Durch jedes Fenster springend Husch! in jeden Zufall, Jedem Urwalde +zuschnüffelnd, Süchtig-sehnsüchtig zuschnüffelnd, Dass du in Urwäldern +Unter buntgefleckten Raubthieren Sündlich-gesund und bunt und schön +liefest, Mit lüsternen Lefzen, Selig-höhnisch, selig-höllisch, +selig-blutgierig, Raubend, schleichend, lügend liefest: - + +Oder, dem Adler gleich, der lange, Lange starr in Abgründe blickt, In +_seine_ Abgründe: - - Oh wie sie sich hier hinab, Hinunter, hinein, +In immer tiefere Tiefen ringeln! - Dann, Plötzlich, geraden Zugs, +Gezückten Flugs, Auf Lämmer stossen, Jach hinab, heisshungrig, +Nach Lämmern lüstern, Gram allen Lamms-Seelen, Grimmig-gram +Allem, was blickt Schafmässig, lammäugig, krauswollig, Grau, mit +Lamms-Schafs-Wohlwollen! + +Also Adlerhaft, pantherhaft Sind des Dichters Sehnsüchte, Sind _deine_ +Sehnsüchte unter tausend Larven, Du Narr! Du Dichter! + +Der du den Menschen schautest So Gott als Schaf -: Den Gott +_zerreissen_ im Menschen Wie das Schaf im Menschen, Und zerreisend +_lachen_ - + +_Das_, _Das_ ist deine Seligkeit! Eines Panthers und Adlers Seligkeit! +Eines Dichters und Narren Seligkeit!" - - + +Bei abgehellter Luft, Wenn schon des Monds Sichel Grün zwischen +Purpurröthen Und neidisch hinschleicht: - dem Tage feind, Mit jedem +Schritte heimlich An Rosen-Hängematten Hinsichelnd, bis sie sinken, +Nacht-abwärts blass hinabsinken: + +So sank ich selber einstmals Aus meinem Wahrheits-Wahnsinne, Aus +meinen Tages-Sehnsüchten, Des Tages müde, krank vom Lichte, - sank +abwärts, abendwärts, schattenwärts: Von Einer Wahrheit Verbrannt und +durstig: - gedenkst du noch, gedenkst du, heisses Herz, Wie da du +durstetest? - Dass ich verbannt sei Von _aller_ Wahrheit, Nur Narr! +Nur Dichter! + + + +Von der Wissenschaft + +Also sang der Zauberer; und Alle, die beisammen waren, giengen gleich +Vögeln unvermerkt in das Netz seiner listigen und schwermüthigen +Wollust. Nur der Gewissenhafte des Geistes war nicht eingefangen: er +nahm flugs dem Zauberer die Harfe weg und rief "Luft! Lasst gute Luft +herein! Lass Zarathustra herein! Du machst diese Höhle schwül und +giftig, du schlimmer alter Zauberer! + +Du verfährst, du Falscher, Feiner, zu unbekannten Begierden und +Wildnissen. Und wehe, wenn Solche, wie du, von der _Wahrheit_ Redens +und Wesens machen! + +Wehe allen freien Geistern, welche nicht vor _solchen_ Zauberern auf +der Hut sind! Dahin ist es mit ihrer Freiheit: du lehrst und lockst +zurück in Gefängnisse, - + +- du alter schwermüthiger Teufel, aus deiner Klage klingt eine +Lockpfeife, du gleichst Solchen, welche mit ihrem Lobe der Keuschheit +heimlich zu Wollüsten laden!" + +Also sprach der Gewissenhafte; der alte Zauberer aber blickte um sich, +genoss seines Sieges und verschluckte darüber den Verdruss, welchen +ihm der Gewissenhafte machte. "Sei still! sagte er mit bescheidener +Stimme, gute Lieder wollen gut wiederhallen; nach guten Liedern soll +man lange schweigen. + +So thun es diese Alle, die höheren Menschen. Du aber hast wohl Wenig +von meinem Lied verstanden? In dir ist Wenig von einem Zaubergeiste." + +"Du lobst mich, entgegnete der Gewissenhafte, indem du mich von dir +abtrennst, wohlan! Aber ihr Anderen, was sehe ich? Ihr sitzt alle noch +mit lüsternen Augen da -: + +Ihr freien Seelen, wohin ist eure Freiheit! Fast, dünkt mich's, +gleicht ihr Solchen, die lange schlimmen tanzenden nackten Mädchen +zusahn: eure Seelen tanzen selber! + +In euch, ihr höheren Menschen, muss Mehr von Dem sein, was der +Zauberer seinen bösen Zauber- und Truggeist nennt: - wir müssen wohl +verschieden sein. + +Und wahrlich, wir sprachen und dachten genug mitsammen, ehe +Zarathustra heimkam zu seiner Höhle, als dass ich nicht wüsste: wir +_sind_ verschieden. + +Wir _suchen_ Verschiednes auch hier oben, ihr und ich. Ich nämlich +suche _mehr_Sicherheit_, desshalb kam ich zu Zarathustra. Der nämlich +ist noch der festeste Thurm und Wille - + +- heute, wo Alles wackelt, wo alle Erde bebt. Ihr aber, wenn ich +eure Augen sehe, die ihr macht, fast dünkt mich's, ihr sucht mehr +_Unsicherheit_, + +- mehr Schauder, mehr Gefahr, mehr Erdbeben. Euch gelüstet, fast dünkt +mich's so, vergebt meinem Dünkel, ihr höheren Menschen - + +- euch gelüstet nach dem schlimmsten gefährlichsten Leben, das _mir_ +am meisten Furcht macht, nach dem Leben wilder Thiere, nach Wäldern, +Höhlen, steilen Bergen und Irr- Schlünden. + +Und nicht die Führer _aus_ der Gefahr gefallen euch am besten, +sondern die euch von allen Wegen abführen, die Verführer. Aber, wenn +solch Gelüsten an euch _wirklich_ ist, so dünkt es mich trotzdem +_unmöglich_. + +Furcht nämlich - das ist des Menschen Erb- und Grundgefühl; aus der +Furcht erklärt sich jegliches, Erbsünde und Erbtugend. Aus der Furcht +wuchs auch _meine_ Tugend, die heisst: Wissenschaft. + +Die Furcht nämlich vor wildem Gethier - die wurde dem Menschen am +längsten angezüchtet, einschliesslich das Thier, das er in sich selber +birgt und fürchtet: - Zarathustra heisst es `das innere Vieh`. + +Solche lange alte Furcht, endlich fein geworden, geistlich, geistig - +heute, dünkt mich, heisst sie: Wissenschaft." - + +Also sprach der Gewissenhafte; aber Zarathustra, der eben in seine +Höhle zurückkam und die letzte Rede gehört und errathen hatte, warf +dem Gewissenhaften eine Hand voll Rosen zu und lachte ob seiner +"Wahrheiten". "Wie! rief er, was hörte ich da eben? Wahrlich, mich +dünkt, du bist ein Narr oder ich selber bin's: und deine `Wahrheit` +stelle ich rucks und flugs auf den Kopf. + +_Furcht_ nämlich - ist unsre Ausnahme. Muth aber und Abenteuer und +Lust am Ungewissen, am Ungewagten, - _Muth_ dünkt mich des Menschen +ganze Vorgeschichte. + +Den wildesten muthigsten Thieren hat er alle ihre Tugenden abgeneidet +und abgeraubt: so erst wurde er - zum Menschen. + +_Dieser_ Muth, endlich fein geworden, geistlich, geistig, dieser +Menschen-Muth mit Adler-Flügeln und Schlangen-Klugheit: _der_, dünkt +mich, heisst heute -" + +"Zarathustra"! schrien Alle, die beisammen sassen, wie aus Einem Munde +und machten dazu ein grosses Gelächter; es hob sich aber von ihnen wie +eine schwere Wolke. Auch der Zauberer lachte und sprach mit Klugheit: +"Wohlan! Er ist davon, mein böser Geist! + +Und habe ich euch nicht selber vor ihm gewarnt, als ich sagte, dass er +ein Betrüger sei, ein Lug- und Truggeist? + +Sonderlich nämlich, wenn er sich nackend zeigt. Aber was kann _ich_ +für seine Tücken! Habe _ich_ ihn und die Welt geschaffen? + +Wohlan! Seien wir wieder gut und guter Dinge! Und ob schon Zarathustra +böse blickt - seht ihn doch! er ist mir gram -: + +- bevor die Nacht kommt, lernt er wieder, mich lieben und loben, er +kann nicht lange leben, ohne solche Thorheiten zu thun. + +_Der_ - liebt seine Feinde: diese Kunst versteht er am besten von +Allen, die ich sah. Aber er nimmt Rache dafür - an seinen Freunden!" + +Also sprach der alte Zauberer, und die höheren Menschen zollten ihm +Beifall: so dass Zarathustra herumgieng und mit Bosheit und Liebe +seinen Freunden die Hände schüttelte, - gleichsam als Einer, der an +Allen Etwas gutzumachen und abzubitten hat. Als er aber dabei an die +Thür seiner Höhle kam, siehe, da gelüstete ihn schon wieder nach der +guten Luft da draussen und nach seinen Thieren, - und er wollte hinaus +schlüpfen. + + + +Unter Töchtern der Wüste + +1. + +"Gehe nicht davon! sagte da der Wanderer, welcher sich den Schatten +Zarathustra's nannte, bleibe bei uns, es möchte uns sonst die alte +dumpfe Trübsal wieder anfallen. + +Schon gab uns jener alte Zauberer von seinem Schlimmsten zum Besten, +und siehe doch, der gute fromme Papst da hat Thränen in den Augen und +hat sich ganz wieder auf's Meer der Schwermuth eingeschifft. + +Diese Könige mögen wohl vor uns noch gute Miene machen: das lernten +_Die_ nämlich von uns Allen heute am Besten! Hätten sie aber keine +Zeugen, ich wette, auch bei ihnen fienge das böse Spiel wieder an - + +- das böse Spiel der ziehenden Wolken, der feuchten Schwermuth, der +verhängten Himmel, der gestohlenen Sonnen, der heulenden Herbst-Winde, + +- das böse Spiel unsres Heulens und Nothschreiens: bleibe bei uns, oh +Zarathustra! Hier ist viel verborgenes Elend, das reden will, viel +Abend, viel Wolke, viel dumpfe Luft! + +Du nährtest uns mit starker Manns-Kost und kräftigen Sprüchen: lass es +nicht zu, dass uns zum Nachtisch die weichlichen weiblichen Geister +wieder anfallen! + +Du allein machst die Luft um dich herum stark und klar! Fand ich je +auf Erden so gute Luft als bei dir in deiner Höhle? + +Viele Länder sah ich doch, meine Nase lernte vielerlei Luft prüfen und +abschätzen: aber bei dir schmecken meine Nüstern ihre grösste Lust! + +Es sei denn, - es sei denn -, oh vergieb eine alte Erinnerung! Vergieb +mir ein altes Nachtisch-Lied, das ich einst unter Töchtern der Wüste +dichtete: - + +- bei denen nämlich gab es gleich gute helle morgenländische Luft; +dort war ich am fernsten vom wolkigen feuchten schwermüthigen +Alt-Europa! + +Damals liebte ich solcherlei Morgenland-Mädchen und andres blaues +Himmelreich, über dem keine Wolken und keine Gedanken hängen. + +Ihr glaubt es nicht, wie artig sie dasassen, wenn sie nicht tanzten, +tief, aber ohne Gedanken, wie kleine Geheimnisse, wie bebänderte +Räthsel, wie Nachtisch-Nüsse - + +bunt und fremd fürwahr! aber ohne Wolken: Räthsel, die sich +rathen lassen: solchen Mädchen zu Liebe erdachte ich damals einen +Nachtisch-Psalm." + +Also sprach der Wanderer und Schatten; und ehe Jemand ihm antwortete, +hatte er schon die Harfe des alten Zauberers ergriffen, die Beine +gekreuzt und blickte gelassen und weise um sich: - mit den Nüstern +aber zog er langsam und fragend die Luft ein, wie Einer, der in neuen +Ländern neue fremde Luft kostet. Darauf hob er mit einer Art Gebrüll +zu singen an. + + +2. + +Die Wüste wächst: weh Dem, der Wüsten birgt! + + - Ha! Feierlich! + In der That feierlich! + Ein würdiger Anfang! + Afrikanisch feierlich! + Eines Löwen würdig, + Oder eines moralischen Brüllaffen - + - aber Nichts für euch, + Ihr allerliebsten Freundinnen, + Zu deren Füssen mir + Zum ersten Male, + Einem Europäer, unter Palmen + Zu sitzen vergönnt ist. Sela. + + Wunderbar wahrlich! + Da sitze ich nun, + Der Wüste nahe und bereits + So fern wieder der Wüste, + Auch in Nichts noch verwüstet: + Nämlich hinabgeschluckt + Von dieser kleinsten Oasis -: + - sie sperrte gerade gähnend + Ihr liebliches Maul auf. + Das wohlriechendste aller Mäulchen: + Da fiel ich hinein, + Hinab, hindurch - unter euch, + Ihr allerliebsten Freundinnen! Sela. + + Heil, Heil jenem Wallfische, + Wenn er also es seinem Gaste + Wohl sein liess! - ihr versteht + Meine gelehrte Anspielung? + Heil seinem Bauche, + Wenn er also + Ein so lieblicher Oasis-Bauch war + Gleich diesem: was ich aber in Zweifel ziehe, + - dafür komme ich aus Europa, + Das zweifelsüchtiger ist als alle + Ältlichen Eheweibchen. + Möge Gott es bessern! + Amen! + + Da sitze ich nun, + In dieser kleinsten Oasis, + Einer Dattel gleich, + Braun, durchsüsst, goldschwürig, lüstern + Nach einem runden Mädchenmunde, + Mehr noch aber nach mädchenhaften + Eiskalten schneeweissen schneidigen + Beisszähnen: nach denen nämlich + Lechzt das Herz allen heissen Datteln. Sela. + + Den genannten Südfrüchten + Ähnlich, allzuähnlich + Liege ich hier, von kleinen + Flügelkäfern + Umtänzelt und umspielt, + Insgleichen von noch kleineren + Thörichteren boshafteren + Wünschen und Einfällen, + Umlagert von euch, + Ihr stummen, ihr ahnungsvollen + Mädchen-Katzen, + Dudu und Suleika, + - _umsphinxt_, dass ich in Ein Wort + Viel Gefühle stopfe: + (Vergebe mir Gott + Diese Sprach-Sünde!) + - sitze hier, die beste Luft schnüffelnd, + Paradieses-Luft wahrlich, + Lichte leichte Luft, goldgestreifte, + So gute Luft nur je + Vom Monde herabfiel - + Sei es aus Zufall, + Oder geschah es aus Übermuthe? + Wie die alten Dichter erzählen. + Ich Zweifler aber ziehe es + In Zweifel, dafür aber komme ich + Aus Europa, + Das zweifelsüchtiger ist als alle + Ältlichen Eheweibchen. + Möge Gott es bessern! + Amen! + + Diese schönste Luft trinkend, + Mit Nüstern geschwellt gleich Bechern, + Ohne Zukunft, ohne Erinnerungen, + So sitze ich hier, ihr + Allerliebsten Freundinnen, + Und sehe der Palme zu, + Wie sie, einer Tänzerin gleich, + Sich biegt und schmiegt und in der Hüfte wiegt, + - man thut es mit, sieht man lange zu! + Einer Tänzerin gleich, die, wie mir scheinen will, + Zu lange schon, gefährlich lange + Immer, immer nur auf Einem Beine stand? + - da vergass sie darob, wie mir scheinen will, + Das andre Bein? + Vergebens wenigstens + Suchte ich das vermisste + Zwillings-Kleinod + - nämlich das andre Bein - + In der heiligen Nähe + Ihres allerliebsten, allerzierlichsten + Fächer- und Flatter- und Flitterröckchens. + ja, wenn ihr mir, ihr schönen Freundinnen, + Ganz glauben wollt: + Sie hat es verloren! + Es ist dahin! + Auf ewig dahin! + Das andre Bein! + Oh schade um dieses liebliche andre Bein! + Wo - mag es wohl weilen und verlassen trauern? + Das einsame Bein? + In Furcht vielleicht vor einem + Grimmen gelben blondgelockten + Löwen-Unthiere? Oder gar schon + Abgenagt, abgeknabbert - + Erbärmlich, wehe! wehe! abgeknabbert! Sela. + + Oh weint mir nicht, + Weiche Herzen! + Weint mir nicht, ihr + Dattel-Herzen! Milch-Busen! + Ihr Süssholz-Herz- + Beutelchen! + Weine nicht mehr, + Bleiche Dudu! + Sei ein Mann, Suleika! Muth! Muth! + - Oder sollte vielleicht + Etwas Stärkendes, Herz-Stärkendes, + Hier am Platze sein? + Ein gesalbter Spruch? + Ein feierlicher Zuspruch? - + + Ha! Herauf, Würde! + Tugend-Würde! Europäer-Würde! + Blase, blase wieder, + Blasebalg der Tugend! + Ha! + Noch Ein Mal brüllen, + Moralisch brüllen! + Als moralischer Löwe + Vor den Töchtern der Wüste brüllen! + - Denn Tugend-Geheul, + Ihr allerliebsten Mädchen, + Ist mehr als Alles + Europäer-Inbrunst, Europäer-Heisshunger! + Und da stehe ich schon, + Als Europäer, + Ich kann nicht anders, Gott helfe mir! + Amen! + +Die Wüste wächst: weh Dem, der Wüsten birgt! + + + +Die Erweckung + +1. + +Nach dem Liede des Wanderers und Schattens wurde die Höhle mit Einem +Male voll Lärmens und Lachens; und da die versammelten Gäste alle +zugleich redeten, und auch der Esel, bei einer solchen Ermuthigung, +nicht mehr still blieb, überkam Zarathustra ein kleiner Widerwille +und Spott gegen seinen Besuch: ob er sich gleich ihrer Fröhlichkeit +erfreute. Denn sie dünkte ihm ein Zeichen der Genesung. So schlüpfte +er hinaus in's Freie und sprach zu seinen Thieren. + +"Wo ist nun ihre Noth hin? sprach er, und schon athmete er selber von +seinem kleinen Überdrusse auf, - bei mir verlernten sie, wie mich +dünkt, das Nothschrein! + +- wenn auch, leider, noch nicht das Schrein." Und Zarathustra hielt +sich die Ohren zu, denn eben mischte sich das I-A des Esels wunderlich +mit dem Jubel-Lärm dieser höheren Menschen. + +"Sie sind lustig, begann er wieder, und wer weiss? vielleicht auf +ihres Wirthes Unkosten; und lernten sie von mir lachen, so ist es doch +nicht _mein_ Lachen, das sie lernten. + +Aber was liegt daran! Es sind alte Leute: sie genesen auf ihre Art, +sie lachen auf ihre Art; meine Ohren haben schon Schlimmeres erduldet +und wurden nicht unwirsch. + +Dieser Tag ist ein Sieg: er weicht schon, er flieht, +_der_Geist_der_Schwere_, mein alter Erzfeind! Wie gut will dieser Tag +enden, der so schlimm und schwer begann! + +Und enden _will_ er. Schon kommt der Abend: über das Meer her reitet +er, der gute Reiter! Wie er sich wiegt, der Selige, Heimkehrende, in +seinen purpurnen Sätteln! + +Der Himmel blickt klar dazu, die Welt liegt tief: oh all ihr +Wunderlichen, die ihr zu mir kamt, es lohnt sich schon, bei mir zu +leben!" + +Also sprach Zarathustra. Und wieder kam da das Geschrei und Gelächter +der höheren Menschen aus der Höhle: da begann er von Neuem. + +"Sie beissen an, mein Köder wirkt, es weicht auch ihnen ihr Feind, der +Geist der Schwere. Schon lernen sie über sich selber lachen: höre ich +recht? + +Meine Manns-Kost wirkt, mein Saft- und Kraft-Spruch: und wahrlich, +ich nährte sie nicht mit Bläh-Gemüsen! Sondern mit Krieger-Kost, mit +Eroberer-Kost: neue Begierden weckte ich. + +Neue Hoffnungen sind in ihren Armen und Beinen, ihr Herz streckt sich +aus. Sie finden neue Worte, bald wird ihr Geist Muthwillen athmen. + +Solche Kost mag freilich nicht für Kinder sein, noch auch für +sehnsüchtige alte und junge Weibchen. Denen überredet man anders die +Eingeweide; deren Arzt und Lehrer bin ich nicht. + +Der _Ekel_ weicht diesen höheren Menschen: wohlan! das ist mein Sieg. +In meinem Reiche werden sie sicher, alle dumme Scham läuft davon, sie +schütten sich aus. + +Sie schütten ihr Herz aus, gute Stunden kehren ihnen zurück, sie +feiern und käuen wieder, - sie werden _dankbar_. + +_Das_ nehme ich als das beste Zeichen: sie werden dankbar. Nicht lange +noch, und sie denken sich Feste aus und stellen Denksteine ihren alten +Freuden auf. + +Es sind _Genesende_!" Also sprach Zarathustra fröhlich zu seinem +Herzen und schaute hinaus; seine Thiere aber drängten sich an ihn und +ehrten sein Glück und sein Stillschweigen. + + +2. + +Plötzlich aber erschrak das Ohr Zarathustra's: die Höhle nämlich, +welche bisher voller Lärmens und Gelächters war, wurde mit Einem Male +todtenstill; - seine Nase aber roch einen wohlriechenden Qualm und +Weihrauch, wie von brennenden Pinien-Zapfen. + +"Was geschieht? Was treiben sie?" fragte er sich und schlich zum +Eingange heran, dass er seinen Gästen, unvermerkt, zusehn könne. Aber, +Wunder über Wunder! was musste er da mit seinen eignen Augen sehn! + +"Sie sind Alle wieder _fromm_ geworden, sie _beten_, sie sind toll!" +- sprach er und verwundene sich über die Maassen. Und, fürwahr!, alle +diese höheren Menschen, die zwei Könige, der Papst ausser Dienst, der +schlimme Zauberer, der freiwillige Bettler, der Wanderer und Schatten, +der alte Wahrsager, der Gewissenhafte des Geistes und der hässlichste +Mensch: sie lagen Alle gleich Kindern und gläubigen alten Weibchen auf +den Knien und beteten den Esel an. Und eben begann der hässlichste +Mensch zu gurgeln und zu schnauben, wie als ob etwas Unaussprechliches +aus ihm heraus wolle; als er es aber wirklich bis zu Worten gebracht +hatte, siehe, da war es eine fromme seltsame Litanei zur Lobpreisung +des angebeteten und angeräucherten Esels. Diese Litanei aber klang +also: + +Amen! Und Lob und Ehre und Weisheit und Dank und Preis und Stärke sei +unserm Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit! + +- Der Esel aber schrie dazu I-A. + +Er trägt unsre Last, er nahm Knechtsgestalt an, er ist geduldsam von +Herzen und redet niemals Nein; und wer seinen Gott liebt, der züchtigt +ihn. + +- Der Esel aber schrie dazu I-A. + +Er redet nicht: es sei denn, dass er zur Welt, die er Schuf, immer Ja +sagt: also preist er seine Welt. Seine Schlauheit ist es, die nicht +redet: so bekommt er selten Unrecht. + +- Der Esel aber schrie dazu I-A. + +Unscheinbar geht er durch die Welt. Grau ist die Leib-Farbe, in welche +er seine Tugend hüllt. Hat er Geist, so verbirgt er ihn; Jedermann +aber glaubt an seine langen Ohren. + +- Der Esel aber schrie dazu I-A. + +Welche verborgene Weisheit ist das, dass er lange Ohren trägt und +allein ja und nimmer Nein sagt! Hat er nicht die Welt erschaffen nach +seinem Bilde, nämlich so dumm als möglich? + +- Der Esel aber schrie dazu I-A. + +Du gehst gerade und krumme Wege; es kümmert dich wenig, was uns +Menschen gerade oder krumm dünkt. Jenseits von Gut und Böse ist dein +Reich. Es ist deine Unschuld, nicht zu wissen, was Unschuld ist. + +- Der Esel aber schrie dazu I-A. + +Siehe doch, wie du Niemanden von dir stössest, die Bettler nicht, noch +die Könige. Die Kindlein lässest du zu dir kommen, und wenn dich die +bösen Buben locken, so sprichst du einfältiglich I-A. + +- Der Esel aber schrie dazu I-A. + +Du liebst Eselinnen und frische Feigen, du bist kein Kostverächter. +Eine Distel kitzelt dir das Herz, wenn du gerade Hunger hast. Darin +liegt eines Gottes Weisheit. + +- Der Esel aber schrie dazu I-A. + + + +Das Eselsfest + +1. + +An dieser Stelle der Litanei aber konnte Zarathustra sich nicht länger +bemeistern, schrie selber I-A, lauter noch als der Esel, und sprang +mitten unter seine tollgewordenen Gäste. + +"Aber was treibt ihr da, ihr Menschenkinder? rief er, indem er die +Betenden vom Boden empor riss. Wehe, wenn euch Jemand Anderes zusähe +als Zarathustra: + +Jeder würde urtheilen, ihr wäret mit eurem neuen Glauben die ärgsten +Gotteslästerer oder die thörichtsten aller alten Weiblein! + +Und du selber, du alter Papst, wie stimmt Das mit dir selber zusammen, +dass du solchergestalt einen Esel hier als Gott anbetest?" - + +"Oh Zarathustra, antwortete der Papst, vergieb mir, aber in Dingen +Gottes bin ich aufgeklärter noch als du. Und so ist's billig. + +Lieber Gott also anbeten, in dieser Gestalt, als in gar keiner +Gestalt! Denke über diesen Spruch nach, mein hoher Freund: du erräthst +geschwind, in solchem Spruch steckt Weisheit. + +Der, welcher sprach `Gott ist ein Geist` - der machte bisher auf Erden +den grössten Schritt und Sprung zum Unglauben: solch Wort ist auf +Erden nicht leicht wieder gut zu machen! + +Mein altes Herz springt und hüpft darob, dass es auf Erden noch Etwas +anzubeten giebt. Vergieb das, oh Zarathustra, einem alten frommen +Papst-Herzen! -" + +- "Und du, sagte Zarathustra zu dem Wanderer und Schatten, du nennst +und wähnst dich einen freien Geist? Und treibst hier solchen Götzen- +und Pfaffendienst? + +Schlimmer, wahrlich, treibst du's hier noch als bei deinen schlimmen +braunen Mädchen, du schlimmer neuer Gläubiger!" + +"Schlimm genug, antwortete der Wanderer und Schatten, du hast Recht: +aber was kann ich dafür! Der alte Gott lebt wieder, Oh Zarathustra, du +magst reden, was du willst. + +Der hässlichste Mensch ist an Allem schuld: der hat ihn wieder +auferweckt. Und wenn er sagt, dass er ihn einst getödtet habe: _Tod_ +ist bei Göttern immer nur ein Vorurtheil." + +- Und du, sprach Zarathustra, du schlimmer alter Zauberer, was thatest +du! Wer soll, in dieser freien Zeit, fürderhin an dich glauben, wenn +_du_ an solche Götter-Eseleien glaubst? + +Es war eine Dummheit, was du thatest; wie konntest du, du Kluger, eine +solche Dummheit thun! + +"Oh Zarathustra, antwortete der kluge Zauberer, du hast Recht, es war +eine Dummheit, - es ist mir auch schwer genug geworden." + +- "Und du gar, sagte Zarathustra, zu dem Gewissenhaften des Geistes, +erwäge doch und lege den Finger an deine Nase! Geht hier denn Nichts +wider dein Gewissen? Ist dein Geist nicht zu reinlich für diess Beten +und den Dunst dieser Betbrüder?" + +"Es ist Etwas daran, antwortete der Gewissenhafte und legte den Finger +an die Nase, es ist Etwas an diesem Schauspiele, das meinem Gewissen +sogar wohlthut. + +Vielleicht, dass ich an Gott nicht glauben darf: gewiss aber ist, dass +Gott mir in dieser Gestalt noch am glaubwürdigsten dünkt. + +Gott soll ewig sein, nach dem Zeugnisse der Frömmsten: wer so viel +Zeit hat, lässt sich Zeit. So langsam und so dumm als möglich: _damit_ +kann ein Solcher es doch sehr weit bringen. + +Und wer des Geistes zu viel hat, der möchte sich wohl in die Dumm- +und Narrheit selber vernarren. Denke über dich selber nach, oh +Zarathustra! + +Du selber - wahrlich! auch du könntest wohl aus Überfluss und Weisheit +zu einem Esel werden. + +Geht nicht ein vollkommner Weiser gern auf den krümmsten Wegen? Der +Augenschein lehrt es, oh Zarathustra, - _dein_ Augenschein!" + +- "Und du selber zuletzt, sprach Zarathustra und wandte sich gegen den +hässlichsten Menschen, der immer noch auf dem Boden lag, den Arm zu +dem Esel emporhebend (er gab ihm nämlich Wein zu trinken). Sprich, du +Unaussprechlicher, was hast du da gemacht! + +Du dünkst mich verwandelt, dein Auge glüht, der Mantel des Erhabenen +liegt um deine Hässlichkeit: _was_ thatest du? + +Ist es denn wahr, was jene sagen, dass du ihn wieder auferwecktest? +Und wozu? War er nicht mit Grund abgetödtet und abgethan? + +Du selber dünkst mich aufgeweckt: was thatest du? was kehrtest _du_ +um? Was bekehrtest _du_ dich? Sprich, du Unaussprechlicher?" + +"Oh Zarathustra, antwortete der hässlichste Mensch, du bist ein +Schelm! + +Ob _Der_ noch lebt oder wieder lebt oder gründlich todt ist, - wer von +uns Beiden weiss Das am Besten? Ich frage dich. + +Eins aber weiss ich, - von dir selber lernte ich's einst, oh +Zarathustra: wer am gründlichsten tödten will, der _lacht_. + +`Nicht durch Zorn, sondern durch Lachen tödtet man` - so sprachst du +einst. Oh Zarathustra, du Verborgener, du Vernichter ohne Zorn, du +gefährlicher Heiliger, - du bist ein Schelm!" + + +2. + +Da aber geschah es, dass Zarathustra, verwundert über lauter solche +Schelmen-Antworten, zur Thür seiner Höhle zurück sprang und, gegen +alle seine Gäste gewendet, mit starker Stimme schrie: + +"Oh ihr Schalks-Narren allesammt, ihr Possenreisser! Was verstellt und +versteckt ihr euch vor mir! + +Wie doch einem jeden von euch das Herz zappelte vor Lust und Bosheit, +darob, dass ihr endlich einmal wieder wurdet wie die Kindlein, nämlich +fromm, - + +- dass ihr endlich wieder thatet wie Kinder thun, nämlich betetet, +hände-faltetet und `lieber Gott` sagtet! + +Aber nun lasst mir _diese_ Kinderstube, meine eigne Höhle, wo heute +alle Kinderei zu Hause ist. Kühlt hier draussen euren heissen +Kinder-Übermuth und Herzenslärm ab! + +Freilich: so ihr nicht werdet wie die Kindlein, so kommt ihr nicht in +_das_ Himmelreich. (Und Zarathustra zeigte mit den Händen nach Oben.) + +Aber wir wollen auch gar nicht in's Himmelreich: Männer sind wir +worden, - so wollen wir das Erdenreich." + + +3. + +Und noch einmal hob Zarathustra an zu reden. "Oh meine neuen Freunde, +sprach er, - ihr Wunderlichen, ihr höheren Menschen, wie gut gefallt +ihr mir nun, - + +- seit ihr wieder fröhlich wurdet! Ihr seid wahrlich Alle aufgeblüht: +mich dünkt, solchen Blumen, wie ihr seid, thun _neue_Feste_ noth, + +- ein kleiner tapferer Unsinn, irgend ein Gottesdienst und Eselsfest, +irgend ein alter fröhlicher Zarathustra-Narr, ein Brausewind, der euch +die Seelen hell bläst. + +Vergesst die Nacht und diess Eselsfest nicht, ihr höheren Menschen! +_Das_ erfandet ihr bei mir, Das nehme ich als gutes Wahrzeichen, - +Solcherlei erfinden nur Genesende! + +Und feiert ihr es abermals, dieses Eselsfest, thut's euch zu Liebe, +thut's auch mir zu Liebe! Und zu _meinem_ Gedächtniss!" + +Also sprach Zarathustra. + + + +Das Nachtwandler-Lied + +1. + +Inzwischen aber war Einer nach dem Andern hinaus getreten, in's Freie +und in die kühle nachdenkliche Nacht; Zarathustra selber aber führte +den hässlichsten Menschen an der Hand, dass er ihm seine Nacht-Welt +und den grossen runden Mond und die silbernen Wasserstürze bei seiner +Höhle zeige. Da standen sie endlich still bei einander, lauter alte +Leute, aber mit einem getrösteten tapferen Herzen und verwundert +bei sich, dass es ihnen auf Erden so wohl war; die Heimlichkeit der +Nacht aber kam ihnen näher und näher an's Herz. Und von Neuem dachte +Zarathustra bei sich: "oh wie gut sie mir nun gefallen, diese höheren +Menschen!" - aber er sprach es nicht aus, denn er ehrte ihr Glück und +ihr Stillschweigen. - + +Da aber geschah Das, was an jenem erstaunlichen langen Tage das +Erstaunlichste war: der hässlichste Mensch begann noch ein Mal und zum +letzten Mal zu gurgeln und zu schnauben, und als er es bis zu Worten +gebracht hatte, siehe, da sprang eine Frage rund und reinlich aus +seinem Munde, eine gute tiefe klare Frage, welche Allen, die ihm +zuhörten, das Herz im Leibe bewegte. + +"Meine Freunde insgesammt, sprach der hässlichste Mensch, was dünket +euch? Um dieses Tags Willen - _ich_ bin's zum ersten Male zufrieden, +dass ich das ganze Leben lebte. + +Und dass ich so viel bezeuge, ist mir noch nicht genug. Es lohnt sich +auf der Erde zu leben: Ein Tag, Ein Fest mit Zarathustra lehrte mich +die Erde lieben. + +`War _Das_ - das Leben?` will ich zum Tode sprechen. `Wohlan! Noch Ein +Mal!` + +Meine Freunde, was dünket euch? Wollt ihr nicht gleich mir zum Tode +sprechen: War Das - das Leben? Um Zarathustra's Willen, wohlan! Noch +Ein Mal!" - - + +Also sprach der hässlichste Mensch; es war aber nicht lange vor +Mitternacht. Und was glaubt ihr wohl, dass damals sich zutrug? Sobald +die höheren Menschen seine Frage hörten, wurden sie sich mit Einem +Male ihrer Verwandlung und Genesung bewusst, und wer ihnen dieselbe +gegeben habe: da sprangen sie auf Zarathustra zu, dankend, verehrend, +liebkosend, ihm die Hände küssend, so wie es der Art eines Jeden eigen +war: also dass Einige lachten, Einige weinten. Der alte Wahrsager aber +tanzte vor Vergnügen; und wenn er auch, wie manche Erzähler meinen, +damals voll süssen Weines war, so war er gewisslich noch voller des +süssen Lebens und hatte aller Müdigkeit abgesagt. Es giebt sogar +Solche, die erzählen, dass damals der Esel getanzt habe: nicht umsonst +nämlich habe ihm der hässlichste Mensch vorher Wein zu trinken +gegeben. Diess mag sich nun so verhalten oder auch anders; und wenn in +Wahrheit an jenem Abende der Esel nicht getanzt hat, so geschahen doch +damals grössere und seltsamere Wunderdinge als es das Tanzen eines +Esels wäre. Kurz, wie das Sprichwort Zarathustra's lautet: "was liegt +daran!" + + +2. + +Zarathustra aber, als sich diess mit dem hässlichsten Menschen zutrug, +stand da, wie ein Trunkener: sein Blick erlosch, seine Zunge lallte, +seine Füsse schwankten. Und wer möchte auch errathen, welche Gedanken +dabei über Zarathustra's Seele liefen? Ersichtlich aber wich sein +Geist zurück und floh voraus und war in weiten Fernen und gleichsam +"auf hohem Joche, wie geschrieben steht, zwischen zwei Meeren, + +- zwischen Vergangenem und Zukünftigem als schwere Wolke wandelnd." +Allgemach aber, während ihn die höheren Menschen in den Armen hielten, +kam er ein Wenig zu sich selber zurück und wehrte mit den Händen dem +Gedränge der Verehrenden und Besorgten; doch sprach er nicht. Mit +Einem Male aber wandte er schnell den Kopf, denn er schien Etwas zu +hören: da legte er den Finger an den Mund und sprach: "Kommt!" + +Und alsbald wurde es rings still und heimlich; aus der Tiefe aber kam +langsam der Klang einer Glocke herauf. Zarathustra horchte darnach, +gleich den höheren Menschen; dann aber legte er zum andern Male den +Finger an den Mund und sprach wiederum: "Kommt! Kommt! Es geht gen +Mitternacht!" - und seine Stimme hatte sich verwandelt. Aber immer +noch rührte er sich nicht von der Stelle: da wurde es noch stiller +und heimlicher, und Alles horchte, auch der Esel, und Zarathustra's +Ehrenthiere, der Adler und die Schlange, insgleichen die Höhle +Zarathustra's und der grosse kühle Mond und die Nacht selber. +Zarathustra aber legte zum dritten Male die Hand an den Mund und +sprach: + +Kommt! Kommt! Kommt! Lasst uns jetzo wandeln! Es ist die Stunde: lasst +uns in die Nacht wandeln! + + +3. + +Ihr höheren Menschen, es geht gen Mitternacht: da will ich euch Etwas +in die Ohren sagen, wie jene alte Glocke es mir in's Ohr sagt, - + +- so heimlich, so schrecklich, so herzlich, wie jene +Mitternachts-Glocke zu mir es redet, die mehr erlebt hat als Ein +Mensch: + +- welche schon eurer Väter Herzens-Schmerzens-Schläge abzählte - ach! +ach! wie sie seufzt! wie sie im Traume lacht! die alte tiefe tiefe +Mitternacht! + +Still! Still! Da hört sich Manches, das am Tage nicht laut werden +darf; nun aber, bei kühler Luft, da auch aller Lärm eurer Herzen +stille ward, - + +- nun redet es, nun hört es sich, nun schleicht es sich in nächtliche +überwache Seelen: ach! ach! wie sie seufzt! wie sie im Traume lacht! + +- hörst du's nicht, wie sie heimlich, schrecklich, herzlich zu _dir_ +redet, die alte tiefe tiefe Mitternacht? Oh Mensch, gieb Acht! + + +4. + +Wehe mir! Wo ist die Zeit hin? Sank ich nicht in tiefe Brunnen? Die +Welt schläft - + +Ach! Ach! Der Hund heult, der Mond scheint. Lieber will ich sterben, +sterben, als euch sagen, was mein Mitternachts-Herz eben denkt. + +Nun starb ich schon. Es ist dahin. Spinne, was spinnst du um mich? +Willst du Blut? Ach! Ach! der Thau fällt, die Stunde kommt - + +- die Stunde, wo mich fröstelt und friert, die fragt und fragt und +fragt: "wer hat Herz genug dazu? + +- wer soll der Erde Herr sein? Wer will sagen: _so_ sollt ihr laufen, +ihr grossen und kleinen Ströme!" + +- die Stunde naht: oh Mensch, du höherer Mensch, gieb Acht! diese +Rede ist für feine Ohren, für deine Ohren was spricht die tiefe +Mitternacht? + + +5. + +Es trägt mich dahin, meine Seele tanzt. Tagewerk! Tagewerk! Wer soll +der Erde Herr sein? + +Der Mond ist kühl, der Wind schweigt. Ach! Ach! Flogt ihr schon hoch +genug? Ihr tanztet: aber ein Bein ist doch kein Flügel. + +Ihr guten Tänzer, nun ist alle Lust vorbei, Wein ward Hefe, jeder +Becher ward mürbe, die Gräber stammeln. + +Ihr flogt nicht hoch genug: nun stammeln die Gräber "erlöst doch die +Todten! Warum ist so lange Nacht? Macht uns nicht der Mond trunken?" + +Ihr höheren Menschen, erlöst doch die Gräber, weckt die Leichname auf! +Ach, was gräbt noch der Wurm? Es naht, es naht die Stunde, - + +- es brummt die Glocke, es schnarrt noch das Herz, es gräbt noch der +Holzwurm, der Herzenswurm. Ach! Ach! Die Welt ist tief! + + +6. + +Süsse Leier! Süsse Leier! Ich liebe deinen Ton, deinen trunkenen +Unken-Ton! - wie lang her, wie fern her kommt mir dein Ton, weit her, +von den Teichen der Liebe! + +Du alte Glocke, du süsse Leier! Jeder Schmerz riss dir in's Herz, +Vaterschmerz, Väterschmerz, Urväterschmerz, deine Rede wurde reif,- + +- reif gleich goldenem Herbste und Nachmittage, gleich meinem +Einsiedlerherzen - nun redest du: die Welt selber ward reif, die +Traube bräunt, + +- nun will sie sterben, vor Glück sterben. Ihr höheren Menschen, +riecht ihr's nicht? Es quillt heimlich ein Geruch herauf, + +- ein Duft und Geruch der Ewigkeit, ein rosenseliger, brauner +Gold-Wein-Geruch von altem Glücke, + +von trunkenem Mitternachts-Sterbeglücke, welches singt: die Welt ist +tief und tiefer als der Tag gedacht! + + +7. + +Lass mich! Lass mich! Ich bin zu rein für dich. Rühre mich nicht an! +Ward meine Welt nicht eben vollkommen? + +Meine Haut ist zu rein für deine Hände. Lass mich, du dummer +tölpischer dumpfer Tag! Ist die Mitternacht nicht heller? + +Die Reinsten sollen der Erde Herrn sein, die Unerkanntesten, +Stärksten, die Mitternachts-Seelen, die heller und tiefer sind als +jeder Tag. + +Oh Tag, du tappst nach mir? Du tastest nach meinem Glücke? Ich bin dir +reich, einsam, eine Schatzgrube, eine Goldkammer? + +Oh Welt, du willst _mich_? Bin ich dir weltlich? Bin ich dir +geistlich? Bin ich dir göttlich? Aber Tag und Welt, ihr seid zu +plump, - + +- habt klügere Hände, greift nach tieferem Glücke, nach tieferem +Unglücke, greift nach irgend einem Gotte, greift nicht nach mir: + +- mein Unglück, mein Glück ist tief, du wunderlicher Tag, aber doch +bin ich kein Gott, keine Gottes-Hölle: tief ist ihr Weh. + + +8. + +Gottes Weh ist tiefer, du wunderliche Welt! Greife nach Gottes Weh, +nicht nach mir! Was bin ich! Eine trunkene süsse Leier, - + +eine Mitternachts-Leier, eine Glocken-Unke, die Niemand versteht, +aber welche reden _muss_, vor Tauben, ihr höheren Menschen! Denn ihr +versteht mich nicht! + +Dahin! Dahin! Oh Jugend! Oh Mittag! Oh Nachmittag! Nun kam Abend und +Nacht und Mitternacht, - der Hund heult, der Wind: + +- ist der Wind nicht ein Hund? Er winselt, er kläfft, er heult. Ach! +Ach! wie sie seufzt! wie sie lacht, wie sie röchelt und keucht, die +Mitternacht! + +Wie sie eben nüchtern spricht, diese trunkene Dichterin! sie übertrat +wohl ihre Trunkenheit? sie wurde überwach? sie käut zurück? + +- ihr Weh käut sie zurück, im Traume, die alte tiefe Mitternacht, und +mehr noch ihre Lust. Lust nämlich, wenn schon Weh tief ist: Lust ist +tiefer noch als Herzeleid. + + +9. + +Du Weinstock! Was preisest du mich? Ich schnitt dich doch! Ich bin +grausam, du blutest -: was will dein Lob meiner trunkenen Grausamkeit? + +"Was vollkommen ward, alles Reife - will sterben!" so redest du. +Gesegnet, gesegnet sei das Winzermesser! Aber alles Unreife will +leben: wehe! + +Weh spricht: "Vergeh! Weg, du Wehe!" Aber Alles, was leidet, will +leben, dass es reif werde und lustig und sehnsüchtig, + +- sehnsüchtig nach Fernerem, Höherem, Hellerem. "Ich will Erben, so +spricht Alles, was leidet, ich will Kinder, ich will nicht _mich_," - + +Lust aber will nicht Erben, nicht Kinder, - Lust will sich selber, +will Ewigkeit, will Wiederkunft, will Alles-sich-ewig-gleich. + +Weh spricht: "Brich, blute, Herz! Wandle, Bein! Flügel, flieg! Hinan! +Hinauf! Schmerz!" Wohlan! Wohlauf! Oh mein altes Herz: Weh spricht: +"vergeh!" + + +10. + +Ihr höheren Menschen, was dünket euch? Bin ich ein Wahrsager? Ein +Träumender? Trunkener? Ein Traumdeuter? Eine Mitternachts-Glocke? + +Ein Tropfen Thau's? Ein Dunst und Duft der Ewigkeit? Hört ihr's nicht? +Riecht ihr's nicht? Eben ward meine Welt vollkommen, Mitternacht ist +auch Mittag, - + +Schmerz ist auch eine Lust, Fluch ist auch ein Segen, Nacht ist auch +eine Sonne, - geht davon oder ihr lernt: ein Weiser ist auch ein Narr. + +Sagtet ihr jemals ja zu Einer Lust? Oh, meine Freunde, so sagtet +ihr Ja auch zu _allem_ Wehe. Alle Dinge sind verkettet, verfädelt, +verliebt, - + +- wolltet ihr jemals Ein Mal Zwei Mal, spracht ihr jemals "du gefällst +mir, Glück! Husch! Augenblick!" so wolltet ihr _Alles_ zurück! + +- Alles von neuem, Alles ewig, Alles verkettet, verfädelt, verliebt, +oh so _liebtet_ ihr die Welt, - + +- ihr Ewigen, liebt sie ewig und allezeit: und auch zum Weh sprecht +ihr: vergeh, aber komm zurück! Denn alle Lust will - Ewigkeit! + + +11. + +Alle Lust will aller Dinge Ewigkeit, will Honig, will Hefe, will +trunkene Mitternacht, will Gräber, will Gräber-Thränen-Trost, will +vergüldetes Abendroth - + +- _was_ will nicht Lust! sie ist durstiger, herzlicher, hungriger, +schrecklicher, heimlicher als alles Weh, sie will _sich_, sie beisst +in _sich_, des Ringes Wille ringt in ihr, - + +- sie will Liebe, sie will Hass, sie ist überreich, schenkt, wirft +weg, bettelt, dass Einer sie nimmt, dankt dem Nehmenden, sie möchte +gern gehasst sein, - + +- so reich ist Lust, dass sie nach Wehe durstet, nach Hölle, nach +Hass, nach Schmach, nach dem Krüppel, nach _Welt_, - denn diese Welt, +oh ihr kennt sie ja! + +Ihr höheren Menschen, nach euch sehnt sie sich, die Lust, die +unbändige, selige, - nach eurem Weh, ihr Missrathenen! Nach +Missrathenem sehnt sich alle ewige Lust. + +Denn alle Lust will sich selber, drum will sie auch Herzeleid! Oh +Glück, oh Schmerz! Oh brich, Herz! Ihr höheren Menschen, lernt es +doch, Lust will Ewigkeit, + +- Lust will _aller_ Dinge Ewigkeit, will tiefe, tiefe Ewigkeit! + + +12. + +Lerntet ihr nun mein Lied? Erriethet ihr, was es will? Wohlan! +Wohlauf! Ihr höheren Menschen, so singt mir nun meinen Rundgesang! + +Singt mir nun selber das Lied, dess Name ist "Noch ein Mal", dess Sinn +ist "in alle Ewigkeit!", singt, ihr höheren Menschen, Zarathustra's +Rundgesang! + + Oh Mensch! Gieb Acht! + Was spricht die tiefe Mitternacht? + "Ich schlief, ich schlief -, + Aus tiefem Traum bin ich erwacht: - + Die Welt ist tief, + Und tiefer als der Tag gedacht. + Tief ist ihr Weh -, + Lust - tiefer noch als Herzeleid: + Weh spricht: Vergeh! + Doch alle Lust will Ewigkeit + will tiefe, tiefe Ewigkeit!" + + + +Das Zeichen + +Des Morgens aber nach dieser Nacht sprang Zarathustra von seinem Lager +auf, gürtete sich die Lenden und kam heraus aus seiner Höhle, glühend +und stark, wie eine Morgensonne, die aus dunklen Bergen kommt. + +"Du grosses Gestirn, sprach er, wie er einstmal gesprochen hatte, +du tiefes Glücks-Auge, was wäre all dein Glück, wenn du nicht _Die_ +hättest, welchen du leuchtest! + +Und wenn sie in ihren Kammern blieben, während du schon wach bist und +kommst und schenkst und austheilst: wie würde darob deine stolze Scham +zürnen! + +Wohlan! sie schlafen noch, diese höheren Menschen, während _ich_ wach +bin: _das_ sind nicht meine rechten Gefährten! Nicht auf sie warte ich +hier in meinen Bergen. + +Zu meinem Werke will ich, zu meinem Tage: aber sie verstehen nicht, +was die Zeichen meines Morgens sind, mein Schritt - ist für sie kein +Weckruf. + +Sie schlafen noch in meiner Höhle, ihr Traum käut noch an meinen +Mitternächten. Das Ohr, das nach _mir_ horcht, - das _gehorchende_ Ohr +fehlt in ihren Gliedern." + +- Diess hatte Zarathustra zu seinem Herzen gesprochen, als die Sonne +aufgieng: da blickte er fragend in die Höhe, denn er hörte über sich +den scharfen Ruf seines Adlers. "Wohlan! rief er hinauf, so gefällt +und gebührt es mir. Meine Thiere sind wach, denn ich bin wach. + +Mein Adler ist wach und ehrt gleich mir die Sonne. Mit Adlers-Klauen +greift er nach dem neuen Lichte. Ihr seid meine rechten Thiere; ich +liebe euch. + +Aber noch fehlen mir meine rechten Menschen!" - + +Also sprach Zarathustra; da aber geschah es, dass er sich plötzlich +wie von unzähligen Vögeln umschwärmt und umflattert hörte, - das +Geschwirr so vieler Flügel aber und das Gedräng um sein Haupt war so +gross, dass er die Augen schloss. Und wahrlich, einer Wolke gleich +fiel es über ihn her, einer Wolke von Pfeilen gleich, welche sich über +einen neuen Feind ausschüttet. Aber siehe, hier war es eine Wolke der +Liebe, und über einen neuen Freund. + +"Was geschieht mir?" dachte Zarathustra in seinem erstaunten Herzen +und liess sich langsam auf dem grossen Steine nieder, der neben dem +Ausgange seiner Höhle lag. Aber, indem er mit den Händen um sich und +über sich und unter sich griff, und den zärtlichen Vögeln wehrte, +siehe, da geschah ihm etwas noch Seltsameres: er griff nämlich dabei +unvermerkt in ein dichtes warmes Haar-Gezottel hinein; zugleich aber +erscholl vor ihm ein Gebrüll, - ein sanftes langes Löwen-Brüllen. + +"Das Zeichen kommt," sprach Zarathustra und sein Herz verwandelte +sich. Und in Wahrheit, als es helle vor ihm wurde, da lag ihm ein +gelbes mächtiges Gethier zu Füssen und schmiegte das Haupt an seine +Knie und wollte nicht von ihm lassen vor Liebe und that einem Hunde +gleich, welcher seinen alten Herrn wiederfindet. Die Tauben aber waren +mit ihrer Liebe nicht minder eifrig als der Löwe; und jedes Mal, wenn +eine Taube über die Nase des Löwen huschte, schüttelte der Löwe das +Haupt und wunderte sich und lachte dazu. + +Zu dem Allen sprach Zarathustra nur Ein Wort: "meine Kinder sind nahe, +meine Kinder" -, dann wurde er ganz stumm. Sein Herz aber war gelöst, +und aus seinen Augen tropften Thränen herab und fielen auf seine +Hände. Und er achtete keines Dings mehr und sass da, unbeweglich und +ohne dass er sich noch gegen die Thiere wehrte. Da flogen die Tauben +ab und zu und setzten sich ihm auf die Schulter und liebkosten sein +weisses Haar und wurden nicht müde mit Zärtlichkeit und Frohlocken. +Der starke Löwe aber leckte immer die Thränen, welche auf die Hände +Zarathustra's herabfielen und brüllte und brummte schüchtern dazu. +Also trieben es diese Thiere. - + +Diess Alles dauerte eine lange Zeit, oder eine kurze Zeit: denn, recht +gesprochen, giebt es für dergleichen Dinge auf Erden _keine_ Zeit -. +Inzwischen aber waren die höheren Menschen in der Höhle Zarathustra's +wach geworden und ordneten sich mit einander zu einem Zuge an, dass +sie Zarathustra entgegen giengen und ihm den Morgengruss böten: denn +sie hatten gefunden, als sie erwachten, dass er schon nicht mehr unter +ihnen weilte. Als sie aber zur Thür der Höhle gelangten, und das +Geräusch ihrer Schritte ihnen voranlief, da stutzte der Löwe gewaltig, +kehrte sich mit Einem Male von Zarathustra ab und sprang, wild +brüllend, auf die Höhle los; die höheren Menschen aber, als sie ihn +brüllen hörten, schrien alle auf, wie mit Einem Munde, und flohen +zurück und waren im Nu verschwunden. + +Zarathustra selber aber, betäubt und fremd, erhob sich von seinem +Sitze, sah um sich, stand staunend da, fragte sein Herz, besann sich +und war allein. "Was hörte ich doch? sprach er endlich langsam, was +geschah mir eben?" + +Und schon kam ihm die Erinnerung, und er begriff mit Einem Blicke +Alles, was zwischen Gestern und Heute sich begeben hatte. "Hier ist +ja der Stein, sprach er und strich sich den Bart, auf _dem_ sass ich +gestern am Morgen; und hier trat der Wahrsager zu mir, und hier hörte +ich zuerst den Schrei, den ich eben hörte, den grossen Nothschrei. + +Oh ihr höheren Menschen, von _eurer_ Noth war's ja, dass gestern am +Morgen jener alte Wahrsager mir wahrsagte, - + +- zu eurer Noth wollte er mich verfuhren und versuchen: oh +Zarathustra, sprach er zu mir, ich komme, dass ich dich zu deiner +letzten Sünde verführe. + +Zu meiner letzten Sünde? rief Zarathustra und lachte zornig über sein +eigenes Wort: _was_ blieb mir doch aufgespart als meine letzte Sünde?" + +- Und noch ein Mal versank Zarathustra in sich und setzte sich wieder +auf den grossen Stein nieder und sann nach. Plötzlich sprang er +empor, - + +"Mitleiden! Das Mitleiden mit dem höheren Menschen! schrie er auf, +und sein Antlitz verwandelte sich in Erz. Wohlan! _Das_ - hatte seine +Zeit! + +Mein Leid und mein Mitleiden - was liegt daran! Trachte ich denn nach +_Glücke_? Ich trachte nach meinem _Werke_! + +Wohlan! Der Löwe kam, meine Kinder sind nahe, Zarathustra ward reif, +meine Stunde kam: - + +Dies ist _mein_ Morgen, _mein_ Tag hebt an: herauf nun, herauf, du +grosser Mittag!" - - + +Also sprach Zarathustra und verliess seine Höhle, glühend und stark, +wie eine Morgensonne, die aus dunklen Bergen kommt. + + + + + + + + +End of the Project Gutenberg EBook of Also Sprach Zarathustra, by +Friedrich Wilhelm Nietzsche + +*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK ALSO SPRACH ZARATHUSTRA *** + +***** This file should be named 7205-8.txt or 7205-8.zip ***** +This and all associated files of various formats will be found in: + http://www.gutenberg.org/7/2/0/7205/ + +Produced by Peter Bellen, derived from HTML files at +"Projekt Gutenberg - DE" + + +Updated editions will replace the previous one--the old editions +will be renamed. + +Creating the works from public domain print editions means that no +one owns a United States copyright in these works, so the Foundation +(and you!) can copy and distribute it in the United States without +permission and without paying copyright royalties. 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You may copy it, give it away or re-use it under the terms +of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at +www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you +will have to check the laws of the country where you are located before +using this eBook. + +Title: Also Sprach Zarathustra + +Author: Friedrich Wilhelm Nietzsche + +Release Date: March 26, 2003 [eBook #7205] +[Most recently updated: January 22, 2022] + +Language: German + +Character set encoding: UTF-8 + +Produced by: Peter Bellen + +*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK ALSO SPRACH ZARATHUSTRA *** + +cover + + + + +Also sprach Zarathustra + +Ein Buch für Alle und Keinen + +von Friedrich Wilhelm Nietzsche + + + + +Inhaltsverzeichnis + + + Erster Theil + Zarathustra’s Vorrede + Die Reden Zarathustra’s + Von den drei Verwandlungen + Von den Lehrstühlen der Tugend + Von den Hinterweltlern + Von den Verächtern des Leibes + Von den Freuden- und Leidenschaften + Vom bleichen Verbrecher + Vom Lesen und Schreiben + Vom Baum am Berge + Von den Predigern des Todes + Vom Krieg und Kriegsvolke + Vom neuen Götzen + Von den Fliegen des Marktes + Von der Keuschheit + Vom Freunde + Von tausend und Einem Ziele + Von der Nächstenliebe + Vom Wege des Schaffenden + Von alten und jungen Weiblein + Vom Biss der Natter + Von Kind und Ehe + Vom freien Tode + Von der schenkenden Tugend + + Zweiter Theil + Das Kind mit dem Spiegel + Auf den glückseligen Inseln + Von den Mitleidigen + Von den Priestern + Von den Tugendhaften + Vom Gesindel + Von den Taranteln + Von den berühmten Weisen + Das Nachtlied + Das Tanzlied + Das Grablied + Von der Selbst-Überwindung + Von den Erhabenen + Vom Lande der Bildung + Von der unbefleckten Erkenntniss + Von den Gelehrten + Von den Dichtern + Von grossen Ereignissen + Der Wahrsager + Von der Erlösung + Von der Menschen-Klugheit + Die stillste Stunde + + Dritter Theil + Der Wanderer + Vom Gesicht und Räthsel + Von der Seligkeit wider Willen + Vor Sonnen-Aufgang + Von der verkleinernden Tugend + Auf dem Ölberge + Vom Vorübergehen + Von den Abtrünnigen + Die Heimkehr + Von den drei Bösen + Vom Geist der Schwere + Von alten und neuen Tafeln + Der Genesende + Von der grossen Sehnsucht + Das andere Tanzlied + Die sieben Siegel (Oder: das Ja- und Amen-Lied) + + Vierter und letzter Theil + Das Honig-Opfer + Der Nothschrei + Gespräch mit den Königen + Der Blutegel + Der Zauberer + Ausser Dienst + Der hässlichste Mensch + Der freiwillige Bettler + Der Schatten + Mittags + Die Begrüssung + Das Abendmahl + Vom höheren Menschen + Das Lied der Schwermuth + Von der Wissenschaft + Unter Töchtern der Wüste + Die Erweckung + Das Eselsfest + Das Nachtwandler-Lied + Das Zeichen + + + + +Erster Theil + + +Zarathustra’s Vorrede. + +1. + +Als Zarathustra dreissig Jahr alt war, verliess er seine Heimat und den +See seiner Heimat und ging in das Gebirge. Hier genoss er seines +Geistes und seiner Einsamkeit und wurde dessen zehn Jahr nicht müde. +Endlich aber verwandelte sich sein Herz,—und eines Morgens stand er mit +der Morgenröthe auf, trat vor die Sonne hin und sprach zu ihr also: + +„Du grosses Gestirn! Was wäre dein Glück, wenn du nicht Die hättest, +welchen du leuchtest! + +Zehn Jahre kamst du hier herauf zu meiner Höhle: du würdest deines +Lichtes und dieses Weges satt geworden sein, ohne mich, meinen Adler +und meine Schlange. + +Aber wir warteten deiner an jedem Morgen, nahmen dir deinen Überfluss +ab und segneten dich dafür. + +Siehe! Ich bin meiner Weisheit überdrüssig, wie die Biene, die des +Honigs zu viel gesammelt hat, ich bedarf der Hände, die sich +ausstrecken. + +Ich möchte verschenken und austheilen, bis die Weisen unter den +Menschen wieder einmal ihrer Thorheit und die Armen einmal ihres +Reichthums froh geworden sind. + +Dazu muss ich in die Tiefe steigen: wie du des Abends thust, wenn du +hinter das Meer gehst und noch der Unterwelt Licht bringst, du +überreiches Gestirn! + +Ich muss, gleich dir, _untergehen_, wie die Menschen es nennen, zu +denen ich hinab will. + +So segne mich denn, du ruhiges Auge, das ohne Neid auch ein +allzugrosses Glück sehen kann! + +Segne den Becher, welcher überfliessen will, dass das Wasser golden aus +ihm fliesse und überallhin den Abglanz deiner Wonne trage! + +Siehe! Dieser Becher will wieder leer werden, und Zarathustra will +wieder Mensch werden.“ + +—Also begann Zarathustra’s Untergang. + +2. + +Zarathustra stieg allein das Gebirge abwärts und Niemand begegnete ihm. +Als er aber in die Wälder kam, stand auf einmal ein Greis vor ihm, der +seine heilige Hütte verlassen hatte, um Wurzeln im Walde zu suchen. Und +also sprach der Greis zu Zarathustra: + +Nicht fremd ist mir dieser Wanderer: vor manchem Jahre gieng er hier +vorbei. Zarathustra hiess er; aber er hat sich verwandelt. Damals +trugst du deine Asche zu Berge: willst du heute dein Feuer in die +Thäler tragen? Fürchtest du nicht des Brandstifters Strafen? + +Ja, ich erkenne Zarathustra. Rein ist sein Auge, und an seinem Munde +birgt sich kein Ekel. Geht er nicht daher wie ein Tänzer? + +Verwandelt ist Zarathustra, zum Kind ward Zarathustra, ein Erwachter +ist Zarathustra: was willst du nun bei den Schlafenden? + +Wie im Meere lebtest du in der Einsamkeit, und das Meer trug dich. +Wehe, du willst an’s Land steigen? Wehe, du willst deinen Leib wieder +selber schleppen? + +Zarathustra antwortete: „Ich liebe die Menschen.“ + +Warum, sagte der Heilige, gieng ich doch in den Wald und die Einöde? +War es nicht, weil ich die Menschen allzu sehr liebte? + +Jetzt liebe ich Gott: die Menschen liebe ich nicht. Der Mensch ist mir +eine zu unvollkommene Sache. Liebe zum Menschen würde mich umbringen. + +Zarathustra antwortete: „Was sprach ich von Liebe! Ich bringe den +Menschen ein Geschenk.“ + +Gieb ihnen Nichts, sagte der Heilige. Nimm ihnen lieber Etwas ab und +trage es mit ihnen—das wird ihnen am wohlsten thun: wenn er dir nur +wohlthut! + +Und willst du ihnen geben, so gieb nicht mehr, als ein Almosen, und +lass sie noch darum betteln! + +„Nein, antwortete Zarathustra, ich gebe kein Almosen. Dazu bin ich +nicht arm genug.“ + +Der Heilige lachte über Zarathustra und sprach also: So sieh zu, dass +sie deine Schätze annehmen! Sie sind misstrauisch gegen die Einsiedler +und glauben nicht, dass wir kommen, um zu schenken. + +Unse Schritte klingen ihnen zu einsam durch die Gassen. Und wie wenn +sie Nachts in ihren Betten einen Mann gehen hören, lange bevor die +Sonne aufsteht, so fragen sie sich wohl: wohin will der Dieb? + +Gehe nicht zu den Menschen und bleibe im Walde! Gehe lieber noch zu den +Thieren! Warum willst du nicht sein, wie ich,—ein Bär unter Bären, ein +Vogel unter Vögeln? + +„Und was macht der Heilige im Walde?“ fragte Zarathustra. + +Der Heilige antwortete: Ich mache Lieder und singe sie, und wenn ich +Lieder mache, lache, weine und brumme ich: also lobe ich Gott. + +Mit Singen, Weinen, Lachen und Brummen lobe ich den Gott, der mein Gott +ist. Doch was bringst du uns zum Geschenke? + +Als Zarathustra diese Worte gehört hatte, grüsste er den Heiligen und +sprach: „Was hätte ich euch zu geben! Aber lasst mich schnell davon, +dass ich euch Nichts nehme!“—Und so trennten sie sich von einander, der +Greis und der Mann, lachend, gleichwie zwei Knaben lachen. + +Als Zarathustra aber allein war, sprach er also zu seinem Herzen: +„Sollte es denn möglich sein! Dieser alte Heilige hat in seinem Walde +noch Nichts davon gehört, dass _Gott todt_ ist!“— + +3. + +Als Zarathustra in die Nächste Stadt kam, die an den Wäldern liegt, +fand er daselbst viel Volk versammelt auf dem Markte: denn es war +verheissen worden, das man einen Seiltänzer sehen solle. Und +Zarathustra sprach also zum Volke: + +Ich lehre euch den Übermenschen. Der Mensch ist Etwas, das überwunden +werden soll. Was habt ihr gethan, ihn zu überwinden? + +„Alle Wesen bisher schufen etwas über sich hinaus: und ihr wollt die +Ebbe dieser großen Flut sein und lieber noch zum Tiere zurückgehen, als +den Menschen zu überwinden?“ + +Was ist der Affe für den Menschen? Ein Gelächter oder eine schmerzliche +Scham. Und ebendas soll der Mensch für den Übermenschen sein: ein +Gelächter oder eine schmerzliche Scham. + +Ihr habt den Weg vom Wurme zum Menschen gemacht, und Vieles ist in euch +noch Wurm. Einst wart ihr Affen, und auch jetzt ist der Mensch mehr +Affe, als irgend ein Affe. + +Wer aber der Weiseste von euch ist, der ist auch nur ein Zwiespalt und +Zwitter von Pflanze und von Gespenst. Aber heisse ich euch zu +Gespenstern oder Pflanzen werden? + +Seht, ich lehre euch den Übermenschen! + +Der Übermensch ist der Sinn der Erde. Euer Wille sage: der Übermensch +_sei_ der Sinn der Erde! + +Ich beschwöre euch, meine Brüder, _bleibt der Erde treu_ und glaubt +Denen nicht, welche euch von überirdischen Hoffnungen reden! +Giftmischer sind es, ob sie es wissen oder nicht. + +Verächter des Lebens sind es, Absterbende und selber Vergiftete, deren +die Erde müde ist: so mögen sie dahinfahren! + +Einst war der Frevel an Gott der grösste Frevel, aber Gott starb, und +damit auch diese Frevelhaften. An der Erde zu freveln ist jetzt das +Furchtbarste und die Eingeweide des Unerforschlichen höher zu achten, +als der Sinn der Erde! + +Einst blickte die Seele verächtlich auf den Leib: und damals war diese +Verachtung das Höchste:—sie wollte ihn mager, grässlich, verhungert. So +dachte sie ihm und der Erde zu entschlüpfen. + +Oh diese Seele war selbst noch mager, grässlich und verhungert: und +Grausamkeit war die Wollust dieser Seele! + +Aber auch ihr noch, meine Brüder, sprecht mir: was kündet euer Leib von +eurer Seele? Ist eure Seele nicht Armuth und Schmutz und ein +erbärmliches Behagen? + +Wahrlich, ein schmutziger Strom ist der Mensch. Man muss schon ein Meer +sein, um einen schmutzigen Strom aufnehmen zu können, ohne unrein zu +werden. + +Seht, ich lehre euch den Übermenschen: der ist diess Meer, in ihm kann +eure grosse Verachtung untergehn. + +Was ist das Grösste, das ihr erleben könnt? Das ist die Stunde der +grossen Verachtung. Die Stunde, in der euch auch euer Glück zum Ekel +wird und ebenso eure Vernunft und eure Tugend. + +Die Stunde, wo ihr sagt: „Was liegt an meinem Glücke! Es ist Armuth und +Schmutz, und ein erbärmliches Behagen. Aber mein Glück sollte das +Dasein selber rechtfertigen!“ + +Die Stunde, wo ihr sagt: „Was liegt an meiner Vernunft! Begehrt sie +nach Wissen wie der Löwe nach seiner Nahrung? Sie ist Armuth und +Schmutz und ein erbärmliches Behagen!“ + +Die Stunde, wo ihr sagt: „Was liegt an meiner Tugend! Noch hat sie mich +nicht rasen gemacht. Wie müde bin ich meines Guten und meines Bösen! +Alles das ist Armuth und Schmutz und ein erbärmliches Behagen!“ + +Die Stunde, wo ihr sagt: „Was liegt an meiner Gerechtigkeit! Ich sehe +nicht, dass ich Gluth und Kohle wäre. Aber der Gerechte ist Gluth und +Kohle!“ + +Die Stunde, wo ihr sagt: „Was liegt an meinem Mitleiden! Ist nicht +Mitleid das Kreuz, an das Der genagelt wird, der die Menschen liebt? +Aber mein Mitleiden ist keine Kreuzigung.“ + +Spracht ihr schon so? Schriet ihr schon so? Ach, dass ich euch schon so +schreien gehört hatte! + +Nicht eure Sünde—eure Genügsamkeit schreit gen Himmel, euer Geiz selbst +in eurer Sünde schreit gen Himmel! + +Wo ist doch der Blitz, der euch mit seiner Zunge lecke? Wo ist der +Wahnsinn, mit dem ihr geimpft werden müsstet? + +Seht, ich lehre euch den Übermenschen: der ist dieser Blitz, der ist +dieser Wahnsinn!— + +Als Zarathustra so gesprochen hatte, schrie Einer aus dem Volke: „Wir +hörten nun genug von dem Seiltänzer; nun lasst uns ihn auch sehen!“ Und +alles Volk lachte über Zarathustra. Der Seiltänzer aber, welcher +glaubte, dass das Wort ihm gälte, machte sich an sein Werk. + +4. + +Zarathustra aber sahe das Volk an und wunderte sich. Dann sprach er +also: + +Der Mensch ist ein Seil, geknüpft zwischen Thier und Übermensch,—ein +Seil über einem Abgrunde. + +Ein gefährliches Hinüber, ein gefährliches Auf-dem-Wege, ein +gefährliches Zurückblicken, ein gefährliches Schaudern und +Stehenbleiben. + +Was gross ist am Menschen, das ist, dass er eine Brücke und kein Zweck +ist: was geliebt werden kann am Menschen, das ist, dass er ein +_Übergang_ und ein _Untergang_ ist. + +Ich liebe Die, welche nicht zu leben wissen, es sei denn als +Untergehende, denn es sind die Hinübergehenden. + +Ich liebe die grossen Verachtenden, weil sie die grossen Verehrenden +sind und Pfeile der Sehnsucht nach dem andern Ufer. + +Ich liebe Die, welche nicht erst hinter den Sternen einen Grund suchen, +unterzugehen und Opfer zu sein: sondern die sich der Erde opfern, dass +die Erde einst der Übermenschen werde. + +Ich liebe Den, welcher lebt, damit er erkenne, und welcher erkennen +will, damit einst der Übermensch lebe. Und so will er seinen Untergang. + +Ich liebe Den, welcher arbeitet und erfindet, dass er dem Übermenschen +das Haus baue und zu ihm Erde, Thier und Pflanze vorbereite: denn so +will er seinen Untergang. + +Ich liebe Den, welcher seine Tugend liebt: denn Tugend ist Wille zum +Untergang und ein Pfeil der Sehnsucht. + +Ich liebe Den, welcher nicht einen Tropfen Geist für sich zurückbehält, +sondern ganz der Geist seiner Tugend sein will: so schreitet er als +Geist über die Brücke. + +Ich liebe Den, welcher aus seiner Tugend seinen Hang und sein +Verhängniss macht: so will er um seiner Tugend willen noch leben und +nicht mehr leben. + +Ich liebe Den, welcher nicht zu viele Tugenden haben will. Eine Tugend +ist mehr Tugend, als zwei, weil sie mehr Knoten ist, an den sich das +Verhängniss hängt. + +Ich liebe Den, dessen Seele sich verschwendet, der nicht Dank haben +will und nicht zurückgiebt: denn er schenkt immer und will sich nicht +bewahren. + +Ich liebe Den, welcher sich schämt, wenn der Würfel zu seinem Glücke +fällt und der dann fragt: bin ich denn ein falscher Spieler?—denn er +will zu Grunde gehen. + +Ich liebe Den, welcher goldne Worte seinen Thaten voraus wirft und +immer noch mehr hält, als er verspricht: denn er will seinen Untergang. + +Ich liebe Den, welcher die Zukünftigen rechtfertigt und die Vergangenen +erlöst: denn er will an den Gegenwärtigen zu Grunde gehen. + +Ich liebe Den, welcher seinen Gott züchtigt, weil er seinen Gott liebt: +denn er muss am Zorne seines Gottes zu Grunde gehen. + +Ich liebe Den, dessen Seele tief ist auch in der Verwundung, und der an +einem kleinen Erlebnisse zu Grunde gehen kann: so geht er gerne über +die Brücke. + +Ich liebe Den, dessen Seele übervoll ist, so dass er sich selber +vergisst, und alle Dinge in ihm sind: so werden alle Dinge sein +Untergang. + +Ich liebe Den, der freien Geistes und freien Herzes ist: so ist sein +Kopf nur das Eingeweide seines Herzens, sein Herz aber treibt ihn zum +Untergang. + +Ich liebe alle Die, welche schwere Tropfen sind, einzeln fallend aus +der dunklen Wolke, die über den Menschen hängt: sie verkündigen, dass +der Blitz kommt, und gehn als Verkündiger zu Grunde. + +Seht, ich bin ein Verkündiger des Blitzes und ein schwerer Tropfen aus +der Wolke: dieser Blitz aber heisst Übermensch.— + +5. + +Als Zarathustra diese Worte gesprochen hatte, sahe er wieder das Volk +an und schwieg. „Da stehen sie“, sprach er zu seinem Herzen, „da lachen +sie: sie verstehen mich nicht, ich bin nicht der Mund für diese Ohren. + +Muss man ihnen erst die Ohren zerschlagen, dass sie lernen, mit den +Augen hören. Muss man rasseln gleich Pauken und Busspredigern? Oder +glauben sie nur dem Stammelnden? + +Sie haben etwas, worauf sie stolz sind. Wie nennen sie es doch, was sie +stolz macht? Bildung nennen sie’s, es zeichnet sie aus vor den +Ziegenhirten. + +Drum hören sie ungern von sich das Wort „Verachtung“. So will ich denn +zu ihrem Stolze reden. + +So will ich ihnen vom Verächtlichsten sprechen: das aber ist der +_letzte Mensch_.“ + +Und also sprach Zarathustra zum Volke: + +Es ist an der Zeit, dass der Mensch sich sein Ziel stecke. Es ist an +der Zeit, dass der Mensch den Keim seiner höchsten Hoffnung pflanze. + +Noch ist sein Boden dazu reich genug. Aber dieser Boden wird einst arm +und zahm sein, und kein hoher Baum wird mehr aus ihm wachsen können. + +Wehe! Es kommt die Zeit, wo der Mensch nicht mehr den Pfeil seiner +Sehnsucht über den Menschen hinaus wirft, und die Sehne seines Bogens +verlernt hat, zu schwirren! + +Ich sage euch: man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden +Stern gebären zu können. Ich sage euch: ihr habt noch Chaos in euch. + +Wehe! Es kommt die Zeit, wo der Mensch keinen Stern mehr gebären wird. +Wehe! Es kommt die Weit des verächtlichsten Menschen, der sich selber +nicht mehr verachten kann. + +Seht! Ich zeige euch den _letzten Menschen_. + +„Was ist Liebe? Was ist Schöpfung? Was ist Sehnsucht? Was ist Stern“—so +fragt der letzte Mensch und blinzelt. + +Die Erde ist dann klein geworden, und auf ihr hüpft der letzte Mensch, +der Alles klein macht. Sein Geschlecht ist unaustilgbar, wie der +Erdfloh; der letzte Mensch lebt am längsten. + +„Wir haben das Glück erfunden“—sagen die letzten Menschen und blinzeln. + +Sie haben den Gegenden verlassen, wo es hart war zu leben: denn man +braucht Wärme. Man liebt noch den Nachbar und reibt sich an ihm: denn +man braucht Wärme. + +Krankwerden und Misstrauen-haben gilt ihnen sündhaft: man geht achtsam +einher. Ein Thor, der noch über Steine oder Menschen stolpert! + +Ein wenig Gift ab und zu: das macht angenehme Träume. Und viel Gift +zuletzt, zu einem angenehmen Sterben. + +Man arbeitet noch, denn Arbeit ist eine Unterhaltung. Aber man sorgt +dass die Unterhaltung nicht angreife. + +Man wird nicht mehr arm und reich: Beides ist zu beschwerlich. Wer will +noch regieren? Wer noch gehorchen? Beides ist zu beschwerlich. + +Kein Hirt und Eine Heerde! Jeder will das Gleiche, Jeder ist gleich: +wer anders fühlt, geht freiwillig in’s Irrenhaus. + +„Ehemals war alle Welt irre“—sagen die Feinsten und blinzeln. + +Man ist klug und weiss Alles, was geschehn ist: so hat man kein Ende zu +spotten. Man zankt sich noch, aber man versöhnt sich bald—sonst +verdirbt es den Magen. + +Man hat sein Lüstchen für den Tag und sein Lüstchen für die Nacht: aber +man ehrt die Gesundheit. + +„Wir haben das Glück erfunden“—sagen die letzten Menschen und blinzeln— + +Und hier endete die erste Rede Zarathustra’s, welche man auch „die +Vorrede“ heisst: denn an dieser Stelle unterbrach ihn das Geschrei und +die Lust der Menge. „Gieb uns diesen letzten Menschen, oh +Zarathustra,—so riefen sie—mache uns zu diesen letzten Menschen! So +schenken wir dir den Übermenschen!“ Und alles Volk jubelte und +schnalzte mit der Zunge. Zarathustra aber wurde traurig und sagte zu +seinem Herzen: + +Sie verstehen mich nicht: ich bin nicht den Mund für diese Ohren. + +Zu lange wohl lebte ich im Gebirge, zu viel horchte ich auf Bäche und +Bäume: nun rede ich ihnen gleich den Ziegenhirten. + +Unbewegt ist meine Seele und hell wie das Gebirge am Vormittag. Aber +sie meinen, ich sei kalt und ein Spötter in furchtbaren Spässen. + +Und nun blicken sie mich an und lachen: und indem sie lachen, hassen +sie mich noch. Es ist Eis in ihrem Lachen. + +6. + +Da aber geschah Etwas, das jeden Mund stumm und jedes Auge starr +machte. Inzwischen nämlich hatte der Seiltänzer sein Werk begonnen: er +war aus einer kleiner Thür hinausgetreten und gieng über das Seil, +welches zwischen zwei Thürmen gespannt war, also, dass es über dem +Markte und dem Volke hieng. Als er eben in der Mitte seines Weges war, +öffnete sich die kleine Thür noch einmal, und ein bunter Gesell, einem +Possenreisser gleich, sprang heraus und gieng mit schnellen Schritten +dem Ersten nach. „Vorwärts, Lahmfuss, rief seine fürchterliche Stimme, +vorwärts Faulthier, Schleichhändler, Bleichgesicht! Dass ich dich nicht +mit meiner Ferse kitzle! Was treibst du hier zwischen Thürmen? In den +Thurm gehörst du, einsperren sollte man dich, einem Bessern, als du +bist, sperrst du die freie Bahn!“—Und mit jedem Worte kam er ihm näher +und näher: als er aber nur noch einen Schritt hinter ihm war, da +geschah das Erschreckliche, das jeden Mund stumm und jedes Auge starr +machte:—er stiess ein Geschrei aus wie ein Teufel und sprang über Den +hinweg, der ihm im Wege war. Dieser aber, als er so seinen Nebenbuhler +siegen sah, verlor dabei den Kopf und das Seil; er warf seine Stange +weg und schoss schneller als diese, wie ein Wirbel von Armen und +Beinen, in die Tiefe. Der Markt und das Volk glich dem Meere, wenn der +Sturm hineinfährt: Alles floh aus einander und übereinander, und am +meisten dort, wo der Körper niederschlagen musste. + +Zarathustra aber blieb stehen, und gerade neben ihn fiel der Körper +hin, übel zugerichtet und zerbrochen, aber noch nicht todt. Nach einer +Weile kam dem Zerschmetterten das Bewusstsein zurück, und er sah +Zarathustra neben sich knieen. „Was machst du da? sagte er endlich, ich +wusste es lange, dass mir der Teufel ein Bein stellen werde. Nun +schleppt er mich zur Hölle: willst du’s ihm wehren?“ + +„Bei meiner Ehre, Freund, antwortete Zarathustra, das giebt es Alles +nicht, wovon du sprichst: es giebt keinen Teufel und keine Hölle. Deine +Seele wird noch schneller todt sein als dein Leib: fürchte nun Nichts +mehr!“ + +Der Mann blickte misstrauisch auf. „Wenn du die Wahrheit sprichst, +sagte er dann, so verliere ich Nichts, wenn ich das Leben verliere. Ich +bin nicht viel mehr als ein Thier, das man tanzen gelehrt hat, durch +Schläge und schmale Bissen.“ + +„Nicht doch, sprach Zarathustra; du hast aus der Gefahr deinen Beruf +gemacht, daran ist Nichts zu verachten. Nun gehst du an deinem Beruf zu +Grunde: dafür will ich dich mit meinen Händen begraben.“ + +Als Zarathustra diess gesagt hatte, antwortete der Sterbende nicht +mehr; aber er bewegte die Hand, wie als ob er die Hand Zarathustra’s +zum Danke suche.— + +7. + +Inzwischen kam der Abend, und der Markt barg sich in Dunkelheit: da +verlief sich das Volk, denn selbst Neugierde und Schrecken werden müde. +Zarathustra aber sass neben dem Todten auf der Erde und war in Gedanken +versunken: so vergass er die Zeit. Endlich aber wurde es Nacht, und ein +kalter Wind blies über den Einsamen. Da erhob sich Zarathustra und +sagte zu seinem Herzen: + +Wahrlich, einen schönen Fischfang that heute Zarathustra! Keinen +Menschen fieng er, wohl aber einen Leichnam. + +Unheimlich ist das menschliche Dasein und immer noch ohne Sinn: ein +Possenreisser kann ihm zum Verhängniss werden. + +Ich will die Menschen den Sinn ihres Seins lehren: welcher ist der +Übermensch, der Blitz aus der dunklen Wolke Mensch. + +Aber noch bin ich ihnen ferne, und mein Sinn redet nicht zu ihren +Sinnen. Eine Mitte bin ich noch den Menschen zwischen einem Narren und +einem Leichnam. + +Dunkel ist die Nacht, dunkel sind die Wege Zarathustra’s. Komm, du +kalter und steifer Gefährte! Ich trage dich dorthin, wo ich dich mit +meinen Händen begrabe. + +8. + +Als Zarathustra diess zu seinem Herzen gesagt hatte, lud er den +Leichnam auf seinem Rücken und machte sich auf den Weg. Und noch nicht +war er hundert Schritte gegangen, da schlich ein Mensch an ihn heran +und flüsterte ihm in’s Ohr—und siehe! Der, welcher redete, war der +Possenreisser vom Thurme. „Geh weg von dieser Stadt, oh Zarathustra, +sprach er; es hassen dich hier zu Viele. Es hassen dich die Guten und +Gerechten und sie nennen dich ihren Feind und Verächter; es hassen dich +die Gläubigen des rechten Glaubens, und sie nennen dich die Gefahr der +Menge. Dein Glück war es, dass man über dich lachte: und wahrlich, du +redetest gleich einem Possenreisser. Dein Glück war es, dass du dich +dem todten Hunde geselltest; als du dich so erniedrigtest, hast du dich +selber für heute errettet. Geh aber fort aus dieser Stadt—oder morgen +springe ich über dich hinweg, ein Lebendiger über einen Todten.“ Und +als er diess gesagt hatte, verschwand der Mensch; Zarathustra aber +gieng weiter durch die dunklen Gassen. + +Am Thore der Stadt begegneten ihm die Todtengräber: sie leuchteten ihm +mit der Fackel in’s Gesicht, erkannten Zarathustra und spotteten sehr +über ihn. „Zarathustra trägt den todten Hund davon: brav, dass +Zarathustra zum Todtengräber wurde! Denn unsere Hände sind zu reinlich +für diesen Braten. Will Zarathustra wohl dem Teufel seinen Bissen +stehlen? Nun wohlan! Und gut Glück zur Mahlzeit! Wenn nur nicht der +Teufel ein besserer Dieb ist, als Zarathustra! —er stiehlt die Beide, +er frisst sie Beide!“ Und sie lachten mit einander und steckten die +Köpfe zusammen. + +Zarathustra sagte dazu kein Wort und gieng seines Weges. Als er zwei +Stunden gegangen war, an Wäldern und Sümpfen vorbei, da hatte er zu +viel das hungrige Geheul der Wölfe gehört, und ihm selber kam der +Hunger. So blieb er an einem einsamen Hause stehn, in dem ein Licht +brannte. + +Der Hunger überfällt mich, sagte Zarathustra, wie ein Räuber. In +Wäldern und Sümpfen überfällt mich mein Hunger und in tiefer Nacht. + +Wunderliche Launen hat mein Hunger. Oft kommt er mir erst nach der +Mahlzeit, und heute kam er den ganzen Tag nicht: wo weilte er doch? + +Und damit schlug Zarathustra an das Thor des Hauses. Ein alter Mann +erschien; er trug das Licht und fragte: „Wer kommt zu mir und zu meinem +schlimmen Schlafe?“ + +„Ein Lebendiger und ein Todter, sagte Zarathustra. Gebt mir zu essen +und zu trinken, ich vergass es am Tage. Der, welcher den Hungrigen +speiset, erquickt seine eigene Seele: so spricht die Weisheit.“ + +Der Alte gieng fort, kam aber gleich zurück und bot Zarathustra Brod +und Wein. „Eine böse Gegend ist’s für Hungernde, sagte er; darum wohne +ich hier. Thier und Mensch kommen zu mir, dem Einsiedler. Aber heisse +auch deinen Gefährten essen und trinken, er ist müder als du.“ +Zarathustra antwortete: „Todt ist mein Gefährte, ich werde ihn +schwerlich dazu überreden.“ „Das geht mich Nichts an, sagte der Alte +mürrisch; wer an meinem Hause anklopft, muss auch nehmen, was ich ihm +biete. Esst und gehabt euch wohl!“— + +Darauf gieng Zarathustra wieder zwei Stunden und vertraute dem Wege und +dem Lichte der Sterne: denn er war ein gewohnter Nachtgänger und liebte +es, allem Schlafenden in’s Gesicht zu sehn. Als aber der Morgen graute, +fand sich Zarathustra in einem tiefen Walde, und kein Weg zeigte sich +ihm mehr. Da legte er den Todten in einen hohlen Baum sich zu +Häupten—denn er wollte ihn vor den Wölfen schützen—und sich selber auf +den Boden und das Moos. Und alsbald schlief er ein, müden Leibes, aber +mit einer unbewegten Seele. + +8. + +Lange schlief Zarathustra, und nicht nur die Morgenröthe gieng über +sein Antlitz, sondern auch der Vormittag. Endlich aber that sein Auge +sich auf: verwundert sah Zarathustra in den Wald und die Stille, +verwundert sah er in sich hinein. Dann erhob er sich schnell, wie ein +Seefahrer, der mit Einem Male Land sieht, und jauchzte: denn er sah +eine neue Wahrheit. Und also redete er dann zu seinem Herzen: + +Ein Licht gieng mir auf: Gefährten brauche ich und lebendige,—nicht +todte Gefährten und Leichname, die ich mit mir trage, wohin ich will. + +Sondern lebendige Gefährten brauche ich, die mir folgen, weil sie sich +selber folgen wollen—und dorthin, wo ich will. + +Ein Licht gieng mir auf: nicht zum Volke rede Zarathustra, sondern zu +Gefährten! Nicht soll Zarathustra einer Heerde Hirt und Hund werden! + +Viele wegzulocken von der Heerde—dazu kam ich. Zürnen soll mir Volk und +Heerde: Räuber will Zarathustra den Hirten heissen. + +Hirten sage ich, aber sie nennen sich die Guten und Gerechten. Hirten +sage ich: aber sie nennen sich die Gläubigen des rechten Glaubens. + +Siehe die Guten und Gerechten! Wen hassen sie am meisten? Den, der +zerbricht ihre Tafeln der Werthe, den Brecher, den Verbrecher:—das aber +ist der Schaffende. + +Siehe die Gläubigen aller Glauben! Wen hassen sie am meisten? Den, der +zerbricht ihre Tafeln der Werthe, den Brecher, den Verbrecher:—das aber +ist der Schaffende. + +Gefährten sucht der Schaffende und nicht Leichname, und auch nicht +Heerden und Gläubige. Die Mitschaffenden sucht der Schaffende, Die, +welche neue Werthe auf neue Tafeln schreiben. + +Gefährten sucht der Schaffende, und Miterntende: denn Alles steht bei +ihm reif zur Ernte. Aber ihm fehlen die hundert Sicheln: so rauft er +Ähren aus und ist ärgerlich. + +Gefährten sucht der Schaffende, und solche, die ihre Sicheln zu wetzen +wissen. Vernichter wird man sie heissen und Verächter des Guten und +Bösen. Aber die Erntenden sind es und die Feiernden. + +Mitschaffende sucht Zarathustra, Miterntende und Mitfeiernde sucht +Zarathustra: was hat er mit Heerden und Hirten und Leichnamen zu +schaffen! + +Und du, mein erster Gefährte, gehab dich wohl! Gut begrub ich dich in +deinem hohlen Baume, gut barg ich dich vor den Wölfen. + +Aber ich scheide von dir, die Zeit ist um. Zwischen Morgenröthe und +Morgenröthe kam mir eine neue Wahrheit. + +Nicht Hirt soll ich sein, nicht Todtengräber. Nicht reden einmal will +ich wieder mit dem Volke; zum letzten Male sprach ich zu einem Todten. + +Den Schaffenden, den Erntenden, den Feiernden will ich mich zugesellen: +den Regenbogen will ich ihnen zeigen und alle die Treppen des +Übermenschen. + +Den Einsiedlern werde ich mein Lied singen und den Zweisiedlern; und +wer noch Ohren hat für Unerhörtes, dem will ich sein Herz schwer machen +mit meinem Glücke. + +Zu meinem Ziele will ich, ich gehe meinen Gang; über die Zögernden und +Saumseligen werde ich hinwegspringen. Also sei mein Gang ihr Untergang! + +10. + +Diess hatte Zarathustra zu seinem Herzen gesprochen, als die Sonne im +Mittag stand: da blickte er fragend in die Höhe—denn er hörte über sich +den scharfen Ruf eines Vogels. Und siehe! Ein Adler zog in weiten +Kreisen durch die Luft, und an ihm hieng eine Schlange, nicht einer +Beute gleich, sondern einer Freundin: denn sie hielt sich um seinen +Hals geringelt. + +„Es sind meine Thiere!“ sagte Zarathustra und freute sich von Herzen. + +„Das stolzeste Thier unter der Sonne und das klügste Thier unter der +Sonne—sie sind ausgezogen auf Kundschaft. + +Erkunden wollen sie, ob Zarathustra noch lebe. Wahrlich, lebe ich noch? + +Gefährlicher fand ich’s unter Menschen als unter Thieren, gefährlicher +Wege geht Zarathustra. Mögen mich meine Thiere führen!“ + +Als Zarathustra diess gesagt hatte, gedachte er der Worte des Heiligen +im Walde, seufzte und sprach also zu seinem Herzen: + +Möchte ich klüger sein! Möchte ich klug von Grund aus sein, gleich +meiner Schlange! + +Aber Unmögliches bitte ich da: so bitte ich denn meinen Stolz, dass er +immer mit meiner Klugheit gehe! + +Und wenn mich einst meine Klugheit verlässt:—ach, sie liebt es, +davonzufliegen!—möge mein Stolz dann noch mit meiner Thorheit fliegen! + +—Also begann Zarathustra’s Untergang. + + +Die Reden Zarathustra’s + + +Von den drei Verwandlungen + +Drei Verwandlungen nenne ich euch des Geistes: wie der Geist zum Kamele +wird, und zum Löwen das Kameel, und zum Kinde zuletzt der Löwe. + +Vieles Schwere giebt es dem Geiste, dem starken, tragsamen Geiste, dem +Ehrfurcht innewohnt: nach dem Schweren und Schwersten verlangt seine +Stärke. + +Was ist schwer? so fragt der tragsame Geist, so kniet er nieder, dem +Kameele gleich, und will gut beladen sein. + +Was ist das Schwerste, ihr Helden? so fragt der tragsame Geist, dass +ich es auf mich nehme und meiner Stärke froh werde. + +Ist es nicht das: sich erniedrigen, um seinem Hochmuth wehe zu thun? +Seine Thorheit leuchten lassen, um seiner Weisheit zu spotten? + +Oder ist es das: von unserer Sache scheiden, wenn sie ihren Sieg +feiert? Auf hohe Berge steigen, um den Versucher zu versuchen? + +Oder ist es das: sich von Eicheln und Gras der Erkenntniss nähren und +um der Wahrheit willen an der Seele Hunger leiden? + +Oder ist es das: krank sein und die Tröster heimschicken und mit Tauben +Freundschaft schliessen, die niemals hören, was du willst? + +Oder ist es das: in schmutziges Wasser steigen, wenn es das Wasser der +Wahrheit ist, und kalte Frösche und heisse Kröten nicht von sich +weisen? + +Oder ist es das: Die lieben, die uns verachten, und dem Gespenste die +Hand reichen, wenn es uns fürchten machen will? + +Alles diess Schwerste nimmt der tragsame Geist auf sich: dem Kameele +gleich, das beladen in die Wüste eilt, also eilt er in seine Wüste. + +Aber in der einsamsten Wüste geschieht die zweite Verwandlung: zum +Löwen wird hier der Geist, Freiheit will er sich erbeuten und Herr sein +in seiner eignen Wüste. + +Seinen letzten Herrn sucht er sich hier: feind will er ihm werden und +seinem letzten Gotte, um Sieg will er mit dem grossen Drachen ringen. + +Welches ist der grosse Drache, den der Geist nicht mehr Herr und Gott +heissen mag? „Du-sollst“ heisst der grosse Drache. Aber der Geist des +Löwen sagt „Ich will“. + +„Du-sollst“ liegt ihm am Wege, goldfunkelnd, ein Schuppenthier, und auf +jeder Schuppe glänzt golden „Du-sollst!“ + +Tausendjährige Werthe glänzen an diesen Schuppen, und also spricht der +mächtigste aller Drachen „aller Werth der Dinge—der glänzt an mir.“ + +„Aller Werth ward schon geschaffen, und aller geschaffene Werth—das bin +ich. Wahrlich, es soll kein „Ich will“ mehr geben!“ Also spricht der +Drache. + +Meine Brüder, wozu bedarf es des Löwen im Geiste? Was genügt nicht das +lastbare Thier, das entsagt und ehrfürchtig ist? + +Neue Werthe schaffen—das vermag auch der Löwe noch nicht: aber Freiheit +sich schaffen zu neuem Schaffen—das vermag die Macht des Löwen. + +Freiheit sich schaffen und ein heiliges Nein auch vor der Pflicht: +dazu, meine Brüder bedarf es des Löwen. + +Recht sich nehmen zu neuen Werthen—das ist das furchtbarste Nehmen für +einen tragsamen und ehrfürchtigen Geist. Wahrlich, ein Rauben ist es +ihm und eines raubenden Thieres Sache. + +Als sein Heiligstes liebte er einst das „Du-sollst“: nun muss er Wahn +und Willkür auch noch im Heiligsten finden, dass er sich Freiheit raube +von seiner Liebe: des Löwen bedarf es zu diesem Raube. + +Aber sagt, meine Brüder, was vermag noch das Kind, das auch der Löwe +nicht vermochte? Was muss der raubende Löwe auch noch zum Kinde werden? + +Unschuld ist das Kind und Vergessen, ein Neubeginnen, ein Spiel, ein +aus sich rollendes Rad, eine erste Bewegung, ein heiliges Ja-sagen. + +Ja, zum Spiele des Schaffens, meine Brüder, bedarf es eines heiligen +Ja-sagens: _seinen_ Willen will nun der Geist, _seine_ Welt gewinnt +sich der Weltverlorene. + +Drei Verwandlungen nannte ich euch des Geistes: wie der Geist zum +Kameele ward, und zum Löwen das Kameel, und der Löwe zuletzt zum Kinde. +— + +Also sprach Zarathustra. Und damals weilte er in der Stadt, welche +genannt wird: die bunte Kuh. + + +Von den Lehrstühlen der Tugend + +Man rühmte Zarathustra einen Weisen, der gut vom Schlafe und von der +Tugend zu reden wisse: sehr werde er geehrt und gelohnt dafür, und alle +Jünglinge sässen vor seinem Lehrstuhle. Zu ihm gieng Zarathustra, und +mit allen Jünglingen sass er vor seinem Lehrstuhle. Und also sprach der +Weise: + +Ehre und Scham vor dem Schlafe! Das ist das Erste! Und Allen aus dem +Wege gehn, die schlecht schlafen und Nachts wachen! + +Schamhaft ist noch der Dieb vor dem Schlafe: stets stiehlt er sich +leise durch die Nacht. Schamlos aber ist der Wächter der Nacht, +schamlos trägt er sein Horn. + +Keine geringe Kunst ist schlafen: es thut schon Noth, den ganzen Tag +darauf hin zu wachen. + +Zehn Mal musst du des Tages dich selber überwinden: das macht eine gute +Müdigkeit und ist Mohn der Seele. + +Zehn Mal musst du dich wieder dir selber versöhnen; denn Überwindung +ist Bitterniss, und schlecht schläft der Unversöhnte. + +Zehn Wahrheiten musst du des Tages finden: sonst suchst du noch des +Nachts nach Wahrheit, und deine Seele blieb hungrig. + +Zehn Mal musst du lachen am Tage und heiter sein: sonst stört dich der +Magen in der Nacht, dieser Vater der Trübsal. + +Wenige wissen das: aber man muss alle Tugenden haben, um gut zu +schlafen. Werde ich falsch Zeugniss reden? Werde ich ehebrechen? + +Werde ich mich gelüsten lassen meines Nächsten Magd? Das Alles vertrüge +sich schlecht mit gutem Schlafe. + +Und selbst wenn man alle Tugenden hat, muss man sich noch auf Eins +verstehn: selber die Tugenden zur rechten Zeit schlafen schicken. + +Dass sie sich nicht mit einander zanken, die artigen Weiblein! Und über +dich, du Unglückseliger! + +Friede mit Gott und dem Nachbar: so will es der gute Schlaf. Und Friede +auch noch mit des Nachbars Teufel! Sonst geht er bei dir des Nachts um. + +Ehre der Obrigkeit und Gehorsam, und auch der krummen Obrigkeit! So +will es der gute Schlaf. Was kann ich dafür, dass die Macht gerne auf +krummen Beinen Wandelt? + +Der soll mir immer der beste Hirt heissen, der sein Schaf auf die +grünste Aue führt: so verträgt es sich mit dem gutem Schlafe. + +Viel Ehren will ich nicht, noch grosse Schätze: das entzündet die Milz. +Aber schlecht schläft es sich ohne einen guten Namen und einen kleinen +Schatz. + +Eine kleine Gesellschaft ist mir willkommener als eine böse: doch muss +sie gehn und kommen zur rechten Zeit. So verträgt es sich mit gutem +Schlafe. + +Sehr gefallen mir auch die Geistig-Armen: sie fördern den Schlaf. Selig +sind die, sonderlich, wenn man ihnen immer Recht giebt. + +Also läuft der Tag dem Tugendsamen. Kommt nun die Nacht, so hüte ich +mich wohl, den Schlaf zu rufen! Nicht will er gerufen sein, der Schlaf, +der der Herr der Tugenden ist! + +Sondern ich denke, was ich des Tages gethan und gedacht. Wiederkäuend +frage ich mich, geduldsam gleich einer Kuh: welches waren doch deine +zehn Überwindungen? + +Und welches waren die zehn Versöhnungen und die zehn Wahrheiten und die +zehn Gelächter, mit denen sich mein Herz gütlich that? + +Solcherlei erwägend und gewiegt von vierzig Gedanken, überfällt mich +auf einmal der Schlaf, der Ungerufne, der Herr der Tugenden. + +Der Schlaf klopft mir auf meine Auge: da wird es schwer. Der Schlaf +berührt mir den Mund: da bleibt er offen. + +Wahrlich, auf weichen Sohlen kommt er mir, der liebste der Diebe, und +stiehlt mir meine Gedanken: dumm stehe ich da wie dieser Lehrstuhl. + +Aber nicht lange mehr stehe ich dann: da liege ich schon.— + +Als Zarathustra den Weisen also sprechen hörte, lachte er bei sich im +Herzen: denn ihm war dabei ein Licht aufgegangen. Und also sprach er zu +seinem Herzen: + +Ein Narr ist mir dieser Weise da mit seinen vierzig Gedanken: aber ich +glaube, dass er sich wohl auf das Schlafen versteht. + +Glücklich schon, wer in der Nähe dieses Weisen wohnt! Solch ein Schlaf +steckt an, noch durch eine dicke Wand hindurch steckt er an. + +Ein Zauber wohnt selbst in seinem Lehrstuhle. Und nicht vergebens +sassen die Jünglinge vor dem Prediger der Tugend. + +Seine Weisheit heisst: wachen, um gut zu schlafen. Und wahrlich, hätte +das Leben keinen Sinn und müsste ich Unsinn wählen, so wäre auch mir +diess der wählenswürdigste Unsinn. + +Jetzo verstehe ich klar, was einst man vor Allem suchte, wenn man +Lehrer der Tugend suchte. Guten Schlaf suchte man sich und mohnblumige +Tugenden dazu! + +Allen diesen gelobten Weisen der Lehrstühle war Weisheit der Schlaf +ohne Träume: sie kannten keinen bessern Sinn des Lebens. + +Auch noch heute wohl giebt es Einige, wie diesen Prediger der Tugend, +und nicht immer so Ehrliche: aber ihre Zeit ist um. Und nicht mehr +lange stehen sie noch: da liegen sie schon. + +Selig sind diese Schläfrigen: denn sie sollen bald einnicken.— + +Also sprach Zarathustra. + + +Von den Hinterweltlern + +Einst warf auch Zarathustra seinen Wahn jenseits des Menschen, gleich +allen Hinterweltlern. Eines leidenden und zerquälten Gottes Werk schien +mir da die Welt. + +Traum schien mir da die Welt und Dichtung eines Gottes; farbiger Rauch +vor den Augen eines göttlich Unzufriednen. + +Gut und böse und Lust und Leid und Ich und Du—farbiger Rauch dünkte +mich’s vor schöpferischen Augen. Wegsehn wollte der Schöpfer von +sich,—da schuf er die Welt. + +Trunkne Lust ist’s dem Leidenden, wegzusehn von seinem Leiden und sich +zu verlieren. Trunkne Lust Und Selbst-sich-Verlieren dünkte mich einst +die Welt. + +Diese Welt, die ewig unvollkommene, eines ewigen Widerspruches Abbild +und unvollkommnes Abbild—eine trunkne Lust ihrem unvollkommnen +Schöpfer:—also dünkte mich einst die Welt. + +Also warf auch ich einst meinen Wahn jenseits des Menschen, gleich +allen Hinterweltlern. Jenseits des Menschen in Wahrheit? + +Ach, ihr Brüder, dieser Gott, den ich schuf, war Menschen-Werk und +-Wahnsinn, gleich allen Göttern! + +Mensch war er, und nur ein armes Stück Mensch und Ich: aus der eigenen +Asche und Gluth kam es mir, dieses Gespenst, und wahrlich! Nicht kam es +mir von Jenseits! + +Was geschah, meine Brüder? Ich überwand mich, den Leidenden, ich trug +meine eigne Asche zu Berge, eine hellere Flamme erfand ich mir. Und +siehe! Da _wich_ das Gespenst von mir! + +Leiden wäre es mir jetzt und Qual dem Genesenen, solche Gespenster zu +glauben: Leiden wäre es mir jetzt und Erniedrigung. Also rede ich zu +den Hinterweltlern. + +Leiden war’s und Unvermögen—das schuf alle Hinterwelten; und jener +kurze Wahnsinn des Glücks, den nur der Leidendste erfährt. + +Müdigkeit, die mit Einem Sprunge zum Letzten will, mit einem +Todessprunge, eine arme unwissende Müdigkeit, die nicht einmal mehr +wollen will: die schuf alle Götter und Hinterwelten. + +Glaubt es mir, meine Brüder! Der Leib war’s, der am Leibe +verzweifelte,—der tastete mit den Fingern des bethörten Geistes an die +letzten Wände. + +Glaubt es mir, meine Brüder! Der Leib war’s, der an der Erde +verzweifelte,—der hörte den Bauch des Seins zu sich reden. + +Und da wollte er mit dem Kopfe durch die letzten Wände, und nicht nur +mit dem Kopfe,—hinüber zu „jener Welt“. + +Aber „jene Welt“ ist gut verborgen vor dem Menschen, jene entmenschte +unmenschliche Welt, die ein himmlisches Nichts ist; und der Bauch des +Seins redet gar nicht zum Menschen, es sei denn als Mensch. + +Wahrlich, schwer zu beweisen ist alles Sein und schwer zum Reden zu +bringen. Sagt mir, ihr Brüder, ist nicht das Wunderlichste aller Dinge +noch am besten bewiesen? + +Ja, diess Ich und des Ich’s Widerspruch und Wirrsal redet noch am +redlichsten von seinem Sein, dieses schaffende, wollende, werthende +Ich, welches das Maass und der Werth der Dinge ist. + +Und diess redlichste Sein, das Ich—das redet vom Leibe, und es will +noch den Leib, selbst wenn es dichtet und schwärmt und mit zerbrochnen +Flügeln flattert. + +Immer redlicher lernt es reden, das Ich: und je mehr es lernt, um so +mehr findet es Worte und Ehren für Leib und Erde. + +Einen neuen Stolz lehrte mich mein Ich, den lehre ich die +Menschen:—nicht mehr den Kopf in den Sand der himmlischen Dinge zu +stecken, sondern frei ihn zu tragen, einen Erden-Kopf, der der Erde +Sinn schafft! + +Einen neuen Willen lehre ich die Menschen: diesen Weg wollen, den +blindlings der Mensch gegangen, und gut ihn heissen und nicht mehr von +ihm bei Seite schleichen, gleich den Kranken und Absterbenden! + +Kranke und Absterbende waren es, die verachteten Leib und Erde und +erfanden das Himmlische und die erlösenden Blutstropfen: aber auch noch +diese süssen und düstern Gifte nahmen sie von Leib und Erde! + +Ihrem Elende wollten sie entlaufen, und die Sterne waren ihnen zu weit. +Da seufzten sie: „Oh dass es doch himmlische Wege gäbe, sich in ein +andres Sein und Glück zu schleichen!“—da erfanden sie sich ihre +Schliche und blutigen Tränklein! + +Ihrem Leibe und dieser Erde nun entrückt wähnten sie sich, diese +Undankbaren. Doch wem dankten sie ihrer Entrückung Krampf und Wonne? +Ihrem Leibe und dieser Erde. + +Milde ist Zarathustra den Kranken. Wahrlich, er zürnt nicht ihren Arten +des Trostes und Undanks. Mögen sie Genesende werden und Überwindende +und einen höheren Leib sich schaffen! + +Nicht auch zürnt Zarathustra dem Genesenden, wenn er zärtlich nach +seinem Wahne blickt und Mitternachts um das Grab seines Gottes +schleicht: aber Krankheit und kranker Leib bleiben mir auch seine +Thränen noch. + +Vieles krankhafte Volk gab es immer unter Denen, welche dichten und +gottsüchtig sind; wüthend hassen sie den Erkennenden und jene jüngste +der Tugenden, welche heisst: Redlichkeit. + +Rückwärts blicken sie immer nach dunklen Zeiten: da freilich war Wahn +und Glaube ein ander Ding; Raserei der Vernunft war Gottähnlichkeit, +und Zweifel Sünde. + +Allzugut kenne ich diese Gottähnlichen: sie wollen, dass an sie +geglaubt werde, und Zweifel Sünde sei. Allzugut weiss ich auch, woran +sie selber am besten glauben. + +Wahrlich nicht an Hinterwelten und erlösende Blutstropfen: sondern an +den Leib glauben auch sie am besten, und ihr eigener Leib ist ihnen ihr +Ding an sich. + +Aber ein krankhaftes Ding ist er ihnen: und gerne möchten sie aus der +Haut fahren. Darum horchen sie nach den Predigern des Todes und +predigen selber Hinterwelten. + +Hört mir lieber, meine Brüder, auf die Stimme des gesunden Leibes: eine +redlichere und reinere Simme ist diess. + +Redlicher redet und reiner der gesunde Leib, der vollkommne und +rechtwinklige: und er redet vom Sinn der Erde. + +Also sprach Zarathustra. + + +Von den Verächtern des Leibes + +Den Verächtern des Leibes will ich mein Wort sagen. Nicht umlernen und +umlehren sollen sie mir, sondern nur ihrem eignen Leibe Lebewohl +sagen—und also stumm werden. + +„Leib bin ich und Seele“ —so redet das Kind. Und warum sollte man nicht +wie die Kinder reden? + +Aber der Erwachte, der Wissende sagt: Leib bin ich ganz und gar, und +Nichts ausserdem; und Seele ist nur ein Wort für ein Etwas am Leibe. + +Der Leib ist eine grosse Vernunft, eine Vielheit mit Einem Sinne, ein +Krieg und ein Frieden, eine Heerde und ein Hirt. + +Werkzeug deines Leibes ist auch deine kleine Vernunft, mein Bruder, die +du „Geist“ nennst, ein kleines Werk- und Spielzeug deiner grossen +Vernunft. + +„Ich“ sagst du und bist stolz auf diess Wort. Aber das Grössere ist, +woran du nicht glauben willst,—dein Leib und seine grosse Vernunft: die +sagt nicht Ich, aber thut Ich. + +Was der Sinn fühlt, was der Geist erkennt, das hat niemals in sich sein +Ende. Aber Sinn und Geist möchten dich überreden, sie seien aller Dinge +Ende: so eitel sind sie. + +Werk- und Spielzeuge sind Sinn und Geist: hinter ihnen liegt noch das +Selbst. Das Selbst sucht auch mit den Augen der Sinne, es horcht auch +mit den Ohren des Geistes. + +Immer horcht das Selbst und sucht: es vergleicht, bezwingt, erobert, +zerstört. Es herrscht und ist auch des Ich’s Beherrscher. + +Hinter deinen Gedanken und Gefühlen, mein Bruder, steht ein mächtiger +Gebieter, ein unbekannter Weiser—der heisst Selbst. In deinem Leibe +wohnt er, dein Leib ist er. + +Es ist mehr Vernunft in deinem Leibe, als in deiner besten Weisheit. +Und wer weiss denn, wozu dein Leib gerade deine beste Weisheit nöthig +hat? + +Dein Selbst lacht über dein Ich und seine stolzen Sprünge. „Was sind +mir diese Sprünge und Flüge des Gedankens? sagt es sich. Ein Umweg zu +meinem Zwecke. Ich bin das Gängelband des Ich’s und der Einbläser +seiner Begriffe.“ + +Das Selbst sagt zum Ich: „hier fühle Schmerz!“ Und da leidet es und +denkt nach, wie es nicht mehr leide—und dazu eben _soll_ es denken. + +Das Selbst sagt zum Ich: „hier fühle Lust!“ Da freut es sich und denkt +nach, wie es noch oft sich freue—und dazu eben _soll_ es denken. + +Den Verächtern des Leibes will ich ein Wort sagen. Dass sie verachten, +das macht ihr Achten. Was ist es, das Achten und Verachten und Werth +und Willen schuf? + +Das schaffende Selbst schuf sich Achten und Verachten, es schuf sich +Lust und Weh. Der schaffende Leib schuf sich den Geist als eine Hand +seines Willens. + +Noch in eurer Thorheit und Verachtung, ihr Verächter des Leibes, dient +ihr eurem Selbst. Ich sage euch: euer Selbst selber will sterben und +kehrt sich vom Leben ab. + +Nicht mehr vermag es das, was es am liebsten wilI:—über sich hinaus zu +schaffen. Das will es am liebsten, das ist seine ganze Inbrunst. + +Aber zu spät ward es ihm jetzt dafür:—so will euer Selbst untergehn, +ihr Verächter des Leibes. + +Untergehn will euer Selbst, und darum wurdet ihr zu Verächtern des +Leibes! Denn nicht mehr vermögt ihr über euch hinaus zu schaffen. + +Und darum zürnt ihr nun dem Leben und der Erde. Ein ungewusster Neid +ist im scheelen Blick eurer Verachtung. + +Ich gehe nicht euren Weg, ihr Verächter des Leibes! Ihr seid mir keine +Brücken zum Übermenschen!— + +Also sprach Zarathustra. + + +Von den Freuden- und Leidenschaften + +Mein Bruder, wenn du eine Tugend hast, und es deine Tugend ist, so hast +du sie mit Niemandem gemeinsam. + +Freilich, du willst sie bei Namen nennen und liebkosen; du willst sie +am Ohre zupfen und Kurzweil mit ihr treiben. + +Und siehe! Nun hast du ihren Namen mit dem Volke gemeinsam und bist +Volk und Heerde geworden mit deiner Tugend! + +Besser thätest du, zu sagen: „unaussprechbar ist und namenlos, was +meiner Seele Qual und Süsse macht und auch noch der Hunger meiner +Eingeweide ist.“ + +Deine Tugend sei zu hoch für die Vertraulichkeit der Namen: und musst +du von ihr reden, so schäme dich nicht, von ihr zu stammeln. + +So sprich und stammle: „Das ist _mein_ Gutes, das liebe ich, so gefällt +es mir ganz, so allein will ich das Gute. + +Nicht will ich es als eines Gottes Gesetz, nicht will ich es als eine +Menschen-Satzung und -Nothdurft: kein Wegweiser sei es mir für +Über-Erden und Paradiese. + +Eine irdische Tugend ist es, die ich liebe: wenig Klugheit ist darin +und am wenigsten die Vernunft Aller. + +Aber dieser Vogel baute bei mir sich das Nest: darum liebe und herze +ich ihn,—nun sitze er bei mir auf seinen goldnen Eiern.“ + +So sollst du stammeln und deine Tugend loben. + +Einst hattest du Leidenschaften und nanntest sie böse. Aber jetzt hast +du nur noch deine Tugenden: die wuchsen aus deinen Leidenschaften. + +Du legtest dein höchstes Ziel diesen Leidenschaften an’s Herz: da +wurden sie deine Tugenden und Freudenschaften. + +Und ob du aus dem Geschlechte der Jähzornigen wärest oder aus dem der +Wollüstigen oder der Glaubens-Wüthigen oder der Rachsüchtigen: + +Am Ende wurden alle deine Leidenschaften zu Tugenden und alle deine +Teufel zu Engeln. + +Einst hattest du wilde Hunde in deinem Keller: aber am Ende +verwandelten sie sich zu Vögeln und lieblichen Sängerinnen. + +Aus deinen Giften brautest du dir deinen Balsam; deine Kuh Trübsal +melktest du, —nun trinkst du die süsse Milch ihres Euters. + +Und nichts Böses wächst mehr fürderhin aus dir, es sei denn das Böse, +das aus dem Kampfe deiner Tugenden wächst. + +Mein Bruder, wenn du Glück hast, so hast du Eine Tugend und nicht mehr: +so gehst du leichter über die Brücke. + +Auszeichnend ist es, viele Tugenden zu haben, aber ein schweres Loos; +und Mancher gieng in die Wüste und tödtete sich, weil er müde war, +Schlacht und Schlachtfeld von Tugenden zu sein. + +Mein Bruder, ist Krieg und Schlacht böse? Aber nothwendig ist diess +Böse, nothwendig ist der Neid und das Misstrauen und die Verleumdung +unter deinen Tugenden. + +Siehe, wie jede deiner Tugenden begehrlich ist nach dem Höchsten: sie +will deinen ganzen Geist, dass er _ihr_ Herold sei, sie will deine +ganze Kraft in Zorn, Hass und Liebe. + +Eifersüchtig ist jede Tugend auf die andre, und ein furchtbares Ding +ist Eifersucht. Auch Tugenden können an der Eifersucht zu Grunde gehn. + +Wen die Flamme der Eifersucht umringt, der wendet zuletzt, gleich dem +Scorpione, gegen sich selber den vergifteten Stachel. + +Ach, mein Bruder, sahst du noch nie eine Tugend sich selber verleumden +und erstechen? + +Der Mensch ist Etwas, das überwunden werden muss: und darum sollst du +deine Tugenden lieben,—denn du wirst an ihnen zu Grunde gehn.— + +Also sprach Zarathustra. + + +Vom bleichen Verbrecher + +Ihr wollt nicht tödten, ihr Richter und Opferer, bevor das Thier nicht +genickt hat? Seht, der bleiche Verbrecher hat genickt: aus seinem Auge +redet die grosse Verachtung. + +„Mein Ich ist Etwas, das überwunden werden soll: mein Ich ist mir die +grosse Verachtung des Menschen“ : so redet es aus diesem Auge. + +Dass er sich selber richtete, war sein höchster Augenblick: lasst den +Erhabenen nicht wieder zurück in sein Niederes! + +Es giebt keine Erlösung für Den, der so an sich selber leidet, es sei +denn der schnelle Tod. + +Euer Tödten, ihr Richter, soll ein Mitleid sein und keine Rache. Und +indem ihr tödtet, seht zu, dass ihr selber das Leben rechtfertiget! + +Es ist nicht genug, dass ihr euch mit Dem versöhnt, den ihr tödtet. +Eure Traurigkeit sei Liebe zum Übermenschen: so rechtfertigt ihr euer +Noch-Leben! + +„Feind“ sollt ihr sagen, aber nicht „Bösewicht“; „Kranker“ sollt ihr +sagen, aber nicht „Schuft“; „Thor“ sollt ihr sagen, aber nicht +„Sünder“. + +Und du, rother Richter, wenn du laut sagen wolltest, was du Alles schon +in Gedanken gethan hast: so würde Jedermann schreien: „Weg mit diesem +Unflath und Giftwurm!“ + +Aber ein Anderes ist der Gedanke, ein Anderes die That, ein Anderes das +Bild der That. Das Rad des Grundes rollt nicht zwischen ihnen. + +Ein Bild machte diesen bleichen Menschen bleich. Gleichwüchsig war er +seiner That, als er sie that: aber ihr Bild ertrug er nicht, als sie +gethan war. + +Immer sah er sich nun als Einer That Thäter. Wahnsinn heisse ich diess: +die Ausnahme verkehrte sich ihm zum Wesen. + +Der Strich bannt die Henne; der Streich, den er führte, bannte seine +arme Vernunft—den Wahnsinn _nach_ der That heisse ich diess. + +Hört, ihr Richter! Einen anderen Wahnsinn giebt es noch: und der ist +vor der That. Ach, ihr krocht mir nicht tief genug in diese Seele! + +So spricht der rothe Richter: „was mordete doch dieser Verbrecher? Er +wollte rauben.“ Aber ich sage euch: seine Seele wollte Blut, nicht +Raub: er dürstete nach dem Glück des Messers! + +Seine arme Vernunft aber begriff diesen Wahnsinn nicht und überredete +ihn. „Was liegt an Blut! sprach sie; willst du nicht zum Mindesten +einen Raub dabei machen? Eine Rache nehmen?“ + +Und er horchte auf seine arme Vernunft: wie Blei lag ihre Rede auf +ihm,—da raubte er, als er mordete. Er wollte sich nicht seines +Wahnsinns schämen. + +Und nun wieder liegt das Blei seiner Schuld auf ihm, und wieder ist +seine arme Vernunft so steif, so gelähmt, so schwer. + +Wenn er nur den Kopf schütteln könnte, so würde seine Last herabrollen: +aber wer schüttelt diesen Kopf? + +Was ist dieser Mensch? Ein Haufen von Krankheiten, welche durch den +Geist in die Welt hinausgreifen: da wollen sie ihre Beute machen. + +Was ist dieser Mensch? Ein Knäuel wilder Schlangen, welche selten bei +einander Ruhe haben,—da gehn sie für sich fort und suchen Beute in der +Welt. + +Seht diesen armen Leib! Was er litt und begehrte, das deutete sich +diese arme Seele,—sie deutete es als mörderische Lust und Gier nach dem +Glück des Messers. + +Wer jetzt krank wird, den überfällt das Böse, das jetzt böse ist: wehe +will er thun, mit dem, was ihm wehe thut. Aber es gab andre Zeiten und +ein andres Böses und Gutes. + +Einst war der Zweifel böse und der Wille zum Selbst. Damals wurde der +Kranke zum Ketzer und zur Hexe: als Ketzer und Hexe litt er und wollte +leiden machen. + +Aber diess will nicht in eure Ohren: euren Guten schade es, sagt ihr +mir. Aber was liegt mir an euren Guten! + +Vieles an euren Guten macht mir Ekel, und wahrlich nicht ihr Böses. +Wollte ich doch, sie hätten einen Wahnsinn, an dem sie zu Grunde +giengen, gleich diesem bleichen Verbrecher! + +Wahrlich, ich wollte, ihr Wahnsinn hiesse Wahrheit oder Treue oder +Gerechtigkeit: aber sie haben ihre Tugend, um lange zu leben und in +einem erbärmlichen Behagen. + +Ich bin ein Geländer am Strome: fasse mich, wer mich fassen kann! Eure +Krücke aber bin ich nicht.— + +Also sprach Zarathustra. + + +Vom Lesen und Schreiben + +Von allem Geschriebenen liebe ich nur Das, was Einer mit seinem Blute +schreibt. Schreibe mit Blut: und du wirst erfahren, dass Blut Geist +ist. + +Es ist nicht leicht möglich, fremdes Blut zu verstehen: ich hasse die +lesenden Müssiggänger. + +Wer den Leser kennt, der thut Nichts mehr für den Leser. Noch ein +Jahrhundert Leser—und der Geist selber wird stinken. + +Dass Jedermann lesen lernen darf, verdirbt auf die Dauer nicht allein +das Schreiben, sondern auch das Denken. + +Einst war der Geist Gott, dann wurde er zum Menschen und jetzt wird er +gar noch Pöbel. + +Wer in Blut und Sprüchen schreibt, der will nicht gelesen, sondern +auswendig gelernt werden. + +Im Gebirge ist der nächste Weg von Gipfel zu Gipfel: aber dazu musst du +lange Beine haben. Sprüche sollen Gipfel sein: und Die, zu denen +gesprochen wird, Grosse und Hochwüchsige. + +Die Luft dünn und rein, die Gefahr nahe und der Geist voll einer +fröhlichen Bosheit: so passt es gut zu einander. + +Ich will Kobolde um mich haben, denn ich bin muthig. Muth, der die +Gespenster verscheucht, schafft sich selber Kobolde,—der Muth will +lachen. + +Ich empfinde nicht mehr mit euch: diese Wolke, die ich unter mir sehe, +diese Schwärze und Schwere, über die ich lache,—gerade das ist eure +Gewitterwolke. + +Ihr seht nach Oben, wenn ihr nach Erhebung verlangt. Und ich sehe +hinab, weil ich erhoben bin. + +Wer von euch kann zugleich lachen und erhoben sein? + +Wer auf den höchsten Bergen steigt, der lacht über alle Trauer-Spiele +und Trauer-Ernste. + +Muthig, unbekümmert, spöttisch, gewaltthätig—so will uns die Weisheit: +sie ist ein Weib und liebt immer nur einen Kriegsmann. + +Ihr sagt mir: „das Leben ist schwer zu tragen.“ Aber wozu hättet ihr +Vormittags euren Stolz und Abends eure Ergebung? + +Das Leben ist schwer zu tragen: aber so thut mir doch nicht so +zärtlich! Wir sind allesammt hübsche lastbare Esel und Eselinnen. + +Was haben wir gemein mit der Rosenknospe, welche zittert, weil ihr ein +Tropfen Thau auf dem Leibe liegt? + +Es ist wahr: wir lieben das Leben, nicht, weil wir an’s Leben, sondern +weil wir an’s Lieben gewöhnt sind. + +Es ist immer etwas Wahnsinn in der Liebe. Es ist aber immer auch etwas +Vernunft im Wahnsinn. + +Und auch mir, der ich dem Leben gut bin, scheinen Schmetterlinge und +Seifenblasen und was ihrer Art unter Menschen ist, am meisten vom +Glücke zu wissen. + +Diese leichten thörichten zierlichen beweglichen Seelchen flattern zu +sehen—das verführt Zarathustra zu Thränen und Liedern. + +Ich würde nur an einen Gott glauben, der zu tanzen verstünde. + +Und als ich meinen Teufel sah, da fand ich ihn ernst, gründlich, tief, +feierlich: es war der Geist der Schwere,—durch ihn fallen alle Dinge. + +Nicht durch Zorn, sondern durch Lachen tödtet man. Auf, lasst uns den +Geist der Schwere tödten! + +Ich habe gehen gelernt: seitdem lasse ich mich laufen. Ich habe fliegen +gelernt: seitdem will ich nicht erst gestossen sein, um von der Stelle +zu kommen. + +Jetzt bin ich leicht, jetzt fliege ich, jetzt sehe ich mich unter mir, +jetzt tanzt ein Gott durch mich. + +Also sprach Zarathustra. + + +Vom Baum am Berge + +Zarathustra’s Auge hatte gesehn, dass ein Jüngling ihm auswich. Und als +er eines Abends allein durch die Berge gieng, welche die Stadt +umschliessen, die genannt wird „die bunte Kuh“: siehe, da fand er im +Gehen diesen Jüngling, wie er an einen Baum gelehnt sass und müden +Blickes in das Thal schaute. Zarathustra fasste den Baum an, bei +welchem der Jüngling sass, und sprach also: + +Wenn ich diesen Baum da mit meinen Händen schütteln wollte, ich würde +es nicht vermögen. + +Aber der Wind, den wir nicht sehen, der quält und biegt ihn, wohin er +will. Wir werden am schlimmsten von unsichtbaren Händen gebogen und +gequält. + +Da erhob sich der Jüngling bestürzt und sagte: „ich höre Zarathustra +und eben dachte ich an ihn.“ Zarathustra entgegnete: + +„Was erschrickst du desshalb?—Aber es ist mit dem Menschen wie mit dem +Baume. + +Je mehr er hinauf in die Höhe und Helle will, um so stärker streben +seine Wurzeln erdwärts, abwärts, in’s Dunkle, Tiefe,—in’s Böse.“ + +„Ja in’s Böse! rief der Jüngling. Wie ist es möglich, dass du meine +Seele entdecktest?“ + +Zarathustra lächelte und sprach: „Manche Seele wird man nie entdecken, +es sei denn, dass man sie zuerst erfindet.“ „Ja in’s Böse! rief der +Jüngling nochmals. + +Du sagtest die Wahrheit, Zarathustra. Ich traue mir selber nicht mehr, +seitdem ich in die Höhe will, und Niemand traut mir mehr,—wie geschieht +diess doch? + +Ich verwandele mich zu schnell: mein Heute widerlegt mein Gestern. Ich +überspringe oft die Stufen, wenn ich steige,—das verzeiht mir keine +Stufe. + +Bin ich oben, so finde ich mich immer allein. Niemand redet mit mir, +der Frost der Einsamkeit macht mich zittern. Was will ich doch in der +Höhe? + +Meine Verachtung und meine Sehnsucht wachsen mit einander; je höher ich +steige, um so mehr verachte ich Den, der steigt. Was will er doch in +der Höhe? + +Wie schäme ich mich meines Steigens und Stolperns! Wie spotte ich +meines heftigen Schnaubens! Wie hasse ich den Fliegenden! Wie müde bin +ich in der Höhe!“ + +Hier schwieg der Jüngling. Und Zarathustra betrachtete den Baum, an dem +sie standen, und sprach also: + +Dieser Baum steht einsam hier am Gebirge; er wuchs hoch hinweg über +Mensch und Thier. + +Und wenn er reden wollte, er würde Niemanden haben, der ihn verstünde: +so hoch wuchs er. + +Nun wartet er und wartet,—worauf wartet er doch? Er wohnt dem Sitze der +Wolken zu nahe: er wartet wohl auf den ersten Blitz? + +Als Zarathustra diess gesagt hatte, rief der Jüngling mit heftigen +Gebärden: „Ja, Zarathustra, du sprichst die Wahrheit. Nach meinem +Untergange verlangte ich, als ich in die Höhe wollte, und du bist der +Blitz, auf den ich wartete! Siehe, was bin ich noch, seitdem du uns +erschienen bist? Der _Neid_ auf dich ist’s, der mich zerstört hat!“—So +sprach der Jüngling und weinte bitterlich. Zarathustra aber legte +seinen Arm um ihn und führte ihn mit sich fort. + +Und als sie eine Weile mit einander gegangen waren, hob Zarathustra +also an zu sprechen: + +Es zerreisst mir das Herz. Besser als deine Worte es sagen, sagt mir +dein Auge alle deine Gefahr. + +Noch bist du nicht frei, du _suchst_ noch nach Freiheit. Übernächtig +machte dich dein Suchen und überwach. + +In die freie Höhe willst du, nach Sternen dürstet deine Seele. Aber +auch deine schlimmen Triebe dürsten nach Freiheit. + +Deine wilden Hunde wollen in die Freiheit; sie bellen vor Lust in ihrem +Keller, wenn dein Geist alle Gefängnisse zu lösen trachtet. + +Noch bist du mir ein Gefangner, der sich Freiheit ersinnt: ach, klug +wird solchen Gefangnen die Seele, aber auch arglistig und schlecht. + +Reinigen muss sich noch der Befreite des Geistes. Viel Gefängniss und +Moder ist noch in ihm zurück: rein muss noch sein Auge werden. + +Ja, ich kenne deine Gefahr. Aber bei meiner Liebe und Hoffnung +beschwöre ich dich: wirf deine Liebe und Hoffnung nicht weg! + +Edel fühlst du dich noch, und edel fühlen dich auch die Andern noch, +die dir gram sind und böse Blicke senden. Wisse, dass Allen ein Edler +im Wege steht. + +Auch den Guten steht ein Edler im Wege: und selbst wenn sie ihn einen +Guten nennen, so wollen sie ihn damit bei Seite bringen. + +Neues will der Edle schaffen und eine neue Tugend. Altes will der Gute, +und dass Altes erhalten bleibe. + +Aber nicht das ist die Gefahr des Edlen, dass er ein Guter werde, +sondern ein Frecher, ein Höhnender, ein Vernichter. + +Ach, ich kannte Edle, die verloren ihre höchste Hoffnung. Und nun +verleumdeten sie alle hohen Hoffnungen. + +Nun lebten sie frech in kurzen Lüsten, und über den Tag hin warfen sie +kaum noch Ziele. + +„Geist ist auch Wollust“—so sagten sie. Da zerbrachen ihrem Geiste die +Flügel: nun kriecht er herum und beschmutzt im Nagen. + +Einst dachten sie Helden zu werden: Lüstlinge sind es jetzt. Ein Gram +und ein Grauen ist ihnen der Held. + +Aber bei meiner Liebe und Hoffnung beschwöre ich dich: wirf den Helden +in deiner Seele nicht weg! Halte heilig deine höchste Hoffnung!— + +Also sprach Zarathustra. + + +Von den Predigern des Todes + +Es giebt Prediger des Todes: und die Erde ist voll von Solchen, denen +Abkehr gepredigt werden muss vom Leben. + +Voll ist die Erde von Überflüssigen, verdorben ist das Leben durch die +Viel-zu-Vielen. Möge man sie mit dem „ewigen Leben“ aus diesem Leben +weglocken! + +„Gelbe“ : so nennt man die Prediger des Todes, oder „Schwarze“ . Aber +ich will sie euch noch in andern Farben zeigen. + +Da sind die Fürchterlichen, welche in sich das Raubthier herumtragen +und keine Wahl haben, es sei denn Lüste oder Selbstzerfleischung. Und +auch ihre Lüste sind noch Selbstzerfleischung. + +Sie sind noch nicht einmal Menschen geworden, diese Fürchterlichen: +mögen sie Abkehr predigen vom Leben und selber dahinfahren! + +Da sind die Schwindsüchtigen der Seele: kaum sind sie geboren, so +fangen sie schon an zu sterben und sehnen sich nach Lehren der +Müdigkeit und Entsagung. + +Sie wollen gerne todt sein, und wir sollten ihren Willen gut heissen! +Hüten wir uns, diese Todten zu erwecken und diese lebendigen Särge zu +versehren! + +Ihnen begegnet ein Kranker oder ein Greis oder ein Leichnam; und gleich +sagen sie „das Leben ist widerlegt!“ + +Aber nur sie sind widerlegt und ihr Auge, welches nur das Eine Gesicht +sieht am Dasein. + +Eingehüllt in dicke Schwermuth und begierig auf die kleinen Zufälle, +welche den Tod bringen: so warten sie und beissen die Zähne auf +einander. + +Oder aber: sie greifen nach Zuckerwerk und spotten ihrer Kinderei +dabei: sie hängen an ihrem Strohhalm Leben und spotten, dass sie noch +an einem Strohhalm hängen. + +Ihre Weisheit lautet: „ein Thor, der leben bleibt, aber so sehr sind +wir Thoren! Und das eben ist das Thörichtste am Leben!“— + +„Das Leben ist nur Leiden“ —so sagen Andre und lügen nicht: so sorgt +doch, dass _ihr_ aufhört! So sorgt doch, dass das Leben aufhört, +welches nur Leiden ist! + +Und also laute die Lehre eurer Tugend „du sollst dich selber tödten! Du +sollst dich selber davonstehlen!“— + +„Wollust ist Sünde,—so sagen die Einen, welche den Tod predigen—lasst +uns bei Seite gehn und keine Kinder zeugen!“ + +„Gebären ist mühsam,—sagen dich Andern—wozu noch gebären? Man gebiert +nur Unglückliche!“ Und auch sie sind Prediger des Todes. + +„Mitleid thut noth—so sagen die Dritten. Nehmt hin, was ich habe! Nehmt +hin, was ich bin! Um so weniger bindet mich das Leben!“ + +Wären sie Mitleidige von Grund aus, so würden sie ihren Nächsten das +Leben verleiden. Böse sein—das wäre ihre rechte Güte. + +Aber sie wollen loskommen vom Leben: was schiert es sie, dass sie Andre +mit ihren Ketten und Geschenken noch fester binden!— + +Und auch ihr, denen das Leben wilde Arbeit und Unruhe ist: seid ihr +nicht sehr müde des Lebens? Seid ihr nicht sehr reif für die Predigt +des Todes? + +Ihr Alle, denen die wilde Arbeit lieb ist und das Schnelle, Neue, +Fremde,—ihr ertragt euch schlecht, euer Fleiss ist Flucht und Wille, +sich selber zu vergessen. + +Wenn ihr mehr an das Leben glaubtet, würdet ihr weniger euch dem +Augenblicke hinwerfen. Aber ihr habt zum Warten nicht Inhalt genug in +euch—und selbst zur Faulheit nicht! + +Überall ertönt die Stimme Derer, welche den Tod predigen: und die Erde +ist voll von Solchen, welchen der Tod gepredigt werden muss. + +Oder „das ewige Leben“ : das gilt mir gleich,—wofern sie nur schnell +dahinfahren! + +Also sprach Zarathustra. + + +Vom Krieg und Kriegsvolke + +Von unsern besten Feinden wollen wir nicht geschont sein, und auch von +Denen nicht, welche wir von Grund aus lieben. So lasst mich denn euch +die Wahrheit sagen! + +Meine Brüder im Kriege! Ich liebe euch von Grund aus, ich bin und war +Euresgleichen. Und ich bin auch euer bester Feind. So lasst mich denn +euch die Wahrheit sagen! + +Ich weiss um den Hass und Neid eures Herzens. Ihr seid nicht gross +genug, um Hass und Neid nicht zu kennen. So seid denn gross genug, euch +ihrer nicht zu schämen! + +Und wenn ihr nicht Heilige der Erkenntniss sein könnt, so seid mir +wenigstens deren Kriegsmänner. Das sind die Gefährten und Vorläufer +solcher Heiligkeit. + +Ich sehe viel Soldaten: möchte ich viel Kriegsmänner sehn! „Ein-form“ +nennt man’s, was sie tragen: möge es nicht Ein-form sein, was sie damit +verstecken! + +Ihr sollt mir Solche sein, deren Auge immer nach einem Feinde +sucht—nach _eurem_ Feinde. Und bei Einigen von euch giebt es einen Hass +auf den ersten Blick. + +Euren Feind sollt ihr suchen, euren Krieg sollt ihr führen und für eure +Gedanken! Und wenn euer Gedanke unterliegt, so soll eure Redlichkeit +darüber noch Triumph rufen! + +Ihr sollt den Frieden lieben als Mittel zu neuen Kriegen. Und den +kurzen Frieden mehr, als den langen. + +Euch rathe ich nicht zur Arbeit, sondern zum Kampfe. Euch rathe ich +nicht zum Frieden, sondern zum Siege. Eure Arbeit sei ein Kampf, euer +Friede sei ein Sieg! + +Man kann nur schweigen und stillsitzen, wenn man Pfeil und Bogen hat: +sonst schwätzt und zankt man. Euer Friede sei ein Sieg! + +Ihr sagt, die gute Sache sei es, die sogar den Krieg heilige? Ich sage +euch: der gute Krieg ist es, der jede Sache heiligt. + +Der Krieg und der Muth haben mehr grosse Dinge gethan, als die +Nächstenliebe. Nicht euer Mitleiden, sondern eure Tapferkeit rettete +bisher die Verunglückten. + +Was ist gut? fragt ihr. Tapfer sein ist gut. Lasst die kleinen Mädchen +reden: „gut sein ist, was hübsch zugleich und rührend ist.“ + +Man nennt euch herzlos: aber euer Herz ist ächt, und ich liebe die +Scham eurer Herzlichkeit. Ihr schämt euch eurer Fluth, und Andre +schämen sich ihrer Ebbe. + +Ihr seid hässlich? Nun wohlan, meine Brüder! So nehmt das Erhabne um +euch, den Mantel des Hässlichen! + +Und wenn eure Seele gross wird, so wird sie übermüthig, und in eurer +Erhabenheit ist Bosheit. Ich kenne euch. + +In der Bosheit begegnet sich der Übermüthige mit dem Schwächlinge. Aber +sie missverstehen einander. Ich kenne euch. + +Ihr dürft nur Feinde haben, die zu hassen sind, aber nicht Feinde zum +Verachten. Ihr müsst stolz auf euern Feind sein: dann sind die Erfolge +eures Feindes auch eure Erfolge. + +Auflehnung—das ist die Vornehmheit am Sclaven. Eure Vornehmheit sei +Gehorsam! Euer Befehlen selber sei ein Gehorchen! + +Einem guten Kriegsmanne klingt „du sollst“ angenehmer, als „ich will“. +Und Alles, was euch lieb ist, sollt ihr euch erst noch befehlen lassen. + +Eure Liebe zum Leben sei Liebe zu eurer höchsten Hoffnung: und eure +höchste Hoffnung sei der höchste Gedanke des Lebens! + +Euren höchsten Gedanken aber sollt ihr euch von mir befehlen lassen—und +er lautet: der Mensch ist Etwas, das überwunden werden soll. + +So lebt euer Leben des Gehorsams und des Krieges! Was liegt am +Lang-Leben! Welcher Krieger will geschont sein! + +Ich schone euch nicht, ich liebe euch von Grund aus, meine Brüder im +Kriege!— + +Also sprach Zarathustra. + + +Vom neuen Götzen + +Irgendwo giebt es noch Völker und Heerden, doch nicht bei uns, meine +Brüder: da giebt es Staaten. + +Staat? Was ist das? Wohlan! Jetzt thut mir die Ohren auf, denn jetzt +sage ich euch mein Wort vom Tode der Völker. + +Staat heisst das kälteste aller kalten Ungeheuer. Kalt lügt es auch; +und diese Lüge kriecht aus seinem Munde: „Ich, der Staat, bin das +Volk.“ + +Lüge ist’s! Schaffende waren es, die schufen die Völker und hängten +einen Glauben und eine Liebe über sie hin: also dienten sie dem Leben. + +Vernichter sind es, die stellen Fallen auf für Viele und heissen sie +Staat: sie hängen ein Schwert und hundert Begierden über sie hin. + +Wo es noch Volk giebt, da versteht es den Staat nicht und hasst ihn als +bösen Blick und Sünde an Sitten und Rechten. + +Dieses Zeichen gebe ich euch: jedes Volk spricht seine Zunge des Guten +und Bösen: die versteht der Nachbar nicht. Seine Sprache erfand es sich +in Sitten und Rechten. + +Aber der Staat lügt in allen Zungen des Guten und Bösen; und was er +auch redet, er lügt—und was er auch hat, gestohlen hat er’s. + +Falsch ist Alles an ihm; mit gestohlenen Zähnen beisst er, der Bissige. +Falsch sind selbst seine Eingeweide. + +Sprachverwirrung des Guten und Bösen: dieses Zeichen gebe ich euch als +Zeichen des Staates. Wahrlich, den Willen zum Tode deutet dieses +Zeichen! Wahrlich, es winkt den Predigern des Todes! + +Viel zu Viele werden geboren: für die Überflüssigen ward der Staat +erfunden! + +Seht mir doch, wie er sie an sich lockt, die Viel-zu-Vielen! Wie er sie +schlingt und kaut und wiederkäut! + +„Auf der Erde ist nichts Grösseres als ich: der ordnende Finger bin ich +Gottes“ —also brüllt das Unthier. Und nicht nur Langgeohrte und +Kurzgeäugte sinken auf die Kniee! + +Ach, auch in euch, ihr grossen Seelen, raunt er seine düsteren Lügen! +Ach, er erräth die reichen Herzen, die gerne sich verschwenden! + +Ja, auch euch erräth er, ihr Besieger des alten Gottes! Müde wurdet ihr +im Kampfe, und nun dient eure Müdigkeit noch dem neuen Götzen! + +Helden und Ehrenhafte möchte er um sich aufstellen, der neue Götze! +Gerne sonnt er sich im Sonnenschein guter Gewissen,—das kalte Unthier! + +Alles will er _euch_ geben, wenn _ihr_ ihn anbetet, der neue Götze: +also kauft er sich den Glanz eurer Tugend und den Blick eurer stolzen +Augen. + +Ködern will er mit euch die Viel-zu-Vielen! Ja, ein Höllenkunststück +ward da erfunden, ein Pferd des Todes, klirrend im Putz göttlicher +Ehren! + +Ja, ein Sterben für Viele ward da erfunden, das sich selber als Leben +preist: wahrlich, ein Herzensdienst allen Predigern des Todes! + +Staat nenne ich’s, wo Alle Gifttrinker sind, Gute und Schlimme: Staat, +wo Alle sich selber verlieren, Gute und Schlimme: Staat, wo der +langsame Selbstmord Aller—„das Leben“ heisst. + +Seht mir doch diese Überflüssigen! Sie stehlen sich die Werke der +Erfinder und die Schätze der Weisen: Bildung nennen sie ihren +Diebstahl—und Alles wird ihnen zu Krankheit und Ungemach! + +Seht mir doch diese Überflüssigen! Krank sind sie immer, sie erbrechen +ihre Galle und nennen es Zeitung. Sie verschlingen einander und können +sich nicht einmal verdauen. + +Seht mir doch diese Überflüssigen! Reichthümer erwerben sie und werden +ärmer damit. Macht wollen sie und zuerst das Brecheisen der Macht, viel +Geld,—diese Unvermögenden! + +Seht sie klettern, diese geschwinden Affen! Sie klettern über einander +hinweg und zerren sich also in den Schlamm und die Tiefe. + +Hin zum Throne wollen sie Alle: ihr Wahnsinn ist es,—als ob das Glück +auf dem Throne sässe! Oft sitzt der Schlamm auf dem Thron—und oft auch +der Thron auf dem Schlamme. + +Wahnsinnige sind sie mir Alle und kletternde Affen und Überheisse. Übel +riecht mir ihr Götze, das kalte Unthier: übel riechen sie mir alle +zusammen, diese Götzendiener. + +Meine Brüder, wollt ihr denn ersticken im Dunste ihrer Mäuler und +Begierden! Lieber zerbrecht doch die Fenster und springt in’s Freie! + +Geht doch dem schlechten Geruche aus dem Wege! Geht fort von der +Götzendienerei der Überflüssigen! + +Geht doch dem schlechten Geruche aus dem Wege! Geht fort von dem Dampfe +dieser Menschenopfer! + +Frei steht grossen Seelen auch jetzt noch die Erde. Leer sind noch +viele Sitze für Einsame und Zweisame, um die der Geruch stiller Meere +weht. + +Frei steht noch grossen Seelen ein freies Leben. Wahrlich, wer wenig +besitzt, wird um so weniger besessen: gelobt sei die kleine Armuth! + +Dort, wo der Staat aufhört, da beginnt erst der Mensch, der nicht +überflüssig ist: da beginnt das Lied des Nothwendigen, die einmalige +und unersetzliche Weise. + +Dort, wo der Staat _aufhört_,—so seht mir doch hin, meine Brüder! Seht +ihr ihn nicht, den Regenbogen und die Brücken des Übermenschen?— + +Also sprach Zarathustra. + + +Von den Fliegen des Marktes + +Fliehe, mein Freund, in deine Einsamkeit! Ich sehe dich betäubt vom +Lärme der grossen Männer und zerstochen von den Stacheln der kleinen. + +Würdig wissen Wald und Fels mit dir zu schweigen. Gleiche wieder dem +Baume, den du liebst, dem breitästigen: still und aufhorchend hängt er +über dem Meere. + +Wo die Einsamkeit aufhört, da beginnt der Markt; und wo der Markt +beginnt, da beginnt auch der Lärm der grossen Schauspieler und das +Geschwirr der giftigen Fliegen. + +In der Welt taugen die besten Dinge noch Nichts, ohne Einen, der sie +erst aufführt: grosse Männer heisst das Volk diese Aufführer. + +Wenig begreift das Volk das Grosse, das ist: das Schaffende. Aber Sinne +hat es für alle Aufführer und Schauspieler grosser Sachen. + +Um die Erfinder von neuen Werthen dreht sich die Welt:—unsichtbar dreht +sie sich. Doch um die Schauspieler dreht sich das Volk und der Ruhm: so +ist es der Welt Lauf. + +Geist hat der Schauspieler, doch wenig Gewissen des Geistes. Er glaubt +immer an Das, womit er am stärksten glauben macht,—glauben an _sich_ +macht! + +Morgen hat er einen neuen Glauben und übermorgen einen neueren. Rasche +Sinne hat er, gleich dem Volke, und veränderliche Witterungen. + +Umwerfen—das heisst ihm: beweisen. Toll machen—das heisst ihm: +überzeugen. Und Blut gilt ihm als aller Gründe bester. + +Eine Wahrheit, die nur in feine Ohren schlüpft, nennt er Lüge und +Nichts. Wahrlich, er glaubt nur an Götter, die grossen Lärm in der Welt +machen! + +Voll von feierlichen Possenreissern ist der Markt—und das Volk rühmt +sich seiner grossen Männer! das sind ihm die Herrn der Stunde. + +Aber die Stunde drängt sie: so drängen sie dich. Und auch von dir +wollen sie Ja oder Nein. Wehe, du willst zwischen Für und Wider deinen +Stuhl setzen? + +Dieser Unbedingten und Drängenden halber sei ohne Eifersucht, du +Liebhaber der Wahrheit! Niemals noch hängte sich die Wahrheit an den +Arm eines Unbedingten. + +Dieser Plötzlichen halber gehe zurück in deine Sicherheit: nur auf dem +Markt wird man mit Ja? oder Nein? überfallen. + +Langsam ist das Erleben allen tiefen Brunnen: lange müssen sie warten, +bis sie wissen, _was_ in ihre Tiefe fiel. + +Abseits vom Markte und Ruhme begiebt sich alles Grosse: abseits vom +Markte und Ruhme wohnten von je die Erfinder neuer Werthe. + +Fliehe, mein Freund, in deine Einsamkeit: ich sehe dich von giftigen +Fliegen zerstochen. Fliehe dorthin, wo rauhe, starke Luft weht! + +Fliehe in deine Einsamkeit! Du lebtest den Kleinen und Erbärmlichen zu +nahe. Fliehe vor ihrer unsichtbaren Rache! Gegen dich sind sie Nichts +als Rache. + +Hebe nicht mehr den Arm gegen sie! Unzählbar sind sie, und es ist nicht +dein Loos, Fliegenwedel zu sein. + +Unzählbar sind diese Kleinen und Erbärmlichen; und manchem stolzen Baue +gereichten schon Regentropfen und Unkraut zum Untergange. + +Du bist kein Stein, aber schon wurdest du hohl von vielen Tropfen. +Zerbrechen und zerbersten wirst du mir noch von vielen Tropfen. + +Ermüdet sehe ich dich durch giftige Fliegen, blutig geritzt sehe ich +dich an hundert Stellen; und dein Stolz will nicht einmal zürnen. + +Blut möchten sie von dir in aller Unschuld, Blut begehren ihre +blutlosen Seelen —und sie stechen daher in aller Unschuld. + +Aber, du Tiefer, du leidest zu tief auch an kleinen Wunden; und ehe du +dich noch geheilt hast, kroch dir der gleiche Giftwurm über die Hand. + +Zu stolz bist du mir dafür, diese Naschhaften zu tödten. Hüte dich +aber, dass es nicht dein Verhängniss werde, all ihr giftiges Unrecht zu +tragen! + +Sie summen um dich auch mit ihrem Lobe: Zudringlichkeit ist ihr Loben. +Sie wollen die Nähe deiner Haut und deines Blutes. + +Sie schmeicheln dir wie einem Gotte oder Teufel; sie winseln vor dir +wie vor einem Gotte oder Teufel. Was macht es! Schmeichler sind es und +Winsler und nicht mehr. + +Auch geben sie sich dir oft als Liebenswürdige. Aber das war immer die +Klugheit der Feigen. Ja, die Feigen sind klug! + +Sie denken viel über dich mit ihrer engen Seele,—bedenklich bist du +ihnen stets! Alles, was viel bedacht wird, wird bedenklich. + +Sie bestrafen dich für alle deine Tugenden. Sie verzeihen dir von Grund +aus nur —deine Fehlgriffe. + +Weil du milde bist und gerechten Sinnes, sagst du: „unschuldig sind sie +an ihrem kleinen Dasein.“ Aber ihre enge Seele denkt: „Schuld ist alles +grosse Dasein.“ + +Auch wenn du ihnen milde bist, fühlen sie sich noch von dir verachtet; +und sie geben dir deine Wohlthat zurück mit versteckten Wehthaten. + +Dein wortloser Stolz geht immer wider ihren Geschmack; sie frohlocken, +wenn du einmal bescheiden genug bist, eitel zu sein. + +Das, was wir an einem Menschen erkennen, das entzünden wir an ihm auch. +Also hüte dich vor den Kleinen! + +Vor dir fühlen sie sich klein, und ihre Niedrigkeit glimmt und glüht +gegen dich in unsichtbarer Rache. + +Merktest du nicht, wie oft sie stumm wurden, wenn du zu ihnen tratest, +und wie ihre Kraft von ihnen gieng wie der Rauch von einem erlöschenden +Feuer? + +Ja, mein Freund, das böse Gewissen bist du deinen Nächsten: denn sie +sind deiner unwerth. Also hassen sie dich und möchten gerne an deinem +Blute saugen. + +Deine Nächsten werden immer giftige Fliegen sein; Das, was gross an dir +ist,—das selber muss sie giftiger machen und immer fliegenhafter. + +Fliehe, mein Freund, in deine Einsamkeit und dorthin, wo eine rauhe, +starke Luft weht. Nicht ist es dein Loos, Fliegenwedel zu sein.— + +Also sprach Zarathustra. + + +Von der Keuschheit + +Ich liebe den Wald. In den Städten ist schlecht zu leben: da giebt es +zu Viele der Brünstigen. + +Ist es nicht besser, in die Hände eines Mörders zu gerathen, als in die +Träume eines brünstigen Weibes? + +Und seht mir doch diese Männer an: ihr Auge sagt es—sie wissen nichts +Besseres auf Erden, als bei einem Weibe zu liegen. + +Schlamm ist auf dem Grunde ihrer Seele; und wehe, wenn ihr Schlamm gar +noch Geist hat! + +Dass ihr doch wenigstens als Thiere vollkommen wäret! Aber zum Thiere +gehört die Unschuld. + +Rathe ich euch, eure Sinne zu tödten? Ich rathe euch zur Unschuld der +Sinne. + +Rathe ich euch zur Keuschheit? Die Keuschheit ist bei Einigen eine +Tugend, aber bei Vielen beinahe ein Laster. + +Diese enthalten sich wohl: aber die Hündin Sinnlichkeit blickt mit Neid +aus Allem, was sie thun. + +Noch in die Höhen ihrer Tugend und bis in den kalten Geist hinein folgt +ihnen diess Gethier und sein Unfrieden. + +Und wie artig weiss die Hündin Sinnlichkeit um ein Stück Geist zu +betteln, wenn ihr ein Stuck Fleisch versagt wird! + +Ihr liebt Trauerspiele und Alles, was das Herz zerbricht? Aber ich bin +misstrauisch gegen eure Hündin. + +Ihr habt mir zu grausame Augen und blickt lüstern nach Leidenden. Hat +sich nicht nur eure Wollust verkleidet und heisst sich Mitleiden? + +Und auch diess Gleichniss gebe ich euch: nicht Wenige, die ihren Teufel +austreiben wollten, fuhren dabei selber in die Säue. + +Wem die Keuschheit schwer fällt, dem ist sie zu widerrathen: dass sie +nicht der Weg zur Hölle werde—das ist zu Schlamm und Brunst der Seele. + +Rede ich von schmutzigen Dingen? Das ist mir nicht das Schlimmste. + +Nicht, wenn die Wahrheit schmutzig ist, sondern wenn sie seicht ist, +steigt der Erkennende ungern in ihr Wasser. + +Wahrlich, es giebt Keusche von Grund aus: sie sind milder von Herzen, +sie lachen lieber und reichlicher als ihr. + +Sie lachen auch über die Keuschheit und fragen: „was ist Keuschheit! + +Ist Keuschheit nicht Thorheit? Aber diese Thorheit kam zu uns und nicht +wir zur ihr. + +Wir boten diesem Gaste Herberge und Herz: nun wohnt er bei uns,—mag er +bleiben, wie lange er will!“ + +Also sprach Zarathustra. + + +Vom Freunde + +„Einer ist immer zu viel um mich“—also denkt der Einsiedler. „Immer +Einmal Eins—das giebt auf die Dauer Zwei!“ + +Ich und Mich sind immer zu eifrig im Gespräche: wie wäre es +auszuhalten, wenn es nicht einen Freund gäbe? + +Immer ist für den Einsiedler der Freund der Dritte: der Dritte ist der +Kork, der verhindert, dass das Gespräch der Zweie in die Tiefe sinkt. + +Ach, es giebt zu viele Tiefen für alle Einsiedler. Darum sehnen sie +sich so nach einem Freunde und nach seiner Höhe. + +Unser Glaube an Andre verräth, worin wir gerne an uns selber glauben +möchten. Unsre Sehnsucht nach einem Freunde ist unser Verräther. + +Und oft will man mit der Liebe nur den Neid überspringen. Und oft +greift man an und macht sich einen Feind, um zu verbergen, dass man +angreifbar ist. + +„Sei wenigstens mein Feind!“—so spricht die wahre Ehrfurcht, die nicht +um Freundschaft zu bitten wagt. + +Will man einen Freund haben, so muss man auch für ihn Krieg führen +wollen: und um Krieg zu führen, muss man Feind sein _können_. + +Man soll in seinem Freunde noch den Feind ehren. Kannst du an deinen +Freund dicht herantreten, ohne zu ihm überzutreten? + +In seinem Freunde soll man seinen besten Feind haben. Du sollst ihm am +nächsten mit dem Herzen sein, wenn du ihm widerstrebst. + +Du willst vor deinem Freunde kein Kleid tragen? Es soll deines Freundes +Ehre sein, dass du dich ihm giebst, wie du bist? Aber er wünscht dich +darum zum Teufel! + +Wer aus sich kein Hehl macht, empört: so sehr habt ihr Grund, die +Nacktheit zu fürchten! Ja, wenn ihr Götter wäret, da dürftet ihr euch +eurer Kleider schämen! + +Du kannst dich für deinen Freund nicht schön genug putzen: denn du +sollst ihm ein Pfeil und eine Sehnsucht nach dem Übermenschen sein. + +Sahst du deinen Freund schon schlafen,—damit du erfahrest, wie er +aussieht? Was ist doch sonst das Gesicht deines Freundes? Es ist dein +eignes Gesicht, auf einem rauhen und unvollkommnen Spiegel. + +Sahst du deinen Freund schon schlafen? Erschrakst du nicht, dass dein +Freund so aussieht? Oh, mein Freund, der Mensch ist Etwas, das +überwunden werden muss. + +Im Errathen und Stillschweigen soll der Freund Meister sein: nicht +Alles musst du sehn wollen. Dein Traum soll dir verrathen, was dein +Freund im Wachen thut. + +Ein Errathen sei dein Mitleiden: dass du erst wissest, ob dein Freund +Mitleiden wolle. Vielleicht liebt er an dir das ungebrochne Auge und +den Blick der Ewigkeit. + +Das Mitleiden mit dem Freunde berge sich unter einer harten Schale, an +ihm sollst du dir einen Zahn ausbeissen. So wird es seine Feinheit und +Süsse haben. + +Bist du reine Luft und Einsamkeit und Brod und Arznei deinem Freunde? +Mancher kann seine eignen Ketten nicht lösen und doch ist er dem +Freunde ein Erlöser. + +Bist du ein Sclave? So kannst du nicht Freund sein. Bist du ein Tyrann? +So kannst du nicht Freunde haben. + +Allzulange war im Weibe ein Sclave und ein Tyrann versteckt. Desshalb +ist das Weib noch nicht der Freundschaft fähig: es kennt nur die Liebe. + +In der Liebe des Weibes ist Ungerechtigkeit und Blindheit gegen Alles, +was es nicht liebt. Und auch in der wissenden Liebe des Weibes ist +immer noch Überfall und Blitz und Nacht neben dem Lichte. + +Noch ist das Weib nicht der Freundschaft fähig: Katzen sind immer noch +die Weiber, und Vögel. Oder, besten Falles, Kühe. + +Noch ist das Weib nicht der Freundschaft fähig. Aber sagt mir, ihr +Männer, wer von euch ist denn fähig der Freundschaft? + +Oh über eure Armuth, ihr Männer, und euren Geiz der Seele! Wie viel ihr +dem Freunde gebt, das will ich noch meinem Feinde geben, und will auch +nicht ärmer damit geworden sein. + +Es giebt Kameradschaft: möge es Freundschaft geben! + +Also sprach Zarathustra. + + +Von tausend und Einem Ziele + +VieIe Länder sah Zarathustra und viele Völker: so entdeckte er vieler +Völker Gutes und Böses. Keine grössere Macht fand Zarathustra auf +Erden, als Gut und Böse. + +Leben könnte kein Volk, das nicht erst schätzte; will es sich aber +erhalten, so darf es nicht schätzen, wie der Nachbar schätzt. + +Vieles, das diesem Volke gut hiess, hiess einem andern Hohn und +Schmach: also fand ich’s. Vieles fand ich hier böse genannt und dort +mit purpurnen Ehren geputzt. + +Nie verstand ein Nachbar den andern: stets verwunderte sich seine Seele +ob des Nachbarn Wahn und Bosheit. + +Eine Tafel der Güter hängt über jedem Volke. Siehe, es ist seiner +Überwindungen Tafel; siehe, es ist die Stimme seines Willens zur Macht. + +Löblich ist, was ihm schwer gilt; was unerlässlich und schwer, heisst +gut, und was aus der höchsten Noth noch befreit, das Seltene, +Schwerste,—das preist es heilig. + +Was da macht, dass es herrscht und siegt und glänzt, seinem Nachbarn zu +Grauen und Neide: das gilt ihm das Hohe, das Erste, das Messende, der +Sinn aller Dinge. + +Wahrlich, mein Bruder, erkanntest du erst eines Volkes Noth und Land +und Himmel und Nachbar: so erräthst du wohl das Gesetz seiner +Überwindungen und warum es auf dieser Leiter zu seiner Hoffnung steigt. + +„Immer sollst du der Erste sein und den Andern vorragen: Niemanden soll +deine eifersüchtige Seele lieben, es sei denn den Freund“—diess machte +einem Griechen die Seele zittern: dabei gieng er seinen Pfad der +Grösse. + +„Wahrheit reden und gut mit Bogen und Pfeil verkehren“ —so dünkte es +jenem Volke zugleich lieb und schwer, aus dem mein Name kommt—der Name, +welcher mir zugleich lieb und schwer ist. + +„Vater und Mutter ehren und bis in die Wurzel der Seele hinein ihnen zu +Willen sein“ : diese Tafel der Überwindung hängte ein andres Volk über +sich auf und wurde mächtig und ewig damit. + +„Treue üben und um der Treue Willen Ehre und Blut auch an böse und +fährliche Sachen setzen“ : also sich lehrend bezwang sich ein anderes +Volk, und also sich bezwingend wurde es schwanger und schwer von +grossen Hoffnungen. + +Wahrlich, die Menschen gaben sich alles ihr Gutes und Böses. Wahrlich, +sie nahmen es nicht, sie fanden es nicht, nicht fiel es ihnen als +Stimme vom Himmel. + +Werthe legte erst der Mensch in die Dinge, sich zu erhalten,—er schuf +erst den Dingen Sinn, einen Menschen-Sinn! Darum nennt er sich +„Mensch“, das ist: der Schätzende. + +Schätzen ist Schaffen: hört es, ihr Schaffenden! Schätzen selber ist +aller geschätzten Dinge Schatz und Kleinod. + +Durch das Schätzen erst giebt es Werth: und ohne das Schätzen wäre die +Nuss des Daseins hohl. Hört es, ihr Schaffenden! + +Wandel der Werthe,—das ist Wandel der Schaffenden. Immer vernichtet, +wer ein Schöpfer sein muss. + +Schaffende waren erst Völker und spät erst Einzelne; wahrlich, der +Einzelne selber ist noch die jüngste Schöpfung. + +Völker hängten sich einst eine Tafel des Guten über sich. Liebe, die +herrschen will, und Liebe, die gehorchen will, erschufen sich zusammen +solche Tafeln. + +Älter ist an der Heerde die Lust, als die Lust am Ich: und so lange das +gute Gewissen Heerde heisst, sagt nur das schlechte Gewissen: Ich. + +Wahrlich, das schlaue Ich, das lieblose, das seinen Nutzen im Nutzen +Vieler will: das ist nicht der Heerde Ursprung, sondern ihr Untergang. + +Liebende waren es stets und Schaffende, die schufen Gut und Böse. Feuer +der Liebe glüht in aller Tugenden Namen und Feuer des Zorns. + +Viele Länder sah Zarathustra und viele Völker: keine grössere Macht +fand Zarathustra auf Erden, als die Werke der Liebenden: „gut“ und +„böse“ ist ihr Name. + +Wahrlich, ein Ungethüm ist die Macht dieses Lobens und Tadelns. Sagt, +wer bezwingt es mir, ihr Brüder? Sagt, wer wirft diesem Thier die +Fessel über die tausend Nacken? + +Tausend Ziele gab es bisher, denn tausend Völker gab es. Nur die Fessel +der tausend Nacken fehlt noch, es fehlt das Eine Ziel. Noch hat die +Menschheit kein Ziel. + +Aber sagt mir doch, meine Brüder: wenn der Menschheit das Ziel noch +fehlt, fehlt da nicht auch—sie selber noch?— + +Also sprach Zarathustra. + + +Von der Nächstenliebe + +Ihr drängt euch um den Nächsten und habt schöne Worte dafür. Aber ich +sage euch: eure Nächstenliebe ist eure schlechte Liebe zu euch selber. + +Ihr flüchtet zum Nächsten vor euch selber und möchtet euch daraus eine +Tugend machen: aber ich durchschaue euer „Selbstloses“. + +Das Du ist älter als das Ich; das Du ist heilig gesprochen, aber noch +nicht das Ich: so drängt sich der Mensch hin zum Nächsten. + +Rathe ich euch zur Nächstenliebe? Lieber noch rathe ich euch zur +Nächsten-Flucht und zur Fernsten-Liebe! + +Höher als die Liebe zum Nächsten ist die Liebe zum Fernsten und +Künftigen; höher noch als die Liebe zu Menschen ist die Liebe zu Sachen +und Gespenstern. + +Diess Gespenst, das vor dir herläuft, mein Bruder, ist schöner als du; +warum giebst du ihm nicht dein Fleisch und deine Knochen? Aber du +fürchtest dich und läufst zu deinem Nächsten. + +Ihr haltet es mit euch selber nicht aus und liebt euch nicht genug: nun +wollt ihr den Nächsten zur Liebe verführen und euch mit seinem Irrthum +vergolden. + +Ich wollte, ihr hieltet es nicht aus mit allerlei Nächsten und deren +Nachbarn; so müsstet ihr aus euch selber euren Freund und sein +überwallendes Herz schaffen. + +Ihr ladet euch einen Zeugen ein, wenn ihr von euch gut reden wollt; und +wenn ihr ihn verführt habt, gut von euch zu denken, denkt ihr selber +gut von euch. + +Nicht nur Der lügt, welcher wider sein Wissen redet, sondern erst recht +Der, welcher wider sein Nichtwissen redet. Und so redet ihr von euch im +Verkehre und belügt mit euch den Nachbar. + +Also spricht der Narr: „der Umgang mit Menschen verdirbt den Charakter, +sonderlich wenn man keinen hat.“ + +Der Eine geht zum Nächsten, weil er sich sucht, und der Andre, weil er +sich verlieren möchte. Eure schlechte Liebe zu euch selber macht euch +aus der Einsamkeit ein Gefängniss. + +Die Ferneren sind es, welche eure Liebe zum Nächsten bezahlen; und +schon wenn ihr zu fünfen mit einander seid, muss immer ein sechster +sterben. + +Ich liebe auch eure Feste nicht: zu viel Schauspieler fand ich dabei, +und auch die Zuschauer gebärdeten sich oft gleich Schauspielern. + +Nicht den Nächsten lehre ich euch, sondern den Freund. Der Freund sei +euch das Fest der Erde und ein Vorgefühl des Übermenschen. + +Ich lehre euch den Freund und sein übervolles Herz. Aber man muss +verstehn, ein Schwamm zu sein, wenn man von übervollen Herzen geliebt +sein will. + +Ich lehre euch den Freund, in dem die Welt fertig dasteht, eine Schale +des Guten,—den schaffenden Freund, der immer eine fertige Welt zu +verschenken hat. + +Und wie ihm die Welt auseinander rollte, so rollt sie ihm wieder in +Ringen zusammen, als das Werden des Guten durch das Böse, als das +Werden der Zwecke aus dem Zufalle. + +Die Zukunft und das Fernste sei dir die Ursache deines Heute: in deinem +Freunde sollst du den Übermenschen als deine Ursache lieben. + +Meine Brüder, zur Nächstenliebe rathe ich euch nicht: ich rathe euch +zur Fernsten-Liebe. + +Also sprach Zarathustra. + + +Vom Wege des Schaffenden + +Willst du, mein Bruder, in die Vereinsamung gehen? Willst du den Weg zu +dir selber suchen? Zaudere noch ein Wenig und höre mich. + +„Wer sucht, der geht leicht selber verloren. Alle Vereinsamung ist +Schuld“: also spricht die Heerde. Und du gehörtest lange zur Heerde. + +Die Stimme der Heerde wird auch in dir noch tönen. Und wenn du sagen +wirst „ich habe nicht mehr Ein Gewissen mit euch“, so wird es eine +Klage und ein Schmerz sein. + +Siehe, diesen Schmerz selber gebar noch das Eine Gewissen: und dieses +Gewissens letzter Schimmer glüht noch auf deiner Trübsal. + +Aber du willst den Weg deiner Trübsal gehen, welches ist der Weg zu dir +selber? So zeige mir dein Recht und deine Kraft dazu! + +Bist du eine neue Kraft und ein neues Recht? Eine erste Bewegung? Ein +aus sich rollendes Rad? Kannst du auch Sterne zwingen, dass sie um dich +sich drehen? + +Ach, es giebt so viel Lüsternheit nach Höhe! Es giebt so viel Krämpfe +der Ehrgeizigen! Zeige mir, dass du keiner der Lüsternen und +Ehrgeizigen bist! + +Ach, es giebt so viel grosse Gedanken, die thun nicht mehr als ein +Blasebalg: sie blasen auf und machen leerer. + +Frei nennst du dich? Deinen herrschenden Gedanken will ich hören und +nicht, dass du einem Joche entronnen bist. + +Bist du ein Solcher, der einem Joche entrinnen _durfte_? Es giebt +Manchen, der seinen letzten Werth wegwarf, als er seine Dienstbarkeit +wegwarf. + +Frei wovon? Was schiert das Zarathustra! Hell aber soll mir dein Auge +künden: frei _wozu_? + +Kannst du dir selber dein Böses und dein Gutes geben und deinen Willen +über dich aufhängen wie ein Gesetz? Kannst du dir selber Richter sein +und Rächer deines Gesetzes? + +Furchtbar ist das Alleinsein mit dem Richter und Rächer des eignen +Gesetzes. Also wird ein Stern hinausgeworfen in den öden Raum und in +den eisigen Athem des Alleinseins. + +Heute noch leidest du an den Vielen, du Einer: heute noch hast du +deinen Muth ganz und deine Hoffnungen. + +Aber einst wird dich die Einsamkeit müde machen, einst wird dein Stolz +sich krümmen und dein Muth knirschen. Schreien wirst du einst „ich bin +allein!“ + +Einst wirst du dein Hohes nicht mehr sehn und dein Niedriges allzunahe; +dein Erhabnes selbst wird dich fürchten machen wie ein Gespenst. +Schreien wirst du einst: „Alles ist falsch!“ + +Es giebt Gefühle, die den Einsamen tödten wollen; gelingt es ihnen +nicht, nun, so müssen sie selber sterben! Aber vermagst du das, Mörder +zu sein? + +Kennst du, mein Bruder, schon das Wort „Verachtung“? Und die Qual +deiner Gerechtigkeit, Solchen gerecht zu sein, die dich verachten? + +Du zwingst Viele, über dich umzulernen; das rechnen sie dir hart an. Du +kamst ihnen nahe und giengst doch vorüber: das verzeihen sie dir +niemals. + +Du gehst über sie hinaus: aber je höher du steigst, um so kleiner sieht +dich das Auge des Neides. Am meisten aber wird der Fliegende gehasst. + +„Wie wolltet ihr gegen mich gerecht sein!—musst du sprechen—ich erwähle +mir eure Ungerechtigkeit als den mir zugemessnen Theil.“ + +Ungerechtigkeit und Schmutz werfen sie nach dem Einsamen: aber, mein +Bruder, wenn du ein Stern sein willst, so musst du ihnen desshalb nicht +weniger leuchten! + +Und hüte dich vor den Guten und Gerechten! Sie kreuzigen gerne Die, +welche sich ihre eigne Tugend erfinden,—sie hassen den Einsamen. + +Hüte dich auch vor der heiligen Einfalt! Alles ist ihr unheilig, was +nicht einfältig ist; sie spielt auch gerne mit dem Feuer—der +Scheiterhaufen. + +Und hüte dich auch vor den Anfällen deiner Liebe! Zu schnell streckt +der Einsame Dem die Hand entgegen, der ihm begegnet. + +Manchem Menschen darfst du nicht die Hand geben, sondern nur die Tatze: +und ich will, dass deine Tatze auch Krallen habe. + +Aber der schlimmste Feind, dem du begegnen kannst, wirst du immer dir +selber sein; du selber lauerst dir auf in Höhlen und Wäldern. + +Einsamer, du gehst den Weg zu dir selber! Und an dir selber fuhrt dein +Weg vorbei und an deinen sieben Teufeln! + +Ketzer wirst du dir selber sein und Hexe und Wahrsager und Narr und +Zweifler und Unheiliger und Bösewicht. + +Verbrennen musst du dich wollen in deiner eignen Flamme: wie wolltest +du neu werden, wenn du nicht erst Asche geworden bist! + +Einsamer, du gehst den Weg des Schaffenden: einen Gott willst du dir +schaffen aus deinen sieben Teufeln! + +Einsamer, du gehst den Weg des Liebenden: dich selbst liebst du und +desshalb verachtest du dich, wie nur Liebende verachten. + +Schaffen will der Liebende, weil er verachtet! Was weiss Der von Liebe, +der nicht gerade verachten musste, was er liebte! + +Mit deiner Liebe gehe in deine Vereinsamung und mit deinem Schaffen, +mein Bruder; und spät erst wird die Gerechtigkeit dir nachhinken. + +Mit meinen Thränen gehe in deine Vereinsamung, mein Bruder. Ich liebe +Den, der über sich selber hinaus schaffen will und so zu Grunde geht.— + +Also sprach Zarathustra. + + +Von alten und jungen Weiblein + +„Was schleichst du so scheu durch die Dämmerung, Zarathustra? Und was +birgst du behutsam unter deinem Mantel? + +Ist es ein Schatz, der dir geschenkt? Oder ein Kind, das dir geboren +wurde? Oder gehst du jetzt selber auf den Wegen der Diebe, du Freund +der Bösen?“— + +Wahrlich, mein Bruder! sprach Zarathustra, es ist ein Schatz, der mir +geschenkt wurde: eine kleine Wahrheit ist’s, die ich trage. + +Aber sie ist ungebärdig wie ein junges Kind; und wenn ich ihr nicht den +Mund halte, so schreit sie überlaut. + +Als ich heute allein meines Weges gieng, zur Stunde, wo die Sonne +sinkt, begegnete mir ein altes Weiblein und redete also zu meiner +Seele: + +„Vieles sprach Zarathustra auch zu uns Weibern, doch nie sprach er uns +über das Weib.“ + +Und ich entgegnete ihr: „über das Weib soll man nur zu Männern reden.“ + +„Rede auch zu mir vom Weibe, sprach sie; ich bin alt genug, um es +gleich wieder zu vergessen.“ + +Und ich willfahrte dem alten Weiblein und sprach also zu ihm: + +Alles am Weibe ist ein Räthsel, und Alles am Weibe hat Eine Lösung: sie +heisst Schwangerschaft. + +Der Mann ist für das Weib ein Mittel: der Zweck ist immer das Kind. +Aber was ist das Weib für den Mann? + +Zweierlei will der ächte Mann: Gefahr und Spiel. Desshalb will er das +Weib, als das gefährlichste Spielzeug. + +Der Mann soll zum Kriege erzogen werden und das Weib zur Erholung des +Kriegers: alles Andre ist Thorheit. + +Allzusüsse Früchte—die mag der Krieger nicht. Darum mag er das Weib; +bitter ist auch noch das süsseste Weib. + +Besser als ein Mann versteht das Weib die Kinder, aber der Mann ist +kindlicher als das Weib. + +Im ächten Manne ist ein Kind versteckt: das will spielen. Auf, ihr +Frauen, so entdeckt mir doch das Kind im Manne! + +Ein Spielzeug sei das Weib, rein und fein, dem Edelsteine gleich, +bestrahlt von den Tugenden einer Welt, welche noch nicht da ist. + +Der Strahl eines Sternes glänze in eurer Liebe! Eure Hoffnung heisse: +„möge ich den Übermenschen gebären!“ + +In eurer Liebe sei Tapferkeit! Mit eurer Liebe sollt ihr auf Den +losgehn, der euch Furcht einflösst! + +In eurer Liebe sei eure Ehre! Wenig versteht sich sonst das Weib auf +Ehre. Aber diess sei eure Ehre, immer mehr zu lieben, als ihr geliebt +werdet, und nie die Zweiten zu sein. + +Der Mann fürchte sich vor dem Weibe, wenn es liebt: da bringt es jedes +Opfer, und jedes andre Ding gilt ihm ohne Werth. + +Der Mann fürchte sich vor dem Weibe, wenn es hasst: denn der Mann ist +im Grunde der Seele nur böse, das Weib aber ist dort schlecht. + +Wen hasst das Weib am meisten?—Also sprach das Eisen zum Magneten: „ich +hasse dich am meisten, weil du anziehst, aber nicht stark genug bist, +an dich zu ziehen.“ + +Das Glück des Mannes heisst: ich will. Das Glück des Weibes heisst: er +will. + +„Siehe, jetzt eben ward die Welt vollkommen!“—also denkt ein jedes +Weib, wenn es aus ganzer Liebe gehorcht. + +Und gehorchen muss das Weib und eine Tiefe finden zu seiner Oberfläche. +Oberfläche ist des Weibes Gemüth, eine bewegliche stürmische Haut auf +einem seichten Gewässer. + +Des Mannes Gemüth aber ist tief, sein Strom rauscht in unterirdischen +Höhlen: das Weib ahnt seine Kraft, aber begreift sie nicht.— + +Da entgegnete mir das alte Weiblein: „Vieles Artige sagte Zarathustra +und sonderlich für Die, welche jung genug dazu sind. + +Seltsam ist’s, Zarathustra kennt wenig die Weiber, und doch hat er über +sie Recht! Geschieht diess desshalb, weil beim Weibe kein Ding +unmöglich ist? + +Und nun nimm zum Danke eine kleine Wahrheit! Bin ich doch alt genug für +sie! + +Wickle sie ein und halte ihr den Mund: sonst schreit sie überlaut, +diese kleine Wahrheit.“ + +„Gieb mir, Weib, deine kleine Wahrheit!“ sagte ich. Und also sprach das +alte Weiblein: + +„Du gehst zu Frauen? Vergiss die Peitsche nicht!“— + +Also sprach Zarathustra. + + +Vom Biss der Natter + +Eines Tages war Zarathustra unter einem Feigenbaume eingeschlafen, da +es heiss war, und hatte seine Arme über das Gesicht gelegt. Da kam eine +Natter und biss ihn in den Hals, so dass Zarathustra vor Schmerz +aufschrie. Als er den Arm vom Gesicht genommen hatte, sah er die +Schlange an: da erkannte sie die Augen Zarathustra’s, wand sich +ungeschickt und wollte davon. „Nicht doch, sprach Zarathustra; noch +nahmst du meinen Dank nicht an! Du wecktest mich zur Zeit, mein Weg ist +noch lang.“ „Dein Weg ist noch kurz, sagte die Natter traurig; mein +Gift tödtet.“ Zarathustra lächelte. „Wann starb wohl je ein Drache am +Gift einer Schlange?—sagte er. Aber nimm dein Gift zurück! Du bist +nicht reich genug, es mir zu schenken.“ Da fiel ihm die Natter von +Neuem um den Hals und leckte ihm seine Wunde. + +Als Zarathustra diess einmal seinen Jüngern erzählte, fragten sie: „Und +was, oh Zarathustra, ist die Moral deiner Geschichte?“ Zarathustra +antwortete darauf also: + +Den Vernichter der Moral heissen mich die Guten und Gerechten: meine +Geschichte ist unmoralisch.— + +So ihr aber einen Feind habt, so vergeltet ihm nicht Böses mit Gutem: +denn das würde beschämen. Sondern beweist, dass er euch etwas Gutes +angethan hat. + +Und lieber zürnt noch, als dass ihr beschämt! Und wenn euch geflucht +wird, so gefällt es mir nicht, dass ihr dann segnen wollt. Lieber ein +Wenig mitfluchen! + +Und geschah euch ein grosses Unrecht, so thut mir geschwind fünf kleine +dazu! Grässlich ist Der anzusehn, den allein das Unrecht drückt. + +Wusstet ihr diess schon? Getheiltes Unrecht ist halbes Recht. Und Der +soll das Unrecht auf sich nehmen, der es tragen kann! + +Eine kleine Rache ist menschlicher, als gar keine Rache. Und wenn die +Strafe nicht auch ein Recht und eine Ehre ist für den Übertretenden, so +mag ich auch euer Strafen nicht. + +Vornehmer ist’s, sich Unrecht zu geben als Recht zu behalten, +sonderlich wenn man Recht hat. Nur muss man reich genug dazu sein. + +Ich mag eure kalte Gerechtigkeit nicht; und aus dem Auge eurer Richter +blickt mir immer der Henker und sein kaltes Eisen. + +Sagt, wo findet sich die Gerechtigkeit, welche Liebe mit sehenden Augen +ist? + +So erfindet mir doch die Liebe, welche nicht nur alle Strafe, sondern +auch alle Schuld trägt! + +So erfindet mir doch die Gerechtigkeit, die Jeden freispricht, +ausgenommen den Richtenden! + +Wollt ihr auch diess noch hören? An Dem, der von Grund aus gerecht sein +will, wird auch noch die Lüge zur Menschen-Freundlichkeit. + +Aber wie wollte ich gerecht sein von Grund aus! Wie kann ich Jedem das +Seine geben! Diess sei mir genug: ich gebe Jedem das Meine. + +Endlich, meine Brüder, hütet euch Unrecht zu thun allen Einsiedlern! +Wie könnte ein Einsiedler vergessen! Wie könnte er vergelten! + +Wie ein tiefer Brunnen ist ein Einsiedler. Leicht ist es, einen Stein +hineinzuwerfen; sank er aber bis zum Grunde, sagt, wer will ihn wieder +hinausbringen? + +Hütet euch, den Einsiedler zu beleidigen! Thatet ihr’s aber, nun, so +tödtet ihn auch noch! + +Also sprach Zarathustra. + + +Von Kind und Ehe + +Ich habe eine Frage für dich allein, mein Bruder: wie ein Senkblei +werfe ich diese Frage in deine Seele, dass ich wisse, wie tief sie sei. + +Du bist jung und wünschest dir Kind und Ehe. Aber ich frage dich: bist +du ein Mensch, der ein Kind sich wünschen _darf_? + +Bist du der Siegreiche, der Selbstbezwinger, der Gebieter der Sinne, +der Herr deiner Tugenden? Also frage ich dich. + +Oder redet aus deinem Wunsche das Thier und die Nothdurft? Oder +Vereinsamung? Oder Unfriede mit dir? + +Ich will, dass dein Sieg und deine Freiheit sich nach einem Kinde +sehne. Lebendige Denkmale sollst du bauen deinem Siege und deiner +Befreiung. + +Über dich sollst du hinausbauen. Aber erst musst du mir selber gebaut +sein, rechtwinklig an Leib und Seele. + +Nicht nur fort sollst du dich pflanzen, sondern hinauf! Dazu helfe dir +der Garten der Ehe! + +Einen höheren Leib sollst du schaffen, eine erste Bewegung, ein aus +sich rollendes Rad,—einen Schaffenden sollst du schaffen. + +Ehe: so heisse ich den Willen zu Zweien, das Eine zu schaffen, das mehr +ist, als die es schufen. Ehrfurcht vor einander nenne ich Ehe als vor +den Wollenden eines solchen Willens. + +Diess sei der Sinn und die Wahrheit deiner Ehe. Aber Das, was die +Viel-zu-Vielen Ehe nennen, diese Überflüssigen,—ach, wie nenne ich das? + +Ach, diese Armuth der Seele zu Zweien! Ach, dieser Schmutz der Seele zu +Zweien! Ach diess erbärmliche Behagen zu Zweien! + +Ehe nennen sie diess Alles; und sie sagen, ihre Ehen seien im Himmel +geschlossen. + +Nun, ich mag ihn nicht, diesen Himmel der Überflüssigen! Nein, ich mag +sie nicht, diese im himmlischen Netz verschlungenen Thiere! + +Ferne bleibe mir auch der Gott, der heranhinkt, zu segnen, was er nicht +zusammenfügte! + +Lacht mir nicht über solche Ehen! Welches Kind hätte nicht Grund, über +seine Eltern zu weinen? + +Würdig schien mir dieser Mann und reif für den Sinn der Erde: aber als +ich sein Weib sah, schien mir die Erde ein Haus für Unsinnige. + +Ja, ich wollte, dass die Erde in Krämpfen bebte, wenn sich ein Heiliger +und eine Gans mit einander paaren. + +Dieser gieng wie ein Held auf Wahrheiten aus und endlich erbeutete er +sich eine kleine geputzte Lüge. Seine Ehe nennt er’s. + +Jener war spröde im Verkehre und wählte wählerisch. Aber mit Einem Male +verdarb er für alle Male seine Gesellschaft: seine Ehe nennt er’s. + +Jener suchte eine Magd mit den Tugenden eines Engels. Aber mit Einem +Male wurde er die Magd eines Weibes, und nun thäte es Noth, dass er +darüber noch zum Engel werde. + +Sorgsam fand ich jetzt alle Käufer, und Alle haben listige Augen. Aber +seine Frau kauft auch der Listigste noch im Sack. + +Viele kurze Thorheiten—das heisst bei euch Liebe. Und eure Ehe macht +vielen kurzer Thorheiten ein Ende, als Eine lange Dummheit. + +Eure Liebe zum Weibe und des Weibes Liebe zum Manne: ach, möchte sie +doch Mitleiden sein mit leidenden und verhüllten Göttern! Aber zumeist +errathen zwei Thiere einander. + +Aber auch noch eure beste Liebe ist nur ein verzücktes Gleichniss und +eine schmerzhafte Gluth. Eine Fackel ist sie, die euch zu höheren Wegen +leuchten soll. + +Über euch hinaus sollt ihr einst lieben! So _lernt_ erst lieben! Und +darum musstet ihr den bittern Kelch eurer Liebe trinken. + +Bitterniss ist im Kelch auch der besten Liebe: so macht sie Sehnsucht +zum Übermenschen, so macht sie Durst dir, dem Schaffenden! + +Durst dem Schaffenden, Pfeil und Sehnsucht zum Übermenschen: sprich, +mein Bruder, ist diess dein Wille zur Ehe? + +Heilig heisst mir solch ein Wille und solche Ehe.— + +Also sprach Zarathustra. + + +Vom freien Tode + +Viele sterben zu spät, und Einige sterben zu früh. Noch klingt fremd +die Lehre: „stirb zur rechten Zeit!“ + +Stirb zur rechten Zeit: also lehrt es Zarathustra. + +Freilich, wer nie zur rechten Zeit lebt, wie sollte der je zur rechten +Zeit sterben? Möchte er doch nie geboren sein!—Also rathe ich den +Überflüssigen. + +Aber auch die Überflüssigen thun noch wichtig mit ihrem Sterben, und +auch die hohlste Nuss will noch geknackt sein. + +Wichtig nehmen Alle das Sterben: aber noch ist der Tod kein Fest. Noch +erlernten die Menschen nicht, wie man die schönsten Feste weiht. + +Den vollbringenden Tod zeige ich euch, der den Lebenden ein Stachel und +ein Gelöbniss wird. + +Seinen Tod stirbt der Vollbringende, siegreich, umringt von Hoffenden +und Gelobenden. + +Also sollte man sterben lernen; und es sollte kein Fest geben, wo ein +solcher Sterbender nicht der Lebenden Schwüre weihte! + +Also zu sterben ist das Beste; das Zweite aber ist: im Kampfe zu +sterben und eine grosse Seele zu verschwenden. + +Aber dem Kämpfenden gleich verhasst wie dem Sieger ist euer grinsender +Tod, der heranschleicht wie ein Dieb—und doch als Herr kommt. + +Meinen Tod lobe ich euch, den freien Tod, der mir kommt, weil _ich_ +will. + +Und wann werde ich wollen?—Wer ein Ziel hat und einen Erben, der will +den Tod zur rechten Zeit für Ziel und Erben. + +Und aus Ehrfurcht vor Ziel und Erben wird er keine dürren Kränze mehr +im Heiligthum des Lebens aufhängen. + +Wahrlich, nicht will ich den Seildrehern gleichen: sie ziehen ihren +Faden in die Länge und gehen dabei selber immer rückwärts. + +Mancher wird auch für seine Wahrheiten und Siege zu alt; ein zahnloser +Mund hat nicht mehr das Recht zu jeder Wahrheit. + +Und Jeder, der Ruhm haben will, muss sich bei Zeiten von der Ehre +verabschieden und die schwere Kunst üben, zur rechten Zeit zu—gehn. + +Man muss aufhören, sich essen zu lassen, wenn man am besten schmeckt: +das wissen Die, welche lange geliebt werden wollen. + +Saure Äpfel giebt es freilich, deren Loos will, dass sie bis auf den +letzten Tag des Herbstes warten: und zugleich werden sie reif, gelb und +runzelig. + +Andern altert das Herz zuerst und Andern der Geist. Und Einige sind +greis in der Jugend: aber spät jung erhält lang jung. + +Manchem missräth das Leben: ein Giftwurm frisst sich ihm an’s Herz. So +möge er zusehn, dass ihm das Sterben um so mehr gerathe. + +Mancher wird nie süss, er fault im Sommer schon. Feigheit ist es, die +ihn an seinem Aste festhält. + +Viel zu Viele leben und viel zu lange hängen sie an ihren Ästen. Möchte +ein Sturm kommen, der all diess Faule und Wurmfressne vom Baume +schüttelt! + +Möchten Prediger kommen des _schnellen_ Todes! Das wären mir die +rechten Stürme und Schüttler an Lebensbäumen Aber ich höre nur den +langsamen Tod predigen und Geduld mit allem „Irdischen“ . + +Ach, ihr predigt Geduld mit dem Irdischen? Dieses Irdische ist es, das +zu viel Geduld mit euch hat, ihr Lästermäuler! + +Wahrlich, zu früh starb jener Hebräer, den die Prediger des langsamen +Todes ehren: und Vielen ward es seitdem zum Verhängniss, dass er zu +früh starb. + +Noch kannte er nur Thränen und die Schwermuth des Hebräers, sammt dem +Hasse der Guten und Gerechten,—der Hebräer Jesus: da überfiel ihn die +Sehnsucht zum Tode. + +Wäre er doch in der Wüste geblieben und ferne von den Guten und +Gerechten! Vielleicht hätte er leben gelernt und die Erde lieben +gelernt—und das Lachen dazu! + +Glaubt es mir, meine Brüder! Er starb zu früh; er selber hätte seine +Lehre widerrufen, wäre er bis zu meinem Alter gekommen! Edel genug war +er zum Widerrufen! + +Aber ungereift war er noch. Unreif liebt der Jüngling und unreif hasst +er auch Mensch und Erde. Angebunden und schwer ist ihm noch Gemüth und +Geistesflügel. + +Aber im Manne ist mehr Kind als im Jünglinge, und weniger Schwermuth: +besser versteht er sich auf Tod und Leben. + +Frei zum Tode und frei im Tode, ein heiliger Nein-sager, wenn es nicht +Zeit mehr ist zum Ja: also versteht er sich auf Tod und Leben. + +Dass euer Sterben keine Lästerung sei auf Mensch und Erde, meine +Freunde: das erbitte ich mir von dem Honig eurer Seele. + +In eurem Sterben soll noch euer Geist und eure Tugend glühn, gleich +einem Abendroth um die Erde: oder aber das Sterben ist euch schlecht +gerathen. + +Also will ich selber sterben, dass ihr Freunde um meinetwillen die Erde +mehr liebt; und zur Erde will ich wieder werden, dass ich in Der Ruhe +habe, die mich gebar. + +Wahrlich, ein Ziel hatte Zarathustra, er warf seinen Ball: nun seid ihr +Freunde meines Zieles Erbe, euch werfe ich den goldenen Ball zu. + +Lieber als Alles sehe ich euch, meine Freunde, den goldenen Ball +werfen! Und so verziehe ich noch ein Wenig auf Erden: verzeiht es mir! + +Also sprach Zarathustra. + + +Von der schenkenden Tugend + +1. + +Als Zarathustra von der Stadt Abschied genommen hatte, welcher sein +Herz zugethan war und deren Name lautet: „die bunte Kuh“—folgten ihm +Viele, die sich seine Jünger nannten und gaben ihm das Geleit. Also +kamen sie an einen Kreuzweg: da sagte ihnen Zarathustra, dass er +nunmehr allein gehen wolle; denn er war ein Freund des Alleingehens. +Seine Jünger aber reichten ihm zum Abschiede einen Stab, an dessen +goldnem Griffe sich eine Schlange um die Sonne ringelte. Zarathustra +freute sich des Stabes und stützte sich darauf; dann sprach er also zu +seinen Jüngern. + +Sagt mir doch: wie kam Gold zum höchsten Werthe? Darum, dass es +ungemein ist und unnützlich und leuchtend und mild im Glanze; es +schenkt sich immer. + +Nur als Abbild der höchsten Tugend kam Gold zum höchsten Werthe. +Goldgleich leuchtet der Blick dem Schenkenden. Goldes-Glanz schliesst +Friede zwischen Mond und Sonne. + +Ungemein ist die höchste Tugend und unnützlich, leuchtend ist sie und +mild im Glanze: eine schenkende Tugend ist die höchste Tugend. + +Wahrlich, ich errathe euch wohl, meine Jünger: ihr trachtet, gleich +mir, nach der schenkenden Tugend. Was hättet ihr mit Katzen und Wölfen +gemeinsam? + +Das ist euer Durst, selber zu Opfern und Geschenken zu werden: und +darum habt ihr den Durst, alle Reichthümer in euren Seele zu häufen. + +Unersättlich trachtet eure Seele nach Schätzen und Kleinodien, weil +eure Tugend unersättlich ist im Verschenken-Wollen. + +Ihr zwingt alle Dinge zu euch und in euch, dass sie aus eurem Borne +zurückströmen sollen als die Gaben eurer Liebe. + +Wahrlich, zum Räuber an allen Werthen muss solche schenkende Liebe +werden; aber heil und heilig heisse ich diese Selbstsucht. + +Eine andre Selbstsucht giebt es, eine allzuarme, eine hungernde, die +immer stehlen will, jene Selbstsucht der Kranken, die kranke +Selbstsucht. + +Mit dem Auge des Diebes blickt sie auf alles Glänzende; mit der Gier +des Hungers misst sie Den, der reich zu essen hat; und immer schleicht +sie um den Tisch der Schenkenden. + +Krankheit redet aus solcher Begierde und unsichtbare Entartung; von +siechem Leibe redet die diebische Gier dieser Selbstsucht. + +Sagt mir, meine Brüder: was gilt uns als Schlechtes und Schlechtestes? +Ist es nicht _Entartung_?—Und auf Entartung rathen wir immer, wo die +schenkende Seele fehlt. + +Aufwärts geht unser Weg, von der Art hinüber zur Über-Art. Aber ein +Grauen ist uns der entartende Sinn, welcher spricht: „Alles für mich.“ + +Aufwärts fliegt unser Sinn: so ist er ein Gleichniss unsres Leibes, +einer Erhöhung Gleichniss. Solcher Erhöhungen Gleichnisse sind die +Namen der Tugenden. + +Also geht der Leib durch die Geschichte, ein Werdender und ein +Kämpfender. Und der Geist—was ist er ihm? Seiner Kämpfe und Siege +Herold, Genoss und Wiederhall. + +Gleichnisse sind alle Namen von Gut und Böse: sie sprechen nicht aus, +sie winken nur. Ein Thor, welcher von ihnen Wissen will! + +Achtet mir, meine Brüder, auf jede Stunde, wo euer Geist in +Gleichnissen reden will: da ist der Ursprung eurer Tugend. + +Erhöht ist da euer Leib und auferstanden; mit seiner Wonne entzückt er +den Geist, dass er Schöpfer wird und Schätzer und Liebender und aller +Dinge Wohlthäter. + +Wenn euer Herz breit und voll wallt, dem Strome gleich, ein Segen und +eine Gefahr den Anwohnenden: da ist der Ursprung eurer Tugend. + +Wenn ihr erhaben seid über Lob und Tadel, und euer Wille allen Dingen +befehlen will, als eines Liebenden Wille: da ist der Ursprung eurer +Tugend. + +Wenn ihr das Angenehme verachtet und das weiche Bett, und von den +Weichlichen euch nicht weit genug betten könnt: da ist der Ursprung +eurer Tugend. + +Wenn ihr Eines Willens Wollende seid, und diese Wende aller Noth euch +Nothwendigkeit heisst: da ist der Ursprung eurer Tugend. + +Wahrlich, ein neues Gutes und Böses ist sie! Wahrlich, ein neues tiefes +Rauschen und eines neuen Quelles Stimme! + +Macht ist sie, diese neue Tugend; ein herrschender Gedanke ist sie und +um ihn eine kluge Seele: eine goldene Sonne und um sie die Schlange der +Erkenntniss. + +2. + +Hier schwieg Zarathustra eine Weile und sah mit Liebe auf seine Jünger. +Dann fuhr er also fort zu reden:—und seine Stimme hatte sich +verwandelt. + +Bleibt mir der Erde treu, meine Brüder, mit der Macht eurer Tugend! +Eure schenkende Liebe und eure Erkenntniss diene dem Sinn der Erde! +Also bitte und beschwöre ich euch. + +Lasst sie nicht davon fliegen vom Irdischen und mit den Flügeln gegen +ewige Wände schlagen! Ach, es gab immer so viel verflogene Tugend! + +Führt, gleich mir, die verflogene Tugend zur Erde zurück—ja, zurück zu +Leib und Leben: dass sie der Erde ihren Sinn gebe, einen Menschen-Sinn! + +Hundertfältig verflog und vergriff sich bisher so Geist wie Tugend. +Ach, in unserm Leibe wohnt jetzt noch all dieser Wahn und Fehlgriff: +Leib und Wille ist er da geworden. + +Hundertfältig versuchte und verirrte sich bisher so Geist wie Tugend. +Ja, ein Versuch war der Mensch. Ach, viel Unwissen und Irrthum ist an +uns Leib geworden! + +Nicht nur die Vernunft von Jahrtausenden—auch ihr Wahnsinn bricht an +uns aus. Gefährlich ist es, Erbe zu sein. + +Noch kämpfen wir Schritt um Schritt mit dem Riesen Zufall, und über der +ganzen Menschheit waltete bisher noch der Unsinn, der Ohne-Sinn. + +Euer Geist und eure Tugend diene dem Sinn der Erde, meine Brüder: und +aller Dinge Werth werde neu von euch gesetzt! Darum sollt ihr Kämpfende +sein! Darum sollt ihr Schaffende sein! + +Wissend reinigt sich der Leib; mit Wissen versuchend erhöht er sich; +dem Erkennenden heiligen sich alle Triebe; dem Erhöhten wird die Seele +fröhlich. + +Arzt, hilf dir selber: so hilfst du auch deinem Kranken noch. Das sei +seine beste Hülfe, dass er Den mit Augen sehe, der sich selber heil +macht. + +Tausend Pfade giebt es, die nie noch gegangen sind; tausend +Gesundheiten und verborgene Eilande des Lebens. Unerschöpft und +unentdeckt ist immer noch Mensch und Menschen-Erde. + +Wachet und horcht, ihr Einsamen! Von der Zukunft her kommen Winde mit +heimlichem Flügelschlagen; und an feine Ohren ergeht gute Botschaft. + +Ihr Einsamen von heute, ihr Ausscheidenden, ihr sollt einst ein Volk +sein: aus euch, die ihr euch selber auswähltet, soll ein auserwähltes +Volk erwachsen:—und aus ihm der Übermensch. + +Wahrlich, eine Stätte der Genesung soll noch die Erde werden! Und schon +liegt ein neuer Geruch um sie, ein Heil bringender,—und eine neue +Hoffnung! + +3. + +Als Zarathustra diese Worte gesagt hatte, schwieg er, wie Einer, der +nicht sein letztes Wort gesagt hat; lange wog er den Stab zweifelnd in +seiner Hand. Endlich sprach er also:—und seine Stimme hatte sich +verwandelt. + +Allein gehe ich nun, meine Jünger! Auch ihr geht nun davon und allein! +So will ich es. + +Wahrlich, ich rathe euch: geht fort von mir und wehrt euch gegen +Zarathustra! Und besser noch: schämt euch seiner! Vielleicht betrog er +euch. + +Der Mensch der Erkenntniss muss nicht nur seine Feinde lieben, sondern +auch seine Freunde hassen können. + +Man vergilt einem Lehrer schlecht, wenn man immer nur der Schüler +bleibt. Und warum wollt ihr nicht an meinem Kranze rupfen? + +Ihr verehrt mich; aber wie, wenn eure Verehrung eines Tages umfällt? +Hütet euch, dass euch nicht eine Bildsäule erschlage! + +Ihr sagt, ihr glaubt an Zarathustra? Aber was liegt an Zarathustra! Ihr +seid meine Gläubigen: aber was liegt an allen Gläubigen! + +Ihr hattet euch noch nicht gesucht: da fandet ihr mich. So thun alle +Gläubigen; darum ist es so wenig mit allem Glauben. + +Nun heisse ich euch, mich verlieren und euch finden; und erst, wenn ihr +mich Alle verleugnet habt, will ich euch wiederkehren. + +Wahrlich, mit andern Augen, meine Brüder, werde ich mir dann meine +Verlorenen suchen; mit einer anderen Liebe werde ich euch dann lieben. + +Und einst noch sollt ihr mir Freunde geworden sein und Kinder Einer +Hoffnung: dann will ich zum dritten Male bei euch sein, dass ich den +grossen Mittag mit euch feiere. + +Und das ist der grosse Mittag, da der Mensch auf der Mitte seiner Bahn +steht zwischen Thier und Übermensch und seinen Weg zum Abende als seine +höchste Hoffnung feiert: denn es ist der Weg zu einem neuen Morgen. + +Alsda wird sich der Untergehende selber segnen, dass er ein +Hinübergehender sei; und die Sonne seiner Erkenntniss wird ihm im +Mittage stehn. + +„Todt sind alle Götter: nun wollen wir, dass der Übermensch +lebe.“—diess sei einst am grossen Mittage unser letzter Wille!— + +Also sprach Zarathustra. + + +Zweiter Theil + +„—und erst, wenn ihr mich Alle verleugnet habt, will ich euch +wiederkehren. + Wahrlich, mit andern _Augen_, meine Brüder, werde ich mir dann + meine Verlorenen suchen; mit einer andern Liebe werde ich euch dann + lieben.“ + +Zarathustra, von der schenkenden Tugend + + +Das Kind mit dem Spiegel + +Hierauf gieng Zarathustra wieder zurück in das Gebirge und in die +Einsamkeit seiner Höhle und entzog sich den Menschen: wartend gleich +einem Säemann, der seinen Samen ausgeworfen hat. Seine Seele aber wurde +voll von Ungeduld und Begierde nach Denen, welche er liebte: denn er +hatte ihnen noch Viel zu geben. Diess nämlich ist das Schwerste, aus +Liebe die offne Hand schliessen und als Schenkender die Scham bewahren. + +Also vergiengen dem Einsamen Monde und Jahre; seine Weisheit aber wuchs +und machte ihm Schmerzen durch ihre Fülle. + +Eines Morgens aber wachte er schon vor der Morgenröthe auf, besann sich +lange auf seinem Lager und sprach endlich zu seinem Herzen: + +Was erschrak ich doch so in meinem Traume, dass ich aufwachte? Trat +nicht ein Kind zu mir, das einen Spiegel trug? + +„Oh Zarathustra—sprach das Kind zu mir—schaue Dich an im Spiegel!“ + +Aber als ich in den Spiegel schaute, da schrie ich auf, und mein Herz +war erschüttert: denn nicht mich sahe ich darin, sondern eines Teufels +Fratze und Hohnlachen. + +Wahrlich, allzugut verstehe ich des Traumes Zeichen und Mahnung: meine +_Lehre_ ist in Gefahr, Unkraut will Weizen heissen! + +Meine Feinde sind mächtig worden und haben meiner Lehre Bildniss +entstellt, also, dass meine Liebsten sich der Gaben schämen müssen, die +ich ihnen gab. + +Verloren giengen mir meine Freunde; die Stunde kam mir, meine Verlornen +zu suchen!— + +Mit diesen Worten sprang Zarathustra auf, aber nicht wie ein +Geängstigter, der nach Luft sucht, sondern eher wie ein Seher und +Sänger, welchen der Geist anfällt. Verwundert sahen sein Adler und +seine Schlange auf ihn hin: denn gleich dem Morgenrothe lag ein +kommendes Glück auf seinem Antlitze. + +Was geschah mir doch, meine Thiere?—sagte Zarathustra. Bin ich nicht +verwandelt! Kam mir nicht die Seligkeit wie ein Sturmwind? + +Thöricht ist mein Glück und Thörichtes wird es reden: zu jung noch ist +es—so habt Geduld mit ihm! + +Verwundet bin ich von meinem Glücke: alle Leidenden sollen mir Arzte +sein! + +Zu meinen Freunden darf ich wieder hinab und auch zu meinen Feinden! +Zarathustra darf wieder reden und schenken und Lieben das Liebste thun! + +Meine ungeduldige Liebe fliesst über in Strömen, abwärts, nach Aufgang +und Niedergang. Aus schweigsamem Gebirge und Gewittern des Schmerzes +rauscht meine Seele in die Thäler. + +Zu lange sehnte ich mich und schaute in die Ferne. Zu lange gehörte ich +der Einsamkeit: so verlernte ich das Schweigen. + +Mund bin ich worden ganz und gar, und Brausen eines Bachs aus hohen +Felsen: hinab will ich meine Rede stürzen in die Thäler. + +Und mag mein Strom der Liebe in Unwegsames stürzen! Wie sollte ein +Strom nicht endlich den Weg zum Meere finden! + +Wohl ist ein See in mir, ein einsiedlerischer, selbstgenugsamer; aber +mein Strom der Liebe reisst ihn mit sich hinab—zum Meere! + +Neue Wege gehe ich, eine neue Rede kommt mir; müde wurde ich, gleich +allen Schaffenden, der alten Zungen. Nicht will mein Geist mehr auf +abgelaufnen Sohlen wandeln. + +Zu langsam läuft mir alles Reden:—in deinen Wagen springe ich, Sturm! +Und auch dich will ich noch peitschen mit meiner Bosheit! + +Wie ein Schrei und ein jauchzen will ich über weite Meere hinfahren, +bis ich die glückseligen Inseln finde, wo meine Freunde weilen:— + +Und meine Feinde unter ihnen! Wie liebe ich nun jeden, zu dem ich nur +reden darf! Auch meine Feinde gehören zu meiner Seligkeit. + +Und wenn ich auf mein wildestes Pferd steigen will, so hilft mir mein +Speer immer am besten hinauf: der ist meines Fusses allzeit bereiter +Diener:— + +Der Speer, den ich gegen meine Feinde schleudere! Wie danke ich es +meinen Feinden, dass ich endlich ihn schleudern darf! + +Zu gross war die Spannung meiner Wolke: zwischen Gelächtern der Blitze +will ich Hagelschauer in die Tiefe werfen. + +Gewaltig wird sich da meine Brust heben, gewaltig wird sie ihren Sturm +über die Berge hinblasen: so kommt ihr Erleichterung. + +Wahrlich, einem Sturme gleich kommt mein Glück und meine Freiheit! Aber +meine Feinde sollen glauben, _der Böse_ rase über ihren Häuptern. + +Ja, auch ihr werdet erschreckt sein, meine Freunde, ob meiner wilden +Weisheit; und vielleicht flieht ihr davon sammt meinen Feinden. + +Ach, dass ich’s verstünde, euch mit Hirtenflöten zurück zu locken! Ach, +dass meine Löwin Weisheit zärtlich brüllen lernte! Und Vieles lernten +wir schon mit einander! + +Meine wilde Weisheit wurde trächtig auf einsamen Bergen; auf rauhen +Steinen gebar sie ihr Junges, Jüngstes. + +Nun läuft sie närrisch durch die harte Wüste und sucht und sucht nach +sanftem Rasen—meine alte wilde Weisheit! + +Auf eurer Herzen sanften Rasen, meine Freunde!—auf eure Liebe möchte +sie ihr Liebstes betten! + +Also sprach Zarathustra. + + +Auf den glückseligen Inseln + +Die Feigen fallen von den Bäumen, sie sind gut und süss; und indem sie +fallen, reisst ihnen die rothe Haut. Ein Nordwind bin ich reifen +Feigen. + +Also, gleich Feigen, fallen euch diese Lehren zu, meine Freunde: nun +trinkt ihren Saft und ihr süsses Fleisch! Herbst ist es umher und +reiner Himmel und Nachmittag. + +Seht, welche Fülle ist um uns! Und aus dem Überflusse heraus ist es +schön hinaus zu blicken auf ferne Meere. + +Einst sagte man Gott, wenn man auf ferne Meere blickte; nun aber lehrte +ich euch sagen: Übermensch. + +Gott ist eine Muthmaassung; aber ich will, dass euer Muthmaassen nicht +weiter reiche, als euer schaffender Wille. + +Könntet ihr einen Gott _schaffen_?—So schweigt mir doch von allen +Göttern! Wohl aber könntet ihr den Übermenschen schaffen. + +Nicht ihr vielleicht selber, meine Brüder! Aber zu Vätern und Vorfahren +könntet ihr euch umschaffen des Übermenschen: und Diess sei euer bestes +Schaffen!— + +Gott ist eine Muthmaassung: aber ich will, dass euer Muthmaassen +begrenzt sei in der Denkbarkeit. + +Könntet ihr einen Gott _denken_?—Aber diess bedeute euch Wille zur +Wahrheit, dass Alles verwandelt werde in Menschen—Denkbares, +Menschen—Sichtbares, Menschen—Fühlbares! Eure eignen Sinne sollt ihr zu +Ende denken! + +Und was ihr Welt nanntet, das soll erst von euch geschaffen werden: +eure Vernunft, euer Bild, euer Wille, eure Liebe soll es selber werden! +Und wahrlich, zu eurer Seligkeit, ihr Erkennenden! + +Und wie wolltet ihr das Leben ertragen ohne diese Hoffnung, ihr +Erkennenden? Weder in’s Unbegreifliche dürftet ihr eingeboren sein, +noch in’s Unvernünftige. + +Aber dass ich euch ganz mein Herz offenbare, ihr Freunde: _wenn_ es +Götter gäbe, wie hielte ich’s aus, kein Gott zu sein! _Also_ giebt es +keine Götter. + +Wohl zog ich den Schluss; nun aber zieht er mich.— + +Gott ist eine Muthmaassung: aber wer tränke alle Qual dieser +Muthmaassung, ohne zu sterben? Soll dem Schaffenden sein Glaube +genommen sein und dem Adler sein Schweben in Adler-Fernen? + +Gott ist ein Gedanke, der macht alles Gerade krumm und Alles, was +steht, drehend. Wie? Die Zeit wäre hinweg, und alles Vergängliche nur +Lüge? + +Diess zu denken ist Wirbel und Schwindel menschlichen Gebeinen und noch +dem Magen ein Erbrechen: wahrlich, die drehende Krankheit heisse ich’s, +Solches zu muthmaassen. + +Böse heisse ich’s und menschenfeindlich: all diess Lehren vom Einen und +Vollen und Unbewegten und Satten und Unvergänglichen! + +Alles Unvergängliche—das ist nur ein Gleichniss! Und die Dichter lügen +zuviel.— + +Aber von Zeit und Werden sollen die besten Gleichnisse reden: ein Lob +sollen sie sein und eine Rechtfertigung aller Vergänglichkeit! + +Schaffen—das ist die grosse Erlösung vom Leiden, und des Lebens +Leichtwerden. Aber dass der Schaffende sei, dazu selber thut Leid noth +und viel Verwandelung. + +Ja, viel bitteres Sterben muss in eurem Leben sein, ihr Schaffenden! +Also seid ihr Fürsprecher und Rechtfertiger aller Vergänglichkeit. + +Dass der Schaffende selber das Kind sei, das neu geboren werde, dazu +muss er auch die Gebärerin sein wollen und der Schmerz der Gebärerin. + +Wahrlich, durch hundert Seelen gieng ich meinen Weg und durch hundert +Wiegen und Geburtswehen. Manchen Abschied nahm ich schon, ich kenne die +herzbrechenden letzten Stunden. + +Aber so will’s mein schaffender Wille, mein Schicksal. Oder, dass ich’s +euch redlicher sage: solches Schicksal gerade—will mein Wille. + +Alles Fühlende leidet an mir und ist in Gefängnissen: aber mein Wollen +kommt mir stets als mein Befreier und Freudebringer. + +Wollen befreit: das ist die wahre Lehre von Wille und Freiheit—so lehrt +sie euch Zarathustra. + +Nicht-mehr-wollen und Nicht-mehr-schätzen und Nicht-mehr-schaffen! ach, +dass diese grosse Müdigkeit mir stets ferne bleibe! + +Auch im Erkennen fühle ich nur meines Willens Zeuge- und Werde-Lust; +und wenn Unschuld in meiner Erkenntniss ist, so geschieht diess, weil +Wille zur Zeugung in ihr ist. + +Hinweg von Gott und Göttem lockte mich dieser Wille; was wäre denn zu +schaffen, wenn Götter—da wären! + +Aber zum Menschen treibt er mich stets von Neuem, mein inbrünstiger +Schaffens-Wille; so treibt’s den Hammer hin zum Steine. + +Ach, ihr Menschen, im Steine schläft mir ein Bild, das Bild meiner +Bilder! Ach, dass es im härtesten, hässlichsten Steine schlafen muss! + +Nun wüthet mein Hammer grausam gegen sein Gefängniss. Vom Steine +stäuben Stücke: was schiert mich das? + +Vollenden will ich’s: denn ein Schatten kam zu mir—aller Dinge +Stillstes und Leichtestes kam einst zu mir! + +Des Übermenschen Schönheit kam zu mir als Schatten. Ach, meine Brüder! +Was gehen mich noch—die Götter an!— + +Also sprach Zarathustra. + + +Von den Mitleidigen + +Meine Freunde, es kam eine Spottrede zu eurem Freunde: „seht nur +Zarathustra! Wandelt er nicht unter uns wie unter Thieren?“ + +Aber so ist es besser geredet: „der Erkennende wandelt unter Menschen +_als_ unter Thieren.“ + +Der Mensch selber aber heisst dem Erkennenden: das Thier, das rothe +Backen hat. + +Wie geschah ihm das? Ist es nicht, weil er sich zu oft hat schämen +müssen? + +Oh meine Freunde! So spricht der Erkennende: Scham, Scham, Scham—das +ist die Geschichte des Menschen! + +Und darum gebeut sich der Edle, nicht zu beschämen: Scham gebeut er +sich vor allem Leidenden. + +Wahrlich, ich mag sie nicht, die Barmherzigen, die selig sind in ihrem +Mitleiden: zu sehr gebricht es ihnen an Scham. + +Muss ich mitleidig sein, so will ich’s doch nicht heissen; und wenn +ich’s bin, dann gern aus der Ferne. + +Gerne verhülle ich auch das Haupt und fliehe davon, bevor ich noch +erkannt bin: und also heisse ich euch thun, meine Freunde! + +Möge mein Schicksal mir immer Leidlose, gleich euch, über den Weg +führen, und Solche, mit denen mir Hoffnung und Mahl und Honig gemein +sein _darf_! + +Wahrlich, ich that wohl Das und jenes an Leidenden: aber Besseres +schien ich mir stets zu thun, wenn ich lernte, mich besser freuen. + +Seit es Menschen giebt, hat der Mensch sich zu wenig gefreut: Das +allein, meine Brüder, ist unsre Erbsünde! + +Und lernen wir besser uns freuen, so verlernen wir am besten, Andern +wehe zu thun und Wehes auszudenken. + +Darum wasche ich mir die Hand, die dem Leidenden half, darum wische ich +mir auch noch die Seele ab. + +Denn dass ich den Leidenden leidend sah, dessen schämte ich mich um +seiner Scham willen; und als ich ihm half, da vergieng ich mich hart an +seinem Stolze. + +Grosse Verbindlichkeiten machen nicht dankbar, sondern rachsüchtig; und +wenn die kleine Wohlthat nicht vergessen wird, so wird noch ein +Nage-Wurm daraus. + +„Seid spröde im Annehmen! Zeichnet aus damit, dass ihr annehmt!“—also +rathe ich Denen, die Nichts zu verschenken haben. + +Ich aber bin ein Schenkender: gerne schenke ich, als Freund den +Freunden. Fremde aber und Arme mögen sich die Frucht selber von meinem +Baume pflücken: so beschämt es weniger. + +Bettler aber sollte man ganz abschaffen! Wahrlich, man ärgert sich +ihnen zu geben und, ärgert sich ihnen nicht zu geben. + +Und insgleichen die Sünder und bösen Gewissen! Glaubt mir, meine +Freunde: Gewissensbisse erziehn zum Beissen. + +Das Schlimmste aber sind die kleinen Gedanken. Wahrlich, besser noch +bös gethan, als klein gedacht! + +Zwar ihr sagt: „die Lust an kleinen Bosheiten erspart uns manche grosse +böse That.“ Aber hier sollte man nicht sparen wollen. + +Wie ein Geschwür ist die böse That: sie juckt und kratzt und bricht +heraus,—sie redet ehrlich. + +„Siehe, ich bin Krankheit“—so redet die böse That; das ist ihre +Ehrlichkeit. + +Aber dem Pilze gleich ist der kleine Gedanke: er kriecht und duckt sich +und will nirgendswo sein—bis der ganze Leib morsch und welk ist vor +kleinen Pilzen. + +Dem aber, der vom Teufel besessen ist, sage ich diess Wort in’s Ohr: +„besser noch, du ziehest deinen Teufel gross! Auch für dich giebt es +noch einen Weg der Grösse!“— + +Ach, meine Brüder! Man weiss von Jedermann Etwas zu viel! Und Mancher +wird uns durchsichtig, aber desshalb können wir noch lange nicht durch +ihn hindurch. + +Es ist schwer, mit Menschen zu leben, weil Schweigen so schwer ist. + +Und nicht gegen Den, der uns zuwider ist, sind wir am unbilligsten, +sondern gegen Den, welcher uns gar Nichts angeht. + +Hast du aber einen leidenden Freund, so sei seinem Leiden eine +Ruhestätte, doch gleichsam ein hartes Bett, ein Feldbett: so wirst du +ihm am besten nützen. + +Und thut dir ein Freund Übles, so sprich: „ich vergebe dir, was du mir +thatest; dass du es aber _dir_ thatest,—wie könnte ich das vergeben!“ + +Also redet alle grosse Liebe: die überwindet auch noch Vergebung und +Mitleiden. + +Man soll sein Herz festhalten; denn lässt man es gehn, wie bald geht +Einem da der Kopf durch! + +Ach, wo in der Welt geschahen grössere Thorheiten, als bei den +Mitleidigen? Und was in der Welt stiftete mehr Leid, als die Thorheiten +der Mitleidigen? + +Wehe allen Liebenden, die nicht noch eine Höhe haben, welche über ihrem +Mitleiden ist! + +Also sprach der Teufel einst zu mir: „auch Gott hat seine Hölle: das +ist seine Liebe zu den Menschen.“ + +Und jüngst hörte ich ihn diess Wort sagen: „Gott ist todt; an seinem +Mitleiden mit den Menschen ist Gott gestorben.“— + +So seid mir gewarnt vordem Mitleiden: _daher_ kommt noch den Menschen +eine schwere Wolke! Wahrlich, ich verstehe mich auf Wetterzeichen! + +Merket aber auch diess Wort: alle grosse Liebe ist noch über all ihrem +Mitleiden: denn sie will das Geliebte noch—schaffen! + +„Mich selber bringe ich meiner Liebe dar, und meinen Nächsten gleich +mir“—so geht die Rede allen Schaffenden. + +Alle Schaffenden aber sind hart.— + +Also sprach Zarathustra. + + +Von den Priestern + +Und einstmals gab Zarathustra seinen Jüngern ein Zeichen und sprach +diese Worte zu ihnen: + +„Hier sind Priester: und wenn es auch meine Feinde sind, geht mir still +an ihnen vorüber und mit schlafendem Schwerte! + +Auch unter ihnen sind Helden; Viele von ihnen litten zuviel—: so wollen +sie Andre leiden machen. + +Böse Feinde sind sie: Nichts ist rachsüchtiger als ihre Demuth. Und +leicht besudelt sich Der, welcher sie angreift. + +Aber mein Blut ist mit dem ihren verwandt; und ich will mein Blut auch +noch in dem ihren geehrt wissen.“— + +Und als sie vorüber gegangen waren, fiel Zarathustra der Schmerz an; +und nicht lange hatte er mit seinem Schmerze gerungen, da hub er also +an zu reden: + +Es jammert mich dieser Priester. Sie gehen mir auch wider den +Geschmack; aber das ist mir das Geringste, seit ich unter Menschen bin. + +Aber ich leide und litt mit ihnen: Gefangene sind es mir und +Abgezeichnete. Der, welchen sie Erlöser nennen, schlug sie in Banden:— + +In Banden falscher Werthe und Wahn-Worte! Ach dass Einer sie noch von +ihrem Erlöser erlöste! + +Auf einem Eilande glaubten sie einst zu landen, als das Meer sie +herumriss; aber siehe, es war ein schlafendes Ungeheuer! + +Falsche Werthe und Wahn-Worte: das sind die schlimmsten Ungeheuer für +Sterbliche,—lange schläft und wartet in ihnen das Verhängniss. + +Aber endlich kommt es und wacht und frisst und schlingt, was auf ihm +sich Hütten baute. + +Oh seht mir doch diese Hütten an, die sich diese Priester bauten! +Kirchen heissen sie ihre süssduftenden Höhlen. + +Oh über diess verfälschte Licht, diese versumpfte Luft! Hier, wo die +Seele zu ihrer Höhe hinauf—nicht fliegen darf! + +Sondern also gebietet ihr Glaube: „auf den Knien die Treppe hinan, ihr +Sünder!“ + +Wahrlich, lieber sehe ich noch den Schamlosen, als die verrenkten Augen +ihrer Scham und Andacht! + +Wer schuf sich solche Höhlen und Buss-Treppen? Waren es nicht Solche, +die sich verbergen wollten und sich vor dem reinen Himmel schämten? + +Und erst wenn der reine Himmel wieder durch zerbrochne Decken blickt, +und hinab auf Gras und rothen Mohn an zerbrochnen Mauern,—will ich den +Stätten dieses Gottes wieder mein Herz zuwenden. + +Sie nannten Gott, was ihnen widersprach und wehe that: und wahrlich, es +war viel Helden-Art in ihrer Anbetung! + +Und nicht anders wussten sie ihren Gott zu lieben, als indem sie den +Menschen an’s Kreuz schlugen! + +Als Leichname gedachten sie zu leben, schwarz schlugen sie ihren +Leichnam aus; auch aus ihren Reden rieche ich noch die üble Würze von +Todtenkammern. + +Und wer ihnen nahe lebt, der lebt schwarzen Teichen nahe, aus denen +heraus die Unke ihr Lied mit süssem Tiefsinne singt. + +Bessere Lieder müssten sie mir singen, dass ich an ihren Erlöser +glauben lerne: erlöster müssten mir seine jünger aussehen! + +Nackt möchte ich sie sehn: denn allein die Schönheit sollte Busse +predigen. Aber wen überredet wohl diese vermummte Trübsal! + +Wahrlich, ihre Erlöser selber kamen nicht aus der Freiheit und der +Freiheit siebentem Himmel! Wahrlich, sie selber wandelten niemals auf +den Teppichen der Erkenntniss! + +Aus Lücken bestand der Geist dieser Erlöser; aber in jede Lücke hatten +sie ihren Wahn gestellt, ihren Lückenbüsser, den sie Gott nannten. + +In ihrem Mitleiden war ihr Geist ertrunken, und wenn sie schwollen und +überschwollen von Mitleiden, schwamm immer obenauf eine grosse +Thorheit. + +Eifrig trieben sie und mit Geschrei ihre Heerde über ihren Steg: wie +als ob es zur Zukunft nur Einen Steg gäbe! Wahrlich, auch diese Hirten +gehörten noch zu den Schafen! + +Kleine Geister und umfängliche Seelen hatten diese Hirten: aber, meine +Brüder, was für kleine Länder waren bisher auch die umfänglichsten +Seelen! + +Blutzeichen schrieben sie auf den Weg, den sie giengen, und ihre +Thorheit lehrte, dass man mit Blut die Wahrheit beweise. + +Aber Blut ist der schlechteste Zeuge der Wahrheit; Blut vergiftet die +reinste Lehre noch zu Wahn und Hass der Herzen. + +Und wenn Einer durch’s Feuer geht für seine Lehre,—was beweist diess! +Mehr ist’s wahrlich, dass aus eignem Brande die eigne Lehre kommt! + +Schwüles Herz und kalter Kopf: wo diess zusammentrifft, da entsteht der +Brausewind, der „Erlöser“. + +Grössere gab es wahrlich und Höher-Geborene, als Die, welche das Volk +Erlöser nennt, diese hinreissenden Brausewinde! + +Und noch von Grösseren, als alle Erlöser waren, müsst ihr, meine +Brüder, erlöst werden, wollt ihr zur Freiheit den Weg finden! + +Niemals noch gab es einen Übermenschen. Nackt sah ich Beide, den +grössten und den kleinsten Menschen:— + +Allzuähnlich sind sie noch einander. Wahrlich, auch den Grössten fand +ich—allzumenschlich! + +Also sprach Zarathustra. + + +Von den Tugendhaften + +Mit Donnern und himmlischen Feuerwerken muss man zu schlaffen und +schlafenden Sinnen reden. + +Aber der Schönheit Stimme redet leise: sie schleicht sich nur in die +aufgewecktesten Seelen. + +Leise erbebte und lachte mir heut mein Schild; das ist der Schönheit +heiliges Lachen und Beben. + +Über euch, ihr Tugendhaften, lachte heut meine Schönheit. Und also kam +ihre Stimme zu mir: „sie wollen noch—bezahlt sein!“ + +Ihr wollt noch bezahlt sein, ihr Tugendhaften! Wollt Lohn für Tugend +und Himmel für Erden und Ewiges für euer Heute haben? + +Und nun zürnt ihr mir, dass ich lehre, es giebt keinen Lohn- und +Zahlmeister? Und wahrlich, ich lehre nicht einmal, dass Tugend ihr +eigener Lohn ist. + +Ach, das ist meine Trauer: in den Grund der Dinge hat man Lohn und +Strafe hineingelogen—und nun auch noch in den Grund eurer Seelen, ihr +Tugendhaften! + +Aber dem Rüssel des Ebers gleich soll mein Wort den Grund eurer Seelen +aufreissen; Pflugschar will ich euch heissen. + +Alle Heimlichkeiten eures Grundes sollen an’s Licht; und wenn ihr +aufgewühlt und zerbrochen in der Sonne liegt, wird auch eure Lüge von +eurer Wahrheit ausgeschieden sein. + +Denn diess ist eure Wahrheit: ihr seid _zu reinlich_ für den Schmutz +der Worte: Rache, Strafe, Lohn, Vergeltung. + +Ihr liebt eure Tugend, wie die Mutter ihr Kind; aber wann hörte man, +dass eine Mutter bezahlt sein wollte für ihre Liebe? + +Es ist euer liebstes Selbst, eure Tugend. Des Ringes Durst ist in euch: +sich selber wieder zu erreichen, dazu ringt und dreht sich jeder Ring. + +Und dem Sterne gleich, der erlischt, ist jedes Werk eurer Tugend: immer +ist sein Licht noch unterwegs und wandert—und wann wird es nicht mehr +unterwegs sein? + +Also ist das Licht eurer Tugend noch unterwegs, auch wenn das Werk +gethan ist. Mag es nun vergessen und todt sein: sein Strahl von Licht +lebt noch und wandert. + +Dass eure Tugend euer Selbst sei und nicht ein Fremdes, eine Haut, eine +Bemäntelung: das ist die Wahrheit aus dem Grunde eurer Seele, ihr +Tugendhaften! - + +Aber wohl giebt es Solche, denen Tugend der Krampf unter einer Peitsche +heisst: und ihr habt mir zuviel auf deren Geschrei gehört! + +Und Andre giebt es, die heissen Tugend das Faulwerden ihrer Laster; und +wenn ihr Hass und ihre Eifersucht einmal die Glieder strecken, wird +ihre „Gerechtigkeit“ munter und reibt sich die verschlafenen Augen. + +Und Andre giebt es, die werden abwärts gezogen: ihre Teufel ziehn sie. +Aber je mehr sie sinken, um so glühender leuchtet ihr Auge und die +Begierde nach ihrem Gotte. + +Ach, auch deren Geschrei drang zu euren Ohren, ihr Tugendhaften: was +ich _nicht_ bin, das, das ist mir Gott und Tugend! + +Und Andre giebt es, die kommen schwer und knarrend daher, gleich Wägen, +die Steine abwärts fahren: die reden viel von Würde und Tugend,—ihren +Hemmschuh heissen sie Tugend! + +Und Andre giebt es, die sind gleich Alltags-Uhren, die aufgezogen +wurden; sie machen ihr Tiktak und wollen, dass man Tiktak—Tugend +heisse. + +Wahrlich, an Diesen habe ich meine Lust: wo ich solche Uhren finde, +werde ich sie mit meinem Spotte aufziehn; und sie sollen mir dabei noch +schnurren! + +Und Andre sind stolz über ihre Handvoll Gerechtigkeit und begehen um +ihrerwillen Frevel an allen Dingen: also dass die Welt in ihrer +Ungerechtigkeit ertränkt wird. + +Ach, wie übel ihnen das Wort „Tugend“ aus dem Munde läuft! Und wenn sie +sagen: „ich bin gerecht,“ so klingt es immer gleich wie: „ich bin +gerächt!“ + +Mit ihrer Tugend wollen sie ihren Feinden die Augen auskratzen; und sie +erheben sich nur, um Andre zu erniedrigen. + +Und wiederum giebt es Solche, die sitzen in ihrem Sumpfe und reden also +heraus aus dem Schilfrohr: „Tugend—das ist still im Sumpfe sitzen. + +Wir beissen Niemanden und gehen Dem aus dem Wege, der beissen will; und +in Allem haben wir die Meinung, die man uns giebt.“ + +Und wiederum giebt es Solche, die lieben Gebärden und denken: Tugend +ist eine Art Gebärde. + +Ihre Kniee beten immer an, und ihre Hände sind Lobpreisungen der +Tugend, aber ihr Herz weiss Nichts davon. + +Und wiederum giebt es Solche, die halten es für Tugend, zu sagen: +„Tugend ist nothwendig“; aber sie glauben im Grunde nur daran, dass +Polizei nothwendig ist. + +Und Mancher, der das Hohe an den Menschen nicht sehen kann, nennt es +Tugend, dass er ihr Niedriges allzunahe sieht: also heisst er seinen +bösen Blick Tugend. + +Und Einige wollen erbaut und aufgerichtet sein und heissen es Tugend; +und Andre wollen umgeworfen sein—und heissen es auch Tugend. + +Und derart glauben fast Alle daran, Antheil zu haben an der Tugend; und +zum Mindesten will ein jeder Kenner sein über „gut“ und „böse“ . + +Aber nicht dazu kam Zarathustra, allen diesen Lügnern und Narren zu +sagen: „was wisst _ihr_ von Tugend! Was _könntet_ ihr von Tugend +wissen!“— + +Sondern, dass ihr, meine Freunde, der alten Worte müde würdet, welche +ihr von den Narren und Lügnern gelernt habt: + +Müde würdet der Worte „Lohn,“ „Vergeltung,“ „Strafe,“ „Rache in der +Gerechtigkeit“— + +Müde würdet zu sagen: „dass eine Handlung gut ist, das macht, sie ist +selbstlos.“ + +Ach, meine Freunde! Dass _euer_ Selbst in der Handlung sei, wie die +Mutter im Kinde ist: das sei mir _euer_ Wort von Tugend! + +Wahrlich, ich nahm euch wohl hundert Worte und eurer Tugend liebste +Spielwerke; und nun zürnt ihr mir, wie Kinder zürnen. + +Sie spielten am Meere,—da kam die Welle und riss ihnen ihr Spielwerk in +die Tiefe: nun weinen sie. + +Aber die selbe Welle soll ihnen neue Spielwerke bringen und neue bunte +Muscheln vor sie hin ausschütten! + +So werden sie getröstet sein; und gleich ihnen sollt auch ihr, meine +Freunde, eure Tröstungen haben—und neue bunte Muscheln!— + +Also sprach Zarathustra. + + +Vom Gesindel + +Das Leben ist ein Born der Lust; aber wo das Gesindel mit trinkt, da +sind alle Brunnen vergiftet. + +Allem Reinlichen bin ich hold; aber ich mag die grinsenden Mäuler nicht +sehn und den Durst der Unreinen. + +Sie warfen ihr Auge hinab in den Brunnen: nun glänzt mir ihr widriges +Lächeln herauf aus dem Brunnen. + +Das heilige Wasser haben sie vergiftet mit ihrer Lüsternheit; und als +sie ihre schmutzigen Träume Lust nannten, vergifteten sie auch noch die +Worte. + +Unwillig wird die Flamme, wenn sie ihre feuchten Herzen an’s Feuer +legen; der Geist selber brodelt und raucht, wo das Gesindel an’s Feuer +tritt. + +Süsslich und übermürbe wird in ihrer Hand die Frucht: windfällig und +wipfeldürr macht ihr Blick den Fruchtbaum. + +Und Mancher, der sich vom Leben abkehrte, kehrte sich nur vom Gesindel +ab: er wollte nicht Brunnen und Flamme und Frucht mit dem Gesindel +theilen. + +Und Mancher, der in die Wüste gieng und mit Raubthieren Durst litt, +wollte nur nicht mit schmutzigen Kameeltreibern um die Cisterne sitzen. + +Und Mancher, der wie ein Vernichter daher kam und wie ein Hagelschlag +allen Fruchtfeldern, wollte nur seinen Fuss dem Gesindel in den Rachen +setzen und also seinen Schlund stopfen. + +Und nicht das ist der Bissen, an dem ich am meisten würgte, zu wissen, +dass das Leben selber Feindschaft nöthig hat und Sterben und +Marterkreuze:— + +Sondern ich fragte einst und erstickte fast an meiner Frage: wie? hat +das Leben auch das Gesindel _nöthig_? + +Sind vergiftete Brunnen nöthig und stinkende Feuer und beschmutzte +Träume und Maden im Lebensbrode? + +Nicht mein Hass, sondern mein Ekel frass mir hungrig am Leben! Ach, des +Geistes wurde ich oft müde, als ich auch das Gesindel geistreich fand! + +Und den Herrschenden wandt’ich den Rücken, als ich sah, was sie jetzt +Herrschen nennen: schachern und markten um Macht—mit dem Gesindel! + +Unter Völkern wohnte ich fremder Zunge, mit verschlossenen Ohren: dass +mir ihres Schacherns Zunge fremd bliebe und ihr Markten um Macht. + +Und die Nase mir haltend, gieng ich unmuthig durch alles Gestern und +Heute: wahrlich, übel riecht alles Gestern und Heute nach dem +schreibenden Gesindel! + +Einem Krüppel gleich, der taub und blind und stumm wurde: also lebte +ich lange, dass ich nicht mit Macht- und Schreib- und Lust-Gesindel +lebte. + +Mühsam stieg mein Geist Treppen, und vorsichtig; Almosen der Lust waren +sein Labsal; am Stabe schlich dem Blinden das Leben. + +Was geschah mir doch? Wie erlöste ich mich vom Ekel? Wer verjüngte mein +Auge? Wie erflog ich die Höhe, wo kein Gesindel mehr am Brunnen sitzt? + +Schuf mein Ekel selber mir Flügel und quellenahnende Kräfte? Wahrlich, +in’s Höchste musste ich fliegen, dass ich den Born der Lust +wiederfände! + +Oh, ich fand ihn, meine Brüder! Hier im Höchsten quillt mir der Born +der Lust! Und es giebt ein Leben, an dem kein Gesindel mit trinkt! + +Fast zu heftig strömst du mir, Quell der Lust! Und oft leerst du den +Becher wieder, dadurch dass du ihn füllen willst! + +Und noch muss ich lernen, bescheidener dir zu nahen: allzuheftig strömt +dir noch mein Herz entgegen:— + +Mein Herz, auf dem mein Sommer brennt, der kurze, heisse, +schwermüthige, überselige: wie verlangt mein Sommer-Herz nach deiner +Kühle! + +Vorbei die zögernde Trübsal meines Frühlings! Vorüber die Bosheit +meiner Schneeflocken im Juni! Sommer wurde ich ganz und Sommer-Mittag! + +Ein Sommer im Höchsten mit kalten Quellen und seliger Stille: oh kommt, +meine Freunde, dass die Stille noch seliger werde! Denn diess ist +_unsre_ Höhe und unsre Heimat: zu hoch und steil wohnen wir hier allen +Unreinen und ihrem Durste. Werft nur eure reinen Augen in den Born +meiner Lust, ihr Freunde! Wie sollte er darob trübe werden! +Entgegenlachen soll er euch mit _seiner_ Reinheit. + +Auf dem Baume Zukunft bauen wir unser Nest; Adler sollen uns Einsamen +Speise bringen in ihren Schnäbeln! + +Wahrlich, keine Speise, an der Unsaubere mitessen dürften! Feuer würden +sie zu fressen wähnen und sich die Mäuler verbrennen! + +Wahrlich, keine Heimstätten halten wir hier bereit für Unsaubere! +Eishöhle würde ihren Leibern unser Glück heissen und ihren Geistern! + +Und wie starke Winde wollen wir über ihnen leben, Nachbarn den Adlern, +Nachbarn dem Schnee, Nachbarn der Sonne: also leben starke Winde. + +Und einem Winde gleich will ich einst noch zwischen sie blasen und mit +meinem Geiste ihrem Geiste den Athem nehmen: so will es meine Zukunft. + +Wahrlich, ein starker Wind ist Zarathustra allen Niederungen; und +solchen Rath räth er seinen Feinden und Allem, was spuckt und speit: +hütet euch _gegen_ den Wind zu speien! + +Also sprach Zarathustra. + + +Von den Taranteln + +Siehe, das ist der Tarantel Höhle! Willst du sie selber sehn? Hier +hängt ihr Netz: rühre daran, dass es erzittert. + +Da kommt sie willig: willkommen, Tarantel! Schwarz sitzt auf deinem +Rücken dein Dreieck und Wahrzeichen; und ich weiss auch, was in deiner +Seele sitzt. + +Rache sitzt in deiner Seele: wohin du beissest, da wächst schwarzer +Schorf; mit Rache macht dein Gift die Seele drehend! + +Also rede ich zu euch im Gleichniss, die ihr die Seelen drehend macht, +ihr Prediger der _Gleichheit_! Taranteln seid ihr mir und versteckte +Rachsüchtige! + +Aber ich will eure Verstecke schon an’s Licht bringen: darum lache ich +euch in’s Antlitz mein Gelächter der Höhe. + +Darum reisse ich an eurem Netze, dass eure Wuth euch aus eurer +Lügen-Höhle locke, und eure Rache hervorspringe hinter eurem Wort +„Gerechtigkeit.“ + +Denn dass der Mensch erlöst werde von der Rache: das ist mir die Brücke +zur höchsten Hoffnung und ein Regenbogen nach langen Unwettern. + +Aber anders wollen es freilich die Taranteln. „Das gerade heisse uns +Gerechtigkeit, dass die Welt voll werde von den Unwettern unsrer Rache“ +—also reden sie mit einander. + +„Rache wollen wir üben und Beschimpfung an Allen, die uns nicht gleich +sind“—so geloben sich die Tarantel-Herzen. + +„Und „Wille zur Gleichheit“—das selber soll fürderhin der Name für +Tugend werden; und gegen Alles, was Macht hat, wollen wir unser +Geschrei erheben!“ + +Ihr Prediger der Gleichheit, der Tyrannen-Wahnsinn der Ohnmacht schreit +also aus euch nach „Gleichheit“: eure heimlichsten Tyrannen-Gelüste +vermummen sich also in Tugend-Worte! + +Vergrämter Dünkel, verhaltener Neid, vielleicht eurer Väter Dünkel und +Neid: aus euch bricht’s als Flamme heraus und Wahnsinn der Rache. + +Was der Vater schwieg, das kommt im Sohne zum Reden; und oft fand ich +den Sohn als des Vaters entblösstes Geheimniss. + +Den Begeisterten gleichen sie: aber nicht das Herz ist es, was sie +begeistert, —sondern die Rache. Und wenn sie fein und kalt werden, +ist’s nicht der Geist, sondern der Neid, der sie fein und kalt macht. + +Ihre Eifersucht führt sie auch auf der Denker Pfade; und diess ist das +Merkmal ihrer Eifersucht—immer gehn sie zu weit: dass ihre Müdigkeit +sich zuletzt noch auf Schnee schlafen legen muss. + +Aus jeder ihrer Klagen tönt Rache, in jedem ihrer Lobsprüche ist ein +Wehethun; und Richter-sein scheint ihnen Seligkeit. + +Also aber rathe ich euch, meine Freunde: misstraut Allen, in welchen +der Trieb, zu strafen, mächtig ist! + +Das ist Volk schlechter Art und Abkunft; aus ihren Gesichtern blickt +der Henker und der Spürhund. + +Misstraut allen Denen, die viel von ihrer Gerechtigkeit reden! +Wahrlich, ihren Seelen fehlt es nicht nur an Honig. + +Und wenn sie sich selber „die Guten und Gerechten“ nennen, so vergesst +nicht, dass ihnen zum Pharisäer Nichts fehlt als—Macht! + +Meine Freunde, ich will nicht vermischt und verwechselt werden. + +Es giebt Solche, die predigen meine Lehre vom Leben: und zugleich sind +sie Prediger der Gleichheit und Taranteln. + +Dass sie dem Leben zu Willen reden, ob sie gleich in ihrer Höhle +sitzen, diese Gift-Spinnen, und abgekehrt vom Leben: das macht, sie +wollen damit wehethun. + +Solchen wollen sie damit wehethun, die jetzt die Macht haben: denn bei +diesen ist noch die Predigt vom Tode am besten zu Hause. + +Wäre es anders, so würden die Taranteln anders lehren: und gerade sie +waren ehemals die besten Welt-Verleumder und Ketzer-Brenner. + +Mit diesen Predigern der Gleichheit will ich nicht vermischt und +verwechselt sein. Denn so redet _mir_ die Gerechtigkeit: „die Menschen +sind nicht gleich.“ + +Und sie sollen es auch nicht werden! Was wäre denn meine Liebe zum +Übermenschen, wenn ich anders spräche? + +Auf tausend Brücken und Stegen sollen sie sich drängen zur Zukunft, und +immer mehr Krieg und Ungleichheit soll zwischen sie gesetzt sein: so +lässt mich meine grosse Liebe reden! + +Erfinder von Bildern und Gespenstern sollen sie werden in ihren +Feindschaften, und mit ihren Bildern und Gespenstern sollen sie noch +gegeneinander den höchsten Kampf kämpfen! + +Gut und Böse, und Reich und Arm, und Hoch und Gering, und alle Namen +der Werthe: Waffen sollen es sein und klirrende Merkmale davon, dass +das Leben sich immer wieder selber überwinden muss! + +In die Höhe will es sich bauen mit Pfeilern und Stufen, das Leben +selber: in weite Fernen will es blicken und hinaus nach seligen +Schönheiten,—_darum_ braucht es Höhe! + +Und weil es Höhe braucht, braucht es Stufen und Widerspruch der Stufen +und Steigenden! Steigen will das Leben und steigend sich überwinden. + +Und seht mir doch, meine Freunde! Hier, wo der Tarantel Höhle ist, +heben sich eines alten Tempels Trümmer aufwärts,—seht mir doch mit +erleuchteten Augen hin! + +Wahrlich, wer hier einst seine Gedanken in Stein nach Oben thürmte, um +das Geheimniss alles Lebens wusste er gleich dem Weisesten! + +Dass Kampf und Ungleiches auch noch in der Schönheit sei und Krieg um +Macht und Übermacht: das lehrt er uns hier im deutlichsten Gleichniss. + +Wie sich göttlich hier Gewölbe und Bogen brechen, im Ringkampfe: wie +mit Licht und Schatten sie wider einander streben, die +göttlich-Strebenden— + +Also sicher und schön lasst uns auch Feinde sein, meine Freunde! +Göttlich wollen wir _wider_ einander streben!— + +Wehe! Da biss mich selber die Tarantel, meine alte Feindin! Göttlich +sicher und schön biss sie mich in den Finger! + +„Strafe muss sein und Gerechtigkeit—so denkt sie: nicht umsonst soll er +hier der Feindschaft zu Ehren Lieder singen!“ + +Ja, sie hat sich gerächt! Und wehe! nun wird sie mit Rache auch noch +meine Seele drehend machen! + +Dass ich mich aber _nicht_ drehe, meine Freunde, bindet mich fest hier +an diese Säule! Lieber noch Säulen-Heiliger will ich sein, als Wirbel +der Rachsucht! + +Wahrlich, kein Dreh- und Wirbelwind ist Zarathustra; und wenn er ein +Tänzer ist, nimmermehr doch ein Tarantel-Tänzer!— + +Also sprach Zarathustra. + + +Von den berühmten Weisen + +Dem Volke habt ihr gedient und des Volkes Aberglauben, ihr berühmten +Weisen alle!—und _nicht_ der Wahrheit! Und gerade darum zollte man euch +Ehrfurcht. + +Und darum auch ertrug man euren Unglauben, weil er ein Witz und Umweg +war zum Volke. So lässt der Herr seine Sclaven gewähren und ergötzt +sich noch an ihrem Übermuthe. + +Aber wer dem Volke verhasst ist wie ein Wolf den Hunden: das ist der +freie Geist, der Fessel-Feind, der Nicht-Anbeter, der in Wäldern +Hausende. + +Ihn zu jagen aus seinem Schlupfe—das hiess immer dem Volke „Sinn für +das Rechte“ : gegen ihn hetzt es noch immer seine scharfzahnigsten +Hunde. + +„Denn die Wahrheit ist da: ist das Volk doch da! Wehe, wehe den +Suchenden!“—also scholl es von jeher. + +Eurem Volke wolltet ihr Recht schaffen in seiner Verehrung: das hiesset +ihr „Wille zur Wahrheit,“ ihr berühmten Weisen! + +Und euer Herz sprach immer zu sich: „vom Volke kam ich: von dort her +kam mir auch Gottes Stimme.“ + +Hart-nackig und klug, dem Esel gleich, wart ihr immer als des Volkes +Fürsprecher. + +Und mancher Mächtige, der gut fahren wollte mit dem Volke, spannte vor +seine Rosse noch—ein Eselein, einen berühmten Weisen. + +Und nun wollte ich, ihr berühmten Weisen, ihr würfet endlich das Fell +des Löwen ganz von euch! + +Das Fell des Raubthiers, das buntgefleckte, und die Zotten des +Forschenden, Suchenden, Erobernden! + +Ach, dass ich an eure „Wahrhaftigkeit“ glauben lerne, dazu müsstet ihr +mir erst euren verehrenden Willen zerbrechen. + +Wahrhaftig—so heisse ich Den, der in götterlose Wüsten geht und sein +verehrendes Herz zerbrochen hat. + +Im gelben Sande und verbrannt von der Sonne schielt er wohl durstig +nach den quellenreichen Eilanden, wo Lebendiges unter dunkeln Bäumen +ruht. + +Aber sein Durst überredet ihn nicht, diesen Behaglichen gleich zu +werden: denn wo Oasen sind, da sind auch Götzenbilder. + +Hungernd, gewaltthätig, einsam, gottlos: so will sich selber der +Löwen-Wille. + +Frei von dem Glück der Knechte, erlöst von Göttern und Anbetungen, +furchtlos und fürchterlich, gross und einsam: so ist der Wille des +Wahrhaftigen. + +In der Wüste wohnten von je die Wahrhaftigen, die freien Geister, als +der Wüste Herren; aber in den Städten wohnen die gutgefütterten, +berühmten Weisen,—die Zugthiere. + +Immer nämlich ziehen sie, als Esel—des _Volkes_ Karren! + +Nicht dass ich ihnen darob zürne: aber Dienende bleiben sie mir und +Angeschirrte, auch wenn sie von goldnem Geschirre glänzen. + +Und oft waren sie gute Diener und preiswürdige. Denn so spricht die +Tugend: musst du Diener sein, so suche Den, welchem dein Dienst am +besten nützt! + +„Der Geist und die Tugend deines Herrn sollen wachsen, dadurch dass du +sein Diener bist: so wächsest du selber mit seinem Geiste und seiner +Tugend!“ + +Und wahrlich, ihr berühmten Weisen, ihr Diener des Volkes! Ihr selber +wuchset mit des Volkes Geist und Tugend—und das Volk durch euch! Zu +euren Ehren sage ich das! + +Aber Volk bleibt ihr mir auch noch in euren Tugenden, Volk mit blöden +Augen,—Volk, das nicht weiss, was _Geist_ ist! + +Geist ist das Leben, das selber in’s Leben schneidet: an der eignen +Qual mehrt es sich das eigne Wissen,—wusstet ihr das schon? + +Und des Geistes Glück ist diess: gesalbt zu sein und durch Thränen +geweiht zum Opferthier,—wusstet ihr das schon? + +Und die Blindheit des Blinden und sein Suchen und Tappen soll noch von +der Macht der Sonne zeugen, in die er schaute,—wusstet ihr das schon? + +Und mit Bergen soll der Erkennende _bauen_ lernen! Wenig ist es, dass +der Geist Berge versetzt,—wusstet ihr das schon? + +Ihr kennt nur des Geistes Funken: aber ihr seht den Ambos nicht, der er +ist, und nicht die Grausamkeit seines Hammers! + +Wahrlich, ihr kennt des Geistes Stolz nicht! Aber noch weniger würdet +ihr des Geistes Bescheidenheit ertragen, wenn sie einmal reden wollte! + +Und niemals noch durftet ihr euren Geist in eine Grube von Schnee +werfen: ihr seid nicht heiss genug dazu! So kennt ihr auch die +Entzückungen seiner Kälte nicht. + +In Allem aber thut ihr mir zu vertraulich mit dem Geiste; und aus der +Weisheit machtet ihr oft ein Armen- und Krankenhaus für schlechte +Dichter. + +Ihr seid keine Adler: so erfuhrt ihr auch das Glück im Schrecken des +Geistes nicht. Und wer kein Vogel ist, soll sich nicht über Abgründen +lagern. + +Ihr seid mir Laue: aber kalt strömt jede tiefe Erkenntniss. Eiskalt +sind die innersten Brunnen des Geistes: ein Labsal heissen Händen und +Handelnden. + +Ehrbar steht ihr mir da und steif und mit geradem Rücken, ihr berühmten +Weisen! —euch treibt kein starker Wind und Wille. + +Saht ihr nie ein Segel über das Meer gehn, geründet und gebläht und +zitternd vor dem Ungestüm des Windes? + +Dem Segel gleich, zitternd vor dem Ungestüm des Geistes, geht meine +Weisheit über das Meer—meine wilde Weisheit! + +Aber ihr Diener des Volkes, ihr berühmten Weisen,—wie _könntet_ ihr mit +mir gehn!— + +Also sprach Zarathustra. + + +Das Nachtlied + +Nacht ist es: nun reden lauter alle springenden Brunnen. Und auch meine +Seele ist ein springender Brunnen. + +Nacht ist es: nun erst erwachen alle Lieder der Liebenden. Und auch +meine Seele ist das Lied eines Liebenden. + +Ein Ungestilltes, Unstillbares ist in mir; das will laut werden. Eine +Begierde nach Liebe ist in mir, die redet selber die Sprache der Liebe. + +Licht bin ich: ach, dass ich Nacht wäre! Aber diess ist meine +Einsamkeit, dass ich von Licht umgürtet bin. + +Ach, dass ich dunkel wäre und nächtig! Wie wollte ich an den Brüsten +des Lichts saugen! + +Und euch selber wollte ich noch segnen, ihr kleinen Funkelsterne und +Leuchtwürmer droben!—und selig sein ob eurer Licht-Geschenke. + +Aber ich lebe in meinem eignen Lichte, ich trinke die Flammen in mich +zurück, die aus mir brechen. + +Ich kenne das Glück des Nehmenden nicht; und oft träumte mir davon, +dass Stehlen noch seliger sein müsse, als Nehmen. + +Das ist meine Armuth, dass meine Hand niemals ausruht vom Schenken; das +ist mein Neid, dass ich wartende Augen sehe und die erhellten Nächte +der Sehnsucht. + +Oh Unseligkeit aller Schenkenden! Oh Verfinsterung meiner Sonne! Oh +Begierde nach Begehren! Oh Heisshunger in der Sättigung! + +Sie nehmen von mir: aber rühre ich noch an ihre Seele? Eine Kluft ist +zwischen Geben und Nehmen; und die kleinste Kluft ist am letzten zu +überbrücken. + +Ein Hunger wächst aus meiner Schönheit: wehethun möchte ich Denen, +welchen ich leuchte, berauben möchte ich meine Beschenkten:—also +hungere ich nach Bosheit. + +Die Hand zurückziehend, wenn sich schon ihr die Hand entgegenstreckt; +dem Wasserfälle gleich zögernd, der noch im Sturze zögert:—also hungere +ich nach Bosheit. + +Solche Rache sinnt meine Fülle aus; solche Tücke quillt aus meiner +Einsamkeit. + +Mein Glück im Schenken erstarb im Schenken, meine Tugend wurde ihrer +selber müde an ihrem Überflusse! + +Wer immer schenkt, dessen Gefahr ist, dass er die Scham verliere; wer +immer austheilt, dessen Hand und Herz hat Schwielen vor lauter +Austheilen. + +Mein Auge quillt nicht mehr über vor der Scham der Bittenden; meine +Hand wurde zu hart für das Zittern gefüllter Hände. + +Wohin kam die Thräne meinem Auge und der Flaum meinem Herzen? Oh +Einsamkeit aller Schenkenden! Oh Schweigsamkeit aller Leuchtenden! + +Viel Sonnen kreisen im öden Räume: zu Allem, was dunkel ist, reden sie +mit ihrem Lichte,—mir schweigen sie. + +Oh diess ist die Feindschaft des Lichts gegen Leuchtendes, +erbarmungslos wandelt es seine Bahnen. + +Unbillig gegen Leuchtendes im tiefsten Herzen: kalt gegen Sonnen,—also +wandelt jede Sonne. + +Einem Sturme gleich fliegen die Sonnen ihre Bahnen, das ist ihr +Wandeln. Ihrem unerbittlichen Willen folgen sie, das ist ihre Kälte. + +Oh, ihr erst seid es, ihr Dunklen, ihr Nächtigen, die ihr Wärme schafft +aus Leuchtendem! Oh, ihr erst trinkt euch Milch und Labsal aus des +Lichtes Eutern! + +Ach, Eis ist um mich, meine Hand verbrennt sich an Eisigem! Ach, Durst +ist in mir, der schmachtet nach eurem Durste! + +Nacht ist es: ach dass ich Licht sein muss! Und Durst nach Nächtigem! +Und Einsamkeit! + +Nacht ist es: nun bricht wie ein Born aus mir mein Verlangen,—nach Rede +verlangt mich. + +Nacht ist es: nun reden lauter alle springenden Brunnen. Und auch meine +Seele ist ein springender Brunnen. + +Nacht ist es: nun erst erwachen alle Lieder der Liebenden. Und auch +meine Seele ist das Lied eines Liebenden.— + +Also sang Zarathustra. + + +Das Tanzlied + +Eines Abends gieng Zarathustra mit seinen Jüngern durch den Wald; und +als er nach einem Brunnen suchte, siehe, da kam er auf eine grüne +Wiese, die von Bäumen und Gebüsch still umstanden war: auf der tanzten +Mädchen mit einander. Sobald die Mädchen Zarathustra erkannten, liessen +sie vom Tanze ab; Zarathustra aber trat mit freundlicher Gebärde zu +ihnen und sprach diese Worte: + +„Lasst vom Tanze nicht ab, ihr lieblichen Mädchen! Kein Spielverderber +kam zu euch mit bösem Blick, kein Mädchen-Feind. + +Gottes Fürsprecher bin ich vor dem Teufel: der aber ist der Geist der +Schwere. Wie sollte ich, ihr Leichten, göttlichen Tänzen feind sein? +Oder Mädchen-Füssen mit schönen Knöcheln? + +Wohl bin ich ein Wald und eine Nacht dunkler Bäume: doch wer sich vor +meinem Dunkel nicht scheut, der findet auch Rosenhänge unter meinen +Cypressen. + +Und auch den kleinen Gott findet er wohl, der den Mädchen der liebste +ist: neben dem Brunnen liegt er, still, mit geschlossenen Augen. + +Wahrlich, am hellen Tage schlief er mir ein, der Tagedieb! Haschte er +wohl zu viel nach Schmetterlingen? + +Zürnt mir nicht, ihr schönen Tanzenden, wenn ich den kleinen Gott ein +Wenig züchtige! Schreien wird er wohl und weinen,—aber zum Lachen ist +er noch im Weinen! + +Und mit Thränen im Auge soll er euch um einen Tanz bitten; und ich +selber will ein Lied zu seinem Tanze singen: + +Ein Tanz- und Spottlied auf den Geist der Schwere, meinen allerhöchsten +grossmächtigsten Teufel, von dem sie sagen, dass er „der Herr der Welt“ +sei.“— + +Und diess ist das Lied, welches Zarathustra sang, als Cupido und die +Mädchen zusammen tanzten. + +In dein Auge schaute ich jüngst, oh Leben! Und in’s Unergründliche +schien ich mir da zu sinken. + +Aber du zogst mich mit goldner Angel heraus; spöttisch lachtest du, als +ich dich unergründlich nannte. + +„So geht die Rede aller Fische, sprachst du; was _sie_ nicht ergründen, +ist unergründlich. + +Aber veränderlich bin ich nur und wild und in Allem ein Weib, und kein +tugendhaftes: + +Ob ich schon euch Männern „die Tiefe“ heisse oder „die Treue“, „die +Ewige“, „die Geheimnissvolle.“— + +Doch ihr Männer beschenkt uns stets mit den eignen Tugenden—ach, ihr +Tugendhaften!“ + +Also lachte sie, die Unglaubliche; aber ich glaube ihr niemals und +ihrem Lachen, wenn sie bös von sich selber spricht. + +Und als ich unter vier Augen mit meiner wilden Weisheit redete, sagte +sie mir zornig: „Du willst, du begehrst, du liebst, darum allein +_lobst_ du das Leben!“ + +Fast hätte ich da bös geantwortet und der Zornigen die Wahrheit gesagt; +und man kann nicht böser antworten, als wenn man seiner Weisheit „die +Wahrheit sagt.“ + +So nämlich steht es zwischen uns Dreien. Von Grund aus liebe ich nur +das Leben —und, wahrlich, am meisten dann, wenn ich es hasse! + +Dass ich aber der Weisheit gut bin und oft zu gut: das macht, sie +erinnert mich gar sehr an das Leben! + +Sie hat ihr Auge, ihr Lachen und sogar ihr goldnes Angelrüthchen: was +kann ich dafür, dass die Beiden sich so ähnlich sehen? + +Und als mich einmal das Leben fragte: Wer ist denn das, die +Weisheit?—da sagte ich eifrig: „Ach ja! die Weisheit! + +Man dürstet um sie und wird nicht satt, man blickt durch Schleier, man +hascht durch Netze. + +Ist sie schön? Was weiss ich! Aber die ältesten Karpfen werden noch mit +ihr geködert. + +Veränderlich ist sie und trotzig; oft sah ich sie sich die Lippe +beissen und den Kamm wider ihres Haares Strich führen. + +Vielleicht ist sie böse und falsch, und in Allem ein Frauenzimmer; aber +wenn sie von sich selber schlecht spricht, da gerade verführt sie am +meisten.“ + +Als ich diess zu dem Leben sagte, da lachte es boshaft und machte die +Augen zu. „Von wem redest du doch? sagte sie, wohl von mir? + +Und wenn du Recht hättest,—sagt man _das_ mir so in’s Gesicht! Aber nun +sprich doch auch von deiner Weisheit!“ + +Ach, und nun machtest du wieder dein Auge auf, oh geliebtes Leben! Und +in’s Unergründliche schien ich mir wieder zu sinken.— + +Also sang Zarathustra. Als aber der Tanz zu Ende und die Mädchen +fortgegangen waren, wurde er traurig. + +„Die Sonne ist lange schon hinunter, sagte er endlich; die Wiese ist +feucht, von den Wäldern her kommt Kühle. + +Ein Unbekanntes ist um mich und blickt nachdenklich. Was! Du lebst +noch, Zarathustra? + +Warum? Wofür? Wodurch? Wohin? Wo? Wie? Ist es nicht Thorheit, noch zu +leben?— + +Ach, meine Freunde, der Abend ist es, der so aus mir fragt. Vergebt mir +meine Traurigkeit! + +Abend ward es: vergebt mir, dass es Abend ward!“ + +Also sprach Zarathustra. + + +Das Grablied + +„Dort ist die Gräberinsel, die schweigsame; dort sind auch die Gräber +meiner Jugend. Dahin will ich einen immergrünen Kranz des Lebens +tragen.“ + +Also im Herzen beschliessend fuhr ich über das Meer.— + +Oh ihr, meiner Jugend Gesichte und Erscheinungen! Oh, ihr Blicke der +Liebe alle, ihr göttlichen Augenblicke! Wie starbt ihr mir so schnell! +Ich gedenke eurer heute wie meiner Todten. + +Von euch her, meinen liebsten Todten, kommt mir ein süsser Geruch, ein +herz- und thränenlösender. Wahrlich, er erschüttert und löst das Herz +dem einsam Schiffenden. + +Immer noch bin ich der Reichste und Bestzubeneidende—ich der Einsamste! +Denn ich _hatte_ euch doch, und ihr habt mich noch: sagt, wem fielen, +wie mir, solche Rosenäpfel vom Baume? + +Immer noch bin ich eurer Liebe Erbe und Erdreich, blühend zu eurem +Gedächtnisse von bunten wildwachsenen Tugenden, oh ihr Geliebtesten! + +Ach, wir waren gemacht, einander nahe zu bleiben, ihr holden fremden +Wunder; und nicht schüchternen Vögeln gleich kamt ihr zu mir und meiner +Begierde—nein, als Trauende zu dem Trauenden! + +Ja, zur Treue gemacht, gleich mir, und zu zärtlichen Ewigkeiten: muss +ich nun euch nach eurer Untreue heissen, ihr göttlichen Blicke und +Augenblicke: keinen andern Namen lernte ich noch. + +Wahrlich, zu schnell starbt ihr mir, ihr Flüchtlinge. Doch floht ihr +mich nicht, noch floh ich euch: unschuldig sind wir einander in unsrer +Untreue. + +_Mich_ zu tödten, erwürgte man euch, ihr Singvögel meiner Hoffnungen! +Ja, nach euch, ihr Liebsten, schoss immer die Bosheit Pfeile—mein Herz +zu treffen! + +Und sie traf! Wart ihr doch stets mein Herzlichstes, mein Besitz und +mein Besessen-sein: _darum_ musstet ihr jung sterben und allzu frühe! + +Nach dem Verwundbarsten, das ich besass, schoss man den Pfeil: das +waret ihr, denen die Haut einem Flaume gleich ist und mehr noch dem +Lächeln, das an einem Blick erstirbt! + +Aber diess Wort will ich zu meinen Feinden reden: was ist alles +Menschen-Morden gegen Das, was ihr mir thatet! + +Böseres thatet ihr mir, als aller Menschen-Mord ist; +Unwiederbringliches nahmt ihr mir:—also rede ich zu euch, meine Feinde! + +Mordetet ihr doch meiner Jugend Gesichte und liebste Wunder! Meine +Gespielen nahmt ihr mir, die seligen Geister! Ihrem Gedächtnisse lege +ich diesen Kranz und diesen Fluch nieder. + +Diesen Fluch gegen euch, meine Feinde! Machtet ihr doch mein Ewiges +kurz, wie ein Ton zerbricht in kalter Nacht! Kaum als Aufblinken +göttlicher Augen kam es mir nur,—als Augenblick! + +Also sprach zur guten Stunde einst meine Reinheit: „göttlich sollen mir +alle Wesen sein.“ + +Da überfielt ihr mich mit schmutzigen Gespenstern; ach, wohin floh nun +jene gute Stunde! + +„Alle Tage sollen mir heilig sein“ —so redete einst die Weisheit meiner +Jugend: wahrlich, einer fröhlichen Weisheit Rede! + +Aber da stahlt ihr Feinde mir meine Nächte und verkauftet sie zu +schlafloser Qual: ach, wohin floh nun jene fröhliche Weisheit? + +Einst begehrte ich nach glücklichen Vogelzeichen: da führtet ihr mir +ein Eulen-Unthier über den Weg, ein widriges. Ach, wohin floh da meine +zärtliche Begierde? + +Allem Ekel gelobte ich einst zu entsagen: da verwandeltet ihr meine +Nahen und Nächsten in Eiterbeulen. Ach, wohin floh da mein edelstes +Gelöbniss? + +Als Blinder gieng ich einst selige Wege: da warft ihr Unflath auf den +Weg des Blinden: und nun ekelte ihn des alten Blinden-Fusssteigs. + +Und als ich mein Schwerstes that und meiner Überwindungen Sieg feierte: +da machtet ihr Die, welche mich liebten, schrein, ich thue ihnen am +wehesten. + +Wahrlich, das war immer euer Thun: ihr vergälltet mir meinen besten +Honig und den Fleiss meiner besten Bienen. + +Meiner Mildthätigkeit sandtet ihr immer die frechsten Bettler zu; um +mein Mitleiden drängtet ihr immer die unheilbar Schamlosen. So +verwundetet ihr meine Tugend in ihrem Glauben. + +Und legte ich noch mein Heiligstes zum Opfer hin: flugs stellte eure +„Frömmigkeit“ ihre fetteren Gaben dazu: also dass im Dampfe eures +Fettes noch mein Heiligstes erstickte. + +Und einst wollte ich tanzen, wie nie ich noch tanzte: über alle Himmel +weg wollte ich tanzen. Da überredetet ihr meinen liebsten Sänger. + +Und nun stimmte er eine schaurige dumpfe Weise an; ach, er tutete mir, +wie ein düsteres Horn, zu Ohren! + +Mörderischer Sänger, Werkzeug der Bosheit, Unschuldigster! Schon stand +ich bereit zum besten Tanze: da mordetest du mit deinen Tönen meine +Verzückung! + +Nur im Tanze weiss ich der höchsten Dinge Gleichniss zu reden:—und nun +blieb mir mein höchstes Gleichniss ungeredet in einen Gliedern! + +Ungeredet und unerlöst blieb mir die höchste Hoffnung! Und es starben +mir alle Gesichte und Tröstungen meiner Jugend! + +Wie ertrug ich’s nur? Wie verwand und überwand ich solche Wunden? Wie +erstand meine Seele wieder aus diesen Gräbern? + +Ja, ein Unverwundbares, Unbegrabbares ist an mir, ein +Felsensprengendes: das heisst _mein Wille_. Schweigsam schreitet es und +unverändert durch die Jahre. + +Seinen Gang will er gehn auf meinen Füssen, mein alter Wille; +herzenshart ist ihm der Sinn und unverwundbar. + +Unverwundbar bin ich allein an meiner Ferse. Immer noch lebst du da und +bist dir gleich, Geduldigster! Immer noch brachst du dich durch alle +Gräber! + +In dir lebt auch noch das Unerlöste meiner Jugend; und als Leben und +Jugend sitzest du hoffend hier auf gelben Grab-Trümmern. + +Ja, noch bist du mir aller Gräber Zertrümmerer: Heil dir, mein Wille! +Und nur wo Gräber sind, giebt es Auferstehungen.— + +Also sang Zarathustra.— + + +Von der Selbst-Überwindung + +„Wille zur Wahrheit“ heisst ihr’s, ihr Weisesten, was euch treibt und +brünstig macht? + +Wille zur Denkbarkeit alles Seienden: also heisse _ich_ euren Willen! + +Alles Seiende wollt ihr erst denkbar _machen_: denn ihr zweifelt mit +gutem Misstrauen, ob es schon denkbar ist. + +Aber es soll sich euch fügen und biegen! So will’s euer Wille. Glatt +soll es werden und dem Geiste unterthan, als sein Spiegel und +Widerbild. + +Das ist euer ganzer Wille, ihr Weisesten, als ein Wille zur Macht; und +auch wenn ihr vom Guten und Bösen redet und von den Werthschätzungen. +Schaffen wollt ihr noch die Welt, vor der ihr knien könnt: so ist es +eure letzte Hoffnung und Trunkenheit. + +Die Unweisen freilich, das Volk,—die sind gleich dem Flusse, auf dem +ein Nachen weiter schwimmt: und im Nachen sitzen feierlich und vermummt +die Werthschätzungen. + +Euren Willen und eure Werthe setztet ihr auf den Fluss des Werdens; +einen alten Willen zur Macht verräth mir, was vom Volke als gut und +böse geglaubt wird. + +Ihr wart es, ihr Weisesten, die solche Gäste in diesen Nachen setzten +und ihnen Prunk und stolze Namen gaben,—ihr und euer herrschender +Wille! + +Weiter trägt nun der Fluss euren Nachen: er _muss_ ihn tragen. Wenig +thut’s, ob die gebrochene Welle schäumt und zornig dem Kiele +widerspricht! + +Nicht der Fluss ist eure Gefahr und das Ende eures Guten und Bösen, ihr +Weisesten: sondern jener Wille selber, der Wille zur Macht,—der +unerschöpfte zeugende Lebens-Wille. + +Aber damit ihr mein Wort versteht vom Guten und Bösen: dazu will ich +euch noch mein Wort vom Leben sagen und von der Art alles Lebendigen. + +Dem Lebendigen gieng ich nach, ich gieng die grössten und die kleinsten +Wege, dass ich seine Art erkenne. + +Mit hundertfachem Spiegel fieng ich noch seinen Blick auf, wenn ihm der +Mund geschlossen war: dass sein Auge mir rede. Und sein Auge redete +mir. + +Aber, wo ich nur Lebendiges fand, da hörte ich auch die Rede vom +Gehorsame. Alles Lebendige ist ein Gehorchendes. + +Und diess ist das Zweite: Dem wird befohlen, der sich nicht selber +gehorchen kann. So ist es des Lebendigen Art. + +Diess aber ist das Dritte, was ich hörte: dass Befehlen schwerer ist, +als Gehorchen. Und nicht nur, dass der Befehlende die Last aller +Gehorchenden trägt, und dass leicht ihn diese Last zerdrückt:— + +Ein Versuch und Wagniss erschien mir in allem Befehlen; und stets, wenn +es befiehlt, wagt das Lebendige sich selber dran. + +Ja noch, wenn es sich selber befiehlt: auch da noch muss es sein +Befehlen büssen. Seinem eignen Gesetze muss es Richter und Rächer und +Opfer werden. + +Wie geschieht diess doch! so fragte ich mich. Was überredet das +Lebendige, dass es gehorcht und befiehlt und befehlend noch Gehorsam +übt? + +Hört mir nun mein Wort, ihr Weisesten! Prüft es ernstlich, ob ich dem +Leben selber in’s Herz kroch und bis in die Wurzeln seines Herzens! + +Wo ich Lebendiges fand, da fand ich Willen zur Macht; und noch im +Willen des Dienenden fand ich den Willen, Herr zu sein. + +Dass dem Stärkeren diene das Schwächere, dazu überredet es sein Wille, +der über noch Schwächeres Herr sein will: dieser Lust allein mag es +nicht entrathen. + +Und wie das Kleinere sich dem Grösseren hingiebt, dass es Lust und +Macht am Kleinsten habe: also giebt sich auch das Grösste noch hin und +setzt um der Macht willen—das Leben dran. + +Das ist die Hingebung des Grössten, dass es Wagniss ist und Gefahr und +um den Tod ein Würfelspielen. + +Und wo Opferung und Dienste und Liebesblicke sind: auch da ist Wille, +Herr zu sein. Auf Schleichwegen schleicht sich da der Schwächere in die +Burg und bis in’s Herz dem Mächtigeren—und stiehlt da Macht. + +Und diess Geheimniss redete das Leben selber zu mir. Siehe, sprach es, +ich bin das, was sich immer selber überwinden muss. + +„Freilich, ihr heisst es Wille zur Zeugung oder Trieb zum Zwecke, zum +Höheren, Ferneren, Vielfacheren: aber all diess ist Eins und Ein +Geheimniss. + +Lieber noch gehe ich unter, als dass ich diesem Einen absagte; und +wahrlich, wo es Untergang giebt und Blätterfallen, siehe, da opfert +sich Leben—um Macht! + +Dass ich Kampf sein muss und Werden und Zweck und der Zwecke +Widerspruch: ach, wer meinen Willen erräth, erräth wohl auch, auf +welchen _krummen_ Wegen er gehen muss! + +Was ich auch schaffe und wie ich’s auch liebe,—bald muss ich Gegner ihm +sein und meiner Liebe: so will es mein Wille. + +Und auch du, Erkennender, bist nur ein Pfad und Fusstapfen meines +Willens: wahrlich, mein Wille zur Macht wandelt auch auf den Füssen +deines Willens zur Wahrheit! + +Der traf freilich die Wahrheit nicht, der das Wort nach ihr schoss vom +„Willen zum Dasein“: diesen Willen—giebt es nicht! + +Denn: was nicht ist, das kann nicht wollen; was aber im Dasein ist, wie +könnte das noch zum Dasein wollen! + +Nur, wo Leben ist, da ist auch Wille: aber nicht Wille zum Leben, +sondern—so lehre ich’s dich—Wille zur Macht! + +Vieles ist dem Lebenden höher geschätzt, als Leben selber; doch aus dem +Schätzen selber heraus redet—der Wille zur Macht!“— + +Also lehrte mich einst das Leben: und daraus löse ich euch, ihr +Weisesten, noch das Räthsel eures Herzens. + +Wahrlich, ich sage euch: Gutes und Böses, das unvergänglich wäre—das +giebt es nicht! Aus sich selber muss es sich immer wieder überwinden. + +Mit euren Werthen und Worten von Gut und Böse übt ihr Gewalt, ihr +Werthschätzenden: und diess ist eure verborgene Liebe und eurer Seele +Glänzen, Zittern und Überwallen. + +Aber eine stärkere Gewalt wächst aus euren Werthen und eine neue +Überwindung: an der zerbricht Ei und Eierschale. + +Und wer ein Schöpfer sein muss im Guten und Bösen: wahrlich, der muss +ein Vernichter erst sein und Werthe zerbrechen. + +Also gehört das höchste Böse zur höchsten Güte: diese aber ist die +schöpferische.— + +Reden wir nur davon, ihr Weisesten, ob es gleich schlimm ist. Schweigen +ist schlimmer; alle verschwiegenere Wahrheiten werden giftig. + +Und mag doch Alles zerbrechen, was an unseren Wahrheiten +zerbrechen—kann! Manches Haus giebt es noch zu bauen! + +Also sprach Zarathustra. + + +Von den Erhabenen + +Still ist der Grund meines Meeres: wer erriethe wohl, dass er +scherzhafte Ungeheuer birgt! + +Unerschütterlich ist meine Tiefe: aber sie glänzt von schwimmenden +Räthseln und Gelächtern. + +Einen Erhabenen sah ich heute, einen Feierlichen, einen Büsser des +Geistes: oh wie lachte meine Seele ob seiner Hässlichkeit! + +Mit erhobener Brust und Denen gleich, welche den Athem an sich ziehn: +also stand er da, der Erhabene, und schweigsam: + +Behängt mit hässlichen Wahrheiten, seiner Jagdbeute, und reich an +zerrissenen Kleidern; auch viele Dornen hiengen an ihm—aber noch sah +ich keine Rose. + +Noch lernte er das Lachen nicht und die Schönheit. Finster kam dieser +Jäger zurück aus dem Walde der Erkenntniss. + +Vom Kampfe kehrte er heim mit wilden Thieren: aber aus seinem Ernste +blickt auch noch ein wildes Thier—ein unüberwundenes! + +Wie ein Tiger steht er immer noch da, der springen will; aber ich mag +diese gespannten Seelen nicht, unhold ist mein Geschmack allen diesen +Zurückgezognen. + +Und ihr sagt mir, Freunde, dass nicht zu streiten sei über Geschmack +und Schmecken? Aber alles Leben ist Streit um Geschmack und Schmecken! + +Geschmack: das ist Gewicht zugleich und Wagschale und Wägender; und +wehe allem Lebendigen, das ohne Streit um Gewicht und Wagschale und +Wägende leben wollte! + +Wenn er seiner Erhabenheit müde würde, dieser Erhabene: dann erst würde +seine Schönheit anheben,—und dann erst will ich ihn schmecken und +schmackhaft finden. + +Und erst, wenn er sich von sich selber abwendet, wird er über seinen +eignen Schatten springen—und, wahrlich! hinein in _seine_ Sonne. + +Allzulange sass er im Schatten, die Wangen bleichten dem Büsser des +Geistes; fast verhungerte er an seinen Erwartungen. + +Verachtung ist noch in seinem Auge; und Ekel birgt sich an seinem +Munde. Zwar ruht er jetzt, aber seine Ruhe hat sich noch nicht in die +Sonne gelegt. + +Dem Stiere gleich sollte er thun; und sein Glück sollte nach Erde +riechen und nicht nach Verachtung der Erde. + +Als weissen Stier möchte ich ihn sehn, wie er schnaubend und brüllend +der Pflugschar vorangeht: und sein Gebrüll sollte noch alles Irdische +preisen! + +Dunkel noch ist sein Antlitz; der Hand Schatten spielt auf ihm. +Verschattet ist noch der Sinn seines Auges. + +Seine That selber ist noch der Schatten auf ihm: die Hand verdunkelt +den Handelnden. Noch hat er seine That nicht überwunden. + +Wohl liebe ich an ihm den Nacken des Stiers: aber nun will ich auch +noch das Auge des Engels sehn. + +Auch seinen Helden-Willen muss er noch verlernen: ein Gehobener soll er +mir sein und nicht nur ein Erhabener:—der Äther selber sollte ihn +heben, den Willenlosen! + +Er bezwang Unthiere, er löste Räthsel: aber erlösen sollte er auch noch +seine Unthiere und Räthsel, zu himmlischen Kindern sollte er sie noch +verwandeln. + +Noch hat seine Erkenntniss nicht lächeln gelernt und ohne Eifersucht +sein; noch ist seine strömende Leidenschaft nicht stille geworden in +der Schönheit. + +Wahrlich, nicht in der Sattheit soll sein Verlangen schweigen und +untertauchen, sondern in der Schönheit! Die Anmuth gehört zur Grossmuth +des Grossgesinnten. + +Den Arm über das Haupt gelegt: so sollte der Held ausruhn, so sollte er +auch noch sein Ausruhen überwinden. + +Aber gerade dem Helden ist das _Schöne_ aller Dinge Schwerstes. +Unerringbar ist das Schöne allem heftigen Willen. + +Ein Wenig mehr, ein Wenig weniger: das gerade ist hier Viel, das ist +hier das Meiste. + +Mit lässigen Muskeln stehn und mit abgeschirrtem Willen: das ist das +Schwerste euch Allen, ihr Erhabenen! + +Wenn die Macht gnädig wird und herabkommt in’s Sichtbare: Schönheit +heisse ich solches Herabkommen. + +Und von Niemandem will ich so als von dir gerade Schönheit, du +Gewaltiger: deine Güte sei deine letzte Selbst- Überwältigung. + +Alles Böse traue ich dir zu: darum will ich von dir das Gute. + +Wahrlich, ich lachte oft der Schwächlinge, welche sich gut glauben, +weil sie lahme Tatzen haben! + +Der Säule Tugend sollst du nachstreben: schöner wird sie immer und +zarter, aber inwendig härter und tragsamer, je mehr sie aufsteigt. + +Ja, du Erhabener, einst sollst du noch schön sein und deiner eignen +Schönheit den Spiegel vorhalten. + +Dann wird deine Seele vor göttlichen Begierden schaudern; und Anbetung +wird noch in deiner Eitelkeit sein! + +Diess nämlich ist das Geheimniss der Seele: erst, wenn sie der Held +verlassen hat, naht ihr, im Traume,—der Über-Held. + +Also sprach Zarathustra. + + +Vom Lande der Bildung + +Zu weit hinein flog ich in die Zukunft: ein Grauen überfiel mich. + +Und als ich um mich sah, siehe! da war die Zeit mein einziger +Zeitgenosse. + +Da floh ich rückwärts, heimwärts—und immer eilender: so kam ich zu +euch, ihr Gegenwärtigen, und in’s Land der Bildung. + +Zum ersten Male brachte ich ein Auge mit für euch, und gute Begierde: +wahrlich, mit Sehnsucht im Herzen kam ich. + +Aber wie geschah mir? So angst mir auch war,—ich musste lachen! Nie sah +mein Auge etwas so Buntgesprenkeltes! + +Ich lachte und lachte, während der Fuss mir noch zitterte und das Herz +dazu: „hier ist ja die Heimat aller Farbentöpfe!“—sagte ich. + +Mit fünfzig Klexen bemalt an Gesicht und Gliedern: so sasset ihr da zu +meinem Staunen, ihr Gegenwärtigen! + +Und mit fünfzig Spiegeln um euch, die eurem Farbenspiele schmeichelten +und nachredeten! + +Wahrlich, ihr könntet gar keine bessere Maske tragen, ihr +Gegenwärtigen, als euer eignes Gesicht ist! Wer könnte euch—_erkennen_! + +Vollgeschrieben mit den Zeichen der Vergangenheit, und auch diese +Zeichen überpinselt mit neuen Zeichen: also habt ihr euch gut versteckt +vor allen Zeichendeutern! + +Und wenn man auch Nierenprüfer ist: wer glaubt wohl noch, dass ihr +Nieren habt! Aus Farben scheint ihr gebacken und aus geleimten Zetteln. + +Alle Zeiten und Völker blicken bunt aus euren Schleiern; alle Sitten +und Glauben reden bunt aus euren Gebärden. + +Wer von euch Schleier und Überwürfe und Farben und Gebärden abzöge: +gerade genug würde er übrig behalten, um die Vögel damit zu +erschrecken. + +Wahrlich, ich selber bin der erschreckte Vogel, der euch einmal nackt +sah und ohne Farbe; und ich flog davon, als das Gerippe mir Liebe +zuwinkte. + +Lieber wollte ich doch noch Tagelöhner sein in der Unterwelt und bei +den Schatten des Ehemals!—feister und voller als ihr sind ja noch die +Unterweltlichen! + +Diess, ja diess ist Bitterniss meinen Gedärmen, dass ich euch weder +nackt, noch bekleidet aushalte, ihr Gegenwärtigen! + +Alles Unheimliche der Zukunft, und was je verflogenen Vögeln Schauder +machte, ist wahrlich heimlicher noch und traulicher als eure +„Wirklichkeit“. + +Denn so sprecht ihr: „Wirkliche sind wir ganz, und ohne Glauben und +Aberglauben“ : also brüstet ihr euch—ach, auch noch ohne Brüste! + +Ja, wie solltet ihr glauben _können_, ihr Buntgesprenkelten!—die ihr +Gemälde seid von Allem, was je geglaubt wurde! + +Wandelnde Widerlegungen seid ihr des Glaubens selber, und aller +Gedanken Gliederbrechen. _Unglaubwürdige_: also heisse _ich_ euch, ihr +Wirklichen! + +Alle Zeiten schwätzen wider einander in euren Geistern; und aller +Zeiten Träume und Geschwätz waren wirklicher noch als euer Wachsein +ist! + +Unfruchtbare seid ihr: _darum_ fehlt es euch an Glauben. Aber wer +schaffen musste, der hatte auch immer seine Wahr-Träume und +Stern-Zeichen—und glaubte an Glauben!— + +Halboffne Thore seid ihr, an denen Todtengräber warten. Und das ist +_eure_ Wirklichkeit: „Alles ist werth, dass es zu Grunde geht.“ + +Ach, wie ihr mir dasteht, ihr Unfruchtbaren, wie mager in den Rippen! +Und Mancher von euch hatte wohl dessen selber ein Einsehen. + +Und er sprach: „es hat wohl da ein Gott, als ich schlief, mir heimlich +Etwas entwendet? Wahrlich, genug, sich ein Weibchen daraus zu bilden! + +Wundersam ist die Armuth meiner Rippen!“ also sprach schon mancher +Gegenwärtige. + +Ja, zum Lachen seid ihr mir, ihr Gegenwärtigen! Und sonderlich, wenn +ihr euch über euch selber wundert! + +Und wehe mir, wenn ich nicht lachen könnte über eure Verwunderung, und +alles Widrige aus euren Näpfen hinunter trinken müsste! + +So aber will ich’s mit euch leichter nehmen, da ich _Schweres_ zu +tragen habe; und was thut’s mir, wenn sich Käfer und Flügelwürmer noch +auf mein Bündel setzen! + +Wahrlich, es soll mir darob nicht schwerer werden! Und nicht aus euch, +ihr Gegenwärtigen, soll mir die grosse Müdigkeit kommen.—Ach, wohin +soll ich nun noch steigen mit meiner Sehnsucht! Von allen Bergen schaue +ich aus nach Vater- und Mutterländern. + +Aber Heimat fand ich nirgends: unstät bin ich in allen Städten und ein +Aufbruch an allen Thoren. + +Fremd sind mir und ein Spott die Gegenwärtigen, zu denen mich jüngst +das Herz trieb; und vertrieben bin ich aus Vater- und Mutterländern. + +So liebe ich allein noch meiner _Kinder Land_, das unentdeckte, im +fernsten Meere: nach ihm heisse ich meine Segel suchen und suchen. + +An meinen Kindern will ich es gut machen, dass ich meiner Väter Kind +bin: und an aller Zukunft—_diese_ Gegenwart! + +Also sprach Zarathustra. + + +Von der unbefleckten Erkenntniss + +Als gestern der Mond aufgieng, wähnte ich, dass er eine Sonne gebären +wolle: so breit und trächtig lag er am Horizonte. + +Aber ein Lügner war er mir mit seiner Schwangerschaft; und eher noch +will ich an den Mann im Monde glauben als an das Weib. + +Freilich, wenig Mann ist er auch, dieser schüchterne Nachtschwärmer. +Wahrlich, mit schlechtem Gewissen wandelt er über die Dächer. + +Denn er ist lüstern und eifersüchtig, der Mönch im Monde, lüstern nach +der Erde und nach allen Freuden der Liebenden. + +Nein, ich mag ihn nicht, diesen Kater auf den Dächern! Widerlich sind +mir Alle, die um halbverschlossne Fenster schleichen! + +Fromm und schweigsam wandelt er hin auf Sternen-Teppichen:—aber ich mag +alle leisetretenden Mannsfüsse nicht, an denen auch nicht ein Sporen +klirrt. + +Jedes Redlichen Schritt redet; die Katze aber stiehlt sich über den +Boden weg. Siehe, katzenhaft kommt der Mond daher und unredlich.— + +Dieses Gleichniss gebe ich euch empfindsamen Heuchlern, euch, den +„Rein-Erkennenden!“ Euch heisse _ich_—Lüsterne! + +Auch ihr liebt die Erde und das Irdische: ich errieth euch wohl!—aber +Scham ist in eurer Liebe und schlechtes Gewissen,—dem Monde gleicht +ihr! + +Zur Verachtung des Irdischen hat man euren Geist überredet, aber nicht +eure Eingeweide: _die_ aber sind das Stärkste an euch! + +Und nun schämt sich euer Geist, dass er euren Eingeweiden zu willen ist +und geht vor seiner eignen Scham Schleich- und Lügenwege. + +„Das wäre mir das Höchste—also redet euer verlogner Geist zu sich—auf +das Leben ohne Begierde zu schaun und nicht gleich dem Hunde mit +hängender Zunge: + +Glücklich zu sein im Schauen, mit erstorbenem Willen, ohne Griff und +Gier der Selbstsucht—kalt und aschgrau am ganzen Leibe, aber mit +trunkenen Mondesaugen!“ + +„Das wäre mir das Liebste,—also verführt sich selber der Verführte—die +Erde zu lieben, wie der Mond sie liebt, und nur mit dem Auge allein +ihre Schönheit zu betasten. + +Und das heisse mir aller Dinge _unbefleckte_ Erkenntniss, dass ich von +den Dingen Nichts will: ausser dass ich vor ihnen da liegen darf wie +ein Spiegel mit hundert Augen.“— + +Oh, ihr empfindsamen Heuchler, ihr Lüsternen! Euch fehlt die Unschuld +in der Begierde: und nun verleumdet ihr drum das Begehren! + +Wahrlich, nicht als Schaffende, Zeugende, Werdelustige liebt ihr die +Erde! + +Wo ist Unschuld? Wo der Wille zur Zeugung ist. Und wer über sich hinaus +schaffen will, der hat mir den reinsten Willen. + +Wo ist Schönheit? Wo ich mit allem Willen _wollen muss_; wo ich lieben +und untergehn will, dass ein Bild nicht nur Bild bleibe. + +Lieben und Untergehn: das reimt sich seit Ewigkeiten. Wille zur Liebe: +das ist, willig auch sein zum Tode. Also rede ich zu euch Feiglingen! + +Aber nun will euer entmanntes Schielen „Beschaulichkeit“ heissen! Und +was mit feigen Augen sich tasten lässt, soll „schön“ getauft werden! +oh, ihr Beschmutzer edler Namen! + +Aber das soll euer Fluch sein, ihr Unbefleckten, ihr Rein-Erkennenden, +dass ihr nie gebären werdet: und wenn ihr auch breit und trächtig am +Horizonte liegt! + +Wahrlich, ihr nehmt den Mund voll mit edlen Worten: und wir sollen +glauben, dass euch das Herz übergehe, ihr Lügenbolde? + +Aber in _eine_ Worte sind geringe, verachtete, krumme Worte: gerne +nehme ich auf, was bei eurer Mahlzeit unter den Tisch fällt. + +Immer noch kann ich mit ihnen—Heuchlern die Wahrheit sagen! ja, meine +Gräten, Muscheln und Stachelblätter sollen—Heuchlern die Nasen kitzeln! + +Schlechte Luft ist immer um euch und eure Mahlzeiten: eure lüsternen +Gedanken, eure Lügen und Heimlichkeiten sind ja in der Luft! + +Wagt es doch erst, euch selber zu glauben—euch und euren Eingeweiden! +Wer sich selber nicht glaubt, lügt immer. + +Eines Gottes Larve hängtet ihr um vor euch selber, ihr „Reinen“ : in +eines Gottes Larve verkroch sich euer greulicher Ringelwurm. + +Wahrlich, ihr täuscht, ihr „Beschaulichen“ ! Auch Zarathustra war einst +der Narr eurer göttlichen Häute; nicht errieth er das +Schlangengeringel, mit denen sie gestopft waren. + +Eines Gottes Seele wähnte ich einst spielen zu sehn in euren Spielen, +ihr Rein-Erkennenden! Keine bessere Kunst wähnte ich einst als eure +Künste! + +Schlangen-Unflath und schlimmen Geruch verhehlte mir die Ferne: und +dass einer Eidechse List lüstern hier herumschlich. + +Aber ich kam euch _nah_: da kam mir der Tag—und nun kommt er euch,—zu +Ende gieng des Mondes Liebschaft! + +Seht doch hin! Ertappt und bleich steht er da—vor der Morgenröthe! + +Denn schon kommt sie, die Glühende,—_ihre_ Liebe zur Erde kommt! +Unschuld und Schöpfer-Begier ist alle Sonnen-Liebe! + +Seht doch hin, wie sie ungeduldig über das Meer kommt! Fühlt ihr den +Durst und den heissen Athem ihrer Liebe nicht? + +Am Meere will sie saugen und seine Tiefe zu sich in die Höhe trinken: +da hebt sich die Begierde des Meeres mit tausend Brüsten. + +Geküsst und gesaugt _will_ es sein vom Durste der Sonne; Luft _will_ es +werden und Höhe und Fusspfad des Lichts und selber Licht! + +Wahrlich, der Sonne gleich liebe ich das Leben und alle tiefen Meere. + +Und diess heisst _mir_ Erkenntniss: alles Tiefe soll hinauf—zu meiner +Höhe! + +Also sprach Zarathustra. + + +Von den Gelehrten + +Als ich im Schlafe lag, da frass ein Schaf am Epheukranze meines +Hauptes,—frass und sprach dazu: „Zarathustra ist kein Gelehrter mehr.“ + +Sprach’s und gieng stotzig davon und stolz. Ein Kind erzählte mir’s. + +Gerne liege ich hier, wo die Kinder spielen, an der zerbrochnen Mauer, +unter Disteln und rothen Mohnblumen. + +Ein Gelehrter bin ich den Kindern noch und auch den Disteln und rothen +Mohnblumen. Unschuldig sind sie, selbst noch in ihrer Bosheit. + +Aber den Schafen bin ich’s nicht mehr: so will es mein Loos—gesegnet +sei es! + +Denn diess ist die Wahrheit: ausgezogen bin ich aus dem Hause der +Gelehrten: und die Thür habe ich noch hinter mir zugeworfen. + +Zu lange sass meine Seele hungrig an ihrem Tische; nicht, gleich ihnen, +bin ich auf das Erkennen abgerichtet wie auf das Nüsseknacken. + +Freiheit liebe ich und die Luft über frischer Erde; lieber noch will +ich auf Ochsenhäuten schlafen, als auf ihren Würden und Achtbarkeiten. + +Ich bin zu heiss und verbrannt von eigenen Gedanken: oft will es mir +den Athem nehmen. Da muss ich in’s Freie und weg aus allen verstaubten +Stuben. + +Aber sie sitzen kühl in kühlem Schatten: sie wollen in Allem nur +Zuschauer sein und hüten sich dort zu sitzen, wo die Sonne auf die +Stufen brennt. + +Gleich Solchen, die auf der Strasse stehn und die Leute angaffen, +welche vorübergehn: also warten sie auch und gaffen Gedanken an, die +Andre gedacht haben. + +Greift man sie mit Händen, so stäuben sie um sich gleich Mehlsäcken, +und unfreiwillig. aber wer erriethe wohl, dass ihr Staub vom Korne +stammt und von der gelben Wonne der Sommerfelder? + +Geben sie sich weise, so fröstelt mich ihrer kleinen Sprüche und +Wahrheiten: ein Geruch ist oft an ihrer Weisheit, als ob sie aus dem +Sumpfe stamme: und wahrlich, ich hörte auch schon den Frosch aus ihr +quaken! + +Geschickt sind sie, sie haben kluge Finger: was will _meine_ Einfalt +bei ihrer Vielfalt! Alles Fädeln und Knüpfen und Weben verstehn ihre +Finger: also wirken sie die Strümpfe des Geistes! + +Gute Uhrwerke sind sie: nur sorge man, sie richtig aufzuziehn! Dann +zeigen sie ohne Falsch die Stunde an und machen einen bescheidnen Lärm +dabei. + +Gleich Mühlwerken arbeiten sie und Stampfen: man werfe ihnen nur seine +Fruchtkörner zu!—sie wissen schon, Korn klein zu mahlen und weissen +Staub daraus zu machen. + +Sie sehen einander gut auf die Finger und trauen sich nicht zum Besten. +Erfinderisch in kleinen Schlauheiten warten sie auf Solche, deren +Wissen auf lahmen Füssen geht,—gleich Spinnen warten sie. + +Ich sah sie immer mit Vorsicht Gift bereiten; und immer zogen sie +gläserne Handschuhe dabei an ihre Finger. + +Auch mit falschen Würfeln wissen sie zu spielen; und so eifrig fand ich +sie spielen, dass sie dabei schwitzten. + +Wir sind einander fremd, und ihre Tugenden gehn mir noch mehr wider den +Geschmack, als ihre Falschheiten und falschen Würfel. + +Und als ich bei ihnen wohnte, da wohnte ich über ihnen. Darüber wurden +sie mir gram. + +Sie wollen Nichts davon hören, dass Einer über ihren Köpfen wandelt; +und so legten sie Holz und Erde und Unrath zwischen mich und ihre +Köpfe. + +Also dämpften sie den Schall meiner Schritte: und am schlechtesten +wurde ich bisher von den Gelehrtesten gehört. + +Aller Menschen Fehl und Schwäche legten sie zwischen sich und +mich:—„Fehlboden“ heissen sie das in ihren Häusern. + +Aber trotzdem wandele ich mit meinen Gedanken _über_ ihren Köpfen; und +selbst, wenn ich auf meinen eignen Fehlern wandeln wollte, würde ich +noch über ihnen sein und ihren Köpfen. + +Denn die Menschen sind _nicht_ gleich: so spricht die Gerechtigkeit. +Und was ich will, dürften _sie_ nicht wollen! + +Also sprach Zarathustra. + + +Von den Dichtern + +„Seit ich den Leib besser kenne,—sagte Zarathustra zu einem seiner +Jünger—ist mir der Geist nur noch gleichsam Geist; und alles das +„Unvergängliche“—das ist auch nur ein Gleichniss.“ + +„So hörte ich dich schon einmal sagen, antwortete der Jünger; und +damals fügtest du hinzu: „aber die Dichter lügen zuviel.“ Warum sagtest +du doch, dass die Dichter zuviel lügen?“ + +„Warum? sagte Zarathustra. Du fragst warum? Ich gehöre nicht zu Denen, +welche man nach ihrem Warum fragen darf. + +Ist denn mein Erleben von Gestern? Das ist lange her, dass ich die +Gründe meiner Meinungen erlebte. + +Müsste ich nicht ein Fass sein von Gedächtniss, wenn ich auch meine +Gründe bei mir haben wollte? + +Schon zuviel ist mir’s, meine Meinungen selber zu behalten; und mancher +Vogel fliegt davon. + +Und mitunter finde ich auch ein zugezogenes Thier in meinem +Taubenschlage, das mir fremd ist, und das zittert, wenn ich meine Hand +darauf lege. + +Doch was sagte dir einst Zarathustra? Dass die Dichter zuviel +lügen?—Aber auch Zarathustra ist ein Dichter. + +Glaubst du nun, dass er hier die Wahrheit redete? Warum glaubst du +das?“ + +Der Jünger antwortete: „ich glaube an Zarathustra.“ Aber Zarathustra +schüttelte den Kopf und lächelte. + +Der Glaube macht mich nicht selig, sagte er, zumal nicht der Glaube an +mich. + +Aber gesetzt, dass jemand allen Ernstes sagte, die Dichter lügen +zuviel: so hat er Recht,—_wir_ lügen zuviel. + +Wir wissen auch zu wenig und sind schlechte Lerner: so müssen wir schon +lügen. + +Und wer von uns Dichtern hätte nicht seinen Wein verfälscht? Manch +giftiger Mischmasch geschah in unsern Kellern, manches Unbeschreibliche +ward da gethan. + +Und weil wir wenig wissen, so gefallen uns von Herzen die geistig +Armen, sonderlich wenn es junge Weibchen sind! + +Und selbst nach den Dingen sind wir noch begehrlich, die sich die alten +Weibchen Abends erzählen. Das heissen wir selber an uns das +Ewig-Weibliche. + +Und als ob es einen besondren geheimen Zugang zum Wissen gäbe, der sich +Denen _verschütte_, welche Etwas lernen: so glauben wir an das Volk und +seine „Weisheit“. + +Das aber glauben alle Dichter: dass wer im Grase oder an einsamen +Gehängen liegend die Ohren spitze, Etwas von den Dingen erfahre, die +zwischen Himmel und Erde sind. + +Und kommen ihnen zärtliche Regungen, so meinen die Dichter immer, die +Natur selber sei in sie verliebt: + +Und sie schleiche zu ihrem Ohre, Heimliches hinein zu sagen und +verliebte Schmeichelreden: dessen brüsten und blähen sie sich vor allen +Sterblichen! + +Ach, es giebt so viel Dinge zwischen Himmel und Erden, von denen sich +nur die Dichter Etwas haben träumen lassen! + +Und zumal _über_ dem Himmel: denn alle Götter sind Dichter-Gleichniss, +Dichter-Erschleichniss! + +Wahrlich, immer zieht es uns hinan—nämlich zum Reich der Wolken: auf +diese setzen wir unsre bunten Bälge und heissen sie dann Götter und +Übermenschen:— + +Sind sie doch gerade leicht genug für diese Stühle!—alle diese Götter +und Übermenschen. + +Ach, wie bin ich all des Unzulänglichen müde, das durchaus Ereigniss +sein soll! Ach, wie bin ich der Dichter müde! + +Als Zarathustra so sprach, zürnte ihm sein Jünger, aber er schwieg. Und +auch Zarathustra schwieg; und sein Auge hatte sich nach innen gekehrt, +gleich als ob es in weite Fernen sähe. Endlich seufzte er und holte +Athem. + +Ich bin von Heute und Ehedem, sagte er dann; aber Etwas ist in mir, das +ist von Morgen und übermorgen und Einstmals. + +Ich wurde der Dichter müde, der alten und der neuen: Oberflächliche +sind sie mir Alle und seichte Meere. + +Sie dachten nicht genug in die Tiefe: darum sank ihr Gefühl nicht bis +zu den Gründen. + +Etwas Wollust und etwas Langeweile: das ist noch ihr bestes Nachdenken +gewesen. + +Gespenster-Hauch und -Huschen gilt mir all ihr Harfen-Klingklang; was +wussten sie bisher von der Inbrunst der Töne!— + +Sie sind mir auch nicht reinlich genug: sie trüben Alle ihr Gewässer, +dass es tief scheine. + +Und gerne geben sie sich damit als Versöhner: aber Mittler und Mischer +bleiben sie mir und Halb-und-Halbe und Unreinliche!— + +Ach, ich warf wohl mein Netz in ihre Meere und wollte gute Fische +fangen; aber immer zog ich eines alten Gottes Kopf herauf. + +So gab dem Hungrigen das Meer einen Stein. Und sie selber mögen wohl +aus dem Meere stammen. + +Gewiss, man findet Perlen in ihnen: um so ähnlicher sind sie selber +harten Schalthieren. Und statt der Seele fand ich oft bei ihnen +gesalzenen Schleim. + +Sie lernten vom Meere auch noch seine Eitelkeit: ist nicht das Meer der +Pfau der Pfauen? + +Noch vor dem hässlichsten aller Büffel rollt es seinen Schweif hin, +nimmer wird es seines Spitzenfächers von Silber und Seide müde. + +Trutzig blickt der Büffel dazu, dem Sande nahe in seiner Seele, näher +noch dem Dickicht, am nächsten aber dem Sumpfe. + +Was ist ihm Schönheit und Meer und Pfauen-Zierath! Dieses Gleichniss +sage ich den Dichtern. + +Wahrlich, ihr Geist selber ist der Pfau der Pfauen und ein Meer von +Eitelkeit! + +Zuschauer will der Geist des Dichters: sollten’s auch Büffel sein!— + +Aber dieses Geistes wurde ich müde: und ich sehe kommen, dass er seiner +selber müde wird. + +Verwandelt sah ich schon die Dichter und gegen sich selber den Blick +gerichtet. + +Büsser des Geistes sah ich kommen: die wuchsen aus ihnen. + +Also sprach Zarathustra. + + +Von grossen Ereignissen + +Es giebt eine Insel im Meere—unweit den glückseligen Inseln +Zarathustra’s—auf welcher beständig ein Feuerberg raucht; von der sagt +das Volk, und sonderlich sagen es die alten Weibchen aus dem Volke, +dass sie wie ein Felsblock vor das Thor der Unterwelt gestellt sei: +durch den Feuerberg selber aber führe der schmale Weg abwärts, der zu +diesem Thore der Unterwelt geleite. + +Um jene Zeit nun, als Zarathustra auf den glückseligen Inseln weilte, +geschah es, dass ein Schiff an der Insel Anker warf, auf welcher der +rauchende Berg steht; und seine Mannschaft gieng an’s Land, um +Kaninchen zu schiessen. Gegen die Stunde des Mittags aber, da der +Capitän und seine Leute wieder beisammen waren, sahen sie plötzlich +durch die Luft einen Mann auf sich zukommen, und eine Stimme sagte +deutlich: „es ist Zeit! Es ist die höchste Zeit!“ Wie die Gestalt ihnen +aber am nächsten war—sie flog aber schnell gleich einem Schatten +vorbei, in der Richtung, wo der Feuerberg lag—da erkannten sie mit +grösster Bestürzung, dass es Zarathustra sei; denn sie hatten ihn Alle +schon gesehn, ausgenommen der Capitän selber, und sie liebten ihn, wie +das Volk liebt: also dass zu gleichen Theilen Liebe und Scheu beisammen +sind. + +„Seht mir an! sagte der alte Steuermann, da fährt Zarathustra zur +Hölle!“— + +Um die gleiche Zeit, als diese Schiffer an der Feuerinsel landeten, +lief das Gerücht umher, dass Zarathustra verschwunden sei; und als man +seine Freunde fragte, erzählten sie, er sei bei Nacht zu Schiff +gegangen, ohne zu sagen, wohin er reisen wolle. + +Also entstand eine Unruhe; nach drei Tagen aber kam zu dieser Unruhe +die Geschichte der Schiffsleute hinzu—und nun sagte alles Volk, dass +der Teufel Zarathustra geholt habe. Seine jünger lachten zwar ob dieses +Geredes; und einer von ihnen sagte sogar: „eher glaube ich noch, dass +Zarathustra sich den Teufel geholt hat.“ Aber im Grunde der Seele waren +sie Alle voll Besorgniss und Sehnsucht: so war ihre Freude gross, als +am fünften Tage Zarathustra unter ihnen erschien. + +Und diess ist die Erzählung von Zarathustra’s Gespräch mit dem +Feuerhunde. + +Die Erde, sagte er, hat eine Haut; und diese Haut hat Krankheiten. Eine +dieser Krankheiten heisst zum Beispiel: „Mensch.“ + +Und eine andere dieser Krankheiten heisst „Feuerhund“: über _den_ haben +sich die Menschen Viel vorgelogen und vorlügen lassen. + +Diess Geheimniss zu ergründen gieng ich über das Meer: und ich habe die +Wahrheit nackt gesehn, wahrlich! barfuss bis zum Halse. + +Was es mit dem Feuerhund auf sich hat, weiss ich nun; und insgleichen +mit all den Auswurf- und Umsturz-Teufeln, vor denen sich nicht nur alte +Weibchen fürchten. + +Heraus mit dir, Feuerhund, aus deiner Tiefe! rief ich, und bekenne, wie +tief diese Tiefe ist! Woher ist das, was du da heraufschnaubst? + +Du trinkst reichlich am Meere: das verräth deine versalzte +Beredsamkeit! Fürwahr, für einen Hund der Tiefe nimmst du deine Nahrung +zu sehr von der Oberfläche! + +Höchstens für den Bauchredner der Erde halt’ ich dich: und immer, wenn +ich Umsturz- und Auswurf-Teufel reden hörte, fand ich sie gleich dir: +gesalzen, lügnerisch und flach. + +Ihr versteht zu brüllen und mit Asche zu verdunkeln! Ihr seid die +besten Grossmäuler und lerntet sattsam die Kunst, Schlamm heiss zu +sieden. + +Wo ihr seid, da muss stets Schlamm in der Nähe sein, und viel +Schwammichtes, Höhlichtes, Eingezwängtes: das will in die Freiheit. + +„Freiheit“ brüllt ihr Alle am liebsten: aber ich verlernte den Glauben +an „grosse Ereignisse,“ sobald viel Gebrüll und Rauch um sie herum ist. + +Und glaube mir nur, Freund Höllenlärm! Die grössten Ereignisse—das sind +nicht unsre lautesten, sondern unsre stillsten Stunden. + +Nicht um die Erfinder von neuem Lärme: um die Erfinder von neuen +Werthen dreht sich die Welt; _unhörbar_ dreht sie sich. + +Und gesteh es nur! Wenig war immer nur geschehn, wenn dein Lärm und +Rauch sich verzog. Was liegt daran, dass eine Stadt zur Mumie wurde, +und eine Bildsäule im Schlamme liegt! + +Und diess Wort sage ich noch den Umstürzern von Bildsäulen. Das ist +wohl die grösste Thorheit, Salz in’s Meer und Bildsäulen in den Schlamm +zu werfen. + +Im Schlamme eurer Verachtung lag die Bildsäule: aber das ist gerade ihr +Gesetz, dass ihr aus der Verachtung wieder Leben und lebende Schönheit +wächst! + +Mit göttlicheren Zügen steht sie nun auf und leidendverführerisch; und +wahrlich! sie wird euch noch Dank sagen, dass ihr sie umstürztet, ihr +Umstürzer! + +Diesen Rath aber rathe ich Königen und Kirchen und Allem, was alters- +und tugendschwach ist—lasst euch nur umstürzen! Dass ihr wieder zum +Leben kommt, und zu euch—die Tugend!— + +Also redete ich vor dem Feuerhunde: da unterbrach er mich mürrisch und +fragte: „Kirche? Was ist denn das?“ + +Kirche? antwortete ich, das ist eine Art von Staat, und zwar die +verlogenste. Doch schweig still, du Heuchelhund! Du kennst deine Art +wohl am besten schon! + +Gleich dir selber ist der Staat ein Heuchelhund; gleich dir redet er +gern mit Rauch und Gebrülle,—dass er glauben mache, gleich dir, er rede +aus dem Bauch der Dinge. + +Denn er will durchaus das wichtigste Thier auf Erden sein, der Staat; +und man glaubt’s ihm auch.— + +Als ich das gesagt hatte, gebärdete sich der Feuerhund wie unsinnig vor +Neid. „Wie? schrie er, das wichtigste Thier auf Erden? Und man glaubt’s +ihm auch?“ Und so viel Dampf und grässliche Stimmen kamen ihm aus dem +Schlunde, dass ich meinte, er werde vor Arger und Neid ersticken. + +Endlich wurde er stiller, und sein Keuchen liess nach; sobald er aber +stille war, sagte ich lachend: + +„Du ärgerst dich, Feuerhund: also habe ich über dich Recht! + +Und dass ich auch noch Recht behalte, so höre von einem andern +Feuerhunde: der spricht wirklich aus dem Herzen der Erde. + +Gold haucht sein Athem und goldigen Regen: so will’s das Herz ihm. Was +ist ihm Asche und Rauch und heisser Schleim noch! + +Lachen flattert aus ihm wie ein buntes Gewölke; abgünstig ist er deinem +Gurgeln und Speien und Grimmen der Ein- geweide! + +Das Gold aber und das Lachen—das nimmt er aus dem Herzen der Erde: denn +dass du’s nur weisst,—das Herz der Erde ist von Gold.“ + +Als diess der Feuerhund vernahm, hielt er’s nicht mehr aus, mir +zuzuhören. Beschämt zog er seinen Schwanz ein, sagte auf eine +kleinlaute Weise Wau! Wau! und kroch hinab in seine Höhle.— + +Also erzählte Zarathustra. Seine Jünger aber hörten ihm kaum zu: so +gross war ihre Begierde, ihm von den Schiffsleuten, den Kaninchen und +dem fliegenden Manne zu erzählen. + +„Was soll ich davon denken! sagte Zarathustra. Bin ich denn ein +Gespenst? + +Aber es wird mein Schatten gewesen sein. Ihr hörtet wohl schon Einiges +vom Wanderer und seinem Schatten? + +Sicher aber ist das: ich muss ihn kürzer halten,—er verdirbt mir sonst +noch den Ruf.“ + +Und nochmals schüttelte Zarathustra den Kopf und wunderte sich. „Was +soll ich davon denken!“ sagte er nochmals. + +„Warum schrie denn das Gespenst: es ist Zeit! Es ist die höchste Zeit! + +_Wozu_ ist es denn—höchste Zeit?“— + +Also sprach Zarathustra. + + +Der Wahrsager + +„- und ich sahe eine grosse Traurigkeit über die Menschen kommen. Die +Besten wurden ihrer Werke müde. + +Eine Lehre ergieng, ein Glauben lief neben ihr: „Alles ist leer, Alles +ist gleich, Alles war!“ + +Und von allen Hügeln klang es wieder: „Alles ist leer, Alles ist +gleich, Alles war!“ + +Wohl haben wir geerntet: aber warum wurden alle Früchte uns faul und +braun? Was fiel vom bösen Monde bei der letzten Nacht hernieder? + +Umsonst war alle Arbeit, Gift ist unser Wein geworden, böser Blick +sengte unsre Felder und Herzen gelb. + +Trocken wurden wir Alle; und fällt Feuer auf uns, so stäuben wir der +Asche gleich:—ja das Feuer selber machten wir müde. + +Alle Brunnen versiegten uns, auch das Meer wich zurück. Aller Grund +will reissen, aber die Tiefe will nicht schlingen! + +„Ach, wo ist noch ein Meer, in dem man ertrinken könnte“: so klingt +unsre Klage - hinweg über flache Sümpfe. + +Wahrlich, zum Sterben wurden wir schon zu müde; nun wachen wir noch und +leben fort—in Grabkammern!“— + +Also hörte Zarathustra einen Wahrsager reden; und seine Weissagung +gieng ihm zu Herzen und verwandelte ihn. Traurig gieng er umher und +müde; und er wurde Denen gleich, von welchen der Wahrsager geredet +hatte. + +Wahrlich, so sagte er zu seinen Jüngern, es ist um ein Kleines, so +kommt diese lange Dämmerung. Ach, wie soll ich mein Licht hinüber +retten! + +Dass es mir nicht ersticke in dieser Traurigkeit! Ferneren Welten soll +es ja Licht sein und noch fernsten Nächten! + +Dergestalt im Herzen bekümmert gieng Zarathustra umher; und drei Tage +lang nahm er nicht Trank und Speise zu sich, hatte keine Ruhe und +verlor die Rede. Endlich geschah es, dass er in einen tiefen Schlaf +verfiel. Seine jünger aber sassen um ihn in langen Nachtwachen und +warteten mit Sorge, ob er wach werde und wieder rede und genesen sei +von seiner Trübsal. + +Diess aber ist die Rede, welche Zarathustra sprach, als er aufwachte; +seine Stimme aber kam zu seinen Jüngern wie aus weiter Ferne. + +Hört mir doch den Traum, den ich träumte, ihr Freunde, und helft mir +seinen Sinn rathen! + +Ein Räthsel ist er mir noch, dieser Traum; sein Sinn ist verborgen in +ihm und eingefangen und fliegt noch nicht über ihn hin mit freien +Flügeln. + +Allem Leben hatte ich abgesagt, so träumte mir. Zum Nacht- und +Grabwächter war ich worden, dort auf der einsamen Berg-Burg des Todes. + +Droben hütete ich seine Särge: voll standen die dumpfen Gewölbe von +solchen Siegeszeichen. Aus gläsernen Särgen blickte mich überwundenes +Leben an. + +Den Geruch verstaubter Ewigkeiten athmete ich: schwül und verstaubt lag +meine Seele. Und wer hätte dort auch seine Seele lüften können! + +Helle der Mitternacht war immer um mich, Einsamkeit kauerte neben ihr; +und, zudritt, röchelnde Todesstille, die schlimmste meiner Freundinnen. + +Schlüssel führte ich, die rostigsten aller Schlüssel; und ich verstand +es, damit das knarrendste aller Thore zu öffnen. + +Einem bitterbösen Gekrächze gleich lief der Ton durch die langen Gänge, +wenn sich des Thores Flügel hoben: unhold schrie dieser Vogel, ungern +wollte er geweckt sein. + +Aber furchtbarer noch und herzzuschnürender war es, wenn es wieder +schwieg und rings stille ward, und ich allein sass in diesem tückischen +Schweigen. + +So gieng mir und schlich die Zeit, wenn Zeit es noch gab: was weiss ich +davon! Aber endlich geschah das, was mich weckte. + +Dreimal schlugen Schläge an’s Thor, gleich Donnern, es hallten und +heulten die Gewölbe dreimal wieder: da gieng ich zum Thore. + +Alpa! rief ich, wer trägt seine Asche zu Berge? Alpa! Alpa! Wer trägt +seine Asche zu Berge? + +Und ich drückte den Schlüssel und hob am Thore und mühte mich. Aber +noch keinen Fingerbreit stand es offen: + +Da riss ein brausender Wind seine Flügel auseinander: pfeifend, +schrillend und schneidend warf er mir einen schwarzen Sarg zu: + +Und im Brausen und Pfeifen und Schrillen zerbarst der Sarg und spie +tausendfältiges Gelächter aus. + +Und aus tausend Fratzen von Kindern, Engeln, Eulen, Narren und +kindergrossen Schmetterlingen lachte und höhnte und brauste es wider +mich. + +Grässlich erschrak ich darob: es warf mich nieder. Und ich schrie vor +Grausen, wie nie ich schrie. + +Aber der eigne Schrei weckte mich auf:—und ich kam zu mir.— + +Also erzählte Zarathustra seinen Traum und schwieg dann: denn er wusste +noch nicht die Deutung seines Traumes. Aber der jünger, den er am +meisten lieb hatte, erhob sich schnell, fasste die Hand Zarathustra’s +und sprach: + +„Dein Leben selber deutet uns diesen Traum, oh Zarathustra! + +Bist du nicht selber der Wind mit schrillem Pfeifen, der den Burgen des +Todes die Thore aufreisst? + +Bist du nicht selber der Sarg voll bunter Bosheiten und Engelsfratzen +des Lebens? + +Wahrlich, gleich tausendfältigem Kindsgelächter kommt Zarathustra in +alle Todtenkammern, lachend über diese Nacht- und Grabwächter, und wer +sonst mit düstern Schlüsseln rasselt. + +Schrecken und umwerfen wirst du sie mit deinem Gelächter; Ohnmacht und +Wachwerden wird deine Macht über sie beweisen. + +Und auch, wenn die lange Dämmerung kommt und die Todesmüdigkeit, wirst +du an unserm Himmel, nicht untergehn, du Fürsprecher des Lebens! + +Neue Sterne liessest du uns sehen und neue Nachtherrlichkeiten; +wahrlich, das Lachen selber spanntest du wie ein buntes Gezelt über +uns. + +Nun wird immer Kindes-Lachen aus Särgen quellen; nun wird immer +siegreich ein starker Wind kommen aller Todesmüdigkeit: dessen bist du +uns selber Bürge und Wahrsager! + +Wahrlich, _sie selber träumtest du_, deine Feinde: das war dein +schwerster Traum! + +Aber wie du von ihnen aufwachtest und zu dir kamst, also sollen sie +selber von sich aufwachen—und zu dir kommen!“— + +So sprach der jünger; und alle Anderen drängten sich nun um Zarathustra +und ergriffen ihn bei den Händen und wollten ihn bereden, dass er vom +Bette und von der Traurigkeit lasse und zu ihnen zurückkehre. +Zarathustra aber sass aufgerichtet auf seinem Lager, und mit fremdem +Blicke. Gleichwie Einer, der aus langer Fremde heimkehrt, sah er auf +seine Jünger und prüfte ihre Gesichter; und noch erkannte er sie nicht. +Als sie aber ihn hoben und auf die Füsse stellten, siehe, da +verwandelte sich mit Einem Male sein Auge; er begriff Alles, was +geschehen war, strich sich den Bart und sagte mit starker Stimme: + +„Wohlan! Diess nun hat seine Zeit; sorgt mir aber dafür, meine jünger, +dass wir eine gute Mahlzeit machen, und in Kürze! Also gedenke ich +Busse zu thun für schlimme Träume! + +Der Wahrsager aber soll an meiner Seite essen und trinken: und +wahrlich, ich will ihm noch ein Meer zeigen, in dem er ertrinken kann!“ + +Also sprach Zarathustra. Darauf aber blickte er dem jünger, welcher den +Traumdeuter abgegeben hatte, lange in’s Gesicht und schüttelte dabei +den Kopf. - + + +Von der Erlösung + +Als Zarathustra eines Tags über die grosse Brücke gieng, umringten ihn +die Krüppel und Bettler, und ein Bucklichter redete also zu ihm: + +„Siehe, Zarathustra! Auch das Volk lernt von dir und gewinnt Glauben an +deine Lehre: aber dass es ganz dir glauben soll, dazu bedarf es noch +Eines—du musst erst noch uns Krüppel überreden! Hier hast du nun eine +schöne Auswahl und wahrlich, eine Gelegenheit mit mehr als Einem +Schopfe! Blinde kannst du heilen und Lahme laufen machen; und Dem, der +zuviel hinter sich hat, könntest du wohl auch ein Wenig abnehmen:—das, +meine ich, wäre die rechte Art, die Krüppel an Zarathustra glauben zu +machen!“ + +Zarathustra aber erwiderte Dem, der da redete, also: „Wenn man dem +Bucklichten seinen Buckel nimmt, so nimmt man ihm seinen Geist—also +lehrt das Volk. Und wenn man dem Blinden seine Augen giebt, so sieht er +zuviel schlimme Dinge auf Erden: also dass er Den verflucht, der ihn +heilte. Der aber, welcher den Lahmen laufen macht, der thut ihm den +grössten Schaden an: denn kaum kann er laufen, so gehn seine Laster mit +ihm durch—also lehrt das Volk über Krüppel. Und warum sollte +Zarathustra nicht auch vom Volke lernen, wenn das Volk von Zarathustra +lernt? + +Das ist mir aber das Geringste, seit ich unter Menschen bin, dass ich +sehe: „Diesem fehlt ein Auge und jenem ein Ohr und einem Dritten das +Bein, und Andre giebt es, die verloren die Zunge oder die Nase oder den +Kopf.“ + +Ich sehe und sah Schlimmeres und mancherlei so Abscheuliches, dass ich +nicht von Jeglichem reden und von Einigem nicht einmal schweigen +möchte: nämlich Menschen, denen es an Allem fehlt, ausser dass sie Eins +zuviel haben—Menschen, welche Nichts weiter sind als ein grosses Auge, +oder ein grosses Maul oder ein grosser Bauch oder irgend etwas +Grosses,—umgekehrte Krüppel heisse ich Solche. + +Und als ich aus meiner Einsamkeit kam und zum ersten Male über diese +Brücke gieng: da traute ich meinen Augen nicht und sah hin, und wieder +hin, und sagte endlich: „das ist ein Ohr! Ein Ohr, so gross wie ein +Mensch!“ Ich sah noch besser hin: und wirklich, unter dem Ohre bewegte +sich noch Etwas, das zum Erbarmen klein und ärmlich und schmächtig war. +Und wahrhaftig, das ungeheure Ohr sass auf einem kleinen dünnen +Stiele,—der Stiel aber war ein Mensch! Wer ein Glas vor das Auge nahm, +konnte sogar noch ein kleines neidisches Gesichtchen erkennen; auch, +dass ein gedunsenes Seelchen am Stiele baumelte. Das Volk sagte mir +aber, das grosse Ohr sei nicht nur ein Mensch, sondern ein grosser +Mensch, ein Genie. Aber ich glaubte dem Volke niemals, wenn es von +grossen Menschen redete—und behielt meinen Glauben bei, dass es ein +umgekehrter Krüppel sei, der an Allem zu wenig und an Einem zu viel +habe.“ + +Als Zarathustra so zu dem Bucklichten geredet hatte und zu Denen, +welchen er Mundstück und Fürsprecher war, wandte er sich mit tiefem +Unmuthe zu seinen Jüngern und sagte: + +„Wahrlich, meine Freunde, ich wandle unter den Menschen wie unter den +Bruchstücken und Gliedmaassen von Menschen! + +Diess ist meinem Auge das Fürchterliche, dass ich den Menschen +zertrümmert finde und zerstreuet wie über ein Schlacht- und +Schlächterfeld hin. + +Und flüchtet mein Auge vom Jetzt zum Ehemals: es findet immer das +Gleiche: Bruchstücke und Gliedmaassen und grause Zufälle—aber keine +Menschen! + +Das jetzt und das Ehemals auf Erden—ach! meine Freunde—das, ist _mein_ +Unerträglichstes; und ich wüsste nicht zu leben, wenn ich nicht noch +ein Seher wäre, dessen, was kommen muss. + +Ein Seher, ein Wollender, ein Schaffender, eine Zukunft selber und eine +Brücke zur Zukunft—und ach, auch noch gleichsam ein Krüppel an dieser +Brücke: das Alles ist Zarathustra. + +Und auch ihr fragtet euch oft: „wer ist uns Zarathustra? Wie soll er +uns heissen?“ Und gleich mir selber gabt ihr euch Fragen zur Antwort. + +Ist er ein Versprechender? Oder ein Erfüller? Ein Erobernder? Oder ein +Erbender? Ein Herbst? Oder eine Pflugschar? Ein Arzt? Oder ein +Genesener? + +Ist er ein Dichter? Oder ein Wahrhaftiger? Ein Befreier? Oder ein +Bändiger? Ein Guter? Oder ein Böser? + +Ich wandle unter Menschen als den Bruchstücken der Zukunft: jener +Zukunft, die ich schaue. + +Und das ist all mein Dichten und Trachten, dass ich in Eins dichte und +zusammentragen was Bruchstück ist und Räthsel und grauser Zufall. + +Und wie ertrüge ich es, Mensch zu sein, wenn der Mensch nicht auch +Dichter und Räthselrather und der Erlöser des Zufalls wäre! + +Die Vergangnen zu erlösen und alles „Es war“ umzuschauen in ein „So +wollte ich es!“—das hiesse mir erst Erlösung! + +Wille—so heisst der Befreier und Freudebringer: also lehrte ich euch, +meine Freunde! Und nun lernt diess hinzu: der Wille selber ist noch ein +Gefangener. + +Wollen befreit: aber wie heisst Das, was auch den Befreier noch in +Ketten schlägt? + +„Es war“: also heisst des Willens Zähneknirschen und einsamste Trübsal. +Ohnmächtig gegen Das, was gethan ist—ist er allem Vergangenen ein böser +Zuschauer. + +Nicht zurück kann der Wille wollen; dass er die Zeit nicht brechen kann +und der Zeit Begierde,—das ist des Willens einsamste Trübsal. + +Wollen befreit: was ersinnt sich das Wollen selber, dass es los seiner +Trübsal werde und seines Kerkers spotte? + +Ach, ein Narr wird jeder Gefangene! Närrisch erlöst sich auch der +gefangene Wille. + +Dass die Zeit nicht zurückläuft, das ist sein Ingrimm; „Das, was +war“—so heisst der Stein, den er nicht wälzen kann. + +Und so wälzt er Steine aus Ingrimm und Unmuth und übt Rache an dem, was +nicht gleich ihm Grimm und Unmuth fühlt. + +Also wurde der Wille, der Befreier, ein Wehethäter: und an Allem, was +leiden kann, nimmt er Rache dafür, dass er nicht zurück kann. + +Diess, ja diess allein ist _Rache_ selber: des Willens Widerwille gegen +die Zeit und ihr „Es war.“ + +Wahrlich, eine grosse Narrheit wohnt in unserm Willen; und zum Fluche +wurde es allem Menschlichen, dass diese Narrheit Geist lernte! + +Der Geist der Rache: meine Freunde, das war bisher der Menschen bestes +Nachdenken; und wo Leid war, da sollte immer Strafe sein. + +„Strafe“ nämlich, so heisst sich die Rache selber: mit einem Lügenwort +heuchelt sie sich ein gutes Gewissen. + +Und weil im Wollenden selber Leid ist, darob dass es nicht zurück +wollen kann, —also sollte Wollen selber und alles Leben—Strafe sein! + +Und nun wälzte sich Wolke auf Wolke über den Geist: bis endlich der +Wahnsinn predigte: „Alles vergeht, darum ist Alles werth zu vergehn!“ + +„Und diess ist selber Gerechtigkeit, jenes Gesetz der Zeit, dass sie +ihre Kinder fressen muss“: also predigte der Wahnsinn. + +„Sittlich sind die Dinge geordnet nach Recht und Strafe. Oh wo ist die +Erlösung vom Fluss der Dinge und der Strafe Dasein“? Also predigte der +Wahnsinn. + +„Kann es Erlösung geben, wenn es ein ewiges Recht giebt? Ach, unwälzbar +ist der Stein „Es war“: ewig müssen auch alle Strafen sein!“ Also +predigte der Wahnsinn. + +„Keine That kann vernichtet werden: wie könnte sie durch die Strafe +ungethan werden! Diess, diess ist das Ewige an der Strafe „Dasein“, +dass das Dasein auch ewig wieder That und Schuld sein muss! + +Es sei denn, dass der Wille endlich sich selber erlöste und Wollen zu +Nicht-Wollen würde—“: doch ihr kennt, meine Brüder, diess Fabellied des +Wahnsinns! + +Weg führte ich euch von diesen Fabelliedern, als ich euch lehrte: „der +Wille ist ein Schaffender.“ + +Alles „Es war“ ist ein Bruchstück, ein Räthsel, ein grauser Zufall—bis +der schaffende Wille dazu sagt: „aber so wollte ich es!“ + +Bis der schaffende Wille dazu sagt: „Aber so will ich es! So werde +ich’s wollen!“ + +Aber sprach er schon so? Und wann geschieht diess? Ist der Wille schon +abgeschirrt von seiner eignen Thorheit? + +Wurde der Wille sich selber schon Erlöser und Freudebringer? Verlernte +er den Geist der Rache und alles Zähneknirschen? + +Und wer lehrte ihn Versöhnung mit der Zeit, und Höheres als alle +Versöhnung ist? + +Höheres als alle Versöhnung muss der Wille wollen, welcher der Wille +zur Macht ist—: doch wie geschieht ihm das? Wer lehrte ihn auch noch +das Zurückwollen?“ + +—Aber an dieser Stelle seiner Rede geschah es, dass Zarathustra +plötzlich innehielt und ganz einem Solchen gleich sah, der auf das +Äusserste erschrickt. Mit erschrecktem Auge blickte er auf seine +Jünger; sein Auge durchbohrte wie mit Pfeilen ihre Gedanken und +Hintergedanken. Aber nach einer kleinen Weile lachte er schon wieder +und sagte begütigt: + +„Es ist schwer, mit Menschen zu leben, weil Schweigen so schwer ist. +Sonderlich für einen Geschwätzigen.“— + +Also sprach Zarathustra. Der Bucklichte aber hatte dem Gespräche +zugehört und sein Gesicht dabei bedeckt; als er aber Zarathustra lachen +hörte, blickte er neugierig auf und sagte langsam: + +„Aber warum redet Zarathustra anders zu uns als zu seinen Jüngern?“ + +Zarathustra antwortete: „Was ist da zum Verwundern! Mit Bucklichten +darf man schon bucklicht reden!“ + +„Gut, sagte der Bucklichte; und mit Schülern darf man schon aus der +Schule schwätzen. + +Aber warum redet Zarathustra anders zu seinen Schülern—als zu sich +selber?“— + + +Von der Menschen-Klugheit + +Nicht die Höhe: der Abhang ist das Furchtbare! + +Der Abhang, wo der Blick _hinunter_ stürzt und die Hand _hinauf_ +greift. Da schwindelt dem Herzen vor seinem doppelten Willen. + +Ach, Freunde, errathet ihr wohl auch meines Herzens doppelten Willen? + +Das, Das ist _mein_ Abhang und meine Gefahr, dass mein Blick in die +Höhe stürzt, und dass meine Hand sich halten und stützen möchte—an der +Tiefe! + +An den Menschen klammert sich mein Wille, mit Ketten binde ich mich an +den Menschen, weil es mich hinauf reisst zum Obermenschen: denn dahin +will mein andrer Wille. + +Und _dazu_ lebe ich blind unter den Menschen; gleich als ob ich sie +nicht kennte: dass meine Hand ihren Glauben an Festes nicht ganz +verliere. + +Ich kenne euch Menschen nicht: diese Finsterniss und Tröstung ist oft +um mich gebreitet. + +Ich sitze am Thorwege für jeden Schelm und frage: wer will mich +betrügen? + +Das ist meine erste Menschen-Klugheit, dass ich mich betrügen lasse, um +nicht auf der Hut zu sein vor Betrügern. + +Ach, wenn ich auf der Hut wäre vor dem Menschen: wie könnte meinem +Balle der Mensch ein Anker sein! Zu leicht risse es mich hinauf und +hinweg! + +Diese Vorsehung ist über meinem Schicksal, dass ich ohne Vorsicht sein +muss. + +Und wer unter Menschen nicht verschmachten will, muss lernen, aus allen +Gläsern zu trinken; und wer unter Menschen rein bleiben will, muss +verstehn, sich auch mit schmutzigem Wasser zu waschen. + +Und also sprach ich oft mir zum Troste: „Wohlan! Wohlauf! Altes Herz! +Ein Unglück missrieth dir: geniesse diess als dein—Glück!“ + +Diess aber ist meine andre Menschen-Klugheit: ich schone die _Eitlen_ +mehr als die Stolzen. + +Ist nicht verletzte Eitelkeit die Mutter aller Trauerspiele? Wo aber +Stolz verletzt wird, da wächst wohl etwas Besseres noch, als Stolz ist. + +Damit das Leben gut anzuschaun sei, muss sein Spiel gut gespielt +werden: dazu aber bedarf es guter Schauspieler. + +Gute Schauspieler fand ich alle Eitlen: sie spielen und wollen, dass +ihnen gern zugeschaut werde,—all ihr Geist ist bei diesem Willen. + +Sie führen sich auf, sie erfinden sich; in ihrer Nähe liebe ich’s, dem +Leben zuzuschaun,—es heilt von der Schwermuth. + +Darum schone ich die Eitlen, weil sie mir Arzte sind meiner Schwermuth +und mich am Menschen fest halten als an einem Schauspiele. + +Und dann: wer ermisst am Eitlen die ganze Tiefe seiner Bescheidenheit! +Ich bin ihm gut und mitleidig ob seiner Bescheidenheit. + +Von euch will er seinen Glauben an sich lernen; er nährt sich an euren +Blicken, er frisst das Lob aus euren Händen. + +Euren Lügen glaubt er noch, wenn ihr gut über ihn lügt: denn im +Tiefsten seufzt sein Herz: „was bin _ich_!“ + +Und wenn das die rechte Tugend ist, die nicht um sich selber weiss: +nun, der Eitle weiss nicht um seine Bescheidenheit!— + +Das ist aber meine dritte Menschen-Klugheit, dass ich mir den Anblick +der Bösen nicht verleiden lasse durch eure Furchtsamkeit. + +Ich bin selig, die Wunder zu sehn, welche heisse Sonne ausbrütet: Tiger +und Palmen und Klapperschlangen. + +Auch unter Menschen giebt es schöne Brut heisser Sonne und viel +Wunderwürdiges an den Bösen. + +Zwar, wie eure Weisesten mir nicht gar so weise erschienen: so fand ich +auch der Menschen Bosheit unter ihrem Rufe. + +Und oft fragte ich mit Kopfschütteln: Warum noch klappern, ihr +Klapperschlangen? + +Wahrlich, es giebt auch für das Böse noch eine Zukunft! Und der +heisseste Süden ist noch nicht entdeckt für den Menschen. + +Wie Manches heisst jetzt schon ärgste Bosheit, was doch nur zwölf +Schuhe breit und drei Monate lang ist! Einst aber werden grössere +Drachen zur Welt kommen. + +Denn dass dem Übermenschen sein Drache nicht fehle, der Über-Drache, +der seiner würdig ist: dazu muss viel heisse Sonne noch auf feuchten +Urwald glühen! + +Aus euren Wildkatzen müssen erst Tiger geworden sein und aus euren +Giftkröten Krokodile: denn der gute Jäger soll eine gute Jagd haben! + +Und wahrlich, ihr Guten und Gerechten! An euch ist Viel zum Lachen und +zumal eure Furcht vor dem, was bisher „Teufel“ hiess! + +So fremd seid ihr dem Grossen mit eurer Seele, dass euch der Übermensch +_furchtbar_ sein würde in seiner Güte! + +Und ihr Weisen und Wissenden, ihr würdet vor dem Sonnenbrande der +Weisheit flüchten, in dem der Übermensch mit Lust seine Nacktheit +badet! + +Ihr höchsten Menschen, denen mein Auge begegnete! das ist mein Zweifel +an euch und mein heimliches Lachen: ich rathe, ihr würdet meinen +Übermenschen—Teufel heissen! + +Ach, ich ward dieser Höchsten und Besten müde: aus ihrer „Höhe“ +verlangte mich hinauf, hinaus, hinweg zu dem Übermenschen! + +Ein Grausen überfiel mich, als ich diese Besten nackend sah: da wuchsen +mir die Flügel, fortzuschweben in ferne Zukünfte. + +In fernere Zukünfte, in südlichere Süden, als je ein Bildner träumte: +dorthin, wo Götter sich aller Kleider schämen! + +Aber verkleidet will ich _euch_ sehn, ihr Nächsten und Mitmenschen, und +gut geputzt, und eitel, und würdig, als „die Guten und Gerechten,“— + +Und verkleidet will ich selber unter euch sitzen,—dass ich euch und +mich _verkenne_: das ist nämlich meine letzte Menschen-Klugheit. + +Also sprach Zarathustra. + + +Die stillste Stunde + +„Was geschah mir, meine Freunde? Ihr seht mich verstört, fortgetrieben, +unwillig-folgsam, bereit zu gehen—ach, von _euch_ fortzugehen! + +Ja, noch Ein Mal muss Zarathustra in seine Einsamkeit: aber unlustig +geht diessmal der Bär zurück in seine Höhle! + +Was geschah mir? Wer gebeut diess?—Ach, meine zornige Herrin will es +so, sie sprach zu mir: nannte ich je euch schon ihren Namen? + +Gestern gen Abend sprach zu mir _meine stillste Stunde_: das ist der +Name meiner furchtbaren Herrin. + +Und so geschah’s,—denn Alles muss ich euch sagen, dass euer Herz sich +nicht verhärte gegen den plötzlich Scheidenden! + +Kennt ihr den Schrecken des Einschlafenden?— + +Bis in die Zehen hinein erschrickt er, darob, dass ihm der Boden weicht +und der Traum beginnt. + +Dieses sage ich euch zum Gleichniss. Gestern, zur stillsten Stunde, +wich mir der Boden: der Traum begann. + +Der Zeiger rückte, die Uhr meines Lebens holte Athem—nie hörte ich +solche Stille um mich: also dass mein Herz erschrak. + +Dann sprach es ohne Stimme zu mir: „Du weisst es, Zarathustra?“— + +Und ich schrie vor Schrecken bei diesem Flüstern, und das Blut wich aus +meinem Gesichte: aber ich schwieg. + +Da sprach es abermals ohne Stimme zu mir: „Du weisst es, Zarathustra, +aber du redest es nicht!“— + +Und ich antwortete endlich gleich einem Trotzigen: „Ja, ich weiss es, +aber ich will es nicht reden!“ + +Da sprach es wieder ohne Stimme zu mir: „Du _willst_ nicht, +Zarathustra? Ist diess auch wahr? Verstecke dich nicht in deinen +Trotz!“— + +Und ich weinte und zitterte wie ein Kind und sprach: „Ach, ich wollte +schon, aber wie kann ich es! Erlass mir diess nur! Es ist über meine +Kraft!“ + +Da sprach es wieder ohne Stimme zu mir: „Was liegt an dir, Zarathustra! +Sprich dein Wort und zerbrich!“— + +Und ich antwortete: „Ach, ist es _mein_ Wort? Wer bin ich? Ich warte +des Würdigeren; ich bin nicht werth, an ihm auch nur zu zerbrechen.“ + +Da sprach es wieder ohne Stimme zu mir: „Was liegt an dir? Du bist mir +noch nicht demüthig genug. Die Demuth hat das härteste Fell.“— + +Und ich antwortete: „Was trug nicht schon das Fell meiner Demuth! Am +Fusse wohne ich meiner Höhe: wie hoch meine Gipfel sind? Niemand sagte +es mir noch. Aber gut kenne ich meine Thäler.“ + +Da sprach es wieder ohne Stimme zu mir: „Oh Zarathustra, wer Berge zu +versetzen hat, der versetzt auch Thäler und Niederungen.“— + +Und ich antwortete: „Noch versetzte mein Wort keine Berge, und was ich +redete, erreichte die Menschen nicht. Ich gieng wohl zu den Menschen, +aber noch langte ich nicht bei ihnen an.“ + +Da sprach es wieder ohne Stimme zu mir: „Was weisst du _davon_! Der +Thau fällt auf das Gras, wenn die Nacht am verschwiegensten ist.“— + +Und ich antwortete: „sie verspotteten mich, als ich meinen eigenen Weg +fand und gieng; und in Wahrheit zitterten damals meine Füsse.“ + +Und so sprachen sie zu mir: „du verlerntest den Weg, nun verlernst du +auch das Gehen!“ + +Da sprach es wieder ohne Stimme zu mir: „Was liegt an ihrem Spotte! Du +bist Einer, der das Gehorchen verlernt hat: nun sollst du befehlen! + +Weisst du nicht, _wer_ Allen am nöthigsten thut? Der Grosses befiehlt. + +Grosses vollführen ist schwer: aber das Schwerere ist, Grosses +befehlen. + +Das ist dein Unverzeihlichstes: du hast die Macht, und du willst nicht +herrschen.“— + +Und ich antwortete: „Mir fehlt des Löwen Stimme zu allem Befehlen.“ + +Da sprach es wieder wie ein Flüstern zu mir: „Die stillsten Worte sind +es, welche den Sturm bringen. Gedanken, die mit Taubenfüssen kommen, +lenken die Welt. + +Oh Zarathustra, du sollst gehen als ein Schatten dessen, was kommen +muss: so wirst du befehlen und befehlend vorangehen.“— + +Und ich antwortete: „Ich schäme mich.“ + +Da sprach es wieder ohne Stimme zu mir: „Du musst noch Kind werden und +ohne Scham. + +Der Stolz der Jugend ist noch auf dir, spät bist du jung geworden: aber +wer zum Kinde werden will, muss auch noch seine Jugend überwinden.“— + +Und ich besann mich lange und zitterte. Endlich aber sagte ich, was ich +zuerst sagte: „Ich will nicht.“ + +Da geschah ein Lachen um mich. Wehe, wie diess Lachen mir die +Eingeweide zerriss und das Herz aufschlitzte! + +Und es sprach zum letzten Male zu mir: „Oh Zarathustra, deine Früchte +sind reif, aber du bist nicht reif für deine Früchte! + +So musst du wieder in die Einsamkeit: denn du sollst noch mürbe +werden.“— + +Und wieder lachte es und floh: dann wurde es stille um mich wie mit +einer zwiefachen Stille. Ich aber lag am Boden, und der Schweiss floss +mir von den Gliedern. + +—Nun hörtet ihr Alles, und warum ich in meine Einsamkeit zurück muss. +Nichts verschwieg ich euch, meine Freunde. + +Aber auch diess hörtet ihr von mir, _wer_ immer noch aller Menschen +Verschwiegenster ist—und es sein will! + +Ach meine Freunde! Ich hätte euch noch Etwas zu sagen, ich hätte euch +noch Etwas zu geben! Warum gebe ich es nicht? Bin ich denn geizig?“— + +Als Zarathustra aber diese Worte gesprochen hatte, überfiel ihn die +Gewalt des Schmerzes und die Nähe des Abschieds von seinen Freunden, +also dass er laut weinte; und Niemand wusste ihn zu trösten. Des Nachts +aber gieng er allein fort und verliess seine Freunde. + + +Dritter Theil + +„Ihr seht nach Oben, wenn ihr nach Erhebung verlangt. Und ich sehe +hinab, weil ich erhoben bin. + Wer von euch kann zugleich lachen und erhoben sein? + Wer auf den höchsten Bergen steigt, der lacht über alle + Trauer-Spiele und Trauer-Ernste.“ + +Zarathustra, vom Lesen und Schreiben. + + +Der Wanderer + +Um Mitternacht war es, da nahm Zarathustra seinen Weg über den Rücken +der Insel, dass er mit dem frühen Morgen an das andre Gestade käme: +denn dort wollte er zu Schiff steigen. Es gab nämlich allda eine gute +Rhede, an der auch fremde Schiffe gern vor Anker giengen; die nahmen +Manchen mit sich, der von den glückseligen Inseln über das Meer wollte. +Als nun Zarathustra so den Berg hinanstieg, gedachte er unterwegs des +vielen einsamen Wanderns von Jugend an, und wie viele Berge und Rücken +und Gipfel er schon gestiegen sei. + +Ich bin ein Wanderer und ein Bergsteiger, sagte er zu seinem Herzen, +ich liebe die Ebenen nicht und es scheint, ich kann nicht lange still +sitzen. + +Und was mir nun auch noch als Schicksal und Erlebniss komme,—ein +Wandern wird darin sein und ein Bergsteigen: man erlebt endlich nur +noch sich selber. + +Die Zeit ist abgeflossen, wo mir noch Zufälle begegnen durften; und was +_könnte_ jetzt noch zu mir fallen, was nicht schon mein Eigen wäre! + +Es kehrt nur zurück, es kommt mir endlich heim—mein eigen Selbst, und +was von ihm lange in der Fremde war und zerstreut unter alle Dinge und +Zufälle. + +Und noch Eins weiss ich: ich stehe jetzt vor meinem letzten Gipfel und +vor dem, was mir am längsten aufgespart war. Ach, meinen härtesten Weg +muss ich hinan! Ach, ich begann meine einsamste Wanderung! + +Wer aber meiner Art ist, der entgeht einer solchen Stunde nicht: der +Stunde, die zu ihm redet: „Jetzo erst gehst du deinen Weg der Grösse! +Gipfel und Abgrund—das ist jetzt in Eins beschlossen! + +Du gehst deinen Weg der Grösse: nun ist deine letzte Zuflucht worden, +was bisher deine letzte Gefahr hiess! + +Du gehst deinen Weg der Grösse: das muss nun dein bester Muth sein, +dass es hinter dir keinen Weg mehr giebt! + +Du gehst deinen Weg der Grösse; hier soll dir Keiner nachschleichen! +Dein Fuss selber löschte hinter dir den Weg aus, und über ihm steht +geschrieben: Unmöglichkeit. + +Und wenn dir nunmehr alle Leitern fehlen, so musst du verstehen, noch +auf deinen eigenen Kopf zu steigen: wie wolltest du anders aufwärts +steigen? + +Auf deinen eigenen Kopf und hinweg über dein eigenes Herz! Jetzt muss +das Mildeste an dir noch zum Härtesten werden. + +Wer sich stets viel geschont hat, der kränkelt zuletzt an seiner vielen +Schonung. Gelobt sei, was hart macht! Ich lobe das Land nicht, wo +Butter und Honig—fliesst! + +Von sich _absehn_ lernen ist nöthig, um _Viel_ zu sehn:—diese Härte +thut jedem Berge-Steigenden Noth. + +Wer aber mit den Augen zudringlich ist als Erkennender, wie sollte der +von allen Dingen mehr als ihre vorderen Gründe sehn! + +Du aber, oh Zarathustra, wolltest aller Dinge Grund schaun und +Hintergrund: so musst du schon über dich selber steigen,—hinan, hinauf, +bis du auch deine Sterne noch _unter_ dir hast! + +Ja! Hinab auf mich selber sehn und noch auf meine Sterne: das erst +hiesse mir mein _Gipfel_, das blieb mir noch zurück als mein _letzter_ +Gipfel!—“ + +Also sprach Zarathustra im Steigen zu sich, mit harten Sprüchlein sein +Herz tröstend: denn er war wund am Herzen wie noch niemals zuvor. Und +als er auf die Höhe des Bergrückens kam, siehe, da lag das andere Meer +vor ihm ausgebreitet: und er stand still und schwieg lange. Die Nacht +aber war kalt in dieser Höhe und klar und hellgestirnt. + +Ich erkenne mein Loos, sagte er endlich mit Trauer. Wohlan! Ich bin +bereit. Eben begann meine letzte Einsamkeit. + +Ach, diese schwarze traurige See unter mir! Ach, diese schwangere +nächtliche Verdrossenheit! Ach, Schicksal und See! Zu euch muss ich nun +_hinab_ steigen! + +Vor meinem höchsten Berge stehe ich und vor meiner längsten Wanderung: +darum muss ich erst tiefer hinab als ich jemals stieg: + +—tiefer hinab in den Schmerz als ich jemals stieg, bis hinein in seine +schwärzeste Fluth! So will es mein Schicksal: Wohlan! Ich bin bereit. + +Woher kommen die höchsten Berge? so fragte ich einst. Da lernte ich, +dass sie aus dem Meere kommen. + +Diess Zeugniss ist in ihr Gestein geschrieben und in die Wände ihrer +Gipfel. Aus dem Tiefsten muss das Höchste zu seiner Höhe kommen.— + +Also sprach Zarathustra auf der Spitze des Berges, wo es kalt war; als +er aber in die Nähe des Meeres kam und zuletzt allein unter den Klippen +stand, da war er unterwegs müde geworden und sehnsüchtiger als noch +zuvor. + +Es schläft jetzt Alles noch, sprach er; auch das Meer schläft. +Schlaftrunken und fremd blickt sein Auge nach mir. + +Aber es athmet warm, das fühle ich. Und ich fühle auch, dass es träumt. +Es windet sieh träumend auf harten Kissen. + +Horch! Horch! Wie es stöhnt von bösen Erinnerungen! Oder bösen +Erwartungen? + +Ach, ich bin traurig mit dir, du dunkles Ungeheuer, und mir selber noch +gram um deinetwillen. + +Ach, dass meine Hand nicht Stärke genug hat! Gerne, wahrlich, möchte +ich dich von bösen Träumen erlösen!— + +Und indem Zarathustra so sprach, lachte er mit Schwermuth und +Bitterkeit über sich selber. „Wie! Zarathustra! sagte er, willst du +noch dem Meere Trost singen? + +Ach, du liebreicher Narr Zarathustra, du Vertrauens-Überseliger! Aber +so warst du immer: immer kamst du vertraulich zu allem Furchtbaren. + +Jedes Ungethüm wolltest du noch streicheln. Ein Hauch warmen Athems, +ein Wenig weiches Gezottel an der Tatze—: und gleich warst du bereit, +es zu lieben und zu locken. + +Die _Liebe_ ist die Gefahr des Einsamsten, die Liebe zu Allem, wenn es +nur lebt! Zum Lachen ist wahrlich meine Narrheit und meine +Bescheidenheit in der Liebe!“— + +Also sprach Zarathustra und lachte dabei zum andern Male: da aber +gedachte er seiner verlassenen Freunde—, und wie als ob er sich mit +seinen Gedanken an ihnen vergangen habe, zürnte er sich ob seiner +Gedanken. Und alsbald geschah es, dass der Lachende weinte:—vor Zorn +und Sehnsucht weinte Zarathustra bitterlich. + + +Vom Gesicht und Räthsel + +1. + +Als es unter den Schiffsleuten ruchbar wurde, dass Zarathustra auf dem +Schiffe sei,—denn es war ein Mann zugleich mit ihm an Bord gegangen, +der von den glückseligen Inseln kam—da entstand eine grosse Neugierde +und Erwartung. Aber Zarathustra schwieg zwei Tage und war kalt und taub +vor Traurigkeit, also, dass er weder auf Blicke noch auf Fragen +antwortete. Am Abende aber des zweiten Tages that er seine Ohren wieder +auf, ob er gleich noch schwieg: denn es gab viel Seltsames und +Gefährliches auf diesem Schiffe anzuhören, welches weither kam und noch +weiterhin wollte. Zarathustra aber war ein Freund aller Solchen, die +weite Reisen thun und nicht ohne Gefahr leben mögen. Und siehe! zuletzt +wurde ihm im Zuhören die eigne Zunge gelöst, und das Eis seines Herzens +brach: —da begann er also zu reden: + +Euch, den kühnen Suchern, Versuchern, und wer je sich mit listigen +Segeln auf furchtbare Meere einschiffte,— + +euch, den Räthsel-Trunkenen, den Zwielicht-Frohen, deren Seele mit +Flöten zu jedem Irr-Schlunde gelockt wird: + +—denn nicht wollt ihr mit feiger Hand einem Faden nachtasten; und, wo +ihr _errathen_ könnt, da hasst ihr es, zu _erschliessen_— + +euch allein erzähle ich das Räthsel, das ich _sah_,—das Gesicht des +Einsamsten.— + +Düster gierig ich jüngst durch leichenfarbne Dämmerung,—düster und +hart, mit gepressten Lippen. Nicht nur Eine Sonne war mir +untergegangen. + +Ein Pfad, der trotzig durch Geröll stieg, ein boshafter, einsamer, dem +nicht Kraut, nicht Strauch mehr zusprach: ein Bergpfad knirschte unter +dem Trotz meines Fusses. + +Stumm über höhnischem Geklirr von Kieseln schreitend, den Stein +zertretend, der ihn gleiten liess: also zwang mein Fuss sich aufwärts. + +Aufwärts:—dem Geiste zum Trotz, der ihn abwärts zog, abgrundwärts zog, +dem Geiste der Schwere, meinem Teufel und Erzfeinde. + +Aufwärts:—obwohl er auf mir sass, halb Zwerg, halb Maulwurf; lahm; +lähmend; Blei durch mein Ohr, Bleitropfen-Gedanken in mein Hirn +träufelnd. + +„Oh Zarathustra, raunte er höhnisch Silb’ um Silbe, du Stein der +Weisheit! Du warfst dich hoch, aber jeder geworfene Stein muss—fallen! + +Oh Zarathustra, du Stein der Weisheit, du Schleuderstein, du +Stern-Zertrümmerer! Dich selber warfst du so hoch,—aber jeder geworfene +Stein - muss fallen! + +Verurtheilt zu dir selber und zur eignen Steinigung: oh Zarathustra, +weit warfst du ja den Stein,—aber auf _dich_ wird er zurückfallen!“ + +Drauf schwieg der Zwerg; und das währte lange. Sein Schweigen aber +drückte mich; und solchermaassen zu Zwein ist man wahrlich einsamer als +zu Einem! + +Ich stieg, ich stieg, ich träumte, ich dachte,—aber Alles drückte mich. +Einem Kranken glich ich, den seine schlimme Marter müde macht, und den +wieder ein schlimmerer Traum aus dem Einschlafen weckt.— + +Aber es giebt Etwas in mir, das ich Muth heisse: das schlug bisher mir +jeden Unmuth todt. Dieser Muth hiess mich endlich stille stehn und +sprechen: „Zwerg! Du! Oder ich!“— + +Muth nämlich ist der beste Todtschläger,—Muth, welcher _angreift_: denn +in jedem Angriffe ist klingendes Spiel. + +Der Mensch aber ist das muthigste Thier: damit überwand er jedes Thier. +Mit klingendem Spiele überwand er noch jeden Schmerz; Menschen-Schmerz +aber ist der tiefste Schmerz. + +Der Muth schlägt auch den Schwindel todt an Abgründen: und wo stünde +der Mensch nicht an Abgründen! Ist Sehen nicht selber—Abgründe sehen? + +Muth ist der beste Todtschläger: der Muth schlägt auch das Mitleiden +todt. Mitleiden aber ist der tiefste Abgrund: so tief der Mensch in das +Leben sieht, so tief sieht er auch in das Leiden. + +Muth aber ist der beste Todtschläger, Muth, der angreift: der schlägt +noch den Tod todt, denn er spricht: „War _das_ das Leben? Wohlan! Noch +Ein Mal!“ + +In solchem Spruche aber ist viel klingendes Spiel. Wer Ohren hat, der +höre.— + +2. + +„Halt! Zwerg! sprach ich. Ich! Oder du! Ich aber bin der Stärkere von +uns Beiden—: du kennst meinen abgründlichen Gedanken nicht! +_Den_—könntest du nicht tragen!“— + +Da geschah, was mich leichter machte: denn der Zwerg sprang mir von der +Schulter, der Neugierige! Und er hockte sich auf einen Stein vor mich +hin. Es war aber gerade da ein Thorweg, wo wir hielten. + +„Siehe diesen Thorweg! Zwerg! sprach ich weiter: der hat zwei +Gesichter. Zwei Wege kommen hier zusammen: die gieng noch Niemand zu +Ende. + +Diese lange Gasse zurück: die währt eine Ewigkeit. Und jene lange Gasse +hinaus —das ist eine andre Ewigkeit. + +Sie widersprechen sich, diese Wege; sie stossen sich gerade vor den +Kopf:—und hier, an diesem Thorwege, ist es, wo sie zusammen kommen. Der +Name des Thorwegs steht oben geschrieben: „Augenblick“. + +Aber wer Einen von ihnen weiter gienge—und immer weiter und immer +ferner: glaubst du, Zwerg, dass diese Wege sich ewig widersprechen?“— + +„Alles Gerade lügt, murmelte verächtlich der Zwerg. Alle Wahrheit ist +krumm, die Zeit selber ist ein Kreis.“ + +„Du Geist der Schwere! sprach ich zürnend, mache dir es nicht zu +leicht! Oder ich lasse dich hocken, wo du hockst, Lahmfuss,—und ich +trug dich _hoch_! + +Siehe, sprach ich weiter, diesen Augenblick! Von diesem Thorwege +Augenblick läuft eine lange ewige Gasse _rückwärts_ hinter uns liegt +eine Ewigkeit. + +Muss nicht, was laufen _kann_ von allen Dingen, schon einmal diese +Gasse gelaufen sein? Muss nicht, was geschehn _kann_ von allen Dingen, +schon einmal geschehn, gethan, vorübergelaufen sein? + +Und wenn Alles schon dagewesen ist: was hältst du Zwerg von diesem +Augenblick? Muss auch dieser Thorweg nicht schon—dagewesen sein? + +Und sind nicht solchermaassen fest alle Dinge verknotet, dass dieser +Augenblick _alle_ kommenden Dinge nach sich zieht? _Also_—- sich selber +noch? + +Denn, was laufen _kann_ von allen Dingen: auch in dieser langen Gasse +_hinaus_—_muss_ es einmal noch laufen!— + +Und diese langsame Spinne, die im Mondscheine kriecht, und dieser +Mondschein selber, und ich und du im Thorwege, zusammen flüsternd, von +ewigen Dingen flüsternd—müssen wir nicht Alle schon dagewesen sein? + +—und wiederkommen und in jener anderen Gasse laufen, hinaus, vor uns, +in dieser langen schaurigen Gasse—müssen wir nicht ewig wiederkommen?—“ + +Also redete ich, und immer leiser: denn ich fürchtete mich vor meinen +eignen Gedanken und Hintergedanken. Da, plötzlich, hörte ich einen Hund +nahe _heulen_. + +Hörte ich jemals einen Hund so heulen? Mein Gedanke lief zurück. Ja! +Als ich Kind war, in fernster Kindheit: + +—da hörte ich einen Hund so heulen. Und sah ihn auch, gesträubt, den +Kopf nach Oben, zitternd, in stillster Mitternacht, wo auch Hunde an +Gespenster glauben: + +—also dass es mich erbarmte. Eben nämlich gieng der volle Mond, +todtschweigsam, über das Haus, eben stand er still, eine runde +Gluth,—still auf flachem Dache, gleich als auf fremdem Eigenthume:— + +darob entsetzte sich damals der Hund: denn Hunde glauben an Diebe und +Gespenster. Und als ich wieder so heulen hörte, da erbarmte es mich +abermals. + +Wohin war jetzt Zwerg? und Thorweg? Und Spinne? Und alles Flüstern? +Träumte ich denn? Wachte ich auf? Zwischen wilden Klippen stand ich mit +Einem Male, allein, öde, im ödesten Mondscheine. + +Aber da lag ein Mensch! Und da! Der Hund, springend, gesträubt, +winselnd,—jetzt sah er mich kommen—da heulte er wieder, da _schrie_ +er:—hörte ich je einen Hund so Hülfe schrein? + +Und, wahrlich, was ich sah, desgleichen sah ich nie. Einen jungen +Hirten sah ich, sich windend, würgend, zuckend, verzerrten Antlitzes, +dem eine schwarze schwere Schlange aus dem Munde hieng. + +Sah ich je so viel Ekel und bleiches Grauen auf Einem Antlitze? Er +hatte wohl geschlafen? Da kroch ihm die Schlange in den Schlund—da biss +sie sich fest. + +Meine Hand riss die Schlange und riss:—umsonst! sie riss die Schlange +nicht aus dem Schlunde. Da schrie es aus mir: „Beiss zu! Beiss zu! + +Den Kopf ab! Beiss zu!“—so schrie es aus mir, mein Grauen, mein Hass, +mein Ekel, mein Erbarmen, all mein Gutes und Schlimmes schrie mit Einem +Schrei aus mir.— + +Ihr Kühnen um mich! Ihr Sucher, Versucher, und wer von euch mit +listigen Segeln sich in unerforschte Meere einschiffte! Ihr +Räthsel-Frohen! + +So rathet mir doch das Räthsel, das ich damals schaute, so deutet mir +doch das Gesicht des Einsamsten! + +Denn ein Gesicht war’s und ein Vorhersehn:—_was_ sah ich damals im +Gleichnisse? Und _wer_ ist, der einst noch kommen muss? + +_Wer_ ist der Hirt, dem also die Schlange in den Schlund kroch? _Wer_ +ist der Mensch, dem also alles Schwerste, Schwärzeste in den Schlund +kriechen wird? + +—Der Hirt aber biss, wie mein Schrei ihm rieth; er biss mit gutem +Bisse! Weit weg spie er den Kopf der Schlange—: und sprang empor.— + +Nicht mehr Hirt, nicht mehr Mensch,—ein Verwandelter, ein Umleuchteter, +welcher _lachte_! Niemals noch auf Erden lachte je ein Mensch, wie _er_ +lachte! + +Oh meine Brüder, ich hörte ein Lachen, das keines Menschen Lachen +war,—- und nun frisst ein Durst an mir, eine Sehnsucht, die nimmer +stille wird. + +Meine Sehnsucht nach diesem Lachen frisst an mir: oh wie ertrage ich +noch zu leben! Und wie ertrüge ich’s, jetzt zu sterben!— + +Also sprach Zarathustra. + + +Von der Seligkeit wider Willen + +Mit solchen Räthseln und Bitternissen im Herzen fuhr Zarathustra über +das Meer. Als er aber vier Tagereisen fern war von den glückseligen +Inseln und von seinen Freunden, da hatte er allen seinen Schmerz +überwunden—: siegreich und mit festen Füssen stand er wieder auf seinem +Schicksal. Und damals redete Zarathustra also zu seinem frohlockenden +Gewissen: + +„Allein bin ich wieder und will es sein, allein mit reinem Himmel und +freiem Meere; und wieder ist Nachmittag um mich. + +Des Nachmittags fand ich zum ersten Male einst meine Freunde, des +Nachmittags auch zum anderen Male:—zur Stunde, da alles Licht stiller +wird. + +Denn was von Glück noch unterwegs ist zwischen Himmel und Erde, das +sucht sich nun zur Herberge noch eine lichte Seele: _vor Glück_ ist +alles Licht jetzt stiller worden. + +Oh Nachmittag meines Lebens! Einst stieg auch _mein_ Glück zu Thale, +dass es sich eine Herberge suche: da fand es diese offnen +gastfreundlichen Seelen. + +Oh Nachmittag meines Lebens! Was gab ich nicht hin, dass ich Eins +hätte: diese lebendige Pflanzung meiner Gedanken und diess Morgenlicht +meiner höchsten Hoffnung! + +Gefährten suchte einst der Schaffende und Kinder _seiner_ Hoffnung: und +siehe, es fand sich, dass er sie nicht finden könne, es sei denn, er +schaffe sie selber erst. + +Also bin ich mitten in meinem Werke, zu meinen Kindern gehend und von +ihnen kehrend: um seiner Kinder willen muss Zarathustra sich selbst +vollenden. + +Denn von Grund aus liebt man nur sein Kind und Werk; und wo grosse +Liebe zu sich selber ist, da ist sie der Schwangerschaft Wahrzeichen: +so fand ich’s. + +Noch grünen mir meine Kinder in ihrem ersten Frühlinge, nahe bei +einander stehend und gemeinsam von Winden geschüttelt, die Bäume meines +Gartens und besten Erdreichs. + +Und wahrlich! Wo solche Bäume bei einander stehn, da _sind_ glückselige +Inseln! + +Aber einstmals will ich sie ausheben und einen jeden für sich allein +stellen: dass er Einsamkeit lerne und Trotz und Vorsicht. + +Knorrig und gekrümmt und mit biegsamer Härte soll er mir dann am Meere +dastehn, ein lebendiger Leuchtthurm unbesiegbaren Lebens. + +Dort, wo die Stürme hinab in’s Meer stürzen, und des Gebirgs Rüssel +Wasser trinkt, da soll ein jeder einmal seine Tag- und Nachtwachen +haben, zu _seiner_ Prüfung und Erkenntniss. + +Erkannt und geprüft soll er werden, darauf, ob er meiner Art und +Abkunft ist,—ob er eines langen Willens Herr sei, schweigsam, auch wenn +er redet, und nachgebend also, dass er im Geben _nimmt_:— + +—dass er einst mein Gefährte werde und ein Mitschaffender und +Mitfeiernder Zarathustra’s—: ein Solcher, der mir meinen Willen auf +meine Tafeln schreibt: zu aller Dinge vollerer Vollendung. + +Und um seinetwillen und seines Gleichen muss ich selber _mich_ +vollenden: darum weiche ich jetzt meinem Glücke aus und biete mich +allem Unglücke an—zu _meiner_ letzten Prüfung und Erkenntniss. + +Und wahrlich, Zeit war’s, dass ich gierig; und des Wanderers Schatten +und die längste Weile und die stillste Stunde—alle redeten mir zu: „es +ist höchste Zeit!“ + +Der Wind blies mir durch’s Schlüsselloch und sagte „Komm!“ Die Thür +sprang mir listig auf und sagte „Geh!“ + +Aber ich lag angekettet an die Liebe zu meinen Kindern: das Begehren +legte mir diese Schlinge, das Begehren nach Liebe, dass ich meiner +Kinder Beute würde und mich an sie verlöre. + +Begehren—das heisst mir schon: mich verloren haben. Ich habe euch, +meine Kinder! In diesem Haben soll Alles Sicherheit und Nichts Begehren +sein. + +Aber brütend lag die Sonne meiner Liebe auf mir, im eignen Safte kochte +Zarathustra,—da flogen Schatten und Zweifel über mich weg. + +Nach Frost und Winter gelüstete mich schon: „oh dass Frost und Winter +mich wieder knacken und knirschen machten!“ seufzte ich:—da stiegen +eisige Nebel aus mir auf. + +Meine Vergangenheit brach ihm Gräber, manch lebendig begrabner Schmerz +wachte auf—: ausgeschlafen hatte er sich nur, versteckt in +Leichen-Gewänder. + +Also rief mir Alles in Zeichen zu: „es ist Zeit!“—Aber ich—hörte nicht: +bis endlich mein Abgrund sich rührte und mein Gedanke mich biss. + +Ach, abgründlicher Gedanke, der du _mein_ Gedanke bist! Wann finde ich +die Stärke, dich graben zu hören und nicht mehr zu zittern? + +Bis zur Kehle hinauf klopft mir das Herz, wenn ich dich graben höre! +Dein Schweigen noch will mich würgen, du abgründlich Schweigender! + +Noch wagte ich niemals, dich _herauf_ zu rufen: genug schon, dass ich +dich mit mir—trug! Noch war ich nicht stark genug zum letzten +Löwen-Übermuthe und -Muthwillen. + +Genug des Furchtbaren war mir immer schon deine Schwere: aber einst +soll ich noch die Stärke finden und die Löwen-Stimme, die dich herauf +ruft! + +Wenn ich mich dessen erst überwunden habe, dann will ich mich auch des +Grösseren noch überwinden; und ein _Sieg_ soll meiner Vollendung Siegel +sein!— + +Inzwischen treibe ich noch auf ungewissen Meeren; der Zufall +schmeichelt mir, der glattzüngige; vorwärts und rückwärts schaue ich—, +noch schaue ich kein Ende. + +Noch kam mir die Stunde meines letzten Kampfes nicht,—oder kommt sie +wohl mir eben? Wahrlich, mit tückischer Schönheit schaut mich rings +Meer und Leben an! + +Oh Nachmittag meines Lebens! Oh Glück vor Abend! Oh Hafen auf hoher +See! Oh Friede im Ungewissen! Wie misstraue ich euch Allen! + +Wahrlich, misstrauisch bin ich gegen eure tückische Schönheit! Dem +Liebenden gleiche ich, der allzusammtenem Lächeln misstraut. + +Wie er die Geliebteste vor sich her stösst, zärtlich noch in seiner +Härte, der Eifersüchtige—, also stosse ich diese selige Stunde vor mir +her. + +Hinweg mit dir, du selige Stunde! Mit dir kam mir eine Seligkeit wider +Willen! Willig zu meinem tiefsten Schmerze stehe ich hier:—zur Unzeit +kamst du! + +Hinweg mit dir, du selige Stunde! Lieber nimm Herberge dort—bei meinen +Kindern! Eile! und segne sie vor Abend noch mit _meinem_ Glücke! + +Da naht schon der Abend: die Sonne sinkt. Dahin—mein Glück!—“ + +Also sprach Zarathustra. Und er wartete auf sein Unglück die ganze +Nacht: aber er wartete umsonst. Die Nacht blieb hell und still, und das +Glück selber kam ihm immer näher und näher. Gegen Morgen aber lachte +Zarathustra zu seinem Herzen und sagte spöttisch: „das Glück läuft mir +nach. Das kommt davon, dass ich nicht den Weibern nachlaufe. Das Glück +aber ist ein Weib.“ + + +Vor Sonnen-Aufgang + +Oh Himmel über mir, du Reiner! Tiefer! Du Licht-Abgrund! Dich schauend +schaudere ich vor göttlichen Begierden. + +In deine Höhe mich zu werfen—das ist _meine_ Tiefe! In deine Reinheit +mich zu bergen—das ist _meine_ Unschuld! + +Den Gott verhüllt seine Schönheit: so verbirgst du deine Sterne. Du +redest nicht: _so_ kündest du mir deine Weisheit. + +Stumm über brausendem Meere bist du heut mir aufgegangen, deine Liebe +und deine Scham redet Offenbarung zu meiner brausenden Seele. + +Dass du schön zu mir kamst, verhüllt in deine Schönheit, dass du stumm +zu mir sprichst, offenbar in deiner Weisheit: + +Oh wie erriethe ich nicht alles Schamhafte deiner Seele! _Vor_ der +Sonne kamst du zu mir, dem Einsamsten. + +Wir sind Freunde von Anbeginn: uns ist Gram und Grauen und Grund +gemeinsam; noch die Sonne ist uns gemeinsam. + +Wir reden nicht zu einander, weil wir zu Vieles wissen—: wir schweigen +uns an, wir lächeln uns unser Wissen zu. + +Bist du nicht das Licht zu meinem Feuer? Hast du nicht die +Schwester-Seele zu meiner Einsicht? + +Zusammen lernten wir Alles; zusammen lernten wir über uns zu uns selber +aufsteigen und wolkenlos lächeln:— + +—wolkenlos hinab lächeln aus lichten Augen und aus meilenweiter Ferne, +wenn unter uns Zwang und Zweck und Schuld wie Regen dampfen. + +Und wanderte ich allein: _wes_ hungerte meine Seele in Nächten und +Irr-Pfaden? Und stieg ich Berge, _wen_ suchte ich je, wenn nicht dich, +auf Bergen? + +Und all mein Wandern und Bergsteigen: eine Noth war’s nur und ein +Behelf des Unbeholfenen:—_fliegen_ allein will mein ganzer Wille, in +_dich_ hinein fliegen! + +Und wen hasste ich mehr, als ziehende Wolken und Alles, was dich +befleckt? Und meinen eignen Hass hasste ich noch, weil er dich +befleckte! + +Den ziehenden Wolken bin ich gram, diesen schleichenden Raub-Katzen: +sie nehmen dir und mir, was uns gemein ist,—das ungeheure unbegrenzte +Ja- und Amen-sagen. + +Diesen Mittlern und Mischern sind wir gram, den ziehenden Wolken: +diesen Halb- und Halben, welche weder segnen lernten, noch von Grund +aus fluchen. + +Lieber will ich noch unter verschlossnem Himmel in der Tonne sitzen, +lieber ohne Himmel im Abgrund sitzen, als dich, Licht-Himmel, mit +Zieh-Wolken befleckt sehn! + +Und oft gelüstete mich, sie mit zackichten Blitz-Golddrähten +festzuheften, dass ich, gleich dem Donner, auf ihrem Kessel-Bauche die +Pauke schlüge:— + +—ein zorniger Paukenschläger, weil sie mir dein Ja! und Amen! rauben, +du Himmel über mir, du Reiner! Lichter! Du Licht-Abgrund!—weil sie dir +_mein_ Ja! und Amen! rauben. + +Denn lieber noch will ich Lärm und Donner und Wetter-Flüche, als diese +bedächtige zweifelnde Katzen-Ruhe; und auch unter Menschen hasse ich am +besten alle Leisetreter und Halb- und Halben und zweifelnde, zögernde +Zieh-Wolken. + +Und „wer nicht segnen kann, der soll fluchen _lernen_!“—diese helle +Lehre fiel mir aus hellem Himmel, dieser Stern steht auch noch in +schwarzen Nächten an meinem Himmel. + +Ich aber bin ein Segnender und ein Ja-sager, wenn du nur um mich bist, +du Reiner! Lichter! Du Licht-Abgrund!—in alle Abgründe trage ich da +noch mein segnendes Ja-sagen. + +Zum Segnenden bin ich worden und zum Ja-sagenden: und dazu rang ich +lange und war ein Ringer, dass ich einst die Hände frei bekäme zum +Segnen. + +Das aber ist mein Segnen: über jedwedem Ding als sein eigener Himmel +stehn, als sein rundes Dach, seine azurne Glocke und ewige Sicherheit: +und selig ist, wer also segnet! + +Denn alle Dinge sind getauft am Borne der Ewigkeit und jenseits von Gut +und Böse; Gut und Böse selber aber sind nur Zwischenschatten und +feuchte Trübsale und Zieh-Wolken. + +Wahrlich, ein Segnen ist es und kein Lästern, wenn ich lehre: „über +allen Dingen steht der Himmel Zufall, der Himmel Unschuld, der Himmel +Ohngefähr, der Himmel Übermuth.“ + +„Von Ohngefähr“—das ist der älteste Adel der Welt, den gab ich allen +Dingen zurück, ich erlöste sie von der Knechtschaft unter dem Zwecke. + +Diese Freiheit und Himmels-Heiterkeit stellte ich gleich azurner Glocke +über alle Dinge, als ich lehrte, dass über ihnen und durch sie kein +„ewiger Wille“ —will. + +Diesen Übermuth und diese Narrheit stellte ich an die Stelle jenes +Willens, als ich lehrte: „bei Allem ist Eins unmöglich—Vernünftigkeit!“ + +Ein _Wenig_ Vernunft zwar, ein Same der Weisheit zerstreut von Stern zu +Stern,—dieser Sauerteig ist allen Dingen eingemischt: um der Narrheit +willen ist Weisheit allen Dingen eingemischt! + +Ein Wenig Weisheit ist schon möglich; aber diese selige Sicherheit fand +ich an allen Dingen: dass sie lieber noch auf den Füssen des +Zufalls—_tanzen_. + +Oh Himmel über mir, du Reiner! Hoher! Das ist mir nun deine Reinheit, +dass es keine ewige Vernunft-Spinne und -Spinnennetze giebt:— + +—dass du mir ein Tanzboden bist für göttliche Zufälle, dass du mir ein +Göttertisch bist für göttliche Würfel und Würfelspieler!— + +Doch du erröthest? Sprach ich Unaussprechbares? Lästerte ich, indem ich +dich segnen wollte? + +Oder ist es die Scham zu Zweien, welche dich erröthen machte?—Heissest +du mich gehn und schweigen, weil nun—der _Tag_ kommt? + +Die Welt ist tief—: und tiefer als je der Tag gedacht hat. Nicht Alles +darf vor dem Tage Worte haben. Aber der Tag kommt: so scheiden wir nun! + +Oh Himmel über mir, du Schamhafter! Glühender! Oh du mein Glück vor +Sonnen-Aufgang! Der Tag kommt: so scheiden wir nun!— + +Also sprach Zarathustra. + + +Von der verkleinernden Tugend + +1. + +Als Zarathustra wieder auf dem festen Lande war, gieng er nicht stracks +auf sein Gebirge und seine Höhle los, sondern that viele Wege und +Fragen und erkundete diess und das, also, dass er von sich selber im +Scherze sagte: „siehe einen Fluss, der in vielen Windungen zurück zur +Quelle fliesst!“ Denn er wollte in Erfahrung bringen, was sich +inzwischen _mit dem Menschen_ zugetragen habe: ob er grösser oder +kleiner geworden sei. Und ein Mal sah er eine Reihe neuer Häuser; da +wunderte er sich und sagte: + +„Was bedeuten diese Häuser? Wahrlich, keine grosse Seele stellte sie +hin, sich zum Gleichnisse! + +Nahm wohl ein blödes Kind sie aus seiner Spielschachtel? Dass doch ein +anderes Kind sie wieder in seine Schachtel thäte! + +Und diese Stuben und Kammern: können _Männer_ da aus- und eingehen? +Gemacht dünken sie mich für Seiden-Puppen; oder für Naschkatzen, die +auch wohl an sich naschen lassen.“ + +Und Zarathustra blieb stehn und dachte nach. Endlich sagte er betrübt: +„Es ist _Alles_ kleiner geworden! + +Überall sehe ich niedrigere Thore: wer _meiner_ Art ist, geht da wohl +noch hindurch, aber—er muss sich bücken! + +Oh wann komme ich wieder in meine Heimat, wo ich mich nicht mehr bücken +muss—nicht mehr bücken muss vor den Kleinen!“—Und Zarathustra seufzte +und blickte in die Ferne.— + +Desselbigen Tages aber redete er seine Rede über die verkleinernde +Tugend. + +2. + +Ich gehe durch diess Volk und halte meine Augen offen: sie vergeben mir +es nicht, dass ich auf ihre Tugenden nicht neidisch bin. + +Sie beissen nach mir, weil ich zu ihnen sage: für kleine Leute sind +kleine Tugenden nöthig—und weil es mir hart eingeht, dass kleine Leute +_nöthig_ sind! + +Noch gleiche ich dem Hahn hier auf fremdem Gehöfte, nach dem auch die +Hennen beissen; doch darob bin ich diesen Hennen nicht ungut. + +Ich bin höflich gegen sie wie gegen alles kleine Ärgerniss; gegen das +Kleine stachlicht zu sein dünkt mich eine Weisheit für Igel. + +Sie reden Alle von mir, wenn sie Abends um’s Feuer sitzen,—sie reden +von mir, aber Niemand denkt—an mich! + +Diess ist die neue Stille, die ich lernte: ihr Lärm um mich breitet +einen Mantel über meine Gedanken. + +Sie lärmen unter einander: „was will uns diese düstere Wolke? sehen wir +zu, dass sie uns nicht eine Seuche bringe!“ + +Und jüngst riss ein Weib sein Kind an sich, das zu mir wollte: „nehmt +die Kinder weg! schrie es; solche Augen versengen Kinder-Seelen.“ + +Sie husten, wenn ich rede: sie meinen, Husten sei ein Einwand gegen +starke Winde,—sie errathen Nichts vom Brausen meines Glückes! + +„Wir haben noch keine Zeit für Zarathustra“—so wenden sie ein; aber was +liegt an einer Zeit, die für Zarathustra „keine Zeit hat“? + +Und wenn sie gar mich rühmen: wie könnte ich wohl auf _ihrem_ Ruhme +einschlafen? Ein Stachel-Gürtel ist mir ihr Lob: es kratzt mich noch, +wenn ich es von mir thue. + +Und auch das lernte ich unter ihnen: der Lobende stellt sich, als gäbe +er zurück, in Wahrheit aber will er mehr beschenkt sein! + +Fragt meinen Fuss, ob ihm ihre Lob- und Lock-Weise gefällt! Wahrlich, +nach solchem Takt und Tiktak mag er weder tanzen, noch stille stehn. + +Zur kleinen Tugend möchten sie mich locken und loben; zum Tiktak des +kleinen Glücks möchten sie meinen Fuss überreden. + +Ich gehe durch diess Volk und halte die Augen offen: sie sind _kleiner_ +geworden und werden immer kleiner:—das aber macht ihre Lehre von Glück +und Tugend. + +Sie sind nämlich auch in der Tugend bescheiden—denn sie wollen Behagen. +Mit Behagen aber verträgt sich nur die bescheidene Tugend. + +Wohl lernen auch sie auf ihre Art Schreiten und Vorwärts-Schreiten: das +heisse ich ihr _Humpeln_—. Damit werden sie jedem zum Anstosse, der +Eile hat. + +Und Mancher von ihnen geht vorwärts und blickt dabei zurück, mit +versteiftem Nacken: dem renne ich gern wider den Leib. + +Fuss und Augen sollen nicht lügen, noch sich einander Lügen strafen. +Aber es ist viel Lügnerei bei den kleinen Leuten. + +Einige von ihnen wollen, aber die Meisten werden nur gewollt. Einige +von ihnen sind ächt, aber die Meisten sind schlechte Schauspieler. + +Es giebt Schauspieler wider Wissen unter ihnen und Schauspieler wider +Willen—, die Ächten sind immer selten, sonderlich die ächten +Schauspieler. + +Des Mannes ist hier wenig: darum vermännlichen sich ihre Weiber. Denn +nur wer Mannes genug ist, wird im Weibe _das Weib_—erlösen. + +Und diese Heuchelei fand ich unter ihnen am schlimmsten: dass auch Die, +welche befehlen, die Tugenden Derer heucheln, welche dienen. + +„Ich diene, du dienst, wir dienen“ —so betet hier auch die Heuchelei +der Herrschenden,—und wehe, wenn der erste Herr _nur_ der erste Diener +ist! + +Ach, auch in ihre Heucheleien verflog sich wohl meines Auges Neugier; +und gut errieth ich all ihr Fliegen-Glück und ihr Summen um besonnte +Fensterscheiben. + +Soviel Güte, soviel Schwäche sehe ich. Soviel Gerechtigkeit und +Mitleiden, soviel Schwäche. + +Rund, rechtlich und gütig sind sie mit einander, wie Sandkörnchen rund, +rechtlich und gütig mit Sandkörnchen sind. + +Bescheiden ein kleines Glück umarmen—das heissen sie „Ergebung“! und +dabei schielen sie bescheiden schon nach einem neuen kleinen Glücke +aus. + +Sie wollen im Grunde einfältiglich Eins am meisten: dass ihnen Niemand +wehe thue. So kommen sie jedermann zuvor und thun ihm wohl. + +Diess aber ist _Feigheit_: ob es schon „Tugend“ heisst.— + +Und wenn sie einmal rauh reden, diese kleinen Leute: _ich_ höre darin +nur ihre Heiserkeit,—jeder Windzug nämlich macht sie heiser. + +Klug sind sie, ihre Tugenden haben kluge Finger. Aber ihnen fehlen die +Fäuste, ihre Finger wissen nicht, sich hinter Fäuste zu verkriechen. + +Tugend ist ihnen das, was bescheiden und zahm macht: damit machten sie +den Wolf zum Hunde und den Menschen selber zu des Menschen bestem +Hausthiere. + +„Wir setzten unsern Stuhl in die _Mitte_—das sagt mir ihr +Schmunzeln—und ebenso weit weg von sterbenden Fechtern wie von +vergnügten Säuen.“ + +Diess aber ist—_Mittelmässigkeit_: ob es schon Mässigkeit heisst.— + +3. + +Ich gehe durch diess Volk und lasse manches Wort fallen: aber sie +wissen weder zu nehmen noch zu behalten. + +Sie wundern sich, dass ich nicht kam, auf Lüste und Laster zu lästern; +und wahrlich, ich kam auch nicht, dass ich vor Taschendieben warnte! + +Sie wundern sich, dass ich nicht bereit bin, ihre Klugheit noch zu +witzigen und zu spitzigen: als ob sie noch nicht genug der Klüglinge +hätten, deren Stimme mir gleich Schieferstiften kritzelt! + +Und wenn ich rufe: „Flucht allen feigen Teufeln in euch, die gerne +winseln und Hände falten und anbeten möchten“ : so rufen sie: +„Zarathustra ist gottlos“. + +Und sonderlich rufen es ihre Lehrer der Ergebung—; aber gerade ihnen +liebe ich’s, in das Ohr zu schrein: Ja! Ich _bin_ Zarathustra, der +Gottlose! + +Diese Lehrer der Ergebung! Überall hin, wo es klein und krank und +grindig ist, kriechen sie, gleich Läusen; und nur mein Ekel hindert +mich, sie zu knacken. + +Wohlan! Diess ist meine Predigt für _ihre_ Ohren: ich bin Zarathustra, +der Gottlose, der da spricht „wer ist gottloser denn ich, dass ich mich +seiner Unterweisung freue?“ + +Ich bin Zarathustra, der Gottlose: wo finde ich Meines-Gleichen? Und +alle Die sind Meines-Gleichen, die sich selber ihren Willen geben und +alle Ergebung von sich abthun. + +Ich bin Zarathustra, der Gottlose: ich koche mir noch jeden Zufall in +_meinem_ Topfe. Und erst, wenn er da gar gekocht ist, heisse ich ihn +willkommen, als _meine_ Speise. + +Und wahrlich, mancher Zufall kam herrisch zu mir: aber herrischer noch +sprach zu ihm mein _Wille_,—da lag er schon bittend auf den Knieen— + +—bittend, dass er Herberge finde und Herz bei mir, und schmeichlerisch +zuredend: „sieh doch; oh Zarathustra, wie nur Freund zu Freunde +kommt!“— + +Doch was rede ich, wo Niemand _meine_ Ohren hat! Und so will ich es +hinaus in alle Winde rufen: + +Ihr werdet immer kleiner, ihr kleinen Leute! Ihr bröckelt ab, ihr +Behaglichen! Ihr geht mir noch zu Grunde— + +—an euren vielen kleinen Tugenden, an eurem vielen kleinen Unterlassen, +an eurer vielen kleinen Ergebung! + +Zu viel schonend, zu viel nachgebend: so ist euer Erdreich! Aber dass +ein Baum _gross_ werde, dazu will er um harte Felsen harte Wurzeln +schlagen! + +Auch was ihr unterlasse, webt am Gewebe aller Menschen-Zukunft; auch +euer Nichts ist ein Spinnennetz und eine Spinne, die von der Zukunft +Blute lebt. + +Und wenn ihr nehmt, so ist es wie stehlen, ihr kleinen Tugendhaften; +aber noch unter Schelmen spricht die _Ehre_: „man soll nur stehlen, wo +man nicht rauben kann.“ + +„Es giebt sich“—das ist auch eine Lehre der Ergebung. Aber ich sage +euch, ihr Behaglichen: _es nimmt sich_ und wird immer mehr noch von +euch nehmen! + +Ach, dass ihr alles _halbe_ Wollen von euch abthätet und entschlossen +würdet zur Trägheit wie zur That! + +Ach, dass ihr mein Wort verstündet: „thut immerhin, was ihr wollt,—aber +seid erst Solche, die _wollen können_!“ + +„Liebt immerhin euren Nächsten gleich euch,—aber seid mir erst solche, +die _sich selber lieben_— + +—mit der grossen Liebe lieben, mit der grossen Verachtung lieben!“ Also +spricht Zarathustra, der Gottlose.— + +Doch was rede ich, wo Niemand _meine_ Ohren hat! Es ist hier noch eine +Stunde zu früh für mich. + +Mein eigner Vorläufer bin ich unter diesem Volke, mein eigner +Hahnen-Ruf durch dunkle Gassen. + +Aber _ihre_ Stunde kommt! Und es kommt auch die meine! Stündlich werden +sie kleiner, ärmer, unfruchtbarer,—armes Kraut! armes Erdreich! + +Und _bald_ sollen sie mir dastehn wie dürres Gras und Steppe, und +wahrlich! ihrer selber müde—und mehr, als nach Wasser, nach _Feuer_ +lechzend! + +Oh gesegnete Stunde des Blitzes! Oh Geheimniss vor Mittag!—Laufende +Feuer will ich einst noch aus ihnen machen und Verkünder mit +Flammen-Zungen:— + +—verkünden sollen sie einst noch mit Flammen-Zungen: Er kommt, er ist +nahe, der grosse Mittag! + +Also sprach Zarathustra. + + +Auf dem Ölberge + +Der Winter, ein schlimmer Gast, sitzt bei mir zu Hause; blau sind meine +Hände von seiner Freundschaft Händedruck. + +Ich ehre ihn, diesen schlimmen Gast, aber lasse gerne ihn allein +sitzen. Gerne laufe ich ihm davon; und, läuft man _gut_, so entläuft +man ihm! + +Mit warmen Füssen und warmen Gedanken laufe ich dorthin, wo der Wind +stille steht,—zum Sonnen-Winkel meines Ölbergs. + +Da lache ich meines gestrengen Gastes und bin ihm noch gut, dass er zu +Hause mir die Fliegen wegfängt und vielen kleinen Lärm stille macht. + +Er leidet es nämlich nicht, wenn eine Mücke singen will, oder gar zwei; +noch die Gasse macht er einsam, dass der Mondschein drin Nachts sich +fürchtet. + +Ein harter Gast ist er,—aber ich ehre ihn, und nicht bete ich, gleich +den Zärtlingen, zum dickbäuchichten Feuer-Götzen. + +Lieber noch ein Wenig zähneklappern als Götzen anbeten!—so will’s meine +Art. Und sonderlich bin ich allen brünstigen dampfenden dumpfigen +Feuer-Götzen gram. + +Wen ich liebe, den liebe ich Winters besser als Sommers; besser spotte +ich jetzt meiner Feinde und herzhafter, seit der Winter mir im Hause +sitzt. + +Herzhaft wahrlich, selbst dann noch, wenn ich zu Bett _krieche_—: da +lacht und muthwillt noch mein verkrochenes Glück; es lacht noch mein +Lügen-Traum. + +Ich—ein Kriecher? Niemals kroch ich im Leben vor Mächtigen; und log ich +je, so log ich aus Liebe. Desshalb bin ich froh auch im Winter-Bette. + +Ein geringes Bett wärmt mich mehr als ein reiches, denn ich bin +eifersüchtig auf meine Armuth. Und im Winter ist sie mir am treuesten. + +Mit einer Bosheit beginne ich jeden Tag, ich spotte des Winters mit +einem kalten Bade: darob brummt mein gestrenger Hausfreund. + +Auch kitzle ich ihn gerne mit einem Wachskerzlein: dass er mir endlich +den Himmel herauslasse aus aschgrauer Dämmerung. + +Sonderlich boshaft bin ich nämlich des Morgens: zur frühen Stunde, da +der Eimer am Brunnen klirrt und die Rosse warm durch graue Gassen +wiehern:— + +Ungeduldig warte ich da, dass mir endlich der lichte Himmel aufgehe, +der schneebärtige Winter-Himmel, der Greis und Weisskopf,— + +—der Winter-Himmel, der schweigsame, der oft noch seine Sonne +verschweigt! + +Lernte ich wohl von ihm das lange lichte Schweigen? Oder lernte er’s +von mir? Oder hat ein jeder von uns es selbst erfunden? + +Aller guten Dinge Ursprung ist tausendfältig,—alle guten muthwilligen +Dinge springen vor Lust in’s Dasein: wie sollten sie das immer nur—Ein +Mal thun! + +Ein gutes muthwilliges Ding ist auch das lange Schweigen und gleich dem +Winter-Himmel blicken aus lichtem rundäugichten Antlitze:— + +—gleich ihm seine Sonne verschweigen und seinen unbeugsamen +Sonnen-Willen: wahrlich, diese Kunst und diesen Winter-Muthwillen +lernte ich _gut_! + +Meine liebste Bosheit und Kunst ist es, dass mein Schweigen lernte, +sich nicht durch Schweigen zu verrathen. + +Mit Worten und Würfeln klappernd überliste ich mir die feierlichen +Warter: allen diesen gestrengen Aufpassern soll mein Wille und Zweck +entschlüpfen. + +Dass mir Niemand in meinen Grund und letzten Willen hinab sehe,—dazu +erfand ich mir das lange lichte Schweigen. + +So manchen Klugen fand ich: der verschleierte sein Antlitz und trübte +sein Wasser, dass Niemand ihm hindurch und hinunter sehe. + +Aber zu ihm gerade kamen die klügeren Misstrauer und Nussknacker: ihm +gerade fischte man seinen verborgensten Fisch heraus! + +Sondern die Hellen, die Wackern, die Durchsichtigen—das sind mir die +klügsten Schweiger: denen so _tief_ ihr Grund ist, dass auch das +hellste Wasser ihn nicht—verräth.— + +Du schneebärtiger schweigender Winter-Himmel, du rundäugichter +Weisskopf über mir! Oh du himmlisches Gleichniss meiner Seele und ihres +Muthwillens! + +Und _muss_ ich mich nicht verbergen, gleich Einem, der Gold verschluckt +hat,—dass man mir nicht die Seele aufschlitze? + +_Muss_ ich nicht Stelzen tragen, dass sie meine langen Beine +_übersehen_,—alle diese Neidbolde und Leidholde, die um mich sind? + +Diese räucherigen, stubenwarmen, verbrauchten, vergrünten, vergrämelten +Seelen —wie _könnte_ ihr Neid mein Glück ertragen! + +So zeige ich ihnen nur das Eis und den Winter auf meinen Gipfeln—und +_nicht_, dass mein Berg noch alle Sonnengürtel um sich schlingt! + +Sie hören nur meine Winter-Stürme pfeifen: und _nicht_, dass ich auch +über warme Meere fahre, gleich sehnsüchtigen, schweren, heissen +Südwinden. + +Sie erbarmen sich noch meiner Unfälle und Zufälle:—aber _mein_ Wort +heisst: „lasst den Zufall zu mir kommen: unschuldig ist er, wie ein +Kindlein!“ + +Wie _könnten_ sie mein Glück ertragen, wenn ich nicht Unfälle und +Winter-Nöthe und Eisbären-Mützen und Schneehimmel-Hüllen um mein Glück +legte! + +—wenn ich mich nicht selbst ihres _Mitleids_ erbarmte—des Mitleids +dieser Neidbolde und Leidholde! + +—wenn ich nicht selber vor ihnen seufzte und frostklapperte und mich +geduldsam in ihr Mitleid wickeln _liesse_! + +Diess ist der weise Muthwille und Wohlwille meiner Seele, dass sie +ihren Winter und ihre Froststürme _nicht verbirgt_; sie verbirgt auch +ihre Frostbeulen nicht. + +Des Einen Einsamkeit ist die Flucht des Kranken; des Andern Einsamkeit +die Flucht _vor_ den Kranken. + +Mögen sie mich klappern und seufzen _hören_ vor Winterkälte, alle diese +armen scheelen Schelme um mich! Mit solchem Geseufz und Geklapper +flüchte ich noch vor ihren geheizten Stuben. + +Mögen sie mich bemitleiden und bemitseufzen ob meiner Frostbeulen: „am +Eis der Erkenntniss _erfriert_ er uns noch!“—so klagen sie. + +Inzwischen laufe ich mit warmen Füssen kreuz und quer auf meinem +Ölberge: im Sonnen-Winkel meines Ölberges singe und spotte ich alles +Mitleids.— + +Also sang Zarathustra. + + +Vom Vorübergehen + +Also, durch viel Volk und vielerlei Städte langsam hindurchschreitend, +gierig Zarathustra auf Umwegen zurück zu seinem Gebirge und seiner +Höhle. Und siehe, dabei kam er unversehens auch an das Stadtthor der +_grossen Stadt_: hier aber sprang ein schäumender Narr mit +ausgebreiteten Händen auf ihn zu und trat ihm in den Weg. Diess aber +war der selbige Narr, welchen das Volk „den Affen Zarathustra’s“ hiess: +denn er hatte ihm Etwas vom Satz und Fall der Rede abgemerkt und borgte +wohl auch gerne vom Schatze seiner Weisheit. Der Narr aber redete also +zu Zarathustra: + +„Oh Zarathustra, hier ist die grosse Stadt: hier hast du Nichts zu +suchen und Alles zu verlieren. + +Warum wolltest du durch diesen Schlamm waten? Habe doch Mitleiden mit +deinem Fusse! Speie lieber auf das Stadtthor und—kehre um! + +Hier ist die Hölle für Einsiedler-Gedanken: hier werden grosse Gedanken +lebendig gesotten und klein gekocht. + +Hier verwesen alle grossen Gefühle: hier dürfen nur klapperdürre +Gefühlchen klappern! + +Riechst du nicht schon die Schlachthäuser und Garküchen des Geistes? +Dampft nicht diese Stadt vom Dunst geschlachteten Geistes? + +Siehst du nicht die Seelen hängen wie schlaffe schmutzige Lumpen?—Und +sie machen noch Zeitungen aus diesen Lumpen! + +Hörst du nicht, wie der Geist hier zum Wortspiel wurde? Widriges +Wort-Spülicht bricht er heraus!—Und sie machen noch Zeitungen aus +diesem Wort-Spülicht. + +Sie hetzen einander und wissen nicht, wohin? Sie erhitzen einander und +wissen nicht, warum? Sie klimpern mit ihrem Bleche, sie klingeln mit +ihrem Golde. + +Sie sind kalt und suchen sich Wärme bei gebrannten Wassern; sie sind +erhitzt und suchen Kühle bei gefrorenen Geistern; sie sind Alle siech +und süchtig an öffentlichen Meinungen. + +Alle Lüste und Laster sind hier zu Hause; aber es giebt hier auch +Tugendhafte, es giebt viel anstellige angestellte Tugend:— + +Viel anstellige Tugend mit Schreibfingern und hartem Sitz- und +Warte-Fleische, gesegnet mit kleinen Bruststernen und ausgestopften +steisslosen Töchtern. + +Es giebt hier auch viel Frömmigkeit und viel gläubige +Speichel-Leckerei, Schmeichel-Bäckerei vor dem Gott der Heerschaaren. + +„Von Oben“ her träufelt ja der Stern und der gnädige Speichel; nach +Oben hin sehnt sich jeder sternenlose Busen. + +Der Mond hat seinen Hof, und der Hof hat seine Mondkälber: zu Allem +aber, was vom Hofe kommt, betet das Bettel-Volk und alle anstellige +Bettel-Tugend. + +„Ich diene, du dienst, wir dienen“—so betet alle anstellige Tugend +hinauf zum Fürsten: dass der verdiente Stern sich endlich an den +schmalen Busen hefte! + +Aber der Mond dreht sich noch um alles Irdische: so dreht sich auch der +Fürst noch um das Aller-Irdischste—: das aber ist das Gold der Krämer. + +Der Gott der Heerschaaren ist kein Gott der Goldbarren; der Fürst +denkt, aber der Krämer—lenkt! + +Bei Allem, was licht und stark und gut in dir ist, oh Zarathustra! +Speie auf diese Stadt der Krämer und kehre um! + +Hier fliesst alles Blut faulicht und lauicht und schaumicht durch alle +Adern: speie auf die grosse Stadt, welche der grosse Abraum ist, wo +aller Abschaum zusammenschäumt! + +Speie auf die Stadt der eingedrückten Seelen und schmalen Brüste, der +spitzen Augen, der klebrigen Finger— + +—auf die Stadt der Aufdringlinge, der Unverschämten, der Schreib- und +Schreihälse, der überheizten Ehrgeizigen:— + +—wo alles Anbrüchige, Anrüchige, Lüsterne, Düsterne, Übermürbe, +Geschwürige, Verschwörerische zusammenschwärt:— + +—speie auf die grosse Stadt und kehre um!“— + +Hier aber unterbrach Zarathustra den schäumenden Narren und hielt ihm +den Mund zu. + +„Höre endlich auf! rief Zarathustra, mich ekelt lange schon deiner Rede +und deiner Art! + +Warum wohntest du so lange am Sumpfe, dass du selber zum Frosch und zur +Kröte werden musstest? + +Fliesst dir nicht selber nun ein faulichtes schaumichtes Sumpf-Blut +durch die Adern, dass du also quaken und lästern lerntest? + +Warum giengst du nicht in den Wald? Oder pflügtest die Erde? Ist das +Meer nicht voll von grünen Eilanden? + +Ich verachte dein Verachten; und wenn du mich warntest,—warum warntest +du dich nicht selber? + +Aus der Liebe allein soll mir mein Verachten und mein warnender Vogel +auffliegen: aber nicht aus dem Sumpfe!— + +Man heisst dich meinen Affen, du schäumender Narr: aber ich heisse dich +mein Grunze-Schwein,—durch Grunzen verdirbst du mir noch mein Lob der +Narrheit. + +Was war es denn, was dich zuerst grunzen machte? Dass Niemand dir genug +_geschmeichelt_ hat:—darum setztest du dich hin zu diesem Unrathe, dass +du Grund hättest viel zu grunzen,— + +—dass du Grund hättest zu vieler _Rache_! Rache nämlich, du eitler +Narr, ist all dein Schäumen, ich errieth dich wohl! + +Aber dein Narren-Wort thut _mir_ Schaden, selbst, wo du Recht hast! Und +wenn Zarathustra’s Wort sogar hundert Mal Recht _hätte_: du würdest mit +meinem Wort immer—Unrecht _thun_!“ + +Also sprach Zarathustra; und er blickte die grosse Stadt an, seufzte +und schwieg lange. Endlich redete er also: + +Mich ekelt auch dieser grossen Stadt und nicht nur dieses Narren. Hier +und dort ist Nichts zu bessern, Nichts zu bösern. + +Wehe dieser grossen Stadt!—Und ich wollte, ich sähe schon die +Feuersäule, in der sie verbrannt wird! + +Denn solche Feuersäulen müssen dem grossen Mittage vorangehn. Doch +diess hat seine Zeit und sein eigenes Schicksal.— + +Diese Lehre aber gebe ich dir, du Narr, zum Abschiede: wo man nicht +mehr lieben kann, da soll man—_vorübergehn_!— + +Also sprach Zarathustra und gieng an dem Narren und der grossen Stadt +vorüber. + + +Von den Abtrünnigen + +1. + +Ach, liegt Alles schon welk und grau, was noch jüngst auf dieser Wiese +grün und bunt stand? Und wie vielen Honig der Hoffnung trug ich von +hier in meine Bienenkörbe! + +Diese jungen Herzen sind alle schon alt geworden,—und nicht alt einmal! +nur müde, gemein, bequem:—sie heissen es „Wir sind wieder fromm +geworden.“ + +Noch jüngst sah ich sie in der Frühe auf tapferen Füssen hinauslaufen: +aber ihre Füsse der Erkenntniss wurden müde, und nun verleumden sie +auch noch ihre Morgen-Tapferkeit! + +Wahrlich, Mancher von ihnen hob einst die Beine wie ein Tänzer, ihm +winkte das Lachen in meiner Weisheit:—da besann er sich. Eben sah ich +ihn krumm—zum Kreuze kriechen. + +Um Licht und Freiheit flatterten sie einst gleich Mücken und jungen +Dichtern. Ein Wenig älter, ein Wenig kälter: und schon sind sie Dunkler +und Munkler und Ofenhocker. + +Verzagte ihnen wohl das Herz darob, dass mich die Einsamkeit verschlang +gleich einem Wallfische? Lauschte ihr Ohr wohl sehnsüchtig-lange +_umsonst_ nach mir und meinen Trompeten- und Herolds-Rufen? + +—Ach! Immer sind ihrer nur Wenige, deren Herz einen langen Muth und +Übermuth hat; und solchen bleibt auch der Geist geduldsam. Der Rest +aber ist _feige_. + +Der Rest: das sind immer die Allermeisten, der Alltag, der Überfluss, +die Viel-zu-Vielen—diese alle sind feige!— + +Wer meiner Art ist, dem werden auch die Erlebnisse meiner Art über den +Weg laufen: also, dass seine ersten Gesellen Leichname und +Possenreisser sein müssen. + +Seine zweiten Gesellen aber—die werden sich seine _Gläubigen_ heissen: +ein lebendiger Schwarm, viel Liebe, viel Thorheit, viel unbärtige +Verehrung. + +An diese Gläubigen soll Der nicht sein Herz binden, wer meiner Art +unter Menschen ist; an diese Lenze und bunte Wiesen soll Der nicht +glauben, wer die flüchtig-feige Menschenart kennt! + +_Könnten_ sie anders, so würden sie auch anders _wollen_. Halb- und +Halbe verderben alles Ganze. Dass Blätter welk werden,—was ist da zu +klagen! + +Lass sie fahren und fallen, oh Zarathustra, und klage nicht! Lieber +noch blase mit raschelnden Winden unter sie,— + +—blase unter diese Blätter, oh Zarathustra: dass alles _Welke_ +schneller noch von dir davonlaufen!— + +2. + +„Wir sind wieder fromm geworden“ —so bekennen diese Abtrünnigen; und +Manche von ihnen sind noch zu feige, also zu bekennen. + +Denen sehe ich in’s Auge,—denen sage ich es in’s Gesicht und in die +Röthe ihrer Wangen: ihr seid Solche, welche wieder _beten_! + +Es ist aber eine Schmach, zu beten! Nicht für Alle, aber für dich und +mich und wer auch im Kopfe sein Gewissen hat. Für _dich_ ist es eine +Schmach, zu beten! + +Du weisst es wohl: dein feiger Teufel in dir, der gerne Hände-falten +und Hände-in-den-Schooss-legen und es bequemer haben möchte:—dieser +feige Teufel redet dir zu „es _giebt_ einen Gott!“ + +_Damit_ aber gehörst du zur lichtscheuen Art, denen Licht nimmer Ruhe +lässt; nun musst du täglich deinen Kopf tiefer in Nacht und Dunst +stecken! + +Und wahrlich, du wähltest die Stunde gut: denn eben wieder fliegen die +Nachtvögel aus. Die Stunde kam allem lichtscheuen Volke, die Abend- und +Feierstunde, wo es nicht—„feiert.“ + +Ich höre und rieche es: es kam ihre Stunde für Jagd und Umzug, nicht +zwar für eine wilde Jagd, sondern für eine zahme lahme schnüffelnde +Leisetreter- und Leisebeter-Jagd,— + +—für eine Jagd auf seelenvolle Duckmäuser: alle Herzens- Mausefallen +sind jetzt wieder aufgestellt! Und wo ich einen Vorhang aufhebe, da +kommt ein Nachtfalterchen herausgestürzt. + +Hockte es da wohl zusammen mit einem andern Nachtfalterchen? Denn +überall rieche ich kleine verkrochne Gemeinden; und wo es Kämmerlein +giebt, da giebt es neue Bet-Brüder drin und den Dunst von Bet-Brüdern. + +Sie sitzen lange Abende bei einander und sprechen: lasset uns wieder +werden wie die Kindlein und „lieber Gott“ sagen!—an Mund und Magen +verdorben durch die frommen Zuckerbäcker. + +Oder sie sehen lange Abende einer listigen lauernden Kreuzspinne zu, +welche den Spinnen selber Klugheit predigt und also lehrt: „unter +Kreuzen ist gut spinnen!“ + +Oder sie sitzen Tags über mit Angelruthen an Sümpfen und glauben sich +_tief_ damit; aber wer dort fischt, wo es keine Fische giebt, den +heisse ich noch nicht einmal oberflächlich! + +Oder sie lernen fromm-froh die Harfe schlagen bei einem Lieder-Dichter, +der sich gern jungen Weibchen in’s Herz harfnen möchte:—denn er wurde +der alten Weibchen müde und ihres Lobpreisens. + +Oder sie lernen gruseln bei einem gelehrten Halb-Tollen, der in dunklen +Zimmern wartet, dass ihm die Geister kommen—und der Geist ganz +davonläuft! + +Oder sie horchen einem alten umgetriebnen Schnurr- und Knurrpfeifer zu, +der trüben Winden die Trübsal der Töne ablernte; nun pfeift er nach dem +Winde und predigt in trüben Tönen Trübsal. + +Und Einige von ihnen sind sogar Nachtwächter geworden: die verstehen +jetzt in Hörner zu blasen und Nachts umherzugehn und alte Sachen +aufzuwecken, die lange schon eingeschlafen sind. + +Fünf Worte von alten Sachen hörte ich gestern Nachts an der +Garten-Mauer: die kamen von solchen alten betrübten trocknen +Nachtwächtern. + +„Für einen Vater sorgt er nicht genug um seine Kinder: Menschen-Väter +thun diess besser!“— + +„Er ist zu alt! Er sorgt schon gar nicht mehr um seine Kinder“—also +antwortete der andere Nachtwächter. + +„_Hat_ er denn Kinder? Niemand kann’s beweisen, wenn er’s selber nicht +beweist! Ich wollte längst, er bewiese es einmal gründlich.“ + +„Beweisen? Als ob _Der_ je Etwas bewiesen hätte! Beweisen fällt ihm +schwer; er hält grosse Stücke darauf, dass man ihm glaubt.“ + +„Ja! Ja! Der Glaube macht ihn selig, der Glaube an ihn. Das ist so die +Art alter Leute! So geht’s uns auch!“— + +—Also sprachen zu einander die zwei alten Nachtwächter und +Lichtscheuchen, und tuteten darauf betrübt in ihre Hörner: so geschah’s +gestern Nachts an der Garten-Mauer. + +Mir aber wand sich das Herz vor Lachen und wollte brechen und wusste +nicht, wohin? und sank in’s Zwerchfell. + +Wahrlich, das wird noch mein Tod sein, dass ich vor Lachen ersticke, +wenn ich Esel betrunken sehe und Nachtwächter also an Gott zweifeln +höre. + +Ist es denn nicht _lange_ vorbei auch für alle solche Zweifel? Wer darf +noch solche alte eingeschlafne lichtscheue Sachen aufwecken! + +Mit den alten Göttern gieng es ja lange schon zu Ende:—und wahrlich, +ein gutes fröhliches Götter-Ende hatten sie! + +Sie „dämmerten“ sich nicht zu Tode,—das lügt man wohl! Vielmehr: sie +haben sich selber einmal zu Tode—_gelacht_! + +Das geschah, als das gottloseste Wort von einem Gotte selber +ausgieng,—das Wort: „Es ist Ein Gott! Du sollst keinen andern Gott +haben neben mir!“— + +—ein alter Grimm-Bart von Gott, ein eifersüchtiger vergass sich also: + +Und alle Götter lachten damals und wackelten auf ihren Stühlen und +riefen: „Ist das nicht eben Göttlichkeit, dass es Götter, aber keinen +Gott giebt?“ + +Wer Ohren hat, der höre.— + +Also redete Zarathustra in der Stadt, die er liebte und welche +zubenannt ist die bunte Kuh. Von hier nämlich hatte er nur noch zwei +Tage zu gehen, dass er wieder in seine Höhle käme und zu seinen +Thieren; seine Seele aber frohlockte beständig ob der Nähe seiner +Heimkehr.— + + +Die Heimkehr + +Oh Einsamkeit! Du meine _Heimat_ Einsamkeit! Zu lange lebte ich wild in +wilder Fremde, als dass ich nicht mit Thränen zu dir heimkehrte! + +Nun drohe mir nur mit dem Finger, wie Mütter drohn, nein lächle mir zu, +wie Mütter lächeln, nun sprich nur: „Und wer war das, der wie ein +Sturmwind einst von mir davonstürmte?— + +—der scheidend rief: zu lange sass ich bei der Einsamkeit, da verlernte +ich das Schweigen! _Das_—lerntest du nun wohl? + +Oh Zarathustra, Alles weiss ich: und dass du unter den Vielen +_verlassener_ warst, du Einer, als je bei mir! + +Ein Anderes ist Verlassenheit, ein Anderes Einsamkeit: _Das_—lerntest +du nun! Und dass du unter Menschen immer wild und fremd sein wirst: + +-Wild und fremd auch noch, wenn sie dich lieben: denn zuerst von Allem +wollen sie _geschont_ sein! + +Hier aber bist du bei dir zu Heim und Hause; hier kannst du Alles +hinausreden und alle Gründe ausschütten, Nichts schämt sich hier +versteckter, verstockter Gefühle. + +Hier kommen alle Dinge liebkosend zu deiner Rede und schmeicheln dir: +denn sie wollen auf deinem Rücken reiten. Auf jedem Gleichniss reitest +du hier zu jeder Wahrheit. + +Aufrecht und aufrichtig darfst du hier zu allen Dingen reden: und +wahrlich, wie Lob klingt es ihren Ohren, dass Einer mit allen +Dingen—gerade redet! + +Ein Anderes aber ist Verlassensein. Denn, weisst du noch, oh +Zarathustra? Als damals dein Vogel über dir schrie, als du im Walde +standest, unschlüssig, wohin? unkundig, einem Leichnam nahe:— + +—als du sprachst: mögen mich meine Thiere führen! Gefährlicher fand +ich’s unter Menschen, als unter Thieren:—_Das_ war Verlassenheit! + +Und weisst du noch, oh Zarathustra? Als du auf deiner Insel sassest, +unter leeren Eimern ein Brunnen Weins, gebend und ausgebend, unter +Durstigen schenkend und ausschenkend: + +—bis du endlich durstig allein unter Trunkenen sassest und nächtlich +klagtest „ist Nehmen nicht seliger als Geben? Und Stehlen noch seliger +als Nehmen?“—_Das_ war Verlassenheit! + +Und weisst du noch, oh Zarathustra? Als deine stillste Stunde kam und +dich von dir selber forttrieb, als sie mit bösem Flüstern sprach: +„Sprich und zerbrich!“ - + +—als sie dir all dein Warten und Schweigen leid machte und deinen +demüthigen Muth entmuthigte: _Das_ war Verlassenheit!“— + +Oh Einsamkeit! Du meine Heimat Einsamkeit! Wie selig und zärtlich redet +deine Stimme zu mir! + +Wir fragen einander nicht, wir klagen einander nicht, wir gehen offen +mit einander durch offne Thüren. + +Denn offen ist es bei dir und hell; und auch die Stunden laufen hier +auf leichteren Füssen. Im Dunklen nämlich trägt man schwerer an der +Zeit, als im Lichte. + +Hier springen mir alles Seins Worte und Wort-Schreine auf: alles Sein +will hier Wort werden, alles Werden will hier von mir reden lernen. + +Da unten aber—da ist alles Reden umsonst! Da ist Vergessen und +Vorübergehn die beste Weisheit: _Das_—lernte ich nun! + +Wer Alles bei den Menschen begreifen wollte, der müsste Alles +angreifen. Aber dazu habe ich zu reinliche Hände. + +Ich mag schon ihren Athem nicht einathmen; ach, dass ich so lange unter +ihrem Lärm und üblem Athem lebte! + +Oh selige Stille um mich! Oh reine Gerüche um mich! Oh wie aus tiefer +Brust diese Stille reinen Athem holt! Oh wie sie horcht, diese selige +Stille! + +Aber da unten—da redet Alles, da wird Alles überhört. Man mag seine +Weisheit mit Glocken einläuten: die Krämer auf dem Markte werden sie +mit Pfennigen überklingeln! + +Alles bei ihnen redet, Niemand weiss mehr zu verstehn. Alles fällt in’s +Wasser, Nichts fällt mehr in tiefe Brunnen. + +Alles bei ihnen redet, Nichts geräth mehr und kommt zu Ende. Alles +gackert, aber wer will noch still auf dem Neste sitzen und Eier brüten? + +Alles bei ihnen redet, Alles wird zerredet. Und was gestern noch zu +hart war für die Zeit selber und ihren Zahn: heute hängt es zerschabt +und zernagt aus den Mäulern der Heutigen. + +Alles bei ihnen redet, Alles wird verrathen. Und was einst Geheimniss +hiess und Heimlichkeit tiefer Seelen, heute gehört es den +Gassen-Trompetern und andern Schmetterlingen. + +Oh Menschenwesen, du wunderliches! Du Lärm auf dunklen Gassen! Nun +liegst du wieder hinter mir:—meine grösste Gefahr liegt hinter mir! + +Im Schonen und Mitleiden lag immer meine grösste Gefahr; und alles +Menschenwesen will geschont und gelitten sein. + +Mit verhaltenen Wahrheiten, mit Narrenhand und vernarrtem Herzen und +reich an kleinen Lügen des Mitleidens:—also lebte ich immer unter +Menschen. + +Verkleidet sass ich unter ihnen, bereit, _mich_ zu verkennen, dass ich +_sie_ ertrüge, und gern mir zuredend „du Narr, du kennst die Menschen +nicht!“ + +Man verlernt die Menschen, wenn man unter Menschen lebt: zu viel +Vordergrund ist an allen Menschen,—was sollen da weitsichtige, +weit-süchtige Augen! + +Und wenn sie mich verkannten: ich Narr schonte sie darob mehr, als +mich: gewohnt zur Härte gegen mich und oft noch an mir selber mich +rächend für diese Schonung. + +Zerstochen von giftigen Fliegen und ausgehöhlt, dem Steine gleich, von +vielen Tropfen Bosheit, so sass ich unter ihnen und redete mir noch zu: +„unschuldig ist alles Kleine an seiner Kleinheit!“ + +Sonderlich Die, welche sich „die Guten“ heissen, fand ich als die +giftigsten Fliegen: sie stechen in aller Unschuld, sie lügen in aller +Unschuld; wie _vermöchten_ sie, gegen mich—gerecht zu sein! + +Wer unter den Guten lebt, den lehrt Mitleid lügen. Mitleid macht dumpfe +Luft allen freien Seelen. Die Dummheit der Guten nämlich ist +unergründlich. + +Mich selber verbergen und meinen Reichthum—_das_ lernte ich da unten: +denn jeden fand ich noch arm am Geiste. Das war der Lug meines +Mitleidens, dass ich bei jedem wusste, + +—dass ich jedem es ansah und anroch, was ihm Geistes _genug_ und was +ihm schon Geistes _zuviel_ war! + +Ihre steifen Weisen: ich hiess sie weise, nicht steif,—so lernte ich +Worte verschlucken. Ihre Todtengräber: ich hiess sie Forscher und +Prüfer,—so lernte ich Worte vertauschen. + +Die Todtengräber graben sich Krankheiten an. Unter altem Schutte ruhn +schlimme Dünste. Man soll den Morast nicht aufrühren. Man soll auf +Bergen leben. + +Mit seligen Nüstern athme ich wieder Berges-Freiheit! Erlöst ist +endlich meine Nase vom Geruch alles Menschenwesens! + +Von scharfen Lüften gekitzelt, wie von schäumenden Weinen, _niest_ +meine Seele,—niest und jubelt sich zu: Gesundheit! + +Also sprach Zarathustra. + + +Von den drei Bösen + +1. + +Im Traum, im letzten Morgentraume stand ich heut auf einem +Vorgebirge,—jenseits der Welt, hielt eine Wage und _wog_ die Welt. + +Oh dass zu früh mir die Morgenröthe kam: die glühte mich wach, die +Eifersüchtige! Eifersüchtig ist sie immer auf meine +Morgentraum-Gluthen. + +Messbar für Den, der Zeit hat, wägbar für einen guten Wäger, erfliegbar +für starke Fittige, errathbar für göttliche Nüsseknacker: also fand +mein Traum die Welt:— + +Mein Traum, ein kühner Segler, halb Schiff, halb Windsbraut, gleich +Schmetterlingen schweigsam, ungeduldig gleich Edelfalken: wie hatte er +doch zum Welt-Wägen heute Geduld und Weile! + +Sprach ihm heimlich wohl meine Weisheit zu, meine lachende wache +Tags-Weisheit, welche über alle „unendliche Welten“ spottet? Denn sie +spricht: „wo Kraft ist, wird auch die _Zahl_ Meisterin: die hat mehr +Kraft.“ + +Wie sicher schaute mein Traum auf diese endliche Welt, nicht neugierig, +nicht altgierig, nicht fürchtend, nicht bittend:— + +—als ob ein voller Apfel sich meiner Hand böte, ein reifer Goldapfel, +mit kühl-sanfter sammtener Haut:—so bot sich mir die Welt:— + +—als ob ein Baum mir winke, ein breitästiger, starkwilliger, gekrümmt +zur Lehne und noch zum Fussbrett für den Wegmüden: so stand die Welt +auf meinem Vorgebirge:— + +—als ob zierliche Hände mir einen Schrein entgegentrügen,—einen Schrein +offen für das Entzücken schamhafter verehrender Augen: also bot sich +mir heute die Welt entgegen:— + +—nicht Räthsel genug, um Menschen-Liebe davon zu scheuchen, nicht +Lösung genug, um Menschen-Weisheit einzuschläfern:—ein menschlich gutes +Ding war mir heut die Welt, der man so Böses nachredet! + +Wie danke ich es meinem Morgentraum, dass ich also in der Frühe heut +die Welt wog! Als ein menschlich gutes Ding kam er zu mir, dieser Traum +und Herzenströster! + +Und dass ich’s ihm gleich thue am Tage und sein Bestes ihm nach- und +ablerne: will ich jetzt die drei bösesten Dinge auf die Wage thun und +menschlich gut abwägen.— + +Wer da segnen lehrte, der lehrte auch fluchen: welches sind in der Welt +die drei bestverfluchten Dinge? Diese will ich auf die Wage thun. + +Wollust, Herrschsucht, Selbstsucht: diese Drei wurden bisher am besten +verflucht und am schlimmsten beleu- und belügenmundet,—diese Drei will +ich menschlich gut abwägen. + +Wohlauf! Hier ist mein Vorgebirg und da das Meer: _das_ wälzt sich zu +mir heran, zottelig, schmeichlerisch, das getreue alte hundertköpfige +Hunds-Ungethüm, das ich liebe. + +Wohlauf! Hier will ich die Wage halten über gewälztem Meere: und auch +einen Zeugen wähle ich, dass er zusehe,—dich, du Einsiedler-Baum, dich +starkduftigen, breitgewölbten, den ich liebe!— + +Auf welcher Brücke geht zum Dereinst das Jetzt? Nach welchem Zwange +zwingt das Hohe sich zum Niederen? Und was heisst auch das Höchste +noch—hinaufwachsen?— + +Nun steht die Wage gleich und still: drei schwere Fragen warf ich +hinein, drei schwere Antworten trägt die andre Wagschale. + +2. + +Wollust: allen busshemdigen Leib-Verächtern ihr Stachel und Pfahl, und +als „Welt“ verflucht bei allen Hinterweltlern: denn sie höhnt und narrt +alle Wirr- und Irr-Lehrer. + +Wollust: dem Gesindel das langsame Feuer, auf dem es verbrannt wird; +allem wurmichten Holze, allen stinkenden Lumpen der bereite Brunst- und +Brodel-Ofen. + +Wollust: für die freien Herzen unschuldig und frei, das Garten-Glück +der Erde, aller Zukunft Dankes-Überschwang an das Jetzt. + +Wollust: nur dem Welken ein süsslich Gift, für die Löwen-Willigen aber +die grosse Herzstärkung, und der ehrfürchtig geschonte Wein der Weine. + +Wollust: das grosse Gleichniss-Glück für höheres Glück und höchste +Hoffnung. Vielem nämlich ist Ehe verheissen und mehr als Ehe,— + +—Vielem, das fremder sich ist, als Mann und Weib:—und wer begriff es +ganz, _wie fremd_ sich Mann und Weib sind! + +Wollust:—doch ich will Zäune um meine Gedanken haben und auch noch um +meine Worte: dass mir nicht in meine Gärten die Schweine und Schwärmer +brechen!— + +Herrschsucht: die Glüh-Geissel der härtesten Herzensharten; die grause +Marter, die sich dem Grausamsten selber aufspart; die düstre Flamme +lebendiger Scheiterhaufen. + +Herrschsucht: die boshafte Bremse, die den eitelsten Völkern aufgesetzt +wird; die Verhöhnerin aller ungewissen Tugend; die auf jedem Rosse und +jedem Stolze reitet. + +Herrschsucht: das Erdbeben, das alles Morsche und Höhlichte bricht und +aufbricht; die rollende grollende strafende Zerbrecherin übertünchter +Gräber; das blitzende Fragezeichen neben vorzeitigen Antworten. + +Herrschsucht: vor deren Blick der Mensch kriecht und duckt und fröhnt +und niedriger wird als Schlange und Schwein:—bis endlich die grosse +Verachtung aus ihm aufschreie—, + +Herrschsucht: die furchtbare Lehrerin der grossen Verachtung, welche +Städten und Reichen in’s Antlitz predigt „hinweg mit dir!“—bis es aus +ihnen selber aufschreie „hinweg mit _mir_!“ + +Herrschsucht: die aber lockend auch zu Reinen und Einsamen und hinauf +zu selbstgenugsamen Höhen steigt, glühend gleich einer Liebe, welche +purpurne Seligkeiten lockend an Erdenhimmel malt. + +Herrschsucht: doch wer hiesse es _Sucht_, wenn das Hohe hinab nach +Macht gelüstet! Wahrlich, nichts Sieches und Süchtiges ist an solchem +Gelüsten und Niedersteigen! + +Dass die einsame Höhe sich nicht ewig vereinsame und selbst begnüge; +dass der Berg zu Thale komme und die Winde der Höhe zu den +Niederungen:— + +Oh wer fände den rechten Tauf- und Tugendnamen für solche Sehnsucht! +„Schenkende Tugend“—so nannte das Unnennbare einst Zarathustra. + +Und damals geschah es auch,—und wahrlich, es geschah zum ersten +Male!—dass sein Wort die _Selbstsucht_ selig pries, die heile, gesunde +Selbstsucht, die aus mächtiger Seele quillt:— + +—aus mächtiger Seele, zu welcher der hohe Leib gehört, der schöne, +sieghafte, erquickliche, um den herum jedwedes Ding Spiegel wird: + +—der geschmeidige überredende Leib, der Tänzer, dessen Gleichniss und +Auszug die selbst-lustige Seele ist. Solcher Leiber und Seelen +Selbst-Lust heisst sich selber: „Tugend.“ + +Mit ihren Worten von Gut und Schlecht schirmt sich solche Selbst-Lust +wie mit heiligen Hainen; mit den Namen ihres Glücks bannt sie von sich +alles Verächtliche. + +Von sich weg bannt sie alles Feige; sie spricht: Schlecht—das ist +feige! Verächtlich dünkt ihr der immer Sorgende, Seufzende, Klägliche +und wer auch die kleinsten Vortheile aufliest. + +Sie verachtet auch alle wehselige Weisheit: denn, wahrlich, es giebt +auch Weisheit, die im Dunklen blüht, eine Nachtschatten-Weisheit: als +welche immer seufzt: „Alles ist eitel!“ + +Das scheue Misstrauen gilt ihr gering, und Jeder, wer Schwüre statt +Blicke und Hände will: auch alle allzu misstrauische Weisheit,—denn +solche ist feiger Seelen Art. + +Geringer noch gilt ihr der Schnell-Gefällige, der Hündische, der gleich +auf dem Rücken liegt, der Demüthige; und auch Weisheit giebt es, die +demüthig und hündisch und fromm und schnellgefällig ist. + +Verhasst ist ihr gar und ein Ekel, wer nie sich wehren will, wer +giftigen Speichel und böse Blicke hinunterschluckt, der +All-zu-Geduldige, Alles-Dulder, Allgenügsame: das nämlich ist die +knechtische Art. + +Ob Einer vor Göttern und göttlichen Fusstritten knechtisch ist, ob vor +Menschen und blöden Menschen-Meinungen: _alle_ Knechts-Art speit sie +an, diese selige Selbstsucht! + +Schlecht: so beisst sie Alles, was geknickt und knickerisch-knechtisch +ist, unfreie Zwinker-Augen, gedruckte Herzen, und jene falsche +nachgebende Art, welche mit breiten feigen Lippen küsst. + +Und After-Weisheit: so heisst sie Alles, was Knechte und Greise und +Müde witzeln; und sonderlich die ganze schlimme aberwitzige, +überwitzige Priester-Narrheit! + +Die After-Weisen aber, alle die Priester, Weltmüden und wessen Seele +von Weibs- und Knechtsart ist,—oh wie hat ihr Spiel von jeher der +Selbstsucht übel mitgespielt! + +Und Das gerade sollte Tugend sein und Tugend heissen, _dass_ man der +Selbstsucht übel mitspiele! Und „selbstlos“—so wünschten sich selber +mit gutem Grunde alle diese weltmüden Feiglinge und Kreuzspinnen! + +Aber denen Allen kommt nun der Tag, die Wandlung, das Richtschwert, +_der grosse Mittag_: da soll Vieles offenbar werden! + +Und wer das Ich heil und heilig spricht und die Selbstsucht selig, +wahrlich, der spricht auch, was er weiss, ein Weissager: „Siehe, er +kommt, er ist nahe, der grosse Mittag!“ + +Also sprach Zarathustra. + + +Vom Geist der Schwere + +1. + +Mein Mundwerk—ist des Volks: zu grob und herzlich rede ich für die +Seidenhasen. Und noch fremder klingt mein Wort allen Tinten-Fischen und +Feder-Füchsen. + +Meine Hand—ist eine Narrenhand: wehe allen Tischen und Wänden, und was +noch Platz hat für Narren-Zierath, Narren-Schmierath! + +Mein Fuss—ist ein Pferdefuss; damit trapple und trabe ich über Stock +und Stein, kreuz- und querfeld-ein und bin des Teufels vor Lust bei +allem schnellen Laufen. + +Mein Magen—ist wohl eines Adlers Magen? Denn er liebt am liebsten +Lammfleisch. Gewisslich aber ist er eines Vogels Magen. + +Von unschuldigen Dingen genährt und von Wenigem, bereit und ungeduldig +zu fliegen, davonzufliegen—das ist nun meine Art: wie sollte nicht +Etwas daran von Vogel-Art sein! + +Und zumal, dass ich dem Geist der Schwere feind bin, das ist Vogel-Art: +und wahrlich, todfeind, erzfeind, urfeind! Oh wohin flog und verflog +sich nicht schon meine Feindschaft! + +Davon könnte ich schon ein Lied singen—- und _will_ es singen: ob ich +gleich allein in leerem Hause bin und es meinen eignen Ohren singen +muss. + +Andre Sänger giebt es freilich, denen macht das volle Haus erst ihre +Kehle weide, ihre Hand gesprächig, ihr Auge ausdrücklich, ihr Herz +wach:—Denen gleiche ich nicht.— + +2. + +Wer die Menschen einst fliegen lehrt, der hat alle Grenzsteine +verrückt; alle Grenzsteine selber werden ihm in die Luft fliegen, die +Erde wird er neu taufen —als „die Leichte.“ + +Der Vogel Strauss läuft schneller als das schnellste Pferd, aber auch +er steckt noch den Kopf schwer in schwere Erde: also der Mensch, der +noch nicht fliegen kann. + +Schwer heisst ihm Erde und Leben; und so _will_ es der Geist der +Schwere! Wer aber leicht werden will und ein Vogel, der muss sich +selber lieben:—also lehre _ich_. + +Nicht freilich mit der Liebe der Siechen und Süchtigen: denn bei denen +stinkt auch die Eigenliebe! + +Man muss sich selber lieben lernen—also lehre ich—mit einer heilen und +gesunden Liebe: dass man es bei sich selber aushalte und nicht +umherschweife. + +Solches Umherschweifen tauft sich „Nächstenliebe“ : mit diesem Worte +ist bisher am besten gelogen und geheuchelt worden, und sonderlich von +Solchen, die aller Welt schwer fielen. + +Und wahrlich, das ist kein Gebot für Heute und Morgen, sich lieben +_lernen_. Vielmehr ist von allen Künsten diese die feinste, listigste, +letzte und geduldsamste. + +Für seinen Eigener ist nämlich alles Eigene gut versteckt; und von +allen Schatzgruben wird die eigne am spätesten ausgegraben,—also +schafft es der Geist der Schwere. + +Fast in der Wiege giebt man uns schon schwere Worte und Werthe mit: +„gut“ und „böse“ —so heisst sich diese Mitgift. Um derentwillen +vergiebt man uns, dass wir leben. + +Und dazu lässt man die Kindlein zu sich kommen, dass man ihnen bei +Zeiten wehre, sich selber zu lieben: also schafft es der Geist der +Schwere. + +Und wir—wir schleppen treulich, was man uns mitgiebt, auf harten +Schultern und über rauhe Berge! Und schwitzen wir, so sagt man uns: +„Ja, das Leben ist schwer zu tragen!“ + +Aber der Mensch nur ist sich schwer zu tragen! Das macht, er schleppt +zu vieles Fremde auf seinen Schultern. Dem Kameele gleich kniet er +nieder und lässt sich gut aufladen. + +Sonderlich der starke, tragsame Mensch, dem Ehrfurcht innewohnt: zu +viele _fremde_ schwere Worte und Werthe lädt er auf sich,—nun dünkt das +Leben ihm eine Wüste! + +Und wahrlich! Auch manches _Eigene_ ist schwer zu tragen! Und viel +Inwendiges am Menschen ist der Auster gleich, nämlich ekel und +schlüpfrig und schwer erfasslich—, + +—also dass eine edle Schale mit edler Zierath fürbitten muss. Aber auch +diese Kunst muss man lernen: Schale _haben_ und schönen Schein und +kluge Blindheit! + +Abermals trügt über Manches am Menschen, dass manche Schale gering und +traurig und zu sehr Schale ist. Viel verborgene Güte und Kraft wird nie +errathen; die köstlichsten Leckerbissen finden keine Schmecker! + +Die Frauen wissen das, die köstlichsten: ein Wenig fetter, ein Wenig +magerer—oh wie viel Schicksal liegt in so Wenigem! + +Der Mensch ist schwer zu entdecken und sich selber noch am schwersten; +oft lügt der Geist über die Seele. Also schafft es der Geist der +Schwere. + +Der aber hat sich selber entdeckt, welcher spricht: Das ist _mein_ +Gutes und Böses: damit hat er den Maulwurf und Zwerg stumm gemacht, +welcher spricht „Allen gut, Allen bös.“ + +Wahrlich, ich mag auch Solche nicht, denen jegliches Ding gut und diese +Welt gar die beste heisst. Solche nenne ich die Allgenügsamen. + +Allgenügsamkeit, die Alles zu schmecken weiss: das ist nicht der beste +Geschmack! Ich ehre die widerspänstigen wählerischen Zungen und Mägen, +welche „Ich“ und „Ja“ und „Nein“ sagen lernten. + +Alles aber kauen und verdauen—das ist eine rechte Schweine-Art! Immer +I-a sagen—das lernte allein der Esel, und wer seines Geistes ist!— + +Das tiefe Gelb und das heisse Roth: so will es _mein_ Geschmack,—der +mischt Blut zu allen Farben. Wer aber sein Haus weiss tüncht, der +verräth mir eine weissgetünchte Seele. + +In Mumien verliebt die Einen, die Andern in Gespenster; und Beide +gleich feind allem Fleisch und Blute—oh wie gehen Beide mir wider den +Geschmack! Denn ich liebe Blut. + +Und dort will ich nicht wohnen und weilen, wo Jedermann spuckt und +speit: das ist nun _mein_ Geschmack,—lieber noch lebte ich unter Dieben +und Meineidigen. Niemand trägt Gold im Munde. + +Widriger aber sind mir noch alle Speichellecker; und das widrigste +Thier von Mensch, das ich fand, das taufte ich Schmarotzer: das wollte +nicht lieben und doch von Liebe leben. + +Unselig heisse ich Alle, die nur Eine Wahl haben: böse Thiere zu werden +oder böse Thierbändiger: bei Solchen würde ich mir keine Hütten bauen. + +Unselig heisse ich auch Die, welche immer _warten_ müssen,—die gehen +mir wider den Geschmack: alle die Zöllner und Krämer und Könige und +andren Länder- und Ladenhüter. + +Wahrlich, ich lernte das Warten auch und von Grund aus, + +—aber nur das Warten auf _mich_. Und über Allem lernte ich stehn und +gehn und laufen und springen und klettern und tanzen. + +Das ist aber meine Lehre: wer einst fliegen lernen will, der muss erst +stehn und gehn und laufen und klettern und tanzen lernen:—man erfliegt +das Fliegen nicht! + +Mit Strickleitern lernte ich manches Fenster erklettern, mit hurtigen +Beinen klomm ich auf hohe Masten: auf hohen Masten der Erkenntniss +sitzen dünkte mich keine geringe Seligkeit,— + +—gleich kleinen Flammen flackern auf hohen Masten: ein kleines Licht +zwar, aber doch ein grosser Trost für verschlagene Schiffer und +Schiffbrüchige!— + +Auf vielerlei Weg und Weise kam ich zu meiner Wahrheit; nicht auf Einer +Leiter stieg ich zur Höhe, wo mein Auge in meine Ferne schweift. + +Und ungern nur fragte ich stets nach Wegen,—das gieng mir immer wider +den Geschmack! Lieber fragte und versuchte ich die Wege selber. + +Ein Versuchen und Fragen war all mein Gehen:—und wahrlich, auch +antworten muss man _lernen_ auf solches Fragen! Das aber—ist mein +Geschmack: + +—kein guter, kein schlechter, aber _mein_ Geschmack, dessen ich weder +Scham noch Hehl mehr habe. + +„Das—ist nun _mein_ Weg,—wo ist der eure?“ so antwortete ich Denen, +welche mich „nach dem Wege“ fragten. _Den_ Weg nämlich—den giebt es +nicht! + +Also sprach Zarathustra. + + +Von alten und neuen Tafeln + +1. + +Hier sitze ich und warte, alte zerbrochene Tafeln um mich und auch neue +halb beschriebene Tafeln. Wann kommt meine Stunde? + +—die Stunde meines Niederganges, Unterganges: denn noch Ein Mal will +ich zu den Menschen gehn. + +Dess warte ich nun: denn erst müssen mir die Zeichen kommen, dass es +_meine_ Stunde sei,—nämlich der lachende Löwe mit dem Taubenschwarme. + +Inzwischen rede ich als Einer, der Zeit hat, zu mir selber. Niemand +erzählt mir Neues: so erzähle ich mir mich selber.— + +2. + +Als ich zu den Menschen kam, da fand ich sie sitzen auf einem alten +Dünkel: Alle dünkten sich lange schon zu wissen, was dem Menschen gut +und böse sei. + +Eine alte müde Sache dünkte ihnen alles Reden von Tugend; und wer gut +schlafen wollte, der sprach vor Schlafengehen noch von „Gut“ und „Böse“ +. + +Diese Schläferei störte ich auf, als ich lehrte: was gut und böse ist, +_das weiss noch Niemand_:—es sei denn der Schaffende! + +—Das aber ist Der, welcher des Menschen Ziel schafft und der Erde ihren +Sinn giebt und ihre Zukunft: Dieser erst _schafft_ es, _dass_ Etwas gut +und böse ist. + +Und ich hiess sie ihre alten Lehr-Stühle umwerfen, und wo nur jener +alte Dünkel gesessen hatte; ich hiess sie lachen über ihre grossen +Tugend-Meister und Heiligen und Dichter und Welt-Erlöser. + +Über ihre düsteren Weisen hiess ich sie lachen, und wer je als schwarze +Vogelscheuche warnend auf dem Baume des Lebens gesessen hatte. + +An ihre grosse Gräberstrasse setzte ich mich und selber zu Aas und +Geiern—und ich lachte über all ihr Einst und seine mürbe verfallende +Herrlichkeit. + +Wahrlich, gleich Busspredigern und Narrn schrie ich Zorn und Zeter über +all ihr Grosses und Kleines—, dass ihr Bestes so gar klein ist! Dass +ihr Bösestes so gar klein ist!—also lachte ich. + +Meine weise Sehnsucht schrie und lachte also aus mir, die auf Bergen +geboren ist, eine wilde Weisheit wahrlich!—meine grosse flügelbrausende +Sehnsucht. + +Und oft riss sie mich fort und hinauf und hinweg und mitten im Lachen: +da flog ich wohl schaudernd, ein Pfeil, durch sonnentrunkenes +Entzücken: + +—hinaus in ferne Zukünfte, die kein Traum noch sah, in heissere Süden, +als je sich Bildner träumten: dorthin, wo Götter tanzend sich aller +Kleider schämen:— + +—dass ich nämlich in Gleichnissen rede und gleich Dichtern hinke und +stammle: und wahrlich, ich schäme mich, dass ich noch Dichter sein +muss!— + +Wo alles Werden mich Götter-Tanz und Götter-Muthwillen dünkte, und die +Welt los- und ausgelassen und zu sich selber zurückfliehend:— + +—als ein ewiges Sich-fliehn und -Wiedersuchen vieler Götter, als das +selige Sich-Widersprechen, Sich-Wieder-hören, Sich-Wieder-Zugehören +vieler Götter:— + +Wo alle Zeit mich ein seliger Hohn auf Augenblicke dünkte, wo die +Nothwendigkeit die Freiheit selber war, die selig mit dem Stachel der +Freiheit spielte:— + +Wo ich auch meinen alten Teufel und Erzfeind wiederfand, den Geist der +Schwere und Alles, was er schuf: Zwang, Satzung, Noth und Folge und +Zweck und Wille und Gut und Böse:— + +Denn muss nicht dasein, _über_ das getanzt, hinweggetanzt werde? Müssen +nicht um der Leichten, Leichtesten willen—Maulwürfe und schwere Zwerge +dasein?— + +3. + +Dort war’s auch, wo ich das Wort „Übermensch“ vom Wege auflas, und dass +der Mensch Etwas sei, das überwunden werden müsse, + +—dass der Mensch eine Brücke sei und kein Zweck: sich selig preisend ob +seines Mittags und Abends, als Weg zu neuen Morgenröthen: + +—das Zarathustra-Wort vom grossen Mittage, und was sonst ich über den +Menschen aufhängte, gleich purpurnen zweiten Abendröthen. + +Wahrlich, auch neue Sterne liess ich sie sehn sammt neuen Nächten; und +über Wolken und Tag und Nacht spannte ich noch das Lachen aus wie ein +buntes Gezelt. + +Ich lehrte sie all _mein_ Dichten und Trachten: in Eins zu dichten und +zusammen zu tragen, was Bruchstück ist am Menschen und Räthsel und +grauser Zufall,— + +—als Dichter, Räthselrather und Erlöser des Zufalls lehrte ich sie an +der Zukunft schaffen, und Alles, das _war_—, schaffend zu erlösen. + +Das Vergangne am Menschen zu erlösen und alles „Es war“ umzuschauen, +bis der Wille spricht: „Aber so wollte ich es! So werde ich’s wollen—“ + +—Diess hiess ich ihnen Erlösung, Diess allein lehrte ich sie Erlösung +heissen. -— + +Nun warte ich _meiner_ Erlösung—, dass ich zum letzten Male zu ihnen +gehe. + +Denn noch Ein Mal will ich zu den Menschen: _unter_ ihnen will ich +untergehen, sterbend will ich ihnen meine reichste Gabe geben! + +Der Sonne lernte ich Das ab, wenn sie hinabgeht, die Überreiche: Gold +schüttet sie da in’s Meer aus unerschöpflichem Reichthume,— + +—also, dass der ärmste Fischer noch mit _goldenem_ Ruder rudert! Diess +nämlich sah ich einst und wurde der Thränen nicht satt im Zuschauen.— + +Der Sonne gleich will auch Zarathustra untergehn: nun sitzt er hier und +wartet, alte zerbrochne Tafeln um sich und auch neue +Tafeln,—halbbeschriebene. + +4. + +Siehe, hier ist eine neue Tafel: aber wo sind meine Brüder, die sie mit +mir zu Thale und in fleischerne Herzen tragen?— + +Also heischt es meine grosse Liebe zu den Fernsten: schone deinen +Nächsten nicht! Der Mensch ist Etwas, das überwunden werden muss. + +Es giebt vielerlei Weg und Weise der Überwindung.- da siehe _du_ zu! +Aber nur ein Possenreisser denkt: „der Mensch kann auch _übersprungen_ +werden.“ + +Überwinde dich selber noch in deinem Nächsten: und ein Recht, das du +dir rauben kannst, sollst du dir nicht geben lassen! + +Was du thust, das kann dir Keiner wieder thun. Siehe, es giebt keine +Vergeltung. + +Wer sich nicht befehlen kann, der soll gehorchen. Und Mancher _kann_ +sich befehlen, aber da fehlt noch Viel, dass er sich auch gehorche! + +5. + +Also will es die Art edler Seelen: sie wollen Nichts _umsonst_ haben, +am wenigsten das Leben. + +Wer vom Pöbel ist, der will umsonst leben; wir Anderen aber, denen das +Leben sich gab,—wir sinnen immer darüber, _was_ wir am besten _dagegen_ +geben! + +Und wahrlich, diess ist eine vornehme Rede, welche spricht: „was _uns_ +das Leben verspricht, das wollen _wir_—dem Leben halten!“ + +Man soll nicht geniessen wollen, wo man nicht zu geniessen giebt. +Und—man soll nicht geniessen _wollen_! + +Genuss und Unschuld nämlich sind die schamhaftesten Dinge: Beide wollen +nicht gesucht sein. Man soll sie _haben_—, aber man soll eher noch nach +Schuld und Schmerzen _suchen_!— + +6. + +Oh meine Brüder, wer ein Erstling ist, der wird immer geopfert. Nun +aber sind wir Erstlinge. + +Wir bluten Alle an geheimen Opfertischen, wir brennen und braten Alle +zu Ehren alter Götzenbilder. + +Unser Bestes ist noch jung: das reizt alte Gaumen. Unser Fleisch ist +zart, unser Fell ist nur ein Lamm-Fell:—wie sollten wir nicht alte +Götzenpriester reizen! + +_In uns selber_ wohnt er noch, der alte Götzenpriester, der unser +Bestes sich zum Schmause brät. Ach, meine Brüder, wie sollten Erstlinge +nicht Opfer sein! + +Aber so will es unsre Art; und ich liebe Die, welche sich nicht +bewahren wollen. Die Untergehenden liebe ich mit meiner ganzen Liebe: +denn sie gehn hinüber.— + +7. + +Wahr sein—das _können_ Wenige! Und wer es kann, der will es noch nicht! +Am wenigsten aber können es die Guten. + +Oh diese Guten!—Gute Menschen reden nie die Wahrheit; für den Geist ist +solchermaassen gut sein eine Krankheit. + +Sie geben nach, diese Guten, sie ergeben sich, ihr Herz spricht nach, +ihr Grund gehorcht; wer aber gehorcht, der hört sich selber nicht! + +Alles, was den Guten böse heisst, muss zusammen kommen, dass Eine +Wahrheit geboren werde: oh meine Brüder, seid ihr auch böse genug zu +_dieser_ Wahrheit? + +Das verwegene Wagen, das lange Misstrauen, das grausame Nein, der +Überdruss, das Schneiden in’s Lebendige—wie selten kommt _das_ +zusammen! Aus solchem Samen aber wird Wahrheit gezeugt! + +_Neben_ dem bösen Gewissen wuchs bisher alles _Wissen_! Zerbrecht, +zerbrecht mir, ihr Erkennenden, die alten Tafeln! + +8. + +Wenn das Wasser Balken hat, wenn Stege und Geländer über den Fluss +springen: wahrlich, da findet Keiner Glauben, der da spricht: „Alles +ist im Fluss.“ + +Sondern selber die Tölpel widersprechen ihm. „Wie? sagen die Tölpel, +Alles wäre im Flusse? Balken und Geländer sind doch _über_ dem Flusse!“ + +„_Über_ dem Flusse ist Alles fest, alle die Werthe der Dinge, die +Brücken, Begriffe, alles „Gut“ und „Böse“: das ist Alles fest!“— + +Kommt gar der harte Winter, der Fluss-Thierbändiger: dann lernen auch +die Witzigsten Misstrauen; und, wahrlich, nicht nur die Tölpel sprechen +dann: „Sollte nicht Alles—_stille stehn_?“ + +„Im Grunde steht Alles stille“ —, das ist eine rechte Winter-Lehre, ein +gut Ding für unfruchtbare Zeit, ein guter Trost für Winterschläfer und +Ofenhocker. + +„Im Grund steht Alles still“—: _dagegen_ aber predigt der Thauwind! + +Der Thauwind, ein Stier, der kein pflügender Stier ist,—ein wüthender +Stier, ein Zerstörer, der mit zornigen Hörnern Eis bricht! Eis aber— +_bricht Stege_! + +Oh meine Brüder, ist _jetzt_ nicht Alles _im Flusse_? Sind nicht alle +Geländer und Stege in’s Wasser gefallen? Wer _hielte_ sich noch an +„Gut“ und „Böse“ ? + +„Wehe uns! Heil uns! Der Thauwind weht!“—Also predigt mir, oh meine +Brüder, durch alle Gassen! + +8. + +Es giebt einen alten Wahn, der heisst Gut und Böse. Um Wahrsager und +Sterndeuter drehte sich bisher das Rad dieses Wahns. + +Einst glaubte man an Wahrsager und Sterndeuter: und darum glaubte man +„Alles ist Schicksal: du sollst, denn du musst!“ + +Dann wieder misstraute man allen Wahrsagern und Sterndeutern: und +_darum_ glaubte man „Alles ist Freiheit: du kannst, denn du willst!“ + +Oh meine Brüder, über Sterne und Zukunft ist bisher nur gewähnt, nicht +gewusst worden: und _darum_ ist über Gut und Böse bisher nur gewähnt, +nicht gewusst worden! + +10. + +„Du sollst nicht rauben! Du sollst nicht todtschlagen!“—solche Worte +hiess man einst heilig; vor ihnen beugte man Knie und Köpfe und zog die +Schuhe aus. + +Aber ich frage euch: wo gab es je bessere Räuber und Todtschläger in +der Welt, als es solche heilige Worte waren? + +Ist in allem Leben selber nicht—Rauben und Todtschlagen? Und dass +solche Worte heilig hiessen, wurde damit die _Wahrheit_ selber +nicht—todtgeschlagen? + +Oder war es eine Predigt des Todes, dass heilig hiess, was allem Leben +widersprach und widerrieth?—Oh meine Brüder, zerbrecht, zerbrecht mir +die alten tafeln! + +11. + +Diess ist mein Mitleid mit allem Vergangenen, dass ich sehe: es ist +preisgegeben,— + +—der Gnade, dem Geiste, dem Wahnsinne jedes Geschlechtes preisgegeben, +das kommt und Alles, was war, zu seiner Brücke umdeutet! + +Ein grosser Gewalt-Herr könnte kommen, ein gewitzter Unhold, der mit +seiner Gnade und Ungnade alles Vergangene zwänge und zwängte: bis es +ihm Brücke würde und Vorzeichen und Herold und Hahnenschrei. + +Diess aber ist die andre Gefahr und mein andres Mitleiden:—wer vom +Pöbel ist, dessen Gedenken geht zurück bis zum Grossvater,—mit dem +Grossvater aber hört die Zeit auf. + +Also ist alles Vergangene preisgegeben: denn es könnte einmal kommen, +dass der Pöbel Herr würde und in seichten Gewässern alle Zeit ertränke. + +Darum, oh meine Brüder, bedarf es eines _neuen Adels_, der allem Pöbel +und allem Gewalt-Herrischen Widersacher ist und auf neue Tafeln neu das +Wort schreibt „edel“. + +Vieler Edlen nämlich bedarf es und vielerlei Edlen, dass es Adel gebe! +Oder, wie ich einst im Gleichniss sprach: „Das eben ist Göttlichkeit, +dass es Götter, aber keinen Gott giebt!“ + +12. + +Oh meine Brüder, ich weihe und weise euch zu einem neuen Adel: ihr +sollt mir Zeuger und Züchter werden und Säemänner der Zukunft,— + +—wahrlich, nicht zu einem Adel, den ihr kaufen könntet gleich den +Krämern und mit Krämer-Golde: denn wenig Werth hat Alles, was seinen +Preis hat. + +Nicht, woher ihr kommt, mache euch fürderhin eure Ehre, sondern wohin +ihr geht! Euer Wille und euer Fuss, der über euch selber hinaus +will,—das mache eure neue Ehre! + +Wahrlich nicht, dass ihr einem Fürsten gedient habt—was liegt noch an +Fürsten!—oder dem, was steht, zum Bollwerk wurdet, dass es fester +stünde! + +Nicht, dass euer Geschlecht an Höfen höfisch wurde, und ihr lerntet, +bunt, einem Flamingo ähnlich, lange Stunden in flachen Teichen stehn. + +—Denn Stehen-_können_ ist ein Verdienst bei Höflingen; und alle +Höflinge glauben, zur Seligkeit nach dem Tode gehöre—Sitzen-_dürfen_!— + +Nicht auch, dass ein Geist, den sie heilig nennen, eure Vorfahren in +gelobte Länder führte, die _ich_ nicht lobe: denn wo der schlimmste +aller Bäume wuchs, das Kreuz,—an dem Lande ist Nichts zu loben!— + +—und wahrlich, wohin dieser „heilige Geist“ auch seine Ritter führte, +immer liefen bei solchen Zügen—Ziegen und Gänse und Kreuz- und +Querköpfe _voran_!— + +Oh meine Brüder, nicht zurück soll euer Adel schauen, sondern _hinaus_! +Vertriebene sollt ihr sein aus allen Vater- und Urväterländern! + +Eurer Kinder Land sollt ihr lieben: diese Liebe sei euer neuer +Adel,—das unentdeckte, im feinsten Meere! Nach ihm heisse ich eure +Segel suchen und suchen! + +An euren Kindern sollt ihr _gutmachen_, dass ihr eurer Väter Kinder +seid: alles Vergangene sollt ihr _so_ erlösen! Diese neue Tafel stelle +ich über euch! + +13. + +„Wozu leben? Alles ist eitel! Leben—das ist Stroh dreschen; Leben—das +ist sich verbrennen und doch nicht warm werden.“— + +Solch alterthümliches Geschwätz gilt immer noch als „Weisheit“; dass es +aber alt ist und dumpfig riecht, _darum_ wird es besser geehrt. Auch +der Moder adelt.— + +Kinder durften so reden: die _scheuen_ das Feuer, weil es sie brannte! +Es ist viel Kinderei in den alten Büchern der Weisheit. + +Und wer immer „Stroh drischt“, wie sollte der auf das Dreschen lästern +dürfen! Solchem Narren müsste man doch das Maul verbinden! + +Solche setzen sich zu Tisch und bringen Nichts mit, selbst den guten +Hunger nicht:—und nun lästern sie „Alles ist eitel!“ + +Aber gut essen und trinken, oh meine Brüder, ist wahrlich keine eitle +Kunst! Zerbrecht, zerbrecht mir die Tafeln der Nimmer-Frohen! + +14. + +„Dem Reinen ist Alles rein“ —so spricht das Volk. Ich aber sage euch: +den Schweinen wird Alles Schwein! + +Darum predigen die Schwärmer und Kopfhänger, denen auch das Herz +niederhängt: „die Welt selber ist ein kothiges Ungeheuer.“ + +Denn diese Alle sind unsäuberlichen Geistes; sonderlich aber Jene, +welche nicht Ruhe, noch Rast haben, es sei denn, sie sehen die Welt +_von hinten_,—die Hinterweltler! + +_Denen_ sage ich in’s Gesicht, ob es gleich nicht lieblich klingt: die +Welt gleicht darin dem Menschen, dass sie einen Hintern hat,—_so Viel_ +ist wahr! + +Es giebt in der Welt viel Koth: _so Viel_ ist wahr! Aber darum ist die +Welt selber noch kein kothiges Ungeheuer! + +Es ist Weisheit darin, dass Vieles in der Welt übel riecht: der Ekel +selber schafft Flügel und quellenahnende Kräfte! + +An dem Besten ist noch Etwas zum Ekeln; und der Beste ist noch Etwas, +das überwunden werden muss!— + +Oh meine Brüder, es ist viel Weisheit darin, dass viel Koth in der Welt +ist!— + +15. + +Solche Sprüche hörte ich fromme Hinterweltler zu ihrem Gewissen reden; +und wahrlich, ohne Arg und Falsch,—ob es Schon nichts Falscheres in der +Welt giebt, noch Ärgeres. + +„Lass doch die Welt der Welt sein! Hebe dawider auch nicht Einen Finger +auf!“ + +„Lass, wer da wolle, die Leute würgen und stechen und schneiden und +schaben: hebe dawider auch nicht Einen Finger auf! Darob lernen sie +noch der Welt absagen.“ + +„Und deine eigne Vernunft—die sollst du selber görgeln und würgen; denn +es ist eine Vernunft von dieser Welt,—darob lernst du selber der Welt +absagen.“ - + +—Zerbrecht, zerbrecht mir, oh meine Brüder, diese alten Tafeln der +Frommen! Zersprecht mir die Sprüche der Welt-Verleumder! + +16. + +„Wer viel lernt, der verlernt alles heftige Begehren“ —das flüstert man +heute sich zu auf allen dunklen Gassen. + +„Weisheit macht müde, es lohnt sich—Nichts; du sollst nicht +begehren!“—diese neue Tafel fand ich hängen selbst auf offnen Märkten. + +Zerbrecht mir, oh meine Brüder, zerbrecht mir auch diese _neue_ Tafel! +Die Welt-Müden hängten sie hin und die Prediger des Todes, und auch die +Stockmeister: denn seht, es ist auch eine Predigt zur Knechtschaft!— + +Dass sie schlecht lernten und das Beste nicht, und Alles zu früh und +Alles zu geschwind: dass sie schlecht _assen_, daher kam ihnen jener +verdorbene Magen,— + +—ein verdorbener Magen ist nämlich ihr Geist: _der_ räth zum Tode! Denn +wahrlich, meine Brüder, der Geist _ist_ ein Magen! + +Das Leben ist ein Born der Lust: aber aus wem der verdorbene Magen +redet, der Vater der Trübsal, dem sind alle Quellen vergiftet. + +Erkennen: das ist _Lust_ dem Löwen-willigen! Aber wer müde wurde, der +wird selber nur „gewollt“, mit dem spielen alle Wellen. + +Und so ist es immer schwacher Menschen Art: sie verlieren sich auf +ihren Wegen. Und zuletzt fragt noch ihre Müdigkeit: „wozu giengen wir +jemals Wege! Es ist Alles gleich!“ + +_Denen_ klingt es lieblich zu Ohren, dass gepredigt wird: „Es verlohnt +sich Nichts! Ihr sollt nicht wollen!“ Diess aber ist eine Predigt zur +Knechtschaft. + +Oh meine Brüder, ein frischer Brause-Wind kommt Zarathustra allen +Weg-Müden; viele Nasen wird er noch niesen machen! + +Auch durch Mauern bläst mein freier Athem, und hinein in Gefängnisse +und eingefangne Geister! + +Wollen befreit: denn Wollen ist Schaffen: so lehre ich. Und _nur_ zum +Schaffen sollt ihr lernen! + +Und auch das Lernen sollt ihr erst von mir _lernen_, das +Gut-Lernen!—Wer Ohren hat, der höre! + +17. + +Da steht der Nachen,—dort hinüber geht es vielleicht in’s grosse +Nichts.—Aber wer will in diess „Vielleicht“ einsteigen? + +Niemand von euch will in den Todes-Nachen einsteigen! Wieso wollt ihr +dann _Welt-Müde_ sein! + +Weltmüde! Und noch nicht einmal Erd-Entrückte wurdet ihr! Lüstern fand +ich euch immer noch nach Erde, verliebt noch in die eigne +Erd-Müdigkeit! + +Nicht umsonst hängt euch die Lippe herab:—ein kleiner Erden-Wunsch +sitzt noch darauf! Und im Auge—schwimmt da nicht ein Wölkchen +unvergessner Erden-Lust? + +Es giebt auf Erden viel gute Erfindungen, die einen nützlich, die +andern angenehm: derentwegen ist die Erde zu lieben. + +Und mancherlei so gut Erfundenes giebt es da, dass es ist wie des +Weibes Busen: nützlich zugleich und angenehm. + +Ihr Welt-Müden aber! Ihr Erden-Faulen! Euch soll man mit Ruthen +streichen! Mit Ruthenstreichen soll man euch wieder muntre Beine +machen. + +Denn: seid ihr nicht Kranke und verlebte Wichte, deren die Erde müde +ist, so seid ihr schlaue Faulthiere oder naschhafte verkrochene +Lust-Katzen. Und wollt ihr nicht wieder lustig _laufen_, so sollt +ihr—dahinfahren! + +An Unheilbaren soll man nicht Arzt sein wollen: also lehrt es +Zarathustra:—so sollt ihr dahinfahren! + +Aber es gehört mehr _Muth_ dazu, ein Ende zu machen, als einen neuen +Vers: das wissen alle Ärzte und Dichter.— + +18. + +Oh meine Brüder, es giebt Tafeln, welche die Ermüdung, und Tafeln, +welche die Faulheit schuf, die faulige: ob sie schon gleich reden, so +wollen sie doch ungleich gehört sein.— + +Seht hier diesen Verschmachtenden! Nur eine Spanne weit ist er noch von +seinem Ziele, aber vor Müdigkeit hat er sich trotzig hier in den Staub +gelegt: dieser Tapfere! + +Vor Müdigkeit gähnt er Weg und Erde und Ziel und sich selber an: keinen +Schritt will er noch weiter thun,—dieser Tapfere! + +Nun glüht die Sonne auf ihn, und die Hunde lecken nach seinem +Schweisse: aber er liegt da in seinem Trotze und will lieber +verschmachten:— + +—eine Spanne weit von seinem Ziele verschmachten! Wahrlich, ihr werdet +ihn noch an den Haaren in seinen Himmel ziehen müssen,—diesen Helden! + +Besser noch, ihr lasst ihn liegen, wohin er sich gelegt hat, dass der +Schlaf ihm komme, der Tröster, mit kühlendem Rausche-Regen: + +Lasst ihn liegen, bis er von selber wach wird, bis er von selber alle +Müdigkeit widerruft und was Müdigkeit aus ihm lehrte! + +Nur, meine Brüder, dass ihr die Hunde von ihm scheucht, die faulen +Schleicher, und all das schwärmende Geschmeiss:— + +—all das schwärmende Geschmeiss der „Gebildeten“ , das sich am +Schweisse jedes Helden—gütlich thut!— + +19. + +Ich schliesse Kreise um mich und heilige Grenzen; immer Wenigere +steigen mit mir auf immer höhere Berge,—ich baue ein Gebirge aus immer +heiligeren Bergen. - + +Wohin ihr aber auch mit mir steigen mögt, oh meine Brüder: seht zu, +dass nicht ein _Schmarotzer_ mit euch steige! + +Schmarotzer: das ist ein Gewürm, ein kriechendes, geschmiegtes, das +fett werden will an euren kranken wunden Winkeln. + +Und _das_ ist seine Kunst, dass er steigende Seelen erräth, wo sie müde +sind: in euren Gram und Unmuth, in eure zarte Scham baut er sein ekles +Nest. + +Wo der Starke schwach, der Edle allzumild ist,—dahinein baut er sein +ekles Nest: der Schmarotzer wohnt, wo der Grosse kleine wunde Winkel +hat. + +Was ist die höchste Art alles Seienden und was die geringste? Der +Schmarotzer ist die geringste Art; wer aber höchster Art ist, der +ernährt die meisten Schmarotzer. + +Die Seele nämlich, welche die längste Leiter hat und am tiefsten +hinunter kann: wie sollten nicht an der die meisten Schmarotzer +sitzen?— + +—die umfänglichste Seele, welche am weitesten in sich laufen und irren +und schweifen kann; die nothwendigste, welche sich aus Lust in den +Zufall stürzt:— + +—die seiende Seele, welche in’s Werden taucht; die habende, welche in’s +Wollen und Verlangen _will_:— + +—die sich selber fliehende, die sich selber im weitesten Kreise +einholt; die weiseste Seele, welcher die Narrheit am süssesten +zuredet:— + +—die sich selber liebendste, in der alle Dinge ihr Strömen und +Wiederströmen und Ebbe und Fluth haben:—oh wie sollte _die höchste +Seele_ nicht die schlimmsten Schmarotzer haben? + +20. + +Oh meine Brüder, bin ich denn grausam? Aber ich sage: was fällt, das +soll man auch noch stossen! + +Das Alles von Heute—das fällt, das verfällt: wer wollte es halten! Aber +ich—ich _will_ es noch stossen! + +Kennt ihr die Wollust, die Steine in steile Tiefen rollt?—Diese +Menschen von heute: seht sie doch, wie sie in meine Tiefen rollen! + +Ein Vorspiel bin ich besserer Spieler, oh meine Brüder! Ein Beispiel! +_Thut_ nach meinem Beispiele! + +Und wen ihr nicht fliegen lehrt, den lehrt mir—schneller fallen!— + +21. + +Ich liebe die Tapferen: aber es ist nicht genug, Hau-Degen sein,—man +muss auch wissen Hau-schau-_Wen_! + +Und oft ist mehr Tapferkeit darin, dass Einer an sich hält und +vorübergeht: _damit_ er sich dem würdigeren Feinde aufspare! + +Ich sollt nur Feinde haben, die zu hassen sind, aber nicht Feinde zum +Verachten: ihr müsst stolz auf euren Feind sein: also lehrte ich schon +Ein Mal. + +Dem würdigeren Feinde, oh meine Freunde, sollt ihr euch aufsparen: +darum müsst ihr an Vielem vorübergehn,— + +—sonderlich an vielem Gesindel, das euch in die Ohren lärmt von Volk +und Völkern. + +Haltet euer Auge rein von ihrem Für und Wider! Da giebt es viel Recht, +viel Unrecht: wer da zusieht, wird zornig. + +Dreinschaun, dreinhaun—das ist da Eins: darum geht weg in die Wälder +und legt euer Schwert schlafen! + +Geht _eure_ Wege! Und lasst Volk und Völker die ihren gehn!—dunkle Wege +wahrlich, auf denen auch nicht Eine Hoffnung mehr wetterleuchtet! + +Mag da der Krämer herrschen, wo Alles, was noch glänzt—Krämer-Gold ist! +Es ist die Zeit der Könige nicht mehr: was sich heute Volk heisst, +verdient keine Könige. + +Seht doch, wie diese Völker jetzt selber den Krämern gleich thun: sie +lesen sich die kleinsten Vortheile noch aus jedem Kehricht! + +Sie lauern einander auf, sie lauern einander Etwas ab,—das heissen sie +„gute Nachbarschaft.“ Oh selige ferne Zeit, wo ein Volk sich sagte: +„ich will über Völker—_Herr_ sein!“ + +Denn, meine Brüder: das Beste soll herrschen, das Beste will auch +herrschen! Und wo die Lehre anders lautet, da—_fehlt_ es am Besten. + +22. + +Wenn _Die_—Brod umsonst hätten, wehe! Wonach würden _Die_ schrein! Ihr +Unterhalt—das ist ihre rechte Unterhaltung; und sie sollen es schwer +haben! + +Raubthiere sind es.- in ihrem „Arbeiten“ —da ist auch noch Rauben, in +ihrem „Verdienen“ —da ist auch noch Überlisten! Darum sollen sie es +schwer haben! + +Bessere Raubthiere sollen sie also werden, feinere, klügere, +_menschen-ähnlichere_: der Mensch nämlich ist das beste Raubthier. + +Allen Thieren hat der Mensch schon ihre Tugenden abgeraubt: das macht, +von allen Thieren hat es der Mensch am schwersten gehabt. + +Nur noch die Vögel sind über ihm. Und wenn der Mensch noch fliegen +lernte, wehe! _wohinauf_—würde seine Raublust fliegen! + +23. + +So will ich Mann und Weib: kriegstüchtig den Einen, gebärtüchtig das +Andre, beide aber tanztüchtig mit Kopf und Beinen. + +Und verloren sei uns der Tag, wo nicht Ein Mal getanzt wurde! Und +falsch heisse uns jede Wahrheit, bei der es nicht Ein Gelächter gab! + +24. + +Euer Eheschliessen: seht zu, dass es nicht ein schlechtes _Schliessen_ +sei! Ihr schlosset zu schnell: so _folgt_ daraus—Ehebrechen! + +Und besser noch Ehebrechen als Ehe-biegen, Ehelügen!—So sprach mir ein +Weib: „wohl brach ich die Ehe, aber zuerst brach die Ehe—mich!“ + +Schlimm-Gepaarte fand ich immer als die schlimmsten Rachsüchtigen: sie +lassen es aller Welt entgelten, dass sie nicht mehr einzeln laufen. + +Desswillen will ich, dass Redliche zu einander reden: „wir lieben uns: +lasst uns _zusehn_, dass wir uns lieb behalten! Oder soll unser +Versprechen ein Versehen sein?“ + +—„Gebt uns eine Frist und kleine Ehe, dass wir zusehn, ob wir zur +grossen Ehe taugen! Es ist ein grosses Ding, immer zu Zwein sein!“ + +Also rathe ich allen Redlichen; und was wäre denn meine Liebe zum +Übermenschen und zu Allem, was kommen soll, wenn ich anders riethe und +redete! + +Nicht nur fort euch zu pflanzen, sondern _hinauf_—dazu, oh meine +Brüder, helfe euch der Garten der Ehe! + +25. + +Wer über alte Ursprünge weise wurde, siehe, der wird zuletzt nach +Quellen der Zukunft suchen und nach neuen Ursprüngen.— + +Oh meine Brüder, es ist nicht über lange, da werden _neue Völker_ +entspringen und neue Quellen hinab in neue Tiefen rauschen. + +Das Erdbeben nämlich—das verschüttet viel Brunnen, das schafft viel +Verschmachten: das hebt auch innre Kräfte und Heimlichkeiten an’s +Licht. + +Das Erdbeben macht neue Quellen offenbar. Im Erdbeben alter Völker +brechen neue Quellen aus. + +Und wer da ruft: „Siehe hier ein Brunnen für viele Durstige, Ein Herz +für viele Sehnsüchtige, Ein Wille für viele Werkzeuge“ :—um den sammelt +sich ein _Volk_, das ist: viel Versuchende. + +Wer befehlen kann, wer gehorchen muss—Das wird da versucht! Ach, mit +welch langem Suchen und Rathen und Missrathen und Lernen und +Neu-Versuchen! + +Die Menschen-Gesellschaft: die ist ein Versuch, so lehre ich’s,—ein +langes Suchen: sie sucht aber den Befehlenden!— + +—ein Versuch, oh meine Brüder! Und _kein_ „Vertrag“! Zerbrecht, +zerbrecht mir solch Wort der Weich-Herzen und Halb- und Halben! + +26. + +Oh meine Brüder! Bei Welchen liegt doch die grösste Gefahr aller +Menschen-Zukunft? Ist es nicht bei den Guten und Gerechten?— + +—als bei Denen, die sprechen und im Herzen fühlen: „wir wissen schon, +was gut ist und gerecht, wir haben es auch; wehe Denen, die hier noch +suchen!“— + +Und was für Schaden auch die Bösen thun mögen: der Schaden der Guten +ist der schädlichste Schaden! + +Und was für Schaden auch die Welt-Verleumder thun mögen: der Schaden +der Guten ist der schädlichste Schaden. + +Oh meine Brüder, den Guten und Gerechten sah Einer einmal in’s Herz, +der da sprach: „es sind die Pharisäer.“ Aber man verstand ihn nicht. + +Die Guten und Gerechten selber durften ihn nicht verstehen: ihr Geist +ist eingefangen in ihr gutes Gewissen. Die Dummheit der Guten ist +unergründlich klug. + +Das aber ist die Wahrheit: die Guten _müssen_ Pharisäer sein,—sie haben +keine Wahl! + +Die Guten _müssen_ Den kreuzigen, der sich seine eigne Tugend erfindet! +Das _ist_ die Wahrheit! + +Der Zweite aber, der ihr Land entdeckte, Land, Herz und Erdreich der +Guten und Gerechten: das war, der da fragte: „wen hassen sie am +meisten?“ + +Den _Schaffenden_ hassen sie am meisten: den, der Tafeln bricht und +alte Werthe, den Brecher—den heissen sie Verbrecher. + +Die Guten nämlich—die _können_ nicht schaffen: die sind immer der +Anfang vom Ende:- + +—sie kreuzigen Den, der neue Werthe auf neue Tafeln schreibt, sie +opfern _sich_ die Zukunft,—sie kreuzigen alle Menschen-Zukunft! + +Die Guten—die waren immer der Anfang vom Ende.— + +27. + +Oh meine Brüder, verstandet ihr auch diess Wort? Und was ich einst +sagte vom „letzten Menschen“ ?— + +Bei Welchen liegt die grösste Gefahr aller Menschen-Zukunft? Ist es +nicht bei den Guten und Gerechten? + +Zerbrecht, zerbrecht mir die Guten und Gerechten!—Oh meine Brüder, +verstandet ihr auch diess Wort? + +28. + +Ihr flieht von mir? Ihr seid erschreckt? Ihr zittert vor diesem Worte? + +Oh meine Brüder, als ich euch die Guten zerbrechen hiess und die Tafeln +der Guten: da erst schiffte ich den Menschen ein auf seine hohe See. + +Und nun erst kommt ihm der grosse Schrecken, das grosse Um-sich-sehn, +die grosse Krankheit, der grosse Ekel, die grosse See-Krankheit. + +Falsche Küsten und falsche Sicherheiten lehrten euch die Guten; in +Lügen der Guten wart ihr geboren und geborgen. Alles ist in den Grund +hinein verlogen und verbogen durch die Guten. + +Aber wer das Land „Mensch“ entdeckte, entdeckte auch das Land +„Menschen-Zukunft“. Nun sollt ihr mir Seefahrer sein, wackere, +geduldsame! + +Aufrecht geht mir bei Zeiten, oh meine Brüder, lernt aufrecht gehn! Das +Meer stürmt: Viele wollen an euch sich wieder aufrichten. + +Das Meer stürmt: Alles ist im Meere. Wohlan! Wohlauf! Ihr alten +Seemanns-Herzen! + +Was Vaterland! _Dorthin_ will unser Steuer, wo unser _Kinder-Land_ ist! +Dorthinaus, stürmischer als das Meer, stürmt unsre grosse Sehnsucht!— + +29. + +„Warum so hart!—sprach zum Diamanten einst die Küchen-Kohle; sind wir +denn nicht Nah-Verwandte?“— + +Warum so weich? Oh meine Brüder, also frage _ich_ euch: seid ihr denn +nicht—meine Brüder? + +Warum so weich, so weichend und nachgebend? Warum ist so viel Leugnung, +Verleugnung in eurem Herzen? So wenig Schicksal in eurem Blicke? + +Und wollt ihr nicht Schicksale sein und Unerbittliche: wie könntet ihr +mit mir —siegen? + +Und wenn eure Härte nicht blitzen und scheiden und zerschneiden will: +wie könntet ihr einst mit mir—schaffen? + +Die Schaffenden nämlich sind hart. Und Seligkeit muss es euch dünken, +eure Hand auf Jahrtausende zu drücken wie auf Wachs,— + +—Seligkeit, auf dem Willen von Jahrtausenden zu schreiben wie auf +Erz,—härter als Erz, edler als Erz. Ganz hart ist allein das Edelste. + +Diese neue Tafel, oh meine Brüder, stelle ich über euch: werdet hart!— + +30. + +Oh du mein Wille! Du Wende aller Noth du _meine_ Nothwendigkeit! +Bewahre mich vor allen kleinen Siegen! + +Du Schickung meiner Seele, die ich Schicksal heisse! Du-In-mir! +Über-mir! Bewahre und spare mich auf zu Einem grossen Schicksale! + +Und deine letzte Grösse, mein Wille, spare dir für dein Letztes +auf,—dass du unerbittlich bist _in_ deinem Siege! Ach, wer unterlag +nicht seinem Siege! + +Ach, wessen Auge dunkelte nicht in dieser trunkenen Dämmerung! Ach, +wessen Fuss taumelte nicht und verlernte im Siege—stehen!— + +—Dass ich einst bereit und reif sei im grossen Mittage: bereit und reif +gleich glühendem Erze, blitzschwangrer Wolke und schwellendem +Milch-Euter:— + +—bereit zu mir selber und zu meinem verborgensten Willen: ein Bogen +brünstig nach seinem Pfeile, ein Pfeil brünstig nach seinem Sterne:— + +—ein Stern bereit und reif in seinem Mittage, glühend, durchbohrt, +selig vor vernichtenden Sonnen-Pfeilen:— + +—eine Sonne selber und ein unerbittlicher Sonnen-Wille, zum Vernichten +bereit im Siegen! + +Oh Wille, Wende aller Noth, du _meine_ Nothwendigkeit! Spare mich auf +zu Einem grossen Siege!— + +Also sprach Zarathustra. + + +Der Genesende + +1. + +Eines Morgens, nicht lange nach seiner Rückkehr zur Höhle, sprang +Zarathustra von seinem Lager auf wie ein Toller, schrie mit furchtbarer +Stimme und gebärdete sich, als ob noch Einer auf dem Lager läge, der +nicht davon aufstehn wolle; und also tönte Zarathustra’s Stimme, dass +seine Thiere erschreckt hinzukamen, und dass aus allen Höhlen und +Schlupfwinkeln, die Zarathustra’s Höhle benachbart waren, alles Gethier +davon huschte,—fliegend, flatternd, kriechend, springend, wie ihm nur +die Art von Fuss und Flügel gegeben war. Zarathustra aber redete diese +Worte: + +Herauf, abgründlicher Gedanke, aus meiner Tiefe! Ich bin dein Hahn und +Morgen-Grauen, verschlafener Wurm: auf! auf! Meine Stimme soll dich +schon wach krähen! + +Knüpfe die Fessel deiner Ohren los: horche! Denn ich will dich hören! +Auf! Auf! Hier ist Donners genug, dass auch Gräber horchen lernen! + +Und wische den Schlaf und alles Blöde, Blinde aus deinen Augen! Höre +mich auch mit deinen Augen: meine Stimme ist ein Heilmittel noch für +Blindgeborne. + +Und bist du erst wach, sollst du mir ewig wach bleiben. Nicht ist das +_meine_ Art, Urgrossmütter aus dem Schlafe wecken, dass ich sie +heisse—weiterschlafen! + +Du regst dich, dehnst dich, röchelst? Auf! Auf! Nicht röcheln—reden +sollst du mir! Zarathustra ruft dich, der Gottlose! + +Ich, Zarathustra, der Fürsprecher des Lebens, der Fürsprecher des +Leidens, der Fürsprecher des Kreises—dich rufe ich, meinen +abgründlichsten Gedanken! + +Heil mir! Du kommst—ich höre dich! Mein Abgrund _redet_, meine letzte +Tiefe habe ich an’s Licht gestülpt! + +Heil mir! Heran! Gieb die Hand—ha! lass! Haha!—Ekel, Ekel, Ekel—wehe +mir! + +2. + +Kaum aber hatte Zarathustra diese Worte gesprochen, da stürzte er +nieder gleich einem Todten und blieb lange wie ein Todter. Als er aber +wieder zu sich kam, da war er bleich und zitterte und blieb liegen und +wollte lange nicht essen noch trinken. Solches Wesen dauerte an ihm +sieben Tage; seine Thiere verliessen ihn aber nicht bei Tag und Nacht, +es sei denn, dass der Adler ausflog, Speise zu holen. Und was er holte +und zusammenraubte, das legte er auf Zarathustra’s Lager: also dass +Zarathustra endlich unter gelben und rothen Beeren, Trauben, +Rosenäpfeln, wohlriechendem Krautwerke und Pinien-Zapfen lag. Zu seinen +Füssen aber waren zwei Lämmer gebreitet, welche der Adler mit Mühe +ihren Hirten abgeraubt hatte. + +Endlich, nach sieben Tagen, richtete sich Zarathustra auf seinem Lager +auf, nahm einen Rosenapfel in die Hand, roch daran und fand seinen +Geruch lieblich. Da glaubten seine Thiere, die Zeit sei gekommen, mit +ihm zu reden. + +„Oh Zarathustra, sagten sie, nun liegst du schon sieben Tage so, mit +schweren Augen: willst du dich nicht endlich wieder auf deine Füsse +stellen? + +Tritt hinaus aus deiner Höhle: die Welt wartet dein wie ein Garten. Der +Wind spielt mit schweren Wohlgerüchen, die zu dir wollen; und alle +Bäche möchten dir nachlaufen. + +Alle Dinge sehnen sich nach dir, dieweil du sieben Tage allein +bliebst,—tritt hinaus aus deiner Höhle! Alle Dinge wollen deine Ärzte +sein! + +Kam wohl eine neue Erkenntniss zu dir, eine saure, schwere? Gleich +angesäuertem Teige lagst du, deine Seele gieng auf und schwoll über +alle ihre Ränder.—„ + +—Oh meine Thiere, antwortete Zarathustra, schwätzt also weiter und +lasst mich zuhören! Es erquickt mich so, dass ihr schwätzt: wo +geschwätzt wird, da liegt mir schon die Welt wie ein Garten. + +Wie lieblich ist es, dass Worte und Töne da sind: sind nicht Worte und +Töne Regenbogen und Schein-Brücken zwischen Ewig-Geschiedenem? + +Zu jeder Seele gehört eine andre Welt; für jede Seele ist jede andre +Seele eine Hinterwelt. + +Zwischen dem Ähnlichsten gerade lügt der Schein am schönsten; denn die +kleinste Kluft ist am schwersten zu überbrücken. + +Für mich—wie gäbe es ein Ausser-mir? Es giebt kein Aussen! Aber das +vergessen wir bei allen Tönen; wie lieblich ist es, dass wir vergessen! + +Sind nicht den Dingen Namen und Töne geschenkt, dass der Mensch sich an +den Dingen erquicke? Es ist eine schöne Narrethei, das Sprechen: damit +tanzt der Mensch über alle Dinge. + +Wie lieblich ist alles Reden und alle Lüge der Töne! Mit Tönen tanzt +unsre Liebe auf bunten Regenbögen.— + +—„Oh Zarathustra, sagten darauf die Thiere, Solchen, die denken wie +wir, tanzen alle Dinge selber: das kommt und reicht sich die Hand und +lacht und flieht—und kommt zurück. + +Alles geht, Alles kommt zurück; ewig rollt das Rad des Seins. Alles +stirbt, Alles blüht wieder auf, ewig läuft das Jahr des Seins. + +Alles bricht, Alles wird neu gefügt; ewig baut sich das gleiche Haus +des Seins. Alles scheidet, Alles grüsst sich wieder; ewig bleibt sich +treu der Ring des Seins. + +In jedem Nu beginnt das Sein; um jedes Hier rollt sich die Kugel Dort. +Die Mitte ist überall. Krumm ist der Pfad der Ewigkeit.“— + +—Oh ihr Schalks-Narren und Drehorgeln! antwortete Zarathustra und +lächelte wieder, wie gut wisst ihr, was sich in sieben Tagen erfüllen +musste:— + +—und wie jenes Unthier mir in den Schlund kroch und mich würgte! Aber +ich biss ihm den Kopf ab und spie ihn weg von mir. + +Und ihr,—ihr machtet schon ein Leier-Lied daraus? Nun aber liege ich +da, müde noch von diesem Beissen und Wegspein, krank noch von der +eigenen Erlösung. + +Und ihr schautet dem Allen zu? Oh meine Thiere, seid auch ihr grausam? +Habt ihr meinem grossen Schmerze zuschaun wollen, wie Menschen thun? +Der Mensch nämlich ist das grausamste Thier. + +Bei Trauerspielen, Stierkämpfen und Kreuzigungen ist es ihm bisher am +wohlsten geworden auf Erden; und als er sich die Hölle erfand, siehe, +da war das sein Himmel auf Erden. + +Wenn der grosse Mensch schreit—: flugs läuft der kleine hinzu; und die +Zunge hängt ihm aus dem Halse vor Lüsternheit. Er aber heisst es sein +„Mitleiden.“ + +Der kleine Mensch, sonderlich der Dichter—wie eifrig klagt er das Leben +in Worten an! Hört hin, aber überhört mir die Lust nicht, die in allem +Anklagen ist! + +Solche Ankläger des Lebens: die überwindet das Leben mit einem +Augenblinzeln. „Du liebst mich? sagt die Freche; warte noch ein Wenig, +noch habe ich für dich nicht Zeit.“ + +Der Mensch ist gegen sich selber das grausamste Thier; und bei Allem, +was sich „Sünder“ und „Kreuzträger“ und „Büsser“ heisst, überhört mir +die Wollust nicht, die in diesem Klagen und Anklagen ist! + +Und ich selber—will ich damit des Menschen Ankläger sein? Ach, meine +Thiere, Das allein lernte ich bisher, dass dem Menschen sein Bösestes +nöthig ist zu seinem Besten,— + +—dass alles Böseste seine beste _Kraft_ ist und der härteste Stein dem +höchsten Schaffenden; und dass der Mensch besser _und_ böser werden +muss: - + +Nicht an _diess_ Marterholz war ich geheftet, dass ich weiss: der +Mensch ist böse,—sondern ich schrie, wie noch Niemand geschrien hat: + +„Ach dass sein Bösestes so gar klein ist! Ach dass sein Bestes so gar +klein ist!“ + +Der grosse Überdruss am Menschen—_der_ würgte mich und war mir in den +Schlund gekrochen: und was der Wahrsager wahrsagte: „Alles ist gleich, +es lohnt sich Nichts, Wissen würgt.“ + +Eine lange Dämmerung hinkte vor mir her, eine todesmüde, todestrunkene +Traurigkeit, welche mit gähnendem Munde redete. + +„Ewig kehrt er wieder, der Mensch, dess du müde bist, der kleine +Mensch“—so gähnte meine Traurigkeit und schleppte den Fuss und konnte +nicht einschlafen. + +Zur Höhle wandelte sich mir die Menschen-Erde, ihre Brust sank hinein, +alles Lebendige ward mir Menschen-Moder und Knochen und morsche +Vergangenheit. + +Mein Seufzen sass auf allen Menschen-Gräbern und konnte nicht mehr +aufstehn; mein Seufzen und Fragen unkte und würgte und nagte und klagte +bei Tag und Nacht: + +—„ach, der Mensch kehrt ewig wieder! Der kleine Mensch kehrt ewig +wieder!“— + +Nackt hatte ich einst Beide gesehn, den grössten Menschen und den +kleinsten Menschen: allzuähnlich einander,—allzumenschlich auch den +Grössten noch! + +Allzuklein der Grösste!—Das war mein Überdruss am Menschen! Und ewige +Wiederkunft auch des Kleinsten!—Das war mein Überdruss an allem Dasein! + +Ach, Ekel! Ekel! Ekel!—- Also sprach Zarathustra und seufzte und +schauderte; denn er erinnerte sich seiner Krankheit. Da liessen ihn +aber seine Thiere nicht weiter reden. + +„Sprich nicht weiter, du Genesender!—so antworteten ihm seine Thiere, +sondern geh hinaus, wo die Welt auf dich wartet gleich einem Garten. + +Geh hinaus zu den Rosen und Bienen und Taubenschwärmen! Sonderlich aber +zu den Singe-Vögeln: dass du ihnen das _Singen_ ablernst! + +Singen nämlich ist für Genesende; der Gesunde mag reden. Und wenn auch +der Gesunde Lieder will, will er andre Lieder doch als der Genesende.“ + +—„Oh ihr Schalks-Narren und Drehorgeln, so schweigt doch!—antwortete +Zarathustra und lächelte über seine Thiere. Wie gut ihr wisst, welchen +Trost ich mir selber in sieben Tagen erfand! + +Dass ich wieder singen müsse,—_den_ Trost erfand ich mir und _diese_ +Genesung: wollt ihr auch daraus gleich wieder ein Leier-Lied machen?“ + +—„Sprich nicht weiter, antworteten ihm abermals seine Thiere; lieber +noch, du Genesender, mache dir erst eine Leier zurecht, eine neue +Leier! + +Denn siehe doch, oh Zarathustra! Zu deinen neuen Liedern bedarf es +neuer Leiern. + +Singe und brause über, oh Zarathustra, heile mit neuen Liedern deine +Seele: dass du dein grosses Schicksal tragest, das noch keines Menschen +Schicksal war! + +Denn deine Thiere wissen es wohl, oh Zarathustra, wer du bist und +werden musst: siehe, du bist der Lehrer der ewigen Wiederkunft—, das +ist nun _dein_ Schicksal! + +Dass du als der Erste diese Lehre lehren musst,—wie sollte diess grosse +Schicksal nicht auch deine grösste Gefahr und Krankheit sein! + +Siehe, wir wissen, was du lehrst: dass alle Dinge ewig wiederkehren und +wir selber mit, und dass wir schon ewige Male dagewesen sind, und alle +Dinge mit uns. + +Du lehrst, dass es ein grosses Jahr des Werdens giebt, ein Ungeheuer +von grossem Jahre: das muss sich, einer Sanduhr gleich, immer wieder +von Neuem umdrehn, damit es von Neuem ablaufe und auslaufe:— + +—so dass alle diese Jahre sich selber gleich sind, im Grössten und auch +im Kleinsten,—so dass wir selber in jedem grossen Jahre uns selber +gleich sind, im Grössten und auch im Kleinsten. + +Und wenn du jetzt sterben wolltest, oh Zarathustra: siehe, wir wissen +auch, wie du da zu dir sprechen würdest:—aber deine Thiere bitten dich, +dass du noch nicht sterbest! + +Du würdest sprechen und ohne Zittern, vielmehr aufathmend vor +Seligkeit: denn eine grosse Schwere und Schwüle wäre von dir genommen, +du Geduldigster!— + +„Nun sterbe und schwinde ich, würdest du sprechen, und im Nu bin ich +ein Nichts. Die Seelen sind so sterblich wie die Leiber. + +Aber der Knoten von Ursachen kehrt wieder, in den ich verschlungen +bin,—der wird mich wieder schaffen! Ich selber gehöre zu den Ursachen +der ewigen Wiederkunft. + +Ich komme wieder, mit dieser Sonne, mit dieser Erde, mit diesem Adler, +mit dieser Schlange—_nicht_ zu einem neuen Leben oder besseren Leben +oder ähnlichen Leben: + +—ich komme ewig wieder zu diesem gleichen und selbigen Leben, im +Grössten und auch im Kleinsten, dass ich wieder aller Dinge ewige +Wiederkunft lehre,— + +—dass ich wieder das Wort spreche vom grossen Erden- und +Menschen-Mittage, dass ich wieder den Menschen den Übermenschen künde. + +Ich sprach mein Wort, ich zerbreche an meinem Wort: so will es mein +ewiges Loos -, als Verkündiger gehe ich zu Grunde! + +Die Stunde kam nun, dass der Untergehende sich selber segnet. Also +_endet_ Zarathustra’s Untergang.““— + +Als die Thiere diese Worte gesprochen hatten, schwiegen sie und +warteten, dass Zarathustra Etwas zu ihnen sagen werde: aber Zarathustra +hörte nicht, dass sie schwiegen. Vielmehr lag er still, mit +geschlossenen Augen, einem Schlafenden ähnlich, ob er schon nicht +schlief: denn er unterredete sich eben mit seiner Seele. Die Schlange +aber und der Adler, als sie ihn solchermaassen schweigsam fanden, +ehrten die grosse Stille um ihn und machten sich behutsam davon. + + +Von der grossen Sehnsucht + +Oh meine Seele, ich lehrte dich „Heute“ sagen wie „Einst“ und +„Ehemals“ und über alles Hier und Da und Dort deinen Reigen hinweg +tanzen. + +Oh meine Seele, ich erlöste dich von allen Winkeln, ich kehrte Staub, +Spinnen und Zwielicht von dir ab. + +Oh meine Seele, ich wusch die kleine Scham und die Winkel-Tugend von +dir ab und überredete dich, nackt vor den Augen der Sonne zu stehn. + +Mit dem Sturme, welcher „Geist“ heisst, blies ich über deine wogende +See; alle Wolken blies ich davon, ich erwürgte selbst die Würgerin, die +„Sünde“ heisst. + +Oh meine Seele, ich gab dir das Recht, Nein zu sagen wie der Sturm und +Ja zu sagen wie offner Himmel Ja sagt: still wie Licht stehst du und +gehst du nun durch verneinende Stürme. + +Oh meine Seele, ich gab dir die Freiheit zurück über Erschaffnes und +Unerschaffnes: und wer kennt, wie du sie kennst, die Wollust des +Zukünftigen? + +Oh meine Seele, ich lehrte dich das Verachten, das nicht wie ein +Wurmfrass kommt, das grosse, das liebende Verachten, welches am meisten +liebt, wo es am meisten verachtet. + +Oh meine Seele, ich lehrte dich so überreden, dass du zu dir die Gründe +selber überredest: der Sonne gleich, die das Meer noch zu seiner Höhe +überredet. + +Oh meine Seele, ich nahm von dir alles Gehorchen Kniebeugen und +Herr-Sagen; ich gab dir selber den Namen „Wende der Noth“ und +„Schicksal“. + +Oh meine Seele, ich gab dir neue Namen und bunte Spielwerke, ich hiess +dich „Schicksal“ und „Umfang der Umfänge“ und „Nabelschnur der Zeit“ +und „azurne Glocke“ . + +Oh meine Seele, deinem Erdreich gab ich alle Weisheit zu trinken, alle +neuen Weine und auch alle unvordenklich alten starken Weine der +Weisheit. + +Oh meine Seele, jede Sonne goss ich auf dich und jede Nacht und jedes +Schweigen und jede Sehnsucht:—da wuchsest du mir auf wie ein Weinstock. + +Oh meine Seele, überreich und schwer stehst du nun da, ein Weinstock +mit schwellenden Eutern und gedrängten braunen Gold-Weintrauben:— + +—gedrängt und gedrückt von deinem Glücke, wartend vor Überflusse und +schamhaft noch ob deines Wartens. + +Oh meine Seele, es giebt nun nirgends eine Seele, die liebender wäre +und umfangender und umfänglicher! Wo wäre Zukunft und Vergangnes näher +beisammen als bei dir? + +Oh meine Seele, ich gab dir Alles, und alle meine Hände sind an dich +leer geworden:—und nun! Nun sagst du mir lächelnd und voll Schwermuth: +„Wer von uns hat zu danken?— + +—hat der Geber nicht zu danken, dass der Nehmende nahm? Ist Schenken +nicht eine Nothdurft? Ist Nehmen nicht—Erbarmen?“— + +Oh meine Seele, ich verstehe das Lächeln deiner Schwermuth: dein +Über-Reichthum selber streckt nun sehnende Hände aus! + +Deine Fülle blickt über brausende Meere hin und sucht und wartet; die +Sehnsucht der Über-Fülle blickt aus deinem lächelnden Augen-Himmel! + +Und wahrlich, oh meine Seele! Wer sähe dein Lächeln und schmelze nicht +vor Thränen? Die Engel selber schmelzen vor Thränen ob der Über-Güte +deines Lächelns. + +Deine Güte und Über-Güte ist es, die nicht klagen und weinen will: und +doch sehnt sich, oh meine Seele, dein Lächeln nach Thränen und dein +zitternder Mund nach Schluchzen. + +„Ist alles Weinen nicht ein Klagen? Und alles Klagen nicht ein +Anklagen?“ Also redest du zu dir selber, und darum willst du, oh meine +Seele, lieber lächeln, als dein Leid ausschütten. + +—in stürzende Thränen ausschütten all dein Leid über deine Fülle und +über all die Drängniss des Weinstocks nach Winzer und Winzermesser! + +Aber willst du nicht weinen, nicht ausweinen deine purpurne Schwermuth, +so wirst du _singen_ müssen, oh meine Seele!—Siehe, ich lächle selber, +der ich dir solches vorhersage: + +—singen, mit brausendem Gesange, bis alle Meere still werden, dass sie +deiner Sehnsucht zuhorchen,— + +—bis über stille sehnsüchtige Meere der Nachen schwebt, das güldene +Wunder, um dessen Gold alle guten schlimmen wunderlichen Dinge hüpfen:— + +—auch vieles grosse und kleine Gethier und Alles, was leichte +wunderliche Füsse hat, dass es auf veilchenblauen Pfaden laufen kann,— + +—hin zu dem güldenen Wunder, dem freiwilligen Nachen und zu seinem +Herrn: das aber ist der Winzer, der mit diamantenem Winzermesser +wartet,— + +—dein grosser Löser, oh meine Seele, der Namenlose—- dem zukünftige +Gesänge erst Namen finden! Und wahrlich, schon duftet dein Athem nach +zukünftigen Gesängen,— + +—schon glühst du und träumst, schon trinkst du durstig an allen tiefen +klingenden Trost-Brunnen, schon ruht deine Schwermuth in der Seligkeit +zukünftiger Gesänge!— + +Oh meine Seele, nun gab ich dir Alles und auch mein Letztes, und alle +meine Hände sind an dich leer geworden:—_dass ich dich singen hiess_, +siehe, das war mein Letztes! + +Dass ich dich singen hiess, sprich nun, sprich: _wer_ von uns hat +jetzt—zu danken?—Besser aber noch: singe mir, singe, oh meine Seele! +Und mich lass danken!— + +Also sprach Zarathustra. + + +Das andere Tanzlied + +1. + +„In dein Auge schaute ich jüngst, oh Leben: Gold sah ich in deinem +Nacht-Auge blinken,—mein Herz stand still vor dieser Wollust: + +—einen goldenen Kahn sah ich blinken auf mächtigen Gewässern, einen +sinkenden, trinkenden, wieder winkenden goldenen Schaukel-Kahn! + +Nach meinem Fusse, dem tanzwüthigen, warfst du einen Blick, einen +lachenden fragenden schmelzenden Schaukel-Blick: + +Zwei Mal nur regtest du deine Klapper mit kleinen Händen—da schaukelte +schon mein Fuss vor Tanz-Wuth.— + +Meine Fersen bäumten sich, meine Zehen horchten, dich zu verstehen: +trägt doch der Tänzer sein Ohr—in seinen Zehen! + +Zu dir hin sprang ich: da flohst du zurück vor meinem Sprunge; und +gegen mich züngelte deines fliehenden fliegenden Haars Zunge! + +Von dir weg sprang ich und von deinen Schlangen: da standst du schon, +halbgewandt, das Auge voll Verlangen. + +Mit krummen Blicken—lehrst du mich krumme Bahnen; auf krummen Bahnen +lernt mein Fuss—Tücken! + +Ich fürchte dich Nahe, ich liebe dich Ferne; deine Flucht lockt mich, +dein Suchen stockt mich:—ich leide, aber was litt ich um dich nicht +gerne! + +Deren Kälte zündet, deren Hass verführt, deren Flucht bindet, deren +Spott—rührt: + +—wer hasste dich nicht, dich grosse Binderin, Umwinderin, Versucherin, +Sucherin, Finderin! Wer liebte dich nicht, dich unschuldige, +ungeduldige, windseilige, kindsäugige Sünderin! + +Wohin ziehst du mich jetzt, du Ausbund und Unband? Und jetzt fliehst du +mich wieder, du süsser Wildfang und Undank! + +Ich tanze dir nach, ich folge dir auch auf geringer Spur. Wo bist du? +Gieb mir die Hand! Oder einen Finger nur! + +Hier sind Höhlen und Dickichte: wir werden uns verirren!—Halt! Steh +still! Siehst du nicht Eulen und Fledermäuse schwirren? + +Du Eule! Du Fledermaus! Du willst mich äffen? Wo sind wir? Von den +Hunden lerntest du diess Heulen und Kläffen. + +Du fletschest mich lieblich an mit weissen Zähnlein, deine bösen Augen +springen gegen mich aus lockichtem Mähnlein! + +Das ist ein Tanz über Stock und Stein: ich bin der Jäger,—willst du +mein Hund oder meine Gemse sein? + +Jetzt neben mir! Und geschwind, du boshafte Springerin! Jetzt hinauf! +Und hinüber!—Wehe! Da fiel ich selber im Springen hin! + +Oh sieh mich liegen, du Übermuth, und um Gnade flehn! Gerne möchte ich +mit dir —lieblichere Pfade gehn! + +—der Liebe Pfade durch stille bunte Büsche! Oder dort den See entlang: +da schwimmen und tanzen Goldfische! + +Du bist jetzt müde? Da drüben sind Schafe und Abendröthen: ist es nicht +schön, zu schlafen, wenn Schäfer flöten? + +Du bist so arg müde? Ich trage dich hin, lass nur die Arme sinken! Und +hast du Durst,—ich hätte wohl Etwas, aber dein Mund will es nicht +trinken!— + +—Oh diese verfluchte flinke gelenke Schlange und Schlupf-Hexe! Wo bist +du hin? Aber im Gesicht fühle ich von deiner Hand zwei Tupfen und rothe +Klexe! + +Ich bin es wahrlich müde, immer dein schafichter Schäfer zu sein! Du +Hexe, habe ich dir bisher gesungen, nun sollst _du_ mir—schrein! + +Nach dem Takt meiner Peitsche sollst du mir tanzen und schrein! Ich +vergass doch die Peitsche nicht?—Nein!“— + +2. + +Da antwortete mir das Leben also und hielt sich dabei die zierlichen +Ohren zu: + +„Oh Zarathustra! Klatsche doch nicht so fürchterlich mit deiner +Peitsche! Du weisst es ja: Lärm mordet Gedanken,—und eben kommen mir so +zärtliche Gedanken. + +Wir sind Beide zwei rechte Thunichtgute und Thunichtböse. Jenseits von +Gut und Böse fanden wir unser Eiland und unsre grüne Wiese—wir Zwei +allein! Darum müssen wir schon einander gut sein! + +Und lieben wir uns auch nicht von Grund aus—, muss man sich denn gram +sein, wenn man sich nicht von Grund aus liebt? + +Und dass ich dir gut bin und oft zu gut, Das weisst du: und der Grund +ist, dass ich auf deine Weisheit eifersüchtig bin. Ah, diese tolle alte +Närrin von Weisheit! + +Wenn dir deine Weisheit einmal davonliefe, ach! da liefe dir schnell +auch meine Liebe noch davon.“— + +Darauf blickte das Leben nachdenklich hinter sich und um sich und sagte +leise: „Oh Zarathustra, du bist mir nicht treu genug! + +Du liebst mich lange nicht so sehr wie du redest; ich weiss, du denkst +daran, dass du mich bald verlassen willst. + +Es giebt eine alte schwere schwere Brumm-Glocke: die brummt Nachts bis +zu deiner Höhle hinauf:— + +—hörst du diese Glocke Mitternachts die Stunde schlagen, so denkst du +zwischen Eins und Zwölf daran— + +—du denkst daran, oh Zarathustra, ich weiss es, dass du mich bald +verlassen willst!“— + +„Ja, antwortete ich zögernd, aber du weisst es auch—“ Und ich sagte ihr +Etwas in’s Ohr, mitten hinein zwischen ihre verwirrten gelben +thörichten Haar-Zotteln. + +Du _weisst_ Das, oh Zarathustra? Das weiss Niemand.— + +Und wir sahen uns an und blickten auf die grüne Wiese, über welche eben +der kühle Abend lief, und weinten mit einander.—Damals aber war mir das +Leben lieber, als je alle meine Weisheit.— + +Also sprach Zarathustra. + +3. + + Eins! + Oh Mensch! Gieb Acht! + Zwei! + Was spricht die tiefe Mitternacht? + Drei! + „Ich schlief, ich schlief—,“ + Vier! + „Auf tiefen Traum bin ich erwacht:—“ + Fünf! + „Die Welt ist tief,“ + Sechs! + „Und tiefer als der Tag gedacht.“ + Sieben! + „Tief ist ihr Weh—,“ + Acht! + „Lust—tiefer noch als Herzeleid:“ + Neun! + „Weh spricht: Vergeh!“ + Zehn! + „Doch alle Lust will Ewigkeit—,“ + Elf! + „—will tiefe, tiefe Ewigkeit!“ + Zwölf! + + +Die sieben Siegel +(Oder: das Ja- und Amen-Lied) + +1. + +Wenn ich ein Wahrsager bin und voll jenes wahrsagerischen Geistes, der +auf hohem Joche zwischen zwei Meeren wandelt,— + +zwischen Vergangenem und Zukünftigem als schwere Wolke +wandelt,—schwülen Niederungen feind und Allem, was müde ist und nicht +sterben, noch leben kann.- + +zum Blitze bereit im dunklen Busen und zum erlösenden Lichtstrahle, +schwanger von Blitzen, die Ja! sagen, Ja! lachen, zu wahrsagerischen +Blitzstrahlen:— + +—selig aber ist der also Schwangere! Und wahrlich, lange muss als +schweres Wetter am Berge hängen, wer einst das Licht der Zukunft zünden +soll!— + +Oh wie sollte ich nicht nach der Ewigkeit brünstig sein und nach dem +hochzeitlichen Ring der Ringe,—dem Ring de Wiederkunft! + +Nie noch fand ich das Weib, von dem ich Kinder mochte, sei denn dieses +Weib, das ich lieb: denn ich liebe dich, oh Ewigkeit! + +Denn ich liebe dich, oh Ewigkeit! + +2. + +Wenn mein Zorn je Gräber brach, Grenzsteine rückte und alte Tafeln +zerbrochen in steile Tiefen rollte: + +Wenn mein Hohn je vermoderte Worte zerblies, und ich wie ein Besen kam +den Kreuzspinnen und als Fegewind alten verdumpften Grabkammern: + +Wenn ich je frohlockend sass, wo alte Götter begraben liegen, +weltsegnend, weltliebend neben den Denkmalen alter Welt-Verleumder:— + +—denn selbst Kirchen und Gottes-Gräber liebe ich, wenn der Himmel erst +reinen Auges durch ihre zerbrochenen Decken blickt; gern sitze ich +gleich Gras und rothem Mohne auf zerbrochnen Kirchen— + +Oh wie sollte ich nicht nach der Ewigkeit brünstig sein und nach dem +hochzeitlichen Ring der Ringe,—dem Ring de Wiederkunft! + +Nie noch fand ich das Weib, von dem ich Kinder mochte, sei denn dieses +Weib, das ich lieb: denn ich liebe dich, oh Ewigkeit! + +Denn ich liebe dich, oh Ewigkeit! + +3. + +Wenn je ein Hauch zu mir kam vom schöpferischen Hauche und von jener +himmlischen Noth, die noch Zufälle zwingt, Sternen-Reigen zu tanzen: + +Wenn ich je mit dem Lachen des schöpferischen Blitzes lachte, dem der +lange Donner der That grollend, aber gehorsam nachfolgt: + +Wenn ich je am Göttertisch der Erde mit Göttern Würfel spielte, dass +die Erde bebte und brach und Feuerflüsse heraufschnob:— + +—denn ein Göttertisch ist die Erde, und zitternd von schöpferischen +neuen Worten und Götter-Würfen:— + +Oh wie sollte ich nicht nach der Ewigkeit brünstig sein und nach dem +hochzeitlichen Ring der Ringe,—dem Ring de Wiederkunft! + +Nie noch fand ich das Weib, von dem ich Kinder mochte, sei denn dieses +Weib, das ich lieb: denn ich liebe dich, oh Ewigkeit! + +Denn ich liebe dich, oh Ewigkeit! + +4. + +Wenn ich je vollen Zuges trank aus jenem schäumenden Würz- und +Mischkruge, in dem alle Dinge gut gemischt sind: + +Wenn meine Hand je Fernstes zum Nächsten goss und Feuer zu Geist und +Lust zu Leid und Schlimmstes zum Gütigsten: + +Wenn ich selber ein Korn bin von jenem erlösenden Salze, welches macht, +dass alle Dinge im Mischkruge gut sich mischen:— + +—denn es giebt ein Salz, das Gutes mit Bösem bindet; und auch das +Böseste ist zum Würzen würdig und zum letzten Überschäumen:— + +Oh wie sollte ich nicht nach der Ewigkeit brünstig sein und nach dem +hochzeitlichen Ring der Ringe,—dem Ring de Wiederkunft! + +Nie noch fand ich das Weib, von dem ich Kinder mochte, sei denn dieses +Weib, das ich lieb: denn ich liebe dich, oh Ewigkeit! + +Denn ich liebe dich, oh Ewigkeit! + +5. + +Wenn ich dem Meere hold bin und Allem, was Meeres-Art ist, und am +holdesten noch, wenn es mir zornig widerspricht: + +Wenn jene suchende Lust in mir ist, die nach Unentdecktem die Segel +treibt, wenn eine Seefahrer-Lust in meiner Lust ist: + +Wenn je mein Frohlocken rief: „die Küste schwand,—nun fiel mir die +letzte Kette ab— + +—das Grenzenlose braust um mich, weit hinaus glänzt mir Raum und Zeit, +wohlan! wohlauf! altes Herz!“— + +Oh wie sollte ich nicht nach der Ewigkeit brünstig sein und nach dem +hochzeitlichen Ring der Ringe,—dem Ring de Wiederkunft! + +Nie noch fand ich das Weib, von dem ich Kinder mochte, sei denn dieses +Weib, das ich lieb: denn ich liebe dich, oh Ewigkeit! + +Denn ich liebe dich, oh Ewigkeit! + +6. + +Wenn meine Tugend eines Tänzers Tugend ist, und ich oft mit beiden +Füssen in gold-smaragdenes Entzücken sprang: + +Wenn meine Bosheit eine lachende Bosheit ist, heimisch unter +Rosenhängen und Lilien-Hecken: + +—im Lachen nämlich ist alles Böse bei einander, aber heilig- und +losgesprochen durch seine eigne Seligkeit:— + +Und wenn Das mein A und O ist, dass alles Schwere leicht, aller Leib +Tänzer, aller Geist Vogel werde: und wahrlich, Das ist mein A und O!— + +Oh wie sollte ich nicht nach der Ewigkeit brünstig sein und nach dem +hochzeitlichen Ring der Ringe,—dem Ring de Wiederkunft! + +Nie noch fand ich das Weib, von dem ich Kinder mochte, sei denn dieses +Weib, das ich lieb: denn ich liebe dich, oh Ewigkeit! + +Denn ich liebe dich, oh Ewigkeit! + +7. + +Wenn ich je stille Himmel über mir ausspannte und mit eignen Flügeln in +eigne Himmel flog: + +Wenn ich spielend in tiefen Licht-Fernen schwamm, und meiner Freiheit +Vogel-Weisheit kam:— + +—so aber spricht Vogel-Weisheit: „Siehe, es giebt kein Oben, kein +Unten! Wirf dich umher, hinaus, zurück, du Leichter! Singe! sprich +nicht mehr! + +—sind alle Worte nicht für die Schweren gemacht? Lügen dem Leichten +nicht alle Worte! Singe! sprich nicht mehr!“— + +Oh wie sollte ich nicht nach der Ewigkeit brünstig sein und nach dem +hochzeitlichen Ring der Ringe,—dem Ring de Wiederkunft! + +Nie noch fand ich das Weib, von dem ich Kinder mochte, sei denn dieses +Weib, das ich lieb: denn ich liebe dich, oh Ewigkeit! + +Denn ich liebe dich, oh Ewigkeit! + + +Vierter und letzter Theil + +Ach, wo in der Welt geschahen grössere Thorheiten, als bei den +Mitleidigen? Und was in der Weit stiftete mehr Leid, als die Thorheiten +der Mitleidigen? + Wehe allen Liebenden, die nicht noch eine Höhe haben, welche über + ihrem Mitleiden ist! + Also sprach der Teufel einst zu mir: „auch Gott hat seine Hölle: + das ist seine Liebe zu den Menschen.“ + Und jüngst hörte ich ihn diess Wort sagen: „Gott ist todt; an + seinem Mitleiden mit den Menschen ist Gott gestorben.“ + +Zarathustra, Von den Mitleidigen + + +Das Honig-Opfer + +—Und wieder liefen Monde und Jahre über Zarathustra’s Seele, und er +achtete dessen nicht; sein Haar aber wurde weiss. Eines Tages, als er +auf einem Steine vor seiner Höhle sass und still hinausschaute,—man +schaut aber dort auf das Meer hinaus, und hinweg über gewundene +Abgründe—da giengen seine Thiere nachdenklich um ihn herum und stellten +sich endlich vor ihn hin. + +„Oh Zarathustra, sagten sie, schaust du wohl aus nach deinem +Glücke?“—„Was liegt am Glücke! antwortete er, ich trachte lange nicht +mehr nach Glücke, ich trachte nach meinem Werke.“—„Oh Zarathustra, +redeten die Thiere abermals, Das sagst du als Einer, der des Guten +übergenug hat. Liegst du nicht in einem himmelblauen See von +Glück?“—„Ihr Schalks-Narren, antwortete Zarathustra und lächelte, wie +gut wähltet ihr das Gleichniss! Aber ihr wisst auch, dass mein Glück +schwer ist und nicht wie eine flüssige Wasserwelle: es drängt mich und +will nicht von mir und thut gleich geschmolzenem Peche.“— + +Da giengen die Thiere wieder nachdenklich um ihn herum und stellten +sich dann abermals vor ihn hin. „Oh Zarathustra, sagten sie, _daher_ +also kommt es, dass du selber immer gelber und dunkler wirst, obschon +dein Haar weiss und flächsern aussehen will? Siehe doch, du sitzest in +deinem Peche!“—„Was sagt ihr da, meine Thiere, sagte Zarathustra und +lachte dazu, wahrlich, ich lästerte als ich von Peche sprach. Wie mir +geschieht, so geht es allen Früchten, die reif werden. Es ist der +_Honig_ in meinen Adern, der mein Blut dicker und auch meine Seele +stiller macht.“—„So wird es sein, oh Zarathustra, antworteten die +Thiere und drängten sich an ihn; willst du aber nicht heute auf einen +hohen Berg steigen? Die Luft ist rein, und man sieht heute mehr von der +Welt als jemals.“—„Ja, meine Thiere, antwortete er, ihr rathet +trefflich und mir nach dem Herzen: ich will heute auf einen hohen Berg +steigen! Aber sorgt, dass dort Honig mir zur Hand sei, gelber, weisser, +guter, eisfrischer Waben-Goldhonig. Denn wisset, ich will droben das +Honig-Opfer bringen.“— + +Als Zarathustra aber oben auf der Höhe war, sandte er die Thiere heim, +die ihn geleitet hatten, und fand, dass er nunmehr allein sei:—da +lachte er aus ganzem Herzen, sah sich um und sprach also: + +Dass ich von Opfern sprach und Honig-Opfern, eine List war’s nur meiner +Rede und, wahrlich, eine nützliche Thorheit! Hier oben darf ich schon +freier reden, als vor Einsiedler-Höhlen und Einsiedler-Hausthieren. + +Was opfern! Ich verschwende, was mir geschenkt wird, ich Verschwender +mit tausend Händen: wie dürfte ich Das noch—Opfern heissen! + +Und als ich nach Honig begehrte, begehrte ich nur nach Köder und süssem +Seime und Schleime, nach dem auch Brummbären und wunderliche mürrische +böse Vögel die Zunge lecken: + +—nach dem besten Köder, wie er Jägern und Fischfängern noththut. Denn +wenn die Welt wie ein dunkler Thierwald ist und aller wilden Jäger +Lustgarten, so dünkt sie mich noch mehr und lieber ein abgründliches +reiches Meer, + +—ein Meer voll bunter Fische und Krebse, nach dem es auch Götter +gelüsten möchte, dass sie an ihm zu Fischern würden und zu +Netz-Auswerfern: so reich ist die Welt an Wunderlichem, grossem und +kleinem! + +Sonderlich die Menschen-Welt, das Menschen-Meer:—nach _dem_ werfe ich +nun meine goldene Angelruthe aus und spreche: thue dich auf, du +Menschen-Abgrund! + +Thue dich auf und wirf mir deine Fische und Glitzer-Krebse zu! Mit +meinem besten Köder ködere ich mir heute die wunderlichsten +Menschen-Fische! + +—mein Glück selber werfe ich hinaus in alle Weiten und Fernen, zwischen +Aufgang, Mittag und Niedergang, ob nicht an meinem Glücke viele +Menschen-Fische zerrn und zappeln lernen. + +Bis sie, anbeissend an meine spitzen verborgenen Haken, hinauf müssen +in _meine_ Höhe, die buntesten Abgrund-Gründlinge zu dem boshaftigsten +aller Menschen- Fischfänger. + +_Der_ nämlich bin ich von Grund und Anbeginn, ziehend, heranziehend, +hinaufziehend, aufziehend, ein Zieher, Züchter und Zuchtmeister, der +sich nicht umsonst einstmals zusprach: „Werde, der du bist!“ + +Also mögen nunmehr die Menschen zu mir _hinauf_ kommen: denn noch warte +ich der Zeichen, dass es Zeit sei zu meinem Niedergange, noch gehe ich +selber nicht unter, wie ich muss, unter Menschen. + +Dazu warte ich hier, listig und spöttisch auf hohen Bergen, kein +Ungeduldiger, kein Geduldiger, vielmehr Einer, der auch die Geduld +verlernt hat,—weil er nicht mehr „duldet.“ + +Mein Schicksal nämlich lässt mir Zeit: es vergass mich wohl? Oder sitzt +es hinter einem grossen Steine im Schatten und fängt Fliegen? + +Und wahrlich, ich bin ihm gut darob, meinem ewigen Schicksale, dass es +mich nicht hetzt und drängt und mir Zeit zu Possen lässt und Bosheiten: +also dass ich heute zu einem Fischfange auf diesen hohen Berg stieg. + +Fieng wohl je ein Mensch auf hohen Bergen Fische? Und wenn es auch eine +Thorheit ist, was ich hier oben will und treibe: besser noch Diess, als +dass ich da unten feierlich würde vor Warten und grün und gelb— + +—ein gespreitzter Zornschnauber vor Warten, ein heiliger Heule-Sturm +aus Bergen, ein Ungeduldiger, der in die Thäler hinabruft: „Hört, oder +ich peitsche euch mit der Geissel Gottes!“ + +Nicht dass ich solchen Zürnern darob gram würde: zum Lachen sind sie +mir gut genung! Ungeduldig müssen sie schon sein, diese grossen +Lärmtrommeln, welche heute oder niemals zu Worte kommen! + +Ich aber und mein Schicksal—wir reden nicht zum Heute, wir reden auch +nicht zum Niemals: wir haben zum Reden schon Geduld und Zeit und +Überzeit. Denn einst muss er doch kommen und darf nicht vorübergehn. + +Wer muss einst kommen und darf nicht vorübergehn? Unser grosser Hazar, +das ist unser grosses fernes Menschen-Reich, das Zarathustra-Reich von +tausend Jahren— + +Wie ferne mag solches „Ferne“ sein? was geht’s mich an! Aber darum +steht es mir doch nicht minder fest—, mit beiden Füssen stehe ich +sicher auf diesem Grunde, + +—auf einem ewigen Grunde, auf hartem Urgesteine, auf diesem höchsten +härtesten Urgebirge, zu dem alle Winde kommen als zur Wetterscheide, +fragend nach Wo? und Woher? und Wohinaus? + +Hier lache, lache meine helle heile Bosheit! Von hohen Bergen wirf +hinab dein glitzerndes Spott-Gelächter! Ködere mit deinem Glitzern mir +die schönsten Menschen-Fische! + +Und was in allen Meeren _mir_ zugehört, mein An-und-für-mich in allen +Dingen—_Das_ fische mir heraus, _Das_ führe zu mir herauf: dess warte +ich, der boshaftigste aller Fischfänger. + +Hinaus, hinaus, meine Angel! Hinein, hinab, Köder meines Glücks! +Träufle deinen süssesten Thau, mein Herzens-Honig! Beisse, meine Angel, +in den Bauch aller schwarzen Trübsal! + +Hinaus, hinaus, mein Auge! Oh welche vielen Meere rings um mich, welch +dämmernde Menschen-Zukünfte! Und über mir—welch rosenrothe Stille! +Welch entwölktes Schweigen! + + +Der Nothschrei + +Des nächsten Tages sass Zarathustra wieder auf seinem Steine vor der +Höhle, während die Thiere draussen in der Welt herumschweiften, dass +sie neue Nahrung heimbrächten,—auch neuen Honig: denn Zarathustra hatte +den alten Honig bis auf das letzte Korn verthan und verschwendet. Als +er aber dermaassen dasass, mit einem Stecken in der Hand, und den +Schatten seiner Gestalt auf der Erde abzeichnete, nachdenkend und, +wahrlich! nicht über sich und seinen Schatten—da erschrak er mit Einem +Male und fuhr zusammen: denn er sahe neben seinem Schatten noch einen +andern Schatten. Und wie er schnell um sich blickte und aufstand, +siehe, da stand der Wahrsager neben ihm, der selbe, den er einstmals an +seinem Tische gespeist und getränkt hatte, der Verkündiger der grossen +Müdigkeit, welcher lehrte: „Alles ist gleich, es lohnt sich Nichts, +Welt ist ohne Sinn, Wissen würgt.“ Aber sein Antlitz hatte sich +inzwischen verwandelt; und als ihm Zarathustra in die Augen blickte, +wurde sein Herz abermals erschreckt: so viel schlimme Verkündigungen +und aschgraue Blitze liefen über diess Gesicht. + +Der Wahrsager, der es wahrgenommen, was sich in Zarathustra’s Seele +zutrug, wischte mit der Hand über sein Antlitz hin, wie als ob er +dasselbe wegwischen wollte; desgleichen that auch Zarathustra. Und als +Beide dergestalt sich schweigend gefasst und gekräftigt hatten, gaben +sie sich die Hände, zum Zeichen, dass sie sich wiedererkennen wollten. + +„Sei mir willkommen, sagte Zarathustra, du Wahrsager der grossen +Müdigkeit, du sollst nicht umsonst einstmals mein Tisch- und Gastfreund +gewesen sein. Iss und trink auch heute bei mir und vergieb es, dass ein +vergnügter alter Mann mit dir zu Tische sitzt!“—„Ein vergnügter alter +Mann? antwortete der Wahrsager, den Kopf schüttelnd: wer du aber auch +bist oder sein willst, oh Zarathustra, du bist es zum Längsten hier +Oben gewesen,—dein Nachen soll über Kurzem nicht mehr im Trocknen +sitzen!“—„Sitze ich denn im Trocknen?“ fragte Zarathustra lachend.—„Die +Wellen um deinen Berg, antwortete der Wahrsager, steigen und steigen, +die Wellen grosser Noth und Trübsal: die werden bald auch deinen Nachen +heben und dich davontragen.“—Zarathustra schwieg hierauf und wunderte +sich.—„Hörst du noch Nichts? fuhr der Wahrsager fort: rauscht und +braust es nicht herauf aus der Tiefe?“—Zarathustra schwieg abermals und +horchte: da hörte er einen langen, langen Schrei, welchen die Abgründe +sich zuwarfen und weitergaben, denn keiner wollte ihn behalten: so böse +klang er. + +„Du schlimmer Verkündiger, sprach endlich Zarathustra, das ist ein +Nothschrei und der Schrei eines Menschen, der mag wohl aus einem +schwarzen Meere kommen. Aber was geht mich Menschen-Noth an! Meine +letzte Sünde, die mir aufgespart blieb,—weisst du wohl, wie sie +heisst?“ + +—„Mitleiden! antwortete der Wahrsager aus einem überströmenden Herzen +und hob beide Hände empor—oh Zarathustra, ich komme, dass ich dich zu +deiner letzten Sünde verführe!“— + +Und kaum waren diese Worte gesprochen, da erscholl der Schrei abermals, +und länger und ängstlicher als vorher, auch schon viel näher. „Hörst +du? Hörst du, oh Zarathustra? rief der Wahrsager, dir gilt der Schrei, +dich ruft er: komm, komm, komm, es ist Zeit, es ist höchste Zeit!“— + +Zarathustra schwieg hierauf, verwirrt und erschüttert; endlich fragte +er, wie Einer, der bei sich selber zögert: „Und wer ist das, der dort +mich ruft?“ + +„Aber du weisst es ja, antwortete der Wahrsager heftig, was verbirgst +du dich? _Der höhere Mensch_ ist es, der nach dir schreit!“ + +„Der höhere Mensch? schrie Zarathustra von Grausen erfasst: was will +_der_? Was will _der_? Der höhere Mensch! Was will der hier?“—und seine +Haut bedeckte sich mit Schweiss. + +Der Wahrsager aber antwortete nicht auf die Angst Zarathustra’s, +sondern horchte und horchte nach der Tiefe zu. Als es jedoch lange Zeit +dort stille blieb, wandte er seinen Blick zurück und sahe Zarathustra +stehn und zittern. + +„Oh Zarathustra, hob er mit trauriger Stimme an, du stehst nicht da wie +Einer, den sein Glück drehend macht: du wirst tanzen müssen, dass du +mir nicht umfällst! + +Aber wenn du auch vor mir tanzen wolltest und alle deine Seitensprünge +springen: Niemand soll mir doch sagen dürfen: „Siehe, hier tanzt der +letzte frohe Mensch!“ + +Umsonst käme Einer auf diese Höhe, der den hier suchte: Höhlen fände er +wohl und Hinter-Höhlen, Verstecke für Versteckte, aber nicht +Glücks-Schachte und Schatzkammern und neue Glücks-Goldadern. + +Glück—wie fände man wohl das Glück bei solchen Vergrabenen und +Einsiedlern! Muss ich das letzte Glück noch auf glückseligen Inseln +suchen und ferne zwischen vergessenen Meeren? + +Aber Alles ist gleich, es lohnt sich Nichts, es hilft kein Suchen, es +giebt auch keine glückseligen Inseln mehr!“— + +Also seufzte der Wahrsager; bei seinem letzten Seufzer aber wurde +Zarathustra wieder hell und sicher, gleich Einem, der aus einem tiefen +Schlunde an’s Licht kommt. „Nein! Nein! Drei Mal Nein! rief er mit +starker Stimme und strich sich den Bart—_Das_ weiss ich besser! Es +giebt noch glückselige Inseln! Stille _davon_, du seufzender +Trauersack! + +Höre _davon_ auf zu plätschern, du Regenwolke am Vormittag! Stehe ich +denn nicht schon da, nass von deiner Trübsal und begossen wie ein Hund? + +Nun schüttle ich mich und laufe dir davon, dass ich wieder trocken +werde: dess darfst du nicht Wunder haben! Dünke ich dir unhöflich? Aber +hier ist _mein_ Hof. + +Was aber deinen höheren Menschen angeht: wohlan! ich suche ihn flugs in +jenen Wäldern: _daher_ kam sein Schrei. Vielleicht bedrängt ihn da ein +böses Thier. + +Er ist in _meinem_ Bereiche: darin soll er mir nicht zu Schaden kommen! +Und wahrlich, es giebt viele böse Thiere bei mir.“— + +Mit diesen Worten wandte sich Zarathustra zum Gehen. Da sprach der +Wahrsager: „Oh Zarathustra, du bist ein Schelm! + +Ich weiss es schon: du willst mich los sein! Lieber noch läufst du in +die Wälder und stellst bösen Thieren nach! + +Aber was hilft es dir? Des Abends wirst du doch mich wiederhaben, in +deiner eignen Höhle werde ich dasitzen, geduldig und schwer wie ein +Klotz—und auf dich warten!“ + +„So sei’s! rief Zarathustra zurück im Fortgehn: und was mein ist in +meiner Höhle, gehört auch dir, meinem Gastfreunde! + +Solltest du aber drin noch Honig finden, wohlan! so lecke ihn nur auf, +du Brummbär, und versüsse deine Seele! Am Abende nämlich wollen wir +Beide guter Dinge sein, + +—guter Dinge und froh darob, dass dieser Tag zu Ende gieng! Und du +selber sollst zu meinen Liedern als mein Tanzbär tanzen. + +Du glaubst nicht daran? Du schüttelst den Kopf? Wohlan! Wohlauf! Alter +Bär! Aber auch ich—bin ein Wahrsager.“ + +Also sprach Zarathustra. + + +Gespräch mit den Königen + +1. + +Zarathustra war noch keine Stunde in seinen Bergen und Wäldern +unterwegs, da sahe er mit Einem Male einen seltsamen Aufzug. Gerade auf +dem Wege, den er hinabwollte, kamen zwei Könige gegangen, mit Kronen +und Purpurgürteln geschmückt und bunt wie Flamingo-Vögel: die trieben +einen beladenen Esel vor sich her. „Was wollen diese Könige in meinem +Reiche?“ sprach Zarathustra erstaunt zu seinem Herzen und versteckte +Sich geschwind hinter einem Busche. Als aber die Könige bis zu ihm +herankamen, sagte er, halblaut, wie Einer, der zu sich allein redet: +„Seltsam! Seltsam! Wie reimt sich Das zusammen? Zwei Könige sehe +ich—und nur Einen Esel!“ + +Da machten die beiden Könige Halt, lächelten, sahen nach der Stelle +hin, woher die Stimme kam, und sahen sich nachher selber in’s Gesicht. +„Solcherlei denkt man wohl auch unter uns, sagte der König zur Rechten, +aber man spricht es nicht aus.“ + +Der König zur Linken aber zuckte mit den Achseln und antwortete: „Das +mag wohl ein Ziegenhirt sein. Oder ein Einsiedler, der zu lange unter +Felsen und Bäumen lebte. Gar keine Gesellschaft nämlich verdirbt auch +die guten Sitten.“ + +„Die guten Sitten? entgegnete unwillig und bitter der andre König: wem +laufen wir denn aus dem Wege? Ist es nicht den „guten Sitten“? Unsrer +„guten Gesellschaft“? + +Lieber, wahrlich, unter Einsiedlern und Ziegenhirten als mit unserm +vergoldeten falschen überschminkten Pöbel leben,—ob er sich schon „gute +Gesellschaft“ heisst, + +—ob er sich schon „Adel“ heisst. Aber da ist Alles falsch und faul, +voran das Blut, Dank alten schlechten Krankheiten und schlechteren +Heil-Künstlern. + +Der Beste und Liebste ist mir heute noch ein gesunder Bauer, grob, +listig, hartnäckig, langhaltig: das ist heute die vornehmste Art. + +Der Bauer ist heute der Beste; und Bauern-Art sollte Herr sein! Aber es +ist das Reich des Pöbels,—ich lasse mir Nichts mehr vormachen. Pöbel +aber, das heisst: Mischmasch. + +Pöbel-Mischmasch: darin ist Alles in Allem durcheinander, Heiliger und +Hallunke und Junker und Jude und jeglich Vieh aus der Arche Noäh. + +Gute Sitten! Alles ist bei uns falsch und faul. Niemand weiss mehr zu +verehren: _dem_ gerade laufen wir davon. Es sind süssliche zudringliche +Hunde, sie vergolden Palmenblätter. + +Dieser Ekel würgt mich, dass wir Könige selber falsch wurden, überhängt +und verkleidet durch alten vergilbten Grossväter-Prunk, Schaumünzen für +die Dümmsten und die Schlauesten, und wer heute Alles mit der Macht +Schacher treibt! + +Wir _sind_ nicht die Ersten—und müssen es doch _bedeuten_: dieser +Betrügerei sind wir endlich satt und ekel geworden. + +Dem Gesindel giengen wir aus dem Wege, allen diesen Schreihälsen und +Schreib-Schmeissfliegen, dem Krämer-Gestank, dem Ehrgeiz-Gezappel, dem +üblen Athem—: pfui, unter dem Gesindel leben, + +—pfui, unter dem Gesindel die Ersten zu bedeuten! Ach, Ekel! Ekel! +Ekel! Was liegt noch an uns Königen!“— + +„Deine alte Krankheit fällt dich an, sagte hier der König zur Linken, +der Ekel fällt dich an, mein armer Bruder. Aber du weisst es doch, es +hört uns Einer zu.“ + +Sofort erhob sich Zarathustra, der zu diesen Reden Ohren und Augen +aufgesperrt hatte, aus seinem Schlupfwinkel, trat auf die Könige zu und +begann: + +„Der Euch zuhört, der Euch gerne zuhört, ihr Könige, der heisst +Zarathustra. + +Ich bin Zarathustra, der einst sprach: „Was liegt noch an Königen!“ +Vergebt mir, ich freute mich, als Ihr zu einander sagtet: „Was liegt an +uns Königen!“ + +Hier aber ist _mein_ Reich und meine Herrschaft: was mögt Ihr wohl in +meinem Reiche suchen? Vielleicht aber _fandet_ Ihr unterwegs, was _ich_ +suche: nämlich den höheren Menschen.“ + +Als Diess die Könige hörten, schlugen sie sich an die Brust und +sprachen mit Einem Munde: „Wir sind erkannt! + +Mit dem Schwerte dieses Wortes zerhaust du unsres Herzens dickste +Finsterniss. Du entdecktest unsre Noth, denn siehe! Wir sind unterwegs, +dass wir den höheren Menschen fänden— + +—den Menschen, der höher ist als wir: ob wir gleich Könige sind. Ihm +führen wir diesen Esel zu. Der höchste Mensch nämlich soll auf Erden +auch der höchste Herr sein. + +Es giebt kein härteres Unglück in allem Menschen-Schicksale, als wenn +die Mächtigen der Erde nicht auch die ersten Menschen sind. Da wird +Alles falsch und schief und ungeheuer. + +Und wenn sie gar die letzten sind und mehr Vieh als Mensch: da steigt +und steigt der Pöbel im Preise, und endlich spricht gar die +Pöbel-Tugend: „siehe, ich allein bin Tugend!“— + +Was hörte ich eben? antwortete Zarathustra; welche Weisheit bei +Königen! Ich bin entzückt, und, wahrlich, schon gelüstet’s mich, einen +Reim darauf zu machen:— + +—mag es auch ein Reim werden, der nicht für Jedermanns Ohren taugt. Ich +verlernte seit langem schon die Rücksicht auf lange Ohren. Wohlan! +Wohlauf! + +(Hier aber geschah es, dass auch der Esel zu Worte kam: er sagte aber +deutlich und mit bösem Willen I-A.) + +Einstmals—ich glaub’, im Jahr des Heiles Eins— +Sprach die Sibylle, trunken sonder Weins: +„Weh, nun geht’s schief! +Verfall! Verfall! Nie sank die Welt so tief! +Rom sank zur Hure und zur Huren-Bude, +Rom’s Caesar sank zum Vieh, Gott selbst—ward Jude!“ + +2. + +An diesen Reimen Zarathustra’s weideten sich die Könige; der König zur +Rechten aber sprach: „oh Zarathustra, wie gut thaten wir, dass wir +auszogen, dich zu sehn! + +Deine Feinde nämlich zeigten uns dein Bild in ihrem Spiegel: da +blicktest du mit der Fratze eines Teufels und hohnlachend: also dass +wir uns vor dir fürchteten. + +Aber was half’s! Immer wieder stachst du uns in Ohr und Herz mit deinen +Sprüchen. Da sprachen wir endlich: was liegt daran, wie er aussieht! + +Wir müssen ihn _hören_, ihn, der lehrt „ihr sollt den Frieden lieben +als Mittel zu neuen Kriegen, und den kurzen Frieden mehr als den +langen!“ + +Niemand sprach je so kriegerische Worte: „Was ist gut? Tapfer sein ist +gut. Der gute Krieg ist’s, der jede Sache heiligt.“ + +Oh Zarathustra, unsrer Väter Blut rührte sich bei solchen Worten in +unserm Leibe: das war wie die Rede des Frühlings zu alten Weinfässern. + +Wenn die Schwerter durcheinander liefen gleich rothgefleckten +Schlangen, da wurden unsre Väter dem Leben gut; alles Friedens Sonne +dünkte sie flau und lau, der lange Frieden aber machte Scham. + +Wie sie seufzten, unsre Väter, wenn sie an der Wand blitzblanke +ausgedorrte Schwerter sahen! Denen gleich dürsteten sie nach Krieg. Ein +Schwert nämlich will Blut trinken und funkelt vor Begierde.“— + +—Als die Könige dergestalt mit Eifer von dem Glück ihrer Väter redeten +und schwätzten, überkam Zarathustra keine kleine Lust, ihres Eifers zu +spotten: denn ersichtlich waren es sehr friedfertige Könige, welche er +vor sich sah, solche mit alten und feinen Gesichtern. Aber er bezwang +sich. „Wohlan! sprach er, dorthin führt der Weg, da liegt die Höhle +Zarathustra’s; und dieser Tag soll einen langen Abend haben! Jetzt aber +ruft mich eilig ein Nothschrei fort von Euch. + +Es ehrt meine Höhle, wenn Könige in ihr sitzen und warten wollen: aber, +freilich, Ihr werdet lange warten müssen! + +Je nun! Was thut’s! Wo lernt man heute besser warten als an Höfen? Und +der Könige ganze Tugend, die ihnen übrig blieb,—heisst sie heute nicht: +Warten-_können_?“ + +Also sprach Zarathustra. + + +Der Blutegel + +Und Zarathustra gieng nachdenklich weiter und tiefer, durch Wälder und +vorbei an moorigen Gründen; wie es aber Jedem ergeht, der über schwere +Dinge nachdenkt, so trat er unversehens dabei auf einen Menschen. Und +siehe, da sprützten ihm mit Einem Male ein Weheschrei und zwei Flüche +und zwanzig schlimme Schimpfworte in’s Gesicht: also dass er in seinem +Schrecken den Stock erhob und auch auf den Getretenen noch zuschlug. +Gleich darauf aber kam ihm die Besinnung; und sein Herz lachte über die +Thorheit, die er eben gethan hatte. + +„Vergieb, sagte er zu dem Getretenen, der sich grimmig erhoben und +gesetzt hatte, vergieb und vernimm vor Allem erst ein Gleichniss. + +Wie ein Wanderer, der von fernen Dingen träumt, unversehens auf +einsamer Strasse einen schlafenden Hund anstösst, einen Hund, der in +der Sonne liegt: + +—wie da Beide auffahren, sich anfahren, Todfeinden gleich, diese zwei +zu Tod Erschrockenen: also ergieng es uns. + +Und doch! Und doch—wie wenig hat gefehlt, dass sie einander liebkosten, +dieser Hund und dieser Einsame! Sind sie doch Beide—Einsame!“ + +—„Wer du auch sein magst, sagte immer noch grimmig der Getretene, du +trittst mir auch mit deinem Gleichniss zu nahe, und nicht nur mit +deinem Fusse! + +Siehe doch, bin ich denn ein Hund?“—und dabei erhob sich der Sitzende +und zog seinen nackten Arm aus dem Sumpfe. Zuerst nämlich hatte er +ausgestreckt am Boden gelegen, verborgen und unkenntlich gleich +Solchen, die einem Sumpf-Wilde auflauern. + +„Aber was treibst du doch!“ rief Zarathustra erschreckt, denn er sahe, +dass über den nackten Arm weg viel Blut floss,—was ist dir zugestossen? +Biss dich, du Unseliger, ein schlimmes Thier? + +Der Blutende lachte, immer noch erzürnt. „Was geht’s dich an! sagte er +und wollte weitergehn. Hier bin ich heim und in meinem Bereiche. Mag +mich fragen, wer da will: einem Tölpel aber werde ich schwerlich +antworten.“ + +„Du irrst, sagte Zarathustra mitleidig und hielt ihn fest, du irrst: +hier bist du nicht bei dir, sondern in meinem Reiche, und darin soll +mir Keiner zu Schaden kommen. + +Nenne mich aber immerhin, wie du willst,—ich bin, der ich sein muss. +Ich selber heisse mich Zarathustra. + +Wohlan! Dort hinauf geht der Weg zu Zarathustra’s Höhle: die ist nicht +fern,—willst du nicht bei mir deiner Wunden warten? + +Es gieng dir schlimm, du Unseliger, in diesem Leben: erst biss dich das +Thier, und dann—trat dich der Mensch!“— + +Als aber der Getretene den Namen Zarathustra’s hörte, verwandelte er +sich. „Was geschieht mir doch! rief er aus, _wer_ kümmert mich denn +noch in diesem Leben, als dieser Eine Mensch, nämlich Zarathustra, und +jenes Eine Thier, das vom Blute lebt, der Blutegel? + +Des Blutegels halber lag ich hier an diesem Sumpfe wie ein Fischer, und +schon war mein ausgehängter Arm zehn Mal angebissen, da beisst noch ein +schönerer Igel nach meinem Blute, Zarathustra selber! + +Oh Glück! Oh Wunder! Gelobt sei dieser Tag, der mich in diesen Sumpf +lockte! Gelobt sei der beste lebendigste Schröpfkopf, der heut lebt, +gelobt sei der grosse Gewissens-Blutegel Zarathustra!“— + +Also sprach der Getretene; und Zarathustra freute sich über seine Worte +und ihre feine ehrfürchtige Art. „Wer bist du? fragte er und reichte +ihm die Hand, zwischen uns bleibt Viel aufzuklären und aufzuheitern: +aber schon, dünkt mich, wird es reiner heller Tag.“ + +„Ich bin _der Gewissenhafte des Geistes_, antwortete der Gefragte, und +in Dingen des Geistes nimmt es nicht leicht Einer strenger, enger und +härter als ich, ausgenommen der, von dem ich’s lernte, Zarathustra +selber. + +Lieber Nichts wissen, als Vieles halb wissen! Lieber ein Narr sein auf +eigne Faust, als ein Weiser nach fremdem Gutdünken! Ich—gehe auf den +Grund: + +—was liegt daran, ob er gross oder klein ist? Ob er Sumpf oder Himmel +heisst? Eine Hand breit Grund ist mir genung: wenn er nur wirklich +Grund und Boden ist! + +—eine Hand breit Grund: darauf kann man stehn. In der rechten +Wissen-Gewissenschaft giebt es nichts Grosses und nichts Kleines.“ + +„So bist du vielleicht der Erkenner des Blutegels? fragte Zarathustra; +und du gehst dem Blutegel nach bis auf die letzten Gründe, du +Gewissenhafter?“ + +„Oh Zarathustra, antwortete der Getretene, das wäre ein Ungeheures, wie +dürfte ich mich dessen unterfangen! + +Wess ich aber Meister und Kenner bin, das ist des Blutegels _Hirn_:—das +ist _meine_ Welt! + +Und es ist auch eine Welt! Vergieb aber, dass hier mein Stolz zu Worte +kommt, denn ich habe hier nicht meines Gleichen. Darum sprach ich „hier +bin ich heim.“ + +Wie lange gehe ich schon diesem Einen nach, dem Hirn des Blutegels, +dass die schlüpfrige Wahrheit mir hier nicht mehr entschlüpfe! Hier ist +_mein_ Reich! + +—darob warf ich alles Andere fort, darob wurde mir alles. Andre gleich; +und dicht neben meinem Wissen lagert mein schwarzes Unwissen. + +Mein Gewissen des Geistes will es so von mir, dass ich Eins weiss und +sonst Alles nicht weiss: es ekelt mich aller Halben des Geistes, aller +Dunstigen, Schwebenden, Schwärmerischen. + +Wo meine Redlichkeit aufhört, bin ich blind und will auch blind sein. +Wo ich aber wissen will, will ich auch redlich sein, nämlich hart, +streng, eng, grausam, unerbittlich. + +Dass _du_ einst sprachst, oh Zarathustra: „Geist ist das Leben, das +selber in’s Leben schneidet,“ das führte und verführte mich zu deiner +Lehre. Und, wahrlich, mit eignem Blute mehrte ich mir das eigne +Wissen!“ + +—„Wie der Augenschein lehrt,“ fiel Zarathustra ein; denn immer noch +floss das Blut an dem nackten Arme des Gewissenhaften herab. Es hatten +nämlich zehn Blutegel sich in denselben eingebissen. + +„Oh du wunderlicher Gesell, wie Viel lehrt mich dieser Augenschein da, +nämlich du selber! Und nicht Alles dürfte ich vielleicht in deine +strengen Ohren giessen! + +Wohlan! So scheiden wir hier! Doch möchte ich gerne dich wiederfinden. +Dort hinauf führt der Weg zu meiner Höhle: heute Nacht sollst du dort +mein lieber Gast sein! + +Gerne möchte ich’s auch an deinem Leibe wieder gut machen, dass +Zarathustra dich mit Füssen trat: darüber denke ich nach. Jetzt aber +ruft mich ein Nothschrei eilig fort von dir.“ + +Also sprach Zarathustra. + + +Der Zauberer + +1. + +Als aber Zarathustra um einen Felsen herumbog, da sahe er, nicht weit +unter sich, auf dem gleichen Wege, einen Menschen, der die Glieder warf +wie ein Tobsüchtiger und endlich bäuchlings zur Erde niederstürzte. +„Halt! sprach da Zarathustra zu seinem Herzen, Der dort muss wohl der +höhere Mensch sein, von ihm kam jener schlimme Nothschrei,—ich will +sehn, ob da zu helfen ist.“ Als er aber hinzulief, an die Stelle, wo +der Mensch auf dem Boden lag, fand er einen zitternden alten Mann mit +stieren Augen; und wie sehr sich Zarathustra mühte, dass er ihn +aufrichte und wieder auf seine Beine stelle, es war umsonst. Auch +schien der Unglückliche nicht zu merken, dass jemand um ihn sei; +vielmehr sah er sich immer mit rührenden Gebärden um, wie ein von aller +Welt Verlassener und Vereinsamter. Zuletzt aber, nach vielem Zittern, +Zucken und Sich-zusammen-Krümmen, begann er also zu jammern: + +Wer wärmt mich, wer liebt mich noch? +Gebt heisse Hände! +Gebt Herzens-Kohlenbecken! +Hingestreckt, schaudernd, +Halbtodtem gleich, dem man die Füsse wärmt— +Geschüttelt, ach! von unbekannten Fiebern, +Zitternd vor spitzen eisigen Frost-Pfeilen, +Von dir gejagt, Gedanke! +Unnennbarer! Verhüllter! Entsetzlicher! +Du Jäger hinter Wolken! +Darniedergeblitzt von dir, +Du höhnisch Auge, das mich aus Dunklem anblickt: +—so liege ich, +Biege mich, winde mich, gequält +Von allen ewigen Martern, +Getroffen +Von Dir, grausamster Jäger, +Du unbekannter—Gott! + +Triff tiefer, +Triff Ein Mal noch! +Zerstich, zerbrich diess Herz! +Was soll diess Martern +Mit zähnestumpfen Pfeilen? +Was blickst du wieder, +Der Menschen-Qual nicht müde, +Mit schadenfrohen Götter-Blitz-Augen? +Nicht tödten willst du, +Nur martern, martern? +Wozu—_mich_ martern, +Du schadenfroher unbekannter Gott?— + +Haha! Du schleichst heran? +Bei solcher Mitternacht +Was willst du? Sprich! +Du drängst mich, drückst mich— +Ha! schon viel zu nahe! +Weg! Weg! +Du hörst mich athmen, +Du behorchst mein Herz, +Du Eifersüchtiger— +Worauf doch eifersüchtig? +Weg! Weg! Wozu die Leiter? +Willst _du hinein_, +In’s Herz, +Einsteigen, in meine heimlichsten +Gedanken einsteigen? +Schamloser! Unbekannter—Dieb! +Was willst du dir erstehlen, +Was willst du dir erhorchen, +Was willst du dir erfoltern, +Du Folterer! +Du—Henker-Gott! +Oder soll ich, dem Hunde gleich, +Vor dir mich wälzen? +Hingebend, begeistert-ausser-mir, +Dir—Liebe zuwedeln? + +Umsonst! +Stich weiter, +Grausamster Stachel! Nein, +Kein Hund—dein Wild nur bin ich, +Grausamster Jäger! +Dein stolzester Gefangner, +Du Räuber hinter Wolken... +Sprich endlich, +Was willst du, Wegelagerer, von _mir_? +Du Blitz-Verhüllter! Unbekannter! Sprich, +Was _willst_ du, unbekannter Gott?—- + +Wie? +Lösegeld? +Was willst du Lösegelds? +Verlange Viel—das räth mein Stolz! +Und rede kurz—das räth mein andrer Stolz! + +Haha! +Mich—willst du? Mich? +Mich—ganz? + +Haha! +Und marterst mich, Narr, der du bist, +Zermarterst meinen Stolz? +Gieb _Liebe_ mir—wer wärmt mich noch? +Wer liebt mich noch?—gieb heisse Hände, +Gieb Herzens-Kohlenbecken, +Gieb mir, dem Einsamsten, +Den Eis, ach! siebenfaches Eis +Nach Feinden selber, +Nach Feinden schmachten lehrt, +Gieb, ja ergieb, +Grausamster Feind, +Mir—_dich_!... + +Davon! +Da floh er selber, +Mein letzter einziger Genoss, +Mein grosser Feind, +Mein Unbekannter, +Mein Henker-Gott!... + +—Nein! +Komm zurück, +Mit allen deinen Martern! +Zum Letzten aller Einsamen +Oh komm zurück! +All meine Thränen-Bäche laufen +Zu dir den Lauf! + +Und meine letzte Herzens-Flamme— +_Dir_ glüht sie auf! +Oh komm zurück, +Mein unbekannter Gott! Mein Schmerz! +Mein letztes Glück! + +2. + +—Hier aber konnte sich Zarathustra nicht länger halten, nahm seinen +Stock und schlug mit allen Kräften auf den jammernden los. „Halt ein! +schrie er ihm zu, mit ingrimmigem Lachen, halt ein, du Schauspieler! Du +Falschmünzer! Du Lügner aus dem Grunde! Ich erkenne dich wohl! + +Ich will dir schon warme Beine machen, du schlimmer Zauberer, ich +verstehe mich gut darauf, Solchen wie du bist—einzuheizen!“ + +—„Lass ab, sagte der alte Mann und sprang vom Boden auf, schlage nicht +mehr, oh Zarathustra! Ich trieb’s also nur zum Spiele! + +Solcherlei gehört zu meiner Kunst; dich selber wollte ich auf die Probe +stellen, als ich dir diese Probe gab! Und, wahrlich, du hast mich gut +durchschaut! + +Aber auch du—gabst mir von dir keine kleine Probe: du bist _hart_, du +weiser Zarathustra! Hart schlägst du zu mit deinen „Wahrheiten“, dein +Knüttel erzwingt von mir—_diese_ Wahrheit!“ + +—„Schmeichle nicht, antwortete Zarathustra, immer noch erregt und +finsterblickend, du Schauspieler aus dem Grunde! Du bist falsch: was +redest du —von Wahrheit! + +Du Pfau der Pfauen, du Meer der Eitelkeit, _was_ spieltest du vor mir, +du schlimmer Zauberer, an _wen_ sollte ich glauben, als du in solcher +Gestalt jammertest?“ + +„Den Büsser des Geistes, sagte der alte Mann, _den_—spielte ich: du +selber erfandest einst diess Wort— + +—den Dichter und Zauberer, der gegen sich selber endlich seinen Geist +wendet, den Verwandelten, der an seinem bösen Wissen und Gewissen +erfriert. + +Und gesteh es nur ein: es währte lange, oh Zarathustra, bis du hinter +meine Kunst und Lüge kamst! _Du glaubtest_ an meine Noth, als du mir +den Kopf mit beiden Händen hieltest,— + +—ich hörte dich jammern „man hat ihn zu wenig geliebt, zu wenig +geliebt!“ Dass ich dich soweit betrog, darüber frohlockte inwendig +meine Bosheit.“ + +„Du magst Feinere betrogen haben als mich, sagte Zarathustra hart. Ich +bin nicht auf der Hut vor Betrügern, ich _muss_ ohne Vorsicht sein: so +will es mein Loos. + +Du aber—_musst_ betrügen: so weit kenne ich dich! Du musst immer zwei- +drei- vier- und fünfdeutig sein! Auch was du jetzt bekanntest, war mir +lange nicht wahr und nicht falsch genung! + +Du schlimmer Falschmünzer, wie könntest du anders! Deine Krankheit +würdest du noch schminken, wenn du dich deinem Arzte nackt zeigtest. + +So schminktest du eben vor mir deine Lüge, als du sprachst: „ich +trieb’s also _nur_ zum Spiele!“ Es war auch _Ernst_ darin, du _bist_ +Etwas von einem Büsser des Geistes! + +Ich errathe dich wohl: du wurdest der Bezauberer Aller, aber gegen dich +hast du keine Lüge und List mehr übrig,—du selber bist dir entzaubert! + +Du erntetest den Ekel ein, als deine Eine Wahrheit. Kein Wort ist mehr +an dir ächt, aber dein Mund: nämlich der Ekel, der an deinem Munde +klebt.“— + +—„Wer bist du doch! schrie hier der alte Zauberer mit einer trotzigen +Stimme, wer darf also zu _mir_ reden, dem Grössten, der heute +lebt?“—und ein grüner Blitz schoss aus seinem Auge nach Zarathustra. +Aber gleich darauf verwandelte er sich und sagte traurig: + +„Oh Zarathustra, ich bin’s müde, es ekelt mich meiner Künste, ich bin +nicht _gross_, was verstelle ich mich! Aber, du weisst es wohl—ich +suchte nach Grösse! + +Einen grossen Menschen wollte ich vorstellen und überredete Viele: aber +diese Lüge gieng über meine Kraft. An ihr zerbreche ich. + +Oh Zarathustra, Alles ist Lüge an mir; aber dass ich zerbreche—diess +mein Zerbrechen ist _ächt_!“— + +„Es ehrt dich, sprach Zarathustra düster und zur Seite niederblickend, +es ehrt dich, dass du nach Grösse suchtest, aber es verräth dich auch. +Du bist nicht gross. + +Du schlimmer alter Zauberer, _das_ ist dein Bestes und Redlichstes, was +ich an dir ehre, dass du deiner müde wurdest und es aussprachst: „ich +bin nicht gross.“ + +_Darin_ ehre ich dich als einen Büsser des Geistes: und wenn auch nur +für einen Hauch und Husch, diesen Einen Augenblick warst du—ächt. + +Aber sprich, was suchst du hier in _meinen_ Wäldern und Felsen? Und +wenn du _mir_ dich in den Weg legtest, welche Probe wolltest du von +mir?— + +—wess versuchtest du _mich_?“— + +Also sprach Zarathustra, und seine Augen funkelten. Der alte Zauberer +schwieg eine Weile, dann sagte er: „Versuchte ich dich? Ich—suche nur. + +Oh Zarathustra, ich suche einen Ächten, Rechten, Einfachen, +Eindeutigen, einen Menschen aller Redlichkeit, ein Gefäss der Weisheit, +einen Heiligen der Erkenntniss, einen grossen Menschen! + +Weisst du es denn nicht, oh Zarathustra? Ich suche Zarathustra.“ + +—Und hier entstand ein langes Stillschweigen zwischen Beiden; +Zarathustra aber versank tief hinein in sich selber, also dass er die +Augen schloss. Dann aber, zu seinem Unterredner zurückkehrend, ergriff +er die Hand des Zauberers und sprach, voller Artigkeit und Arglist: + +„Wohlan! Dort hinauf führt der Weg, da liegt die Höhle Zarathustra’s. +In ihr darfst du suchen, wen du finden möchtest. + +Und frage meine Thiere um Rath, meinen Adler und meine Schlange: die +sollen dir suchen helfen. Meine Höhle aber ist gross. + +Ich selber freilich—ich sah noch keinen grossen Menschen. Was gross +ist, dafür ist das Auge der Feinsten heute grob. Es ist das Reich des +Pöbels. + +So Manchen fand ich schon, der streckte und blähte sich, und das Volk +schrie: „Seht da, einen grossen Menschen!“ Aber was helfen alle +Blasebälge! Zuletzt fährt der Wind heraus. + +Zuletzt platzt ein Frosch, der sich zu lange aufblies: da fährt der +Wind heraus. Einem Geschwollnen in den Bauch stechen, das heisse ich +eine brave Kurzweil. Hört das, ihr Knaben! + +Diess Heute ist des Pöbels: wer _weiss_ da noch, was gross, was klein +ist! Wer suchte da mit Glück nach Grösse! Ein Narr allein: den Narren +glückt’s. + +Du suchst nach grossen Menschen, du wunderlicher Narr? Wer _lehrte’s_ +dich? Ist heute dazu die Zeit? Oh du schlimmer Sucher, was—versuchst du +mich?“— + +Also sprach Zarathustra, getrösteten Herzens, und gierig lachend seines +Wegs fürbass. + + +Ausser Dienst + +Nicht lange aber, nachdem Zarathustra sich von dem Zauberer losgemacht +hatte, sahe er wiederum Jemanden am Wege sitzen, den er gierig, nämlich +einen schwarzen langen Mann mit einem hageren Bleichgesicht: _der_ +verdross ihn gewaltig. „Wehe, sprach er zu seinem Herzen, da, sitzt +vermummte Trübsal, das dünkt mich von der Art der Priester: was wollen +_die_ in meinem Reiche? + +Wie! Kaum bin ich jenem Zauberer entronnen: muss mir da wieder ein +anderer Schwarzkünstler über den Weg laufen,— + +—irgend ein Hexenmeister mit Handauflegen, ein dunkler Wunderthäter von +Gottes Gnaden, ein gesalbter Welt-Verleumder, den der Teufel holen +möge! + +Aber der Teufel ist nie am Platze, wo er am Platze wäre: immer kommt er +zu spät, dieser vermaledeite Zwerg und Klumpfuss!“— + +Also fluchte Zarathustra ungeduldig in seinem Herzen und gedachte, wie +er abgewandten Blicks an dem schwarzen Manne vorüberschlüpfe: aber +siehe, es kam anders. Im gleichen Augenblicke nämlich hatte ihn schon +der Sitzende erblickt; und nicht unähnlich einem Solchen, dem ein +unvermuthetes Glück zustösst, sprang er auf und gieng auf Zarathustra +los. + +„Wer du auch bist, du Wandersmann, sprach er, hilf einem Verirrten, +einem Suchenden, einem alten Manne, der hier leicht zu Schaden kommt! + +Diese Welt hier ist mir fremd und fern, auch hörte ich wilde Thiere +heulen; und Der, welcher mir hätte Schutz bieten können, der ist selber +nicht mehr. + +Ich suchte den letzten frommen Menschen, einen Heiligen und Einsiedler, +der allein in seinem Walde noch Nichts davon gehört hatte, was alle +Welt heute weiss.“ + +„_Was_ weiss heute alle Welt? fragte Zarathustra. Etwa diess, dass der +alte Gott nicht mehr lebt, an den alle Welt einst geglaubt hat?“ + +„Du sagst es, antwortete der alte Mann betrübt. Und ich diente diesem +alten Gotte bis zu seiner letzten Stunde. + +Nun aber bin ich ausser Dienst, ohne Herrn, und doch nicht frei, auch +keine Stunde mehr lustig, es sei denn in Erinnerungen. + +Dazu stieg ich in diese Berge, dass ich endlich wieder ein Fest mir +machte, wie es einem alten Papste und Kirchen-Vater zukommt: denn +wisse, ich bin der letzte Papst!—ein Fest frommer Erinnerungen und +Gottesdienste. + +Nun aber ist er selber todt, der frömmste Mensch, jener Heilige im +Walde, der seinen Gott beständig mit Singen und Brummen lobte. + +Ihn selber fand ich nicht mehr, als ich seine Hütte fand,—wohl aber +zwei Wölfe darin, welche um seinen Tod heulten—denn alle Thiere liebten +ihn. Da lief ich davon. + +Kam ich also umsonst in diese Wälder und Berge? Da entschloss sich mein +Herz, dass ich einen Anderen suchte, den Frömmsten aller Derer, die +nicht an Gott glauben—, dass ich Zarathustra suchte!“ + +Also sprach der Greis und blickte scharfen Auges Den an, welcher vor +ihm stand; Zarathustra aber ergriff die Hand des alten Papstes und +betrachtete sie lange mit Bewunderung. + +„Siehe da, du Ehrwürdiger, sagte er dann, welche schöne und lange Hand! +Das ist die Hand eines Solchen, der immer Segen ausgetheilt hat. Nun +aber hält sie Den fest, welchen du suchst, mich, Zarathustra. + +Ich bin’s, der gottlose Zarathustra, der da spricht: wer ist gottloser +als ich, dass ich mich seiner Unterweisung freue?“— + +Also sprach Zarathustra und durchbohrte mit seinen Blicken die Gedanken +und Hintergedanken des alten Papstes. Endlich begann dieser: + +„Wer ihn am meisten liebte und besass, der hat ihn nun am meisten auch +verloren -: + +—siehe, ich selber bin wohl von uns Beiden jetzt der Gottlosere? Aber +wer könnte daran sich freuen!“— + +„Du dientest ihm bis zuletzt, fragte Zarathustra nachdenklich, nach +einem tiefen Schweigen, du weisst, _wie_ er starb? Ist es wahr, was man +spricht, dass ihn das Mitleiden erwürgte, + +—dass er es sah, wie _der Mensch_ am Kreuze hieng, und es nicht ertrug, +dass die Liebe zum Menschen seine Hölle und zuletzt sein Tod wurde?“— + +Der alte Papst aber antwortete nicht, sondern blickte scheu und mit +einem schmerzlichen und düsteren Ausdrucke zur Seite. + +„Lass ihn fahren, sagte Zarathustra nach einem langen Nachdenken, indem +er immer noch dem alten Manne gerade in’s Auge blickte. + +Lass ihn fahren, er ist dahin. Und ob es dich auch ehrt, dass du diesem +Todten nur Gutes nachredest, so weisst du so gut als ich, _wer_ er war; +und dass er wunderliche Wege gieng.“ + +„Unter drei Augen gesprochen, sagte erheitert der alte Papst (denn er +war auf Einem Auge blind), in Dingen Gottes bin ich aufgeklärter als +Zarathustra selber —und darf es sein. + +Meine Liebe diente ihm lange Jahre, mein Wille gierig allem seinen +Willen nach. Ein guter Diener aber weiss Alles, und Mancherlei auch, +was sein Herr sich selbst verbirgt. + +Es war ein verborgener Gott, voller Heimlichkeit. Wahrlich zu einem +Sohne sogar kam er nicht anders als auf Schleichwegen. An der Thür +seines Glaubens steht der Ehebruch. + +Wer ihn als einen Gott der Liebe preist, denkt nicht hoch genug von der +Liebe selber. Wollte dieser Gott nicht auch Richter sein? Aber der +Liebende liebt jenseits von Lohn und Vergeltung. + +Als er jung war, dieser Gott aus dem Morgenlande, da war er hart und +rachsüchtig und erbaute sich eine Hölle zum Ergötzen seiner Lieblinge. + +Endlich aber wurde er alt und weich und mürbe und mitleidig, einem +Grossvater ähnlicher als einem Vater, am ähnlichsten aber einer +wackeligen alten Grossmutter. + +Da sass er, welk, in seinem Ofenwinkel, härmte sich ob seiner schwachen +Beine, weltmüde, willensmüde, und erstickte eines Tags an seinem +allzugrossen Mitleiden.“— + +„Du alter Papst, sagte hier Zarathustra dazwischen, hast du _Das_ mit +Augen angesehn? Es könnte wohl so abgegangen sein: so, _und_ auch +anders. Wenn Götter sterben, sterben sie immer viele Arten Todes. + +Aber wohlan! So oder so, so und so—er ist dahin! Er gieng meinen Ohren +und Augen wider den Geschmack, Schlimmeres möchte ich ihm nicht +nachsagen. + +Ich liebe Alles, was hell blickt und redlich redet. Aber er—du weisst +es ja, du alter Priester, es war Etwas von deiner Art an ihm, von +Priester-Art—er war vieldeutig. + +Er war auch undeutlich. Was hat er uns darob gezürnt, dieser +Zornschnauber, dass wir ihn schlecht verstanden Aber warum sprach er +nicht reinlicher? + +Und lag es an unsern Ohren, warum gab er uns Ohren, die ihn schlecht +hörten? War Schlamm in unsern Ohren, wohlan! wer legte ihn hinein? + +Zu Vieles missrieth ihm, diesem Töpfer, der nicht ausgelernt hatte! +Dass er aber Rache an seinen Töpfen und Geschöpfen nahm, dafür dass sie +ihm schlecht geriethen,—das war eine Sünde wider den _guten Geschmack_. + +Es giebt auch in der Frömmigkeit guten Geschmack: der sprach endlich +„Fort mit einem _solchen_ Gotte! Lieber keinen Gott, lieber auf eigne +Faust Schicksal machen, lieber Narr sein, lieber selber Gott sein!““ + +—„Was höre ich! sprach hier der alte Papst mit gespitzten Ohren; oh +Zarathustra, du bist frömmer als du glaubst, mit einem solchen +Unglauben! Irgend ein Gott in dir bekehrte dich zu deiner +Gottlosigkeit. + +Ist es nicht deine Frömmigkeit selber, die dich nicht mehr an einen +Gott glauben lässt? Und deine übergrosse Redlichkeit wird dich auch +noch jenseits von Gut und Böse wegfuhren! + +Siehe, doch, was blieb dir aufgespart? Du hast Augen und Hand und Mund, +die sind zum Segnen vorher bestimmt seit Ewigkeit. Man segnet nicht mit +der Hand allein. + +In deiner Nähe, ob du schon der Gottloseste sein willst, wittere ich +einen heimlichen Weih- und Wohlgeruch von langen Segnungen: mir wird +wohl und wehe dabei. + +Lass mich deinen Gast sein, oh Zarathustra, für eine einzige Nacht! +Nirgends auf Erden wird es mir jetzt wohler als bei dir!“— + +„Amen! So soll es sein! sprach Zarathustra mit grosser Verwunderung, +dort hinauf führt der Weg, da liegt die Höhle Zarathustra’s. + +Gerne, fürwahr, würde ich dich selber dahin geleiten, du Ehrwürdiger, +denn ich liebe alle frommen Menschen. Aber jetzt ruft mich eilig ein +Nothschrei weg von dir. + +In meinem Bereiche soll mir Niemand zu Schaden kommen; meine Höhle ist +ein guter Hafen. Und am liebsten möchte ich jedweden Traurigen wieder +auf festes Land und feste Beine stellen. + +Wer aber nähme dir _deine_ Schwermuth von der Schulter? Dazu bin ich zu +schwach. Lange, wahrlich, möchten wir warten, bis dir Einer deinen Gott +wieder aufweckt. + +Dieser alte Gott nämlich lebt nicht mehr: der ist gründlich todt.“— + +Also sprach Zarathustra. + + +Der hässlichste Mensch + +—Und wieder liefen Zarathustra’s Füsse durch Berge und Wälder, und +seine Augen suchten und suchten, aber nirgends war Der zu sehen, +welchen sie sehn wollten, der grosse Nothleidende und Nothschreiende. +Auf dem ganzen Wege aber frohlockte er in seinem Herzen und war +dankbar. „Welche guten Dinge, sprach er, schenkte mir doch dieser Tag, +zum Entgelt, dass er schlimm begann! Welche seltsamen Unterredner fand +ich! + +An deren Worten will ich lange nun kauen gleich als an guten Körnern; +klein soll mein Zahn sie mahlen und malmen, bis sie mir wie Milch in +die Seele fliessen!“— + +Als aber der Weg wieder um einen Felsen bog, veränderte sich mit Einem +Male die Landschaft, und Zarathustra trat in ein Reich des Todes. Hier +starrten schwarze und rothe Klippen empor: kein Gras, kein Baum, keine +Vogelstimme. Es war nämlich ein Thal, welches alle Thiere mieden, auch +die Raubthiere-, nur dass eine Art hässlicher, dicker, grüner +Schlangen, wenn sie alt wurden, hierher kamen, um zu sterben. Darum +nannten diess Thal die Hirten: Schlangen-Tod. + +Zarathustra aber versank in eine schwarze Erinnerung, denn ihm war, als +habe er schon ein Mal in diesem Thal gestanden. Und vieles Schwere +legte sich ihm über den Sinn: also, dass er langsam gieng und immer +langsamer und endlich still stand. Da aber sahe er, als er die Augen +aufthat, Etwas, das am Wege sass, gestaltet wie ein Mensch und kaum wie +ein Mensch, etwas Unaussprechliches. Und mit Einem Schlage überfiel +Zarathustra die grosse Scham darob, dass er so Etwas mit den Augen +angesehn habe: erröthend bis hinauf an sein weisses Haar, wandte er den +Blick ab und hob den Fuss, dass er diese schlimme Stelle verlasse. Da +aber wurde die todte Öde laut: vom Boden auf nämlich quoll es gurgelnd +und röchelnd, wie Wasser Nachts durch verstopfte Wasser-Röhren gurgelt +und röchelt; und zuletzt wurde daraus eine Menschen-Stimme und +Menschen-Rede:—die lautete also. + +„Zarathustra! Zarathustra! Rathe mein Räthsel! Sprich, sprich! Was ist +_die Rache am Zeugen_? + +Ich locke dich zurück, hier ist glattes Eis! Sieh zu, sieh zu, ob dein +Stolz sich hier nicht die Beine bricht! + +Du dünkst dich weise, du stolzer Zarathustra! So rathe doch das +Räthsel, du harter Nüsseknacker,—das Räthsel, das ich bin! So sprich +doch—wer bin _ich_!“ + +—Als aber Zarathustra diese Worte gehört hatte,—was glaubt ihr wohl, +dass sich da mit seiner Seele zutrug? Das Mitleiden fiel ihn an; und er +sank mit Einem Male nieder, wie ein Eichbaum, der lange vielen +Holzschlägern widerstanden hat,—schwer, plötzlich, zum Schrecken selber +für Die, welche ihn fällen wollten. Aber schon stand er wieder vom +Boden auf, und sein Antlitz wurde hart. + +„Ich erkenne dich wohl, sprach er mit einer erzenen Stimme: du bist der +Mörder Gottes! Lass mich gehn. + +Du _ertrugst_ Den nicht, der _dich_ sah,—der dich immer und durch und +durch sah, du hässlichster Mensch! Du nahmst Rache an diesem Zeugen!“ + +Also sprach Zarathustra und wollte davon; aber der Unaussprechliche +fasste nach einem Zipfel seines Gewandes und begann von Neuem zu +gurgeln und nach Worten zu suchen. „Bleib!“ sagte er endlich— + +—„bleib! Geh nicht vorüber! Ich errieth, welche Axt dich zu Boden +schlug: Heil dir, oh Zarathustra, dass du wieder stehst! + +Du erriethest, ich weiss es gut, wie Dem zu Muthe ist, der ihn +tödtete,—dem Mörder Gottes. Bleib! Setze dich her zu mir, es ist nicht +umsonst. + +Zu wem wollte ich, wenn nicht zu dir? Bleib, setze dich! Blicke mich +aber nicht an! Ehre also—meine Hässlichkeit! + +Sie verfolgen mich: nun bist _du_ meine letzte Zuflucht. _Nicht_ mit +ihrem Hasse, _nicht_ mit ihren Häschern:—oh solcher Verfolgung würde +ich spotten und stolz und froh sein! + +War nicht aller Erfolg bisher bei den Gut-Verfolgten? Und wer gut +verfolgt, lernt leicht _folgen_:—ist er doch einmal—hinterher! Aber ihr +_Mitleid_ ist’s— + +—ihr Mitleid ist’s, vor dem ich flüchte und dir zuflüchte. Oh +Zarathustra, schütze mich, du meine letzte Zuflucht, du Einziger, der +mich errieth: + +—du erriethest, wie Dem zu Muthe ist, welcher _ihn_ tödtete. Bleib! Und +willst du gehn, du Ungeduldiger: geh nicht den Weg, den ich kam. _Der_ +Weg ist schlecht. + +Zürnst du mir, dass ich zu lange schon rede-rade-breche? Dass ich schon +dir rathe? Aber wisse, ich bin’s, der hässlichste Mensch, + +—der auch die grössten schwersten Füsse hat. Wo _ich_ gieng, ist der +Weg schlecht. Ich trete alle Wege todt und zu Schanden. + +Dass du aber an mir vorübergiengst, schweigend; dass du erröthetest, +ich sah es wohl: daran erkannte ich dich als Zarathustra. + +Jedweder Andere hätte mir sein Almosen zugeworfen, sein Mitleiden, mit +Blick und Rede. Aber dazu—bin ich nicht Bettler genug, das erriethest +du— + +—dazu bin ich zu _reich_, reich an Grossem, an Furchtbarem, am +Hässlichsten, am Unaussprechlichsten! Deine Scham, oh Zarathustra, +_ehrte_ mich! + +Mit Noth kam ich heraus aus dem Gedräng der Mitleidigen,—dass ich den +Einzigen fände, der heute lehrt „Mitleiden ist zudringlich“—dich, oh +Zarathustra! + +—sei es eines Gottes, sei es der Menschen Mitleiden: Mitleiden geht +gegen die Scham. Und nicht-helfen-wollen kann vornehmer sein als jene +Tugend, die zuspringt. + +_Das_ aber heisst heute Tugend selber bei allen kleinen Leuten, das +Mitleiden:—die haben keine Ehrfurcht vor grossem Unglück, vor grosser +Hässlichkeit, vor grossem Missrathen. + +Über diese Alle blicke ich hinweg, wie ein Hund über die Rücken +wimmelnder Schafheerden wegblickt. Es sind kleine wohlwollige +wohlwillige graue Leute. + +Wie ein Reiher verachtend über flache Teiche wegblickt, mit +zurückgelegtem Kopfe: so blicke ich über das Gewimmel grauer kleiner +Wellen und Willen und Seelen weg. + +Zu lange hat man ihnen Recht gegeben, diesen kleinen Leuten: _so_ gab +man ihnen endlich auch die Macht—nun lehren sie: „gut ist nur, was +kleine Leute gut heissen.“ + +Und „Wahrheit“ heisst heute, was der Prediger sprach, der selber aus +ihnen herkam, jener wunderliche Heilige und Fürsprecher der kleinen +Leute, welcher von sich zeugte „ich—bin die Wahrheit.“ + +Dieser Unbescheidne macht nun lange schon den kleinen Leuten den Kamm +hoch schwellen—er, der keinen kleinen Irrthum lehrte, als er lehrte +„ich—bin die Wahrheit.“ + +Ward einem Unbescheidnen jemals höflicher geantwortet?—Du aber, oh +Zarathustra, giengst an ihm vorüber und sprachst: „Nein! Nein! Drei Mal +Nein!“ + +Du warntest vor seinem Irrthum, du warntest als der Erste vor dem +Mitleiden—nicht Alle, nicht Keinen, sondern dich und deine Art. + +Du schämst dich an der Scham des grossen Leidenden; und wahrlich, wenn +du sprichst „von dem Mitleiden her kommt eine grosse Wolke, habt Acht, +ihr Menschen!“ + +—wenn du lehrst „alle Schaffenden sind hart, alle grosse Liebe ist über +ihrem Mitleiden“: oh Zarathustra, wie gut dünkst du mich eingelernt auf +Wetter-Zeichen! + +Du selber aber—warne dich selber auch vor _deinem_ Mitleiden! Denn +Viele sind zu dir unterwegs, viele Leidende, Zweifelnde, Verzweifelnde, +Ertrinkende, Frierende— + +Ich warne dich auch vor mir. Du erriethest mein bestes, schlimmstes +Räthsel, mich selber und was ich that. Ich kenne die Axt, die dich +fällt. + +Aber er—_musste_ sterben: er sah mit Augen, welche _Alles_ sahn,—er sah +des Menschen Tiefen und Gründe, alle seine verhehlte Schmach und +Hässlichkeit. + +Sein Mitleiden kannte keine Scham: er kroch in meine schmutzigsten +Winkel. Dieser Neugierigste, Über-Zudringliche, Über-Mitleidige musste +sterben. + +Er sah immer _mich_: an einem solchen Zeugen wollte ich Rache +haben—oder selber nicht leben. + +Der Gott, der Alles sah, _auch den Menschen_ dieser Gott musste +sterben! Der Mensch _erträgt_ es nicht, dass solch ein Zeuge lebt.“ + +Also, sprach der hässlichste Mensch. Zarathustra aber erhob sich und +schickte sich an fortzugehn: denn ihn fröstelte bis in seine +Eingeweide. + +„Du Unaussprechlicher, sagte er, du warntest mich vor deinem Wege. Zum +Danke dafür lobe ich dir den meinen. Siehe, dort hinauf liegt die Höhle +Zarathustra’s. + +Meine Höhle ist gross und tief und hat viele Winkel; da findet der +Versteckteste sein Versteck. Und dicht bei ihr sind hundert Schlüpfe +und Schliche für kriechendes, flatterndes und springendes Gethier. + +Du Ausgestossener, der du dich selber ausstiessest, du willst nicht +unter Menschen und Menschen-Mitleid wohnen? Wohlan, so thu’s mir +gleich! So lernst du auch von mir; nur der Thäter lernt. + +Und rede zuerst und -nächst mit meinen Thieren! Das stolzeste Thier und +das klügste Thier—die möchten uns Beiden wohl die rechten Rathgeber +sein!“— + +Also sprach Zarathustra und gieng seiner Wege, nachdenklicher und +langsamer noch als zuvor: denn er fragte sich Vieles und wusste sich +nicht leicht zu antworten. + +„Wie arm ist doch der Mensch! dachte er in seinem Herzen, wie hässlich, +wie röchelnd, wie voll verborgener Scham! + +Man sagt mir, dass der Mensch sich selber liebe: ach, wie gross muss +diese Selber-Liebe sein! Wie viel Verachtung hat sie wider sich! + +Auch dieser da liebte sich, wie er sich verachtete,—ein grosser +Liebender ist er mir und ein grosser Verächter. + +Keinen fand ich noch, der sich tiefer verachtet hätte: auch _Das_ ist +Höhe. Wehe, war _Der_ vielleicht der höhere Mensch, dessen Schrei ich +hörte? + +Ich liebe die grossen Verachtenden. Der Mensch aber ist Etwas, das +überwunden werden muss.“— + + +Der freiwillige Bettler + +Als Zarathustra den hässlichsten Menschen verlassen hatte, fror ihn, +und er fühlte sich einsam: es gieng ihm nämlich vieles Kalte und +Einsame durch die Sinne, also, dass darob auch seine Glieder kälter +wurden. Indem er aber weiter und weiter stieg, hinauf, hinab, bald an +grünen Weiden vorbei, aber auch über wilde steinichte Lager, wo ehedem +wohl ein ungeduldiger Bach sich zu Bett gelegt hatte.- da wurde ihm mit +Einem Male wieder wärmer und herzlicher zu Sinne. + +„Was geschah mir doch? fragte er sich, etwas Warmes und Lebendiges +erquickt mich, das muss in meiner Nähe sein. + +Schon bin ich weniger allein; unbewusste Gefährten und Brüder schweifen +um mich, ihr warmer Athem rührt an meine Seele.“ + +Als er aber um sich spähete und nach den Tröstern seiner Einsamkeit +suchte: siehe, da waren es Kühe, welche auf einer Anhöhe bei einander +standen; deren Nähe und Geruch hatten sein Herz erwärmt. Diese Kühe +aber schienen mit Eifer einem Redenden zuzuhören und gaben nicht auf +Den Acht, der herankam. Wie aber Zarathustra ganz in ihrer Nähe war, +hörte er deutlich, dass eine Menschen-Stimme aus der Mitte der Kühe +heraus redete; und ersichtlich hatten sie allesammt ihre Köpfe dem +Redenden zugedreht. + +Da sprang Zarathustra mit Eifer hinauf und drängte die Thiere +auseinander, denn er fürchtete, dass hier jemandem ein Leids geschehn +sei, welchem schwerlich das Mitleid von Kühen abhelfen mochte. Aber +darin hatte er sich getäuscht; denn siehe, da sass ein Mensch auf der +Erde und schien den Thieren zuzureden, dass sie keine Scheu vor ihm +haben sollten, ein friedfertiger Mensch und Berg-Prediger, aus dessen +Augen die Güte selber predigte. „Was suchst du hier?“ rief Zarathustra +mit Befremden. + +„Was ich hier suche? antwortete er: das Selbe, was du suchst, du +Störenfried! nämlich das Glück auf Erden. + +Dazu aber möchte ich von diesen Kühen lernen. Denn, weisst du wohl, +einen halben Morgen schon rede ich ihnen zu, und eben wollten sie mir +Bescheid geben. Warum doch störst du sie? + +So wir nicht umkehren und werden wie die Kühe, so kommen wir nicht in +das Himmelreich. Wir sollten ihnen nämlich Eins ablernen: das +Wiederkäuen. + +Und wahrlich, wenn der Mensch auch die ganze Welt gewönne und lernte +das Eine nicht, das Wiederkäuen: was hülfe es! Er würde nicht seine +Trübsal los + +—seine grosse Trübsal: die aber heisst heute _Ekel_. Wer hat heute von +Ekel nicht Herz, Mund und Augen voll? Auch du! Auch du! Aber siehe doch +diese Kühe an!“— + +Also sprach der Berg-Prediger und wandte dann seinen eignen Blick +Zarathustra zu,—denn bisher hieng er mit Liebe an den Kühen—: da aber +verwandelte er sich. „Wer ist das, mit dem ich rede? rief er erschreckt +und sprang vom Boden empor. + +Diess ist der Mensch ohne Ekel, diess ist Zarathustra selber, der +Überwinder des grossen Ekels, diess ist das Auge, diess ist der Mund, +diess ist das Herz Zarathustra’s selber.“ + +Und indem er also sprach, küsste er Dem, zu welchem er redete, die +Hände, mit überströmenden Augen, und gebärdete sich ganz als Einer, dem +ein kostbares Geschenk und Kleinod unversehens vom Himmel fällt. Die +Kühe aber schauten dem Allen zu und wunderten sich. + +„Sprich nicht von mir, du Wunderlicher! Lieblicher! sagte Zarathustra +und wehrte seiner Zärtlichkeit, sprich mir erst von dir! Bist du nicht +der freiwillige Bettler, der einst einen grossen Reichthum von sich +warf,— + +—der sich seines Reichthums schämte und der Reichen, und zu den Ärmsten +floh, dass er ihnen seine Fülle und sein Herz schenke? Aber sie nahmen +ihn nicht an.“ + +„Aber sie nahmen mich nicht an, sagte der freiwillige Bettler, du +weisst es ja. So gieng ich endlich zu den Thieren und zu diesen Kühen.“ + +„Da lerntest du, unterbrach Zarathustra den Redenden, wie es schwerer +ist, recht geben als recht nehmen, und dass gut schenken eine _Kunst_ +ist und die letzte listigste Meister-Kunst der Güte.“ + +„Sonderlich heutzutage, antwortete der freiwillige Bettler: heute +nämlich, wo alles Niedrige aufständisch ward und scheu und auf seine +Art hoffährtig: nämlich auf Pöbel-Art. + +Denn es kam die Stunde, du weisst es ja, für den grossen schlimmen +langen langsamen Pöbel- und Sklaven-Aufstand: der wächst und wächst! + +Nun empört die Niedrigen alles Wohlthun und kleine Weggeben; und die +Überreichen mögen auf der Hut sein! + +Wer heute gleich bauchichten Flaschen tröpfelt aus allzuschmalen +Hälsen:—solchen Flaschen bricht man heute gern den Hals. + +Lüsterne Gier, gallichter Neid, vergrämte Rachsucht, Pöbel-Stolz: das +sprang mir Alles in’s Gesicht. Es ist nicht mehr wahr, dass die Armen +selig sind. Das Himmelreich aber ist bei den Kühen.“ + +Und warum ist es nicht bei den Reichen? fragte Zarathustra versuchend, +während er den Kühen wehrte, die den Friedfertigen zutraulich +anschnauften. + +„Was versuchst du mich? antwortete dieser. Du weisst es selber besser +noch als ich. Was trieb mich doch zu den Ärmsten, oh Zarathustra? War +es nicht der Ekel vor unsern Reichsten? + +—vor den Sträflingen des Reichthums, welche sich ihren Vortheil aus +jedem Kehricht auflesen, mit kalten Augen, geilen Gedanken, vor diesem +Gesindel, das gen Himmel stinkt, + +—vor diesem vergüldeten verfälschten Pöbel, dessen Väter Langfinger +oder Aasvögel oder Lumpensammler waren, mit Weibern willfährig, +lüstern, vergesslich:—sie haben’s nämlich alle nicht weit zur Hure— + +Pöbel oben, Pöbel unten! Was ist heute noch „Arm“ und „Reich“! Diesen +Unterschied verlernte ich,—da floh ich davon, weiter, immer weiter, bis +ich zu diesen Kühen kam.“ + +Also sprach der Friedfertige und schnaufte selber und schwitzte bei +seinen Worten: also dass die Kühe sich von Neuem wunderten. Zarathustra +aber sah ihm immer mit Lächeln in’s Gesicht, als er so hart redete, und +schüttelte dazu schweigend den Kopf. + +„Du thust dir Gewalt an, du Berg-Prediger, wenn du solche harte Worte +brauchst. Für solche Härte wuchs dir nicht der Mund, nicht das Auge. + +Auch, wie mich dünkt, dein Magen selber nicht: _dem_ widersteht all +solches Zürnen und Hassen und Überschäumen. Dein Magen will sanftere +Dinge: du bist kein Fleischer. + +Vielmehr dünkst du mich ein Pflanzler und Wurzelmann. Vielleicht malmst +du Körner. Sicherlich aber bist du fleischlichen Freuden abhold und +liebst den Honig.“ + +„Du erriethst mich gut, antwortete der freiwillige Bettler, mit +erleichtertem Herzen. Ich liebe den Honig, ich malme auch Körner, denn +ich suchte, was lieblich mundet und reinen Athem macht: + +—auch was lange Zeit braucht, ein Tag- und Maul-Werk für sanfte +Müssiggänger und Tagediebe. + +Am weitesten freilich brachten es diese Kühe: die erfanden sich das +Wiederkäuen und In-der-Sonne-Liegen. Auch enthalten sie sich aller +schweren Gedanken, welche das Herz blähn.“ + +„- Wohlan! sagte Zarathustra: du solltest auch _meine_ Thiere sehn, +meinen Adler und meine Schlange,—ihres Gleichen giebt es heute nicht +auf Erden. + +Siehe, dorthin führt der Weg zu meiner Höhle: sei diese Nacht ihr Gast. +Und rede mit meinen Thieren vom Glück der Thiere,— + +—bis ich selber heimkomme. Denn jetzt ruft ein Nothschrei Mich eilig +weg von dir. Auch findest du neuen Honig bei mir, eisfrischen +Waben-Goldhonig: den iss! + +Jetzt aber nimm flugs Abschied von deinen Kühen, du Wunderlicher! +Lieblicher! ob es dir schon schwer werden mag. Denn es sind deine +wärmsten Freunde und Lehrmeister!“— + +„- Einen ausgenommen, den ich noch lieber habe, antwortete der +freiwillige Bettler. Du selber bist gut und besser noch als eine Kuh, +oh Zarathustra!“ + +„Fort, fort mit dir! du arger Schmeichler! schrie Zarathustra mit +Bosheit, was verdirbst du mich mit solchem Lob und Schmeichel-Honig?“ + +„Fort, fort von mir!“ schrie er noch Ein Mal und schwang seinen Stock +nach dem zärtlichen Bettler: der aber lief hurtig davon. + + +Der Schatten + +Kaum aber war der freiwillige Bettler davongelaufen und Zarathustra +wieder mit sich allein, da hörte er hinter sich eine neue Stimme: die +rief „Halt! Zarathustra! So warte doch! Ich bin’s ja, oh Zarathustra, +ich, dein Schatten!“ Aber Zarathustra wartete nicht, denn ein +plötzlicher Verdruss überkam ihn ob des vielen Zudrangs und Gedrängs in +seinen Bergen. „Wo ist meine Einsamkeit hin? sprach er. + +Es wird mir wahrlich zu viel; diess Gebirge wimmelt, mein Reich ist +nicht mehr von _dieser_ Welt, ich brauche neue Berge. + +Mein Schatten ruft mich? Was liegt an meinem Schatten! Mag er mir +nachlaufen! ich—laufe ihm davon.“— + +Also sprach Zarathustra zu seinem Herzen und lief davon. Aber Der, +welcher hinter ihm war, folgte ihm nach: so dass alsbald drei Laufende +hinter einander her waren, nämlich voran der freiwillige Bettler, dann +Zarathustra und zudritt und -hinterst sein Schatten. Nicht lange liefen +sie so, da kam Zarathustra zur Besinnung über seine Thorheit und +schüttelte mit Einem Rucke allen Verdruss und Überdruss von sich. + +„Wie! sprach er, geschahen nicht von je die lächerlichsten Dinge bei +uns alten Einsiedlern und Heiligen? + +Wahrlich, meine Thorheit wuchs hoch in den Bergen! Nun höre ich sechs +alte Narren-Beine hinter einander her klappern! + +Darf aber Zarathustra sich wohl vor einem Schatten fürchten? Auch dünkt +mich zu guterletzt, dass er längere Beine hat als ich.“ + +Also sprach Zarathustra, lachend mit Augen und Eingeweiden, blieb +stehen und drehte sich schnell herum—und siehe, fast warf er dabei +seinen Nachfolger und Schatten zu Boden: so dicht schon folgte ihm +derselbe auf den Fersen, und so schwach war er auch. Als er ihn nämlich +mit Augen prüfte, erschrak er wie vor einem plötzlichen Gespenste: so +dünn, schwärzlich, hohl und überlebt sah dieser Nachfolger aus. + +„Wer bist du? fragte Zarathustra heftig, was treibst du hier? Und +wesshalb heissest du dich meinen Schatten? Du gefällst mir nicht.“ + +„Vergieb mir, antwortete der Schatten, dass ich’s bin; und wenn ich dir +nicht gefalle, wohlan, oh Zarathustra! darin lobe ich dich und deinen +guten Geschmack. + +Ein Wanderer bin ich, der viel schon hinter deinen Fersen her gieng: +immer unterwegs, aber ohne Ziel, auch ohne Heim: also dass mir wahrlich +wenig zum ewigen Juden fehlt, es sei denn, dass ich nicht ewig, und +auch nicht Jude bin. + +Wie? Muss ich immerdar unterwegs sein? Von jedem Winde gewirbelt, +unstät, fortgetrieben? Oh Erde, du wardst mir zu rund! + +Auf jeder Oberfläche sass ich schon, gleich müdem Staube schlief ich +ein auf Spiegeln und Fensterscheiben: Alles nimmt von mir, Nichts +giebt, ich werde dünn,—fast gleiche ich einem Schatten. + +Dir aber, oh Zarathustra, flog und zog ich am längsten nach, und, +verbarg ich mich schon vor dir, so war ich doch dein bester Schatten: +wo du nur gesessen hast, sass ich auch. + +Mit dir bin ich in fernsten, kältesten Welten umgegangen, einem +Gespenste gleich, das freiwillig über Winterdächer und Schnee läuft. + +Mit dir strebte ich in jedes Verbotene, Schlimmste, Fernste: und wenn +irgend Etwas an mir Tugend ist, so ist es, dass ich vor keinem Verbote +Furcht hatte. + +Mit dir zerbrach ich, was je mein Herz verehrte, alle Grenzsteine und +Bilder warf ich um, den gefährlichsten Wünschen lief ich +nach,—wahrlich, über jedwedes Verbrechen lief ich einmal hinweg. + +Mit dir verlernte ich den Glauben an Worte und Werthe und grosse Namen. +Wenn der Teufel sich häutet, fällt da nicht auch sein Name ab? der ist +nämlich auch Haut. Der Teufel selber ist vielleicht—Haut. + +„Nichts ist wahr, Alles ist erlaubt“: so sprach ich mir zu. In die +kältesten Wasser stürzte ich mich, mit Kopf und Herzen. Ach, wie oft +stand ich darob nackt als rother Krebs da! + +Ach, wohin kam mir alles Gute und alle Scham und aller Glaube an die +Guten! Ach, wohin ist jene verlogne Unschuld, die ich einst besass, die +Unschuld der Guten und ihrer edlen Lügen! + +Zu oft, wahrlich, folgte ich der Wahrheit dicht auf dem Fusse: da trat +sie mir vor den Kopf. Manchmal meinte ich zu lügen, und siehe! da erst +traf ich—die Wahrheit. + +Zu Viel klärte sich mir auf: nun geht es mich Nichts mehr an. Nichts +lebt mehr, das ich liebe,—wie sollte ich noch mich selber lieben? + +„Leben, wie ich Lust habe, oder gar nicht leben“: so will ich’s, so +will’s auch der Heiligste. Aber, wehe! wie habe _ich_ noch—Lust? + +Habe _ich_—noch ein Ziel? Einen Hafen, nach dem _mein_ Segel läuft? + +Einen guten Wind? Ach, nur wer weiss, _wohin_ er fährt, weiss auch, +welcher Wind gut und sein Fahrwind ist. + +Was blieb mir noch zurück? Ein Herz müde und frech; ein unstäter Wille; +Flatter-Flügel; ein zerbrochnes Rückgrat. + +Diess Suchen nach _meinem_ Heim: oh Zarathustra, weisst du wohl, diess +Suchen war _meine_ Heimsuchung, es frisst mich auf. + +„Wo ist—_mein_ Heim?“ Darnach frage und suche und suchte ich, das fand +ich nicht. Oh ewiges Überall, oh ewiges Nirgendwo, oh ewiges—Umsonst!“ + +Also sprach der Schatten, und Zarathustra’s Gesicht verlängerte sich +bei seinen Worten. „Du bist mein Schatten! sagte er endlich, mit +Traurigkeit. + +Deine Gefahr ist keine kleine, du freier Geist und Wanderer! Du hast +einen schlimmen Tag gehabt: sieh zu, dass dir nicht noch ein +schlimmerer Abend kommt! + +Solchen Unstäten, wie du, dünkt zuletzt auch ein Gefängniss selig. +Sahst du je, wie eingefangne Verbrecher schlafen? Sie schlafen ruhig, +sie gemessen ihre neue Sicherheit. + +Hüte dich, dass dich nicht am Ende noch ein enger Glaube einfängt, ein +harter, strenger Wahn! Dich nämlich verführt und versucht nunmehr +Jegliches, das eng und fest ist. + +Du hast das Ziel verloren: wehe, wie wirst du diesen Verlust +verscherzen und verschmerzen? Damit—hast du auch den Weg verloren! + +Du armer Schweifender, Schwärmender, du müder Schmetterling! willst du +diesen Abend eine Rast und Heimstätte haben? So gehe hinauf zu meiner +Höhle! + +Dorthin führt der Weg zu meiner Höhle. Und jetzo will ich Schnell +wieder von dir davonlaufen. Schon liegt es wie ein Schatten auf mir. + +Ich will allein laufen, dass es wieder hell um mich werde. Dazu muss +ich noch lange lustig auf den Beinen sein. Des Abends aber wird bei +mir—getanzt!“— + +Also sprach Zarathustra. + + +Mittags + +—Und Zarathustra lief und lief und fand Niemanden mehr und war allein +und fand immer wieder sich und genoss und schlürfte seine Einsamkeit +und dachte an gute Dinge,—stundenlang. Um die Stunde des Mittags aber, +als die Sonne gerade über Zarathustra’s Haupte stand, kam er an einem +alten krummen und knorrichten Baume vorbei, der von der reichen Liebe +eines Weinstocks rings umarmt und vor sich selber verborgen war: von +dem hiengen gelbe Trauben in Fülle dem Wandernden entgegen. Da +gelüstete ihn, einen kleinen Durst zu löschen und sich eine Traube +abzubrechen; als er aber schon den Arm dazu ausstreckte, da gelüstete +ihn etwas Anderes noch mehr: nämlich sich neben den Baum niederzulegen, +um die Stunde des vollkommnen Mittags, und zu schlafen. + +Diess that Zarathustra; und sobald er auf dem Boden lag, in der Stille +und Heimlichkeit des bunten Grases, hatte er auch schon seinen kleinen +Durst vergessen und schlief ein. Denn, wie das Sprichwort Zarathustra’s +sagt: Eins ist nothwendiger als das Andre. Nur dass seine Augen offen +blieben:—sie wurden nämlich nicht satt, den Baum und die Liebe des +Weinstocks zu sehn und zu preisen. Im Einschlafen aber sprach +Zarathustra also zu seinem Herzen: + +Still! Still! Ward die Welt nicht eben vollkommen? Was geschieht mir +doch? + +Wie ein zierlicher Wind, ungesehn, auf getäfeltem Meere tanzt, leicht, +federleicht: so—tanzt der Schlaf auf mir, + +Kein Auge drückt er mir zu, die Seele lässt er mir wach. Leicht ist er, +wahrlich! federleicht. + +Er überredet mich, ich weiss nicht wie?, er betupft mich innewendig mit +schmeichelnder Hand, er zwingt mich. Ja, er zwingt mich, dass meine +Seele sich ausstreckt:— + +—wie sie mir lang und müde wird, meine wunderliche Seele! Kam ihr eines +siebenten Tages Abend gerade am Mittage? Wandelte sie zu lange schon +selig zwischen guten und reifen Dingen? + +Sie streckt sich lang aus, lang,—länger! sie liegt stille, meine +wunderliche Seele. Zu viel Gutes hat sie schon geschmeckt, diese. +goldene Traurigkeit drückt sie, sie verzieht den Mund. + +—Wie ein Schiff, das in seine stillste Bucht einlief:—nun lehnt es sich +an die Erde, der langen Reisen müde und der ungewissen Meere. Ist die +Erde nicht treuer? + +Wie solch ein Schiff sich dem Lande anlegt, anschmiegt:—da genügt’s, +dass eine Spinne vom Lande her zu ihm ihren Faden spinnt. Keiner +stärkeren Taue bedarf es da. + +Wie solch ein müdes Schiff in der stillsten Bucht: so ruhe auch ich nun +der Erde nahe, treu, zutrauend, wartend, mit den leisesten Fäden ihr +angebunden. + +Oh Glück! Oh Glück! Willst du wohl singen, oh meine Seele? Du liegst im +Grase. Aber das ist die heimliche feierliche Stunde, wo kein Hirt seine +Flöte bläst. + +Scheue dich! Heisser Mittag schläft auf den Fluren. Singe. nicht! +Still! Die Welt ist vollkommen. + +Singe nicht, du Gras-Geflügel, oh meine Seele! Flüstere nicht einmal! +Sieh doch —still! der alte Mittag schläft, er bewegt den Mund: trinkt +er nicht eben einen Tropfen Glücks— + +—einen alten braunen Tropfen goldenen Glücks, goldenen Weins? Es huscht +über ihn hin, sein Glück lacht. So—lacht ein Gott. Still!— + +—„Zum Glück, wie wenig genügt schon zum Glücke!“ So sprach ich einst, +und dünkte mich klug. Aber es war eine Lästerung: _das_ lernte ich nun. +Kluge Narrn reden besser. + +Das Wenigste gerade, das Leiseste, Leichteste, einer Eidechse Rascheln, +ein Hauch, ein Husch, ein Augen-Blidk—_Wenig_ macht die Art des +_besten_ Glücks. Still! + +—Was geschah mir: Horch! Flog die Zeit wohl davon? Falle ich nicht? +Fiel ich nicht—horch! in den Brunnen der Ewigkeit? + +—Was geschieht mir? Still! Es sticht mich—wehe—in’s Herz? In’s Herz! Oh +zerbrich, zerbrich, Herz, nach solchem Glücke, nach solchem Stiche! + +—Wie? Ward die Welt nicht eben vollkommen? Rund und reif? Oh des +goldenen runden Reifs—wohin fliegt er wohl? Laufe ich ihm nach! Husch! + +Still—- (und hier dehnte sich Zarathustra und fühlte, dass er +schlafe.)— + +Auf! sprach er zu sich selber, du Schläfer! Du Mittagsschläfer! Wohlan, +wohlauf, ihr alten Beine! Zeit ist’s und Überzeit, manch gut Stück Wegs +blieb euch noch zurück— + +Nun schlieft ihr euch aus, wie lange doch? Eine halbe Ewigkeit! Wohlan, +wohlauf nun, mein altes Herz! Wie lange erst darfst du nach solchem +Schlaf—dich auswachen? + +(Aber da schlief er schon von Neuem ein, und seine Seele sprach gegen +ihn und wehrte sich und legte sich wieder hin)—„Lass mich doch! Still! +Ward nicht die Welt eben vollkommen? Oh des goldnen runden Balls!“— + +„Steh auf, sprach Zarathustra, du kleine Diebin, du Tagediebin! Wie? +Immer noch sich strecken, gähnen, seufzen, hinunterfallen in tiefe +Brunnen? + +Wer bist du doch! Oh meine Seele!“ (und hier erschrak er, denn ein +Sonnenstrahl fiel vom Himmel herunter auf sein Gesicht) + +„Oh Himmel über mir, sprach er seufzend und setzte sich aufrecht, du +schaust mir zu? Du horchst meiner wunderlichen Seele zu? + +Wann trinkst du diesen Tropfen Thau’s, der auf alle Erden-Dinge +niederfiel,—wann trinkst du diese wunderliche Seele— + +—wann, Brunnen der Ewigkeit! du heiterer schauerlicher Mittags-Abgrund! +wann trinkst du meine Seele in dich zurück?“ + +Also sprach Zarathustra und erhob sich von seinem Lager am Baume wie +aus einer fremden Trunkenheit: und siehe, da stand die Sonne immer noch +gerade über seinem Haupte. Es möchte aber Einer daraus mit Recht +abnehmen, dass Zarathustra damals nicht lange geschlafen habe. + + +Die Begrüssung + +Am späten Nachmittage war es erst, dass Zarathustra, nach langem +umsonstigen Suchen und Umherstreifen, wieder zu seiner Höhle heimkam. +Als er aber derselben gegenüberstand, nicht zwanzig Schritt mehr von +ihr ferne, da geschah das, was er jetzt am wenigsten erwartete: von +Neuem hörte er den grossen _Nothschrei_. Und, erstaunlich! diess Mal +kam derselbige aus seiner eignen Höhle. Es war aber ein langer +vielfältiger seltsamer Schrei, und Zarathustra unterschied deutlich, +dass er sich aus vielen Stimmen zusammensetze: mochte er schon, aus der +Ferne gehört, gleich dem Schrei aus einem einzigen Munde klingen. + +Da sprang Zarathustra auf seine Höhle zu, und siehe! welches Schauspiel +erwartete ihn erst nach diesem Hörspiele! Denn da sassen sie allesammt +bei einander, an denen er des Tags vorübergegangen war: der König zur +Rechten und der König zur Linken, der alte Zauberer, der Papst, der +freiwillige Bettler, der Schatten, der Gewissenhafte des Geistes, der +traurige Wahrsager und der Esel; der hässlichste Mensch aber hatte sich +eine Krone aufgesetzt und zwei Purpurgürtel umgeschlungen,—denn er +liebte es, gleich allen Hässlichen, sich zu verkleiden und schön zu +thun. Inmitten aber dieser betrübten Gesellschaft stand der Adler +Zarathustra’s, gesträubt und unruhig, denn er sollte auf zu Vieles +antworten, wofür sein Stolz keine Antwort hatte; die kluge Schlange +aber hieng um seinen Hals. + +Diess Alles schaute Zarathustra mit grosser Verwunderung; dann prüfte +er jeden Einzelnen seiner Gäste mit leutseliger Neugierde, las ihre +Seelen ab und wunderte sich von Neuem. Inzwischen hatten sich die +Versammelten von ihren Sitzen erhoben und warteten mit Ehrfurcht, dass +Zarathustra reden werde. Zarathustra aber sprach also: + +„Ihr Verzweifelnden! Ihr Wunderlichen! Ich hörte also _euren_ +Nothschrei? Und nun weiss ich auch, wo Der zu suchen ist, den ich +umsonst heute suchte: der höhere Mensch—: + +—in meiner eignen Höhle sitzt er, der höhere Mensch! Aber was wundere +ich mich! Habe ich ihn nicht selber zu mir gelockt durch Honig-Opfer +und listige Lockrufe meines Glücks? + +Doch dünkt mir, ihr taugt euch schlecht zur Gesellschaft, ihr macht +einander das Herz unwirsch, ihr Nothschreienden, wenn ihr hier +beisammen sitzt? Es muss erst Einer kommen, + +—Einer, der euch wieder lachen macht, ein guter fröhlicher Hanswurst, +ein Tänzer und Wind und Wildfang, irgend ein alter Narr:—was dünket +euch? + +Vergebt mir doch, ihr Verzweifelnden, dass ich vor euch mit solch +kleinen Worten rede, unwürdig, wahrlich!, solcher Gäste! Aber ihr +errathet nicht, _was_ mein Herz muthwillig macht:— + +—ihr selber thut es und euer Anblick, vergebt es mir! Jeder nämlich +wird muthig, der einem Verzweifelnden zuschaut. Einem Verzweifelnden +zuzusprechen—dazu dünkt sich jeder stark genug. + +Mir selber gabt ihr diese Kraft,—eine gute Gabe, meine hohen Gäste! Ein +rechtschaffnes Gastgeschenk! Wohlan, so zürnt nun nicht, dass ich euch +auch vom Meinigen anbiete. + +Diess hier ist mein Reich und meine Herrschaft: was aber mein ist, für +diesen Abend und diese Nacht soll es euer sein. Meine Thiere sollen +euch dienen: meine Höhle sei eure Ruhestatt! + +Bei mir zu Heim-und-Hause soll Keiner verzweifeln, in meinem Reviere +schütze ich jeden vor seinen wilden Thieren. Und das ist das Erste, was +ich euch anbiete: Sicherheit! + +Das Zweite aber ist: mein kleiner Finger. Und habt ihr _den_ erst, so +nehmt nur noch die ganze Hand, wohlan! und das Herz dazu! Willkommen +hier, willkommen, meine Gastfreunde!“ + +Also sprach Zarathustra und lachte vor Liebe und Bosheit. Nach dieser +Begrüssung verneigten sich seine Gäste abermals und schwiegen +ehrfürchtig; der König zur Rechten aber antwortete ihm in ihrem Namen. + +„Daran, oh Zarathustra, wie du uns Hand und Gruss botest, erkennen wir +dich als Zarathustra. Du erniedrigtest dich vor uns; fast thatest du +unserer Ehrfurcht wehe—: + +—wer aber vermochte gleich dir sich mit solchem Stolze zu erniedrigen? +_Das_ richtet uns selber auf, ein Labsal ist es unsern Augen und +Herzen. + +Diess allein nur zu schaun, stiegen gern wir auf höhere Berge, als +dieser Berg ist. Als Schaulustige nämlich kamen wir, wir wollten sehn, +was trübe Augen hell macht. + +Und siehe, schon ist es vorbei mit allem unsern Nothschrein. Schon +steht Sinn und Herz uns offen und ist entzückt. Wenig fehlt: und unser +Muth wird muthwillig. + +Nichts, oh Zarathustra, wächst Erfreulicheres auf Erden, als ein hoher +starker Wille: der ist ihr schönstes Gewächs. Eine ganze Landschaft +erquickt sich an Einem solchen Baume. + +Der Pinie vergleiche ich, wer gleich dir, oh Zarathustra, aufwächst: +lang, schweigend, hart, allein, besten biegsamsten Holzes, herrlich,— + +—zuletzt aber hinausgreifend mit starken grünen Ästen nach _seiner_ +Herrschaft, starke Fragen fragend vor Winden und Wettern und was immer +auf Höhen heimisch ist, + +—stärker antwortend, ein Befehlender, ein Siegreicher: oh wer sollte +nicht, solche Gewächse zu schaun, auf hohe Berge steigen? + +Deines Baumes hier, oh Zarathustra, erlabt sich auch der Düstere, der +Missrathene, an deinem Anblicke wird auch der Unstäte sicher und heilt +sein Herz. + +Und wahrlich, zu deinem Berge und Baume richten sich heute viele Augen; +eine grosse Sehnsucht hat sich aufgemacht, und Manche lernten fragen: +wer ist Zarathustra? + +Und wem du jemals dein Lied und deinen Honig in’s Ohr geträufelt: alle +die Versteckten, die Einsiedler, die Zweisiedler sprachen mit Einem +Male zu ihrem Herzen: + +„Lebt Zarathustra noch? Es lohnt sich nicht mehr zu leben, Alles ist +gleich, Alles ist umsonst: oder—wir müssen mit Zarathustra leben!“ + +„Warum kommt er nicht, der sich so lange ankündigte? also fragen Viele; +verschlang ihn die Einsamkeit? Oder sollen wir wohl zu ihm kommen?“ + +Nun geschieht’s, dass die Einsamkeit selber mürbe wird und zerbricht, +einem Grabe gleich, das zerbricht und seine Todten nicht mehr halten +kann. Überall sieht man Auferstandene. + +Nun steigen und steigen die Wellen um deinen Berg, oh Zarathustra. Und +wie hoch auch deine Höhe ist, Viele müssen zu dir hinauf; dein Nachen +soll nicht lange mehr im Trocknen sitzen. + +Und dass wir Verzweifelnde jetzt in deine Höhle kamen und schon nicht +mehr verzweifeln: ein Wahr- und Vorzeichen ist es nur, davon, dass +Bessere zu dir unterwegs sind,— + +—denn er selber ist zu dir unterwegs, der letzte Rest Gottes unter +Menschen, das ist: alle die Menschen der grossen Sehnsucht, des grossen +Ekels, des grossen Überdrusses, + +—Alle, die nicht leben wollen, oder sie lernen wieder _hoffen_—oder sie +lernen von dir, oh Zarathustra, die _grosse_ Hoffnung!“ + +Also sprach der König zur Rechten und ergriff die Hand Zarathustra’s, +um sie zu küssen; aber Zarathustra wehrte seiner Verehrung und trat +erschreckt zurück, schweigend und plötzlich wie in weite Fernen +entfliehend. Nach einer kleinen Weile aber war er schon wieder bei +seinen Gästen, blickte sie mit hellen, prüfenden Augen an und sprach: + +Meine Gäste, ihr höheren Menschen, ich will deutsch und deutlich mit +euch reden. Nicht auf _euch_ wartete ich hier in diesen Bergen. + +(„Deutsch und deutlich? Dass Gott erbarm! sagte hier der König zur +Linken, bei Seite; man merkt, er kennt die lieben Deutschen nicht, +dieser Weise aus dem Morgenlande! + +Aber er meint „deutsch und derb“—wohlan! Das ist heutzutage noch nicht +der schlimmste Geschmack!“) + +„Ihr mögt wahrlich insgesammt höhere Menschen sein, fuhr Zarathustra +fort: aber für mich—seid ihr nicht hoch und stark genug. + +Für mich, das heisst: für das Unerbittliche, das in mir schweigt, aber +nicht immer schweigen wird. Und gehört ihr zu mir, so doch nicht als +mein rechter Arm. + +Wer nämlich selber auf kranken und zarten Beinen steht, gleich euch, +der will vor Allem, ob er’s weiss oder sich verbirgt: dass er +_geschont_ werde. + +Meine Arme und meine Beine aber schone ich nicht, ich schone meine +Krieger nicht: wieso könntet ihr zu _meinem_ Kriege taugen? + +Mit euch verdürbe ich mir jeden Sieg noch. Und Mancher von euch fiele +schon um, wenn er nur den lauten Schall meiner Trommeln hörte. + +Auch seid ihr mir nicht schön genug und wohlgeboren. Ich brauche reine +glatte Spiegel für meine Lehren; auf eurer Oberfläche verzerrt sich +noch mein eignes Bildniss. + +Eure Schultern drückt manche Last, manche Erinnerung; manch schlimmer +Zwerg hockt in euren Winkeln. Es giebt verborgenen Pöbel auch in euch. + +Und seid ihr auch hoch und höherer Art: Vieles an euch ist krumm und +missgestalt. Da ist kein Schmied in der Welt, der euch mir zurecht und +gerade schlüge. + +Ihr seid nur Brücken: mögen Höhere auf euch hinüber schreiten! Ihr +bedeutet Stufen: so zürnt Dem nicht, der über euch hinweg in _seine_ +Höhe steigt! + +Aus eurem Samen mag auch mir einst ein ächter Sohn und vollkommener +Erbe wachsen: aber das ist ferne. Ihr selber seid Die nicht, welchen +mein Erbgut und Name zugehört. + +Nicht auf euch warte ich hier in diesen Bergen, nicht mit euch darf ich +zum letzten Male niedersteigen. Als Vorzeichen kamt ihr mir nur, dass +schon Höhere zu mir unterwegs sind,— + +—_nicht_ die Menschen der grossen Sehnsucht, des grossen Ekels, des +grossen Überdrusses und Das, was ihr den Überrest Gottes nanntet. + +—Nein! Nein! Drei Mal Nein! Auf _Andere_ warte ich hier in diesen +Bergen und will meinen Fuss nicht ohne sie von dannen heben, + +—auf Höhere, Stärkere, Sieghaftere, Wohlgemuthere, Solche, die +rechtwinklig gebaut sind an Leib und Seele: _lachende Löwen_ müssen +kommen! + +Oh, meine Gastfreunde, ihr Wunderlichen,—hörtet ihr noch Nichts von +meinen Kindern? Und dass sie zu mir unterwegs sind? + +Sprecht mir doch von meinen Gärten, von meinen glückseligen Inseln, von +meiner neuen schönen Art,—warum sprecht ihr mir nicht davon? + +Diess Gastgeschenk erbitte ich mir von eurer Liebe, dass ihr mir von +meinen Kindern sprecht. Hierzu bin ich reich, hierzu ward ich arm: was +gab ich nicht hin, + +—was gäbe ich nicht hin, dass ich Eins hätte: _diese_ Kinder, _diese_ +lebendige Pflanzung, _diese_ Lebensbäume meines Willens und meiner +höchsten Hoffnung!“ + +Also sprach Zarathustra und hielt plötzlich inne in seiner Rede: denn +ihn überfiel seine Sehnsucht, und er schloss Augen und Mund vor der +Bewegung seines Herzens. Und auch alle seine Gäste schwiegen und +standen still und bestürzt: nur dass der alte Wahrsager mit Händen und +Gebärden Zeichen gab. + + +Das Abendmahl + +An dieser Stelle nämlich unterbrach der Wahrsager die Begrüssung +Zarathustra’s und seiner Gäste: er drängte sich vor, wie Einer, der +keine Zeit zu verlieren hat, fasste die Hand Zarathustra’s und rief: +„Aber Zarathustra! + +Eins ist nothwendiger als das Andre, so redest du selber: wohlan, Eins +ist _mir_ jetzt nothwendiger als alles Andere. + +Ein Wort zur rechten Zeit: hast du mich nicht zum _Mahle_ eingeladen? +Und hier sind viele, die lange Wege machten. Du willst uns doch nicht +mit Reden abspeisen? + +Auch gedachtet ihr Alle mir schon zu viel des Erfrierens, Ertrinkens, +Erstickens und andrer Leibes-Nothstände: Keiner aber gedachte _meines_ +Nothstandes, nämlich des Verhungerns—„ + +(Also sprach der Wahrsager; wie die Thiere Zarathustra’s aber diese +Worte hörten, liefen sie vor Schrecken davon. Denn sie sahen, dass was +sie auch am Tage heimgebracht hatten, nicht genug sein werde, den Einen +Wahrsager zu stopfen.) + +„Eingerechnet das Verdursten, fuhr der Wahrsager fort. Und ob ich schon +Wasser hier plätschern höre, gleich Reden der Weisheit, nämlich +reichlich und unermüdlich: ich—will _Wein_! + +Nicht jeder ist gleich Zarathustra ein geborner Wassertrinker. Wasser +taugt auch nicht für Müde und Verwelkte: _uns_ gebührt Wein,—_der_ erst +giebt plötzliches Genesen und stegreife Gesundheit!“ + +Bei dieser Gelegenheit, da der Wahrsager nach Wein begehrte, geschah +es, dass auch der König zur Linken, der Schweigsame, einmal zu Worte +kam. „Für Wein, sprach er, trugen _wir_ Sorge, ich sammt meinem Bruder, +dem Könige zur Rechten: wir haben Weins genug,—einen ganzen Esel voll. +So fehlt Nichts als Brod.“ + +„Brod? entgegnete Zarathustra und lachte dazu. Nur gerade Brod haben +Einsiedler nicht. Aber der Mensch lebt nicht vom Brod allein, sondern +auch vom Fleische guter Lämmer, deren ich zwei habe: + +—_Die_ soll man geschwinde schlachten und würzig, mit Salbei, +zubereiten: so liebe ich’s. Und auch an Wurzeln und Früchten fehlt es +nicht, gut genug selbst für Lecker- und Schmeckerlinge; noch an Nüssen +und andern Räthseln zum Knacken. + +Also wollen wir in Kürze eine gute Mahlzeit machen. Wer aber mit essen +will, muss auch mit Hand anlegen, auch die Könige. Bei Zarathustra +nämlich darf auch ein König Koch sein.“ + +Mit diesem Vorschlage war Allen nach dem Herzen geredet: nur dass der +freiwillige Bettler sich gegen Fleisch und Wein und Würzen sträubte. + +„Nun hört mir doch diesen Schlemmer Zarathustra! sagte er scherzhaft: +geht man dazu in Höhlen und Hoch-Gebirge, dass man solche Mahlzeiten +macht? + +Nun freilich verstehe ich, was er einst uns lehrte: „Gelobt sei die +kleine Armuth!“ Und warum er die Bettler abschaffen will.“ + +„Sei guter Dinge, antwortete ihm Zarathustra, wie ich es bin. Bleibe +bei deiner Sitte, du Trefflicher, malme deine Körner, trink dein +Wasser, lobe deine Küche: wenn sie dich nur fröhlich macht! + +Ich bin ein Gesetz nur für die Meinen, ich bin kein Gesetz für Alle. +Wer aber zu mir gehört, der muss von starken Knochen sein, auch von +leichten Füssen,— + +—lustig zu Kriegen und Festen, kein Düsterling, kein Traum-Hans, bereit +zum Schwersten wie zu seinem Feste, gesund und heil. + +Das Beste gehört den Meinen und mir; und giebt man’s uns nicht, so +nehmen wir’s:—die beste Nahrung, den reinsten Himmel, die stärksten +Gedanken, die schönsten Fraun!“— + +Also sprach Zarathustra; der König zur Rechten aber entgegnete: +„Seltsam! Vernahm man je solche kluge Dinge aus dem Munde eines Weisen? + +Und wahrlich, das ist das Seltsamste an einem Weisen, wenn er zu +alledem auch noch klug und kein Esel ist.“ + +Also sprach der König zur Rechten und wunderte sich; der Esel aber +sagte zu seiner Rede mit bösem Willen I-A. Diess aber war der Anfang +von jener langen Mahlzeit, welche „das Abendmahl“ in den +Historien-Büchern genannt wird. Bei derselben aber wurde von nichts +Anderem geredet als _vom höheren Menschen_. + + +Vom höheren Menschen + +1. + +Als ich zum ersten Male zu den Menschen kam, da that ich die +Einsiedler-Thorheit, die grosse Thorheit: ich stellte mich auf den +Markt. + +Und als ich zu Allen redete, redete ich zu Keinem. Des Abends aber +waren Seiltänzer meine Genossen, und Leichname; und ich selber fast ein +Leichnam. + +Mit dem neuen Morgen aber kam mir eine neue Wahrheit: da lernte ich +sprechen „Was geht mich Markt und Pöbel und Pöbel-Lärm und lange +Pöbel-Ohren an!“ + +Ihr höheren Menschen, Diess lernt von mir: auf dem Markt glaubt Niemand +an höhere Menschen. Und wollt ihr dort reden, wohlan! Der Pöbel aber +blinzelt „wir sind Alle gleich.“ + +„Ihr höheren Menschen,—so blinzelt der Pöbel—es giebt keine höheren +Menschen, wir sind Alle gleich, Mensch ist Mensch, vor Gott—sind wir +Alle gleich!“ + +Vor Gott!—Nun aber starb dieser Gott. Vor dem Pöbel aber wollen wir +nicht gleich sein. Ihr höheren Menschen, geht weg vom Markt! + +2. + +Vor Gott!—Nun aber starb dieser Gott! Ihr höheren Menschen, dieser Gott +war eure grösste Gefahr. + +Seit er im Grabe liegt, seid ihr erst wieder auferstanden. Nun erst +kommt der grosse Mittag, nun erst wird der höhere Mensch—Herr! + +Verstandet ihr diess Wort, oh meine Brüder? Ihr seid erschreckt: wird +euren Herzen schwindlig? Klafft euch hier der Abgrund? Kläfft euch hier +der Höllenhund? + +Wohlan! Wohlauf! Ihr höheren Menschen! Nun erst kreisst der Berg der +Menschen-Zukunft. Gott starb: nun wollen _wir_,—dass der Übermensch +lebe. + +3. + +Die Sorglichsten fragen heute: „wie bleibt der Mensch erhalten?“ +Zarathustra aber fragt als der Einzige und Erste: „wie wird der Mensch +_überwunden_?“ + +Der Übermensch liegt mir am Herzen, _der_ ist mein Erstes und +Einziges,—und _nicht_ der Mensch: nicht der Nächste, nicht der Ärmste, +nicht der Leidendste, nicht der Beste— + +Oh meine Brüder, was ich lieben kann am Menschen, das ist, dass er ein +Übergang ist und ein Untergang. Und auch an euch ist vieles, das mich +lieben und hoffen macht. + +Dass ihr verachtetet, ihr höheren Menschen, das macht mich hoffen. Die +grossen Verachtenden nämlich sind die grossen Verehrenden. + +Dass ihr verzweifeltet, daran ist Viel zu ehren. Denn ihr lerntet +nicht, wie ihr euch ergäbet, ihr lerntet die kleinen Klugheiten nicht. + +Heute nämlich wurden die kleinen Leute Herr: die predigen Alle Ergebung +und Bescheidung und Klugheit und Fleiss und Rücksicht und das lange +Und-so-weiter der kleinen Tugenden. + +Was von Weibsart ist, was von Knechtsart stammt und sonderlich der +Pöbel-Mischmasch: _Das_ will nun Herr werden alles +Menschen-Schicksals—oh Ekel! Ekel! Ekel! + +_Das_ frägt und frägt und wird nicht müde: „Wie erhält sich der Mensch, +am besten, am längsten, am angenehmsten?“ Damit—sind sie die Herrn von +Heute. + +Diese Herrn von Heute überwindet mir, oh meine Brüder,—diese kleinen +Leute: _die_ sind des Übermenschen grösste Gefahr! + +Überwindet mir, ihr höheren Menschen, die kleinen Tugenden, die kleinen +Klugheiten, die Sandkorn-Rücksichten, den Ameisen-Kribbelkram, das +erbärmliche Behagen, das „Glück der Meisten“ —! + +Und lieber verzweifelt, als dass ihr euch ergebt. Und, wahrlich, ich +liebe euch dafür, dass ihr heute nicht zu leben wisst, ihr höheren +Menschen! So nämlich lebt _ihr_—am Besten! + +4. + +Habt ihr Muth, oh meine Brüder? Seid ihr herzhaft? _Nicht_ Muth vor +Zeugen, sondern Einsiedler- und Adler-Muth, dem auch kein Gott mehr +zusieht? + +Kalte Seelen, Maulthiere, Blinde, Trunkene heissen mir nicht herzhaft. +Herz hat, wer Furcht kennt, aber Furcht _zwingt_, er den Abgrund sieht, +aber mit _Stolz_. + +Wer den Abgrund sieht, aber mit Adlers-Augen, wer mit Adlers-Krallen +den Abgrund _fasst_: Der hat Muth.— + +5. + +„Der Mensch ist böse“ —so sprachen mir zum Troste alle Weisesten. Ach, +wenn es heute nur noch wahr ist! Denn das Böse ist des Menschen beste +Kraft. + +„Der Mensch muss besser und böser werden“ —so lehre _ich_. Das Böseste +ist nöthig zu des Übermenschen Bestem. + +Das mochte gut sein für jenen Prediger der kleinen Leute, dass er litt +und trug an des Menschen Sünde. Ich aber erfreue mich der grossen Sünde +als meines grossen _Trostes_.— + +Solches ist aber nicht für lange Ohren gesagt. Jedwedes Wort gehört +auch nicht in jedes Maul. Das sind feine ferne Dinge: nach denen sollen +nicht Schafs-Klauen greifen! + +6. + +Ihr höheren Menschen, meint ihr, ich sei da, gut zu machen, was ihr +schlecht machtet? + +Oder ich wollte fürderhin euch Leidende bequemer betten? Oder euch +Unstäten, Verirrten, Verkletterten neue leichtere Fusssteige zeigen? + +Nein! Nein! Drei Mal Nein! Immer Mehr, immer Bessere eurer Art sollen +zu Grunde gehn,—denn ihr sollt es immer schlimmer und härter haben. So +allein— + +—so allein wächst der Mensch in _die_ Höhe, wo der Blitz ihn trifft und +zerbricht: hoch genug für den Blitz! + +Auf Weniges, auf Langes, auf Fernes geht mein Sinn und meine Sehnsucht: +was gienge mich euer kleines, vieles, kurzes Elend an! + +Ihr leidet mir noch nicht genug! Denn ihr leidet an euch, ihr littet +noch nicht _am Menschen_. Ihr würdet lügen, wenn ihr’s anders sagtet! +Ihr leidet Alle nicht, woran ich litt.— + +7. + +Es ist mir nicht genug, dass der Blitz nicht mehr schadet. Nicht +ableiten will ich ihn: er soll lernen für _mich_—arbeiten.— + +Meine Weisheit sammlet sich lange schon gleich einer Wolke, sie wird +stiller und dunkler. So thut jede Weisheit, welche _einst_ Blitze +gebären soll.— + +Diesen Menschen von Heute will ich nicht _Licht_ sein, nicht Licht +heissen. _Die_—will ich blenden: Blitz meiner Weisheit! Stich ihnen die +Augen aus! + +8. + +Wollt Nichts über euer Vermögen: es giebt eine schlimme Falschheit bei +Solchen, die über ihr Vermögen wollen. + +Sonderlich, wenn sie grosse Dinge wollen! Denn sie wecken Misstrauen +gegen grosse Dinge, diese feinen Falschmünzer und Schauspieler:— + +—bis sie endlich falsch vor sich selber sind, schieläugig, übertünchter +Wurmfrass, bemäntelt durch starke Worte, durch Aushänge-Tugenden, durch +glänzende falsche Werke. + +Habt da eine gute Vorsicht, ihr höheren Menschen! Nichts nämlich gilt +mir heute kostbarer und seltner als Redlichkeit. + +Ist diess Heute nicht des Pöbels? Pöbel aber weiss nicht, was gross, +was klein, was gerade und redlich ist: der ist unschuldig krumm, der +lügt immer. + +8. + +Habt heute ein gutes Misstrauen, ihr höheren Menschen, ihr Beherzten! +Ihr Offenherzigen! Und haltet eure Gründe geheim! Diess Heute nämlich +ist des Pöbels. + +Was der Pöbel ohne Gründe einst glauben lernte, wer könnte ihm durch +Gründe Das —umwerfen? + +Und auf dem Markte überzeugt man mit Gebärden. Aber Gründe machen den +Pöbel misstrauisch. + +Und wenn da einmal Wahrheit zum Siege kam, so fragt euch Mit gutem +Misstrauen: „welch starker Irrthum hat für sie gekämpft?“ + +Hütet euch auch vor den Gelehrten! Die hassen euch: denn sie sind +unfruchtbar! Sie haben kalte vertrocknete Augen, vor ihnen liegt jeder +Vogel entfedert. + +Solche brüsten sich damit, dass sie nicht lügen: aber Ohnmacht zur Lüge +ist lange noch nicht Liebe zur Wahrheit. Hütet euch! + +Freiheit von Fieber ist lange noch nicht Erkenntniss! Ausgekälteten +Geistern glaube ich nicht. Wer nicht lügen kann, weiss nicht, was +Wahrheit ist. + +10. + +Wollt ihr hoch hinaus, so braucht die eignen Beine! Lasst euch nicht +empor _tragen_, setzt euch nicht auf fremde Rücken und Köpfe! + +Du aber stiegst zu Pferde? Du reitest nun hurtig hinauf zu deinem +Ziele? Wohlan, mein Freund! Aber dein lahmer Fuss sitzt auch mit zu +Pferde! + +Wenn du an deinem Ziele bist, wenn du von deinem Pferde springst: auf +deiner _Höhe_ gerade, du höherer Mensch—wirst du stolpern! + +11. + +Ihr Schaffenden, ihr höheren Menschen! Man ist nur für das eigne Kind +schwanger. + +Lasst euch Nichts vorreden, einreden! Wer ist denn _euer_ Nächster? Und +handelt ihr auch „für den Nächsten“ ,—ihr schafft doch nicht für ihn! + +Verlernt mir doch diess „Für“, ihr Schaffenden: eure Tugend gerade will +es, dass ihr kein Ding mit „für“ und „um“ und „weil“ thut. Gegen diese +falschen kleinen Worte sollt ihr euer Ohr zukleben. + +Das „für den Nächsten“ ist die Tugend nur der kleinen Leute: da heisst +es „gleich und gleich“ und „Hand wäscht Hand“:—sie haben nicht Recht +noch Kraft zu _eurem_ Eigennutz! + +In eurem Eigennutz, ihr Schaffenden, ist der Schwangeren Vorsicht und +Vorsehung! Was Niemand noch mit Augen sah, die Frucht: die schirmt und +schont und nährt eure ganze Liebe. + +Wo eure ganze Liebe ist, bei eurem Kinde, da ist auch eure ganze +Tugend! Euer Werk, euer Wille ist _euer_ „Nächster“: lasst euch keine +falschen Werthe einreden! + +12. + +Ihr Schaffenden, ihr höheren Menschen! Wer gebären muss, der ist krank; +wer aber geboren hat, ist unrein. + +Fragt die Weiber: man gebiert nicht, weil es Vergnügen macht. Der +Schmerz macht Hühner und Dichter gackern. + +Ihr Schaffenden, an euch ist viel Unreines. Das macht, ihr musstet +Mütter sein. + +Ein neues Kind: oh wie viel neuer Schmutz kam auch zur Welt! Geht bei +Seite! Und wer geboren hat, soll seine Seele rein waschen! + +13. + +Seid nicht tugendhaft über eure Kräfte! Und wollt Nichts von euch wider +die Wahrscheinlichkeit! + +Geht in den Fusstapfen, wo schon eurer Väter Tugend gierig! Wie wolltet +ihr hoch steigen, wenn nicht eurer Väter Wille mit euch steigt? + +Wer aber Erstling sein will, sehe zu, dass er nicht auch Letztling +werde! Und wo die Laster eurer Väter sind, darin sollt ihr nicht +Heilige bedeuten wollen! + +Wessen Väter es mit Weibern hielten und mit starken Weinen und +Wildschweinen: was wäre es, wenn Der von sich Keuschheit wollte? + +Eine Narrheit wäre es! Viel, wahrlich, dünkt es mich für einen Solchen, +wenn er Eines oder zweier oder dreier Weiber Mann ist. + +Und stiftete er Klöster und schriebe über die Thür: „der Weg zum +Heiligen,“—ich spräche doch: wozu! es ist eine neue Narrheit! + +Er stiftete sich selber ein Zucht- und Fluchthaus: wohl bekomm’s! Aber +ich glaube nicht daran. + +In der Einsamkeit wächst, was Einer in sie bringt, auch das innere +Vieh. Solchergestalt widerräth sich Vielen die Einsamkeit. + +Gab es Schmutzigeres bisher auf Erden als Wüsten-Heilige? _Um die_ +herum war nicht nur der Teufel los,—sondern auch das Schwein. + +14. + +Scheu, beschämt, ungeschickt, einem Tiger gleich, dem der Sprung +missrieth: also, ihr höheren Menschen, sah ich oft euch bei Seite +schleichen. Ein _Wurf_ missrieth euch. + +Aber, ihr Würfelspieler, was liegt daran! Ihr lerntet nicht spielen und +spotten, wie man spielen und spotten muss! Sitzen wir nicht immer an +einem grossen Spott- und Spieltische? + +Und wenn euch Grosses missrieth, seid ihr selber darum—missrathen? Und +missriethet ihr selber, missrieth darum—der Mensch? Missrieth aber der +Mensch: wohlan! wohlauf! + +15. + +Je höher von Art, je seltener geräth ein Ding. Ihr höheren Menschen +hier, seid ihr nicht alle—missgerathen? + +Seid guten Muths, was liegt daran! Wie Vieles ist noch möglich! Lernt +über euch selber lachen, wie man lachen muss! + +Was Wunders auch, dass ihr missriethet und halb geriethet, ihr +Halb-Zerbrochenen! Drängt und stösst sich nicht in euch—des Menschen +_Zukunft_? + +Des Menschen Fernstes, Tiefstes, Sternen-Höchstes, seine ungeheure +Kraft: schäumt Das nicht alles gegen einander in eurem Topfe? + +Was Wunders, dass mancher Topf zerbricht! Lernt über euch lachen, wie +man lachen muss! Ihr höheren Menschen, oh wie Vieles ist noch möglich! + +Und wahrlich, wie Viel gerieth schon! Wie reich ist diese Erde an +kleinen guten vollkommenen Dingen, an Wohlgerathenem! + +Stellt kleine gute vollkommne Dinge um euch, ihr höheren Menschen! +Deren goldene Reife heilt das Herz. Vollkommnes lehrt hoffen. + +16. + +Welches war hier auf Erden bisher die grösste Sünde? War es nicht das +Wort Dessen, der sprach: „Wehe Denen, die hier lachen!“ + +Fand er zum Lachen auf der Erde selber keine Gründe? So suchte er nur +schlecht. Ein Kind findet hier noch Gründe. + +Der—liebte nicht genug: sonst hätte er auch uns geliebt, die Lachenden! +Aber er hasste und höhnte uns, Heulen und Zähneklappern verhiess er +uns. + +Muss man denn gleich fluchen, wo man nicht liebt? Das—dünkt mich ein +schlechter Geschmack. Aber so that er, dieser Unbedingte. Er kam vom +Pöbel. + +Und er selber liebte nur nicht genug: sonst hätte er weniger gezürnt, +dass man ihn nicht liebe. Alle grosse Liebe _will_ nicht Liebe:—die +will mehr. + +Geht aus dem Wege allen solchen Unbedingten! Das ist eine arme kranke +Art, eine Pöbel-Art: sie sehn schlimm diesem Leben zu, sie haben den +bösen Blick für diese Erde. + +Geht aus dem Wege allen solchen Unbedingten! Sie haben Schwere Füsse +und schwüle Herzen:—sie wissen nicht zu tanzen. Wie möchte Solchen wohl +die Erde leicht sein! + +17. + +Krumm kommen alle guten Dinge ihrem Ziele nahe. Gleich Katzen machen +sie Buckel, sie schnurren innewendig vor ihrem nahen Glücke,—alle guten +Dinge lachen. + +Der Schritt verräth, ob Einer schon auf _seiner_ Bahn schreitet: so +seht mich gehn! Wer aber seinem Ziel nahe kommt, der tanzt. + +Und, wahrlich, zum Standbild ward ich nicht, noch stehe ich nicht da, +starr, stumpf, steinern, eine Säule; ich liebe geschwindes Laufen. + +Und wenn es auf Erden auch Moor und dicke Trübsal giebt: wer leichte +Füsse hat, läuft über Schlamm noch hinweg und tanzt wie auf gefegtem +Eise. + +Erhebt eure Herzen, meine Brüder, hoch! höher! Und vergesst mir auch +die Beine nicht! Erhebt auch eure Beine, ihr guten Tänzer, und besser +noch: ihr steht auch auf dem Kopf! + +18. + +Diese Krone des Lachenden, diese Rosenkranz-Krone: ich selber setzte +mir diese Krone auf, ich selber sprach heilig mein Gelächter. Keinen +Anderen fand ich heute stark genug dazu. + +Zarathustra der Tänzer, Zarathustra der Leichte, der mit den Flügeln +winkt, ein Flugbereiter, allen Vögeln zuwinkend, bereit und fertig, ein +Selig-Leichtfertiger:— + +Zarathustra der Wahrsager, Zarathustra der Wahrlacher, kein +Ungeduldiger, kein Unbedingter, Einer, der Sprünge und Seitensprünge +liebt; ich selber setzte mir diese Krone auf! + +19. + +Erhebt eure Herzen, meine Brüder, hoch! höher! Und vergesst mir auch +die Beine nicht! Erhebt auch eure Beine, ihr guten Tänzer, und besser +noch: ihr steht auch auf dem Kopf! + +Es giebt auch im Glück schweres Gethier, es giebt Plumpfüssler von +Anbeginn. Wunderlich müht sie sich ab, einem Elephanten gleich, der +sich müht auf dem Kopf zu stehn. + +Besser aber noch närrisch sein vor Glücke als närrisch vor Unglücke, +besser plump tanzen als lahm gehn. So lernt mir doch meine Weisheit ab: +auch das schlimmste Ding hat zwei gute Kehrseiten,— + +—auch das schlimmste Ding hat gute Tanzbeine: so lernt mir doch euch +selbst, ihr höheren Menschen, auf eure rechten Beine stellen! + +So verlernt mir doch Trübsal-Blasen und alle Pöbel-Traurigkeit! Oh wie +traurig dünken mich heute des Pöbels Hanswürste noch! Diess Heute aber +ist des Pöbels. + +20. + +Dem Winde thut mir gleich, wenn er aus seinen Berghöhlen stürzt: nach +seiner eignen Pfeife will er tanzen, die Meere zittern und hüpfen unter +seinen Fusstapfen. + +Der den Eseln Flügel giebt, der Löwinnen melkt, gelobt sei dieser gute +unbändige Geist, der allem Heute und allem Pöbel wie ein Sturmwind +kommt,— + +—der Distel- und Tiftelköpfen feind ist und allen welken Blättern und +Unkräutern: gelobt sei dieser wilde gute freie Sturmgeist, welcher auf +Mooren und Trübsalen wie auf Wiesen tanzt! + +Der die Pöbel-Schwindhunde hasst und alles missrathene düstere Gezücht: +gelobt sei dieser Geist aller freien Geister, der lachende Sturm, +welcher allen Schwarzsichtigen, Schwärsüchtigen Staub in die Augen +bläst! + +Ihr höheren Menschen, euer Schlimmstes ist: ihr lerntet alle nicht +tanzen, wie man tanzen muss—über euch hinweg tanzen! Was liegt daran, +dass ihr missriethet! + +Wie Vieles ist noch möglich! So _lernt_ doch über euch hinweg lachen! +Erhebt eure Herzen, ihr guten Tänzer, hoch! höher! Und vergesst mir +auch das gute Lachen nicht! + +Diese Krone des Lachenden, diese Rosenkranz-Krone: euch, meinen +Brüdern, werfe ich diese Krone zu! Das Lachen sprach ich heilig; ihr +höheren Menschen, _lernt_ mir—lachen! + + +Das Lied der Schwermuth + +1. + +Als Zarathustra diese Reden sprach, stand er nahe dem Eingange seiner +Höhle; mit den letzten Worten aber entschlüpfte er seinen Gästen und +floh für eine kurze Weile in’s Freie. + +„Oh reine Gerüche um mich, rief er aus, oh selige Stille um mich! Aber +wo sind meine Thiere? Heran, heran, mein Adler und meine Schlange! + +Sagt mir doch, meine Thiere: diese höheren Menschen +insgesammt—_riechen_ sie vielleicht nicht gut? Oh reine Gerüche um +mich! Jetzo weiss und fühle ich erst, wie ich euch, meine Thiere, +liebe.“ + +—Und Zarathustra sprach nochmals: „ich liebe euch, meine Thiere!“ Der +Adler aber und die Schlange drängten sich an ihn, als er diese Worte +sprach, und sahen zu ihm hinauf. Solchergestalt waren sie zu drei still +beisammen und schnüffelten und schlürften mit einander die gute Luft. +Denn die Luft war hier draussen besser als bei den höheren Menschen. + +2. + +Kaum aber hatte Zarathustra seine Höhle verlassen, da erhob sich der +alte Zauberer, sah listig umher und sprach: „Er ist hinaus! + +Und schon, ihr höheren Menschen—dass ich euch mit diesem Lob- und +Schmeichel-Namen kitzle, gleich ihm selber—schon fällt mich mein +schlimmer Trug- und Zaubergeist an, mein schwermüthiger Teufel, + +—welcher diesem Zarathustra ein Widersacher ist aus dem Grunde: vergebt +es ihm! Nun will er vor euch zaubern, er hat gerade _seine_ Stunde; +umsonst ringe ich mit diesem bösen Geiste. + +Euch Allen, welche Ehren ihr euch mit Worten geben mögt, ob ihr euch +„die freien Geister“ nennt oder „die Wahrhaftigen“ oder „die Büsser des +Geistes“ oder „die Entfesselten“ oder „die grossen Sehnsüchtigen“— + +—euch Allen, die ihr _am grossen Ekel_ leidet gleich mir, denen der +alte Gott starb und noch kein neuer Gott in Wiegen und Windeln +liegt,—euch Allen ist mein böser Geist und Zauber-Teufel hold. + +Ich kenne euch, ihr höheren Menschen, ich kenne ihn,—ich kenne auch +diesen Unhold, den ich wider Willen liebe, diesen Zarathustra: er +selber dünkt mich öfter gleich einer schönen Heiligen-Larve, + +—gleich einem neuen wunderlichen Mummenschanze, in dem sich mein böser +Geist, der schwermüthige Teufel, gefällt:—ich liebe Zarathustra, so +dünkt mich oft, um meines bösen Geistes Willen.— + +Aber schon fällt _der_ mich an und zwingt mich, dieser Geist der +Schwermuth, dieser Abend-Dämmerungs-Teufel: und, wahrlich, ihr höheren +Menschen, es gelüstet ihn— + +—macht nur die Augen auf!—es gelüstet ihn, _nackt_ zu kommen, ob +männlich, ob weiblich, noch weiss ich’s nicht: aber er kommt, er zwingt +mich, wehe! macht eure Sinne auf! + +Der Tag klingt ab, allen Dingen kommt nun der Abend, auch den besten +Dingen; hört nun und seht, ihr höheren Menschen, welcher Teufel, ob +Mann, ob Weib, dieser Geist der Abend-Schwermuth ist!“ + +Also sprach der alte Zauberer, sah listig umher und griff dann zu +seiner Harfe. + +3. + +Bei abgehellter Luft, +Wenn schon des Thau’s Tröstung +Zur Erde niederquillt, +Unsichtbar, auch ungehört: +—Denn zartes Schuhwerk trägt +Der Tröster Thau gleich allen Trost-Milden—: +Gedenkst du da, gedenkst du, heisses Herz, +Wie einst du durstetest, +Nach himmlischen Thränen und Thau-Geträufel +Versengt und müde durstetest, +Dieweil auf gelben Gras-Pfaden +Boshaft abendliche Sonnenblicke +Durch schwarze Bäume um dich liefen, +Blendende Sonnen-Gluthblicke, schadenfrohe. + +„Der _Wahrheit_ Freier? Du?—so höhnten sie— +Nein! Nur ein Dichter! +Ein Thier, ein listiges, raubendes, schleichendes, +Das lügen muss, +Das wissentlich, willentlich lügen muss: +Nach Beute lüstern, +Bunt verlarvt, +Sich selber Larve, +Sich selbst zur Beute— +_Das_—der Wahrheit Freier? Nein! +Nur Narr! Nur Dichter! +Nur Buntes redend, +Aus Narren-Larven bunt herausschreiend, +Herumsteigend auf lügnerischen Wort-Brücken, +Auf bunten Regenbogen, +Zwischen falschen Himmeln +Und falschen Erden, +Herumschweifend, herumschwebend,— +_Nur_ Narr! _Nur_ Dichter!... + +_Das_—der Wahrheit Freier? +Nicht still, starr, glatt, kalt, +Zum Bilde worden, +Zur Gottes-Säule, +Nicht aufgestellt vor Tempeln, +Eines Gottes Thürwart: +Nein! Feindselig solchen Wahrheits-Standbildern, +In jeder Wildniss heimischer als vor Tempeln, +Voll Katzen-Muthwillens, +Durch jedes Fenster springend +Husch! in jeden Zufall, +Jedem Urwalde zuschnüffelnd, +Süchtig-sehnsüchtig zuschnüffelnd, +Dass du in Urwäldern +Unter buntgefleckten Raubthieren +Sündlich-gesund und bunt und schön liefest, +Mit lüsternen Lefzen, +Selig-höhnisch, selig-höllisch, selig-blutgierig, +Raubend, schleichend, lügend liefest:... + +Oder, dem Adler gleich, der lange, +Lange starr in Abgründe blickt, +In _seine_ Abgründe:... +-- Oh wie sie sich hier hinab, +Hinunter, hinein, +In immer tiefere Tiefen ringeln!— +Dann, +Plötzlich, +geraden Zugs, +Gezückten Flugs, +Auf Lämmer stossen, +Jach hinab, heisshungrig, +Nach Lämmern lüstern, +Gram allen Lamms-Seelen, +Grimmig-gram Allem, was blickt +Schafmässig, lammäugig, krauswollig, +Grau, mit Lamms-Schafs-Wohlwollen! + +Also +Adlerhaft, pantherhaft +Sind des Dichters Sehnsüchte, +Sind _deine_ Sehnsüchte unter tausend Larven, +Du Narr! Du Dichter! + +Der du den Menschen schautest +So Gott als Schaf—: +Den Gott _zerreissen_ im Menschen +Wie das Schaf im Menschen, +Und zerreisend _lachen_— + +_Das_, _Das_ ist deine Seligkeit! Eines Panthers und Adlers Seligkeit! +Eines Dichters und Narren Seligkeit!“— + +Bei abgehellter Luft, +Wenn schon des Monds Sichel +Grün zwischen Purpurröthen +Und neidisch hinschleicht: +—dem Tage feind, +Mit jedem Schritte heimlich +An Rosen-Hängematten +Hinsichelnd, bis sie sinken, +Nacht-abwärts blass hinabsinken: + +So sank ich selber einstmals +Aus meinem Wahrheits-Wahnsinne, +Aus meinen Tages-Sehnsüchten, +Des Tages müde, krank vom Lichte, +—sank abwärts, abendwärts, schattenwärts: +Von Einer Wahrheit +Verbrannt und durstig: +—gedenkst du noch, gedenkst du, heisses Herz, +Wie da du durstetest?— +Dass ich verbannt sei +Von _aller_ Wahrheit, +Nur Narr! Nur Dichter! + + +Von der Wissenschaft + +Also sang der Zauberer; und Alle, die beisammen waren, giengen gleich +Vögeln unvermerkt in das Netz seiner listigen und schwermüthigen +Wollust. Nur der Gewissenhafte des Geistes war nicht eingefangen: er +nahm flugs dem Zauberer die Harfe weg und rief „Luft! Lasst gute Luft +herein! Lass Zarathustra herein! Du machst diese Höhle schwül und +giftig, du schlimmer alter Zauberer! + +Du verfährst, du Falscher, Feiner, zu unbekannten Begierden und +Wildnissen. Und wehe, wenn Solche, wie du, von der _Wahrheit_ Redens +und Wesens machen! + +Wehe allen freien Geistern, welche nicht vor _solchen_ Zauberern auf +der Hut sind! Dahin ist es mit ihrer Freiheit: du lehrst und lockst +zurück in Gefängnisse,— + +—du alter schwermüthiger Teufel, aus deiner Klage klingt eine +Lockpfeife, du gleichst Solchen, welche mit ihrem Lobe der Keuschheit +heimlich zu Wollüsten laden!“ + +Also sprach der Gewissenhafte; der alte Zauberer aber blickte um sich, +genoss seines Sieges und verschluckte darüber den Verdruss, welchen ihm +der Gewissenhafte machte. „Sei still! sagte er mit bescheidener Stimme, +gute Lieder wollen gut wiederhallen; nach guten Liedern soll man lange +schweigen. + +So thun es diese Alle, die höheren Menschen. Du aber hast wohl Wenig +von meinem Lied verstanden? In dir ist Wenig von einem Zaubergeiste.“ + +„Du lobst mich, entgegnete der Gewissenhafte, indem du mich von dir +abtrennst, wohlan! Aber ihr Anderen, was sehe ich? Ihr sitzt alle noch +mit lüsternen Augen da—: + +Ihr freien Seelen, wohin ist eure Freiheit! Fast, dünkt mich’s, gleicht +ihr Solchen, die lange schlimmen tanzenden nackten Mädchen zusahn: eure +Seelen tanzen selber! + +In euch, ihr höheren Menschen, muss Mehr von Dem sein, was der Zauberer +seinen bösen Zauber- und Truggeist nennt:—wir müssen wohl verschieden +sein. + +Und wahrlich, wir sprachen und dachten genug mitsammen, ehe Zarathustra +heimkam zu seiner Höhle, als dass ich nicht wüsste: wir _sind_ +verschieden. + +Wir _suchen_ Verschiednes auch hier oben, ihr und ich. Ich nämlich +suche _mehr Sicherheit_, desshalb kam ich zu Zarathustra. Der nämlich +ist noch der festeste Thurm und Wille— + +—heute, wo Alles wackelt, wo alle Erde bebt. Ihr aber, wenn ich eure +Augen sehe, die ihr macht, fast dünkt mich’s, ihr sucht mehr +_Unsicherheit_, + +—mehr Schauder, mehr Gefahr, mehr Erdbeben. Euch gelüstet, fast dünkt +mich’s so, vergebt meinem Dünkel, ihr höheren Menschen— + +—euch gelüstet nach dem schlimmsten gefährlichsten Leben, das _mir_ am +meisten Furcht macht, nach dem Leben wilder Thiere, nach Wäldern, +Höhlen, steilen Bergen und Irr- Schlünden. + +Und nicht die Führer _aus_ der Gefahr gefallen euch am besten, sondern +die euch von allen Wegen abführen, die Verführer. Aber, wenn solch +Gelüsten an euch _wirklich_ ist, so dünkt es mich trotzdem _unmöglich_. + +Furcht nämlich—das ist des Menschen Erb- und Grundgefühl; aus der +Furcht erklärt sich jegliches, Erbsünde und Erbtugend. Aus der Furcht +wuchs auch _meine_ Tugend, die heisst: Wissenschaft. + +Die Furcht nämlich vor wildem Gethier—die wurde dem Menschen am +längsten angezüchtet, einschliesslich das Thier, das er in sich selber +birgt und fürchtet:—Zarathustra heisst es „das innere Vieh“. + +Solche lange alte Furcht, endlich fein geworden, geistlich, +geistig—heute, dünkt mich, heisst sie: Wissenschaft.“— + +Also sprach der Gewissenhafte; aber Zarathustra, der eben in seine +Höhle zurückkam und die letzte Rede gehört und errathen hatte, warf dem +Gewissenhaften eine Hand voll Rosen zu und lachte ob seiner +„Wahrheiten“ . „Wie! rief er, was hörte ich da eben? Wahrlich, mich +dünkt, du bist ein Narr oder ich selber bin’s: und deine „Wahrheit“ +stelle ich rucks und flugs auf den Kopf. + +_Furcht_ nämlich—ist unsre Ausnahme. Muth aber und Abenteuer und Lust +am Ungewissen, am Ungewagten,—_Muth_ dünkt mich des Menschen ganze +Vorgeschichte. + +Den wildesten muthigsten Thieren hat er alle ihre Tugenden abgeneidet +und abgeraubt: so erst wurde er—zum Menschen. + +_Dieser_ Muth, endlich fein geworden, geistlich, geistig, dieser +Menschen-Muth mit Adler-Flügeln und Schlangen-Klugheit: _der_, dünkt +mich, heisst heute—„ + +„Zarathustra“! schrien Alle, die beisammen sassen, wie aus Einem Munde +und machten dazu ein grosses Gelächter; es hob sich aber von ihnen wie +eine schwere Wolke. Auch der Zauberer lachte und sprach mit Klugheit: +„Wohlan! Er ist davon, mein böser Geist! + +Und habe ich euch nicht selber vor ihm gewarnt, als ich sagte, dass er +ein Betrüger sei, ein Lug- und Truggeist? + +Sonderlich nämlich, wenn er sich nackend zeigt. Aber was kann _ich_ für +seine Tücken! Habe _ich_ ihn und die Welt geschaffen? + +Wohlan! Seien wir wieder gut und guter Dinge! Und ob schon Zarathustra +böse blickt—seht ihn doch! er ist mir gram—: + +—bevor die Nacht kommt, lernt er wieder, mich lieben und loben, er kann +nicht lange leben, ohne solche Thorheiten zu thun. + +_Der_—liebt seine Feinde: diese Kunst versteht er am besten von Allen, +die ich sah. Aber er nimmt Rache dafür—an seinen Freunden!“ + +Also sprach der alte Zauberer, und die höheren Menschen zollten ihm +Beifall: so dass Zarathustra herumgieng und mit Bosheit und Liebe +seinen Freunden die Hände schüttelte,—gleichsam als Einer, der an Allen +Etwas gutzumachen und abzubitten hat. Als er aber dabei an die Thür +seiner Höhle kam, siehe, da gelüstete ihn schon wieder nach der guten +Luft da draussen und nach seinen Thieren,—und er wollte hinaus +schlüpfen. + + +Unter Töchtern der Wüste + +1. + +„Gehe nicht davon! sagte da der Wanderer, welcher sich den Schatten +Zarathustra’s nannte, bleibe bei uns, es möchte uns sonst die alte +dumpfe Trübsal wieder anfallen. + +Schon gab uns jener alte Zauberer von seinem Schlimmsten zum Besten, +und siehe doch, der gute fromme Papst da hat Thränen in den Augen und +hat sich ganz wieder auf’s Meer der Schwermuth eingeschifft. + +Diese Könige mögen wohl vor uns noch gute Miene machen: das lernten +_Die_ nämlich von uns Allen heute am Besten! Hätten sie aber keine +Zeugen, ich wette, auch bei ihnen fienge das böse Spiel wieder an— + +—das böse Spiel der ziehenden Wolken, der feuchten Schwermuth, der +verhängten Himmel, der gestohlenen Sonnen, der heulenden Herbst-Winde, + +—das böse Spiel unsres Heulens und Nothschreiens: bleibe bei uns, oh +Zarathustra! Hier ist viel verborgenes Elend, das reden will, viel +Abend, viel Wolke, viel dumpfe Luft! + +Du nährtest uns mit starker Manns-Kost und kräftigen Sprüchen: lass es +nicht zu, dass uns zum Nachtisch die weichlichen weiblichen Geister +wieder anfallen! + +Du allein machst die Luft um dich herum stark und klar! Fand ich je auf +Erden so gute Luft als bei dir in deiner Höhle? + +Viele Länder sah ich doch, meine Nase lernte vielerlei Luft prüfen und +abschätzen: aber bei dir schmecken meine Nüstern ihre grösste Lust! + +Es sei denn,—es sei denn—, oh vergieb eine alte Erinnerung! Vergieb mir +ein altes Nachtisch-Lied, das ich einst unter Töchtern der Wüste +dichtete:— + +—bei denen nämlich gab es gleich gute helle morgenländische Luft; dort +war ich am fernsten vom wolkigen feuchten schwermüthigen Alt-Europa! + +Damals liebte ich solcherlei Morgenland-Mädchen und andres blaues +Himmelreich, über dem keine Wolken und keine Gedanken hängen. + +Ihr glaubt es nicht, wie artig sie dasassen, wenn sie nicht tanzten, +tief, aber ohne Gedanken, wie kleine Geheimnisse, wie bebänderte +Räthsel, wie Nachtisch-Nüsse— + +bunt und fremd fürwahr! aber ohne Wolken: Räthsel, die sich rathen +lassen: solchen Mädchen zu Liebe erdachte ich damals einen +Nachtisch-Psalm.“ + +Also sprach der Wanderer und Schatten; und ehe Jemand ihm antwortete, +hatte er schon die Harfe des alten Zauberers ergriffen, die Beine +gekreuzt und blickte gelassen und weise um sich:—mit den Nüstern aber +zog er langsam und fragend die Luft ein, wie Einer, der in neuen +Ländern neue fremde Luft kostet. Darauf hob er mit einer Art Gebrüll zu +singen an. + +2. + +Die Wüste wächst: weh Dem, der Wüsten birgt! + +—Ha! Feierlich! +In der That feierlich! +Ein würdiger Anfang! +Afrikanisch feierlich! +Eines Löwen würdig, +Oder eines moralischen Brüllaffen— +—aber Nichts für euch, +Ihr allerliebsten Freundinnen, +Zu deren Füssen mir +Zum ersten Male, +Einem Europäer, unter Palmen +Zu sitzen vergönnt ist. Sela. + +Wunderbar wahrlich! +Da sitze ich nun, +Der Wüste nahe und bereits +So fern wieder der Wüste, +Auch in Nichts noch verwüstet: +Nämlich hinabgeschluckt +Von dieser kleinsten Oasis—: +—sie sperrte gerade gähnend +Ihr liebliches Maul auf. +Das wohlriechendste aller Mäulchen: +Da fiel ich hinein, +Hinab, hindurch—unter euch, +Ihr allerliebsten Freundinnen! Sela. + +Heil, Heil jenem Wallfische, +Wenn er also es seinem Gaste +Wohl sein liess!—ihr versteht +Meine gelehrte Anspielung? +Heil seinem Bauche, +Wenn er also +Ein so lieblicher Oasis-Bauch war +Gleich diesem: was ich aber in Zweifel ziehe, +—dafür komme ich aus Europa, +Das zweifelsüchtiger ist als alle +Ältlichen Eheweibchen. +Möge Gott es bessern! +Amen! + +Da sitze ich nun, +In dieser kleinsten Oasis, +Einer Dattel gleich, +Braun, durchsüsst, goldschwürig, lüstern +Nach einem runden Mädchenmunde, +Mehr noch aber nach mädchenhaften +Eiskalten schneeweissen schneidigen +Beisszähnen: nach denen nämlich +Lechzt das Herz allen heissen Datteln. Sela. + +Den genannten Südfrüchten +Ähnlich, allzuähnlich +Liege ich hier, von kleinen +Flügelkäfern +Umtänzelt und umspielt, +Insgleichen von noch kleineren +Thörichteren boshafteren +Wünschen und Einfällen, +Umlagert von euch, +Ihr stummen, ihr ahnungsvollen +Mädchen-Katzen, +Dudu und Suleika, +—_umsphinxt_, dass ich in Ein Wort +Viel Gefühle stopfe: +(Vergebe mir Gott +Diese Sprach-Sünde!) +—sitze hier, die beste Luft schnüffelnd, +Paradieses-Luft wahrlich, +Lichte leichte Luft, goldgestreifte, +So gute Luft nur je +Vom Monde herabfiel— +Sei es aus Zufall, +Oder geschah es aus Übermuthe? +Wie die alten Dichter erzählen. +Ich Zweifler aber ziehe es +In Zweifel, dafür aber komme ich +Aus Europa, +Das zweifelsüchtiger ist als alle +Ältlichen Eheweibchen. +Möge Gott es bessern! +Amen! + +Diese schönste Luft trinkend, +Mit Nüstern geschwellt gleich Bechern, Ohne Zukunft, ohne Erinnerungen, +So sitze ich hier, ihr +Allerliebsten Freundinnen, +Und sehe der Palme zu, +Wie sie, einer Tänzerin gleich, +Sich biegt und schmiegt und in der Hüfte wiegt, +—man thut es mit, sieht man lange zu! +Einer Tänzerin gleich, die, wie mir scheinen will, +Zu lange schon, gefährlich lange +Immer, immer nur auf Einem Beine stand? +—da vergass sie darob, wie mir scheinen will, +Das andre Beinchen? +Vergebens wenigstens +Suchte ich das vermisste Zwillings-Kleinod +—nämlich das andre Bein— +In der heiligen Nähe +Ihres allerliebsten, allerzierlichsten +Fächer- und Flatter- und Flitterröckchens. +ja, wenn ihr mir, ihr schönen Freundinnen, +Ganz glauben wollt: +Sie hat es verloren! +Es ist dahin! +Auf ewig dahin! +Das andre Bein! +Oh schade um dieses liebliche andre Bein! +Wo—mag es wohl weilen und verlassen trauern? +Das einsame Bein? +In Furcht vielleicht vor einem +Grimmen gelben blondgelockten +Löwen-Unthiere? Oder gar schon +Abgenagt, abgeknabbert— +Erbärmlich, wehe! wehe! abgeknabbert! Sela. + +Oh weint mir nicht, +Weiche Herzen! +Weint mir nicht, ihr +Dattel-Herzen! Milch-Busen! +Ihr Süssholz-Herz- +Beutelchen! +Weine nicht mehr, +Bleiche Dudu! +Sei ein Mann, Suleika! Muth! Muth! +—Oder sollte vielleicht +Etwas Stärkendes, Herz-Stärkendes, +Hier am Platze sein? +Ein gesalbter Spruch? +Ein feierlicher Zuspruch?— + +Ha! Herauf, Würde! +Tugend-Würde! Europäer-Würde! +Blase, blase wieder, +Blasebalg der Tugend! +Ha! +Noch Ein Mal brüllen, +Moralisch brüllen! +Als moralischer Löwe +Vor den Töchtern der Wüste brüllen! +—Denn Tugend-Geheul, +Ihr allerliebsten Mädchen, +Ist mehr als Alles +Europäer-Inbrunst, Europäer-Heisshunger! +Und da stehe ich schon, +Als Europäer, +Ich kann nicht anders, Gott helfe mir! +Amen! + +Die Wüste wächst: weh Dem, der Wüsten birgt! + + +Die Erweckung + +1. + +Nach dem Liede des Wanderers und Schattens wurde die Höhle mit Einem +Male voll Lärmens und Lachens; und da die versammelten Gäste alle +zugleich redeten, und auch der Esel, bei einer solchen Ermuthigung, +nicht mehr still blieb, überkam Zarathustra ein kleiner Widerwille und +Spott gegen seinen Besuch: ob er sich gleich ihrer Fröhlichkeit +erfreute. Denn sie dünkte ihm ein Zeichen der Genesung. So schlüpfte er +hinaus in’s Freie und sprach zu seinen Thieren. + +„Wo ist nun ihre Noth hin? sprach er, und schon athmete er selber von +seinem kleinen Überdrusse auf,—bei mir verlernten sie, wie mich dünkt, +das Nothschrein! + +—wenn auch, leider, noch nicht das Schrein.“ Und Zarathustra hielt sich +die Ohren zu, denn eben mischte sich das I-A des Esels wunderlich mit +dem Jubel-Lärm dieser höheren Menschen. + +„Sie sind lustig, begann er wieder, und wer weiss? vielleicht auf ihres +Wirthes Unkosten; und lernten sie von mir lachen, so ist es doch nicht +_mein_ Lachen, das sie lernten. + +Aber was liegt daran! Es sind alte Leute: sie genesen auf ihre Art, sie +lachen auf ihre Art; meine Ohren haben schon Schlimmeres erduldet und +wurden nicht unwirsch. + +Dieser Tag ist ein Sieg: er weicht schon, er flieht, _der Geist der +Schwere_, mein alter Erzfeind! Wie gut will dieser Tag enden, der so +schlimm und schwer begann! + +Und enden _will_ er. Schon kommt der Abend: über das Meer her reitet +er, der gute Reiter! Wie er sich wiegt, der Selige, Heimkehrende, in +seinen purpurnen Sätteln! + +Der Himmel blickt klar dazu, die Welt liegt tief: oh all ihr +Wunderlichen, die ihr zu mir kamt, es lohnt sich schon, bei mir zu +leben!“ + +Also sprach Zarathustra. Und wieder kam da das Geschrei und Gelächter +der höheren Menschen aus der Höhle: da begann er von Neuem. + +„Sie beissen an, mein Köder wirkt, es weicht auch ihnen ihr Feind, der +Geist der Schwere. Schon lernen sie über sich selber lachen: höre ich +recht? + +Meine Manns-Kost wirkt, mein Saft- und Kraft-Spruch: und wahrlich, ich +nährte sie nicht mit Bläh-Gemüsen! Sondern mit Krieger-Kost, mit +Eroberer-Kost: neue Begierden weckte ich. + +Neue Hoffnungen sind in ihren Armen und Beinen, ihr Herz streckt sich +aus. Sie finden neue Worte, bald wird ihr Geist Muthwillen athmen. + +Solche Kost mag freilich nicht für Kinder sein, noch auch für +sehnsüchtige alte und junge Weibchen. Denen überredet man anders die +Eingeweide; deren Arzt und Lehrer bin ich nicht. + +Der _Ekel_ weicht diesen höheren Menschen: wohlan! das ist mein Sieg. +In meinem Reiche werden sie sicher, alle dumme Scham läuft davon, sie +schütten sich aus. + +Sie schütten ihr Herz aus, gute Stunden kehren ihnen zurück, sie feiern +und käuen wieder,—sie werden _dankbar_. + +_Das_ nehme ich als das beste Zeichen: sie werden dankbar. Nicht lange +noch, und sie denken sich Feste aus und stellen Denksteine ihren alten +Freuden auf. + +Es sind _Genesende_!“ Also sprach Zarathustra fröhlich zu seinem Herzen +und schaute hinaus; seine Thiere aber drängten sich an ihn und ehrten +sein Glück und sein Stillschweigen. + +2. + +Plötzlich aber erschrak das Ohr Zarathustra’s: die Höhle nämlich, +welche bisher voller Lärmens und Gelächters war, wurde mit Einem Male +todtenstill;—seine Nase aber roch einen wohlriechenden Qualm und +Weihrauch, wie von brennenden Pinien-Zapfen. + +„Was geschieht? Was treiben sie?“ fragte er sich und schlich zum +Eingange heran, dass er seinen Gästen, unvermerkt, zusehn könne. Aber, +Wunder über Wunder! was musste er da mit seinen eignen Augen sehn! + +„Sie sind Alle wieder _fromm_ geworden, sie _beten_, sie sind toll!“ +—sprach er und verwundene sich über die Maassen. Und, fürwahr!, alle +diese höheren Menschen, die zwei Könige, der Papst ausser Dienst, der +schlimme Zauberer, der freiwillige Bettler, der Wanderer und Schatten, +der alte Wahrsager, der Gewissenhafte des Geistes und der hässlichste +Mensch: sie lagen Alle gleich Kindern und gläubigen alten Weibchen auf +den Knien und beteten den Esel an. Und eben begann der hässlichste +Mensch zu gurgeln und zu schnauben, wie als ob etwas Unaussprechliches +aus ihm heraus wolle; als er es aber wirklich bis zu Worten gebracht +hatte, siehe, da war es eine fromme seltsame Litanei zur Lobpreisung +des angebeteten und angeräucherten Esels. Diese Litanei aber klang +also: + +Amen! Und Lob und Ehre und Weisheit und Dank und Preis und Stärke sei +unserm Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit! + +—Der Esel aber schrie dazu I-A. + +Er trägt unsre Last, er nahm Knechtsgestalt an, er ist geduldsam von +Herzen und redet niemals Nein; und wer seinen Gott liebt, der züchtigt +ihn. + +—Der Esel aber schrie dazu I-A. + +Er redet nicht: es sei denn, dass er zur Welt, die er Schuf, immer Ja +sagt: also preist er seine Welt. Seine Schlauheit ist es, die nicht +redet: so bekommt er selten Unrecht. + +—Der Esel aber schrie dazu I-A. + +Unscheinbar geht er durch die Welt. Grau ist die Leib-Farbe, in welche +er seine Tugend hüllt. Hat er Geist, so verbirgt er ihn; Jedermann aber +glaubt an seine langen Ohren. + +—Der Esel aber schrie dazu I-A. + +Welche verborgene Weisheit ist das, dass er lange Ohren trägt und +allein ja und nimmer Nein sagt! Hat er nicht die Welt erschaffen nach +seinem Bilde, nämlich so dumm als möglich? + +—Der Esel aber schrie dazu I-A. + +Du gehst gerade und krumme Wege; es kümmert dich wenig, was uns +Menschen gerade oder krumm dünkt. Jenseits von Gut und Böse ist dein +Reich. Es ist deine Unschuld, nicht zu wissen, was Unschuld ist. + +—Der Esel aber schrie dazu I-A. + +Siehe doch, wie du Niemanden von dir stössest, die Bettler nicht, noch +die Könige. Die Kindlein lässest du zu dir kommen, und wenn dich die +bösen Buben locken, so sprichst du einfältiglich I-A. + +—Der Esel aber schrie dazu I-A. + +Du liebst Eselinnen und frische Feigen, du bist kein Kostverächter. +Eine Distel kitzelt dir das Herz, wenn du gerade Hunger hast. Darin +liegt eines Gottes Weisheit. + +—Der Esel aber schrie dazu I-A. + + +Das Eselsfest + +1. + +An dieser Stelle der Litanei aber konnte Zarathustra sich nicht länger +bemeistern, schrie selber I-A, lauter noch als der Esel, und sprang +mitten unter seine tollgewordenen Gäste. + +„Aber was treibt ihr da, ihr Menschenkinder? rief er, indem er die +Betenden vom Boden empor riss. Wehe, wenn euch Jemand Anderes zusähe +als Zarathustra: + +Jeder würde urtheilen, ihr wäret mit eurem neuen Glauben die ärgsten +Gotteslästerer oder die thörichtsten aller alten Weiblein! + +Und du selber, du alter Papst, wie stimmt Das mit dir selber zusammen, +dass du solchergestalt einen Esel hier als Gott anbetest?“— + +„Oh Zarathustra, antwortete der Papst, vergieb mir, aber in Dingen +Gottes bin ich aufgeklärter noch als du. Und so ist’s billig. + +Lieber Gott also anbeten, in dieser Gestalt, als in gar keiner Gestalt! +Denke über diesen Spruch nach, mein hoher Freund: du erräthst +geschwind, in solchem Spruch steckt Weisheit. + +Der, welcher sprach „Gott ist ein Geist“—der machte bisher auf Erden +den grössten Schritt und Sprung zum Unglauben: solch Wort ist auf Erden +nicht leicht wieder gut zu machen! + +Mein altes Herz springt und hüpft darob, dass es auf Erden noch Etwas +anzubeten giebt. Vergieb das, oh Zarathustra, einem alten frommen +Papst-Herzen!—„ + +—„Und du, sagte Zarathustra zu dem Wanderer und Schatten, du nennst und +wähnst dich einen freien Geist? Und treibst hier solchen Götzen- und +Pfaffendienst? + +Schlimmer, wahrlich, treibst du’s hier noch als bei deinen schlimmen +braunen Mädchen, du schlimmer neuer Gläubiger!“ + +„Schlimm genug, antwortete der Wanderer und Schatten, du hast Recht: +aber was kann ich dafür! Der alte Gott lebt wieder, Oh Zarathustra, du +magst reden, was du willst. + +Der hässlichste Mensch ist an Allem schuld: der hat ihn wieder +auferweckt. Und wenn er sagt, dass er ihn einst getödtet habe: _Tod_ +ist bei Göttern immer nur ein Vorurtheil.“ + +—Und du, sprach Zarathustra, du schlimmer alter Zauberer, was thatest +du! Wer soll, in dieser freien Zeit, fürderhin an dich glauben, wenn +_du_ an solche Götter-Eseleien glaubst? + +Es war eine Dummheit, was du thatest; wie konntest du, du Kluger, eine +solche Dummheit thun! + +„Oh Zarathustra, antwortete der kluge Zauberer, du hast Recht, es war +eine Dummheit,—es ist mir auch schwer genug geworden.“ + +—„Und du gar, sagte Zarathustra, zu dem Gewissenhaften des Geistes, +erwäge doch und lege den Finger an deine Nase! Geht hier denn Nichts +wider dein Gewissen? Ist dein Geist nicht zu reinlich für diess Beten +und den Dunst dieser Betbrüder?“ + +„Es ist Etwas daran, antwortete der Gewissenhafte und legte den Finger +an die Nase, es ist Etwas an diesem Schauspiele, das meinem Gewissen +sogar wohlthut. + +Vielleicht, dass ich an Gott nicht glauben darf: gewiss aber ist, dass +Gott mir in dieser Gestalt noch am glaubwürdigsten dünkt. + +Gott soll ewig sein, nach dem Zeugnisse der Frömmsten: wer so viel Zeit +hat, lässt sich Zeit. So langsam und so dumm als möglich: _damit_ kann +ein Solcher es doch sehr weit bringen. + +Und wer des Geistes zu viel hat, der möchte sich wohl in die Dumm- und +Narrheit selber vernarren. Denke über dich selber nach, oh Zarathustra! + +Du selber—wahrlich! auch du könntest wohl aus Überfluss und Weisheit zu +einem Esel werden. + +Geht nicht ein vollkommner Weiser gern auf den krümmsten Wegen? Der +Augenschein lehrt es, oh Zarathustra,—_dein_ Augenschein!“ + +—„Und du selber zuletzt, sprach Zarathustra und wandte sich gegen den +hässlichsten Menschen, der immer noch auf dem Boden lag, den Arm zu dem +Esel emporhebend (er gab ihm nämlich Wein zu trinken). Sprich, du +Unaussprechlicher, was hast du da gemacht! + +Du dünkst mich verwandelt, dein Auge glüht, der Mantel des Erhabenen +liegt um deine Hässlichkeit: _was_ thatest du? + +Ist es denn wahr, was jene sagen, dass du ihn wieder auferwecktest? Und +wozu? War er nicht mit Grund abgetödtet und abgethan? + +Du selber dünkst mich aufgeweckt: was thatest du? was kehrtest _du_ um? +Was bekehrtest _du_ dich? Sprich, du Unaussprechlicher?“ + +„Oh Zarathustra, antwortete der hässlichste Mensch, du bist ein Schelm! + +Ob _Der_ noch lebt oder wieder lebt oder gründlich todt ist,—wer von +uns Beiden weiss Das am Besten? Ich frage dich. + +Eins aber weiss ich,—von dir selber lernte ich’s einst, oh Zarathustra: +wer am gründlichsten tödten will, der _lacht_. + +„Nicht durch Zorn, sondern durch Lachen tödtet man“—so sprachst du +einst. Oh Zarathustra, du Verborgener, du Vernichter ohne Zorn, du +gefährlicher Heiliger, - du bist ein Schelm!“ + +2. + +Da aber geschah es, dass Zarathustra, verwundert über lauter solche +Schelmen-Antworten, zur Thür seiner Höhle zurück sprang und, gegen alle +seine Gäste gewendet, mit starker Stimme schrie: + +„Oh ihr Schalks-Narren allesammt, ihr Possenreisser! Was verstellt und +versteckt ihr euch vor mir! + +Wie doch einem jeden von euch das Herz zappelte vor Lust und Bosheit, +darob, dass ihr endlich einmal wieder wurdet wie die Kindlein, nämlich +fromm,— + +—dass ihr endlich wieder thatet wie Kinder thun, nämlich betetet, +hände-faltetet und „lieber Gott“ sagtet! + +Aber nun lasst mir _diese_ Kinderstube, meine eigne Höhle, wo heute +alle Kinderei zu Hause ist. Kühlt hier draussen euren heissen +Kinder-Übermuth und Herzenslärm ab! + +Freilich: so ihr nicht werdet wie die Kindlein, so kommt ihr nicht in +_das_ Himmelreich. (Und Zarathustra zeigte mit den Händen nach Oben.) + +Aber wir wollen auch gar nicht in’s Himmelreich: Männer sind wir +worden,—so wollen wir das Erdenreich.“ + +3. + +Und noch einmal hob Zarathustra an zu reden. „Oh meine neuen Freunde, +sprach er,—ihr Wunderlichen, ihr höheren Menschen, wie gut gefallt ihr +mir nun,— + +—seit ihr wieder fröhlich wurdet! Ihr seid wahrlich Alle aufgeblüht: +mich dünkt, solchen Blumen, wie ihr seid, thun _neue Feste_ noth, + +—ein kleiner tapferer Unsinn, irgend ein Gottesdienst und Eselsfest, +irgend ein alter fröhlicher Zarathustra-Narr, ein Brausewind, der euch +die Seelen hell bläst. + +Vergesst die Nacht und diess Eselsfest nicht, ihr höheren Menschen! +_Das_ erfandet ihr bei mir, Das nehme ich als gutes +Wahrzeichen,—Solcherlei erfinden nur Genesende! + +Und feiert ihr es abermals, dieses Eselsfest, thut’s euch zu Liebe, +thut’s auch mir zu Liebe! Und zu _meinem_ Gedächtniss!“ + +Also sprach Zarathustra. + + +Das Nachtwandler-Lied + +1. + +Inzwischen aber war Einer nach dem Andern hinaus getreten, in’s Freie +und in die kühle nachdenkliche Nacht; Zarathustra selber aber führte +den hässlichsten Menschen an der Hand, dass er ihm seine Nacht-Welt und +den grossen runden Mond und die silbernen Wasserstürze bei seiner Höhle +zeige. Da standen sie endlich still bei einander, lauter alte Leute, +aber mit einem getrösteten tapferen Herzen und verwundert bei sich, +dass es ihnen auf Erden so wohl war; die Heimlichkeit der Nacht aber +kam ihnen näher und näher an’s Herz. Und von Neuem dachte Zarathustra +bei sich: „oh wie gut sie mir nun gefallen, diese höheren +Menschen!“—aber er sprach es nicht aus, denn er ehrte ihr Glück und ihr +Stillschweigen.— + +Da aber geschah Das, was an jenem erstaunlichen langen Tage das +Erstaunlichste war: der hässlichste Mensch begann noch ein Mal und zum +letzten Mal zu gurgeln und zu schnauben, und als er es bis zu Worten +gebracht hatte, siehe, da sprang eine Frage rund und reinlich aus +seinem Munde, eine gute tiefe klare Frage, welche Allen, die ihm +zuhörten, das Herz im Leibe bewegte. + +„Meine Freunde insgesammt, sprach der hässlichste Mensch, was dünket +euch? Um dieses Tags Willen—_ich_ bin’s zum ersten Male zufrieden, dass +ich das ganze Leben lebte. + +Und dass ich so viel bezeuge, ist mir noch nicht genug. Es lohnt sich +auf der Erde zu leben: Ein Tag, Ein Fest mit Zarathustra lehrte mich +die Erde lieben. + +„War _Das_—das Leben?“ will ich zum Tode sprechen. „Wohlan! Noch Ein +Mal!“ + +Meine Freunde, was dünket euch? Wollt ihr nicht gleich mir zum Tode +sprechen: War Das—das Leben? Um Zarathustra’s Willen, wohlan! Noch Ein +Mal!“— + +Also sprach der hässlichste Mensch; es war aber nicht lange vor +Mitternacht. Und was glaubt ihr wohl, dass damals sich zutrug? Sobald +die höheren Menschen seine Frage hörten, wurden sie sich mit Einem Male +ihrer Verwandlung und Genesung bewusst, und wer ihnen dieselbe gegeben +habe: da sprangen sie auf Zarathustra zu, dankend, verehrend, +liebkosend, ihm die Hände küssend, so wie es der Art eines Jeden eigen +war: also dass Einige lachten, Einige weinten. Der alte Wahrsager aber +tanzte vor Vergnügen; und wenn er auch, wie manche Erzähler meinen, +damals voll süssen Weines war, so war er gewisslich noch voller des +süssen Lebens und hatte aller Müdigkeit abgesagt. Es giebt sogar +Solche, die erzählen, dass damals der Esel getanzt habe: nicht umsonst +nämlich habe ihm der hässlichste Mensch vorher Wein zu trinken gegeben. +Diess mag sich nun so verhalten oder auch anders; und wenn in Wahrheit +an jenem Abende der Esel nicht getanzt hat, so geschahen doch damals +grössere und seltsamere Wunderdinge als es das Tanzen eines Esels wäre. +Kurz, wie das Sprichwort Zarathustra’s lautet: „was liegt daran!“ + +2. + +Zarathustra aber, als sich diess mit dem hässlichsten Menschen zutrug, +stand da, wie ein Trunkener: sein Blick erlosch, seine Zunge lallte, +seine Füsse schwankten. Und wer möchte auch errathen, welche Gedanken +dabei über Zarathustra’s Seele liefen? Ersichtlich aber wich sein Geist +zurück und floh voraus und war in weiten Fernen und gleichsam „auf +hohem Joche, wie geschrieben steht, zwischen zwei Meeren, + +—zwischen Vergangenem und Zukünftigem als schwere Wolke wandelnd.“ +Allgemach aber, während ihn die höheren Menschen in den Armen hielten, +kam er ein Wenig zu sich selber zurück und wehrte mit den Händen dem +Gedränge der Verehrenden und Besorgten; doch sprach er nicht. Mit Einem +Male aber wandte er schnell den Kopf, denn er schien Etwas zu hören: da +legte er den Finger an den Mund und sprach: „Kommt!“ + +Und alsbald wurde es rings still und heimlich; aus der Tiefe aber kam +langsam der Klang einer Glocke herauf. Zarathustra horchte darnach, +gleich den höheren Menschen; dann aber legte er zum andern Male den +Finger an den Mund und sprach wiederum: „Kommt! Kommt! Es geht gen +Mitternacht!“—und seine Stimme hatte sich verwandelt. Aber immer noch +rührte er sich nicht von der Stelle: da wurde es noch stiller und +heimlicher, und Alles horchte, auch der Esel, und Zarathustra’s +Ehrenthiere, der Adler und die Schlange, insgleichen die Höhle +Zarathustra’s und der grosse kühle Mond und die Nacht selber. +Zarathustra aber legte zum dritten Male die Hand an den Mund und +sprach: + +Kommt! Kommt! Kommt! Lasst uns jetzo wandeln! Es ist die Stunde: lasst +uns in die Nacht wandeln! + +3. + +Ihr höheren Menschen, es geht gen Mitternacht: da will ich euch Etwas +in die Ohren sagen, wie jene alte Glocke es mir in’s Ohr sagt,— + +—so heimlich, so schrecklich, so herzlich, wie jene Mitternachts-Glocke +zu mir es redet, die mehr erlebt hat als Ein Mensch: + +—welche schon eurer Väter Herzens-Schmerzens-Schläge abzählte—ach! ach! +wie sie seufzt! wie sie im Traume lacht! die alte tiefe tiefe +Mitternacht! + +Still! Still! Da hört sich Manches, das am Tage nicht laut werden darf; +nun aber, bei kühler Luft, da auch aller Lärm eurer Herzen stille +ward,— + +—nun redet es, nun hört es sich, nun schleicht es sich in nächtliche +überwache Seelen: ach! ach! wie sie seufzt! wie sie im Traume lacht! + +—hörst du’s nicht, wie sie heimlich, schrecklich, herzlich zu _dir_ +redet, die alte tiefe tiefe Mitternacht? Oh Mensch, gieb Acht! + +4. + +Wehe mir! Wo ist die Zeit hin? Sank ich nicht in tiefe Brunnen? Die +Welt schläft— + +Ach! Ach! Der Hund heult, der Mond scheint. Lieber will ich sterben, +sterben, als euch sagen, was mein Mitternachts-Herz eben denkt. + +Nun starb ich schon. Es ist dahin. Spinne, was spinnst du um mich? +Willst du Blut? Ach! Ach! der Thau fällt, die Stunde kommt— + +—die Stunde, wo mich fröstelt und friert, die fragt und fragt und +fragt: „wer hat Herz genug dazu? + +—wer soll der Erde Herr sein? Wer will sagen: _so_ sollt ihr laufen, +ihr grossen und kleinen Ströme!“ + +—die Stunde naht: oh Mensch, du höherer Mensch, gieb Acht! diese Rede +ist für feine Ohren, für deine Ohren was spricht die tiefe Mitternacht? + +5. + +Es trägt mich dahin, meine Seele tanzt. Tagewerk! Tagewerk! Wer soll +der Erde Herr sein? + +Der Mond ist kühl, der Wind schweigt. Ach! Ach! Flogt ihr schon hoch +genug? Ihr tanztet: aber ein Bein ist doch kein Flügel. + +Ihr guten Tänzer, nun ist alle Lust vorbei, Wein ward Hefe, jeder +Becher ward mürbe, die Gräber stammeln. + +Ihr flogt nicht hoch genug: nun stammeln die Gräber „erlöst doch die +Todten! Warum ist so lange Nacht? Macht uns nicht der Mond trunken?“ + +Ihr höheren Menschen, erlöst doch die Gräber, weckt die Leichname auf! +Ach, was gräbt noch der Wurm? Es naht, es naht die Stunde,— + +—es brummt die Glocke, es schnarrt noch das Herz, es gräbt noch der +Holzwurm, der Herzenswurm. Ach! Ach! Die Welt ist tief! + +6. + +Süsse Leier! Süsse Leier! Ich liebe deinen Ton, deinen trunkenen +Unken-Ton!—wie lang her, wie fern her kommt mir dein Ton, weit her, von +den Teichen der Liebe! + +Du alte Glocke, du süsse Leier! Jeder Schmerz riss dir in’s Herz, +Vaterschmerz, Väterschmerz, Urväterschmerz, deine Rede wurde reif,- + +—reif gleich goldenem Herbste und Nachmittage, gleich meinem +Einsiedlerherzen - nun redest du: die Welt selber ward reif, die Traube +bräunt, + +—nun will sie sterben, vor Glück sterben. Ihr höheren Menschen, riecht +ihr’s nicht? Es quillt heimlich ein Geruch herauf, + +—ein Duft und Geruch der Ewigkeit, ein rosenseliger, brauner +Gold-Wein-Geruch von altem Glücke, + +von trunkenem Mitternachts-Sterbeglücke, welches singt: die Welt ist +tief und tiefer als der Tag gedacht! + +7. + +Lass mich! Lass mich! Ich bin zu rein für dich. Rühre mich nicht an! +Ward meine Welt nicht eben vollkommen? + +Meine Haut ist zu rein für deine Hände. Lass mich, du dummer tölpischer +dumpfer Tag! Ist die Mitternacht nicht heller? + +Die Reinsten sollen der Erde Herrn sein, die Unerkanntesten, Stärksten, +die Mitternachts-Seelen, die heller und tiefer sind als jeder Tag. + +Oh Tag, du tappst nach mir? Du tastest nach meinem Glücke? Ich bin dir +reich, einsam, eine Schatzgrube, eine Goldkammer? + +Oh Welt, du willst _mich_? Bin ich dir weltlich? Bin ich dir geistlich? +Bin ich dir göttlich? Aber Tag und Welt, ihr seid zu plump,— + +—habt klügere Hände, greift nach tieferem Glücke, nach tieferem +Unglücke, greift nach irgend einem Gotte, greift nicht nach mir: + +—mein Unglück, mein Glück ist tief, du wunderlicher Tag, aber doch bin +ich kein Gott, keine Gottes-Hölle: tief ist ihr Weh. + +8. + +Gottes Weh ist tiefer, du wunderliche Welt! Greife nach Gottes Weh, +nicht nach mir! Was bin ich! Eine trunkene süsse Leier,— + +eine Mitternachts-Leier, eine Glocken-Unke, die Niemand versteht, aber +welche reden _muss_, vor Tauben, ihr höheren Menschen! Denn ihr +versteht mich nicht! + +Dahin! Dahin! Oh Jugend! Oh Mittag! Oh Nachmittag! Nun kam Abend und +Nacht und Mitternacht,—der Hund heult, der Wind: + +—ist der Wind nicht ein Hund? Er winselt, er kläfft, er heult. Ach! +Ach! wie sie seufzt! wie sie lacht, wie sie röchelt und keucht, die +Mitternacht! + +Wie sie eben nüchtern spricht, diese trunkene Dichterin! sie übertrat +wohl ihre Trunkenheit? sie wurde überwach? sie käut zurück? + +—ihr Weh käut sie zurück, im Traume, die alte tiefe Mitternacht, und +mehr noch ihre Lust. Lust nämlich, wenn schon Weh tief ist: Lust ist +tiefer noch als Herzeleid. + +8. + +Du Weinstock! Was preisest du mich? Ich schnitt dich doch! Ich bin +grausam, du blutest—: was will dein Lob meiner trunkenen Grausamkeit? + +„Was vollkommen ward, alles Reife—will sterben!“ so redest du. +Gesegnet, gesegnet sei das Winzermesser! Aber alles Unreife will leben: +wehe! + +Weh spricht: „Vergeh! Weg, du Wehe!“ Aber Alles, was leidet, will +leben, dass es reif werde und lustig und sehnsüchtig, + +—sehnsüchtig nach Fernerem, Höherem, Hellerem. „Ich will Erben, so +spricht Alles, was leidet, ich will Kinder, ich will nicht _mich_,“— + +Lust aber will nicht Erben, nicht Kinder,—Lust will sich selber, will +Ewigkeit, will Wiederkunft, will Alles-sich-ewig-gleich. + +Weh spricht: „Brich, blute, Herz! Wandle, Bein! Flügel, flieg! Hinan! +Hinauf! Schmerz!“ Wohlan! Wohlauf! Oh mein altes Herz: Weh spricht: +„vergeh!“ + +10. + +Ihr höheren Menschen, was dünket euch? Bin ich ein Wahrsager? Ein +Träumender? Trunkener? Ein Traumdeuter? Eine Mitternachts-Glocke? + +Ein Tropfen Thau’s? Ein Dunst und Duft der Ewigkeit? Hört ihr’s nicht? +Riecht ihr’s nicht? Eben ward meine Welt vollkommen, Mitternacht ist +auch Mittag,— + +Schmerz ist auch eine Lust, Fluch ist auch ein Segen, Nacht ist auch +eine Sonne,—geht davon oder ihr lernt: ein Weiser ist auch ein Narr. + +Sagtet ihr jemals ja zu Einer Lust? Oh, meine Freunde, so sagtet ihr Ja +auch zu _allem_ Wehe. Alle Dinge sind verkettet, verfädelt, verliebt,— + +—wolltet ihr jemals Ein Mal Zwei Mal, spracht ihr jemals „du gefällst +mir, Glück! Husch! Augenblick!“ so wolltet ihr _Alles_ zurück! + +—Alles von neuem, Alles ewig, Alles verkettet, verfädelt, verliebt, oh +so _liebtet_ ihr die Welt,— + +—ihr Ewigen, liebt sie ewig und allezeit: und auch zum Weh sprecht ihr: +vergeh, aber komm zurück! Denn alle Lust will—Ewigkeit! + +11. + +Alle Lust will aller Dinge Ewigkeit, will Honig, will Hefe, will +trunkene Mitternacht, will Gräber, will Gräber-Thränen-Trost, will +vergüldetes Abendroth - + +—_was_ will nicht Lust! sie ist durstiger, herzlicher, hungriger, +schrecklicher, heimlicher als alles Weh, sie will _sich_, sie beisst in +_sich_, des Ringes Wille ringt in ihr,— + +—sie will Liebe, sie will Hass, sie ist überreich, schenkt, wirft weg, +bettelt, dass Einer sie nimmt, dankt dem Nehmenden, sie möchte gern +gehasst sein,— + +—so reich ist Lust, dass sie nach Wehe durstet, nach Hölle, nach Hass, +nach Schmach, nach dem Krüppel, nach _Welt_,—denn diese Welt, oh ihr +kennt sie ja! + +Ihr höheren Menschen, nach euch sehnt sie sich, die Lust, die +unbändige, selige,—nach eurem Weh, ihr Missrathenen! Nach Missrathenem +sehnt sich alle ewige Lust. + +Denn alle Lust will sich selber, drum will sie auch Herzeleid! Oh +Glück, oh Schmerz! Oh brich, Herz! Ihr höheren Menschen, lernt es doch, +Lust will Ewigkeit, + +—Lust will _aller_ Dinge Ewigkeit, will tiefe, tiefe Ewigkeit! + +12. + +Lerntet ihr nun mein Lied? Erriethet ihr, was es will? Wohlan! Wohlauf! +Ihr höheren Menschen, so singt mir nun meinen Rundgesang! + +Singt mir nun selber das Lied, dess Name ist „Noch ein Mal“, dess Sinn +ist „in alle Ewigkeit!“, singt, ihr höheren Menschen, Zarathustra’s +Rundgesang! + +Oh Mensch! Gieb Acht! +Was spricht die tiefe Mitternacht? +„Ich schlief, ich schlief—, +Aus tiefem Traum bin ich erwacht:— +Die Welt ist tief, +Und tiefer als der Tag gedacht. +Tief ist ihr Weh—, +Lust—tiefer noch als Herzeleid: +Weh spricht: Vergeh! +Doch alle Lust will Ewigkeit +will tiefe, tiefe Ewigkeit!“ + + +Das Zeichen + +Des Morgens aber nach dieser Nacht sprang Zarathustra von seinem Lager +auf, gürtete sich die Lenden und kam heraus aus seiner Höhle, glühend +und stark, wie eine Morgensonne, die aus dunklen Bergen kommt. + +„Du grosses Gestirn, sprach er, wie er einstmal gesprochen hatte, du +tiefes Glücks-Auge, was wäre all dein Glück, wenn du nicht _Die_ +hättest, welchen du leuchtest! + +Und wenn sie in ihren Kammern blieben, während du schon wach bist und +kommst und schenkst und austheilst: wie würde darob deine stolze Scham +zürnen! + +Wohlan! sie schlafen noch, diese höheren Menschen, während _ich_ wach +bin: _das_ sind nicht meine rechten Gefährten! Nicht auf sie warte ich +hier in meinen Bergen. + +Zu meinem Werke will ich, zu meinem Tage: aber sie verstehen nicht, was +die Zeichen meines Morgens sind, mein Schritt—ist für sie kein Weckruf. + +Sie schlafen noch in meiner Höhle, ihr Traum käut noch an meinen +Mitternächten. Das Ohr, das nach _mir_ horcht,—das _gehorchende_ Ohr +fehlt in ihren Gliedern.“ + +—Diess hatte Zarathustra zu seinem Herzen gesprochen, als die Sonne +aufgieng: da blickte er fragend in die Höhe, denn er hörte über sich +den scharfen Ruf seines Adlers. „Wohlan! rief er hinauf, so gefällt und +gebührt es mir. Meine Thiere sind wach, denn ich bin wach. + +Mein Adler ist wach und ehrt gleich mir die Sonne. Mit Adlers-Klauen +greift er nach dem neuen Lichte. Ihr seid meine rechten Thiere; ich +liebe euch. + +Aber noch fehlen mir meine rechten Menschen!“— + +Also sprach Zarathustra; da aber geschah es, dass er sich plötzlich wie +von unzähligen Vögeln umschwärmt und umflattert hörte,—das Geschwirr so +vieler Flügel aber und das Gedräng um sein Haupt war so gross, dass er +die Augen schloss. Und wahrlich, einer Wolke gleich fiel es über ihn +her, einer Wolke von Pfeilen gleich, welche sich über einen neuen Feind +ausschüttet. Aber siehe, hier war es eine Wolke der Liebe, und über +einen neuen Freund. + +„Was geschieht mir?“ dachte Zarathustra in seinem erstaunten Herzen und +liess sich langsam auf dem grossen Steine nieder, der neben dem +Ausgange seiner Höhle lag. Aber, indem er mit den Händen um sich und +über sich und unter sich griff, und den zärtlichen Vögeln wehrte, +siehe, da geschah ihm etwas noch Seltsameres: er griff nämlich dabei +unvermerkt in ein dichtes warmes Haar-Gezottel hinein; zugleich aber +erscholl vor ihm ein Gebrüll,—ein sanftes langes Löwen-Brüllen. + +„Das Zeichen kommt,“ sprach Zarathustra und sein Herz verwandelte sich. +Und in Wahrheit, als es helle vor ihm wurde, da lag ihm ein gelbes +mächtiges Gethier zu Füssen und schmiegte das Haupt an seine Knie und +wollte nicht von ihm lassen vor Liebe und that einem Hunde gleich, +welcher seinen alten Herrn wiederfindet. Die Tauben aber waren mit +ihrer Liebe nicht minder eifrig als der Löwe; und jedes Mal, wenn eine +Taube über die Nase des Löwen huschte, schüttelte der Löwe das Haupt +und wunderte sich und lachte dazu. + +Zu dem Allen sprach Zarathustra nur Ein Wort: „meine Kinder sind nahe, +meine Kinder“—, dann wurde er ganz stumm. Sein Herz aber war gelöst, +und aus seinen Augen tropften Thränen herab und fielen auf seine Hände. +Und er achtete keines Dings mehr und sass da, unbeweglich und ohne dass +er sich noch gegen die Thiere wehrte. Da flogen die Tauben ab und zu +und setzten sich ihm auf die Schulter und liebkosten sein weisses Haar +und wurden nicht müde mit Zärtlichkeit und Frohlocken. Der starke Löwe +aber leckte immer die Thränen, welche auf die Hände Zarathustra’s +herabfielen und brüllte und brummte schüchtern dazu. Also trieben es +diese Thiere.— + +Diess Alles dauerte eine lange Zeit, oder eine kurze Zeit: denn, recht +gesprochen, giebt es für dergleichen Dinge auf Erden _keine_ Zeit—. +Inzwischen aber waren die höheren Menschen in der Höhle Zarathustra’s +wach geworden und ordneten sich mit einander zu einem Zuge an, dass sie +Zarathustra entgegen giengen und ihm den Morgengruss böten: denn sie +hatten gefunden, als sie erwachten, dass er schon nicht mehr unter +ihnen weilte. Als sie aber zur Thür der Höhle gelangten, und das +Geräusch ihrer Schritte ihnen voranlief, da stutzte der Löwe gewaltig, +kehrte sich mit Einem Male von Zarathustra ab und sprang, wild +brüllend, auf die Höhle los; die höheren Menschen aber, als sie ihn +brüllen hörten, schrien alle auf, wie mit Einem Munde, und flohen +zurück und waren im Nu verschwunden. + +Zarathustra selber aber, betäubt und fremd, erhob sich von seinem +Sitze, sah um sich, stand staunend da, fragte sein Herz, besann sich +und war allein. „Was hörte ich doch? sprach er endlich langsam, was +geschah mir eben?“ + +Und schon kam ihm die Erinnerung, und er begriff mit Einem Blicke +Alles, was zwischen Gestern und Heute sich begeben hatte. „Hier ist ja +der Stein, sprach er und strich sich den Bart, auf _dem_ sass ich +gestern am Morgen; und hier trat der Wahrsager zu mir, und hier hörte +ich zuerst den Schrei, den ich eben hörte, den grossen Nothschrei. + +Oh ihr höheren Menschen, von _eurer_ Noth war’s ja, dass gestern am +Morgen jener alte Wahrsager mir wahrsagte,— + +—zu eurer Noth wollte er mich verfuhren und versuchen: oh Zarathustra, +sprach er zu mir, ich komme, dass ich dich zu deiner letzten Sünde +verführe. + +Zu meiner letzten Sünde? rief Zarathustra und lachte zornig über sein +eigenes Wort: _was_ blieb mir doch aufgespart als meine letzte Sünde?“ + +—Und noch ein Mal versank Zarathustra in sich und setzte sich wieder +auf den grossen Stein nieder und sann nach. Plötzlich sprang er empor,— + +„Mitleiden! Das Mitleiden mit dem höheren Menschen! schrie er auf, und +sein Antlitz verwandelte sich in Erz. Wohlan! _Das_—hatte seine Zeit! + +Mein Leid und mein Mitleiden—was liegt daran! Trachte ich denn nach +_Glücke_? Ich trachte nach meinem _Werke_! + +Wohlan! Der Löwe kam, meine Kinder sind nahe, Zarathustra ward reif, +meine Stunde kam:— + +Dies ist _mein_ Morgen, _mein_ Tag hebt an: herauf nun, herauf, du +grosser Mittag!“— + +Also sprach Zarathustra und verliess seine Höhle, glühend und stark, +wie eine Morgensonne, die aus dunklen Bergen kommt. + + + + +*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK ALSO SPRACH ZARATHUSTRA *** + +Updated editions will replace the previous one--the old editions will +be renamed. + +Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright +law means that no one owns a United States copyright in these works, +so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the +United States without permission and without paying copyright +royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part +of this license, apply to copying and distributing Project +Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm +concept and trademark. 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Hart was the originator of the Project +Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be +freely shared with anyone. For forty years, he produced and +distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of +volunteer support. + +Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed +editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in +the U.S. unless a copyright notice is included. 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You may copy it, give it away or +re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included +with this eBook or online at www.gutenberg.org + + +Title: Also Sprach Zarathustra + +Author: Friedrich Wilhelm Nietzsche + +Posting Date: August 5, 2011 [EBook #7205] +Release Date: January, 2005 +[This file was first posted on March 26, 2003] +[Last updated: December 21, 2014] + +Language: German + +Character set encoding: ISO-8859-1 + +*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK ALSO SPRACH ZARATHUSTRA *** + + + + +Produced by Peter Bellen, derived from HTML files at +"Projekt Gutenberg - DE" + + + + + + + + + + +Friedrich Nietzsche + +Also sprach Zarathustra + +Ein Buch für Alle und Keinen + + + + +Inhaltsverzeichnis + + Erster Theil + Zarathustra's Vorrede + Die Reden Zarathustra's + Von den drei Verwandlungen + Von den Lehrstühlen der Tugend + Von den Hinterweltlern + Von den Verächtern des Leibes + Von den Freuden- und Leidenschaften + Vom bleichen Verbrecher + Vom Lesen und Schreiben + Vom Baum am Berge + Von den Predigern des Todes + Vom Krieg und Kriegsvolke + Vom neuen Götzen + Von den Fliegen des Marktes + Von der Keuschheit + Vom Freunde + Von tausend und Einem Ziele + Von der Nächstenliebe + Vom Wege des Schaffenden + Von alten und jungen Weiblein + Vom Biss der Natter + Von Kind und Ehe + Vom freien Tode + Von der schenkenden Tugend + Zweiter Theil + Das Kind mit dem Spiegel + Auf den glückseligen Inseln + Von den Mitleidigen + Von den Priestern + Von den Tugendhaften + Vom Gesindel + Von den Taranteln + Von den berühmten Weisen + Das Nachtlied + Das Tanzlied + Das Grablied + Von der Selbst-Überwindung + Von den Erhabenen + Vom Lande der Bildung + Von der unbefleckten Erkenntniss + Von den Gelehrten + Von den Dichtern + Von grossen Ereignissen + Der Wahrsager + Von der Erlösing + Von der Menschen-Klugheit + Die stillste Stunde + Dritter Theil + Der Wanderer + Vom Gesicht und Räthsel + Von der Seligkeit wider Willen + Vor Sonnen-Aufgang + Von der verkleinernden Tugend + Auf dem Ölberge + Vom Vorübergehen + Von den Abtrünnigen + Die Heimkehr + Von den drei Bösen + Vom Geist der Schwere + Von alten und neuen Tafeln + Der Genesende + Von der grossen Sehnsucht + Das andere Tanzlied + Die sieben Siegel (Oder: das Ja- und Amen-Lied) + Vierter und letzter Theil + Das Honig-Opfer + Der Nothschrei + Gespräch mit den Königen + Der Blutegel + Der Zauberer + Ausser Dienst + Der hässlichste Mensch + Der freiwillige Bettler + Der Schatten + Mittags + Die Begrüssung + Das Abendmahl + Vom höheren Menschen + Das Lied der Schwermuth + Von der Wissenschaft + Unter Töchtern der Wüste + Die Erweckung + Das Eselsfest + Das Nachtwandler-Lied + Das Zeichen + + + + +Erster Theil + +Zarathustra's Vorrede. + +1. + +Als Zarathustra dreissig Jahr alt war, verliess er seine Heimat und +den See seiner Heimat und ging in das Gebirge. Hier genoss er seines +Geistes und seiner Einsamkeit und wurde dessen zehn Jahr nicht müde. +Endlich aber verwandelte sich sein Herz, - und eines Morgens stand +er mit der Morgenröthe auf, trat vor die Sonne hin und sprach zu ihr +also: + +"Du grosses Gestirn! Was wäre dein Glück, wenn du nicht Die hättest, +welchen du leuchtest! + +Zehn Jahre kamst du hier herauf zu meiner Höhle: du würdest deines +Lichtes und dieses Weges satt geworden sein, ohne mich, meinen Adler +und meine Schlange. + +Aber wir warteten deiner an jedem Morgen, nahmen dir deinen Überfluss +ab und segneten dich dafür. + +Siehe! Ich bin meiner Weisheit überdrüssig, wie die Biene, die +des Honigs zu viel gesammelt hat, ich bedarf der Hände, die sich +ausstrecken. + +Ich möchte verschenken und austheilen, bis die Weisen unter den +Menschen wieder einmal ihrer Thorheit und die Armen einmal ihres +Reichthums froh geworden sind. + +Dazu muss ich in die Tiefe steigen: wie du des Abends thust, wenn +du hinter das Meer gehst und noch der Unterwelt Licht bringst, du +überreiches Gestirn! + +Ich muss, gleich dir, _untergehen_, wie die Menschen es nennen, zu +denen ich hinab will. + +So segne mich denn, du ruhiges Auge, das ohne Neid auch ein +allzugrosses Glück sehen kann! + +Segne den Becher, welcher überfliessen will, dass das Wasser golden aus +ihm fliesse und überallhin den Abglanz deiner Wonne trage! + +Siehe! Dieser Becher will wieder leer werden, und Zarathustra will +wieder Mensch werden." + +- Also begann Zarathustra's Untergang. + + +2. + +Zarathustra stieg allein das Gebirge abwärts und Niemand begegnete +ihm. Als er aber in die Wälder kam, stand auf einmal ein Greis vor +ihm, der seine heilige Hütte verlassen hatte, um Wurzeln im Walde zu +suchen. Und also sprach der Greis zu Zarathustra: + +Nicht fremd ist mir dieser Wanderer: vor manchem Jahre gieng er hier +vorbei. Zarathustra hiess er; aber er hat sich verwandelt. Damals +trugst du deine Asche zu Berge: willst du heute dein Feuer in die +Thäler tragen? Fürchtest du nicht des Brandstifters Strafen? + +Ja, ich erkenne Zarathustra. Rein ist sein Auge, und an seinem Munde +birgt sich kein Ekel. Geht er nicht daher wie ein Tänzer? + +Verwandelt ist Zarathustra, zum Kind ward Zarathustra, ein Erwachter +ist Zarathustra: was willst du nun bei den Schlafenden? + +Wie im Meere lebtest du in der Einsamkeit, und das Meer trug dich. +Wehe, du willst an's Land steigen? Wehe, du willst deinen Leib wieder +selber schleppen? + +Zarathustra antwortete: "Ich liebe die Menschen." + +Warum, sagte der Heilige, gieng ich doch in den Wald und die Einöde? +War es nicht, weil ich die Menschen allzu sehr liebte? + +Jetzt liebe ich Gott: die Menschen liebe ich nicht. Der Mensch ist mir +eine zu unvollkommene Sache. Liebe zum Menschen würde mich umbringen. + +Zarathustra antwortete: "Was sprach ich von Liebe! Ich bringe den +Menschen ein Geschenk." + +Gieb ihnen Nichts, sagte der Heilige. Nimm ihnen lieber Etwas ab und +trage es mit ihnen - das wird ihnen am wohlsten thun: wenn er dir nur +wohlthut! + +Und willst du ihnen geben, so gieb nicht mehr, als ein Almosen, und +lass sie noch darum betteln! + +"Nein, antwortete Zarathustra, ich gebe kein Almosen. Dazu bin ich +nicht arm genug." + +Der Heilige lachte über Zarathustra und sprach also: So sieh zu, dass +sie deine Schätze annehmen! Sie sind misstrauisch gegen die Einsiedler +und glauben nicht, dass wir kommen, um zu schenken. + +Unse Schritte klingen ihnen zu einsam durch die Gassen. Und wie wenn +sie Nachts in ihren Betten einen Mann gehen hören, lange bevor die +Sonne aufsteht, so fragen sie sich wohl: wohin will der Dieb? + +Gehe nicht zu den Menschen und bleibe im Walde! Gehe lieber noch zu +den Thieren! Warum willst du nicht sein, wie ich, - ein Bär unter +Bären, ein Vogel unter Vögeln? + +"Und was macht der Heilige im Walde?" fragte Zarathustra. + +Der Heilige antwortete: Ich mache Lieder und singe sie, und wenn ich +Lieder mache, lache, weine und brumme ich: also lobe ich Gott. + +Mit Singen, Weinen, Lachen und Brummen lobe ich den Gott, der mein +Gott ist. Doch was bringst du uns zum Geschenke? + +Als Zarathustra diese Worte gehört hatte, grüsste er den Heiligen und +sprach: "Was hätte ich euch zu geben! Aber lasst mich schnell davon, +dass ich euch Nichts nehme!" - Und so trennten sie sich von einander, +der Greis und der Mann, lachend, gleichwie zwei Knaben lachen. + +Als Zarathustra aber allein war, sprach er also zu seinem Herzen: +"Sollte es denn möglich sein! Dieser alte Heilige hat in seinem Walde +noch Nichts davon gehört, dass _Gott todt_ ist!" - + + +3. + +Als Zarathustra in die Nächste Stadt kam, die an den Wäldern liegt, +fand er daselbst viel Volk versammelt auf dem Markte: denn es +war verheissen worden, das man einen Seiltänzer sehen solle. Und +Zarathustra sprach also zum Volke: + +Ich lehre euch den Übermenschen. Der Mensch ist Etwas, das überwunden +werden soll. Was habt ihr gethan, ihn zu überwinden? + +"Alle Wesen bisher schufen etwas über sich hinaus: und ihr wollt die +Ebbe dieser großen Flut sein und lieber noch zum Tiere zurückgehen, als +den Menschen zu überwinden?" + +Was ist der Affe für den Menschen? Ein Gelächter oder eine +schmerzliche Scham. Und ebendas soll der Mensch für den Übermenschen +sein: ein Gelächter oder eine schmerzliche Scham. + +Ihr habt den Weg vom Wurme zum Menschen gemacht, und Vieles ist in +euch noch Wurm. Einst wart ihr Affen, und auch jetzt ist der Mensch +mehr Affe, als irgend ein Affe. + +Wer aber der Weiseste von euch ist, der ist auch nur ein Zwiespalt +und Zwitter von Pflanze und von Gespenst. Aber heisse ich euch zu +Gespenstern oder Pflanzen werden? + +Seht, ich lehre euch den Übermenschen! + +Der Übermensch ist der Sinn der Erde. Euer Wille sage: der Übermensch +_sei_ der Sinn der Erde! + +Ich beschwöre euch, meine Brüder, _bleibt der Erde treu_ und glaubt +Denen nicht, welche euch von überirdischen Hoffnungen reden! +Giftmischer sind es, ob sie es wissen oder nicht. + +Verächter des Lebens sind es, Absterbende und selber Vergiftete, deren +die Erde müde ist: so mögen sie dahinfahren! + +Einst war der Frevel an Gott der grösste Frevel, aber Gott starb, und +damit auch diese Frevelhaften. An der Erde zu freveln ist jetzt das +Furchtbarste und die Eingeweide des Unerforschlichen höher zu achten, +als der Sinn der Erde! + +Einst blickte die Seele verächtlich auf den Leib: und damals war diese +Verachtung das Höchste: - sie wollte ihn mager, grässlich, verhungert. +So dachte sie ihm und der Erde zu entschlüpfen. + +Oh diese Seele war selbst noch mager, grässlich und verhungert: und +Grausamkeit war die Wollust dieser Seele! + +Aber auch ihr noch, meine Brüder, sprecht mir: was kündet euer Leib +von eurer Seele? Ist eure Seele nicht Armuth und Schmutz und ein +erbärmliches Behagen? + +Wahrlich, ein schmutziger Strom ist der Mensch. Man muss schon ein +Meer sein, um einen schmutzigen Strom aufnehmen zu können, ohne unrein +zu werden. + +Seht, ich lehre euch den Übermenschen: der ist diess Meer, in ihm kann +eure grosse Verachtung untergehn. + +Was ist das Grösste, das ihr erleben könnt? Das ist die Stunde der +grossen Verachtung. Die Stunde, in der euch auch euer Glück zum Ekel +wird und ebenso eure Vernunft und eure Tugend. + +Die Stunde, wo ihr sagt: "Was liegt an meinem Glücke! Es ist Armuth +und Schmutz, und ein erbärmliches Behagen. Aber mein Glück sollte das +Dasein selber rechtfertigen!" + +Die Stunde, wo ihr sagt: "Was liegt an meiner Vernunft! Begehrt sie +nach Wissen wie der Löwe nach seiner Nahrung? Sie ist Armuth und +Schmutz und ein erbärmliches Behagen!" + +Die Stunde, wo ihr sagt: "Was liegt an meiner Tugend! Noch hat sie +mich nicht rasen gemacht. Wie müde bin ich meines Guten und meines +Bösen! Alles das ist Armuth und Schmutz und ein erbärmliches Behagen!" + +Die Stunde, wo ihr sagt: "Was liegt an meiner Gerechtigkeit! Ich sehe +nicht, dass ich Gluth und Kohle wäre. Aber der Gerechte ist Gluth und +Kohle!" + +Die Stunde, wo ihr sagt: "Was liegt an meinem Mitleiden! Ist nicht +Mitleid das Kreuz, an das Der genagelt wird, der die Menschen liebt? +Aber mein Mitleiden ist keine Kreuzigung." + +Spracht ihr schon so? Schriet ihr schon so? Ach, dass ich euch schon +so schreien gehört hatte! + +Nicht eure Sünde - eure Genügsamkeit schreit gen Himmel, euer Geiz +selbst in eurer Sünde schreit gen Himmel! + +Wo ist doch der Blitz, der euch mit seiner Zunge lecke? Wo ist der +Wahnsinn, mit dem ihr geimpft werden müsstet? + +Seht, ich lehre euch den Übermenschen: der ist dieser Blitz, der ist +dieser Wahnsinn! - + +Als Zarathustra so gesprochen hatte, schrie Einer aus dem Volke: "Wir +hörten nun genug von dem Seiltänzer; nun lasst uns ihn auch sehen!" +Und alles Volk lachte über Zarathustra. Der Seiltänzer aber, welcher +glaubte, dass das Wort ihm gälte, machte sich an sein Werk. + + +4. + +Zarathustra aber sahe das Volk an und wunderte sich. Dann sprach er +also: + +Der Mensch ist ein Seil, geknüpft zwischen Thier und Übermensch, - ein +Seil über einem Abgrunde. + +Ein gefährliches Hinüber, ein gefährliches Auf-dem-Wege, ein +gefährliches Zurückblicken, ein gefährliches Schaudern und +Stehenbleiben. + +Was gross ist am Menschen, das ist, dass er eine Brücke und kein +Zweck ist: was geliebt werden kann am Menschen, das ist, dass er ein +_Übergang_ und ein _Untergang_ ist. + +Ich liebe Die, welche nicht zu leben wissen, es sei denn als +Untergehende, denn es sind die Hinübergehenden. + +Ich liebe die grossen Verachtenden, weil sie die grossen Verehrenden +sind und Pfeile der Sehnsucht nach dem andern Ufer. + +Ich liebe Die, welche nicht erst hinter den Sternen einen Grund +suchen, unterzugehen und Opfer zu sein: sondern die sich der Erde +opfern, dass die Erde einst der Übermenschen werde. + +Ich liebe Den, welcher lebt, damit er erkenne, und welcher erkennen +will, damit einst der Übermensch lebe. Und so will er seinen +Untergang. + +Ich liebe Den, welcher arbeitet und erfindet, dass er dem Übermenschen +das Haus baue und zu ihm Erde, Thier und Pflanze vorbereite: denn so +will er seinen Untergang. + +Ich liebe Den, welcher seine Tugend liebt: denn Tugend ist Wille zum +Untergang und ein Pfeil der Sehnsucht. + +Ich liebe Den, welcher nicht einen Tropfen Geist für sich +zurückbehält, sondern ganz der Geist seiner Tugend sein will: so +schreitet er als Geist über die Brücke. + +Ich liebe Den, welcher aus seiner Tugend seinen Hang und sein +Verhängniss macht: so will er um seiner Tugend willen noch leben und +nicht mehr leben. + +Ich liebe Den, welcher nicht zu viele Tugenden haben will. Eine Tugend +ist mehr Tugend, als zwei, weil sie mehr Knoten ist, an den sich das +Verhängniss hängt. + +Ich liebe Den, dessen Seele sich verschwendet, der nicht Dank haben +will und nicht zurückgiebt: denn er schenkt immer und will sich nicht +bewahren. + +Ich liebe Den, welcher sich schämt, wenn der Würfel zu seinem Glücke +fällt und der dann fragt: bin ich denn ein falscher Spieler? - denn er +will zu Grunde gehen. + +Ich liebe Den, welcher goldne Worte seinen Thaten voraus wirft +und immer noch mehr hält, als er verspricht: denn er will seinen +Untergang. + +Ich liebe Den, welcher die Zukünftigen rechtfertigt und die +Vergangenen erlöst: denn er will an den Gegenwärtigen zu Grunde gehen. + +Ich liebe Den, welcher seinen Gott züchtigt, weil er seinen Gott +liebt: denn er muss am Zorne seines Gottes zu Grunde gehen. + +Ich liebe Den, dessen Seele tief ist auch in der Verwundung, und der +an einem kleinen Erlebnisse zu Grunde gehen kann: so geht er gerne +über die Brücke. + +Ich liebe Den, dessen Seele übervoll ist, so dass er sich selber +vergisst, und alle Dinge in ihm sind: so werden alle Dinge sein +Untergang. + +Ich liebe Den, der freien Geistes und freien Herzes ist: so ist sein +Kopf nur das Eingeweide seines Herzens, sein Herz aber treibt ihn zum +Untergang. + +Ich liebe alle Die, welche schwere Tropfen sind, einzeln fallend aus +der dunklen Wolke, die über den Menschen hängt: sie verkündigen, dass +der Blitz kommt, und gehn als Verkündiger zu Grunde. + +Seht, ich bin ein Verkündiger des Blitzes und ein schwerer Tropfen aus +der Wolke: dieser Blitz aber heisst Übermensch. - + + +5. + +Als Zarathustra diese Worte gesprochen hatte, sahe er wieder das Volk +an und schwieg. "Da stehen sie", sprach er zu seinem Herzen, "da +lachen sie: sie verstehen mich nicht, ich bin nicht der Mund für diese +Ohren. + +Muss man ihnen erst die Ohren zerschlagen, dass sie lernen, mit den +Augen hören. Muss man rasseln gleich Pauken und Busspredigern? Oder +glauben sie nur dem Stammelnden? + +Sie haben etwas, worauf sie stolz sind. Wie nennen sie es doch, was +sie stolz macht? Bildung nennen sie's, es zeichnet sie aus vor den +Ziegenhirten. + +Drum hören sie ungern von sich das Wort `Verachtung`. So will ich denn +zu ihrem Stolze reden. + +So will ich ihnen vom Verächtlichsten sprechen: das aber ist +_der_letzte_Mensch_." + +Und also sprach Zarathustra zum Volke: + +Es ist an der Zeit, dass der Mensch sich sein Ziel stecke. Es ist an +der Zeit, dass der Mensch den Keim seiner höchsten Hoffnung pflanze. + +Noch ist sein Boden dazu reich genug. Aber dieser Boden wird einst arm +und zahm sein, und kein hoher Baum wird mehr aus ihm wachsen können. + +Wehe! Es kommt die Zeit, wo der Mensch nicht mehr den Pfeil seiner +Sehnsucht über den Menschen hinaus wirft, und die Sehne seines Bogens +verlernt hat, zu schwirren! + +Ich sage euch: man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden +Stern gebären zu können. Ich sage euch: ihr habt noch Chaos in euch. + +Wehe! Es kommt die Zeit, wo der Mensch keinen Stern mehr gebären wird. +Wehe! Es kommt die Weit des verächtlichsten Menschen, der sich selber +nicht mehr verachten kann. + +Seht! Ich zeige euch _den_letzten_Menschen_. + +"Was ist Liebe? Was ist Schöpfung? Was ist Sehnsucht? Was ist Stern" - +so fragt der letzte Mensch und blinzelt. + +Die Erde ist dann klein geworden, und auf ihr hüpft der letzte Mensch, +der Alles klein macht. Sein Geschlecht ist unaustilgbar, wie der +Erdfloh; der letzte Mensch lebt am längsten. + +"Wir haben das Glück erfunden" - sagen die letzten Menschen und +blinzeln. + +Sie haben den Gegenden verlassen, wo es hart war zu leben: denn man +braucht Wärme. Man liebt noch den Nachbar und reibt sich an ihm: denn +man braucht Wärme. + +Krankwerden und Misstrauen-haben gilt ihnen sündhaft: man geht achtsam +einher. Ein Thor, der noch über Steine oder Menschen stolpert! + +Ein wenig Gift ab und zu: das macht angenehme Träume. Und viel Gift +zuletzt, zu einem angenehmen Sterben. + +Man arbeitet noch, denn Arbeit ist eine Unterhaltung. Aber man sorgt +dass die Unterhaltung nicht angreife. + +Man wird nicht mehr arm und reich: Beides ist zu beschwerlich. Wer +will noch regieren? Wer noch gehorchen? Beides ist zu beschwerlich. + +Kein Hirt und Eine Heerde! Jeder will das Gleiche, Jeder ist gleich: +wer anders fühlt, geht freiwillig in's Irrenhaus. + +"Ehemals war alle Welt irre" - sagen die Feinsten und blinzeln. + +Man ist klug und weiss Alles, was geschehn ist: so hat man kein Ende +zu spotten. Man zankt sich noch, aber man versöhnt sich bald - sonst +verdirbt es den Magen. + +Man hat sein Lüstchen für den Tag und sein Lüstchen für die Nacht: +aber man ehrt die Gesundheit. + +"Wir haben das Glück erfunden" - sagen die letzten Menschen und +blinzeln - + +Und hier endete die erste Rede Zarathustra's, welche man auch "die +Vorrede" heisst: denn an dieser Stelle unterbrach ihn das Geschrei und +die Lust der Menge. "Gieb uns diesen letzten Menschen, oh Zarathustra, +- so riefen sie - mache uns zu diesen letzten Menschen! So schenken +wir dir den Übermenschen!" Und alles Volk jubelte und schnalzte mit +der Zunge. Zarathustra aber wurde traurig und sagte zu seinem Herzen: + +Sie verstehen mich nicht: ich bin nicht den Mund für diese Ohren. + +Zu lange wohl lebte ich im Gebirge, zu viel horchte ich auf Bäche und +Bäume: nun rede ich ihnen gleich den Ziegenhirten. + +Unbewegt ist meine Seele und hell wie das Gebirge am Vormittag. Aber +sie meinen, ich sei kalt und ein Spötter in furchtbaren Spässen. + +Und nun blicken sie mich an und lachen: und indem sie lachen, hassen +sie mich noch. Es ist Eis in ihrem Lachen. + + +6. + +Da aber geschah Etwas, das jeden Mund stumm und jedes Auge starr +machte. Inzwischen nämlich hatte der Seiltänzer sein Werk begonnen: +er war aus einer kleiner Thür hinausgetreten und gieng über das Seil, +welches zwischen zwei Thürmen gespannt war, also, dass es über dem +Markte und dem Volke hieng. Als er eben in der Mitte seines Weges war, +öffnete sich die kleine Thür noch einmal, und ein bunter Gesell, einem +Possenreisser gleich, sprang heraus und gieng mit schnellen Schritten +dem Ersten nach. "Vorwärts, Lahmfuss, rief seine fürchterliche Stimme, +vorwärts Faulthier, Schleichhändler, Bleichgesicht! Dass ich dich +nicht mit meiner Ferse kitzle! Was treibst du hier zwischen Thürmen? +In den Thurm gehörst du, einsperren sollte man dich, einem Bessern, +als du bist, sperrst du die freie Bahn!" - Und mit jedem Worte kam er +ihm näher und näher: als er aber nur noch einen Schritt hinter ihm +war, da geschah das Erschreckliche, das jeden Mund stumm und jedes +Auge starr machte: - er stiess ein Geschrei aus wie ein Teufel und +sprang über Den hinweg, der ihm im Wege war. Dieser aber, als er so +seinen Nebenbuhler siegen sah, verlor dabei den Kopf und das Seil; er +warf seine Stange weg und schoss schneller als diese, wie ein Wirbel +von Armen und Beinen, in die Tiefe. Der Markt und das Volk glich +dem Meere, wenn der Sturm hineinfährt: Alles floh aus einander und +übereinander, und am meisten dort, wo der Körper niederschlagen +musste. + +Zarathustra aber blieb stehen, und gerade neben ihn fiel der Körper +hin, übel zugerichtet und zerbrochen, aber noch nicht todt. Nach einer +Weile kam dem Zerschmetterten das Bewusstsein zurück, und er sah +Zarathustra neben sich knieen. "Was machst du da? sagte er endlich, +ich wusste es lange, dass mir der Teufel ein Bein stellen werde. Nun +schleppt er mich zur Hölle: willst du's ihm wehren?" + +"Bei meiner Ehre, Freund, antwortete Zarathustra, das giebt es Alles +nicht, wovon du sprichst: es giebt keinen Teufel und keine Hölle. +Deine Seele wird noch schneller todt sein als dein Leib: fürchte nun +Nichts mehr!" + +Der Mann blickte misstrauisch auf. "Wenn du die Wahrheit sprichst, +sagte er dann, so verliere ich Nichts, wenn ich das Leben verliere. +Ich bin nicht viel mehr als ein Thier, das man tanzen gelehrt hat, +durch Schläge und schmale Bissen." + +"Nicht doch, sprach Zarathustra; du hast aus der Gefahr deinen Beruf +gemacht, daran ist Nichts zu verachten. Nun gehst du an deinem Beruf +zu Grunde: dafür will ich dich mit meinen Händen begraben." + +Als Zarathustra diess gesagt hatte, antwortete der Sterbende nicht +mehr; aber er bewegte die Hand, wie als ob er die Hand Zarathustra's +zum Danke suche. - + + +7. + +Inzwischen kam der Abend, und der Markt barg sich in Dunkelheit: da +verlief sich das Volk, denn selbst Neugierde und Schrecken werden +müde. Zarathustra aber sass neben dem Todten auf der Erde und war in +Gedanken versunken: so vergass er die Zeit. Endlich aber wurde es +Nacht, und ein kalter Wind blies über den Einsamen. Da erhob sich +Zarathustra und sagte zu seinem Herzen: + +Wahrlich, einen schönen Fischfang that heute Zarathustra! Keinen +Menschen fieng er, wohl aber einen Leichnam. + +Unheimlich ist das menschliche Dasein und immer noch ohne Sinn: ein +Possenreisser kann ihm zum Verhängniss werden. + +Ich will die Menschen den Sinn ihres Seins lehren: welcher ist der +Übermensch, der Blitz aus der dunklen Wolke Mensch. + +Aber noch bin ich ihnen ferne, und mein Sinn redet nicht zu ihren +Sinnen. Eine Mitte bin ich noch den Menschen zwischen einem Narren und +einem Leichnam. + +Dunkel ist die Nacht, dunkel sind die Wege Zarathustra's. Komm, du +kalter und steifer Gefährte! Ich trage dich dorthin, wo ich dich mit +meinen Händen begrabe. + + +8. + +Als Zarathustra diess zu seinem Herzen gesagt hatte, lud er den +Leichnam auf seinem Rücken und machte sich auf den Weg. Und noch nicht +war er hundert Schritte gegangen, da schlich ein Mensch an ihn heran +und flüsterte ihm in's Ohr - und siehe! Der, welcher redete, war der +Possenreisser vom Thurme. "Geh weg von dieser Stadt, oh Zarathustra, +sprach er; es hassen dich hier zu Viele. Es hassen dich die Guten und +Gerechten und sie nennen dich ihren Feind und Verächter; es hassen +dich die Gläubigen des rechten Glaubens, und sie nennen dich die +Gefahr der Menge. Dein Glück war es, dass man über dich lachte: und +wahrlich, du redetest gleich einem Possenreisser. Dein Glück war +es, dass du dich dem todten Hunde geselltest; als du dich so +erniedrigtest, hast du dich selber für heute errettet. Geh aber fort +aus dieser Stadt - oder morgen springe ich über dich hinweg, ein +Lebendiger über einen Todten." Und als er diess gesagt hatte, +verschwand der Mensch; Zarathustra aber gieng weiter durch die dunklen +Gassen. + +Am Thore der Stadt begegneten ihm die Todtengräber: sie leuchteten +ihm mit der Fackel in's Gesicht, erkannten Zarathustra und spotteten +sehr über ihn. "Zarathustra trägt den todten Hund davon: brav, dass +Zarathustra zum Todtengräber wurde! Denn unsere Hände sind zu reinlich +für diesen Braten. Will Zarathustra wohl dem Teufel seinen Bissen +stehlen? Nun wohlan! Und gut Glück zur Mahlzeit! Wenn nur nicht der +Teufel ein besserer Dieb ist, als Zarathustra! - er stiehlt die Beide, +er frisst sie Beide!" Und sie lachten mit einander und steckten die +Köpfe zusammen. + +Zarathustra sagte dazu kein Wort und gieng seines Weges. Als er zwei +Stunden gegangen war, an Wäldern und Sümpfen vorbei, da hatte er zu +viel das hungrige Geheul der Wölfe gehört, und ihm selber kam der +Hunger. So blieb er an einem einsamen Hause stehn, in dem ein Licht +brannte. + +Der Hunger überfällt mich, sagte Zarathustra, wie ein Räuber. In +Wäldern und Sümpfen überfällt mich mein Hunger und in tiefer Nacht. + +Wunderliche Launen hat mein Hunger. Oft kommt er mir erst nach der +Mahlzeit, und heute kam er den ganzen Tag nicht: wo weilte er doch? + +Und damit schlug Zarathustra an das Thor des Hauses. Ein alter Mann +erschien; er trug das Licht und fragte: "Wer kommt zu mir und zu +meinem schlimmen Schlafe?" + +"Ein Lebendiger und ein Todter, sagte Zarathustra. Gebt mir zu essen +und zu trinken, ich vergass es am Tage. Der, welcher den Hungrigen +speiset, erquickt seine eigene Seele: so spricht die Weisheit." + +Der Alte gieng fort, kam aber gleich zurück und bot Zarathustra Brod +und Wein. "Eine böse Gegend ist's für Hungernde, sagte er; darum wohne +ich hier. Thier und Mensch kommen zu mir, dem Einsiedler. Aber heisse +auch deinen Gefährten essen und trinken, er ist müder als du." +Zarathustra antwortete: "Todt ist mein Gefährte, ich werde ihn +schwerlich dazu überreden." "Das geht mich Nichts an, sagte der Alte +mürrisch; wer an meinem Hause anklopft, muss auch nehmen, was ich ihm +biete. Esst und gehabt euch wohl!" - + +Darauf gieng Zarathustra wieder zwei Stunden und vertraute dem Wege +und dem Lichte der Sterne: denn er war ein gewohnter Nachtgänger und +liebte es, allem Schlafenden in's Gesicht zu sehn. Als aber der Morgen +graute, fand sich Zarathustra in einem tiefen Walde, und kein Weg +zeigte sich ihm mehr. Da legte er den Todten in einen hohlen Baum sich +zu Häupten - denn er wollte ihn vor den Wölfen schützen - und sich +selber auf den Boden und das Moos. Und alsbald schlief er ein, müden +Leibes, aber mit einer unbewegten Seele. + + +9. + +Lange schlief Zarathustra, und nicht nur die Morgenröthe gieng über +sein Antlitz, sondern auch der Vormittag. Endlich aber that sein Auge +sich auf: verwundert sah Zarathustra in den Wald und die Stille, +verwundert sah er in sich hinein. Dann erhob er sich schnell, wie ein +Seefahrer, der mit Einem Male Land sieht, und jauchzte: denn er sah +eine neue Wahrheit. Und also redete er dann zu seinem Herzen: + +Ein Licht gieng mir auf: Gefährten brauche ich und lebendige, - nicht +todte Gefährten und Leichname, die ich mit mir trage, wohin ich will. + +Sondern lebendige Gefährten brauche ich, die mir folgen, weil sie sich +selber folgen wollen - und dorthin, wo ich will. + +Ein Licht gieng mir auf: nicht zum Volke rede Zarathustra, sondern zu +Gefährten! Nicht soll Zarathustra einer Heerde Hirt und Hund werden! + +Viele wegzulocken von der Heerde - dazu kam ich. Zürnen soll mir Volk +und Heerde: Räuber will Zarathustra den Hirten heissen. + +Hirten sage ich, aber sie nennen sich die Guten und Gerechten. Hirten +sage ich: aber sie nennen sich die Gläubigen des rechten Glaubens. + +Siehe die Guten und Gerechten! Wen hassen sie am meisten? Den, der +zerbricht ihre Tafeln der Werthe, den Brecher, den Verbrecher: - das +aber ist der Schaffende. + +Siehe die Gläubigen aller Glauben! Wen hassen sie am meisten? Den, der +zerbricht ihre Tafeln der Werthe, den Brecher, den Verbrecher: - das +aber ist der Schaffende. + +Gefährten sucht der Schaffende und nicht Leichname, und auch nicht +Heerden und Gläubige. Die Mitschaffenden sucht der Schaffende, Die, +welche neue Werthe auf neue Tafeln schreiben. + +Gefährten sucht der Schaffende, und Miterntende: denn Alles steht bei +ihm reif zur Ernte. Aber ihm fehlen die hundert Sicheln: so rauft er +Ähren aus und ist ärgerlich. + +Gefährten sucht der Schaffende, und solche, die ihre Sicheln zu wetzen +wissen. Vernichter wird man sie heissen und Verächter des Guten und +Bösen. Aber die Erntenden sind es und die Feiernden. + +Mitschaffende sucht Zarathustra, Miterntende und Mitfeiernde sucht +Zarathustra: was hat er mit Heerden und Hirten und Leichnamen zu +schaffen! + +Und du, mein erster Gefährte, gehab dich wohl! Gut begrub ich dich in +deinem hohlen Baume, gut barg ich dich vor den Wölfen. + +Aber ich scheide von dir, die Zeit ist um. Zwischen Morgenröthe und +Morgenröthe kam mir eine neue Wahrheit. + +Nicht Hirt soll ich sein, nicht Todtengräber. Nicht reden einmal will +ich wieder mit dem Volke; zum letzten Male sprach ich zu einem Todten. + +Den Schaffenden, den Erntenden, den Feiernden will ich mich +zugesellen: den Regenbogen will ich ihnen zeigen und alle die Treppen +des Übermenschen. + +Den Einsiedlern werde ich mein Lied singen und den Zweisiedlern; und +wer noch Ohren hat für Unerhörtes, dem will ich sein Herz schwer +machen mit meinem Glücke. + +Zu meinem Ziele will ich, ich gehe meinen Gang; über die Zögernden +und Saumseligen werde ich hinwegspringen. Also sei mein Gang ihr +Untergang! + + +10. + +Diess hatte Zarathustra zu seinem Herzen gesprochen, als die Sonne im +Mittag stand: da blickte er fragend in die Höhe - denn er hörte über +sich den scharfen Ruf eines Vogels. Und siehe! Ein Adler zog in weiten +Kreisen durch die Luft, und an ihm hieng eine Schlange, nicht einer +Beute gleich, sondern einer Freundin: denn sie hielt sich um seinen +Hals geringelt. + +"Es sind meine Thiere!" sagte Zarathustra und freute sich von Herzen. + +"Das stolzeste Thier unter der Sonne und das klügste Thier unter der +Sonne - sie sind ausgezogen auf Kundschaft. + +Erkunden wollen sie, ob Zarathustra noch lebe. Wahrlich, lebe ich +noch? + +Gefährlicher fand ich's unter Menschen als unter Thieren, gefährlicher +Wege geht Zarathustra. Mögen mich meine Thiere führen!" + +Als Zarathustra diess gesagt hatte, gedachte er der Worte des Heiligen +im Walde, seufzte und sprach also zu seinem Herzen: + +Möchte ich klüger sein! Möchte ich klug von Grund aus sein, gleich +meiner Schlange! + +Aber Unmögliches bitte ich da: so bitte ich denn meinen Stolz, dass er +immer mit meiner Klugheit gehe! + +Und wenn mich einst meine Klugheit verlässt: - ach, sie liebt es, +davonzufliegen! - möge mein Stolz dann noch mit meiner Thorheit +fliegen! + +- Also begann Zarathustra's Untergang. + + + +Die Reden Zarathustra's + +Von den drei Verwandlungen + +Drei Verwandlungen nenne ich euch des Geistes: wie der Geist zum +Kamele wird, und zum Löwen das Kameel, und zum Kinde zuletzt der +Löwe. + +Vieles Schwere giebt es dem Geiste, dem starken, tragsamen Geiste, dem +Ehrfurcht innewohnt: nach dem Schweren und Schwersten verlangt seine +Stärke. + +Was ist schwer? so fragt der tragsame Geist, so kniet er nieder, dem +Kameele gleich, und will gut beladen sein. + +Was ist das Schwerste, ihr Helden? so fragt der tragsame Geist, dass +ich es auf mich nehme und meiner Stärke froh werde. + +Ist es nicht das: sich erniedrigen, um seinem Hochmuth wehe zu thun? +Seine Thorheit leuchten lassen, um seiner Weisheit zu spotten? + +Oder ist es das: von unserer Sache scheiden, wenn sie ihren Sieg +feiert? Auf hohe Berge steigen, um den Versucher zu versuchen? + +Oder ist es das: sich von Eicheln und Gras der Erkenntniss nähren und +um der Wahrheit willen an der Seele Hunger leiden? + +Oder ist es das: krank sein und die Tröster heimschicken und mit +Tauben Freundschaft schliessen, die niemals hören, was du willst? + +Oder ist es das: in schmutziges Wasser steigen, wenn es das Wasser +der Wahrheit ist, und kalte Frösche und heisse Kröten nicht von sich +weisen? + +Oder ist es das: Die lieben, die uns verachten, und dem Gespenste die +Hand reichen, wenn es uns fürchten machen will? + +Alles diess Schwerste nimmt der tragsame Geist auf sich: dem Kameele +gleich, das beladen in die Wüste eilt, also eilt er in seine Wüste. + +Aber in der einsamsten Wüste geschieht die zweite Verwandlung: zum +Löwen wird hier der Geist, Freiheit will er sich erbeuten und Herr +sein in seiner eignen Wüste. + +Seinen letzten Herrn sucht er sich hier: feind will er ihm werden und +seinem letzten Gotte, um Sieg will er mit dem grossen Drachen ringen. + +Welches ist der grosse Drache, den der Geist nicht mehr Herr und Gott +heissen mag? "Du-sollst" heisst der grosse Drache. Aber der Geist des +Löwen sagt "Ich will". + +"Du-sollst" liegt ihm am Wege, goldfunkelnd, ein Schuppenthier, und +auf jeder Schuppe glänzt golden "Du-sollst!" + +Tausendjährige Werthe glänzen an diesen Schuppen, und also spricht der +mächtigste aller Drachen "aller Werth der Dinge - der glänzt an mir." + +"Aller Werth ward schon geschaffen, und aller geschaffene Werth - das +bin ich. Wahrlich, es soll kein `Ich will` mehr geben!" Also spricht +der Drache. + +Meine Brüder, wozu bedarf es des Löwen im Geiste? Was genügt nicht das +lastbare Thier, das entsagt und ehrfürchtig ist? + +Neue Werthe schaffen - das vermag auch der Löwe noch nicht: aber +Freiheit sich schaffen zu neuem Schaffen - das vermag die Macht des +Löwen. + +Freiheit sich schaffen und ein heiliges Nein auch vor der Pflicht: +dazu, meine Brüder bedarf es des Löwen. + +Recht sich nehmen zu neuen Werthen - das ist das furchtbarste Nehmen +für einen tragsamen und ehrfürchtigen Geist. Wahrlich, ein Rauben ist +es ihm und eines raubenden Thieres Sache. + +Als sein Heiligstes liebte er einst das "Du-sollst": nun muss er Wahn +und Willkür auch noch im Heiligsten finden, dass er sich Freiheit +raube von seiner Liebe: des Löwen bedarf es zu diesem Raube. + +Aber sagt, meine Brüder, was vermag noch das Kind, das auch der Löwe +nicht vermochte? Was muss der raubende Löwe auch noch zum Kinde +werden? + +Unschuld ist das Kind und Vergessen, ein Neubeginnen, ein Spiel, ein +aus sich rollendes Rad, eine erste Bewegung, ein heiliges Ja-sagen. + +Ja, zum Spiele des Schaffens, meine Brüder, bedarf es eines heiligen +Ja-sagens: _seinen_ Willen will nun der Geist, _seine_ Welt gewinnt +sich der Weltverlorene. + +Drei Verwandlungen nannte ich euch des Geistes: wie der Geist zum +Kameele ward, und zum Löwen das Kameel, und der Löwe zuletzt zum +Kinde. -- + +Also sprach Zarathustra. Und damals weilte er in der Stadt, welche +genannt wird: die bunte Kuh. + + + +Von den Lehrstühlen der Tugend + +Man rühmte Zarathustra einen Weisen, der gut vom Schlafe und von der +Tugend zu reden wisse: sehr werde er geehrt und gelohnt dafür, und +alle Jünglinge sässen vor seinem Lehrstuhle. Zu ihm gieng Zarathustra, +und mit allen Jünglingen sass er vor seinem Lehrstuhle. Und also +sprach der Weise: + +Ehre und Scham vor dem Schlafe! Das ist das Erste! Und Allen aus dem +Wege gehn, die schlecht schlafen und Nachts wachen! + +Schamhaft ist noch der Dieb vor dem Schlafe: stets stiehlt er sich +leise durch die Nacht. Schamlos aber ist der Wächter der Nacht, +schamlos trägt er sein Horn. + +Keine geringe Kunst ist schlafen: es thut schon Noth, den ganzen Tag +darauf hin zu wachen. + +Zehn Mal musst du des Tages dich selber überwinden: das macht eine +gute Müdigkeit und ist Mohn der Seele. + +Zehn Mal musst du dich wieder dir selber versöhnen; denn Überwindung +ist Bitterniss, und schlecht schläft der Unversöhnte. + +Zehn Wahrheiten musst du des Tages finden: sonst suchst du noch des +Nachts nach Wahrheit, und deine Seele blieb hungrig. + +Zehn Mal musst du lachen am Tage und heiter sein: sonst stört dich der +Magen in der Nacht, dieser Vater der Trübsal. + +Wenige wissen das: aber man muss alle Tugenden haben, um gut zu +schlafen. Werde ich falsch Zeugniss reden? Werde ich ehebrechen? + +Werde ich mich gelüsten lassen meines Nächsten Magd? Das Alles +vertrüge sich schlecht mit gutem Schlafe. + +Und selbst wenn man alle Tugenden hat, muss man sich noch auf Eins +verstehn: selber die Tugenden zur rechten Zeit schlafen schicken. + +Dass sie sich nicht mit einander zanken, die artigen Weiblein! Und +über dich, du Unglückseliger! + +Friede mit Gott und dem Nachbar: so will es der gute Schlaf. Und +Friede auch noch mit des Nachbars Teufel! Sonst geht er bei dir des +Nachts um. + +Ehre der Obrigkeit und Gehorsam, und auch der krummen Obrigkeit! So +will es der gute Schlaf. Was kann ich dafür, dass die Macht gerne auf +krummen Beinen Wandelt? + +Der soll mir immer der beste Hirt heissen, der sein Schaf auf die +grünste Aue führt: so verträgt es sich mit dem gutem Schlafe. + +Viel Ehren will ich nicht, noch grosse Schätze: das entzündet die +Milz. Aber schlecht schläft es sich ohne einen guten Namen und einen +kleinen Schatz. + +Eine kleine Gesellschaft ist mir willkommener als eine böse: doch muss +sie gehn und kommen zur rechten Zeit. So verträgt es sich mit gutem +Schlafe. + +Sehr gefallen mir auch die Geistig-Armen: sie fördern den Schlaf. +Selig sind die, sonderlich, wenn man ihnen immer Recht giebt. + +Also läuft der Tag dem Tugendsamen. Kommt nun die Nacht, so hüte +ich mich wohl, den Schlaf zu rufen! Nicht will er gerufen sein, der +Schlaf, der der Herr der Tugenden ist! + +Sondern ich denke, was ich des Tages gethan und gedacht. Wiederkäuend +frage ich mich, geduldsam gleich einer Kuh: welches waren doch deine +zehn Überwindungen? + +Und welches waren die zehn Versöhnungen und die zehn Wahrheiten und +die zehn Gelächter, mit denen sich mein Herz gütlich that? + +Solcherlei erwägend und gewiegt von vierzig Gedanken, überfällt mich +auf einmal der Schlaf, der Ungerufne, der Herr der Tugenden. + +Der Schlaf klopft mir auf meine Auge: da wird es schwer. Der Schlaf +berührt mir den Mund: da bleibt er offen. + +Wahrlich, auf weichen Sohlen kommt er mir, der liebste der Diebe, und +stiehlt mir meine Gedanken: dumm stehe ich da wie dieser Lehrstuhl. + +Aber nicht lange mehr stehe ich dann: da liege ich schon. - + +Als Zarathustra den Weisen also sprechen hörte, lachte er bei sich im +Herzen: denn ihm war dabei ein Licht aufgegangen. Und also sprach er +zu seinem Herzen: + +Ein Narr ist mir dieser Weise da mit seinen vierzig Gedanken: aber ich +glaube, dass er sich wohl auf das Schlafen versteht. + +Glücklich schon, wer in der Nähe dieses Weisen wohnt! Solch ein Schlaf +steckt an, noch durch eine dicke Wand hindurch steckt er an. + +Ein Zauber wohnt selbst in seinem Lehrstuhle. Und nicht vergebens +sassen die Jünglinge vor dem Prediger der Tugend. + +Seine Weisheit heisst: wachen, um gut zu schlafen. Und wahrlich, hätte +das Leben keinen Sinn und müsste ich Unsinn wählen, so wäre auch mir +diess der wählenswürdigste Unsinn. + +Jetzo verstehe ich klar, was einst man vor Allem suchte, wenn man +Lehrer der Tugend suchte. Guten Schlaf suchte man sich und mohnblumige +Tugenden dazu! + +Allen diesen gelobten Weisen der Lehrstühle war Weisheit der Schlaf +ohne Träume: sie kannten keinen bessern Sinn des Lebens. + +Auch noch heute wohl giebt es Einige, wie diesen Prediger der Tugend, +und nicht immer so Ehrliche: aber ihre Zeit ist um. Und nicht mehr +lange stehen sie noch: da liegen sie schon. + +Selig sind diese Schläfrigen: denn sie sollen bald einnicken. - + +Also sprach Zarathustra. + + + +Von den Hinterweltlern + +Einst warf auch Zarathustra seinen Wahn jenseits des Menschen, gleich +allen Hinterweltlern. Eines leidenden und zerquälten Gottes Werk +schien mir da die Welt. + +Traum schien mir da die Welt und Dichtung eines Gottes; farbiger Rauch +vor den Augen eines göttlich Unzufriednen. + +Gut und böse und Lust und Leid und Ich und Du - farbiger Rauch dünkte +mich's vor schöpferischen Augen. Wegsehn wollte der Schöpfer von sich, +- da schuf er die Welt. + +Trunkne Lust ist's dem Leidenden, wegzusehn von seinem Leiden und sich +zu verlieren. Trunkne Lust Und Selbst-sich-Verlieren dünkte mich einst +die Welt. + +Diese Welt, die ewig unvollkommene, eines ewigen Widerspruches Abbild +und unvollkommnes Abbild - eine trunkne Lust ihrem unvollkommnen +Schöpfer: - also dünkte mich einst die Welt. + +Also warf auch ich einst meinen Wahn jenseits des Menschen, gleich +allen Hinterweltlern. Jenseits des Menschen in Wahrheit? + +Ach, ihr Brüder, dieser Gott, den ich schuf, war Menschen-Werk und +-Wahnsinn, gleich allen Göttern! + +Mensch war er, und nur ein armes Stück Mensch und Ich: aus der eigenen +Asche und Gluth kam es mir, dieses Gespenst, und wahrlich! Nicht kam +es mir von Jenseits! + +Was geschah, meine Brüder? Ich überwand mich, den Leidenden, ich trug +meine eigne Asche zu Berge, eine hellere Flamme erfand ich mir. Und +siehe! Da _wich_ das Gespenst von mir! + +Leiden wäre es mir jetzt und Qual dem Genesenen, solche Gespenster zu +glauben: Leiden wäre es mir jetzt und Erniedrigung. Also rede ich zu +den Hinterweltlern. + +Leiden war's und Unvermögen - das schuf alle Hinterwelten; und jener +kurze Wahnsinn des Glücks, den nur der Leidendste erfährt. + +Müdigkeit, die mit Einem Sprunge zum Letzten will, mit einem +Todessprunge, eine arme unwissende Müdigkeit, die nicht einmal mehr +wollen will: die schuf alle Götter und Hinterwelten. + +Glaubt es mir, meine Brüder! Der Leib war's, der am Leibe +verzweifelte, - der tastete mit den Fingern des bethörten Geistes an +die letzten Wände. + +Glaubt es mir, meine Brüder! Der Leib war's, der an der Erde +verzweifelte, - der hörte den Bauch des Seins zu sich reden. + +Und da wollte er mit dem Kopfe durch die letzten Wände, und nicht nur +mit dem Kopfe, - hinüber zu "jener Welt". + +Aber "jene Welt" ist gut verborgen vor dem Menschen, jene entmenschte +unmenschliche Welt, die ein himmlisches Nichts ist; und der Bauch des +Seins redet gar nicht zum Menschen, es sei denn als Mensch. + +Wahrlich, schwer zu beweisen ist alles Sein und schwer zum Reden zu +bringen. Sagt mir, ihr Brüder, ist nicht das Wunderlichste aller Dinge +noch am besten bewiesen? + +Ja, diess Ich und des Ich's Widerspruch und Wirrsal redet noch am +redlichsten von seinem Sein, dieses schaffende, wollende, werthende +Ich, welches das Maass und der Werth der Dinge ist. + +Und diess redlichste Sein, das Ich - das redet vom Leibe, und es will +noch den Leib, selbst wenn es dichtet und schwärmt und mit zerbrochnen +Flügeln flattert. + +Immer redlicher lernt es reden, das Ich: und je mehr es lernt, um so +mehr findet es Worte und Ehren für Leib und Erde. + +Einen neuen Stolz lehrte mich mein Ich, den lehre ich die Menschen: +- nicht mehr den Kopf in den Sand der himmlischen Dinge zu stecken, +sondern frei ihn zu tragen, einen Erden-Kopf, der der Erde Sinn +schafft! + +Einen neuen Willen lehre ich die Menschen: diesen Weg wollen, den +blindlings der Mensch gegangen, und gut ihn heissen und nicht mehr von +ihm bei Seite schleichen, gleich den Kranken und Absterbenden! + +Kranke und Absterbende waren es, die verachteten Leib und Erde und +erfanden das Himmlische und die erlösenden Blutstropfen: aber auch +noch diese süssen und düstern Gifte nahmen sie von Leib und Erde! + +Ihrem Elende wollten sie entlaufen, und die Sterne waren ihnen zu +weit. Da seufzten sie: "Oh dass es doch himmlische Wege gäbe, sich in +ein andres Sein und Glück zu schleichen!" - da erfanden sie sich ihre +Schliche und blutigen Tränklein! + +Ihrem Leibe und dieser Erde nun entrückt wähnten sie sich, diese +Undankbaren. Doch wem dankten sie ihrer Entrückung Krampf und Wonne? +Ihrem Leibe und dieser Erde. + +Milde ist Zarathustra den Kranken. Wahrlich, er zürnt nicht ihren +Arten des Trostes und Undanks. Mögen sie Genesende werden und +Überwindende und einen höheren Leib sich schaffen! + +Nicht auch zürnt Zarathustra dem Genesenden, wenn er zärtlich nach +seinem Wahne blickt und Mitternachts um das Grab seines Gottes +schleicht: aber Krankheit und kranker Leib bleiben mir auch seine +Thränen noch. + +Vieles krankhafte Volk gab es immer unter Denen, welche dichten und +gottsüchtig sind; wüthend hassen sie den Erkennenden und jene jüngste +der Tugenden, welche heisst: Redlichkeit. + +Rückwärts blicken sie immer nach dunklen Zeiten: da freilich war Wahn +und Glaube ein ander Ding; Raserei der Vernunft war Gottähnlichkeit, +und Zweifel Sünde. + +Allzugut kenne ich diese Gottähnlichen: sie wollen, dass an sie +geglaubt werde, und Zweifel Sünde sei. Allzugut weiss ich auch, woran +sie selber am besten glauben. + +Wahrlich nicht an Hinterwelten und erlösende Blutstropfen: sondern an +den Leib glauben auch sie am besten, und ihr eigener Leib ist ihnen +ihr Ding an sich. + +Aber ein krankhaftes Ding ist er ihnen: und gerne möchten sie aus +der Haut fahren. Darum horchen sie nach den Predigern des Todes und +predigen selber Hinterwelten. + +Hört mir lieber, meine Brüder, auf die Stimme des gesunden Leibes: +eine redlichere und reinere Simme ist diess. + +Redlicher redet und reiner der gesunde Leib, der vollkommne und +rechtwinklige: und er redet vom Sinn der Erde. + +Also sprach Zarathustra. + + + +Von den Verächtern des Leibes + +Den Verächtern des Leibes will ich mein Wort sagen. Nicht umlernen und +umlehren sollen sie mir, sondern nur ihrem eignen Leibe Lebewohl sagen +- und also stumm werden. + +"Leib bin ich und Seele" - so redet das Kind. Und warum sollte man +nicht wie die Kinder reden? + +Aber der Erwachte, der Wissende sagt: Leib bin ich ganz und gar, und +Nichts ausserdem; und Seele ist nur ein Wort für ein Etwas am Leibe. + +Der Leib ist eine grosse Vernunft, eine Vielheit mit Einem Sinne, ein +Krieg und ein Frieden, eine Heerde und ein Hirt. + +Werkzeug deines Leibes ist auch deine kleine Vernunft, mein Bruder, +die du "Geist" nennst, ein kleines Werk- und Spielzeug deiner grossen +Vernunft. + +"Ich" sagst du und bist stolz auf diess Wort. Aber das Grössere ist, +woran du nicht glauben willst, - dein Leib und seine grosse Vernunft: +die sagt nicht Ich, aber thut Ich. + +Was der Sinn fühlt, was der Geist erkennt, das hat niemals in sich +sein Ende. Aber Sinn und Geist möchten dich überreden, sie seien aller +Dinge Ende: so eitel sind sie. + +Werk- und Spielzeuge sind Sinn und Geist: hinter ihnen liegt noch das +Selbst. Das Selbst sucht auch mit den Augen der Sinne, es horcht auch +mit den Ohren des Geistes. + +Immer horcht das Selbst und sucht: es vergleicht, bezwingt, erobert, +zerstört. Es herrscht und ist auch des Ich's Beherrscher. + +Hinter deinen Gedanken und Gefühlen, mein Bruder, steht ein mächtiger +Gebieter, ein unbekannter Weiser - der heisst Selbst. In deinem Leibe +wohnt er, dein Leib ist er. + +Es ist mehr Vernunft in deinem Leibe, als in deiner besten Weisheit. +Und wer weiss denn, wozu dein Leib gerade deine beste Weisheit nöthig +hat? + +Dein Selbst lacht über dein Ich und seine stolzen Sprünge. "Was sind +mir diese Sprünge und Flüge des Gedankens? sagt es sich. Ein Umweg +zu meinem Zwecke. Ich bin das Gängelband des Ich's und der Einbläser +seiner Begriffe." + +Das Selbst sagt zum Ich: "hier fühle Schmerz!" Und da leidet es und +denkt nach, wie es nicht mehr leide - und dazu eben _soll_ es denken. + +Das Selbst sagt zum Ich: "hier fühle Lust!" Da freut es sich und denkt +nach, wie es noch oft sich freue - und dazu eben _soll_ es denken. + +Den Verächtern des Leibes will ich ein Wort sagen. Dass sie verachten, +das macht ihr Achten. Was ist es, das Achten und Verachten und Werth +und Willen schuf? + +Das schaffende Selbst schuf sich Achten und Verachten, es schuf sich +Lust und Weh. Der schaffende Leib schuf sich den Geist als eine Hand +seines Willens. + +Noch in eurer Thorheit und Verachtung, ihr Verächter des Leibes, dient +ihr eurem Selbst. Ich sage euch: euer Selbst selber will sterben und +kehrt sich vom Leben ab. + +Nicht mehr vermag es das, was es am liebsten wilI: - über sich hinaus +zu schaffen. Das will es am liebsten, das ist seine ganze Inbrunst. + +Aber zu spät ward es ihm jetzt dafür: - so will euer Selbst untergehn, +ihr Verächter des Leibes. + +Untergehn will euer Selbst, und darum wurdet ihr zu Verächtern des +Leibes! Denn nicht mehr vermögt ihr über euch hinaus zu schaffen. + +Und darum zürnt ihr nun dem Leben und der Erde. Ein ungewusster Neid +ist im scheelen Blick eurer Verachtung. + +Ich gehe nicht euren Weg, ihr Verächter des Leibes! Ihr seid mir keine +Brücken zum Übermenschen! - + +Also sprach Zarathustra. + + + +Von den Freuden- und Leidenschaften + +Mein Bruder, wenn du eine Tugend hast, und es deine Tugend ist, so +hast du sie mit Niemandem gemeinsam. + +Freilich, du willst sie bei Namen nennen und liebkosen; du willst sie +am Ohre zupfen und Kurzweil mit ihr treiben. + +Und siehe! Nun hast du ihren Namen mit dem Volke gemeinsam und bist +Volk und Heerde geworden mit deiner Tugend! + +Besser thätest du, zu sagen: "unaussprechbar ist und namenlos, was +meiner Seele Qual und Süsse macht und auch noch der Hunger meiner +Eingeweide ist." + +Deine Tugend sei zu hoch für die Vertraulichkeit der Namen: und musst +du von ihr reden, so schäme dich nicht, von ihr zu stammeln. + +So sprich und stammle: "Das ist _mein_ Gutes, das liebe ich, so +gefällt es mir ganz, so allein will ich das Gute. + +Nicht will ich es als eines Gottes Gesetz, nicht will ich es als +eine Menschen-Satzung und -Nothdurft: kein Wegweiser sei es mir für +Über-Erden und Paradiese. + +Eine irdische Tugend ist es, die ich liebe: wenig Klugheit ist darin +und am wenigsten die Vernunft Aller. + +Aber dieser Vogel baute bei mir sich das Nest: darum liebe und herze +ich ihn, - nun sitze er bei mir auf seinen goldnen Eiern." + +So sollst du stammeln und deine Tugend loben. + +Einst hattest du Leidenschaften und nanntest sie böse. Aber jetzt hast +du nur noch deine Tugenden: die wuchsen aus deinen Leidenschaften. + +Du legtest dein höchstes Ziel diesen Leidenschaften an's Herz: da +wurden sie deine Tugenden und Freudenschaften. + +Und ob du aus dem Geschlechte der Jähzornigen wärest oder aus dem der +Wollüstigen oder der Glaubens-Wüthigen oder der Rachsüchtigen: + +Am Ende wurden alle deine Leidenschaften zu Tugenden und alle deine +Teufel zu Engeln. + +Einst hattest du wilde Hunde in deinem Keller: aber am Ende +verwandelten sie sich zu Vögeln und lieblichen Sängerinnen. + +Aus deinen Giften brautest du dir deinen Balsam; deine Kuh Trübsal +melktest du, - nun trinkst du die süsse Milch ihres Euters. + +Und nichts Böses wächst mehr fürderhin aus dir, es sei denn das Böse, +das aus dem Kampfe deiner Tugenden wächst. + +Mein Bruder, wenn du Glück hast, so hast du Eine Tugend und nicht +mehr: so gehst du leichter über die Brücke. + +Auszeichnend ist es, viele Tugenden zu haben, aber ein schweres Loos; +und Mancher gieng in die Wüste und tödtete sich, weil er müde war, +Schlacht und Schlachtfeld von Tugenden zu sein. + +Mein Bruder, ist Krieg und Schlacht böse? Aber nothwendig ist diess +Böse, nothwendig ist der Neid und das Misstrauen und die Verleumdung +unter deinen Tugenden. + +Siehe, wie jede deiner Tugenden begehrlich ist nach dem Höchsten: sie +will deinen ganzen Geist, dass er _ihr_ Herold sei, sie will deine +ganze Kraft in Zorn, Hass und Liebe. + +Eifersüchtig ist jede Tugend auf die andre, und ein furchtbares Ding +ist Eifersucht. Auch Tugenden können an der Eifersucht zu Grunde gehn. + +Wen die Flamme der Eifersucht umringt, der wendet zuletzt, gleich dem +Scorpione, gegen sich selber den vergifteten Stachel. + +Ach, mein Bruder, sahst du noch nie eine Tugend sich selber verleumden +und erstechen? + +Der Mensch ist Etwas, das überwunden werden muss: und darum sollst du +deine Tugenden lieben, - denn du wirst an ihnen zu Grunde gehn. - + +Also sprach Zarathustra. + + + +Vom bleichen Verbrecher + +Ihr wollt nicht tödten, ihr Richter und Opferer, bevor das Thier nicht +genickt hat? Seht, der bleiche Verbrecher hat genickt: aus seinem Auge +redet die grosse Verachtung. + +"Mein Ich ist Etwas, das überwunden werden soll: mein Ich ist mir die +grosse Verachtung des Menschen": so redet es aus diesem Auge. + +Dass er sich selber richtete, war sein höchster Augenblick: lasst den +Erhabenen nicht wieder zurück in sein Niederes! + +Es giebt keine Erlösung für Den, der so an sich selber leidet, es sei +denn der schnelle Tod. + +Euer Tödten, ihr Richter, soll ein Mitleid sein und keine Rache. Und +indem ihr tödtet, seht zu, dass ihr selber das Leben rechtfertiget! + +Es ist nicht genug, dass ihr euch mit Dem versöhnt, den ihr tödtet. +Eure Traurigkeit sei Liebe zum Übermenschen: so rechtfertigt ihr euer +Noch-Leben! + +"Feind" sollt ihr sagen, aber nicht "Bösewicht"; "Kranker" sollt +ihr sagen, aber nicht "Schuft"; "Thor" sollt ihr sagen, aber nicht +"Sünder". + +Und du, rother Richter, wenn du laut sagen wolltest, was du Alles +schon in Gedanken gethan hast: so würde Jedermann schreien: "Weg mit +diesem Unflath und Giftwurm!" + +Aber ein Anderes ist der Gedanke, ein Anderes die That, ein Anderes +das Bild der That. Das Rad des Grundes rollt nicht zwischen ihnen. + +Ein Bild machte diesen bleichen Menschen bleich. Gleichwüchsig war er +seiner That, als er sie that: aber ihr Bild ertrug er nicht, als sie +gethan war. + +Immer sah er sich nun als Einer That Thäter. Wahnsinn heisse ich +diess: die Ausnahme verkehrte sich ihm zum Wesen. + +Der Strich bannt die Henne; der Streich, den er führte, bannte seine +arme Vernunft - den Wahnsinn _nach_ der That heisse ich diess. + +Hört, ihr Richter! Einen anderen Wahnsinn giebt es noch: und der ist +vor der That. Ach, ihr krocht mir nicht tief genug in diese Seele! + +So spricht der rothe Richter: "was mordete doch dieser Verbrecher? Er +wollte rauben." Aber ich sage euch: seine Seele wollte Blut, nicht +Raub: er dürstete nach dem Glück des Messers! + +Seine arme Vernunft aber begriff diesen Wahnsinn nicht und überredete +ihn. "Was liegt an Blut! sprach sie; willst du nicht zum Mindesten +einen Raub dabei machen? Eine Rache nehmen?" + +Und er horchte auf seine arme Vernunft: wie Blei lag ihre Rede auf +ihm, - da raubte er, als er mordete. Er wollte sich nicht seines +Wahnsinns schämen. + +Und nun wieder liegt das Blei seiner Schuld auf ihm, und wieder ist +seine arme Vernunft so steif, so gelähmt, so schwer. + +Wenn er nur den Kopf schütteln könnte, so würde seine Last +herabrollen: aber wer schüttelt diesen Kopf? + +Was ist dieser Mensch? Ein Haufen von Krankheiten, welche durch den +Geist in die Welt hinausgreifen: da wollen sie ihre Beute machen. + +Was ist dieser Mensch? Ein Knäuel wilder Schlangen, welche selten bei +einander Ruhe haben, - da gehn sie für sich fort und suchen Beute in +der Welt. + +Seht diesen armen Leib! Was er litt und begehrte, das deutete sich +diese arme Seele, - sie deutete es als mörderische Lust und Gier nach +dem Glück des Messers. + +Wer jetzt krank wird, den überfällt das Böse, das jetzt böse ist: wehe +will er thun, mit dem, was ihm wehe thut. Aber es gab andre Zeiten und +ein andres Böses und Gutes. + +Einst war der Zweifel böse und der Wille zum Selbst. Damals wurde der +Kranke zum Ketzer und zur Hexe: als Ketzer und Hexe litt er und wollte +leiden machen. + +Aber diess will nicht in eure Ohren: euren Guten schade es, sagt ihr +mir. Aber was liegt mir an euren Guten! + +Vieles an euren Guten macht mir Ekel, und wahrlich nicht ihr Böses. +Wollte ich doch, sie hätten einen Wahnsinn, an dem sie zu Grunde +giengen, gleich diesem bleichen Verbrecher! + +Wahrlich, ich wollte, ihr Wahnsinn hiesse Wahrheit oder Treue oder +Gerechtigkeit: aber sie haben ihre Tugend, um lange zu leben und in +einem erbärmlichen Behagen. + +Ich bin ein Geländer am Strome: fasse mich, wer mich fassen kann! Eure +Krücke aber bin ich nicht. - + +Also sprach Zarathustra. + + + +Vom Lesen und Schreiben + +Von allem Geschriebenen liebe ich nur Das, was Einer mit seinem Blute +schreibt. Schreibe mit Blut: und du wirst erfahren, dass Blut Geist +ist. + +Es ist nicht leicht möglich, fremdes Blut zu verstehen: ich hasse die +lesenden Müssiggänger. + +Wer den Leser kennt, der thut Nichts mehr für den Leser. Noch ein +Jahrhundert Leser - und der Geist selber wird stinken. + +Dass Jedermann lesen lernen darf, verdirbt auf die Dauer nicht allein +das Schreiben, sondern auch das Denken. + +Einst war der Geist Gott, dann wurde er zum Menschen und jetzt wird er +gar noch Pöbel. + +Wer in Blut und Sprüchen schreibt, der will nicht gelesen, sondern +auswendig gelernt werden. + +Im Gebirge ist der nächste Weg von Gipfel zu Gipfel: aber dazu musst +du lange Beine haben. Sprüche sollen Gipfel sein: und Die, zu denen +gesprochen wird, Grosse und Hochwüchsige. + +Die Luft dünn und rein, die Gefahr nahe und der Geist voll einer +fröhlichen Bosheit: so passt es gut zu einander. + +Ich will Kobolde um mich haben, denn ich bin muthig. Muth, der die +Gespenster verscheucht, schafft sich selber Kobolde, - der Muth will +lachen. + +Ich empfinde nicht mehr mit euch: diese Wolke, die ich unter mir sehe, +diese Schwärze und Schwere, über die ich lache, - gerade das ist eure +Gewitterwolke. + +Ihr seht nach Oben, wenn ihr nach Erhebung verlangt. Und ich sehe +hinab, weil ich erhoben bin. + +Wer von euch kann zugleich lachen und erhoben sein? + +Wer auf den höchsten Bergen steigt, der lacht über alle Trauer-Spiele +und Trauer-Ernste. + +Muthig, unbekümmert, spöttisch, gewaltthätig - so will uns die +Weisheit: sie ist ein Weib und liebt immer nur einen Kriegsmann. + +Ihr sagt mir: "das Leben ist schwer zu tragen." Aber wozu hättet ihr +Vormittags euren Stolz und Abends eure Ergebung? + +Das Leben ist schwer zu tragen: aber so thut mir doch nicht so +zärtlich! Wir sind allesammt hübsche lastbare Esel und Eselinnen. + +Was haben wir gemein mit der Rosenknospe, welche zittert, weil ihr ein +Tropfen Thau auf dem Leibe liegt? + +Es ist wahr: wir lieben das Leben, nicht, weil wir an's Leben, sondern +weil wir an's Lieben gewöhnt sind. + +Es ist immer etwas Wahnsinn in der Liebe. Es ist aber immer auch etwas +Vernunft im Wahnsinn. + +Und auch mir, der ich dem Leben gut bin, scheinen Schmetterlinge und +Seifenblasen und was ihrer Art unter Menschen ist, am meisten vom +Glücke zu wissen. + +Diese leichten thörichten zierlichen beweglichen Seelchen flattern zu +sehen - das verführt Zarathustra zu Thränen und Liedern. + +Ich würde nur an einen Gott glauben, der zu tanzen verstünde. + +Und als ich meinen Teufel sah, da fand ich ihn ernst, gründlich, tief, +feierlich: es war der Geist der Schwere, - durch ihn fallen alle +Dinge. + +Nicht durch Zorn, sondern durch Lachen tödtet man. Auf, lasst uns den +Geist der Schwere tödten! + +Ich habe gehen gelernt: seitdem lasse ich mich laufen. Ich habe +fliegen gelernt: seitdem will ich nicht erst gestossen sein, um von +der Stelle zu kommen. + +Jetzt bin ich leicht, jetzt fliege ich, jetzt sehe ich mich unter mir, +jetzt tanzt ein Gott durch mich. + +Also sprach Zarathustra. + + + +Vom Baum am Berge + +Zarathustra's Auge hatte gesehn, dass ein Jüngling ihm auswich. Und +als er eines Abends allein durch die Berge gieng, welche die Stadt +umschliessen, die genannt wird "die bunte Kuh": siehe, da fand er im +Gehen diesen Jüngling, wie er an einen Baum gelehnt sass und müden +Blickes in das Thal schaute. Zarathustra fasste den Baum an, bei +welchem der Jüngling sass, und sprach also: + +Wenn ich diesen Baum da mit meinen Händen schütteln wollte, ich würde +es nicht vermögen. + +Aber der Wind, den wir nicht sehen, der quält und biegt ihn, wohin er +will. Wir werden am schlimmsten von unsichtbaren Händen gebogen und +gequält. + +Da erhob sich der Jüngling bestürzt und sagte: "ich höre Zarathustra +und eben dachte ich an ihn." Zarathustra entgegnete: + +"Was erschrickst du desshalb? - Aber es ist mit dem Menschen wie mit +dem Baume. + +Je mehr er hinauf in die Höhe und Helle will, um so stärker streben +seine Wurzeln erdwärts, abwärts, in's Dunkle, Tiefe, - in's Böse." + +"Ja in's Böse! rief der Jüngling. Wie ist es möglich, dass du meine +Seele entdecktest?" + +Zarathustra lächelte und sprach: "Manche Seele wird man nie entdecken, +es sei denn, dass man sie zuerst erfindet." "Ja in's Böse! rief der +Jüngling nochmals. + +Du sagtest die Wahrheit, Zarathustra. Ich traue mir selber nicht +mehr, seitdem ich in die Höhe will, und Niemand traut mir mehr, - wie +geschieht diess doch? + +Ich verwandele mich zu schnell: mein Heute widerlegt mein Gestern. Ich +überspringe oft die Stufen, wenn ich steige, - das verzeiht mir keine +Stufe. + +Bin ich oben, so finde ich mich immer allein. Niemand redet mit mir, +der Frost der Einsamkeit macht mich zittern. Was will ich doch in der +Höhe? + +Meine Verachtung und meine Sehnsucht wachsen mit einander; je höher +ich steige, um so mehr verachte ich Den, der steigt. Was will er doch +in der Höhe? + +Wie schäme ich mich meines Steigens und Stolperns! Wie spotte ich +meines heftigen Schnaubens! Wie hasse ich den Fliegenden! Wie müde bin +ich in der Höhe!" + +Hier schwieg der Jüngling. Und Zarathustra betrachtete den Baum, an +dem sie standen, und sprach also: + +Dieser Baum steht einsam hier am Gebirge; er wuchs hoch hinweg über +Mensch und Thier. + +Und wenn er reden wollte, er würde Niemanden haben, der ihn verstünde: +so hoch wuchs er. + +Nun wartet er und wartet, - worauf wartet er doch? Er wohnt dem Sitze +der Wolken zu nahe: er wartet wohl auf den ersten Blitz? + +Als Zarathustra diess gesagt hatte, rief der Jüngling mit heftigen +Gebärden: "Ja, Zarathustra, du sprichst die Wahrheit. Nach meinem +Untergange verlangte ich, als ich in die Höhe wollte, und du bist der +Blitz, auf den ich wartete! Siehe, was bin ich noch, seitdem du uns +erschienen bist? Der _Neid_ auf dich ist's, der mich zerstört hat!" - +So sprach der Jüngling und weinte bitterlich. Zarathustra aber legte +seinen Arm um ihn und führte ihn mit sich fort. + +Und als sie eine Weile mit einander gegangen waren, hob Zarathustra +also an zu sprechen: + +Es zerreisst mir das Herz. Besser als deine Worte es sagen, sagt mir +dein Auge alle deine Gefahr. + +Noch bist du nicht frei, du _suchst_ noch nach Freiheit. Übernächtig +machte dich dein Suchen und überwach. + +In die freie Höhe willst du, nach Sternen dürstet deine Seele. Aber +auch deine schlimmen Triebe dürsten nach Freiheit. + +Deine wilden Hunde wollen in die Freiheit; sie bellen vor Lust in +ihrem Keller, wenn dein Geist alle Gefängnisse zu lösen trachtet. + +Noch bist du mir ein Gefangner, der sich Freiheit ersinnt: ach, klug +wird solchen Gefangnen die Seele, aber auch arglistig und schlecht. + +Reinigen muss sich noch der Befreite des Geistes. Viel Gefängniss und +Moder ist noch in ihm zurück: rein muss noch sein Auge werden. + +Ja, ich kenne deine Gefahr. Aber bei meiner Liebe und Hoffnung +beschwöre ich dich: wirf deine Liebe und Hoffnung nicht weg! + +Edel fühlst du dich noch, und edel fühlen dich auch die Andern noch, +die dir gram sind und böse Blicke senden. Wisse, dass Allen ein Edler +im Wege steht. + +Auch den Guten steht ein Edler im Wege: und selbst wenn sie ihn einen +Guten nennen, so wollen sie ihn damit bei Seite bringen. + +Neues will der Edle schaffen und eine neue Tugend. Altes will der +Gute, und dass Altes erhalten bleibe. + +Aber nicht das ist die Gefahr des Edlen, dass er ein Guter werde, +sondern ein Frecher, ein Höhnender, ein Vernichter. + +Ach, ich kannte Edle, die verloren ihre höchste Hoffnung. Und nun +verleumdeten sie alle hohen Hoffnungen. + +Nun lebten sie frech in kurzen Lüsten, und über den Tag hin warfen sie +kaum noch Ziele. + +"Geist ist auch Wollust" - so sagten sie. Da zerbrachen ihrem Geiste +die Flügel: nun kriecht er herum und beschmutzt im Nagen. + +Einst dachten sie Helden zu werden: Lüstlinge sind es jetzt. Ein Gram +und ein Grauen ist ihnen der Held. + +Aber bei meiner Liebe und Hoffnung beschwöre ich dich: wirf den Helden +in deiner Seele nicht weg! Halte heilig deine höchste Hoffnung! - + +Also sprach Zarathustra. + + + +Von den Predigern des Todes + +Es giebt Prediger des Todes: und die Erde ist voll von Solchen, denen +Abkehr gepredigt werden muss vom Leben. + +Voll ist die Erde von Überflüssigen, verdorben ist das Leben durch die +Viel-zu-Vielen. Möge man sie mit dem "ewigen Leben" aus diesem Leben +weglocken! + +"Gelbe": so nennt man die Prediger des Todes, oder "Schwarze". Aber +ich will sie euch noch in andern Farben zeigen. + +Da sind die Fürchterlichen, welche in sich das Raubthier herumtragen +und keine Wahl haben, es sei denn Lüste oder Selbstzerfleischung. Und +auch ihre Lüste sind noch Selbstzerfleischung. + +Sie sind noch nicht einmal Menschen geworden, diese Fürchterlichen: +mögen sie Abkehr predigen vom Leben und selber dahinfahren! + +Da sind die Schwindsüchtigen der Seele: kaum sind sie geboren, so +fangen sie schon an zu sterben und sehnen sich nach Lehren der +Müdigkeit und Entsagung. + +Sie wollen gerne todt sein, und wir sollten ihren Willen gut heissen! +Hüten wir uns, diese Todten zu erwecken und diese lebendigen Särge zu +versehren! + +Ihnen begegnet ein Kranker oder ein Greis oder ein Leichnam; und +gleich sagen sie "das Leben ist widerlegt!" + +Aber nur sie sind widerlegt und ihr Auge, welches nur das Eine Gesicht +sieht am Dasein. + +Eingehüllt in dicke Schwermuth und begierig auf die kleinen Zufälle, +welche den Tod bringen: so warten sie und beissen die Zähne auf +einander. + +Oder aber: sie greifen nach Zuckerwerk und spotten ihrer Kinderei +dabei: sie hängen an ihrem Strohhalm Leben und spotten, dass sie noch +an einem Strohhalm hängen. + +Ihre Weisheit lautet: "ein Thor, der leben bleibt, aber so sehr sind +wir Thoren! Und das eben ist das Thörichtste am Leben!" - + +"Das Leben ist nur Leiden" - so sagen Andre und lügen nicht: so sorgt +doch, dass _ihr_ aufhört! So sorgt doch, dass das Leben aufhört, +welches nur Leiden ist! + +Und also laute die Lehre eurer Tugend "du sollst dich selber tödten! +Du sollst dich selber davonstehlen!" - + +"Wollust ist Sünde, - so sagen die Einen, welche den Tod predigen - +lasst uns bei Seite gehn und keine Kinder zeugen!" + +"Gebären ist mühsam, - sagen dich Andern - wozu noch gebären? Man +gebiert nur Unglückliche!" Und auch sie sind Prediger des Todes. + +"Mitleid thut noth - so sagen die Dritten. Nehmt hin, was ich habe! +Nehmt hin, was ich bin! Um so weniger bindet mich das Leben!" + +Wären sie Mitleidige von Grund aus, so würden sie ihren Nächsten das +Leben verleiden. Böse sein - das wäre ihre rechte Güte. + +Aber sie wollen loskommen vom Leben: was schiert es sie, dass sie +Andre mit ihren Ketten und Geschenken noch fester binden! - + +Und auch ihr, denen das Leben wilde Arbeit und Unruhe ist: seid ihr +nicht sehr müde des Lebens? Seid ihr nicht sehr reif für die Predigt +des Todes? + +Ihr Alle, denen die wilde Arbeit lieb ist und das Schnelle, Neue, +Fremde, - ihr ertragt euch schlecht, euer Fleiss ist Flucht und Wille, +sich selber zu vergessen. + +Wenn ihr mehr an das Leben glaubtet, würdet ihr weniger euch dem +Augenblicke hinwerfen. Aber ihr habt zum Warten nicht Inhalt genug in +euch - und selbst zur Faulheit nicht! + +Überall ertönt die Stimme Derer, welche den Tod predigen: und die Erde +ist voll von Solchen, welchen der Tod gepredigt werden muss. + +Oder "das ewige Leben": das gilt mir gleich, - wofern sie nur schnell +dahinfahren! + +Also sprach Zarathustra. + + + +Vom Krieg und Kriegsvolke + +Von unsern besten Feinden wollen wir nicht geschont sein, und auch von +Denen nicht, welche wir von Grund aus lieben. So lasst mich denn euch +die Wahrheit sagen! + +Meine Brüder im Kriege! Ich liebe euch von Grund aus, ich bin und war +Euresgleichen. Und ich bin auch euer bester Feind. So lasst mich denn +euch die Wahrheit sagen! + +Ich weiss um den Hass und Neid eures Herzens. Ihr seid nicht gross +genug, um Hass und Neid nicht zu kennen. So seid denn gross genug, +euch ihrer nicht zu schämen! + +Und wenn ihr nicht Heilige der Erkenntniss sein könnt, so seid mir +wenigstens deren Kriegsmänner. Das sind die Gefährten und Vorläufer +solcher Heiligkeit. + +Ich sehe viel Soldaten: möchte ich viel Kriegsmänner sehn! "Ein-form" +nennt man's, was sie tragen: möge es nicht Ein-form sein, was sie +damit verstecken! + +Ihr sollt mir Solche sein, deren Auge immer nach einem Feinde sucht - +nach _eurem_ Feinde. Und bei Einigen von euch giebt es einen Hass auf +den ersten Blick. + +Euren Feind sollt ihr suchen, euren Krieg sollt ihr führen und +für eure Gedanken! Und wenn euer Gedanke unterliegt, so soll eure +Redlichkeit darüber noch Triumph rufen! + +Ihr sollt den Frieden lieben als Mittel zu neuen Kriegen. Und den +kurzen Frieden mehr, als den langen. + +Euch rathe ich nicht zur Arbeit, sondern zum Kampfe. Euch rathe ich +nicht zum Frieden, sondern zum Siege. Eure Arbeit sei ein Kampf, euer +Friede sei ein Sieg! + +Man kann nur schweigen und stillsitzen, wenn man Pfeil und Bogen hat: +sonst schwätzt und zankt man. Euer Friede sei ein Sieg! + +Ihr sagt, die gute Sache sei es, die sogar den Krieg heilige? Ich sage +euch: der gute Krieg ist es, der jede Sache heiligt. + +Der Krieg und der Muth haben mehr grosse Dinge gethan, als die +Nächstenliebe. Nicht euer Mitleiden, sondern eure Tapferkeit rettete +bisher die Verunglückten. + +Was ist gut? fragt ihr. Tapfer sein ist gut. Lasst die kleinen Mädchen +reden: "gut sein ist, was hübsch zugleich und rührend ist." + +Man nennt euch herzlos: aber euer Herz ist ächt, und ich liebe die +Scham eurer Herzlichkeit. Ihr schämt euch eurer Fluth, und Andre +schämen sich ihrer Ebbe. + +Ihr seid hässlich? Nun wohlan, meine Brüder! So nehmt das Erhabne um +euch, den Mantel des Hässlichen! + +Und wenn eure Seele gross wird, so wird sie übermüthig, und in eurer +Erhabenheit ist Bosheit. Ich kenne euch. + +In der Bosheit begegnet sich der Übermüthige mit dem Schwächlinge. +Aber sie missverstehen einander. Ich kenne euch. + +Ihr dürft nur Feinde haben, die zu hassen sind, aber nicht Feinde zum +Verachten. Ihr müsst stolz auf euern Feind sein: dann sind die Erfolge +eures Feindes auch eure Erfolge. + +Auflehnung - das ist die Vornehmheit am Sclaven. Eure Vornehmheit sei +Gehorsam! Euer Befehlen selber sei ein Gehorchen! + +Einem guten Kriegsmanne klingt "du sollst" angenehmer, als "ich will". +Und Alles, was euch lieb ist, sollt ihr euch erst noch befehlen +lassen. + +Eure Liebe zum Leben sei Liebe zu eurer höchsten Hoffnung: und eure +höchste Hoffnung sei der höchste Gedanke des Lebens! + +Euren höchsten Gedanken aber sollt ihr euch von mir befehlen lassen - +und er lautet: der Mensch ist Etwas, das überwunden werden soll. + +So lebt euer Leben des Gehorsams und des Krieges! Was liegt am +Lang-Leben! Welcher Krieger will geschont sein! + +Ich schone euch nicht, ich liebe euch von Grund aus, meine Brüder im +Kriege! - + +Also sprach Zarathustra. + + + +Vom neuen Götzen + +Irgendwo giebt es noch Völker und Heerden, doch nicht bei uns, meine +Brüder: da giebt es Staaten. + +Staat? Was ist das? Wohlan! Jetzt thut mir die Ohren auf, denn jetzt +sage ich euch mein Wort vom Tode der Völker. + +Staat heisst das kälteste aller kalten Ungeheuer. Kalt lügt es auch; +und diese Lüge kriecht aus seinem Munde: "Ich, der Staat, bin das +Volk." + +Lüge ist's! Schaffende waren es, die schufen die Völker und hängten +einen Glauben und eine Liebe über sie hin: also dienten sie dem Leben. + +Vernichter sind es, die stellen Fallen auf für Viele und heissen sie +Staat: sie hängen ein Schwert und hundert Begierden über sie hin. + +Wo es noch Volk giebt, da versteht es den Staat nicht und hasst ihn +als bösen Blick und Sünde an Sitten und Rechten. + +Dieses Zeichen gebe ich euch: jedes Volk spricht seine Zunge des Guten +und Bösen: die versteht der Nachbar nicht. Seine Sprache erfand es +sich in Sitten und Rechten. + +Aber der Staat lügt in allen Zungen des Guten und Bösen; und was er +auch redet, er lügt - und was er auch hat, gestohlen hat er's. + +Falsch ist Alles an ihm; mit gestohlenen Zähnen beisst er, der +Bissige. Falsch sind selbst seine Eingeweide. + +Sprachverwirrung des Guten und Bösen: dieses Zeichen gebe ich euch +als Zeichen des Staates. Wahrlich, den Willen zum Tode deutet dieses +Zeichen! Wahrlich, es winkt den Predigern des Todes! + +Viel zu Viele werden geboren: für die Überflüssigen ward der Staat +erfunden! + +Seht mir doch, wie er sie an sich lockt, die Viel-zu-Vielen! Wie er +sie schlingt und kaut und wiederkäut! + +"Auf der Erde ist nichts Grösseres als ich: der ordnende Finger bin +ich Gottes" - also brüllt das Unthier. Und nicht nur Langgeohrte und +Kurzgeäugte sinken auf die Kniee! + +Ach, auch in euch, ihr grossen Seelen, raunt er seine düsteren Lügen! +Ach, er erräth die reichen Herzen, die gerne sich verschwenden! + +Ja, auch euch erräth er, ihr Besieger des alten Gottes! Müde wurdet +ihr im Kampfe, und nun dient eure Müdigkeit noch dem neuen Götzen! + +Helden und Ehrenhafte möchte er um sich aufstellen, der neue Götze! +Gerne sonnt er sich im Sonnenschein guter Gewissen, - das kalte +Unthier! + +Alles will er _euch_ geben, wenn _ihr_ ihn anbetet, der neue Götze: +also kauft er sich den Glanz eurer Tugend und den Blick eurer stolzen +Augen. + +Ködern will er mit euch die Viel-zu-Vielen! Ja, ein Höllenkunststück +ward da erfunden, ein Pferd des Todes, klirrend im Putz göttlicher +Ehren! + +Ja, ein Sterben für Viele ward da erfunden, das sich selber als Leben +preist: wahrlich, ein Herzensdienst allen Predigern des Todes! + +Staat nenne ich's, wo Alle Gifttrinker sind, Gute und Schlimme: Staat, +wo Alle sich selber verlieren, Gute und Schlimme: Staat, wo der +langsame Selbstmord Aller - "das Leben" heisst. + +Seht mir doch diese Überflüssigen! Sie stehlen sich die Werke der +Erfinder und die Schätze der Weisen: Bildung nennen sie ihren +Diebstahl - und Alles wird ihnen zu Krankheit und Ungemach! + +Seht mir doch diese Überflüssigen! Krank sind sie immer, sie erbrechen +ihre Galle und nennen es Zeitung. Sie verschlingen einander und können +sich nicht einmal verdauen. + +Seht mir doch diese Überflüssigen! Reichthümer erwerben sie und werden +ärmer damit. Macht wollen sie und zuerst das Brecheisen der Macht, +viel Geld, - diese Unvermögenden! + +Seht sie klettern, diese geschwinden Affen! Sie klettern über einander +hinweg und zerren sich also in den Schlamm und die Tiefe. + +Hin zum Throne wollen sie Alle: ihr Wahnsinn ist es, - als ob das +Glück auf dem Throne sässe! Oft sitzt der Schlamm auf dem Thron - und +oft auch der Thron auf dem Schlamme. + +Wahnsinnige sind sie mir Alle und kletternde Affen und Überheisse. +Übel riecht mir ihr Götze, das kalte Unthier: übel riechen sie mir +alle zusammen, diese Götzendiener. + +Meine Brüder, wollt ihr denn ersticken im Dunste ihrer Mäuler und +Begierden! Lieber zerbrecht doch die Fenster und springt in's Freie! + +Geht doch dem schlechten Geruche aus dem Wege! Geht fort von der +Götzendienerei der Überflüssigen! + +Geht doch dem schlechten Geruche aus dem Wege! Geht fort von dem +Dampfe dieser Menschenopfer! + +Frei steht grossen Seelen auch jetzt noch die Erde. Leer sind noch +viele Sitze für Einsame und Zweisame, um die der Geruch stiller Meere +weht. + +Frei steht noch grossen Seelen ein freies Leben. Wahrlich, wer wenig +besitzt, wird um so weniger besessen: gelobt sei die kleine Armuth! + +Dort, wo der Staat aufhört, da beginnt erst der Mensch, der nicht +überflüssig ist: da beginnt das Lied des Nothwendigen, die einmalige +und unersetzliche Weise. + +Dort, wo der Staat _aufhört_, - so seht mir doch hin, meine Brüder! +Seht ihr ihn nicht, den Regenbogen und die Brücken des Übermenschen? - + +Also sprach Zarathustra. + + + +Von den Fliegen des Marktes + +Fliehe, mein Freund, in deine Einsamkeit! Ich sehe dich betäubt vom +Lärme der grossen Männer und zerstochen von den Stacheln der kleinen. + +Würdig wissen Wald und Fels mit dir zu schweigen. Gleiche wieder dem +Baume, den du liebst, dem breitästigen: still und aufhorchend hängt er +über dem Meere. + +Wo die Einsamkeit aufhört, da beginnt der Markt; und wo der Markt +beginnt, da beginnt auch der Lärm der grossen Schauspieler und das +Geschwirr der giftigen Fliegen. + +In der Welt taugen die besten Dinge noch Nichts, ohne Einen, der sie +erst aufführt: grosse Männer heisst das Volk diese Aufführer. + +Wenig begreift das Volk das Grosse, das ist: das Schaffende. Aber +Sinne hat es für alle Aufführer und Schauspieler grosser Sachen. + +Um die Erfinder von neuen Werthen dreht sich die Welt: - unsichtbar +dreht sie sich. Doch um die Schauspieler dreht sich das Volk und der +Ruhm: so ist es der Welt Lauf. + +Geist hat der Schauspieler, doch wenig Gewissen des Geistes. Er glaubt +immer an Das, womit er am stärksten glauben macht, - glauben an _sich_ +macht! + +Morgen hat er einen neuen Glauben und übermorgen einen neueren. Rasche +Sinne hat er, gleich dem Volke, und veränderliche Witterungen. + +Umwerfen - das heisst ihm: beweisen. Toll machen - das heisst ihm: +überzeugen. Und Blut gilt ihm als aller Gründe bester. + +Eine Wahrheit, die nur in feine Ohren schlüpft, nennt er Lüge und +Nichts. Wahrlich, er glaubt nur an Götter, die grossen Lärm in der +Welt machen! + +Voll von feierlichen Possenreissern ist der Markt - und das Volk rühmt +sich seiner grossen Männer! das sind ihm die Herrn der Stunde. + +Aber die Stunde drängt sie: so drängen sie dich. Und auch von dir +wollen sie Ja oder Nein. Wehe, du willst zwischen Für und Wider deinen +Stuhl setzen? + +Dieser Unbedingten und Drängenden halber sei ohne Eifersucht, du +Liebhaber der Wahrheit! Niemals noch hängte sich die Wahrheit an den +Arm eines Unbedingten. + +Dieser Plötzlichen halber gehe zurück in deine Sicherheit: nur auf dem +Markt wird man mit Ja? oder Nein? überfallen. + +Langsam ist das Erleben allen tiefen Brunnen: lange müssen sie warten, +bis sie wissen, _was_ in ihre Tiefe fiel. + +Abseits vom Markte und Ruhme begiebt sich alles Grosse: abseits vom +Markte und Ruhme wohnten von je die Erfinder neuer Werthe. + +Fliehe, mein Freund, in deine Einsamkeit: ich sehe dich von giftigen +Fliegen zerstochen. Fliehe dorthin, wo rauhe, starke Luft weht! + +Fliehe in deine Einsamkeit! Du lebtest den Kleinen und Erbärmlichen zu +nahe. Fliehe vor ihrer unsichtbaren Rache! Gegen dich sind sie Nichts +als Rache. + +Hebe nicht mehr den Arm gegen sie! Unzählbar sind sie, und es ist +nicht dein Loos, Fliegenwedel zu sein. + +Unzählbar sind diese Kleinen und Erbärmlichen; und manchem stolzen +Baue gereichten schon Regentropfen und Unkraut zum Untergange. + +Du bist kein Stein, aber schon wurdest du hohl von vielen Tropfen. +Zerbrechen und zerbersten wirst du mir noch von vielen Tropfen. + +Ermüdet sehe ich dich durch giftige Fliegen, blutig geritzt sehe ich +dich an hundert Stellen; und dein Stolz will nicht einmal zürnen. + +Blut möchten sie von dir in aller Unschuld, Blut begehren ihre +blutlosen Seelen - und sie stechen daher in aller Unschuld. + +Aber, du Tiefer, du leidest zu tief auch an kleinen Wunden; und ehe du +dich noch geheilt hast, kroch dir der gleiche Giftwurm über die Hand. + +Zu stolz bist du mir dafür, diese Naschhaften zu tödten. Hüte dich +aber, dass es nicht dein Verhängniss werde, all ihr giftiges Unrecht +zu tragen! + +Sie summen um dich auch mit ihrem Lobe: Zudringlichkeit ist ihr Loben. +Sie wollen die Nähe deiner Haut und deines Blutes. + +Sie schmeicheln dir wie einem Gotte oder Teufel; sie winseln vor dir +wie vor einem Gotte oder Teufel. Was macht es! Schmeichler sind es und +Winsler und nicht mehr. + +Auch geben sie sich dir oft als Liebenswürdige. Aber das war immer die +Klugheit der Feigen. Ja, die Feigen sind klug! + +Sie denken viel über dich mit ihrer engen Seele, - bedenklich bist du +ihnen stets! Alles, was viel bedacht wird, wird bedenklich. + +Sie bestrafen dich für alle deine Tugenden. Sie verzeihen dir von +Grund aus nur - deine Fehlgriffe. + +Weil du milde bist und gerechten Sinnes, sagst du: "unschuldig sind +sie an ihrem kleinen Dasein." Aber ihre enge Seele denkt: "Schuld ist +alles grosse Dasein." + +Auch wenn du ihnen milde bist, fühlen sie sich noch von dir verachtet; +und sie geben dir deine Wohlthat zurück mit versteckten Wehthaten. + +Dein wortloser Stolz geht immer wider ihren Geschmack; sie frohlocken, +wenn du einmal bescheiden genug bist, eitel zu sein. + +Das, was wir an einem Menschen erkennen, das entzünden wir an ihm +auch. Also hüte dich vor den Kleinen! + +Vor dir fühlen sie sich klein, und ihre Niedrigkeit glimmt und glüht +gegen dich in unsichtbarer Rache. + +Merktest du nicht, wie oft sie stumm wurden, wenn du zu ihnen +tratest, und wie ihre Kraft von ihnen gieng wie der Rauch von einem +erlöschenden Feuer? + +Ja, mein Freund, das böse Gewissen bist du deinen Nächsten: denn sie +sind deiner unwerth. Also hassen sie dich und möchten gerne an deinem +Blute saugen. + +Deine Nächsten werden immer giftige Fliegen sein; Das, was gross +an dir ist, - das selber muss sie giftiger machen und immer +fliegenhafter. + +Fliehe, mein Freund, in deine Einsamkeit und dorthin, wo eine rauhe, +starke Luft weht. Nicht ist es dein Loos, Fliegenwedel zu sein. - + +Also sprach Zarathustra. + + + +Von der Keuschheit + +Ich liebe den Wald. In den Städten ist schlecht zu leben: da giebt es +zu Viele der Brünstigen. + +Ist es nicht besser, in die Hände eines Mörders zu gerathen, als in +die Träume eines brünstigen Weibes? + +Und seht mir doch diese Männer an: ihr Auge sagt es - sie wissen +nichts Besseres auf Erden, als bei einem Weibe zu liegen. + +Schlamm ist auf dem Grunde ihrer Seele; und wehe, wenn ihr Schlamm gar +noch Geist hat! + +Dass ihr doch wenigstens als Thiere vollkommen wäret! Aber zum Thiere +gehört die Unschuld. + +Rathe ich euch, eure Sinne zu tödten? Ich rathe euch zur Unschuld der +Sinne. + +Rathe ich euch zur Keuschheit? Die Keuschheit ist bei Einigen eine +Tugend, aber bei Vielen beinahe ein Laster. + +Diese enthalten sich wohl: aber die Hündin Sinnlichkeit blickt mit +Neid aus Allem, was sie thun. + +Noch in die Höhen ihrer Tugend und bis in den kalten Geist hinein +folgt ihnen diess Gethier und sein Unfrieden. + +Und wie artig weiss die Hündin Sinnlichkeit um ein Stück Geist zu +betteln, wenn ihr ein Stuck Fleisch versagt wird! + +Ihr liebt Trauerspiele und Alles, was das Herz zerbricht? Aber ich bin +misstrauisch gegen eure Hündin. + +Ihr habt mir zu grausame Augen und blickt lüstern nach Leidenden. Hat +sich nicht nur eure Wollust verkleidet und heisst sich Mitleiden? + +Und auch diess Gleichniss gebe ich euch: nicht Wenige, die ihren +Teufel austreiben wollten, fuhren dabei selber in die Säue. + +Wem die Keuschheit schwer fällt, dem ist sie zu widerrathen: dass sie +nicht der Weg zur Hölle werde - das ist zu Schlamm und Brunst der +Seele. + +Rede ich von schmutzigen Dingen? Das ist mir nicht das Schlimmste. + +Nicht, wenn die Wahrheit schmutzig ist, sondern wenn sie seicht ist, +steigt der Erkennende ungern in ihr Wasser. + +Wahrlich, es giebt Keusche von Grund aus: sie sind milder von Herzen, +sie lachen lieber und reichlicher als ihr. + +Sie lachen auch über die Keuschheit und fragen: "was ist Keuschheit! + +Ist Keuschheit nicht Thorheit? Aber diese Thorheit kam zu uns und +nicht wir zur ihr. + +Wir boten diesem Gaste Herberge und Herz: nun wohnt er bei uns, - mag +er bleiben, wie lange er will!" + +Also sprach Zarathustra. + + + +Vom Freunde + +"Einer ist immer zu viel um mich" - also denkt der Einsiedler. "Immer +Einmal Eins - das giebt auf die Dauer Zwei!" + +Ich und Mich sind immer zu eifrig im Gespräche: wie wäre es +auszuhalten, wenn es nicht einen Freund gäbe? + +Immer ist für den Einsiedler der Freund der Dritte: der Dritte ist der +Kork, der verhindert, dass das Gespräch der Zweie in die Tiefe sinkt. + +Ach, es giebt zu viele Tiefen für alle Einsiedler. Darum sehnen sie +sich so nach einem Freunde und nach seiner Höhe. + +Unser Glaube an Andre verräth, worin wir gerne an uns selber glauben +möchten. Unsre Sehnsucht nach einem Freunde ist unser Verräther. + +Und oft will man mit der Liebe nur den Neid überspringen. Und oft +greift man an und macht sich einen Feind, um zu verbergen, dass man +angreifbar ist. + +"Sei wenigstens mein Feind!" - so spricht die wahre Ehrfurcht, die +nicht um Freundschaft zu bitten wagt. + +Will man einen Freund haben, so muss man auch für ihn Krieg führen +wollen: und um Krieg zu führen, muss man Feind sein _können_. + +Man soll in seinem Freunde noch den Feind ehren. Kannst du an deinen +Freund dicht herantreten, ohne zu ihm überzutreten? + +In seinem Freunde soll man seinen besten Feind haben. Du sollst ihm am +nächsten mit dem Herzen sein, wenn du ihm widerstrebst. + +Du willst vor deinem Freunde kein Kleid tragen? Es soll deines +Freundes Ehre sein, dass du dich ihm giebst, wie du bist? Aber er +wünscht dich darum zum Teufel! + +Wer aus sich kein Hehl macht, empört: so sehr habt ihr Grund, die +Nacktheit zu fürchten! Ja, wenn ihr Götter wäret, da dürftet ihr euch +eurer Kleider schämen! + +Du kannst dich für deinen Freund nicht schön genug putzen: denn du +sollst ihm ein Pfeil und eine Sehnsucht nach dem Übermenschen sein. + +Sahst du deinen Freund schon schlafen, - damit du erfahrest, wie er +aussieht? Was ist doch sonst das Gesicht deines Freundes? Es ist dein +eignes Gesicht, auf einem rauhen und unvollkommnen Spiegel. + +Sahst du deinen Freund schon schlafen? Erschrakst du nicht, dass +dein Freund so aussieht? Oh, mein Freund, der Mensch ist Etwas, das +überwunden werden muss. + +Im Errathen und Stillschweigen soll der Freund Meister sein: nicht +Alles musst du sehn wollen. Dein Traum soll dir verrathen, was dein +Freund im Wachen thut. + +Ein Errathen sei dein Mitleiden: dass du erst wissest, ob dein Freund +Mitleiden wolle. Vielleicht liebt er an dir das ungebrochne Auge und +den Blick der Ewigkeit. + +Das Mitleiden mit dem Freunde berge sich unter einer harten Schale, an +ihm sollst du dir einen Zahn ausbeissen. So wird es seine Feinheit und +Süsse haben. + +Bist du reine Luft und Einsamkeit und Brod und Arznei deinem Freunde? +Mancher kann seine eignen Ketten nicht lösen und doch ist er dem +Freunde ein Erlöser. + +Bist du ein Sclave? So kannst du nicht Freund sein. Bist du ein +Tyrann? So kannst du nicht Freunde haben. + +Allzulange war im Weibe ein Sclave und ein Tyrann versteckt. Desshalb +ist das Weib noch nicht der Freundschaft fähig: es kennt nur die +Liebe. + +In der Liebe des Weibes ist Ungerechtigkeit und Blindheit gegen Alles, +was es nicht liebt. Und auch in der wissenden Liebe des Weibes ist +immer noch Überfall und Blitz und Nacht neben dem Lichte. + +Noch ist das Weib nicht der Freundschaft fähig: Katzen sind immer noch +die Weiber, und Vögel. Oder, besten Falles, Kühe. + +Noch ist das Weib nicht der Freundschaft fähig. Aber sagt mir, ihr +Männer, wer von euch ist denn fähig der Freundschaft? + +Oh über eure Armuth, ihr Männer, und euren Geiz der Seele! Wie viel +ihr dem Freunde gebt, das will ich noch meinem Feinde geben, und will +auch nicht ärmer damit geworden sein. + +Es giebt Kameradschaft: möge es Freundschaft geben! + +Also sprach Zarathustra. + + + +Von tausend und Einem Ziele + +VieIe Länder sah Zarathustra und viele Völker: so entdeckte er vieler +Völker Gutes und Böses. Keine grössere Macht fand Zarathustra auf +Erden, als Gut und Böse. + +Leben könnte kein Volk, das nicht erst schätzte; will es sich aber +erhalten, so darf es nicht schätzen, wie der Nachbar schätzt. + +Vieles, das diesem Volke gut hiess, hiess einem andern Hohn und +Schmach: also fand ich's. Vieles fand ich hier böse genannt und dort +mit purpurnen Ehren geputzt. + +Nie verstand ein Nachbar den andern: stets verwunderte sich seine +Seele ob des Nachbarn Wahn und Bosheit. + +Eine Tafel der Güter hängt über jedem Volke. Siehe, es ist seiner +Überwindungen Tafel; siehe, es ist die Stimme seines Willens zur +Macht. + +Löblich ist, was ihm schwer gilt; was unerlässlich und schwer, +heisst gut, und was aus der höchsten Noth noch befreit, das Seltene, +Schwerste, - das preist es heilig. + +Was da macht, dass es herrscht und siegt und glänzt, seinem Nachbarn +zu Grauen und Neide: das gilt ihm das Hohe, das Erste, das Messende, +der Sinn aller Dinge. + +Wahrlich, mein Bruder, erkanntest du erst eines Volkes Noth und +Land und Himmel und Nachbar: so erräthst du wohl das Gesetz seiner +Überwindungen und warum es auf dieser Leiter zu seiner Hoffnung +steigt. + +"Immer sollst du der Erste sein und den Andern vorragen: Niemanden +soll deine eifersüchtige Seele lieben, es sei denn den Freund" - diess +machte einem Griechen die Seele zittern: dabei gieng er seinen Pfad +der Grösse. + +"Wahrheit reden und gut mit Bogen und Pfeil verkehren" - so dünkte es +jenem Volke zugleich lieb und schwer, aus dem mein Name kommt - der +Name, welcher mir zugleich lieb und schwer ist. + +"Vater und Mutter ehren und bis in die Wurzel der Seele hinein ihnen +zu Willen sein": diese Tafel der Überwindung hängte ein andres Volk +über sich auf und wurde mächtig und ewig damit. + +"Treue üben und um der Treue Willen Ehre und Blut auch an böse und +fährliche Sachen setzen": also sich lehrend bezwang sich ein anderes +Volk, und also sich bezwingend wurde es schwanger und schwer von +grossen Hoffnungen. + +Wahrlich, die Menschen gaben sich alles ihr Gutes und Böses. Wahrlich, +sie nahmen es nicht, sie fanden es nicht, nicht fiel es ihnen als +Stimme vom Himmel. + +Werthe legte erst der Mensch in die Dinge, sich zu erhalten, - er +schuf erst den Dingen Sinn, einen Menschen-Sinn! Darum nennt er sich +"Mensch", das ist: der Schätzende. + +Schätzen ist Schaffen: hört es, ihr Schaffenden! Schätzen selber ist +aller geschätzten Dinge Schatz und Kleinod. + +Durch das Schätzen erst giebt es Werth: und ohne das Schätzen wäre die +Nuss des Daseins hohl. Hört es, ihr Schaffenden! + +Wandel der Werthe, - das ist Wandel der Schaffenden. Immer vernichtet, +wer ein Schöpfer sein muss. + +Schaffende waren erst Völker und spät erst Einzelne; wahrlich, der +Einzelne selber ist noch die jüngste Schöpfung. + +Völker hängten sich einst eine Tafel des Guten über sich. Liebe, die +herrschen will, und Liebe, die gehorchen will, erschufen sich zusammen +solche Tafeln. + +Älter ist an der Heerde die Lust, als die Lust am Ich: und so lange +das gute Gewissen Heerde heisst, sagt nur das schlechte Gewissen: Ich. + +Wahrlich, das schlaue Ich, das lieblose, das seinen Nutzen im Nutzen +Vieler will: das ist nicht der Heerde Ursprung, sondern ihr Untergang. + +Liebende waren es stets und Schaffende, die schufen Gut und Böse. +Feuer der Liebe glüht in aller Tugenden Namen und Feuer des Zorns. + +Viele Länder sah Zarathustra und viele Völker: keine grössere Macht +fand Zarathustra auf Erden, als die Werke der Liebenden: "gut" und +"böse" ist ihr Name. + +Wahrlich, ein Ungethüm ist die Macht dieses Lobens und Tadelns. Sagt, +wer bezwingt es mir, ihr Brüder? Sagt, wer wirft diesem Thier die +Fessel über die tausend Nacken? + +Tausend Ziele gab es bisher, denn tausend Völker gab es. Nur die +Fessel der tausend Nacken fehlt noch, es fehlt das Eine Ziel. Noch hat +die Menschheit kein Ziel. + +Aber sagt mir doch, meine Brüder: wenn der Menschheit das Ziel noch +fehlt, fehlt da nicht auch - sie selber noch? - + +Also sprach Zarathustra. + + + +Von der Nächstenliebe + +Ihr drängt euch um den Nächsten und habt schöne Worte dafür. Aber ich +sage euch: eure Nächstenliebe ist eure schlechte Liebe zu euch selber. + +Ihr flüchtet zum Nächsten vor euch selber und möchtet euch daraus eine +Tugend machen: aber ich durchschaue euer "Selbstloses". + +Das Du ist älter als das Ich; das Du ist heilig gesprochen, aber noch +nicht das Ich: so drängt sich der Mensch hin zum Nächsten. + +Rathe ich euch zur Nächstenliebe? Lieber noch rathe ich euch zur +Nächsten-Flucht und zur Fernsten-Liebe! + +Höher als die Liebe zum Nächsten ist die Liebe zum Fernsten und +Künftigen; höher noch als die Liebe zu Menschen ist die Liebe zu +Sachen und Gespenstern. + +Diess Gespenst, das vor dir herläuft, mein Bruder, ist schöner als +du; warum giebst du ihm nicht dein Fleisch und deine Knochen? Aber du +fürchtest dich und läufst zu deinem Nächsten. + +Ihr haltet es mit euch selber nicht aus und liebt euch nicht genug: +nun wollt ihr den Nächsten zur Liebe verführen und euch mit seinem +Irrthum vergolden. + +Ich wollte, ihr hieltet es nicht aus mit allerlei Nächsten und deren +Nachbarn; so müsstet ihr aus euch selber euren Freund und sein +überwallendes Herz schaffen. + +Ihr ladet euch einen Zeugen ein, wenn ihr von euch gut reden wollt; +und wenn ihr ihn verführt habt, gut von euch zu denken, denkt ihr +selber gut von euch. + +Nicht nur Der lügt, welcher wider sein Wissen redet, sondern erst +recht Der, welcher wider sein Nichtwissen redet. Und so redet ihr von +euch im Verkehre und belügt mit euch den Nachbar. + +Also spricht der Narr: "der Umgang mit Menschen verdirbt den +Charakter, sonderlich wenn man keinen hat." + +Der Eine geht zum Nächsten, weil er sich sucht, und der Andre, weil er +sich verlieren möchte. Eure schlechte Liebe zu euch selber macht euch +aus der Einsamkeit ein Gefängniss. + +Die Ferneren sind es, welche eure Liebe zum Nächsten bezahlen; und +schon wenn ihr zu fünfen mit einander seid, muss immer ein sechster +sterben. + +Ich liebe auch eure Feste nicht: zu viel Schauspieler fand ich dabei, +und auch die Zuschauer gebärdeten sich oft gleich Schauspielern. + +Nicht den Nächsten lehre ich euch, sondern den Freund. Der Freund sei +euch das Fest der Erde und ein Vorgefühl des Übermenschen. + +Ich lehre euch den Freund und sein übervolles Herz. Aber man muss +verstehn, ein Schwamm zu sein, wenn man von übervollen Herzen geliebt +sein will. + +Ich lehre euch den Freund, in dem die Welt fertig dasteht, eine Schale +des Guten, - den schaffenden Freund, der immer eine fertige Welt zu +verschenken hat. + +Und wie ihm die Welt auseinander rollte, so rollt sie ihm wieder in +Ringen zusammen, als das Werden des Guten durch das Böse, als das +Werden der Zwecke aus dem Zufalle. + +Die Zukunft und das Fernste sei dir die Ursache deines Heute: in +deinem Freunde sollst du den Übermenschen als deine Ursache lieben. + +Meine Brüder, zur Nächstenliebe rathe ich euch nicht: ich rathe euch +zur Fernsten-Liebe. + +Also sprach Zarathustra. + + + +Vom Wege des Schaffenden + +Willst du, mein Bruder, in die Vereinsamung gehen? Willst du den Weg +zu dir selber suchen? Zaudere noch ein Wenig und höre mich. + +"Wer sucht, der geht leicht selber verloren. Alle Vereinsamung ist +Schuld": also spricht die Heerde. Und du gehörtest lange zur Heerde. + +Die Stimme der Heerde wird auch in dir noch tönen. Und wenn du sagen +wirst "ich habe nicht mehr Ein Gewissen mit euch", so wird es eine +Klage und ein Schmerz sein. + +Siehe, diesen Schmerz selber gebar noch das Eine Gewissen: und dieses +Gewissens letzter Schimmer glüht noch auf deiner Trübsal. + +Aber du willst den Weg deiner Trübsal gehen, welches ist der Weg zu +dir selber? So zeige mir dein Recht und deine Kraft dazu! + +Bist du eine neue Kraft und ein neues Recht? Eine erste Bewegung? Ein +aus sich rollendes Rad? Kannst du auch Sterne zwingen, dass sie um +dich sich drehen? + +Ach, es giebt so viel Lüsternheit nach Höhe! Es giebt so viel +Krämpfe der Ehrgeizigen! Zeige mir, dass du keiner der Lüsternen und +Ehrgeizigen bist! + +Ach, es giebt so viel grosse Gedanken, die thun nicht mehr als ein +Blasebalg: sie blasen auf und machen leerer. + +Frei nennst du dich? Deinen herrschenden Gedanken will ich hören und +nicht, dass du einem Joche entronnen bist. + +Bist du ein Solcher, der einem Joche entrinnen _durfte_? Es giebt +Manchen, der seinen letzten Werth wegwarf, als er seine Dienstbarkeit +wegwarf. + +Frei wovon? Was schiert das Zarathustra! Hell aber soll mir dein Auge +künden: frei _wozu_? + +Kannst du dir selber dein Böses und dein Gutes geben und deinen Willen +über dich aufhängen wie ein Gesetz? Kannst du dir selber Richter sein +und Rächer deines Gesetzes? + +Furchtbar ist das Alleinsein mit dem Richter und Rächer des eignen +Gesetzes. Also wird ein Stern hinausgeworfen in den öden Raum und in +den eisigen Athem des Alleinseins. + +Heute noch leidest du an den Vielen, du Einer: heute noch hast du +deinen Muth ganz und deine Hoffnungen. + +Aber einst wird dich die Einsamkeit müde machen, einst wird dein Stolz +sich krümmen und dein Muth knirschen. Schreien wirst du einst "ich bin +allein!" + +Einst wirst du dein Hohes nicht mehr sehn und dein Niedriges +allzunahe; dein Erhabnes selbst wird dich fürchten machen wie ein +Gespenst. Schreien wirst du einst: "Alles ist falsch!" + +Es giebt Gefühle, die den Einsamen tödten wollen; gelingt es ihnen +nicht, nun, so müssen sie selber sterben! Aber vermagst du das, Mörder +zu sein? + +Kennst du, mein Bruder, schon das Wort "Verachtung"? Und die Qual +deiner Gerechtigkeit, Solchen gerecht zu sein, die dich verachten? + +Du zwingst Viele, über dich umzulernen; das rechnen sie dir hart an. +Du kamst ihnen nahe und giengst doch vorüber: das verzeihen sie dir +niemals. + +Du gehst über sie hinaus: aber je höher du steigst, um so kleiner +sieht dich das Auge des Neides. Am meisten aber wird der Fliegende +gehasst. + +"Wie wolltet ihr gegen mich gerecht sein! - musst du sprechen - ich +erwähle mir eure Ungerechtigkeit als den mir zugemessnen Theil." + +Ungerechtigkeit und Schmutz werfen sie nach dem Einsamen: aber, mein +Bruder, wenn du ein Stern sein willst, so musst du ihnen desshalb +nicht weniger leuchten! + +Und hüte dich vor den Guten und Gerechten! Sie kreuzigen gerne Die, +welche sich ihre eigne Tugend erfinden, - sie hassen den Einsamen. + +Hüte dich auch vor der heiligen Einfalt! Alles ist ihr unheilig, +was nicht einfältig ist; sie spielt auch gerne mit dem Feuer - der +Scheiterhaufen. + +Und hüte dich auch vor den Anfällen deiner Liebe! Zu schnell streckt +der Einsame Dem die Hand entgegen, der ihm begegnet. + +Manchem Menschen darfst du nicht die Hand geben, sondern nur die +Tatze: und ich will, dass deine Tatze auch Krallen habe. + +Aber der schlimmste Feind, dem du begegnen kannst, wirst du immer dir +selber sein; du selber lauerst dir auf in Höhlen und Wäldern. + +Einsamer, du gehst den Weg zu dir selber! Und an dir selber fuhrt dein +Weg vorbei und an deinen sieben Teufeln! + +Ketzer wirst du dir selber sein und Hexe und Wahrsager und Narr und +Zweifler und Unheiliger und Bösewicht. + +Verbrennen musst du dich wollen in deiner eignen Flamme: wie wolltest +du neu werden, wenn du nicht erst Asche geworden bist! + +Einsamer, du gehst den Weg des Schaffenden: einen Gott willst du dir +schaffen aus deinen sieben Teufeln! + +Einsamer, du gehst den Weg des Liebenden: dich selbst liebst du und +desshalb verachtest du dich, wie nur Liebende verachten. + +Schaffen will der Liebende, weil er verachtet! Was weiss Der von +Liebe, der nicht gerade verachten musste, was er liebte! + +Mit deiner Liebe gehe in deine Vereinsamung und mit deinem Schaffen, +mein Bruder; und spät erst wird die Gerechtigkeit dir nachhinken. + +Mit meinen Thränen gehe in deine Vereinsamung, mein Bruder. Ich liebe +Den, der über sich selber hinaus schaffen will und so zu Grunde +geht. - + +Also sprach Zarathustra. + + + +Von alten und jungen Weiblein + +"Was schleichst du so scheu durch die Dämmerung, Zarathustra? Und was +birgst du behutsam unter deinem Mantel? + +Ist es ein Schatz, der dir geschenkt? Oder ein Kind, das dir geboren +wurde? Oder gehst du jetzt selber auf den Wegen der Diebe, du Freund +der Bösen?" - + +Wahrlich, mein Bruder! sprach Zarathustra, es ist ein Schatz, der mir +geschenkt wurde: eine kleine Wahrheit ist's, die ich trage. + +Aber sie ist ungebärdig wie ein junges Kind; und wenn ich ihr nicht +den Mund halte, so schreit sie überlaut. + +Als ich heute allein meines Weges gieng, zur Stunde, wo die Sonne +sinkt, begegnete mir ein altes Weiblein und redete also zu meiner +Seele: + +"Vieles sprach Zarathustra auch zu uns Weibern, doch nie sprach er uns +über das Weib." + +Und ich entgegnete ihr: "über das Weib soll man nur zu Männern reden." + +"Rede auch zu mir vom Weibe, sprach sie; ich bin alt genug, um es +gleich wieder zu vergessen." + +Und ich willfahrte dem alten Weiblein und sprach also zu ihm: + +Alles am Weibe ist ein Räthsel, und Alles am Weibe hat Eine Lösung: +sie heisst Schwangerschaft. + +Der Mann ist für das Weib ein Mittel: der Zweck ist immer das Kind. +Aber was ist das Weib für den Mann? + +Zweierlei will der ächte Mann: Gefahr und Spiel. Desshalb will er das +Weib, als das gefährlichste Spielzeug. + +Der Mann soll zum Kriege erzogen werden und das Weib zur Erholung des +Kriegers: alles Andre ist Thorheit. + +Allzusüsse Früchte - die mag der Krieger nicht. Darum mag er das Weib; +bitter ist auch noch das süsseste Weib. + +Besser als ein Mann versteht das Weib die Kinder, aber der Mann ist +kindlicher als das Weib. + +Im ächten Manne ist ein Kind versteckt: das will spielen. Auf, ihr +Frauen, so entdeckt mir doch das Kind im Manne! + +Ein Spielzeug sei das Weib, rein und fein, dem Edelsteine gleich, +bestrahlt von den Tugenden einer Welt, welche noch nicht da ist. + +Der Strahl eines Sternes glänze in eurer Liebe! Eure Hoffnung heisse: +"möge ich den Übermenschen gebären!" + +In eurer Liebe sei Tapferkeit! Mit eurer Liebe sollt ihr auf Den +losgehn, der euch Furcht einflösst! + +In eurer Liebe sei eure Ehre! Wenig versteht sich sonst das Weib auf +Ehre. Aber diess sei eure Ehre, immer mehr zu lieben, als ihr geliebt +werdet, und nie die Zweiten zu sein. + +Der Mann fürchte sich vor dem Weibe, wenn es liebt: da bringt es jedes +Opfer, und jedes andre Ding gilt ihm ohne Werth. + +Der Mann fürchte sich vor dem Weibe, wenn es hasst: denn der Mann ist +im Grunde der Seele nur böse, das Weib aber ist dort schlecht. + +Wen hasst das Weib am meisten? - Also sprach das Eisen zum Magneten: +"ich hasse dich am meisten, weil du anziehst, aber nicht stark genug +bist, an dich zu ziehen." + +Das Glück des Mannes heisst: ich will. Das Glück des Weibes heisst: er +will. + +"Siehe, jetzt eben ward die Welt vollkommen!" - also denkt ein jedes +Weib, wenn es aus ganzer Liebe gehorcht. + +Und gehorchen muss das Weib und eine Tiefe finden zu seiner +Oberfläche. Oberfläche ist des Weibes Gemüth, eine bewegliche +stürmische Haut auf einem seichten Gewässer. + +Des Mannes Gemüth aber ist tief, sein Strom rauscht in unterirdischen +Höhlen: das Weib ahnt seine Kraft, aber begreift sie nicht. - + +Da entgegnete mir das alte Weiblein: "Vieles Artige sagte Zarathustra +und sonderlich für Die, welche jung genug dazu sind. + +Seltsam ist's, Zarathustra kennt wenig die Weiber, und doch hat er +über sie Recht! Geschieht diess desshalb, weil beim Weibe kein Ding +unmöglich ist? + +Und nun nimm zum Danke eine kleine Wahrheit! Bin ich doch alt genug +für sie! + +Wickle sie ein und halte ihr den Mund: sonst schreit sie überlaut, +diese kleine Wahrheit." + +"Gieb mir, Weib, deine kleine Wahrheit!" sagte ich. Und also sprach +das alte Weiblein: + +"Du gehst zu Frauen? Vergiss die Peitsche nicht!" - + +Also sprach Zarathustra. + + + +Vom Biss der Natter + +Eines Tages war Zarathustra unter einem Feigenbaume eingeschlafen, da +es heiss war, und hatte seine Arme über das Gesicht gelegt. Da kam +eine Natter und biss ihn in den Hals, so dass Zarathustra vor Schmerz +aufschrie. Als er den Arm vom Gesicht genommen hatte, sah er die +Schlange an: da erkannte sie die Augen Zarathustra's, wand sich +ungeschickt und wollte davon. "Nicht doch, sprach Zarathustra; noch +nahmst du meinen Dank nicht an! Du wecktest mich zur Zeit, mein Weg +ist noch lang." "Dein Weg ist noch kurz, sagte die Natter traurig; +mein Gift tödtet." Zarathustra lächelte. "Wann starb wohl je ein +Drache am Gift einer Schlange? - sagte er. Aber nimm dein Gift zurück! +Du bist nicht reich genug, es mir zu schenken." Da fiel ihm die Natter +von Neuem um den Hals und leckte ihm seine Wunde. + +Als Zarathustra diess einmal seinen Jüngern erzählte, fragten +sie: "Und was, oh Zarathustra, ist die Moral deiner Geschichte?" +Zarathustra antwortete darauf also: + +Den Vernichter der Moral heissen mich die Guten und Gerechten: meine +Geschichte ist unmoralisch. - + +So ihr aber einen Feind habt, so vergeltet ihm nicht Böses mit Gutem: +denn das würde beschämen. Sondern beweist, dass er euch etwas Gutes +angethan hat. + +Und lieber zürnt noch, als dass ihr beschämt! Und wenn euch geflucht +wird, so gefällt es mir nicht, dass ihr dann segnen wollt. Lieber ein +Wenig mitfluchen! + +Und geschah euch ein grosses Unrecht, so thut mir geschwind fünf +kleine dazu! Grässlich ist Der anzusehn, den allein das Unrecht +drückt. + +Wusstet ihr diess schon? Getheiltes Unrecht ist halbes Recht. Und Der +soll das Unrecht auf sich nehmen, der es tragen kann! + +Eine kleine Rache ist menschlicher, als gar keine Rache. Und wenn die +Strafe nicht auch ein Recht und eine Ehre ist für den Übertretenden, +so mag ich auch euer Strafen nicht. + +Vornehmer ist's, sich Unrecht zu geben als Recht zu behalten, +sonderlich wenn man Recht hat. Nur muss man reich genug dazu sein. + +Ich mag eure kalte Gerechtigkeit nicht; und aus dem Auge eurer Richter +blickt mir immer der Henker und sein kaltes Eisen. + +Sagt, wo findet sich die Gerechtigkeit, welche Liebe mit sehenden +Augen ist? + +So erfindet mir doch die Liebe, welche nicht nur alle Strafe, sondern +auch alle Schuld trägt! + +So erfindet mir doch die Gerechtigkeit, die Jeden freispricht, +ausgenommen den Richtenden! + +Wollt ihr auch diess noch hören? An Dem, der von Grund aus gerecht +sein will, wird auch noch die Lüge zur Menschen-Freundlichkeit. + +Aber wie wollte ich gerecht sein von Grund aus! Wie kann ich Jedem das +Seine geben! Diess sei mir genug: ich gebe Jedem das Meine. + +Endlich, meine Brüder, hütet euch Unrecht zu thun allen Einsiedlern! +Wie könnte ein Einsiedler vergessen! Wie könnte er vergelten! + +Wie ein tiefer Brunnen ist ein Einsiedler. Leicht ist es, einen Stein +hineinzuwerfen; sank er aber bis zum Grunde, sagt, wer will ihn wieder +hinausbringen? + +Hütet euch, den Einsiedler zu beleidigen! Thatet ihr's aber, nun, so +tödtet ihn auch noch! + +Also sprach Zarathustra. + + + +Von Kind und Ehe + +Ich habe eine Frage für dich allein, mein Bruder: wie ein Senkblei +werfe ich diese Frage in deine Seele, dass ich wisse, wie tief sie +sei. + +Du bist jung und wünschest dir Kind und Ehe. Aber ich frage dich: bist +du ein Mensch, der ein Kind sich wünschen _darf_? + +Bist du der Siegreiche, der Selbstbezwinger, der Gebieter der Sinne, +der Herr deiner Tugenden? Also frage ich dich. + +Oder redet aus deinem Wunsche das Thier und die Nothdurft? Oder +Vereinsamung? Oder Unfriede mit dir? + +Ich will, dass dein Sieg und deine Freiheit sich nach einem Kinde +sehne. Lebendige Denkmale sollst du bauen deinem Siege und deiner +Befreiung. + +Über dich sollst du hinausbauen. Aber erst musst du mir selber gebaut +sein, rechtwinklig an Leib und Seele. + +Nicht nur fort sollst du dich pflanzen, sondern hinauf! Dazu helfe dir +der Garten der Ehe! + +Einen höheren Leib sollst du schaffen, eine erste Bewegung, ein aus +sich rollendes Rad, - einen Schaffenden sollst du schaffen. + +Ehe: so heisse ich den Willen zu Zweien, das Eine zu schaffen, das +mehr ist, als die es schufen. Ehrfurcht vor einander nenne ich Ehe als +vor den Wollenden eines solchen Willens. + +Diess sei der Sinn und die Wahrheit deiner Ehe. Aber Das, was die +Viel-zu-Vielen Ehe nennen, diese Überflüssigen, - ach, wie nenne ich +das? + +Ach, diese Armuth der Seele zu Zweien! Ach, dieser Schmutz der Seele +zu Zweien! Ach diess erbärmliche Behagen zu Zweien! + +Ehe nennen sie diess Alles; und sie sagen, ihre Ehen seien im Himmel +geschlossen. + +Nun, ich mag ihn nicht, diesen Himmel der Überflüssigen! Nein, ich mag +sie nicht, diese im himmlischen Netz verschlungenen Thiere! + +Ferne bleibe mir auch der Gott, der heranhinkt, zu segnen, was er +nicht zusammenfügte! + +Lacht mir nicht über solche Ehen! Welches Kind hätte nicht Grund, über +seine Eltern zu weinen? + +Würdig schien mir dieser Mann und reif für den Sinn der Erde: aber als +ich sein Weib sah, schien mir die Erde ein Haus für Unsinnige. + +Ja, ich wollte, dass die Erde in Krämpfen bebte, wenn sich ein +Heiliger und eine Gans mit einander paaren. + +Dieser gieng wie ein Held auf Wahrheiten aus und endlich erbeutete er +sich eine kleine geputzte Lüge. Seine Ehe nennt er's. + +Jener war spröde im Verkehre und wählte wählerisch. Aber mit Einem +Male verdarb er für alle Male seine Gesellschaft: seine Ehe nennt +er's. + +Jener suchte eine Magd mit den Tugenden eines Engels. Aber mit Einem +Male wurde er die Magd eines Weibes, und nun thäte es Noth, dass er +darüber noch zum Engel werde. + +Sorgsam fand ich jetzt alle Käufer, und Alle haben listige Augen. Aber +seine Frau kauft auch der Listigste noch im Sack. + +Viele kurze Thorheiten - das heisst bei euch Liebe. Und eure Ehe macht +vielen kurzer Thorheiten ein Ende, als Eine lange Dummheit. + +Eure Liebe zum Weibe und des Weibes Liebe zum Manne: ach, möchte sie +doch Mitleiden sein mit leidenden und verhüllten Göttern! Aber zumeist +errathen zwei Thiere einander. + +Aber auch noch eure beste Liebe ist nur ein verzücktes Gleichniss und +eine schmerzhafte Gluth. Eine Fackel ist sie, die euch zu höheren +Wegen leuchten soll. + +Über euch hinaus sollt ihr einst lieben! So _lernt_ erst lieben! Und +darum musstet ihr den bittern Kelch eurer Liebe trinken. + +Bitterniss ist im Kelch auch der besten Liebe: so macht sie Sehnsucht +zum Übermenschen, so macht sie Durst dir, dem Schaffenden! + +Durst dem Schaffenden, Pfeil und Sehnsucht zum Übermenschen: sprich, +mein Bruder, ist diess dein Wille zur Ehe? + +Heilig heisst mir solch ein Wille und solche Ehe. - + +Also sprach Zarathustra. + + +Vom freien Tode + +Viele sterben zu spät, und Einige sterben zu früh. Noch klingt fremd +die Lehre: "stirb zur rechten Zeit!" + +Stirb zur rechten Zeit: also lehrt es Zarathustra. + +Freilich, wer nie zur rechten Zeit lebt, wie sollte der je zur rechten +Zeit sterben? Möchte er doch nie geboren sein! - Also rathe ich den +Überflüssigen. + +Aber auch die Überflüssigen thun noch wichtig mit ihrem Sterben, und +auch die hohlste Nuss will noch geknackt sein. + +Wichtig nehmen Alle das Sterben: aber noch ist der Tod kein Fest. Noch +erlernten die Menschen nicht, wie man die schönsten Feste weiht. + +Den vollbringenden Tod zeige ich euch, der den Lebenden ein Stachel +und ein Gelöbniss wird. + +Seinen Tod stirbt der Vollbringende, siegreich, umringt von Hoffenden +und Gelobenden. + +Also sollte man sterben lernen; und es sollte kein Fest geben, wo ein +solcher Sterbender nicht der Lebenden Schwüre weihte! + +Also zu sterben ist das Beste; das Zweite aber ist: im Kampfe zu +sterben und eine grosse Seele zu verschwenden. + +Aber dem Kämpfenden gleich verhasst wie dem Sieger ist euer grinsender +Tod, der heranschleicht wie ein Dieb - und doch als Herr kommt. + +Meinen Tod lobe ich euch, den freien Tod, der mir kommt, weil _ich_ +will. + +Und wann werde ich wollen? - Wer ein Ziel hat und einen Erben, der +will den Tod zur rechten Zeit für Ziel und Erben. + +Und aus Ehrfurcht vor Ziel und Erben wird er keine dürren Kränze mehr +im Heiligthum des Lebens aufhängen. + +Wahrlich, nicht will ich den Seildrehern gleichen: sie ziehen ihren +Faden in die Länge und gehen dabei selber immer rückwärts. + +Mancher wird auch für seine Wahrheiten und Siege zu alt; ein zahnloser +Mund hat nicht mehr das Recht zu jeder Wahrheit. + +Und Jeder, der Ruhm haben will, muss sich bei Zeiten von der Ehre +verabschieden und die schwere Kunst üben, zur rechten Zeit zu - gehn. + +Man muss aufhören, sich essen zu lassen, wenn man am besten schmeckt: +das wissen Die, welche lange geliebt werden wollen. + +Saure Äpfel giebt es freilich, deren Loos will, dass sie bis auf den +letzten Tag des Herbstes warten: und zugleich werden sie reif, gelb +und runzelig. + +Andern altert das Herz zuerst und Andern der Geist. Und Einige sind +greis in der Jugend: aber spät jung erhält lang jung. + +Manchem missräth das Leben: ein Giftwurm frisst sich ihm an's Herz. So +möge er zusehn, dass ihm das Sterben um so mehr gerathe. + +Mancher wird nie süss, er fault im Sommer schon. Feigheit ist es, die +ihn an seinem Aste festhält. + +Viel zu Viele leben und viel zu lange hängen sie an ihren Ästen. +Möchte ein Sturm kommen, der all diess Faule und Wurmfressne vom Baume +schüttelt! + +Möchten Prediger kommen des _schnellen_ Todes! Das wären mir die +rechten Stürme und Schüttler an Lebensbäumen Aber ich höre nur den +langsamen Tod predigen und Geduld mit allem "Irdischen". + +Ach, ihr predigt Geduld mit dem Irdischen? Dieses Irdische ist es, das +zu viel Geduld mit euch hat, ihr Lästermäuler! + +Wahrlich, zu früh starb jener Hebräer, den die Prediger des langsamen +Todes ehren: und Vielen ward es seitdem zum Verhängniss, dass er zu +früh starb. + +Noch kannte er nur Thränen und die Schwermuth des Hebräers, sammt dem +Hasse der Guten und Gerechten, - der Hebräer Jesus: da überfiel ihn +die Sehnsucht zum Tode. + +Wäre er doch in der Wüste geblieben und ferne von den Guten und +Gerechten! Vielleicht hätte er leben gelernt und die Erde lieben +gelernt - und das Lachen dazu! + +Glaubt es mir, meine Brüder! Er starb zu früh; er selber hätte seine +Lehre widerrufen, wäre er bis zu meinem Alter gekommen! Edel genug war +er zum Widerrufen! + +Aber ungereift war er noch. Unreif liebt der Jüngling und unreif hasst +er auch Mensch und Erde. Angebunden und schwer ist ihm noch Gemüth und +Geistesflügel. + +Aber im Manne ist mehr Kind als im Jünglinge, und weniger Schwermuth: +besser versteht er sich auf Tod und Leben. + +Frei zum Tode und frei im Tode, ein heiliger Nein-sager, wenn es nicht +Zeit mehr ist zum Ja: also versteht er sich auf Tod und Leben. + +Dass euer Sterben keine Lästerung sei auf Mensch und Erde, meine +Freunde: das erbitte ich mir von dem Honig eurer Seele. + +In eurem Sterben soll noch euer Geist und eure Tugend glühn, gleich +einem Abendroth um die Erde: oder aber das Sterben ist euch schlecht +gerathen. + +Also will ich selber sterben, dass ihr Freunde um meinetwillen die +Erde mehr liebt; und zur Erde will ich wieder werden, dass ich in Der +Ruhe habe, die mich gebar. + +Wahrlich, ein Ziel hatte Zarathustra, er warf seinen Ball: nun seid +ihr Freunde meines Zieles Erbe, euch werfe ich den goldenen Ball zu. + +Lieber als Alles sehe ich euch, meine Freunde, den goldenen Ball +werfen! Und so verziehe ich noch ein Wenig auf Erden: verzeiht es mir! + +Also sprach Zarathustra. + + + +Von der schenkenden Tugend + +1. + +Als Zarathustra von der Stadt Abschied genommen hatte, welcher sein +Herz zugethan war und deren Name lautet: "die bunte Kuh" - folgten ihm +Viele, die sich seine Jünger nannten und gaben ihm das Geleit. Also +kamen sie an einen Kreuzweg: da sagte ihnen Zarathustra, dass er +nunmehr allein gehen wolle; denn er war ein Freund des Alleingehens. +Seine Jünger aber reichten ihm zum Abschiede einen Stab, an dessen +goldnem Griffe sich eine Schlange um die Sonne ringelte. Zarathustra +freute sich des Stabes und stützte sich darauf; dann sprach er also zu +seinen Jüngern. + +Sagt mir doch: wie kam Gold zum höchsten Werthe? Darum, dass es +ungemein ist und unnützlich und leuchtend und mild im Glanze; es +schenkt sich immer. + +Nur als Abbild der höchsten Tugend kam Gold zum höchsten Werthe. +Goldgleich leuchtet der Blick dem Schenkenden. Goldes-Glanz schliesst +Friede zwischen Mond und Sonne. + +Ungemein ist die höchste Tugend und unnützlich, leuchtend ist sie und +mild im Glanze: eine schenkende Tugend ist die höchste Tugend. + +Wahrlich, ich errathe euch wohl, meine Jünger: ihr trachtet, gleich +mir, nach der schenkenden Tugend. Was hättet ihr mit Katzen und Wölfen +gemeinsam? + +Das ist euer Durst, selber zu Opfern und Geschenken zu werden: und +darum habt ihr den Durst, alle Reichthümer in euren Seele zu häufen. + +Unersättlich trachtet eure Seele nach Schätzen und Kleinodien, weil +eure Tugend unersättlich ist im Verschenken-Wollen. + +Ihr zwingt alle Dinge zu euch und in euch, dass sie aus eurem Borne +zurückströmen sollen als die Gaben eurer Liebe. + +Wahrlich, zum Räuber an allen Werthen muss solche schenkende Liebe +werden; aber heil und heilig heisse ich diese Selbstsucht. + +Eine andre Selbstsucht giebt es, eine allzuarme, eine hungernde, +die immer stehlen will, jene Selbstsucht der Kranken, die kranke +Selbstsucht. + +Mit dem Auge des Diebes blickt sie auf alles Glänzende; mit der Gier +des Hungers misst sie Den, der reich zu essen hat; und immer schleicht +sie um den Tisch der Schenkenden. + +Krankheit redet aus solcher Begierde und unsichtbare Entartung; von +siechem Leibe redet die diebische Gier dieser Selbstsucht. + +Sagt mir, meine Brüder: was gilt uns als Schlechtes und Schlechtestes? +Ist es nicht _Entartung_? - Und auf Entartung rathen wir immer, wo die +schenkende Seele fehlt. + +Aufwärts geht unser Weg, von der Art hinüber zur Über-Art. Aber ein +Grauen ist uns der entartende Sinn, welcher spricht: "Alles für mich." + +Aufwärts fliegt unser Sinn: so ist er ein Gleichniss unsres Leibes, +einer Erhöhung Gleichniss. Solcher Erhöhungen Gleichnisse sind die +Namen der Tugenden. + +Also geht der Leib durch die Geschichte, ein Werdender und ein +Kämpfender. Und der Geist - was ist er ihm? Seiner Kämpfe und Siege +Herold, Genoss und Wiederhall. + +Gleichnisse sind alle Namen von Gut und Böse: sie sprechen nicht aus, +sie winken nur. Ein Thor, welcher von ihnen Wissen will! + +Achtet mir, meine Brüder, auf jede Stunde, wo euer Geist in +Gleichnissen reden will: da ist der Ursprung eurer Tugend. + +Erhöht ist da euer Leib und auferstanden; mit seiner Wonne entzückt er +den Geist, dass er Schöpfer wird und Schätzer und Liebender und aller +Dinge Wohlthäter. + +Wenn euer Herz breit und voll wallt, dem Strome gleich, ein Segen und +eine Gefahr den Anwohnenden: da ist der Ursprung eurer Tugend. + +Wenn ihr erhaben seid über Lob und Tadel, und euer Wille allen Dingen +befehlen will, als eines Liebenden Wille: da ist der Ursprung eurer +Tugend. + +Wenn ihr das Angenehme verachtet und das weiche Bett, und von den +Weichlichen euch nicht weit genug betten könnt: da ist der Ursprung +eurer Tugend. + +Wenn ihr Eines Willens Wollende seid, und diese Wende aller Noth euch +Nothwendigkeit heisst: da ist der Ursprung eurer Tugend. + +Wahrlich, ein neues Gutes und Böses ist sie! Wahrlich, ein neues +tiefes Rauschen und eines neuen Quelles Stimme! + +Macht ist sie, diese neue Tugend; ein herrschender Gedanke ist sie und +um ihn eine kluge Seele: eine goldene Sonne und um sie die Schlange +der Erkenntniss. + + +2. + +Hier schwieg Zarathustra eine Weile und sah mit Liebe auf seine +Jünger. Dann fuhr er also fort zu reden: - und seine Stimme hatte sich +verwandelt. + +Bleibt mir der Erde treu, meine Brüder, mit der Macht eurer Tugend! +Eure schenkende Liebe und eure Erkenntniss diene dem Sinn der Erde! +Also bitte und beschwöre ich euch. + +Lasst sie nicht davon fliegen vom Irdischen und mit den Flügeln gegen +ewige Wände schlagen! Ach, es gab immer so viel verflogene Tugend! + +Führt, gleich mir, die verflogene Tugend zur Erde zurück - ja, +zurück zu Leib und Leben: dass sie der Erde ihren Sinn gebe, einen +Menschen-Sinn! + +Hundertfältig verflog und vergriff sich bisher so Geist wie Tugend. +Ach, in unserm Leibe wohnt jetzt noch all dieser Wahn und Fehlgriff: +Leib und Wille ist er da geworden. + +Hundertfältig versuchte und verirrte sich bisher so Geist wie Tugend. +Ja, ein Versuch war der Mensch. Ach, viel Unwissen und Irrthum ist an +uns Leib geworden! + +Nicht nur die Vernunft von Jahrtausenden - auch ihr Wahnsinn bricht an +uns aus. Gefährlich ist es, Erbe zu sein. + +Noch kämpfen wir Schritt um Schritt mit dem Riesen Zufall, und über +der ganzen Menschheit waltete bisher noch der Unsinn, der Ohne-Sinn. + +Euer Geist und eure Tugend diene dem Sinn der Erde, meine Brüder: +und aller Dinge Werth werde neu von euch gesetzt! Darum sollt ihr +Kämpfende sein! Darum sollt ihr Schaffende sein! + +Wissend reinigt sich der Leib; mit Wissen versuchend erhöht er sich; +dem Erkennenden heiligen sich alle Triebe; dem Erhöhten wird die Seele +fröhlich. + +Arzt, hilf dir selber: so hilfst du auch deinem Kranken noch. Das sei +seine beste Hülfe, dass er Den mit Augen sehe, der sich selber heil +macht. + +Tausend Pfade giebt es, die nie noch gegangen sind; tausend +Gesundheiten und verborgene Eilande des Lebens. Unerschöpft und +unentdeckt ist immer noch Mensch und Menschen-Erde. + +Wachet und horcht, ihr Einsamen! Von der Zukunft her kommen Winde mit +heimlichem Flügelschlagen; und an feine Ohren ergeht gute Botschaft. + +Ihr Einsamen von heute, ihr Ausscheidenden, ihr sollt einst ein Volk +sein: aus euch, die ihr euch selber auswähltet, soll ein auserwähltes +Volk erwachsen: - und aus ihm der Übermensch. + +Wahrlich, eine Stätte der Genesung soll noch die Erde werden! Und +schon liegt ein neuer Geruch um sie, ein Heil bringender, - und eine +neue Hoffnung! + + +3. + +Als Zarathustra diese Worte gesagt hatte, schwieg er, wie Einer, der +nicht sein letztes Wort gesagt hat; lange wog er den Stab zweifelnd +in seiner Hand. Endlich sprach er also: - und seine Stimme hatte sich +verwandelt. + +Allein gehe ich nun, meine Jünger! Auch ihr geht nun davon und allein! +So will ich es. + +Wahrlich, ich rathe euch: geht fort von mir und wehrt euch gegen +Zarathustra! Und besser noch: schämt euch seiner! Vielleicht betrog er +euch. + +Der Mensch der Erkenntniss muss nicht nur seine Feinde lieben, sondern +auch seine Freunde hassen können. + +Man vergilt einem Lehrer schlecht, wenn man immer nur der Schüler +bleibt. Und warum wollt ihr nicht an meinem Kranze rupfen? + +Ihr verehrt mich; aber wie, wenn eure Verehrung eines Tages umfällt? +Hütet euch, dass euch nicht eine Bildsäule erschlage! + +Ihr sagt, ihr glaubt an Zarathustra? Aber was liegt an Zarathustra! +Ihr seid meine Gläubigen: aber was liegt an allen Gläubigen! + +Ihr hattet euch noch nicht gesucht: da fandet ihr mich. So thun alle +Gläubigen; darum ist es so wenig mit allem Glauben. + +Nun heisse ich euch, mich verlieren und euch finden; und erst, wenn +ihr mich Alle verleugnet habt, will ich euch wiederkehren. + +Wahrlich, mit andern Augen, meine Brüder, werde ich mir dann meine +Verlorenen suchen; mit einer anderen Liebe werde ich euch dann lieben. + +Und einst noch sollt ihr mir Freunde geworden sein und Kinder Einer +Hoffnung: dann will ich zum dritten Male bei euch sein, dass ich den +grossen Mittag mit euch feiere. + +Und das ist der grosse Mittag, da der Mensch auf der Mitte seiner Bahn +steht zwischen Thier und Übermensch und seinen Weg zum Abende als +seine höchste Hoffnung feiert: denn es ist der Weg zu einem neuen +Morgen. + +Alsda wird sich der Untergehende selber segnen, dass er ein +Hinübergehender sei; und die Sonne seiner Erkenntniss wird ihm im +Mittage stehn. + +"Todt sind alle Götter: nun wollen wir, dass der Übermensch lebe." - +diess sei einst am grossen Mittage unser letzter Wille! - + +Also sprach Zarathustra. + + + + +Zweiter Theil + +"- und erst, wenn ihr mich Alle verleugnet habt, will ich euch +wiederkehren. + +Wahrlich, mit andern _Augen_, meine Brüder, werde ich mir dann meine +Verlorenen suchen; mit einer andern Liebe werde ich euch dann lieben". + +Zarathustra, von der schenkenden Tugend + + + +Das Kind mit dem Spiegel + +Hierauf gieng Zarathustra wieder zurück in das Gebirge und in die +Einsamkeit seiner Höhle und entzog sich den Menschen: wartend gleich +einem Säemann, der seinen Samen ausgeworfen hat. Seine Seele aber +wurde voll von Ungeduld und Begierde nach Denen, welche er liebte: +denn er hatte ihnen noch Viel zu geben. Diess nämlich ist das +Schwerste, aus Liebe die offne Hand schliessen und als Schenkender die +Scham bewahren. + +Also vergiengen dem Einsamen Monde und Jahre; seine Weisheit aber +wuchs und machte ihm Schmerzen durch ihre Fülle. + +Eines Morgens aber wachte er schon vor der Morgenröthe auf, besann +sich lange auf seinem Lager und sprach endlich zu seinem Herzen: + +Was erschrak ich doch so in meinem Traume, dass ich aufwachte? Trat +nicht ein Kind zu mir, das einen Spiegel trug? + +"Oh Zarathustra - sprach das Kind zu mir - schaue Dich an im Spiegel!" + +Aber als ich in den Spiegel schaute, da schrie ich auf, und mein Herz +war erschüttert: denn nicht mich sahe ich darin, sondern eines Teufels +Fratze und Hohnlachen. + +Wahrlich, allzugut verstehe ich des Traumes Zeichen und Mahnung: meine +_Lehre_ ist in Gefahr, Unkraut will Weizen heissen! + +Meine Feinde sind mächtig worden und haben meiner Lehre Bildniss +entstellt, also, dass meine Liebsten sich der Gaben schämen müssen, +die ich ihnen gab. + +Verloren giengen mir meine Freunde; die Stunde kam mir, meine +Verlornen zu suchen! - + +Mit diesen Worten sprang Zarathustra auf, aber nicht wie ein +Geängstigter, der nach Luft sucht, sondern eher wie ein Seher und +Sänger, welchen der Geist anfällt. Verwundert sahen sein Adler und +seine Schlange auf ihn hin: denn gleich dem Morgenrothe lag ein +kommendes Glück auf seinem Antlitze. + +Was geschah mir doch, meine Thiere? - sagte Zarathustra. Bin ich nicht +verwandelt! Kam mir nicht die Seligkeit wie ein Sturmwind? + +Thöricht ist mein Glück und Thörichtes wird es reden: zu jung noch ist +es - so habt Geduld mit ihm! + +Verwundet bin ich von meinem Glücke: alle Leidenden sollen mir Arzte +sein! + +Zu meinen Freunden darf ich wieder hinab und auch zu meinen Feinden! +Zarathustra darf wieder reden und schenken und Lieben das Liebste +thun! + +Meine ungeduldige Liebe fliesst über in Strömen, abwärts, nach Aufgang +und Niedergang. Aus schweigsamem Gebirge und Gewittern des Schmerzes +rauscht meine Seele in die Thäler. + +Zu lange sehnte ich mich und schaute in die Ferne. Zu lange gehörte +ich der Einsamkeit: so verlernte ich das Schweigen. + +Mund bin ich worden ganz und gar, und Brausen eines Bachs aus hohen +Felsen: hinab will ich meine Rede stürzen in die Thäler. + +Und mag mein Strom der Liebe in Unwegsames stürzen! Wie sollte ein +Strom nicht endlich den Weg zum Meere finden! + +Wohl ist ein See in mir, ein einsiedlerischer, selbstgenugsamer; aber +mein Strom der Liebe reisst ihn mit sich hinab - zum Meere! + +Neue Wege gehe ich, eine neue Rede kommt mir; müde wurde ich, gleich +allen Schaffenden, der alten Zungen. Nicht will mein Geist mehr auf +abgelaufnen Sohlen wandeln. + +Zu langsam läuft mir alles Reden: - in deinen Wagen springe ich, +Sturm! Und auch dich will ich noch peitschen mit meiner Bosheit! + +Wie ein Schrei und ein jauchzen will ich über weite Meere hinfahren, +bis ich die glückseligen Inseln finde, wo meine Freunde weilen: - + +Und meine Feinde unter ihnen! Wie liebe ich nun jeden, zu dem ich nur +reden darf! Auch meine Feinde gehören zu meiner Seligkeit. + +Und wenn ich auf mein wildestes Pferd steigen will, so hilft mir mein +Speer immer am besten hinauf: der ist meines Fusses allzeit bereiter +Diener: - + +Der Speer, den ich gegen meine Feinde schleudere! Wie danke ich es +meinen Feinden, dass ich endlich ihn schleudern darf! + +Zu gross war die Spannung meiner Wolke: zwischen Gelächtern der Blitze +will ich Hagelschauer in die Tiefe werfen. + +Gewaltig wird sich da meine Brust heben, gewaltig wird sie ihren Sturm +über die Berge hinblasen: so kommt ihr Erleichterung. + +Wahrlich, einem Sturme gleich kommt mein Glück und meine Freiheit! +Aber meine Feinde sollen glauben, _der_Böse_ rase über ihren Häuptern. + +Ja, auch ihr werdet erschreckt sein, meine Freunde, ob meiner wilden +Weisheit; und vielleicht flieht ihr davon sammt meinen Feinden. + +Ach, dass ich's verstünde, euch mit Hirtenflöten zurück zu locken! +Ach, dass meine Löwin Weisheit zärtlich brüllen lernte! Und Vieles +lernten wir schon mit einander! + +Meine wilde Weisheit wurde trächtig auf einsamen Bergen; auf rauhen +Steinen gebar sie ihr Junges, Jüngstes. + +Nun läuft sie närrisch durch die harte Wüste und sucht und sucht nach +sanftem Rasen - meine alte wilde Weisheit! + +Auf eurer Herzen sanften Rasen, meine Freunde! - auf eure Liebe möchte +sie ihr Liebstes betten! + +Also sprach Zarathustra. + + + +Auf den glückseligen Inseln + +Die Feigen fallen von den Bäumen, sie sind gut und süss; und indem +sie fallen, reisst ihnen die rothe Haut. Ein Nordwind bin ich reifen +Feigen. + +Also, gleich Feigen, fallen euch diese Lehren zu, meine Freunde: nun +trinkt ihren Saft und ihr süsses Fleisch! Herbst ist es umher und +reiner Himmel und Nachmittag. + +Seht, welche Fülle ist um uns! Und aus dem Überflusse heraus ist es +schön hinaus zu blicken auf ferne Meere. + +Einst sagte man Gott, wenn man auf ferne Meere blickte; nun aber +lehrte ich euch sagen: Übermensch. + +Gott ist eine Muthmaassung; aber ich will, dass euer Muthmaassen nicht +weiter reiche, als euer schaffender Wille. + +Könntet ihr einen Gott _schaffen_? - So schweigt mir doch von allen +Göttern! Wohl aber könntet ihr den Übermenschen schaffen. + +Nicht ihr vielleicht selber, meine Brüder! Aber zu Vätern und +Vorfahren könntet ihr euch umschaffen des Übermenschen: und Diess sei +euer bestes Schaffen! - + +Gott ist eine Muthmaassung: aber ich will, dass euer Muthmaassen +begrenzt sei in der Denkbarkeit. + +Könntet ihr einen Gott _denken_? - Aber diess bedeute euch Wille +zur Wahrheit, dass Alles verwandelt werde in Menschen - Denkbares, +Menschen - Sichtbares, Menschen - Fühlbares! Eure eignen Sinne sollt +ihr zu Ende denken! + +Und was ihr Welt nanntet, das soll erst von euch geschaffen werden: +eure Vernunft, euer Bild, euer Wille, eure Liebe soll es selber +werden! Und wahrlich, zu eurer Seligkeit, ihr Erkennenden! + +Und wie wolltet ihr das Leben ertragen ohne diese Hoffnung, ihr +Erkennenden? Weder in's Unbegreifliche dürftet ihr eingeboren sein, +noch in's Unvernünftige. + +Aber dass ich euch ganz mein Herz offenbare, ihr Freunde: _wenn_ es +Götter gäbe, wie hielte ich's aus, kein Gott zu sein! _Also_ giebt es +keine Götter. + +Wohl zog ich den Schluss; nun aber zieht er mich. - + +Gott ist eine Muthmaassung: aber wer tränke alle Qual dieser +Muthmaassung, ohne zu sterben? Soll dem Schaffenden sein Glaube +genommen sein und dem Adler sein Schweben in Adler-Fernen? + +Gott ist ein Gedanke, der macht alles Gerade krumm und Alles, was +steht, drehend. Wie? Die Zeit wäre hinweg, und alles Vergängliche nur +Lüge? + +Diess zu denken ist Wirbel und Schwindel menschlichen Gebeinen und +noch dem Magen ein Erbrechen: wahrlich, die drehende Krankheit heisse +ich's, Solches zu muthmaassen. + +Böse heisse ich's und menschenfeindlich: all diess Lehren vom Einen +und Vollen und Unbewegten und Satten und Unvergänglichen! + +Alles Unvergängliche - das ist nur ein Gleichniss! Und die Dichter +lügen zuviel. - + +Aber von Zeit und Werden sollen die besten Gleichnisse reden: ein Lob +sollen sie sein und eine Rechtfertigung aller Vergänglichkeit! + +Schaffen - das ist die grosse Erlösung vom Leiden, und des Lebens +Leichtwerden. Aber dass der Schaffende sei, dazu selber thut Leid noth +und viel Verwandelung. + +Ja, viel bitteres Sterben muss in eurem Leben sein, ihr Schaffenden! +Also seid ihr Fürsprecher und Rechtfertiger aller Vergänglichkeit. + +Dass der Schaffende selber das Kind sei, das neu geboren werde, dazu +muss er auch die Gebärerin sein wollen und der Schmerz der Gebärerin. + +Wahrlich, durch hundert Seelen gieng ich meinen Weg und durch hundert +Wiegen und Geburtswehen. Manchen Abschied nahm ich schon, ich kenne +die herzbrechenden letzten Stunden. + +Aber so will's mein schaffender Wille, mein Schicksal. Oder, dass +ich's euch redlicher sage: solches Schicksal gerade - will mein Wille. + +Alles Fühlende leidet an mir und ist in Gefängnissen: aber mein Wollen +kommt mir stets als mein Befreier und Freudebringer. + +Wollen befreit: das ist die wahre Lehre von Wille und Freiheit - so +lehrt sie euch Zarathustra. + +Nicht-mehr-wollen und Nicht-mehr-schätzen und Nicht-mehr-schaffen! +ach, dass diese grosse Müdigkeit mir stets ferne bleibe! + +Auch im Erkennen fühle ich nur meines Willens Zeuge- und Werde-Lust; +und wenn Unschuld in meiner Erkenntniss ist, so geschieht diess, weil +Wille zur Zeugung in ihr ist. + +Hinweg von Gott und Göttem lockte mich dieser Wille; was wäre denn zu +schaffen, wenn Götter - da wären! + +Aber zum Menschen treibt er mich stets von Neuem, mein inbrünstiger +Schaffens-Wille; so treibt's den Hammer hin zum Steine. + +Ach, ihr Menschen, im Steine schläft mir ein Bild, das Bild meiner +Bilder! Ach, dass es im härtesten, hässlichsten Steine schlafen muss! + +Nun wüthet mein Hammer grausam gegen sein Gefängniss. Vom Steine +stäuben Stücke: was schiert mich das? + +Vollenden will ich's: denn ein Schatten kam zu mir - aller Dinge +Stillstes und Leichtestes kam einst zu mir! + +Des Übermenschen Schönheit kam zu mir als Schatten. Ach, meine Brüder! +Was gehen mich noch - die Götter an! - + +Also sprach Zarathustra. + + + +Von den Mitleidigen + +Meine Freunde, es kam eine Spottrede zu eurem Freunde: "seht nur +Zarathustra! Wandelt er nicht unter uns wie unter Thieren?" + +Aber so ist es besser geredet: "der Erkennende wandelt unter Menschen +_als_ unter Thieren." + +Der Mensch selber aber heisst dem Erkennenden: das Thier, das rothe +Backen hat. + +Wie geschah ihm das? Ist es nicht, weil er sich zu oft hat schämen +müssen? + +Oh meine Freunde! So spricht der Erkennende: Scham, Scham, Scham - das +ist die Geschichte des Menschen! + +Und darum gebeut sich der Edle, nicht zu beschämen: Scham gebeut er +sich vor allem Leidenden. + +Wahrlich, ich mag sie nicht, die Barmherzigen, die selig sind in ihrem +Mitleiden: zu sehr gebricht es ihnen an Scham. + +Muss ich mitleidig sein, so will ich's doch nicht heissen; und wenn +ich's bin, dann gern aus der Ferne. + +Gerne verhülle ich auch das Haupt und fliehe davon, bevor ich noch +erkannt bin: und also heisse ich euch thun, meine Freunde! + +Möge mein Schicksal mir immer Leidlose, gleich euch, über den Weg +führen, und Solche, mit denen mir Hoffnung und Mahl und Honig gemein +sein _darf_! + +Wahrlich, ich that wohl Das und jenes an Leidenden: aber Besseres +schien ich mir stets zu thun, wenn ich lernte, mich besser freuen. + +Seit es Menschen giebt, hat der Mensch sich zu wenig gefreut: Das +allein, meine Brüder, ist unsre Erbsünde! + +Und lernen wir besser uns freuen, so verlernen wir am besten, Andern +wehe zu thun und Wehes auszudenken. + +Darum wasche ich mir die Hand, die dem Leidenden half, darum wische +ich mir auch noch die Seele ab. + +Denn dass ich den Leidenden leidend sah, dessen schämte ich mich um +seiner Scham willen; und als ich ihm half, da vergieng ich mich hart +an seinem Stolze. + +Grosse Verbindlichkeiten machen nicht dankbar, sondern rachsüchtig; +und wenn die kleine Wohlthat nicht vergessen wird, so wird noch ein +Nage-Wurm daraus. + +"Seid spröde im Annehmen! Zeichnet aus damit, dass ihr annehmt!" - +also rathe ich Denen, die Nichts zu verschenken haben. + +Ich aber bin ein Schenkender: gerne schenke ich, als Freund den +Freunden. Fremde aber und Arme mögen sich die Frucht selber von meinem +Baume pflücken: so beschämt es weniger. + +Bettler aber sollte man ganz abschaffen! Wahrlich, man ärgert sich +ihnen zu geben und, ärgert sich ihnen nicht zu geben. + +Und insgleichen die Sünder und bösen Gewissen! Glaubt mir, meine +Freunde: Gewissensbisse erziehn zum Beissen. + +Das Schlimmste aber sind die kleinen Gedanken. Wahrlich, besser noch +bös gethan, als klein gedacht! + +Zwar ihr sagt: "die Lust an kleinen Bosheiten erspart uns manche +grosse böse That." Aber hier sollte man nicht sparen wollen. + +Wie ein Geschwür ist die böse That: sie juckt und kratzt und bricht +heraus, - sie redet ehrlich. + +"Siehe, ich bin Krankheit" - so redet die böse That; das ist ihre +Ehrlichkeit. + +Aber dem Pilze gleich ist der kleine Gedanke: er kriecht und duckt +sich und will nirgendswo sein - bis der ganze Leib morsch und welk ist +vor kleinen Pilzen. + +Dem aber, der vom Teufel besessen ist, sage ich diess Wort in's Ohr: +"besser noch, du ziehest deinen Teufel gross! Auch für dich giebt es +noch einen Weg der Grösse!" - + +Ach, meine Brüder! Man weiss von Jedermann Etwas zu viel! Und Mancher +wird uns durchsichtig, aber desshalb können wir noch lange nicht durch +ihn hindurch. + +Es ist schwer, mit Menschen zu leben, weil Schweigen so schwer ist. + +Und nicht gegen Den, der uns zuwider ist, sind wir am unbilligsten, +sondern gegen Den, welcher uns gar Nichts angeht. + +Hast du aber einen leidenden Freund, so sei seinem Leiden eine +Ruhestätte, doch gleichsam ein hartes Bett, ein Feldbett: so wirst du +ihm am besten nützen. + +Und thut dir ein Freund Übles, so sprich: "ich vergebe dir, was du +mir thatest; dass du es aber _dir_ thatest, - wie könnte ich das +vergeben!" + +Also redet alle grosse Liebe: die überwindet auch noch Vergebung und +Mitleiden. + +Man soll sein Herz festhalten; denn lässt man es gehn, wie bald geht +Einem da der Kopf durch! + +Ach, wo in der Welt geschahen grössere Thorheiten, als bei den +Mitleidigen? Und was in der Welt stiftete mehr Leid, als die +Thorheiten der Mitleidigen? + +Wehe allen Liebenden, die nicht noch eine Höhe haben, welche über +ihrem Mitleiden ist! + +Also sprach der Teufel einst zu mir: "auch Gott hat seine Hölle: das +ist seine Liebe zu den Menschen." + +Und jüngst hörte ich ihn diess Wort sagen: "Gott ist todt; an seinem +Mitleiden mit den Menschen ist Gott gestorben." - + +So seid mir gewarnt vordem Mitleiden: _daher_ kommt noch den Menschen +eine schwere Wolke! Wahrlich, ich verstehe mich auf Wetterzeichen! + +Merket aber auch diess Wort: alle grosse Liebe ist noch über all ihrem +Mitleiden: denn sie will das Geliebte noch - schaffen! + +"Mich selber bringe ich meiner Liebe dar, und meinen Nächsten gleich +mir" - so geht die Rede allen Schaffenden. + +Alle Schaffenden aber sind hart. - + +Also sprach Zarathustra. + + + +Von den Priestern + +Und einstmals gab Zarathustra seinen Jüngern ein Zeichen und sprach +diese Worte zu ihnen: + +"Hier sind Priester: und wenn es auch meine Feinde sind, geht mir +still an ihnen vorüber und mit schlafendem Schwerte! + +Auch unter ihnen sind Helden; Viele von ihnen litten zuviel -: so +wollen sie Andre leiden machen. + +Böse Feinde sind sie: Nichts ist rachsüchtiger als ihre Demuth. Und +leicht besudelt sich Der, welcher sie angreift. + +Aber mein Blut ist mit dem ihren verwandt; und ich will mein Blut auch +noch in dem ihren geehrt wissen." - + +Und als sie vorüber gegangen waren, fiel Zarathustra der Schmerz an; +und nicht lange hatte er mit seinem Schmerze gerungen, da hub er also +an zu reden: + +Es jammert mich dieser Priester. Sie gehen mir auch wider den +Geschmack; aber das ist mir das Geringste, seit ich unter Menschen +bin. + +Aber ich leide und litt mit ihnen: Gefangene sind es mir und +Abgezeichnete. Der, welchen sie Erlöser nennen, schlug sie in +Banden: - + +In Banden falscher Werthe und Wahn-Worte! Ach dass Einer sie noch von +ihrem Erlöser erlöste! + +Auf einem Eilande glaubten sie einst zu landen, als das Meer sie +herumriss; aber siehe, es war ein schlafendes Ungeheuer! + +Falsche Werthe und Wahn-Worte: das sind die schlimmsten Ungeheuer für +Sterbliche, - lange schläft und wartet in ihnen das Verhängniss. + +Aber endlich kommt es und wacht und frisst und schlingt, was auf ihm +sich Hütten baute. + +Oh seht mir doch diese Hütten an, die sich diese Priester bauten! +Kirchen heissen sie ihre süssduftenden Höhlen. + +Oh über diess verfälschte Licht, diese versumpfte Luft! Hier, wo die +Seele zu ihrer Höhe hinauf - nicht fliegen darf! + +Sondern also gebietet ihr Glaube: "auf den Knien die Treppe hinan, ihr +Sünder!" + +Wahrlich, lieber sehe ich noch den Schamlosen, als die verrenkten +Augen ihrer Scham und Andacht! + +Wer schuf sich solche Höhlen und Buss-Treppen? Waren es nicht Solche, +die sich verbergen wollten und sich vor dem reinen Himmel schämten? + +Und erst wenn der reine Himmel wieder durch zerbrochne Decken blickt, +und hinab auf Gras und rothen Mohn an zerbrochnen Mauern, - will ich +den Stätten dieses Gottes wieder mein Herz zuwenden. + +Sie nannten Gott, was ihnen widersprach und wehe that: und wahrlich, +es war viel Helden-Art in ihrer Anbetung! + +Und nicht anders wussten sie ihren Gott zu lieben, als indem sie den +Menschen an's Kreuz schlugen! + +Als Leichname gedachten sie zu leben, schwarz schlugen sie ihren +Leichnam aus; auch aus ihren Reden rieche ich noch die üble Würze von +Todtenkammern. + +Und wer ihnen nahe lebt, der lebt schwarzen Teichen nahe, aus denen +heraus die Unke ihr Lied mit süssem Tiefsinne singt. + +Bessere Lieder müssten sie mir singen, dass ich an ihren Erlöser +glauben lerne: erlöster müssten mir seine jünger aussehen! + +Nackt möchte ich sie sehn: denn allein die Schönheit sollte Busse +predigen. Aber wen überredet wohl diese vermummte Trübsal! + +Wahrlich, ihre Erlöser selber kamen nicht aus der Freiheit und der +Freiheit siebentem Himmel! Wahrlich, sie selber wandelten niemals auf +den Teppichen der Erkenntniss! + +Aus Lücken bestand der Geist dieser Erlöser; aber in jede Lücke hatten +sie ihren Wahn gestellt, ihren Lückenbüsser, den sie Gott nannten. + +In ihrem Mitleiden war ihr Geist ertrunken, und wenn sie schwollen +und überschwollen von Mitleiden, schwamm immer obenauf eine grosse +Thorheit. + +Eifrig trieben sie und mit Geschrei ihre Heerde über ihren Steg: wie +als ob es zur Zukunft nur Einen Steg gäbe! Wahrlich, auch diese Hirten +gehörten noch zu den Schafen! + +Kleine Geister und umfängliche Seelen hatten diese Hirten: aber, meine +Brüder, was für kleine Länder waren bisher auch die umfänglichsten +Seelen! + +Blutzeichen schrieben sie auf den Weg, den sie giengen, und ihre +Thorheit lehrte, dass man mit Blut die Wahrheit beweise. + +Aber Blut ist der schlechteste Zeuge der Wahrheit; Blut vergiftet die +reinste Lehre noch zu Wahn und Hass der Herzen. + +Und wenn Einer durch's Feuer geht für seine Lehre, - was beweist +diess! Mehr ist's wahrlich, dass aus eignem Brande die eigne Lehre +kommt! + +Schwüles Herz und kalter Kopf: wo diess zusammentrifft, da entsteht +der Brausewind, der "Erlöser". + +Grössere gab es wahrlich und Höher-Geborene, als Die, welche das Volk +Erlöser nennt, diese hinreissenden Brausewinde! + +Und noch von Grösseren, als alle Erlöser waren, müsst ihr, meine +Brüder, erlöst werden, wollt ihr zur Freiheit den Weg finden! + +Niemals noch gab es einen Übermenschen. Nackt sah ich Beide, den +grössten und den kleinsten Menschen: - + +Allzuähnlich sind sie noch einander. Wahrlich, auch den Grössten fand +ich - allzumenschlich! + +Also sprach Zarathustra. + + + +Von den Tugendhaften + +Mit Donnern und himmlischen Feuerwerken muss man zu schlaffen und +schlafenden Sinnen reden. + +Aber der Schönheit Stimme redet leise: sie schleicht sich nur in die +aufgewecktesten Seelen. + +Leise erbebte und lachte mir heut mein Schild; das ist der Schönheit +heiliges Lachen und Beben. + +Über euch, ihr Tugendhaften, lachte heut meine Schönheit. Und also kam +ihre Stimme zu mir: "sie wollen noch - bezahlt sein!" + +Ihr wollt noch bezahlt sein, ihr Tugendhaften! Wollt Lohn für Tugend +und Himmel für Erden und Ewiges für euer Heute haben? + +Und nun zürnt ihr mir, dass ich lehre, es giebt keinen Lohn- und +Zahlmeister? Und wahrlich, ich lehre nicht einmal, dass Tugend ihr +eigener Lohn ist. + +Ach, das ist meine Trauer: in den Grund der Dinge hat man Lohn und +Strafe hineingelogen - und nun auch noch in den Grund eurer Seelen, +ihr Tugendhaften! + +Aber dem Rüssel des Ebers gleich soll mein Wort den Grund eurer Seelen +aufreissen; Pflugschar will ich euch heissen. + +Alle Heimlichkeiten eures Grundes sollen an's Licht; und wenn ihr +aufgewühlt und zerbrochen in der Sonne liegt, wird auch eure Lüge von +eurer Wahrheit ausgeschieden sein. + +Denn diess ist eure Wahrheit: ihr seid _zu_reinlich_ für den Schmutz +der Worte: Rache, Strafe, Lohn, Vergeltung. + +Ihr liebt eure Tugend, wie die Mutter ihr Kind; aber wann hörte man, +dass eine Mutter bezahlt sein wollte für ihre Liebe? + +Es ist euer liebstes Selbst, eure Tugend. Des Ringes Durst ist in +euch: sich selber wieder zu erreichen, dazu ringt und dreht sich jeder +Ring. + +Und dem Sterne gleich, der erlischt, ist jedes Werk eurer Tugend: +immer ist sein Licht noch unterwegs und wandert - und wann wird es +nicht mehr unterwegs sein? + +Also ist das Licht eurer Tugend noch unterwegs, auch wenn das Werk +gethan ist. Mag es nun vergessen und todt sein: sein Strahl von Licht +lebt noch und wandert. + +Dass eure Tugend euer Selbst sei und nicht ein Fremdes, eine Haut, +eine Bemäntelung: das ist die Wahrheit aus dem Grunde eurer Seele, ihr +Tugendhaften! - + +Aber wohl giebt es Solche, denen Tugend der Krampf unter einer +Peitsche heisst: und ihr habt mir zuviel auf deren Geschrei gehört! + +Und Andre giebt es, die heissen Tugend das Faulwerden ihrer Laster; +und wenn ihr Hass und ihre Eifersucht einmal die Glieder strecken, +wird ihre "Gerechtigkeit" munter und reibt sich die verschlafenen +Augen. + +Und Andre giebt es, die werden abwärts gezogen: ihre Teufel ziehn sie. +Aber je mehr sie sinken, um so glühender leuchtet ihr Auge und die +Begierde nach ihrem Gotte. + +Ach, auch deren Geschrei drang zu euren Ohren, ihr Tugendhaften: was +ich _nicht_ bin, das, das ist mir Gott und Tugend! + +Und Andre giebt es, die kommen schwer und knarrend daher, gleich +Wägen, die Steine abwärts fahren: die reden viel von Würde und Tugend, +- ihren Hemmschuh heissen sie Tugend! + +Und Andre giebt es, die sind gleich Alltags-Uhren, die aufgezogen +wurden; sie machen ihr Tiktak und wollen, dass man Tiktak - Tugend +heisse. + +Wahrlich, an Diesen habe ich meine Lust: wo ich solche Uhren finde, +werde ich sie mit meinem Spotte aufziehn; und sie sollen mir dabei +noch schnurren! + +Und Andre sind stolz über ihre Handvoll Gerechtigkeit und begehen +um ihrerwillen Frevel an allen Dingen: also dass die Welt in ihrer +Ungerechtigkeit ertränkt wird. + +Ach, wie übel ihnen das Wort "Tugend" aus dem Munde läuft! Und wenn +sie sagen: "ich bin gerecht," so klingt es immer gleich wie: "ich bin +gerächt!" + +Mit ihrer Tugend wollen sie ihren Feinden die Augen auskratzen; und +sie erheben sich nur, um Andre zu erniedrigen. + +Und wiederum giebt es Solche, die sitzen in ihrem Sumpfe und reden +also heraus aus dem Schilfrohr: "Tugend - das ist still im Sumpfe +sitzen. + +Wir beissen Niemanden und gehen Dem aus dem Wege, der beissen will; +und in Allem haben wir die Meinung, die man uns giebt." + +Und wiederum giebt es Solche, die lieben Gebärden und denken: Tugend +ist eine Art Gebärde. + +Ihre Kniee beten immer an, und ihre Hände sind Lobpreisungen der +Tugend, aber ihr Herz weiss Nichts davon. + +Und wiederum giebt es Solche, die halten es für Tugend, zu sagen: +"Tugend ist nothwendig"; aber sie glauben im Grunde nur daran, dass +Polizei nothwendig ist. + +Und Mancher, der das Hohe an den Menschen nicht sehen kann, nennt es +Tugend, dass er ihr Niedriges allzunahe sieht: also heisst er seinen +bösen Blick Tugend. + +Und Einige wollen erbaut und aufgerichtet sein und heissen es Tugend; +und Andre wollen umgeworfen sein - und heissen es auch Tugend. + +Und derart glauben fast Alle daran, Antheil zu haben an der Tugend; +und zum Mindesten will ein jeder Kenner sein über "gut" und "böse". + +Aber nicht dazu kam Zarathustra, allen diesen Lügnern und Narren zu +sagen: "was wisst _ihr_ von Tugend! Was _könntet_ ihr von Tugend +wissen!" - + +Sondern, dass ihr, meine Freunde, der alten Worte müde würdet, welche +ihr von den Narren und Lügnern gelernt habt: + +Müde würdet der Worte "Lohn," "Vergeltung," "Strafe," "Rache in der +Gerechtigkeit" - + +Müde würdet zu sagen: "dass eine Handlung gut ist, das macht, sie ist +selbstlos." + +Ach, meine Freunde! Dass _euer_ Selbst in der Handlung sei, wie die +Mutter im Kinde ist: das sei mir _euer_ Wort von Tugend! + +Wahrlich, ich nahm euch wohl hundert Worte und eurer Tugend liebste +Spielwerke; und nun zürnt ihr mir, wie Kinder zürnen. + +Sie spielten am Meere, - da kam die Welle und riss ihnen ihr Spielwerk +in die Tiefe: nun weinen sie. + +Aber die selbe Welle soll ihnen neue Spielwerke bringen und neue bunte +Muscheln vor sie hin ausschütten! + +So werden sie getröstet sein; und gleich ihnen sollt auch ihr, meine +Freunde, eure Tröstungen haben - und neue bunte Muscheln! - + +Also sprach Zarathustra. + + + +Vom Gesindel + +Das Leben ist ein Born der Lust; aber wo das Gesindel mit trinkt, da +sind alle Brunnen vergiftet. + +Allem Reinlichen bin ich hold; aber ich mag die grinsenden Mäuler +nicht sehn und den Durst der Unreinen. + +Sie warfen ihr Auge hinab in den Brunnen: nun glänzt mir ihr widriges +Lächeln herauf aus dem Brunnen. + +Das heilige Wasser haben sie vergiftet mit ihrer Lüsternheit; und als +sie ihre schmutzigen Träume Lust nannten, vergifteten sie auch noch +die Worte. + +Unwillig wird die Flamme, wenn sie ihre feuchten Herzen an's Feuer +legen; der Geist selber brodelt und raucht, wo das Gesindel an's Feuer +tritt. + +Süsslich und übermürbe wird in ihrer Hand die Frucht: windfällig und +wipfeldürr macht ihr Blick den Fruchtbaum. + +Und Mancher, der sich vom Leben abkehrte, kehrte sich nur vom Gesindel +ab: er wollte nicht Brunnen und Flamme und Frucht mit dem Gesindel +theilen. + +Und Mancher, der in die Wüste gieng und mit Raubthieren Durst litt, +wollte nur nicht mit schmutzigen Kameeltreibern um die Cisterne +sitzen. + +Und Mancher, der wie ein Vernichter daher kam und wie ein Hagelschlag +allen Fruchtfeldern, wollte nur seinen Fuss dem Gesindel in den Rachen +setzen und also seinen Schlund stopfen. + +Und nicht das ist der Bissen, an dem ich am meisten würgte, zu +wissen, dass das Leben selber Feindschaft nöthig hat und Sterben und +Marterkreuze: - + +Sondern ich fragte einst und erstickte fast an meiner Frage: wie? hat +das Leben auch das Gesindel _nöthig_? + +Sind vergiftete Brunnen nöthig und stinkende Feuer und beschmutzte +Träume und Maden im Lebensbrode? + +Nicht mein Hass, sondern mein Ekel frass mir hungrig am Leben! Ach, +des Geistes wurde ich oft müde, als ich auch das Gesindel geistreich +fand! + +Und den Herrschenden wandt'ich den Rücken, als ich sah, was sie jetzt +Herrschen nennen: schachern und markten um Macht - mit dem Gesindel! + +Unter Völkern wohnte ich fremder Zunge, mit verschlossenen Ohren: dass +mir ihres Schacherns Zunge fremd bliebe und ihr Markten um Macht. + +Und die Nase mir haltend, gieng ich unmuthig durch alles Gestern +und Heute: wahrlich, übel riecht alles Gestern und Heute nach dem +schreibenden Gesindel! + +Einem Krüppel gleich, der taub und blind und stumm wurde: also lebte +ich lange, dass ich nicht mit Macht- und Schreib- und Lust-Gesindel +lebte. + +Mühsam stieg mein Geist Treppen, und vorsichtig; Almosen der Lust +waren sein Labsal; am Stabe schlich dem Blinden das Leben. + +Was geschah mir doch? Wie erlöste ich mich vom Ekel? Wer verjüngte +mein Auge? Wie erflog ich die Höhe, wo kein Gesindel mehr am Brunnen +sitzt? + +Schuf mein Ekel selber mir Flügel und quellenahnende Kräfte? +Wahrlich, in's Höchste musste ich fliegen, dass ich den Born der Lust +wiederfände! + +Oh, ich fand ihn, meine Brüder! Hier im Höchsten quillt mir der Born +der Lust! Und es giebt ein Leben, an dem kein Gesindel mit trinkt! + +Fast zu heftig strömst du mir, Quell der Lust! Und oft leerst du den +Becher wieder, dadurch dass du ihn füllen willst! + +Und noch muss ich lernen, bescheidener dir zu nahen: allzuheftig +strömt dir noch mein Herz entgegen: - + +Mein Herz, auf dem mein Sommer brennt, der kurze, heisse, +schwermüthige, überselige: wie verlangt mein Sommer-Herz nach deiner +Kühle! + +Vorbei die zögernde Trübsal meines Frühlings! Vorüber die Bosheit +meiner Schneeflocken im Juni! Sommer wurde ich ganz und Sommer-Mittag! + +Ein Sommer im Höchsten mit kalten Quellen und seliger Stille: oh +kommt, meine Freunde, dass die Stille noch seliger werde! Denn diess +ist _unsre_ Höhe und unsre Heimat: zu hoch und steil wohnen wir hier +allen Unreinen und ihrem Durste. Werft nur eure reinen Augen in den +Born meiner Lust, ihr Freunde! Wie sollte er darob trübe werden! +Entgegenlachen soll er euch mit _seiner_ Reinheit. + +Auf dem Baume Zukunft bauen wir unser Nest; Adler sollen uns Einsamen +Speise bringen in ihren Schnäbeln! + +Wahrlich, keine Speise, an der Unsaubere mitessen dürften! Feuer +würden sie zu fressen wähnen und sich die Mäuler verbrennen! + +Wahrlich, keine Heimstätten halten wir hier bereit für Unsaubere! +Eishöhle würde ihren Leibern unser Glück heissen und ihren Geistern! + +Und wie starke Winde wollen wir über ihnen leben, Nachbarn den Adlern, +Nachbarn dem Schnee, Nachbarn der Sonne: also leben starke Winde. + +Und einem Winde gleich will ich einst noch zwischen sie blasen und mit +meinem Geiste ihrem Geiste den Athem nehmen: so will es meine Zukunft. + +Wahrlich, ein starker Wind ist Zarathustra allen Niederungen; und +solchen Rath räth er seinen Feinden und Allem, was spuckt und speit: +hütet euch _gegen_ den Wind zu speien! + +Also sprach Zarathustra. + + + +Von den Taranteln + +Siehe, das ist der Tarantel Höhle! Willst du sie selber sehn? Hier +hängt ihr Netz: rühre daran, dass es erzittert. + +Da kommt sie willig: willkommen, Tarantel! Schwarz sitzt auf deinem +Rücken dein Dreieck und Wahrzeichen; und ich weiss auch, was in deiner +Seele sitzt. + +Rache sitzt in deiner Seele: wohin du beissest, da wächst schwarzer +Schorf; mit Rache macht dein Gift die Seele drehend! + +Also rede ich zu euch im Gleichniss, die ihr die Seelen drehend macht, +ihr Prediger der _Gleichheit_! Taranteln seid ihr mir und versteckte +Rachsüchtige! + +Aber ich will eure Verstecke schon an's Licht bringen: darum lache ich +euch in's Antlitz mein Gelächter der Höhe. + +Darum reisse ich an eurem Netze, dass eure Wuth euch aus eurer +Lügen-Höhle locke, und eure Rache hervorspringe hinter eurem Wort +"Gerechtigkeit." + +Denn dass der Mensch erlöst werde von der Rache: das ist mir die +Brücke zur höchsten Hoffnung und ein Regenbogen nach langen Unwettern. + +Aber anders wollen es freilich die Taranteln. "Das gerade heisse uns +Gerechtigkeit, dass die Welt voll werde von den Unwettern unsrer +Rache" - also reden sie mit einander. + +"Rache wollen wir üben und Beschimpfung an Allen, die uns nicht gleich +sind" - so geloben sich die Tarantel-Herzen. + +"Und `Wille zur Gleichheit` - das selber soll fürderhin der Name +für Tugend werden; und gegen Alles, was Macht hat, wollen wir unser +Geschrei erheben!" + +Ihr Prediger der Gleichheit, der Tyrannen-Wahnsinn der Ohnmacht +schreit also aus euch nach "Gleichheit": eure heimlichsten +Tyrannen-Gelüste vermummen sich also in Tugend-Worte! + +Vergrämter Dünkel, verhaltener Neid, vielleicht eurer Väter Dünkel und +Neid: aus euch bricht's als Flamme heraus und Wahnsinn der Rache. + +Was der Vater schwieg, das kommt im Sohne zum Reden; und oft fand ich +den Sohn als des Vaters entblösstes Geheimniss. + +Den Begeisterten gleichen sie: aber nicht das Herz ist es, was sie +begeistert, - sondern die Rache. Und wenn sie fein und kalt werden, +ist's nicht der Geist, sondern der Neid, der sie fein und kalt macht. + +Ihre Eifersucht führt sie auch auf der Denker Pfade; und diess ist das +Merkmal ihrer Eifersucht - immer gehn sie zu weit: dass ihre Müdigkeit +sich zuletzt noch auf Schnee schlafen legen muss. + +Aus jeder ihrer Klagen tönt Rache, in jedem ihrer Lobsprüche ist ein +Wehethun; und Richter-sein scheint ihnen Seligkeit. + +Also aber rathe ich euch, meine Freunde: misstraut Allen, in welchen +der Trieb, zu strafen, mächtig ist! + +Das ist Volk schlechter Art und Abkunft; aus ihren Gesichtern blickt +der Henker und der Spürhund. + +Misstraut allen Denen, die viel von ihrer Gerechtigkeit reden! +Wahrlich, ihren Seelen fehlt es nicht nur an Honig. + +Und wenn sie sich selber "die Guten und Gerechten" nennen, so vergesst +nicht, dass ihnen zum Pharisäer Nichts fehlt als - Macht! + +Meine Freunde, ich will nicht vermischt und verwechselt werden. + +Es giebt Solche, die predigen meine Lehre vom Leben: und zugleich sind +sie Prediger der Gleichheit und Taranteln. + +Dass sie dem Leben zu Willen reden, ob sie gleich in ihrer Höhle +sitzen, diese Gift-Spinnen, und abgekehrt vom Leben: das macht, sie +wollen damit wehethun. + +Solchen wollen sie damit wehethun, die jetzt die Macht haben: denn bei +diesen ist noch die Predigt vom Tode am besten zu Hause. + +Wäre es anders, so würden die Taranteln anders lehren: und gerade sie +waren ehemals die besten Welt-Verleumder und Ketzer-Brenner. + +Mit diesen Predigern der Gleichheit will ich nicht vermischt und +verwechselt sein. Denn so redet _mir_ die Gerechtigkeit: "die Menschen +sind nicht gleich." + +Und sie sollen es auch nicht werden! Was wäre denn meine Liebe zum +Übermenschen, wenn ich anders spräche? + +Auf tausend Brücken und Stegen sollen sie sich drängen zur Zukunft, +und immer mehr Krieg und Ungleichheit soll zwischen sie gesetzt sein: +so lässt mich meine grosse Liebe reden! + +Erfinder von Bildern und Gespenstern sollen sie werden in ihren +Feindschaften, und mit ihren Bildern und Gespenstern sollen sie noch +gegeneinander den höchsten Kampf kämpfen! + +Gut und Böse, und Reich und Arm, und Hoch und Gering, und alle Namen +der Werthe: Waffen sollen es sein und klirrende Merkmale davon, dass +das Leben sich immer wieder selber überwinden muss! + +In die Höhe will es sich bauen mit Pfeilern und Stufen, das Leben +selber: in weite Fernen will es blicken und hinaus nach seligen +Schönheiten, - _darum_ braucht es Höhe! + +Und weil es Höhe braucht, braucht es Stufen und Widerspruch der Stufen +und Steigenden! Steigen will das Leben und steigend sich überwinden. + +Und seht mir doch, meine Freunde! Hier, wo der Tarantel Höhle ist, +heben sich eines alten Tempels Trümmer aufwärts, - seht mir doch mit +erleuchteten Augen hin! + +Wahrlich, wer hier einst seine Gedanken in Stein nach Oben thürmte, um +das Geheimniss alles Lebens wusste er gleich dem Weisesten! + +Dass Kampf und Ungleiches auch noch in der Schönheit sei und Krieg um +Macht und Übermacht: das lehrt er uns hier im deutlichsten Gleichniss. + +Wie sich göttlich hier Gewölbe und Bogen brechen, im Ringkampfe: +wie mit Licht und Schatten sie wider einander streben, die +göttlich-Strebenden - + +Also sicher und schön lasst uns auch Feinde sein, meine Freunde! +Göttlich wollen wir _wider_ einander streben! - + +Wehe! Da biss mich selber die Tarantel, meine alte Feindin! Göttlich +sicher und schön biss sie mich in den Finger! + +"Strafe muss sein und Gerechtigkeit - so denkt sie: nicht umsonst soll +er hier der Feindschaft zu Ehren Lieder singen!" + +Ja, sie hat sich gerächt! Und wehe! nun wird sie mit Rache auch noch +meine Seele drehend machen! + +Dass ich mich aber _nicht_ drehe, meine Freunde, bindet mich fest hier +an diese Säule! Lieber noch Säulen-Heiliger will ich sein, als Wirbel +der Rachsucht! + +Wahrlich, kein Dreh- und Wirbelwind ist Zarathustra; und wenn er ein +Tänzer ist, nimmermehr doch ein Tarantel-Tänzer! - + +Also sprach Zarathustra. + + + +Von den berühmten Weisen + +Dem Volke habt ihr gedient und des Volkes Aberglauben, ihr berühmten +Weisen alle! - und _nicht_ der Wahrheit! Und gerade darum zollte man +euch Ehrfurcht. + +Und darum auch ertrug man euren Unglauben, weil er ein Witz und Umweg +war zum Volke. So lässt der Herr seine Sclaven gewähren und ergötzt +sich noch an ihrem Übermuthe. + +Aber wer dem Volke verhasst ist wie ein Wolf den Hunden: das ist der +freie Geist, der Fessel-Feind, der Nicht-Anbeter, der in Wäldern +Hausende. + +Ihn zu jagen aus seinem Schlupfe - das hiess immer dem Volke "Sinn +für das Rechte": gegen ihn hetzt es noch immer seine scharfzahnigsten +Hunde. + +"Denn die Wahrheit ist da: ist das Volk doch da! Wehe, wehe den +Suchenden!" - also scholl es von jeher. + +Eurem Volke wolltet ihr Recht schaffen in seiner Verehrung: das +hiesset ihr "Wille zur Wahrheit," ihr berühmten Weisen! + +Und euer Herz sprach immer zu sich: "vom Volke kam ich: von dort her +kam mir auch Gottes Stimme." + +Hart-nackig und klug, dem Esel gleich, wart ihr immer als des Volkes +Fürsprecher. + +Und mancher Mächtige, der gut fahren wollte mit dem Volke, spannte vor +seine Rosse noch - ein Eselein, einen berühmten Weisen. + +Und nun wollte ich, ihr berühmten Weisen, ihr würfet endlich das Fell +des Löwen ganz von euch! + +Das Fell des Raubthiers, das buntgefleckte, und die Zotten des +Forschenden, Suchenden, Erobernden! + +Ach, dass ich an eure "Wahrhaftigkeit" glauben lerne, dazu müsstet ihr +mir erst euren verehrenden Willen zerbrechen. + +Wahrhaftig - so heisse ich Den, der in götterlose Wüsten geht und sein +verehrendes Herz zerbrochen hat. + +Im gelben Sande und verbrannt von der Sonne schielt er wohl durstig +nach den quellenreichen Eilanden, wo Lebendiges unter dunkeln Bäumen +ruht. + +Aber sein Durst überredet ihn nicht, diesen Behaglichen gleich zu +werden: denn wo Oasen sind, da sind auch Götzenbilder. + +Hungernd, gewaltthätig, einsam, gottlos: so will sich selber der +Löwen-Wille. + +Frei von dem Glück der Knechte, erlöst von Göttern und Anbetungen, +furchtlos und fürchterlich, gross und einsam: so ist der Wille des +Wahrhaftigen. + +In der Wüste wohnten von je die Wahrhaftigen, die freien Geister, +als der Wüste Herren; aber in den Städten wohnen die gutgefütterten, +berühmten Weisen, - die Zugthiere. + +Immer nämlich ziehen sie, als Esel - des _Volkes_ Karren! + +Nicht dass ich ihnen darob zürne: aber Dienende bleiben sie mir und +Angeschirrte, auch wenn sie von goldnem Geschirre glänzen. + +Und oft waren sie gute Diener und preiswürdige. Denn so spricht die +Tugend: musst du Diener sein, so suche Den, welchem dein Dienst am +besten nützt! + +"Der Geist und die Tugend deines Herrn sollen wachsen, dadurch dass du +sein Diener bist: so wächsest du selber mit seinem Geiste und seiner +Tugend!" + +Und wahrlich, ihr berühmten Weisen, ihr Diener des Volkes! Ihr selber +wuchset mit des Volkes Geist und Tugend - und das Volk durch euch! Zu +euren Ehren sage ich das! + +Aber Volk bleibt ihr mir auch noch in euren Tugenden, Volk mit blöden +Augen, - Volk, das nicht weiss, was _Geist_ ist! + +Geist ist das Leben, das selber in's Leben schneidet: an der eignen +Qual mehrt es sich das eigne Wissen, - wusstet ihr das schon? + +Und des Geistes Glück ist diess: gesalbt zu sein und durch Thränen +geweiht zum Opferthier, - wusstet ihr das schon? + +Und die Blindheit des Blinden und sein Suchen und Tappen soll noch +von der Macht der Sonne zeugen, in die er schaute, - wusstet ihr das +schon? + +Und mit Bergen soll der Erkennende _bauen_ lernen! Wenig ist es, dass +der Geist Berge versetzt, - wusstet ihr das schon? + +Ihr kennt nur des Geistes Funken: aber ihr seht den Ambos nicht, der +er ist, und nicht die Grausamkeit seines Hammers! + +Wahrlich, ihr kennt des Geistes Stolz nicht! Aber noch weniger würdet +ihr des Geistes Bescheidenheit ertragen, wenn sie einmal reden wollte! + +Und niemals noch durftet ihr euren Geist in eine Grube von Schnee +werfen: ihr seid nicht heiss genug dazu! So kennt ihr auch die +Entzückungen seiner Kälte nicht. + +In Allem aber thut ihr mir zu vertraulich mit dem Geiste; und aus der +Weisheit machtet ihr oft ein Armen- und Krankenhaus für schlechte +Dichter. + +Ihr seid keine Adler: so erfuhrt ihr auch das Glück im Schrecken des +Geistes nicht. Und wer kein Vogel ist, soll sich nicht über Abgründen +lagern. + +Ihr seid mir Laue: aber kalt strömt jede tiefe Erkenntniss. Eiskalt +sind die innersten Brunnen des Geistes: ein Labsal heissen Händen und +Handelnden. + +Ehrbar steht ihr mir da und steif und mit geradem Rücken, ihr +berühmten Weisen! - euch treibt kein starker Wind und Wille. + +Saht ihr nie ein Segel über das Meer gehn, geründet und gebläht und +zitternd vor dem Ungestüm des Windes? + +Dem Segel gleich, zitternd vor dem Ungestüm des Geistes, geht meine +Weisheit über das Meer - meine wilde Weisheit! + +Aber ihr Diener des Volkes, ihr berühmten Weisen, - wie _könntet_ ihr +mit mir gehn! - + +Also sprach Zarathustra. + + + +Das Nachtlied + +Nacht ist es: nun reden lauter alle springenden Brunnen. Und auch +meine Seele ist ein springender Brunnen. + +Nacht ist es: nun erst erwachen alle Lieder der Liebenden. Und auch +meine Seele ist das Lied eines Liebenden. + +Ein Ungestilltes, Unstillbares ist in mir; das will laut werden. Eine +Begierde nach Liebe ist in mir, die redet selber die Sprache der +Liebe. + +Licht bin ich: ach, dass ich Nacht wäre! Aber diess ist meine +Einsamkeit, dass ich von Licht umgürtet bin. + +Ach, dass ich dunkel wäre und nächtig! Wie wollte ich an den Brüsten +des Lichts saugen! + +Und euch selber wollte ich noch segnen, ihr kleinen Funkelsterne und +Leuchtwürmer droben! - und selig sein ob eurer Licht-Geschenke. + +Aber ich lebe in meinem eignen Lichte, ich trinke die Flammen in mich +zurück, die aus mir brechen. + +Ich kenne das Glück des Nehmenden nicht; und oft träumte mir davon, +dass Stehlen noch seliger sein müsse, als Nehmen. + +Das ist meine Armuth, dass meine Hand niemals ausruht vom Schenken; +das ist mein Neid, dass ich wartende Augen sehe und die erhellten +Nächte der Sehnsucht. + +Oh Unseligkeit aller Schenkenden! Oh Verfinsterung meiner Sonne! Oh +Begierde nach Begehren! Oh Heisshunger in der Sättigung! + +Sie nehmen von mir: aber rühre ich noch an ihre Seele? Eine Kluft ist +zwischen Geben und Nehmen; und die kleinste Kluft ist am letzten zu +überbrücken. + +Ein Hunger wächst aus meiner Schönheit: wehethun möchte ich Denen, +welchen ich leuchte, berauben möchte ich meine Beschenkten: - also +hungere ich nach Bosheit. + +Die Hand zurückziehend, wenn sich schon ihr die Hand entgegenstreckt; +dem Wasserfälle gleich zögernd, der noch im Sturze zögert: - also +hungere ich nach Bosheit. + +Solche Rache sinnt meine Fülle aus; solche Tücke quillt aus meiner +Einsamkeit. + +Mein Glück im Schenken erstarb im Schenken, meine Tugend wurde ihrer +selber müde an ihrem Überflusse! + +Wer immer schenkt, dessen Gefahr ist, dass er die Scham verliere; +wer immer austheilt, dessen Hand und Herz hat Schwielen vor lauter +Austheilen. + +Mein Auge quillt nicht mehr über vor der Scham der Bittenden; meine +Hand wurde zu hart für das Zittern gefüllter Hände. + +Wohin kam die Thräne meinem Auge und der Flaum meinem Herzen? Oh +Einsamkeit aller Schenkenden! Oh Schweigsamkeit aller Leuchtenden! + +Viel Sonnen kreisen im öden Räume: zu Allem, was dunkel ist, reden sie +mit ihrem Lichte, - mir schweigen sie. + +Oh diess ist die Feindschaft des Lichts gegen Leuchtendes, +erbarmungslos wandelt es seine Bahnen. + +Unbillig gegen Leuchtendes im tiefsten Herzen: kalt gegen Sonnen, - +also wandelt jede Sonne. + +Einem Sturme gleich fliegen die Sonnen ihre Bahnen, das ist ihr +Wandeln. Ihrem unerbittlichen Willen folgen sie, das ist ihre Kälte. + +Oh, ihr erst seid es, ihr Dunklen, ihr Nächtigen, die ihr Wärme +schafft aus Leuchtendem! Oh, ihr erst trinkt euch Milch und Labsal aus +des Lichtes Eutern! + +Ach, Eis ist um mich, meine Hand verbrennt sich an Eisigem! Ach, Durst +ist in mir, der schmachtet nach eurem Durste! + +Nacht ist es: ach dass ich Licht sein muss! Und Durst nach Nächtigem! +Und Einsamkeit! + +Nacht ist es: nun bricht wie ein Born aus mir mein Verlangen, - nach +Rede verlangt mich. + +Nacht ist es: nun reden lauter alle springenden Brunnen. Und auch +meine Seele ist ein springender Brunnen. + +Nacht ist es: nun erst erwachen alle Lieder der Liebenden. Und auch +meine Seele ist das Lied eines Liebenden. - + +Also sang Zarathustra. + + + +Das Tanzlied + +Eines Abends gieng Zarathustra mit seinen Jüngern durch den Wald; und +als er nach einem Brunnen suchte, siehe, da kam er auf eine grüne +Wiese, die von Bäumen und Gebüsch still umstanden war: auf der tanzten +Mädchen mit einander. Sobald die Mädchen Zarathustra erkannten, +liessen sie vom Tanze ab; Zarathustra aber trat mit freundlicher +Gebärde zu ihnen und sprach diese Worte: + +"Lasst vom Tanze nicht ab, ihr lieblichen Mädchen! Kein Spielverderber +kam zu euch mit bösem Blick, kein Mädchen-Feind. + +Gottes Fürsprecher bin ich vor dem Teufel: der aber ist der Geist der +Schwere. Wie sollte ich, ihr Leichten, göttlichen Tänzen feind sein? +Oder Mädchen-Füssen mit schönen Knöcheln? + +Wohl bin ich ein Wald und eine Nacht dunkler Bäume: doch wer sich vor +meinem Dunkel nicht scheut, der findet auch Rosenhänge unter meinen +Cypressen. + +Und auch den kleinen Gott findet er wohl, der den Mädchen der liebste +ist: neben dem Brunnen liegt er, still, mit geschlossenen Augen. + +Wahrlich, am hellen Tage schlief er mir ein, der Tagedieb! Haschte er +wohl zu viel nach Schmetterlingen? + +Zürnt mir nicht, ihr schönen Tanzenden, wenn ich den kleinen Gott ein +Wenig züchtige! Schreien wird er wohl und weinen, - aber zum Lachen +ist er noch im Weinen! + +Und mit Thränen im Auge soll er euch um einen Tanz bitten; und ich +selber will ein Lied zu seinem Tanze singen: + +Ein Tanz- und Spottlied auf den Geist der Schwere, meinen +allerhöchsten grossmächtigsten Teufel, von dem sie sagen, dass er `der +Herr der Welt` sei." - + +Und diess ist das Lied, welches Zarathustra sang, als Cupido und die +Mädchen zusammen tanzten. + +In dein Auge schaute ich jüngst, oh Leben! Und in's Unergründliche +schien ich mir da zu sinken. + +Aber du zogst mich mit goldner Angel heraus; spöttisch lachtest du, +als ich dich unergründlich nannte. + +"So geht die Rede aller Fische, sprachst du; was _sie_ nicht +ergründen, ist unergründlich. + +Aber veränderlich bin ich nur und wild und in Allem ein Weib, und kein +tugendhaftes: + +Ob ich schon euch Männern `die Tiefe` heisse oder `die Treue`, `die +Ewige`, `die Geheimnissvolle.` - + +Doch ihr Männer beschenkt uns stets mit den eignen Tugenden - ach, ihr +Tugendhaften!" + +Also lachte sie, die Unglaubliche; aber ich glaube ihr niemals und +ihrem Lachen, wenn sie bös von sich selber spricht. + +Und als ich unter vier Augen mit meiner wilden Weisheit redete, sagte +sie mir zornig: "Du willst, du begehrst, du liebst, darum allein +_lobst_ du das Leben!" + +Fast hätte ich da bös geantwortet und der Zornigen die Wahrheit +gesagt; und man kann nicht böser antworten, als wenn man seiner +Weisheit "die Wahrheit sagt." + +So nämlich steht es zwischen uns Dreien. Von Grund aus liebe ich nur +das Leben - und, wahrlich, am meisten dann, wenn ich es hasse! + +Dass ich aber der Weisheit gut bin und oft zu gut: das macht, sie +erinnert mich gar sehr an das Leben! + +Sie hat ihr Auge, ihr Lachen und sogar ihr goldnes Angelrüthchen: was +kann ich dafür, dass die Beiden sich so ähnlich sehen? + +Und als mich einmal das Leben fragte: Wer ist denn das, die Weisheit? +- da sagte ich eifrig: "Ach ja! die Weisheit! + +Man dürstet um sie und wird nicht satt, man blickt durch Schleier, man +hascht durch Netze. + +Ist sie schön? Was weiss ich! Aber die ältesten Karpfen werden noch +mit ihr geködert. + +Veränderlich ist sie und trotzig; oft sah ich sie sich die Lippe +beissen und den Kamm wider ihres Haares Strich führen. + +Vielleicht ist sie böse und falsch, und in Allem ein Frauenzimmer; +aber wenn sie von sich selber schlecht spricht, da gerade verführt sie +am meisten." + +Als ich diess zu dem Leben sagte, da lachte es boshaft und machte die +Augen zu. "Von wem redest du doch? sagte sie, wohl von mir? + +Und wenn du Recht hättest, - sagt man _das_ mir so in's Gesicht! Aber +nun sprich doch auch von deiner Weisheit!" + +Ach, und nun machtest du wieder dein Auge auf, oh geliebtes Leben! Und +in's Unergründliche schien ich mir wieder zu sinken. - + +Also sang Zarathustra. Als aber der Tanz zu Ende und die Mädchen +fortgegangen waren, wurde er traurig. + +"Die Sonne ist lange schon hinunter, sagte er endlich; die Wiese ist +feucht, von den Wäldern her kommt Kühle. + +Ein Unbekanntes ist um mich und blickt nachdenklich. Was! Du lebst +noch, Zarathustra? + +Warum? Wofür? Wodurch? Wohin? Wo? Wie? Ist es nicht Thorheit, noch zu +leben? - + +Ach, meine Freunde, der Abend ist es, der so aus mir fragt. Vergebt +mir meine Traurigkeit! + +Abend ward es: vergebt mir, dass es Abend ward!" + +Also sprach Zarathustra. + + + +Das Grablied + +"Dort ist die Gräberinsel, die schweigsame; dort sind auch die Gräber +meiner Jugend. Dahin will ich einen immergrünen Kranz des Lebens +tragen." + +Also im Herzen beschliessend fuhr ich über das Meer. - + +Oh ihr, meiner Jugend Gesichte und Erscheinungen! Oh, ihr Blicke der +Liebe alle, ihr göttlichen Augenblicke! Wie starbt ihr mir so schnell! +Ich gedenke eurer heute wie meiner Todten. + +Von euch her, meinen liebsten Todten, kommt mir ein süsser Geruch, ein +herz- und thränenlösender. Wahrlich, er erschüttert und löst das Herz +dem einsam Schiffenden. + +Immer noch bin ich der Reichste und Bestzubeneidende - ich der +Einsamste! Denn ich _hatte_ euch doch, und ihr habt mich noch: sagt, +wem fielen, wie mir, solche Rosenäpfel vom Baume? + +Immer noch bin ich eurer Liebe Erbe und Erdreich, blühend zu eurem +Gedächtnisse von bunten wildwachsenen Tugenden, oh ihr Geliebtesten! + +Ach, wir waren gemacht, einander nahe zu bleiben, ihr holden fremden +Wunder; und nicht schüchternen Vögeln gleich kamt ihr zu mir und +meiner Begierde - nein, als Trauende zu dem Trauenden! + +Ja, zur Treue gemacht, gleich mir, und zu zärtlichen Ewigkeiten: muss +ich nun euch nach eurer Untreue heissen, ihr göttlichen Blicke und +Augenblicke: keinen andern Namen lernte ich noch. + +Wahrlich, zu schnell starbt ihr mir, ihr Flüchtlinge. Doch floht ihr +mich nicht, noch floh ich euch: unschuldig sind wir einander in unsrer +Untreue. + +_Mich_ zu tödten, erwürgte man euch, ihr Singvögel meiner Hoffnungen! +Ja, nach euch, ihr Liebsten, schoss immer die Bosheit Pfeile - mein +Herz zu treffen! + +Und sie traf! Wart ihr doch stets mein Herzlichstes, mein Besitz und +mein Besessen-sein: _darum_ musstet ihr jung sterben und allzu frühe! + +Nach dem Verwundbarsten, das ich besass, schoss man den Pfeil: das +waret ihr, denen die Haut einem Flaume gleich ist und mehr noch dem +Lächeln, das an einem Blick erstirbt! + +Aber diess Wort will ich zu meinen Feinden reden: was ist alles +Menschen-Morden gegen Das, was ihr mir thatet! + +Böseres thatet ihr mir, als aller Menschen-Mord ist; +Unwiederbringliches nahmt ihr mir: - also rede ich zu euch, meine +Feinde! + +Mordetet ihr doch meiner Jugend Gesichte und liebste Wunder! Meine +Gespielen nahmt ihr mir, die seligen Geister! Ihrem Gedächtnisse lege +ich diesen Kranz und diesen Fluch nieder. + +Diesen Fluch gegen euch, meine Feinde! Machtet ihr doch mein Ewiges +kurz, wie ein Ton zerbricht in kalter Nacht! Kaum als Aufblinken +göttlicher Augen kam es mir nur, - als Augenblick! + +Also sprach zur guten Stunde einst meine Reinheit: "göttlich sollen +mir alle Wesen sein." + +Da überfielt ihr mich mit schmutzigen Gespenstern; ach, wohin floh nun +jene gute Stunde! + +"Alle Tage sollen mir heilig sein" - so redete einst die Weisheit +meiner Jugend: wahrlich, einer fröhlichen Weisheit Rede! + +Aber da stahlt ihr Feinde mir meine Nächte und verkauftet sie zu +schlafloser Qual: ach, wohin floh nun jene fröhliche Weisheit? + +Einst begehrte ich nach glücklichen Vogelzeichen: da führtet ihr mir +ein Eulen-Unthier über den Weg, ein widriges. Ach, wohin floh da meine +zärtliche Begierde? + +Allem Ekel gelobte ich einst zu entsagen: da verwandeltet ihr meine +Nahen und Nächsten in Eiterbeulen. Ach, wohin floh da mein edelstes +Gelöbniss? + +Als Blinder gieng ich einst selige Wege: da warft ihr Unflath auf den +Weg des Blinden: und nun ekelte ihn des alten Blinden-Fusssteigs. + +Und als ich mein Schwerstes that und meiner Überwindungen Sieg +feierte: da machtet ihr Die, welche mich liebten, schrein, ich thue +ihnen am wehesten. + +Wahrlich, das war immer euer Thun: ihr vergälltet mir meinen besten +Honig und den Fleiss meiner besten Bienen. + +Meiner Mildthätigkeit sandtet ihr immer die frechsten Bettler zu; +um mein Mitleiden drängtet ihr immer die unheilbar Schamlosen. So +verwundetet ihr meine Tugend in ihrem Glauben. + +Und legte ich noch mein Heiligstes zum Opfer hin: flugs stellte eure +"Frömmigkeit" ihre fetteren Gaben dazu: also dass im Dampfe eures +Fettes noch mein Heiligstes erstickte. + +Und einst wollte ich tanzen, wie nie ich noch tanzte: über alle Himmel +weg wollte ich tanzen. Da überredetet ihr meinen liebsten Sänger. + +Und nun stimmte er eine schaurige dumpfe Weise an; ach, er tutete mir, +wie ein düsteres Horn, zu Ohren! + +Mörderischer Sänger, Werkzeug der Bosheit, Unschuldigster! Schon stand +ich bereit zum besten Tanze: da mordetest du mit deinen Tönen meine +Verzückung! + +Nur im Tanze weiss ich der höchsten Dinge Gleichniss zu reden: - und +nun blieb mir mein höchstes Gleichniss ungeredet in einen Gliedern! + +Ungeredet und unerlöst blieb mir die höchste Hoffnung! Und es starben +mir alle Gesichte und Tröstungen meiner Jugend! + +Wie ertrug ich's nur? Wie verwand und überwand ich solche Wunden? Wie +erstand meine Seele wieder aus diesen Gräbern? + +Ja, ein Unverwundbares, Unbegrabbares ist an mir, ein +Felsensprengendes: das heisst _mein_Wille_. Schweigsam schreitet es +und unverändert durch die Jahre. + +Seinen Gang will er gehn auf meinen Füssen, mein alter Wille; +herzenshart ist ihm der Sinn und unverwundbar. + +Unverwundbar bin ich allein an meiner Ferse. Immer noch lebst du da +und bist dir gleich, Geduldigster! Immer noch brachst du dich durch +alle Gräber! + +In dir lebt auch noch das Unerlöste meiner Jugend; und als Leben und +Jugend sitzest du hoffend hier auf gelben Grab-Trümmern. + +Ja, noch bist du mir aller Gräber Zertrümmerer: Heil dir, mein Wille! +Und nur wo Gräber sind, giebt es Auferstehungen. - + +Also sang Zarathustra. - + + + +Von der Selbst-Überwindung + +"Wille zur Wahrheit" heisst ihr's, ihr Weisesten, was euch treibt und +brünstig macht? + +Wille zur Denkbarkeit alles Seienden: also heisse _ich_ euren Willen! + +Alles Seiende wollt ihr erst denkbar _machen_: denn ihr zweifelt mit +gutem Misstrauen, ob es schon denkbar ist. + +Aber es soll sich euch fügen und biegen! So will's euer Wille. +Glatt soll es werden und dem Geiste unterthan, als sein Spiegel und +Widerbild. + +Das ist euer ganzer Wille, ihr Weisesten, als ein Wille zur Macht; und +auch wenn ihr vom Guten und Bösen redet und von den Werthschätzungen. +Schaffen wollt ihr noch die Welt, vor der ihr knien könnt: so ist es +eure letzte Hoffnung und Trunkenheit. + +Die Unweisen freilich, das Volk, - die sind gleich dem Flusse, auf +dem ein Nachen weiter schwimmt: und im Nachen sitzen feierlich und +vermummt die Werthschätzungen. + +Euren Willen und eure Werthe setztet ihr auf den Fluss des Werdens; +einen alten Willen zur Macht verräth mir, was vom Volke als gut und +böse geglaubt wird. + +Ihr wart es, ihr Weisesten, die solche Gäste in diesen Nachen setzten +und ihnen Prunk und stolze Namen gaben, - ihr und euer herrschender +Wille! + +Weiter trägt nun der Fluss euren Nachen: er _muss_ ihn tragen. +Wenig thut's, ob die gebrochene Welle schäumt und zornig dem Kiele +widerspricht! + +Nicht der Fluss ist eure Gefahr und das Ende eures Guten und Bösen, +ihr Weisesten: sondern jener Wille selber, der Wille zur Macht, - der +unerschöpfte zeugende Lebens-Wille. + +Aber damit ihr mein Wort versteht vom Guten und Bösen: dazu will ich +euch noch mein Wort vom Leben sagen und von der Art alles Lebendigen. + +Dem Lebendigen gieng ich nach, ich gieng die grössten und die +kleinsten Wege, dass ich seine Art erkenne. + +Mit hundertfachem Spiegel fieng ich noch seinen Blick auf, wenn ihm +der Mund geschlossen war: dass sein Auge mir rede. Und sein Auge +redete mir. + +Aber, wo ich nur Lebendiges fand, da hörte ich auch die Rede vom +Gehorsame. Alles Lebendige ist ein Gehorchendes. + +Und diess ist das Zweite: Dem wird befohlen, der sich nicht selber +gehorchen kann. So ist es des Lebendigen Art. + +Diess aber ist das Dritte, was ich hörte: dass Befehlen schwerer ist, +als Gehorchen. Und nicht nur, dass der Befehlende die Last aller +Gehorchenden trägt, und dass leicht ihn diese Last zerdrückt: - + +Ein Versuch und Wagniss erschien mir in allem Befehlen; und stets, +wenn es befiehlt, wagt das Lebendige sich selber dran. + +Ja noch, wenn es sich selber befiehlt: auch da noch muss es sein +Befehlen büssen. Seinem eignen Gesetze muss es Richter und Rächer und +Opfer werden. + +Wie geschieht diess doch! so fragte ich mich. Was überredet das +Lebendige, dass es gehorcht und befiehlt und befehlend noch Gehorsam +übt? + +Hört mir nun mein Wort, ihr Weisesten! Prüft es ernstlich, ob ich dem +Leben selber in's Herz kroch und bis in die Wurzeln seines Herzens! + +Wo ich Lebendiges fand, da fand ich Willen zur Macht; und noch im +Willen des Dienenden fand ich den Willen, Herr zu sein. + +Dass dem Stärkeren diene das Schwächere, dazu überredet es sein Wille, +der über noch Schwächeres Herr sein will: dieser Lust allein mag es +nicht entrathen. + +Und wie das Kleinere sich dem Grösseren hingiebt, dass es Lust und +Macht am Kleinsten habe: also giebt sich auch das Grösste noch hin und +setzt um der Macht willen - das Leben dran. + +Das ist die Hingebung des Grössten, dass es Wagniss ist und Gefahr und +um den Tod ein Würfelspielen. + +Und wo Opferung und Dienste und Liebesblicke sind: auch da ist Wille, +Herr zu sein. Auf Schleichwegen schleicht sich da der Schwächere in +die Burg und bis in's Herz dem Mächtigeren - und stiehlt da Macht. + +Und diess Geheimniss redete das Leben selber zu mir. Siehe, sprach es, +ich bin das, was sich immer selber überwinden muss. + +"Freilich, ihr heisst es Wille zur Zeugung oder Trieb zum Zwecke, +zum Höheren, Ferneren, Vielfacheren: aber all diess ist Eins und Ein +Geheimniss. + +Lieber noch gehe ich unter, als dass ich diesem Einen absagte; und +wahrlich, wo es Untergang giebt und Blätterfallen, siehe, da opfert +sich Leben - um Macht! + +Dass ich Kampf sein muss und Werden und Zweck und der Zwecke +Widerspruch: ach, wer meinen Willen erräth, erräth wohl auch, auf +welchen _krummen_ Wegen er gehen muss! + +Was ich auch schaffe und wie ich's auch liebe, - bald muss ich Gegner +ihm sein und meiner Liebe: so will es mein Wille. + +Und auch du, Erkennender, bist nur ein Pfad und Fusstapfen meines +Willens: wahrlich, mein Wille zur Macht wandelt auch auf den Füssen +deines Willens zur Wahrheit! + +Der traf freilich die Wahrheit nicht, der das Wort nach ihr schoss vom +`Willen zum Dasein`: diesen Willen - giebt es nicht! + +Denn: was nicht ist, das kann nicht wollen; was aber im Dasein ist, +wie könnte das noch zum Dasein wollen! + +Nur, wo Leben ist, da ist auch Wille: aber nicht Wille zum Leben, +sondern - so lehre ich's dich - Wille zur Macht! + +Vieles ist dem Lebenden höher geschätzt, als Leben selber; doch aus +dem Schätzen selber heraus redet - der Wille zur Macht!" - + +Also lehrte mich einst das Leben: und daraus löse ich euch, ihr +Weisesten, noch das Räthsel eures Herzens. + +Wahrlich, ich sage euch: Gutes und Böses, das unvergänglich wäre - das +giebt es nicht! Aus sich selber muss es sich immer wieder überwinden. + +Mit euren Werthen und Worten von Gut und Böse übt ihr Gewalt, ihr +Werthschätzenden: und diess ist eure verborgene Liebe und eurer Seele +Glänzen, Zittern und Überwallen. + +Aber eine stärkere Gewalt wächst aus euren Werthen und eine neue +Überwindung: an der zerbricht Ei und Eierschale. + +Und wer ein Schöpfer sein muss im Guten und Bösen: wahrlich, der muss +ein Vernichter erst sein und Werthe zerbrechen. + +Also gehört das höchste Böse zur höchsten Güte: diese aber ist die +schöpferische. - + +Reden wir nur davon, ihr Weisesten, ob es gleich schlimm ist. +Schweigen ist schlimmer; alle verschwiegenere Wahrheiten werden +giftig. + +Und mag doch Alles zerbrechen, was an unseren Wahrheiten zerbrechen - +kann! Manches Haus giebt es noch zu bauen! + +Also sprach Zarathustra. + + + +Von den Erhabenen + +Still ist der Grund meines Meeres: wer erriethe wohl, dass er +scherzhafte Ungeheuer birgt! + +Unerschütterlich ist meine Tiefe: aber sie glänzt von schwimmenden +Räthseln und Gelächtern. + +Einen Erhabenen sah ich heute, einen Feierlichen, einen Büsser des +Geistes: oh wie lachte meine Seele ob seiner Hässlichkeit! + +Mit erhobener Brust und Denen gleich, welche den Athem an sich ziehn: +also stand er da, der Erhabene, und schweigsam: + +Behängt mit hässlichen Wahrheiten, seiner Jagdbeute, und reich an +zerrissenen Kleidern; auch viele Dornen hiengen an ihm - aber noch sah +ich keine Rose. + +Noch lernte er das Lachen nicht und die Schönheit. Finster kam dieser +Jäger zurück aus dem Walde der Erkenntniss. + +Vom Kampfe kehrte er heim mit wilden Thieren: aber aus seinem Ernste +blickt auch noch ein wildes Thier - ein unüberwundenes! + +Wie ein Tiger steht er immer noch da, der springen will; aber ich mag +diese gespannten Seelen nicht, unhold ist mein Geschmack allen diesen +Zurückgezognen. + +Und ihr sagt mir, Freunde, dass nicht zu streiten sei über Geschmack +und Schmecken? Aber alles Leben ist Streit um Geschmack und Schmecken! + +Geschmack: das ist Gewicht zugleich und Wagschale und Wägender; und +wehe allem Lebendigen, das ohne Streit um Gewicht und Wagschale und +Wägende leben wollte! + +Wenn er seiner Erhabenheit müde würde, dieser Erhabene: dann erst +würde seine Schönheit anheben, - und dann erst will ich ihn schmecken +und schmackhaft finden. + +Und erst, wenn er sich von sich selber abwendet, wird er über seinen +eignen Schatten springen - und, wahrlich! hinein in _seine_ Sonne. + +Allzulange sass er im Schatten, die Wangen bleichten dem Büsser des +Geistes; fast verhungerte er an seinen Erwartungen. + +Verachtung ist noch in seinem Auge; und Ekel birgt sich an seinem +Munde. Zwar ruht er jetzt, aber seine Ruhe hat sich noch nicht in die +Sonne gelegt. + +Dem Stiere gleich sollte er thun; und sein Glück sollte nach Erde +riechen und nicht nach Verachtung der Erde. + +Als weissen Stier möchte ich ihn sehn, wie er schnaubend und brüllend +der Pflugschar vorangeht: und sein Gebrüll sollte noch alles Irdische +preisen! + +Dunkel noch ist sein Antlitz; der Hand Schatten spielt auf ihm. +Verschattet ist noch der Sinn seines Auges. + +Seine That selber ist noch der Schatten auf ihm: die Hand verdunkelt +den Handelnden. Noch hat er seine That nicht überwunden. + +Wohl liebe ich an ihm den Nacken des Stiers: aber nun will ich auch +noch das Auge des Engels sehn. + +Auch seinen Helden-Willen muss er noch verlernen: ein Gehobener soll +er mir sein und nicht nur ein Erhabener: - der Äther selber sollte ihn +heben, den Willenlosen! + +Er bezwang Unthiere, er löste Räthsel: aber erlösen sollte er auch +noch seine Unthiere und Räthsel, zu himmlischen Kindern sollte er sie +noch verwandeln. + +Noch hat seine Erkenntniss nicht lächeln gelernt und ohne Eifersucht +sein; noch ist seine strömende Leidenschaft nicht stille geworden in +der Schönheit. + +Wahrlich, nicht in der Sattheit soll sein Verlangen schweigen und +untertauchen, sondern in der Schönheit! Die Anmuth gehört zur +Grossmuth des Grossgesinnten. + +Den Arm über das Haupt gelegt: so sollte der Held ausruhn, so sollte +er auch noch sein Ausruhen überwinden. + +Aber gerade dem Helden ist das _Schöne_ aller Dinge Schwerstes. +Unerringbar ist das Schöne allem heftigen Willen. + +Ein Wenig mehr, ein Wenig weniger: das gerade ist hier Viel, das ist +hier das Meiste. + +Mit lässigen Muskeln stehn und mit abgeschirrtem Willen: das ist das +Schwerste euch Allen, ihr Erhabenen! + +Wenn die Macht gnädig wird und herabkommt in's Sichtbare: Schönheit +heisse ich solches Herabkommen. + +Und von Niemandem will ich so als von dir gerade Schönheit, du +Gewaltiger: deine Güte sei deine letzte Selbst- Überwältigung. + +Alles Böse traue ich dir zu: darum will ich von dir das Gute. + +Wahrlich, ich lachte oft der Schwächlinge, welche sich gut glauben, +weil sie lahme Tatzen haben! + +Der Säule Tugend sollst du nachstreben: schöner wird sie immer und +zarter, aber inwendig härter und tragsamer, je mehr sie aufsteigt. + +Ja, du Erhabener, einst sollst du noch schön sein und deiner eignen +Schönheit den Spiegel vorhalten. + +Dann wird deine Seele vor göttlichen Begierden schaudern; und Anbetung +wird noch in deiner Eitelkeit sein! + +Diess nämlich ist das Geheimniss der Seele: erst, wenn sie der Held +verlassen hat, naht ihr, im Traume, - der Über-Held. + +Also sprach Zarathustra. + + + +Vom Lande der Bildung + +Zu weit hinein flog ich in die Zukunft: ein Grauen überfiel mich. + +Und als ich um mich sah, siehe! da war die Zeit mein einziger +Zeitgenosse. + +Da floh ich rückwärts, heimwärts - und immer eilender: so kam ich zu +euch, ihr Gegenwärtigen, und in's Land der Bildung. + +Zum ersten Male brachte ich ein Auge mit für euch, und gute Begierde: +wahrlich, mit Sehnsucht im Herzen kam ich. + +Aber wie geschah mir? So angst mir auch war, - ich musste lachen! Nie +sah mein Auge etwas so Buntgesprenkeltes! + +Ich lachte und lachte, während der Fuss mir noch zitterte und das Herz +dazu: "hier ist ja die Heimat aller Farbentöpfe!" - sagte ich. + +Mit fünfzig Klexen bemalt an Gesicht und Gliedern: so sasset ihr da zu +meinem Staunen, ihr Gegenwärtigen! + +Und mit fünfzig Spiegeln um euch, die eurem Farbenspiele schmeichelten +und nachredeten! + +Wahrlich, ihr könntet gar keine bessere Maske tragen, ihr +Gegenwärtigen, als euer eignes Gesicht ist! Wer könnte euch - +_erkennen_! + +Vollgeschrieben mit den Zeichen der Vergangenheit, und auch diese +Zeichen überpinselt mit neuen Zeichen: also habt ihr euch gut +versteckt vor allen Zeichendeutern! + +Und wenn man auch Nierenprüfer ist: wer glaubt wohl noch, dass ihr +Nieren habt! Aus Farben scheint ihr gebacken und aus geleimten +Zetteln. + +Alle Zeiten und Völker blicken bunt aus euren Schleiern; alle Sitten +und Glauben reden bunt aus euren Gebärden. + +Wer von euch Schleier und Überwürfe und Farben und Gebärden abzöge: +gerade genug würde er übrig behalten, um die Vögel damit zu +erschrecken. + +Wahrlich, ich selber bin der erschreckte Vogel, der euch einmal nackt +sah und ohne Farbe; und ich flog davon, als das Gerippe mir Liebe +zuwinkte. + +Lieber wollte ich doch noch Tagelöhner sein in der Unterwelt und bei +den Schatten des Ehemals! - feister und voller als ihr sind ja noch +die Unterweltlichen! + +Diess, ja diess ist Bitterniss meinen Gedärmen, dass ich euch weder +nackt, noch bekleidet aushalte, ihr Gegenwärtigen! + +Alles Unheimliche der Zukunft, und was je verflogenen Vögeln Schauder +machte, ist wahrlich heimlicher noch und traulicher als eure +"Wirklichkeit". + +Denn so sprecht ihr: "Wirkliche sind wir ganz, und ohne Glauben und +Aberglauben": also brüstet ihr euch - ach, auch noch ohne Brüste! + +Ja, wie solltet ihr glauben _können_, ihr Buntgesprenkelten! - die ihr +Gemälde seid von Allem, was je geglaubt wurde! + +Wandelnde Widerlegungen seid ihr des Glaubens selber, und aller +Gedanken Gliederbrechen. _Unglaubwürdige_: also heisse _ich_ euch, ihr +Wirklichen! + +Alle Zeiten schwätzen wider einander in euren Geistern; und aller +Zeiten Träume und Geschwätz waren wirklicher noch als euer Wachsein +ist! + +Unfruchtbare seid ihr: _darum_ fehlt es euch an Glauben. Aber +wer schaffen musste, der hatte auch immer seine Wahr-Träume und +Stern-Zeichen - und glaubte an Glauben! - + +Halboffne Thore seid ihr, an denen Todtengräber warten. Und das ist +_eure_ Wirklichkeit: "Alles ist werth, dass es zu Grunde geht." + +Ach, wie ihr mir dasteht, ihr Unfruchtbaren, wie mager in den Rippen! +Und Mancher von euch hatte wohl dessen selber ein Einsehen. + +Und er sprach: "es hat wohl da ein Gott, als ich schlief, mir heimlich +Etwas entwendet? Wahrlich, genug, sich ein Weibchen daraus zu bilden! + +Wundersam ist die Armuth meiner Rippen!" also sprach schon mancher +Gegenwärtige. + +Ja, zum Lachen seid ihr mir, ihr Gegenwärtigen! Und sonderlich, wenn +ihr euch über euch selber wundert! + +Und wehe mir, wenn ich nicht lachen könnte über eure Verwunderung, und +alles Widrige aus euren Näpfen hinunter trinken müsste! + +So aber will ich's mit euch leichter nehmen, da ich _Schweres_ zu +tragen habe; und was thut's mir, wenn sich Käfer und Flügelwürmer noch +auf mein Bündel setzen! + +Wahrlich, es soll mir darob nicht schwerer werden! Und nicht aus euch, +ihr Gegenwärtigen, soll mir die grosse Müdigkeit kommen. - Ach, wohin +soll ich nun noch steigen mit meiner Sehnsucht! Von allen Bergen +schaue ich aus nach Vater- und Mutterländern. + +Aber Heimat fand ich nirgends: unstät bin ich in allen Städten und ein +Aufbruch an allen Thoren. + +Fremd sind mir und ein Spott die Gegenwärtigen, zu denen mich jüngst +das Herz trieb; und vertrieben bin ich aus Vater- und Mutterländern. + +So liebe ich allein noch meiner _Kinder_Land_, das unentdeckte, im +fernsten Meere: nach ihm heisse ich meine Segel suchen und suchen. + +An meinen Kindern will ich es gut machen, dass ich meiner Väter Kind +bin: und an aller Zukunft - _diese_ Gegenwart! + +Also sprach Zarathustra. + + + +Von der unbefleckten Erkenntniss + +Als gestern der Mond aufgieng, wähnte ich, dass er eine Sonne gebären +wolle: so breit und trächtig lag er am Horizonte. + +Aber ein Lügner war er mir mit seiner Schwangerschaft; und eher noch +will ich an den Mann im Monde glauben als an das Weib. + +Freilich, wenig Mann ist er auch, dieser schüchterne Nachtschwärmer. +Wahrlich, mit schlechtem Gewissen wandelt er über die Dächer. + +Denn er ist lüstern und eifersüchtig, der Mönch im Monde, lüstern nach +der Erde und nach allen Freuden der Liebenden. + +Nein, ich mag ihn nicht, diesen Kater auf den Dächern! Widerlich sind +mir Alle, die um halbverschlossne Fenster schleichen! + +Fromm und schweigsam wandelt er hin auf Sternen-Teppichen: - aber ich +mag alle leisetretenden Mannsfüsse nicht, an denen auch nicht ein +Sporen klirrt. + +Jedes Redlichen Schritt redet; die Katze aber stiehlt sich über den +Boden weg. Siehe, katzenhaft kommt der Mond daher und unredlich. - + +Dieses Gleichniss gebe ich euch empfindsamen Heuchlern, euch, den +"Rein-Erkennenden!" Euch heisse _ich_ - Lüsterne! + +Auch ihr liebt die Erde und das Irdische: ich errieth euch wohl! - +aber Scham ist in eurer Liebe und schlechtes Gewissen, - dem Monde +gleicht ihr! + +Zur Verachtung des Irdischen hat man euren Geist überredet, aber nicht +eure Eingeweide: _die_ aber sind das Stärkste an euch! + +Und nun schämt sich euer Geist, dass er euren Eingeweiden zu willen +ist und geht vor seiner eignen Scham Schleich- und Lügenwege. + +"Das wäre mir das Höchste - also redet euer verlogner Geist zu sich - +auf das Leben ohne Begierde zu schaun und nicht gleich dem Hunde mit +hängender Zunge: + +Glücklich zu sein im Schauen, mit erstorbenem Willen, ohne Griff und +Gier der Selbstsucht - kalt und aschgrau am ganzen Leibe, aber mit +trunkenen Mondesaugen!" + +"Das wäre mir das Liebste, - also verführt sich selber der Verführte +- die Erde zu lieben, wie der Mond sie liebt, und nur mit dem Auge +allein ihre Schönheit zu betasten. + +Und das heisse mir aller Dinge _unbefleckte_ Erkenntniss, dass ich von +den Dingen Nichts will: ausser dass ich vor ihnen da liegen darf wie +ein Spiegel mit hundert Augen." - + +Oh, ihr empfindsamen Heuchler, ihr Lüsternen! Euch fehlt die Unschuld +in der Begierde: und nun verleumdet ihr drum das Begehren! + +Wahrlich, nicht als Schaffende, Zeugende, Werdelustige liebt ihr die +Erde! + +Wo ist Unschuld? Wo der Wille zur Zeugung ist. Und wer über sich +hinaus schaffen will, der hat mir den reinsten Willen. + +Wo ist Schönheit? Wo ich mit allem Willen _wollen_muss_; wo ich lieben +und untergehn will, dass ein Bild nicht nur Bild bleibe. + +Lieben und Untergehn: das reimt sich seit Ewigkeiten. Wille zur Liebe: +das ist, willig auch sein zum Tode. Also rede ich zu euch Feiglingen! + +Aber nun will euer entmanntes Schielen "Beschaulichkeit" heissen! Und +was mit feigen Augen sich tasten lässt, soll "schön" getauft werden! +oh, ihr Beschmutzer edler Namen! + +Aber das soll euer Fluch sein, ihr Unbefleckten, ihr Rein-Erkennenden, +dass ihr nie gebären werdet: und wenn ihr auch breit und trächtig am +Horizonte liegt! + +Wahrlich, ihr nehmt den Mund voll mit edlen Worten: und wir sollen +glauben, dass euch das Herz übergehe, ihr Lügenbolde? + +Aber in _eine_ Worte sind geringe, verachtete, krumme Worte: gerne +nehme ich auf, was bei eurer Mahlzeit unter den Tisch fällt. + +Immer noch kann ich mit ihnen - Heuchlern die Wahrheit sagen! ja, +meine Gräten, Muscheln und Stachelblätter sollen - Heuchlern die Nasen +kitzeln! + +Schlechte Luft ist immer um euch und eure Mahlzeiten: eure lüsternen +Gedanken, eure Lügen und Heimlichkeiten sind ja in der Luft! + +Wagt es doch erst, euch selber zu glauben - euch und euren +Eingeweiden! Wer sich selber nicht glaubt, lügt immer. + +Eines Gottes Larve hängtet ihr um vor euch selber, ihr "Reinen": in +eines Gottes Larve verkroch sich euer greulicher Ringelwurm. + +Wahrlich, ihr täuscht, ihr "Beschaulichen"! Auch Zarathustra +war einst der Narr eurer göttlichen Häute; nicht errieth er das +Schlangengeringel, mit denen sie gestopft waren. + +Eines Gottes Seele wähnte ich einst spielen zu sehn in euren Spielen, +ihr Rein-Erkennenden! Keine bessere Kunst wähnte ich einst als eure +Künste! + +Schlangen-Unflath und schlimmen Geruch verhehlte mir die Ferne: und +dass einer Eidechse List lüstern hier herumschlich. + +Aber ich kam euch _nah_: da kam mir der Tag - und nun kommt er euch, - +zu Ende gieng des Mondes Liebschaft! + +Seht doch hin! Ertappt und bleich steht er da - vor der Morgenröthe! + +Denn schon kommt sie, die Glühende, - _ihre_ Liebe zur Erde kommt! +Unschuld und Schöpfer-Begier ist alle Sonnen-Liebe! + +Seht doch hin, wie sie ungeduldig über das Meer kommt! Fühlt ihr den +Durst und den heissen Athem ihrer Liebe nicht? + +Am Meere will sie saugen und seine Tiefe zu sich in die Höhe trinken: +da hebt sich die Begierde des Meeres mit tausend Brüsten. + +Geküsst und gesaugt _will_ es sein vom Durste der Sonne; Luft _will_ +es werden und Höhe und Fusspfad des Lichts und selber Licht! + +Wahrlich, der Sonne gleich liebe ich das Leben und alle tiefen Meere. + +Und diess heisst _mir_ Erkenntniss: alles Tiefe soll hinauf - zu +meiner Höhe! + +Also sprach Zarathustra. + + + +Von den Gelehrten + +Als ich im Schlafe lag, da frass ein Schaf am Epheukranze meines +Hauptes, - frass und sprach dazu: "Zarathustra ist kein Gelehrter +mehr." + +Sprach's und gieng stotzig davon und stolz. Ein Kind erzählte mir's. + +Gerne liege ich hier, wo die Kinder spielen, an der zerbrochnen Mauer, +unter Disteln und rothen Mohnblumen. + +Ein Gelehrter bin ich den Kindern noch und auch den Disteln und rothen +Mohnblumen. Unschuldig sind sie, selbst noch in ihrer Bosheit. + +Aber den Schafen bin ich's nicht mehr: so will es mein Loos - gesegnet +sei es! + +Denn diess ist die Wahrheit: ausgezogen bin ich aus dem Hause der +Gelehrten: und die Thür habe ich noch hinter mir zugeworfen. + +Zu lange sass meine Seele hungrig an ihrem Tische; nicht, gleich +ihnen, bin ich auf das Erkennen abgerichtet wie auf das Nüsseknacken. + +Freiheit liebe ich und die Luft über frischer Erde; lieber noch will +ich auf Ochsenhäuten schlafen, als auf ihren Würden und Achtbarkeiten. + +Ich bin zu heiss und verbrannt von eigenen Gedanken: oft will es mir +den Athem nehmen. Da muss ich in's Freie und weg aus allen verstaubten +Stuben. + +Aber sie sitzen kühl in kühlem Schatten: sie wollen in Allem nur +Zuschauer sein und hüten sich dort zu sitzen, wo die Sonne auf die +Stufen brennt. + +Gleich Solchen, die auf der Strasse stehn und die Leute angaffen, +welche vorübergehn: also warten sie auch und gaffen Gedanken an, die +Andre gedacht haben. + +Greift man sie mit Händen, so stäuben sie um sich gleich Mehlsäcken, +und unfreiwillig. aber wer erriethe wohl, dass ihr Staub vom Korne +stammt und von der gelben Wonne der Sommerfelder? + +Geben sie sich weise, so fröstelt mich ihrer kleinen Sprüche und +Wahrheiten: ein Geruch ist oft an ihrer Weisheit, als ob sie aus dem +Sumpfe stamme: und wahrlich, ich hörte auch schon den Frosch aus ihr +quaken! + +Geschickt sind sie, sie haben kluge Finger: was will _meine_ Einfalt +bei ihrer Vielfalt! Alles Fädeln und Knüpfen und Weben verstehn ihre +Finger: also wirken sie die Strümpfe des Geistes! + +Gute Uhrwerke sind sie: nur sorge man, sie richtig aufzuziehn! Dann +zeigen sie ohne Falsch die Stunde an und machen einen bescheidnen Lärm +dabei. + +Gleich Mühlwerken arbeiten sie und Stampfen: man werfe ihnen nur seine +Fruchtkörner zu! - sie wissen schon, Korn klein zu mahlen und weissen +Staub daraus zu machen. + +Sie sehen einander gut auf die Finger und trauen sich nicht zum +Besten. Erfinderisch in kleinen Schlauheiten warten sie auf Solche, +deren Wissen auf lahmen Füssen geht, - gleich Spinnen warten sie. + +Ich sah sie immer mit Vorsicht Gift bereiten; und immer zogen sie +gläserne Handschuhe dabei an ihre Finger. + +Auch mit falschen Würfeln wissen sie zu spielen; und so eifrig fand +ich sie spielen, dass sie dabei schwitzten. + +Wir sind einander fremd, und ihre Tugenden gehn mir noch mehr wider +den Geschmack, als ihre Falschheiten und falschen Würfel. + +Und als ich bei ihnen wohnte, da wohnte ich über ihnen. Darüber wurden +sie mir gram. + +Sie wollen Nichts davon hören, dass Einer über ihren Köpfen wandelt; +und so legten sie Holz und Erde und Unrath zwischen mich und ihre +Köpfe. + +Also dämpften sie den Schall meiner Schritte: und am schlechtesten +wurde ich bisher von den Gelehrtesten gehört. + +Aller Menschen Fehl und Schwäche legten sie zwischen sich und mich: - +"Fehlboden" heissen sie das in ihren Häusern. + +Aber trotzdem wandele ich mit meinen Gedanken _über_ ihren Köpfen; und +selbst, wenn ich auf meinen eignen Fehlern wandeln wollte, würde ich +noch über ihnen sein und ihren Köpfen. + +Denn die Menschen sind _nicht_ gleich: so spricht die Gerechtigkeit. +Und was ich will, dürften _sie_ nicht wollen! + +Also sprach Zarathustra. + + + +Von den Dichtern + +"Seit ich den Leib besser kenne, - sagte Zarathustra zu einem seiner +Jünger - ist mir der Geist nur noch gleichsam Geist; und alles das +`Unvergängliche` - das ist auch nur ein Gleichniss." + +"So hörte ich dich schon einmal sagen, antwortete der Jünger; und +damals fügtest du hinzu: `aber die Dichter lügen zuviel.` Warum +sagtest du doch, dass die Dichter zuviel lügen?" + +"Warum? sagte Zarathustra. Du fragst warum? Ich gehöre nicht zu Denen, +welche man nach ihrem Warum fragen darf. + +Ist denn mein Erleben von Gestern? Das ist lange her, dass ich die +Gründe meiner Meinungen erlebte. + +Müsste ich nicht ein Fass sein von Gedächtniss, wenn ich auch meine +Gründe bei mir haben wollte? + +Schon zuviel ist mir's, meine Meinungen selber zu behalten; und +mancher Vogel fliegt davon. + +Und mitunter finde ich auch ein zugezogenes Thier in meinem +Taubenschlage, das mir fremd ist, und das zittert, wenn ich meine Hand +darauf lege. + +Doch was sagte dir einst Zarathustra? Dass die Dichter zuviel lügen? - +Aber auch Zarathustra ist ein Dichter. + +Glaubst du nun, dass er hier die Wahrheit redete? Warum glaubst du +das?" + +Der Jünger antwortete: "ich glaube an Zarathustra." Aber Zarathustra +schüttelte den Kopf und lächelte. + +Der Glaube macht mich nicht selig, sagte er, zumal nicht der Glaube an +mich. + +Aber gesetzt, dass jemand allen Ernstes sagte, die Dichter lügen +zuviel: so hat er Recht, - _wir_ lügen zuviel. + +Wir wissen auch zu wenig und sind schlechte Lerner: so müssen wir +schon lügen. + +Und wer von uns Dichtern hätte nicht seinen Wein verfälscht? +Manch giftiger Mischmasch geschah in unsern Kellern, manches +Unbeschreibliche ward da gethan. + +Und weil wir wenig wissen, so gefallen uns von Herzen die geistig +Armen, sonderlich wenn es junge Weibchen sind! + +Und selbst nach den Dingen sind wir noch begehrlich, die sich die +alten Weibchen Abends erzählen. Das heissen wir selber an uns das +Ewig-Weibliche. + +Und als ob es einen besondren geheimen Zugang zum Wissen gäbe, der +sich Denen _verschütte_, welche Etwas lernen: so glauben wir an das +Volk und seine "Weisheit". + +Das aber glauben alle Dichter: dass wer im Grase oder an einsamen +Gehängen liegend die Ohren spitze, Etwas von den Dingen erfahre, die +zwischen Himmel und Erde sind. + +Und kommen ihnen zärtliche Regungen, so meinen die Dichter immer, die +Natur selber sei in sie verliebt: + +Und sie schleiche zu ihrem Ohre, Heimliches hinein zu sagen und +verliebte Schmeichelreden: dessen brüsten und blähen sie sich vor +allen Sterblichen! + +Ach, es giebt so viel Dinge zwischen Himmel und Erden, von denen sich +nur die Dichter Etwas haben träumen lassen! + +Und zumal _über_ dem Himmel: denn alle Götter sind Dichter-Gleichniss, +Dichter-Erschleichniss! + +Wahrlich, immer zieht es uns hinan - nämlich zum Reich der Wolken: auf +diese setzen wir unsre bunten Bälge und heissen sie dann Götter und +Übermenschen: - + +Sind sie doch gerade leicht genug für diese Stühle! - alle diese +Götter und Übermenschen. + +Ach, wie bin ich all des Unzulänglichen müde, das durchaus Ereigniss +sein soll! Ach, wie bin ich der Dichter müde! + +Als Zarathustra so sprach, zürnte ihm sein Jünger, aber er schwieg. +Und auch Zarathustra schwieg; und sein Auge hatte sich nach innen +gekehrt, gleich als ob es in weite Fernen sähe. Endlich seufzte er und +holte Athem. + +Ich bin von Heute und Ehedem, sagte er dann; aber Etwas ist in mir, +das ist von Morgen und übermorgen und Einstmals. + +Ich wurde der Dichter müde, der alten und der neuen: Oberflächliche +sind sie mir Alle und seichte Meere. + +Sie dachten nicht genug in die Tiefe: darum sank ihr Gefühl nicht bis +zu den Gründen. + +Etwas Wollust und etwas Langeweile: das ist noch ihr bestes Nachdenken +gewesen. + +Gespenster-Hauch und -Huschen gilt mir all ihr Harfen-Klingklang; was +wussten sie bisher von der Inbrunst der Töne! - + +Sie sind mir auch nicht reinlich genug: sie trüben Alle ihr Gewässer, +dass es tief scheine. + +Und gerne geben sie sich damit als Versöhner: aber Mittler und Mischer +bleiben sie mir und Halb-und-Halbe und Unreinliche! - + +Ach, ich warf wohl mein Netz in ihre Meere und wollte gute Fische +fangen; aber immer zog ich eines alten Gottes Kopf herauf. + +So gab dem Hungrigen das Meer einen Stein. Und sie selber mögen wohl +aus dem Meere stammen. + +Gewiss, man findet Perlen in ihnen: um so ähnlicher sind sie selber +harten Schalthieren. Und statt der Seele fand ich oft bei ihnen +gesalzenen Schleim. + +Sie lernten vom Meere auch noch seine Eitelkeit: ist nicht das Meer +der Pfau der Pfauen? + +Noch vor dem hässlichsten aller Büffel rollt es seinen Schweif hin, +nimmer wird es seines Spitzenfächers von Silber und Seide müde. + +Trutzig blickt der Büffel dazu, dem Sande nahe in seiner Seele, näher +noch dem Dickicht, am nächsten aber dem Sumpfe. + +Was ist ihm Schönheit und Meer und Pfauen-Zierath! Dieses Gleichniss +sage ich den Dichtern. + +Wahrlich, ihr Geist selber ist der Pfau der Pfauen und ein Meer von +Eitelkeit! + +Zuschauer will der Geist des Dichters: sollten's auch Büffel sein! - + +Aber dieses Geistes wurde ich müde: und ich sehe kommen, dass er +seiner selber müde wird. + +Verwandelt sah ich schon die Dichter und gegen sich selber den Blick +gerichtet. + +Büsser des Geistes sah ich kommen: die wuchsen aus ihnen. + +Also sprach Zarathustra. + + + +Von grossen Ereignissen + +Es giebt eine Insel im Meere - unweit den glückseligen Inseln +Zarathustra's - auf welcher beständig ein Feuerberg raucht; von der +sagt das Volk, und sonderlich sagen es die alten Weibchen aus dem +Volke, dass sie wie ein Felsblock vor das Thor der Unterwelt gestellt +sei: durch den Feuerberg selber aber führe der schmale Weg abwärts, +der zu diesem Thore der Unterwelt geleite. + +Um jene Zeit nun, als Zarathustra auf den glückseligen Inseln weilte, +geschah es, dass ein Schiff an der Insel Anker warf, auf welcher +der rauchende Berg steht; und seine Mannschaft gieng an's Land, um +Kaninchen zu schiessen. Gegen die Stunde des Mittags aber, da der +Capitän und seine Leute wieder beisammen waren, sahen sie plötzlich +durch die Luft einen Mann auf sich zukommen, und eine Stimme sagte +deutlich: "es ist Zeit! Es ist die höchste Zeit!" Wie die Gestalt +ihnen aber am nächsten war - sie flog aber schnell gleich einem +Schatten vorbei, in der Richtung, wo der Feuerberg lag - da erkannten +sie mit grösster Bestürzung, dass es Zarathustra sei; denn sie hatten +ihn Alle schon gesehn, ausgenommen der Capitän selber, und sie liebten +ihn, wie das Volk liebt: also dass zu gleichen Theilen Liebe und Scheu +beisammen sind. + +"Seht mir an! sagte der alte Steuermann, da fährt Zarathustra zur +Hölle!" - + +Um die gleiche Zeit, als diese Schiffer an der Feuerinsel landeten, +lief das Gerücht umher, dass Zarathustra verschwunden sei; und als +man seine Freunde fragte, erzählten sie, er sei bei Nacht zu Schiff +gegangen, ohne zu sagen, wohin er reisen wolle. + +Also entstand eine Unruhe; nach drei Tagen aber kam zu dieser Unruhe +die Geschichte der Schiffsleute hinzu - und nun sagte alles Volk, +dass der Teufel Zarathustra geholt habe. Seine jünger lachten zwar +ob dieses Geredes; und einer von ihnen sagte sogar: "eher glaube ich +noch, dass Zarathustra sich den Teufel geholt hat." Aber im Grunde der +Seele waren sie Alle voll Besorgniss und Sehnsucht: so war ihre Freude +gross, als am fünften Tage Zarathustra unter ihnen erschien. + +Und diess ist die Erzählung von Zarathustra's Gespräch mit dem +Feuerhunde. + +Die Erde, sagte er, hat eine Haut; und diese Haut hat Krankheiten. +Eine dieser Krankheiten heisst zum Beispiel: "Mensch." + +Und eine andere dieser Krankheiten heisst "Feuerhund": über _den_ +haben sich die Menschen Viel vorgelogen und vorlügen lassen. + +Diess Geheimniss zu ergründen gieng ich über das Meer: und ich habe +die Wahrheit nackt gesehn, wahrlich! barfuss bis zum Halse. + +Was es mit dem Feuerhund auf sich hat, weiss ich nun; und insgleichen +mit all den Auswurf- und Umsturz-Teufeln, vor denen sich nicht nur +alte Weibchen fürchten. + +Heraus mit dir, Feuerhund, aus deiner Tiefe! rief ich, und bekenne, +wie tief diese Tiefe ist! Woher ist das, was du da heraufschnaubst? + +Du trinkst reichlich am Meere: das verräth deine versalzte +Beredsamkeit! Fürwahr, für einen Hund der Tiefe nimmst du deine +Nahrung zu sehr von der Oberfläche! + +Höchstens für den Bauchredner der Erde halt' ich dich: und immer, wenn +ich Umsturz- und Auswurf-Teufel reden hörte, fand ich sie gleich dir: +gesalzen, lügnerisch und flach. + +Ihr versteht zu brüllen und mit Asche zu verdunkeln! Ihr seid die +besten Grossmäuler und lerntet sattsam die Kunst, Schlamm heiss zu +sieden. + +Wo ihr seid, da muss stets Schlamm in der Nähe sein, und viel +Schwammichtes, Höhlichtes, Eingezwängtes: das will in die Freiheit. + +"Freiheit" brüllt ihr Alle am liebsten: aber ich verlernte den Glauben +an "grosse Ereignisse," sobald viel Gebrüll und Rauch um sie herum +ist. + +Und glaube mir nur, Freund Höllenlärm! Die grössten Ereignisse - das +sind nicht unsre lautesten, sondern unsre stillsten Stunden. + +Nicht um die Erfinder von neuem Lärme: um die Erfinder von neuen +Werthen dreht sich die Welt; _unhörbar_ dreht sie sich. + +Und gesteh es nur! Wenig war immer nur geschehn, wenn dein Lärm und +Rauch sich verzog. Was liegt daran, dass eine Stadt zur Mumie wurde, +und eine Bildsäule im Schlamme liegt! + +Und diess Wort sage ich noch den Umstürzern von Bildsäulen. Das ist +wohl die grösste Thorheit, Salz in's Meer und Bildsäulen in den +Schlamm zu werfen. + +Im Schlamme eurer Verachtung lag die Bildsäule: aber das ist gerade +ihr Gesetz, dass ihr aus der Verachtung wieder Leben und lebende +Schönheit wächst! + +Mit göttlicheren Zügen steht sie nun auf und leidendverführerisch; und +wahrlich! sie wird euch noch Dank sagen, dass ihr sie umstürztet, ihr +Umstürzer! + +Diesen Rath aber rathe ich Königen und Kirchen und Allem, was alters- +und tugendschwach ist - lasst euch nur umstürzen! Dass ihr wieder zum +Leben kommt, und zu euch - die Tugend! - + +Also redete ich vor dem Feuerhunde: da unterbrach er mich mürrisch und +fragte: "Kirche? Was ist denn das?" + +Kirche? antwortete ich, das ist eine Art von Staat, und zwar die +verlogenste. Doch schweig still, du Heuchelhund! Du kennst deine Art +wohl am besten schon! + +Gleich dir selber ist der Staat ein Heuchelhund; gleich dir redet er +gern mit Rauch und Gebrülle, - dass er glauben mache, gleich dir, er +rede aus dem Bauch der Dinge. + +Denn er will durchaus das wichtigste Thier auf Erden sein, der Staat; +und man glaubt's ihm auch. - + +Als ich das gesagt hatte, gebärdete sich der Feuerhund wie unsinnig +vor Neid. "Wie? schrie er, das wichtigste Thier auf Erden? Und man +glaubt's ihm auch?" Und so viel Dampf und grässliche Stimmen kamen +ihm aus dem Schlunde, dass ich meinte, er werde vor Arger und Neid +ersticken. + +Endlich wurde er stiller, und sein Keuchen liess nach; sobald er aber +stille war, sagte ich lachend: + +"Du ärgerst dich, Feuerhund: also habe ich über dich Recht! + +Und dass ich auch noch Recht behalte, so höre von einem andern +Feuerhunde: der spricht wirklich aus dem Herzen der Erde. + +Gold haucht sein Athem und goldigen Regen: so will's das Herz ihm. Was +ist ihm Asche und Rauch und heisser Schleim noch! + +Lachen flattert aus ihm wie ein buntes Gewölke; abgünstig ist er +deinem Gurgeln und Speien und Grimmen der Ein- geweide! + +Das Gold aber und das Lachen - das nimmt er aus dem Herzen der Erde: +denn dass du's nur weisst, - das Herz der Erde ist von Gold." + +Als diess der Feuerhund vernahm, hielt er's nicht mehr aus, mir +zuzuhören. Beschämt zog er seinen Schwanz ein, sagte auf eine +kleinlaute Weise Wau! Wau! und kroch hinab in seine Höhle. - + +Also erzählte Zarathustra. Seine Jünger aber hörten ihm kaum zu: so +gross war ihre Begierde, ihm von den Schiffsleuten, den Kaninchen und +dem fliegenden Manne zu erzählen. + +"Was soll ich davon denken! sagte Zarathustra. Bin ich denn ein +Gespenst? + +Aber es wird mein Schatten gewesen sein. Ihr hörtet wohl schon Einiges +vom Wanderer und seinem Schatten? + +Sicher aber ist das: ich muss ihn kürzer halten, - er verdirbt mir +sonst noch den Ruf." + +Und nochmals schüttelte Zarathustra den Kopf und wunderte sich. "Was +soll ich davon denken!" sagte er nochmals. + +"Warum schrie denn das Gespenst: es ist Zeit! Es ist die höchste Zeit! + +_Wozu_ ist es denn - höchste Zeit?" - + +Also sprach Zarathustra. + + + +Der Wahrsager + +"- und ich sahe eine grosse Traurigkeit über die Menschen kommen. Die +Besten wurden ihrer Werke müde. + +Eine Lehre ergieng, ein Glauben lief neben ihr: `Alles ist leer, Alles +ist gleich, Alles war!` + +Und von allen Hügeln klang es wieder: `Alles ist leer, Alles ist +gleich, Alles war!` + +Wohl haben wir geerntet: aber warum wurden alle Früchte uns faul und +braun? Was fiel vom bösen Monde bei der letzten Nacht hernieder? + +Umsonst war alle Arbeit, Gift ist unser Wein geworden, böser Blick +sengte unsre Felder und Herzen gelb. + +Trocken wurden wir Alle; und fällt Feuer auf uns, so stäuben wir der +Asche gleich: - ja das Feuer selber machten wir müde. + +Alle Brunnen versiegten uns, auch das Meer wich zurück. Aller Grund +will reissen, aber die Tiefe will nicht schlingen! + +`Ach, wo ist noch ein Meer, in dem man ertrinken könnte`: so klingt +unsre Klage - hinweg über flache Sümpfe. + +Wahrlich, zum Sterben wurden wir schon zu müde; nun wachen wir noch +und leben fort - in Grabkammern!" - + +Also hörte Zarathustra einen Wahrsager reden; und seine Weissagung +gieng ihm zu Herzen und verwandelte ihn. Traurig gieng er umher und +müde; und er wurde Denen gleich, von welchen der Wahrsager geredet +hatte. + +Wahrlich, so sagte er zu seinen Jüngern, es ist um ein Kleines, so +kommt diese lange Dämmerung. Ach, wie soll ich mein Licht hinüber +retten! + +Dass es mir nicht ersticke in dieser Traurigkeit! Ferneren Welten soll +es ja Licht sein und noch fernsten Nächten! + +Dergestalt im Herzen bekümmert gieng Zarathustra umher; und drei Tage +lang nahm er nicht Trank und Speise zu sich, hatte keine Ruhe und +verlor die Rede. Endlich geschah es, dass er in einen tiefen Schlaf +verfiel. Seine jünger aber sassen um ihn in langen Nachtwachen und +warteten mit Sorge, ob er wach werde und wieder rede und genesen sei +von seiner Trübsal. + +Diess aber ist die Rede, welche Zarathustra sprach, als er aufwachte; +seine Stimme aber kam zu seinen Jüngern wie aus weiter Ferne. + +Hört mir doch den Traum, den ich träumte, ihr Freunde, und helft mir +seinen Sinn rathen! + +Ein Räthsel ist er mir noch, dieser Traum; sein Sinn ist verborgen +in ihm und eingefangen und fliegt noch nicht über ihn hin mit freien +Flügeln. + +Allem Leben hatte ich abgesagt, so träumte mir. Zum Nacht- und +Grabwächter war ich worden, dort auf der einsamen Berg-Burg des Todes. + +Droben hütete ich seine Särge: voll standen die dumpfen Gewölbe von +solchen Siegeszeichen. Aus gläsernen Särgen blickte mich überwundenes +Leben an. + +Den Geruch verstaubter Ewigkeiten athmete ich: schwül und verstaubt +lag meine Seele. Und wer hätte dort auch seine Seele lüften können! + +Helle der Mitternacht war immer um mich, Einsamkeit kauerte neben +ihr; und, zudritt, röchelnde Todesstille, die schlimmste meiner +Freundinnen. + +Schlüssel führte ich, die rostigsten aller Schlüssel; und ich verstand +es, damit das knarrendste aller Thore zu öffnen. + +Einem bitterbösen Gekrächze gleich lief der Ton durch die langen +Gänge, wenn sich des Thores Flügel hoben: unhold schrie dieser Vogel, +ungern wollte er geweckt sein. + +Aber furchtbarer noch und herzzuschnürender war es, wenn es wieder +schwieg und rings stille ward, und ich allein sass in diesem +tückischen Schweigen. + +So gieng mir und schlich die Zeit, wenn Zeit es noch gab: was weiss +ich davon! Aber endlich geschah das, was mich weckte. + +Dreimal schlugen Schläge an's Thor, gleich Donnern, es hallten und +heulten die Gewölbe dreimal wieder: da gieng ich zum Thore. + +Alpa! rief ich, wer trägt seine Asche zu Berge? Alpa! Alpa! Wer trägt +seine Asche zu Berge? + +Und ich drückte den Schlüssel und hob am Thore und mühte mich. Aber +noch keinen Fingerbreit stand es offen: + +Da riss ein brausender Wind seine Flügel auseinander: pfeifend, +schrillend und schneidend warf er mir einen schwarzen Sarg zu: + +Und im Brausen und Pfeifen und Schrillen zerbarst der Sarg und spie +tausendfältiges Gelächter aus. + +Und aus tausend Fratzen von Kindern, Engeln, Eulen, Narren und +kindergrossen Schmetterlingen lachte und höhnte und brauste es wider +mich. + +Grässlich erschrak ich darob: es warf mich nieder. Und ich schrie vor +Grausen, wie nie ich schrie. + +Aber der eigne Schrei weckte mich auf: - und ich kam zu mir. - + +Also erzählte Zarathustra seinen Traum und schwieg dann: denn er +wusste noch nicht die Deutung seines Traumes. Aber der jünger, +den er am meisten lieb hatte, erhob sich schnell, fasste die Hand +Zarathustra's und sprach: + +"Dein Leben selber deutet uns diesen Traum, oh Zarathustra! + +Bist du nicht selber der Wind mit schrillem Pfeifen, der den Burgen +des Todes die Thore aufreisst? + +Bist du nicht selber der Sarg voll bunter Bosheiten und Engelsfratzen +des Lebens? + +Wahrlich, gleich tausendfältigem Kindsgelächter kommt Zarathustra in +alle Todtenkammern, lachend über diese Nacht- und Grabwächter, und wer +sonst mit düstern Schlüsseln rasselt. + +Schrecken und umwerfen wirst du sie mit deinem Gelächter; Ohnmacht und +Wachwerden wird deine Macht über sie beweisen. + +Und auch, wenn die lange Dämmerung kommt und die Todesmüdigkeit, wirst +du an unserm Himmel, nicht untergehn, du Fürsprecher des Lebens! + +Neue Sterne liessest du uns sehen und neue Nachtherrlichkeiten; +wahrlich, das Lachen selber spanntest du wie ein buntes Gezelt über +uns. + +Nun wird immer Kindes-Lachen aus Särgen quellen; nun wird immer +siegreich ein starker Wind kommen aller Todesmüdigkeit: dessen bist du +uns selber Bürge und Wahrsager! + +Wahrlich, _sie_selber_träumtest_du_, deine Feinde: das war dein +schwerster Traum! + +Aber wie du von ihnen aufwachtest und zu dir kamst, also sollen sie +selber von sich aufwachen - und zu dir kommen!" - + +So sprach der jünger; und alle Anderen drängten sich nun um +Zarathustra und ergriffen ihn bei den Händen und wollten ihn bereden, +dass er vom Bette und von der Traurigkeit lasse und zu ihnen +zurückkehre. Zarathustra aber sass aufgerichtet auf seinem Lager, und +mit fremdem Blicke. Gleichwie Einer, der aus langer Fremde heimkehrt, +sah er auf seine Jünger und prüfte ihre Gesichter; und noch erkannte +er sie nicht. Als sie aber ihn hoben und auf die Füsse stellten, +siehe, da verwandelte sich mit Einem Male sein Auge; er begriff Alles, +was geschehen war, strich sich den Bart und sagte mit starker Stimme: + +"Wohlan! Diess nun hat seine Zeit; sorgt mir aber dafür, meine jünger, +dass wir eine gute Mahlzeit machen, und in Kürze! Also gedenke ich +Busse zu thun für schlimme Träume! + +Der Wahrsager aber soll an meiner Seite essen und trinken: und +wahrlich, ich will ihm noch ein Meer zeigen, in dem er ertrinken +kann!" + +Also sprach Zarathustra. Darauf aber blickte er dem jünger, welcher +den Traumdeuter abgegeben hatte, lange in's Gesicht und schüttelte +dabei den Kopf. - + + + +Von der Erlösung + +Als Zarathustra eines Tags über die grosse Brücke gieng, umringten ihn +die Krüppel und Bettler, und ein Bucklichter redete also zu ihm: + +"Siehe, Zarathustra! Auch das Volk lernt von dir und gewinnt Glauben +an deine Lehre: aber dass es ganz dir glauben soll, dazu bedarf es +noch Eines - du musst erst noch uns Krüppel überreden! Hier hast du +nun eine schöne Auswahl und wahrlich, eine Gelegenheit mit mehr als +Einem Schopfe! Blinde kannst du heilen und Lahme laufen machen; und +Dem, der zuviel hinter sich hat, könntest du wohl auch ein Wenig +abnehmen: - das, meine ich, wäre die rechte Art, die Krüppel an +Zarathustra glauben zu machen!" + +Zarathustra aber erwiderte Dem, der da redete, also: "Wenn man dem +Bucklichten seinen Buckel nimmt, so nimmt man ihm seinen Geist - also +lehrt das Volk. Und wenn man dem Blinden seine Augen giebt, so sieht +er zuviel schlimme Dinge auf Erden: also dass er Den verflucht, der +ihn heilte. Der aber, welcher den Lahmen laufen macht, der thut ihm +den grössten Schaden an: denn kaum kann er laufen, so gehn seine +Laster mit ihm durch - also lehrt das Volk über Krüppel. Und warum +sollte Zarathustra nicht auch vom Volke lernen, wenn das Volk von +Zarathustra lernt? + +Das ist mir aber das Geringste, seit ich unter Menschen bin, dass ich +sehe: `Diesem fehlt ein Auge und jenem ein Ohr und einem Dritten das +Bein, und Andre giebt es, die verloren die Zunge oder die Nase oder +den Kopf.` + +Ich sehe und sah Schlimmeres und mancherlei so Abscheuliches, dass +ich nicht von Jeglichem reden und von Einigem nicht einmal schweigen +möchte: nämlich Menschen, denen es an Allem fehlt, ausser dass sie +Eins zuviel haben - Menschen, welche Nichts weiter sind als ein +grosses Auge, oder ein grosses Maul oder ein grosser Bauch oder irgend +etwas Grosses, - umgekehrte Krüppel heisse ich Solche. + +Und als ich aus meiner Einsamkeit kam und zum ersten Male über diese +Brücke gieng: da traute ich meinen Augen nicht und sah hin, und wieder +hin, und sagte endlich: `das ist ein Ohr! Ein Ohr, so gross wie ein +Mensch!` Ich sah noch besser hin: und wirklich, unter dem Ohre bewegte +sich noch Etwas, das zum Erbarmen klein und ärmlich und schmächtig +war. Und wahrhaftig, das ungeheure Ohr sass auf einem kleinen dünnen +Stiele, - der Stiel aber war ein Mensch! Wer ein Glas vor das Auge +nahm, konnte sogar noch ein kleines neidisches Gesichtchen erkennen; +auch, dass ein gedunsenes Seelchen am Stiele baumelte. Das Volk sagte +mir aber, das grosse Ohr sei nicht nur ein Mensch, sondern ein grosser +Mensch, ein Genie. Aber ich glaubte dem Volke niemals, wenn es von +grossen Menschen redete - und behielt meinen Glauben bei, dass es ein +umgekehrter Krüppel sei, der an Allem zu wenig und an Einem zu viel +habe." + +Als Zarathustra so zu dem Bucklichten geredet hatte und zu Denen, +welchen er Mundstück und Fürsprecher war, wandte er sich mit tiefem +Unmuthe zu seinen Jüngern und sagte: + +"Wahrlich, meine Freunde, ich wandle unter den Menschen wie unter den +Bruchstücken und Gliedmaassen von Menschen! + +Diess ist meinem Auge das Fürchterliche, dass ich den Menschen +zertrümmert finde und zerstreuet wie über ein Schlacht- und +Schlächterfeld hin. + +Und flüchtet mein Auge vom Jetzt zum Ehemals: es findet immer das +Gleiche: Bruchstücke und Gliedmaassen und grause Zufälle - aber keine +Menschen! + +Das jetzt und das Ehemals auf Erden - ach! meine Freunde - das, ist +_mein_ Unerträglichstes; und ich wüsste nicht zu leben, wenn ich nicht +noch ein Seher wäre, dessen, was kommen muss. + +Ein Seher, ein Wollender, ein Schaffender, eine Zukunft selber und +eine Brücke zur Zukunft - und ach, auch noch gleichsam ein Krüppel an +dieser Brücke: das Alles ist Zarathustra. + +Und auch ihr fragtet euch oft: `wer ist uns Zarathustra? Wie soll er +uns heissen?` Und gleich mir selber gabt ihr euch Fragen zur Antwort. + +Ist er ein Versprechender? Oder ein Erfüller? Ein Erobernder? Oder +ein Erbender? Ein Herbst? Oder eine Pflugschar? Ein Arzt? Oder ein +Genesener? + +Ist er ein Dichter? Oder ein Wahrhaftiger? Ein Befreier? Oder ein +Bändiger? Ein Guter? Oder ein Böser? + +Ich wandle unter Menschen als den Bruchstücken der Zukunft: jener +Zukunft, die ich schaue. + +Und das ist all mein Dichten und Trachten, dass ich in Eins dichte und +zusammentragen was Bruchstück ist und Räthsel und grauser Zufall. + +Und wie ertrüge ich es, Mensch zu sein, wenn der Mensch nicht auch +Dichter und Räthselrather und der Erlöser des Zufalls wäre! + +Die Vergangnen zu erlösen und alles `Es war` umzuschauen in ein `So +wollte ich es!` - das hiesse mir erst Erlösung! + +Wille - so heisst der Befreier und Freudebringer: also lehrte ich +euch, meine Freunde! Und nun lernt diess hinzu: der Wille selber ist +noch ein Gefangener. + +Wollen befreit: aber wie heisst Das, was auch den Befreier noch in +Ketten schlägt? + +`Es war`: also heisst des Willens Zähneknirschen und einsamste +Trübsal. Ohnmächtig gegen Das, was gethan ist - ist er allem +Vergangenen ein böser Zuschauer. + +Nicht zurück kann der Wille wollen; dass er die Zeit nicht brechen +kann und der Zeit Begierde, - das ist des Willens einsamste Trübsal. + +Wollen befreit: was ersinnt sich das Wollen selber, dass es los seiner +Trübsal werde und seines Kerkers spotte? + +Ach, ein Narr wird jeder Gefangene! Närrisch erlöst sich auch der +gefangene Wille. + +Dass die Zeit nicht zurückläuft, das ist sein Ingrimm; `Das, was war` +- so heisst der Stein, den er nicht wälzen kann. + +Und so wälzt er Steine aus Ingrimm und Unmuth und übt Rache an dem, +was nicht gleich ihm Grimm und Unmuth fühlt. + +Also wurde der Wille, der Befreier, ein Wehethäter: und an Allem, was +leiden kann, nimmt er Rache dafür, dass er nicht zurück kann. + +Diess, ja diess allein ist _Rache_ selber: des Willens Widerwille +gegen die Zeit und ihr `Es war.` + +Wahrlich, eine grosse Narrheit wohnt in unserm Willen; und zum Fluche +wurde es allem Menschlichen, dass diese Narrheit Geist lernte! + +Der Geist der Rache: meine Freunde, das war bisher der Menschen bestes +Nachdenken; und wo Leid war, da sollte immer Strafe sein. + +`Strafe` nämlich, so heisst sich die Rache selber: mit einem Lügenwort +heuchelt sie sich ein gutes Gewissen. + +Und weil im Wollenden selber Leid ist, darob dass es nicht zurück +wollen kann, - also sollte Wollen selber und alles Leben - Strafe +sein! + +Und nun wälzte sich Wolke auf Wolke über den Geist: bis endlich der +Wahnsinn predigte: `Alles vergeht, darum ist Alles werth zu vergehn!` + +`Und diess ist selber Gerechtigkeit, jenes Gesetz der Zeit, dass sie +ihre Kinder fressen muss`: also predigte der Wahnsinn. + +`Sittlich sind die Dinge geordnet nach Recht und Strafe. Oh wo ist die +Erlösung vom Fluss der Dinge und der Strafe Dasein`? Also predigte der +Wahnsinn. + +`Kann es Erlösung geben, wenn es ein ewiges Recht giebt? Ach, +unwälzbar ist der Stein "Es war": ewig müssen auch alle Strafen sein!` +Also predigte der Wahnsinn. + +`Keine That kann vernichtet werden: wie könnte sie durch die Strafe +ungethan werden! Diess, diess ist das Ewige an der Strafe "Dasein", +dass das Dasein auch ewig wieder That und Schuld sein muss! + +Es sei denn, dass der Wille endlich sich selber erlöste und Wollen zu +Nicht-Wollen würde -`: doch ihr kennt, meine Brüder, diess Fabellied +des Wahnsinns! + +Weg führte ich euch von diesen Fabelliedern, als ich euch lehrte: `der +Wille ist ein Schaffender.` + +Alles `Es war` ist ein Bruchstück, ein Räthsel, ein grauser Zufall - +bis der schaffende Wille dazu sagt: `aber so wollte ich es!` + +Bis der schaffende Wille dazu sagt: `Aber so will ich es! So werde +ich's wollen!` + +Aber sprach er schon so? Und wann geschieht diess? Ist der Wille schon +abgeschirrt von seiner eignen Thorheit? + +Wurde der Wille sich selber schon Erlöser und Freudebringer? Verlernte +er den Geist der Rache und alles Zähneknirschen? + +Und wer lehrte ihn Versöhnung mit der Zeit, und Höheres als alle +Versöhnung ist? + +Höheres als alle Versöhnung muss der Wille wollen, welcher der Wille +zur Macht ist -: doch wie geschieht ihm das? Wer lehrte ihn auch noch +das Zurückwollen?" + +- Aber an dieser Stelle seiner Rede geschah es, dass Zarathustra +plötzlich innehielt und ganz einem Solchen gleich sah, der auf das +Äusserste erschrickt. Mit erschrecktem Auge blickte er auf seine +Jünger; sein Auge durchbohrte wie mit Pfeilen ihre Gedanken und +Hintergedanken. Aber nach einer kleinen Weile lachte er schon wieder +und sagte begütigt: + +"Es ist schwer, mit Menschen zu leben, weil Schweigen so schwer ist. +Sonderlich für einen Geschwätzigen." - + +Also sprach Zarathustra. Der Bucklichte aber hatte dem Gespräche +zugehört und sein Gesicht dabei bedeckt; als er aber Zarathustra +lachen hörte, blickte er neugierig auf und sagte langsam: + +"Aber warum redet Zarathustra anders zu uns als zu seinen Jüngern?" + +Zarathustra antwortete: "Was ist da zum Verwundern! Mit Bucklichten +darf man schon bucklicht reden!" + +"Gut, sagte der Bucklichte; und mit Schülern darf man schon aus der +Schule schwätzen. + +Aber warum redet Zarathustra anders zu seinen Schülern - als zu sich +selber?" - + + + +Von der Menschen-Klugheit + +Nicht die Höhe: der Abhang ist das Furchtbare! + +Der Abhang, wo der Blick _hinunter_ stürzt und die Hand _hinauf_ +greift. Da schwindelt dem Herzen vor seinem doppelten Willen. + +Ach, Freunde, errathet ihr wohl auch meines Herzens doppelten Willen? + +Das, Das ist _mein_ Abhang und meine Gefahr, dass mein Blick in die +Höhe stürzt, und dass meine Hand sich halten und stützen möchte - an +der Tiefe! + +An den Menschen klammert sich mein Wille, mit Ketten binde ich mich an +den Menschen, weil es mich hinauf reisst zum Obermenschen: denn dahin +will mein andrer Wille. + +Und _dazu_ lebe ich blind unter den Menschen; gleich als ob ich sie +nicht kennte: dass meine Hand ihren Glauben an Festes nicht ganz +verliere. + +Ich kenne euch Menschen nicht: diese Finsterniss und Tröstung ist oft +um mich gebreitet. + +Ich sitze am Thorwege für jeden Schelm und frage: wer will mich +betrügen? + +Das ist meine erste Menschen-Klugheit, dass ich mich betrügen lasse, +um nicht auf der Hut zu sein vor Betrügern. + +Ach, wenn ich auf der Hut wäre vor dem Menschen: wie könnte meinem +Balle der Mensch ein Anker sein! Zu leicht risse es mich hinauf und +hinweg! + +Diese Vorsehung ist über meinem Schicksal, dass ich ohne Vorsicht sein +muss. + +Und wer unter Menschen nicht verschmachten will, muss lernen, aus +allen Gläsern zu trinken; und wer unter Menschen rein bleiben will, +muss verstehn, sich auch mit schmutzigem Wasser zu waschen. + +Und also sprach ich oft mir zum Troste: "Wohlan! Wohlauf! Altes Herz! +Ein Unglück missrieth dir: geniesse diess als dein - Glück!" + +Diess aber ist meine andre Menschen-Klugheit: ich schone die _Eitlen_ +mehr als die Stolzen. + +Ist nicht verletzte Eitelkeit die Mutter aller Trauerspiele? Wo aber +Stolz verletzt wird, da wächst wohl etwas Besseres noch, als Stolz +ist. + +Damit das Leben gut anzuschaun sei, muss sein Spiel gut gespielt +werden: dazu aber bedarf es guter Schauspieler. + +Gute Schauspieler fand ich alle Eitlen: sie spielen und wollen, dass +ihnen gern zugeschaut werde, - all ihr Geist ist bei diesem Willen. + +Sie führen sich auf, sie erfinden sich; in ihrer Nähe liebe ich's, dem +Leben zuzuschaun, - es heilt von der Schwermuth. + +Darum schone ich die Eitlen, weil sie mir Arzte sind meiner Schwermuth +und mich am Menschen fest halten als an einem Schauspiele. + +Und dann: wer ermisst am Eitlen die ganze Tiefe seiner Bescheidenheit! +Ich bin ihm gut und mitleidig ob seiner Bescheidenheit. + +Von euch will er seinen Glauben an sich lernen; er nährt sich an euren +Blicken, er frisst das Lob aus euren Händen. + +Euren Lügen glaubt er noch, wenn ihr gut über ihn lügt: denn im +Tiefsten seufzt sein Herz: "was bin _ich_!" + +Und wenn das die rechte Tugend ist, die nicht um sich selber weiss: +nun, der Eitle weiss nicht um seine Bescheidenheit! - + +Das ist aber meine dritte Menschen-Klugheit, dass ich mir den Anblick +der Bösen nicht verleiden lasse durch eure Furchtsamkeit. + +Ich bin selig, die Wunder zu sehn, welche heisse Sonne ausbrütet: +Tiger und Palmen und Klapperschlangen. + +Auch unter Menschen giebt es schöne Brut heisser Sonne und viel +Wunderwürdiges an den Bösen. + +Zwar, wie eure Weisesten mir nicht gar so weise erschienen: so fand +ich auch der Menschen Bosheit unter ihrem Rufe. + +Und oft fragte ich mit Kopfschütteln: Warum noch klappern, ihr +Klapperschlangen? + +Wahrlich, es giebt auch für das Böse noch eine Zukunft! Und der +heisseste Süden ist noch nicht entdeckt für den Menschen. + +Wie Manches heisst jetzt schon ärgste Bosheit, was doch nur zwölf +Schuhe breit und drei Monate lang ist! Einst aber werden grössere +Drachen zur Welt kommen. + +Denn dass dem Übermenschen sein Drache nicht fehle, der Über-Drache, +der seiner würdig ist: dazu muss viel heisse Sonne noch auf feuchten +Urwald glühen! + +Aus euren Wildkatzen müssen erst Tiger geworden sein und aus euren +Giftkröten Krokodile: denn der gute Jäger soll eine gute Jagd haben! + +Und wahrlich, ihr Guten und Gerechten! An euch ist Viel zum Lachen und +zumal eure Furcht vor dem, was bisher "Teufel" hiess! + +So fremd seid ihr dem Grossen mit eurer Seele, dass euch der +Übermensch _furchtbar_ sein würde in seiner Güte! + +Und ihr Weisen und Wissenden, ihr würdet vor dem Sonnenbrande der +Weisheit flüchten, in dem der Übermensch mit Lust seine Nacktheit +badet! + +Ihr höchsten Menschen, denen mein Auge begegnete! das ist mein Zweifel +an euch und mein heimliches Lachen: ich rathe, ihr würdet meinen +Übermenschen - Teufel heissen! + +Ach, ich ward dieser Höchsten und Besten müde: aus ihrer "Höhe" +verlangte mich hinauf, hinaus, hinweg zu dem Übermenschen! + +Ein Grausen überfiel mich, als ich diese Besten nackend sah: da +wuchsen mir die Flügel, fortzuschweben in ferne Zukünfte. + +In fernere Zukünfte, in südlichere Süden, als je ein Bildner träumte: +dorthin, wo Götter sich aller Kleider schämen! + +Aber verkleidet will ich _euch_ sehn, ihr Nächsten und Mitmenschen, +und gut geputzt, und eitel, und würdig, als "die Guten und +Gerechten," - + +Und verkleidet will ich selber unter euch sitzen, - dass ich euch und +mich _verkenne_: das ist nämlich meine letzte Menschen-Klugheit. + +Also sprach Zarathustra. + + + +Die stillste Stunde + +"Was geschah mir, meine Freunde? Ihr seht mich verstört, +fortgetrieben, unwillig-folgsam, bereit zu gehen - ach, von _euch_ +fortzugehen! + +Ja, noch Ein Mal muss Zarathustra in seine Einsamkeit: aber unlustig +geht diessmal der Bär zurück in seine Höhle! + +Was geschah mir? Wer gebeut diess? - Ach, meine zornige Herrin will es +so, sie sprach zu mir: nannte ich je euch schon ihren Namen? + +Gestern gen Abend sprach zu mir _meine_stillste_Stunde_: das ist der +Name meiner furchtbaren Herrin. + +Und so geschah's, - denn Alles muss ich euch sagen, dass euer Herz +sich nicht verhärte gegen den plötzlich Scheidenden! + +Kennt ihr den Schrecken des Einschlafenden? - + +Bis in die Zehen hinein erschrickt er, darob, dass ihm der Boden +weicht und der Traum beginnt. + +Dieses sage ich euch zum Gleichniss. Gestern, zur stillsten Stunde, +wich mir der Boden: der Traum begann. + +Der Zeiger rückte, die Uhr meines Lebens holte Athem - nie hörte ich +solche Stille um mich: also dass mein Herz erschrak. + +Dann sprach es ohne Stimme zu mir: `Du weisst es, Zarathustra?` - + +Und ich schrie vor Schrecken bei diesem Flüstern, und das Blut wich +aus meinem Gesichte: aber ich schwieg. + +Da sprach es abermals ohne Stimme zu mir: `Du weisst es, Zarathustra, +aber du redest es nicht!` - + +Und ich antwortete endlich gleich einem Trotzigen: `Ja, ich weiss es, +aber ich will es nicht reden!` + +Da sprach es wieder ohne Stimme zu mir: `Du _willst_ nicht, +Zarathustra? Ist diess auch wahr? Verstecke dich nicht in deinen +Trotz!` - + +Und ich weinte und zitterte wie ein Kind und sprach: `Ach, ich wollte +schon, aber wie kann ich es! Erlass mir diess nur! Es ist über meine +Kraft!` + +Da sprach es wieder ohne Stimme zu mir: `Was liegt an dir, +Zarathustra! Sprich dein Wort und zerbrich!` - + +Und ich antwortete: `Ach, ist es _mein_ Wort? Wer bin ich? Ich warte +des Würdigeren; ich bin nicht werth, an ihm auch nur zu zerbrechen.` + +Da sprach es wieder ohne Stimme zu mir: `Was liegt an dir? Du bist mir +noch nicht demüthig genug. Die Demuth hat das härteste Fell.` - + +Und ich antwortete: `Was trug nicht schon das Fell meiner Demuth! Am +Fusse wohne ich meiner Höhe: wie hoch meine Gipfel sind? Niemand sagte +es mir noch. Aber gut kenne ich meine Thäler.` + +Da sprach es wieder ohne Stimme zu mir: `Oh Zarathustra, wer Berge zu +versetzen hat, der versetzt auch Thäler und Niederungen.` - + +Und ich antwortete: `Noch versetzte mein Wort keine Berge, und was ich +redete, erreichte die Menschen nicht. Ich gieng wohl zu den Menschen, +aber noch langte ich nicht bei ihnen an.` + +Da sprach es wieder ohne Stimme zu mir: `Was weisst du _davon_! Der +Thau fällt auf das Gras, wenn die Nacht am verschwiegensten ist.` - + +Und ich antwortete: `sie verspotteten mich, als ich meinen eigenen Weg +fand und gieng; und in Wahrheit zitterten damals meine Füsse.` + +Und so sprachen sie zu mir: `du verlerntest den Weg, nun verlernst du +auch das Gehen!` + +Da sprach es wieder ohne Stimme zu mir: `Was liegt an ihrem Spotte! Du +bist Einer, der das Gehorchen verlernt hat: nun sollst du befehlen! + +Weisst du nicht, _wer_ Allen am nöthigsten thut? Der Grosses befiehlt. + +Grosses vollführen ist schwer: aber das Schwerere ist, Grosses +befehlen. + +Das ist dein Unverzeihlichstes: du hast die Macht, und du willst nicht +herrschen.` - + +Und ich antwortete: `Mir fehlt des Löwen Stimme zu allem Befehlen.` + +Da sprach es wieder wie ein Flüstern zu mir: `Die stillsten Worte sind +es, welche den Sturm bringen. Gedanken, die mit Taubenfüssen kommen, +lenken die Welt. + +Oh Zarathustra, du sollst gehen als ein Schatten dessen, was kommen +muss: so wirst du befehlen und befehlend vorangehen.` - + +Und ich antwortete: `Ich schäme mich.` + +Da sprach es wieder ohne Stimme zu mir: `Du musst noch Kind werden und +ohne Scham. + +Der Stolz der Jugend ist noch auf dir, spät bist du jung geworden: +aber wer zum Kinde werden will, muss auch noch seine Jugend +überwinden.` - + +Und ich besann mich lange und zitterte. Endlich aber sagte ich, was +ich zuerst sagte: `Ich will nicht.` + +Da geschah ein Lachen um mich. Wehe, wie diess Lachen mir die +Eingeweide zerriss und das Herz aufschlitzte! + +Und es sprach zum letzten Male zu mir: `Oh Zarathustra, deine Früchte +sind reif, aber du bist nicht reif für deine Früchte! + +So musst du wieder in die Einsamkeit: denn du sollst noch mürbe +werden.` - + +Und wieder lachte es und floh: dann wurde es stille um mich wie mit +einer zwiefachen Stille. Ich aber lag am Boden, und der Schweiss floss +mir von den Gliedern. + +- Nun hörtet ihr Alles, und warum ich in meine Einsamkeit zurück muss. +Nichts verschwieg ich euch, meine Freunde. + +Aber auch diess hörtet ihr von mir, _wer_ immer noch aller Menschen +Verschwiegenster ist - und es sein will! + +Ach meine Freunde! Ich hätte euch noch Etwas zu sagen, ich hätte euch +noch Etwas zu geben! Warum gebe ich es nicht? Bin ich denn geizig?" - + +Als Zarathustra aber diese Worte gesprochen hatte, überfiel ihn die +Gewalt des Schmerzes und die Nähe des Abschieds von seinen Freunden, +also dass er laut weinte; und Niemand wusste ihn zu trösten. Des +Nachts aber gieng er allein fort und verliess seine Freunde. + + + + +Dritter Theil + +"Ihr seht nach Oben, wenn ihr nach Erhebung verlangt. Und ich sehe +hinab, weil ich erhoben bin. + +Wer von euch kann zugleich lachen und erhoben sein? + +Wer auf den höchsten Bergen steigt, der lacht über alle Trauer-Spiele +und Trauer-Ernste." + +Zarathustra, vom Lesen und Schreiben. + + + +Der Wanderer + +Um Mitternacht war es, da nahm Zarathustra seinen Weg über den Rücken +der Insel, dass er mit dem frühen Morgen an das andre Gestade käme: +denn dort wollte er zu Schiff steigen. Es gab nämlich allda eine gute +Rhede, an der auch fremde Schiffe gern vor Anker giengen; die nahmen +Manchen mit sich, der von den glückseligen Inseln über das Meer +wollte. Als nun Zarathustra so den Berg hinanstieg, gedachte er +unterwegs des vielen einsamen Wanderns von Jugend an, und wie viele +Berge und Rücken und Gipfel er schon gestiegen sei. + +Ich bin ein Wanderer und ein Bergsteiger, sagte er zu seinem Herzen, +ich liebe die Ebenen nicht und es scheint, ich kann nicht lange still +sitzen. + +Und was mir nun auch noch als Schicksal und Erlebniss komme, - ein +Wandern wird darin sein und ein Bergsteigen: man erlebt endlich nur +noch sich selber. + +Die Zeit ist abgeflossen, wo mir noch Zufälle begegnen durften; und +was _könnte_ jetzt noch zu mir fallen, was nicht schon mein Eigen +wäre! + +Es kehrt nur zurück, es kommt mir endlich heim - mein eigen Selbst, +und was von ihm lange in der Fremde war und zerstreut unter alle Dinge +und Zufälle. + +Und noch Eins weiss ich: ich stehe jetzt vor meinem letzten Gipfel und +vor dem, was mir am längsten aufgespart war. Ach, meinen härtesten Weg +muss ich hinan! Ach, ich begann meine einsamste Wanderung! + +Wer aber meiner Art ist, der entgeht einer solchen Stunde nicht: der +Stunde, die zu ihm redet: "Jetzo erst gehst du deinen Weg der Grösse! +Gipfel und Abgrund - das ist jetzt in Eins beschlossen! + +Du gehst deinen Weg der Grösse: nun ist deine letzte Zuflucht worden, +was bisher deine letzte Gefahr hiess! + +Du gehst deinen Weg der Grösse: das muss nun dein bester Muth sein, +dass es hinter dir keinen Weg mehr giebt! + +Du gehst deinen Weg der Grösse; hier soll dir Keiner nachschleichen! +Dein Fuss selber löschte hinter dir den Weg aus, und über ihm steht +geschrieben: Unmöglichkeit. + +Und wenn dir nunmehr alle Leitern fehlen, so musst du verstehen, noch +auf deinen eigenen Kopf zu steigen: wie wolltest du anders aufwärts +steigen? + +Auf deinen eigenen Kopf und hinweg über dein eigenes Herz! Jetzt muss +das Mildeste an dir noch zum Härtesten werden. + +Wer sich stets viel geschont hat, der kränkelt zuletzt an seiner +vielen Schonung. Gelobt sei, was hart macht! Ich lobe das Land nicht, +wo Butter und Honig - fliesst! + +Von sich _absehn_ lernen ist nöthig, um _Viel_ zu sehn: - diese Härte +thut jedem Berge-Steigenden Noth. + +Wer aber mit den Augen zudringlich ist als Erkennender, wie sollte der +von allen Dingen mehr als ihre vorderen Gründe sehn! + +Du aber, oh Zarathustra, wolltest aller Dinge Grund schaun und +Hintergrund: so musst du schon über dich selber steigen, - hinan, +hinauf, bis du auch deine Sterne noch _unter_ dir hast! + +Ja! Hinab auf mich selber sehn und noch auf meine Sterne: das erst +hiesse mir mein _Gipfel_, das blieb mir noch zurück als mein _letzter_ +Gipfel! -" + +Also sprach Zarathustra im Steigen zu sich, mit harten Sprüchlein sein +Herz tröstend: denn er war wund am Herzen wie noch niemals zuvor. Und +als er auf die Höhe des Bergrückens kam, siehe, da lag das andere Meer +vor ihm ausgebreitet: und er stand still und schwieg lange. Die Nacht +aber war kalt in dieser Höhe und klar und hellgestirnt. + +Ich erkenne mein Loos, sagte er endlich mit Trauer. Wohlan! Ich bin +bereit. Eben begann meine letzte Einsamkeit. + +Ach, diese schwarze traurige See unter mir! Ach, diese schwangere +nächtliche Verdrossenheit! Ach, Schicksal und See! Zu euch muss ich +nun _hinab_ steigen! + +Vor meinem höchsten Berge stehe ich und vor meiner längsten Wanderung: +darum muss ich erst tiefer hinab als ich jemals stieg: + +- tiefer hinab in den Schmerz als ich jemals stieg, bis hinein in +seine schwärzeste Fluth! So will es mein Schicksal: Wohlan! Ich bin +bereit. + +Woher kommen die höchsten Berge? so fragte ich einst. Da lernte ich, +dass sie aus dem Meere kommen. + +Diess Zeugniss ist in ihr Gestein geschrieben und in die Wände ihrer +Gipfel. Aus dem Tiefsten muss das Höchste zu seiner Höhe kommen. - + +Also sprach Zarathustra auf der Spitze des Berges, wo es kalt war; +als er aber in die Nähe des Meeres kam und zuletzt allein unter den +Klippen stand, da war er unterwegs müde geworden und sehnsüchtiger als +noch zuvor. + +Es schläft jetzt Alles noch, sprach er; auch das Meer schläft. +Schlaftrunken und fremd blickt sein Auge nach mir. + +Aber es athmet warm, das fühle ich. Und ich fühle auch, dass es +träumt. Es windet sieh träumend auf harten Kissen. + +Horch! Horch! Wie es stöhnt von bösen Erinnerungen! Oder bösen +Erwartungen? + +Ach, ich bin traurig mit dir, du dunkles Ungeheuer, und mir selber +noch gram um deinetwillen. + +Ach, dass meine Hand nicht Stärke genug hat! Gerne, wahrlich, möchte +ich dich von bösen Träumen erlösen! - + +Und indem Zarathustra so sprach, lachte er mit Schwermuth und +Bitterkeit über sich selber. "Wie! Zarathustra! sagte er, willst du +noch dem Meere Trost singen? + +Ach, du liebreicher Narr Zarathustra, du Vertrauens-Überseliger! Aber +so warst du immer: immer kamst du vertraulich zu allem Furchtbaren. + +Jedes Ungethüm wolltest du noch streicheln. Ein Hauch warmen Athems, +ein Wenig weiches Gezottel an der Tatze -: und gleich warst du bereit, +es zu lieben und zu locken. + +Die _Liebe_ ist die Gefahr des Einsamsten, die Liebe zu Allem, +wenn es nur lebt! Zum Lachen ist wahrlich meine Narrheit und meine +Bescheidenheit in der Liebe!" - + +Also sprach Zarathustra und lachte dabei zum andern Male: da aber +gedachte er seiner verlassenen Freunde -, und wie als ob er sich mit +seinen Gedanken an ihnen vergangen habe, zürnte er sich ob seiner +Gedanken. Und alsbald geschah es, dass der Lachende weinte: - vor Zorn +und Sehnsucht weinte Zarathustra bitterlich. + + + +Vom Gesicht und Räthsel + +1. + +Als es unter den Schiffsleuten ruchbar wurde, dass Zarathustra auf dem +Schiffe sei, - denn es war ein Mann zugleich mit ihm an Bord gegangen, +der von den glückseligen Inseln kam - da entstand eine grosse +Neugierde und Erwartung. Aber Zarathustra schwieg zwei Tage und war +kalt und taub vor Traurigkeit, also, dass er weder auf Blicke noch +auf Fragen antwortete. Am Abende aber des zweiten Tages that er +seine Ohren wieder auf, ob er gleich noch schwieg: denn es gab viel +Seltsames und Gefährliches auf diesem Schiffe anzuhören, welches +weither kam und noch weiterhin wollte. Zarathustra aber war ein Freund +aller Solchen, die weite Reisen thun und nicht ohne Gefahr leben +mögen. Und siehe! zuletzt wurde ihm im Zuhören die eigne Zunge gelöst, +und das Eis seines Herzens brach: - da begann er also zu reden: + +Euch, den kühnen Suchern, Versuchern, und wer je sich mit listigen +Segeln auf furchtbare Meere einschiffte, - + +euch, den Räthsel-Trunkenen, den Zwielicht-Frohen, deren Seele mit +Flöten zu jedem Irr-Schlunde gelockt wird: + +- denn nicht wollt ihr mit feiger Hand einem Faden nachtasten; und, wo +ihr _errathen_ könnt, da hasst ihr es, zu _erschliessen_ - + +euch allein erzähle ich das Räthsel, das ich _sah_, - das Gesicht des +Einsamsten. - + +Düster gierig ich jüngst durch leichenfarbne Dämmerung, - düster +und hart, mit gepressten Lippen. Nicht nur Eine Sonne war mir +untergegangen. + +Ein Pfad, der trotzig durch Geröll stieg, ein boshafter, einsamer, dem +nicht Kraut, nicht Strauch mehr zusprach: ein Bergpfad knirschte unter +dem Trotz meines Fusses. + +Stumm über höhnischem Geklirr von Kieseln schreitend, den Stein +zertretend, der ihn gleiten liess: also zwang mein Fuss sich aufwärts. + +Aufwärts: - dem Geiste zum Trotz, der ihn abwärts zog, abgrundwärts +zog, dem Geiste der Schwere, meinem Teufel und Erzfeinde. + +Aufwärts: - obwohl er auf mir sass, halb Zwerg, halb Maulwurf; lahm; +lähmend; Blei durch mein Ohr, Bleitropfen-Gedanken in mein Hirn +träufelnd. + +"Oh Zarathustra, raunte er höhnisch Silb' um Silbe, du Stein der +Weisheit! Du warfst dich hoch, aber jeder geworfene Stein muss - +fallen! + +Oh Zarathustra, du Stein der Weisheit, du Schleuderstein, du +Stern-Zertrümmerer! Dich selber warfst du so hoch, - aber jeder +geworfene Stein - muss fallen! + +Verurtheilt zu dir selber und zur eignen Steinigung: oh Zarathustra, +weit warfst du ja den Stein, - aber auf _dich_ wird er zurückfallen!" + +Drauf schwieg der Zwerg; und das währte lange. Sein Schweigen aber +drückte mich; und solchermaassen zu Zwein ist man wahrlich einsamer +als zu Einem! + +Ich stieg, ich stieg, ich träumte, ich dachte, - aber Alles drückte +mich. Einem Kranken glich ich, den seine schlimme Marter müde macht, +und den wieder ein schlimmerer Traum aus dem Einschlafen weckt. - + +Aber es giebt Etwas in mir, das ich Muth heisse: das schlug bisher mir +jeden Unmuth todt. Dieser Muth hiess mich endlich stille stehn und +sprechen: "Zwerg! Du! Oder ich!" - + +Muth nämlich ist der beste Todtschläger, - Muth, welcher _angreift_: +denn in jedem Angriffe ist klingendes Spiel. + +Der Mensch aber ist das muthigste Thier: damit überwand er jedes +Thier. Mit klingendem Spiele überwand er noch jeden Schmerz; +Menschen-Schmerz aber ist der tiefste Schmerz. + +Der Muth schlägt auch den Schwindel todt an Abgründen: und wo stünde +der Mensch nicht an Abgründen! Ist Sehen nicht selber - Abgründe +sehen? + +Muth ist der beste Todtschläger: der Muth schlägt auch das Mitleiden +todt. Mitleiden aber ist der tiefste Abgrund: so tief der Mensch in +das Leben sieht, so tief sieht er auch in das Leiden. + +Muth aber ist der beste Todtschläger, Muth, der angreift: der schlägt +noch den Tod todt, denn er spricht: "War _das_ das Leben? Wohlan! Noch +Ein Mal!" + +In solchem Spruche aber ist viel klingendes Spiel. Wer Ohren hat, der +höre. - + + +2. + +"Halt! Zwerg! sprach ich. Ich! Oder du! Ich aber bin der Stärkere von +uns Beiden -: du kennst meinen abgründlichen Gedanken nicht! _Den_ - +könntest du nicht tragen!" - + +Da geschah, was mich leichter machte: denn der Zwerg sprang mir von +der Schulter, der Neugierige! Und er hockte sich auf einen Stein vor +mich hin. Es war aber gerade da ein Thorweg, wo wir hielten. + +"Siehe diesen Thorweg! Zwerg! sprach ich weiter: der hat zwei +Gesichter. Zwei Wege kommen hier zusammen: die gieng noch Niemand zu +Ende. + +Diese lange Gasse zurück: die währt eine Ewigkeit. Und jene lange +Gasse hinaus - das ist eine andre Ewigkeit. + +Sie widersprechen sich, diese Wege; sie stossen sich gerade vor den +Kopf: - und hier, an diesem Thorwege, ist es, wo sie zusammen kommen. +Der Name des Thorwegs steht oben geschrieben: `Augenblick`. + +Aber wer Einen von ihnen weiter gienge - und immer weiter und +immer ferner: glaubst du, Zwerg, dass diese Wege sich ewig +widersprechen?" - + +"Alles Gerade lügt, murmelte verächtlich der Zwerg. Alle Wahrheit ist +krumm, die Zeit selber ist ein Kreis." + +"Du Geist der Schwere! sprach ich zürnend, mache dir es nicht zu +leicht! Oder ich lasse dich hocken, wo du hockst, Lahmfuss, - und ich +trug dich _hoch_! + +Siehe, sprach ich weiter, diesen Augenblick! Von diesem Thorwege +Augenblick läuft eine lange ewige Gasse _rückwärts_ hinter uns liegt +eine Ewigkeit. + +Muss nicht, was laufen _kann_ von allen Dingen, schon einmal diese +Gasse gelaufen sein? Muss nicht, was geschehn _kann_ von allen Dingen, +schon einmal geschehn, gethan, vorübergelaufen sein? + +Und wenn Alles schon dagewesen ist: was hältst du Zwerg von diesem +Augenblick? Muss auch dieser Thorweg nicht schon - dagewesen sein? + +Und sind nicht solchermaassen fest alle Dinge verknotet, dass dieser +Augenblick _alle_ kommenden Dinge nach sich zieht? _Also_ - - sich +selber noch? + +Denn, was laufen _kann_ von allen Dingen: auch in dieser langen Gasse +_hinaus_ - _muss_ es einmal noch laufen! - + +Und diese langsame Spinne, die im Mondscheine kriecht, und dieser +Mondschein selber, und ich und du im Thorwege, zusammen flüsternd, von +ewigen Dingen flüsternd - müssen wir nicht Alle schon dagewesen sein? + +- und wiederkommen und in jener anderen Gasse laufen, hinaus, vor +uns, in dieser langen schaurigen Gasse - müssen wir nicht ewig +wiederkommen? -" + +Also redete ich, und immer leiser: denn ich fürchtete mich vor meinen +eignen Gedanken und Hintergedanken. Da, plötzlich, hörte ich einen +Hund nahe _heulen_. + +Hörte ich jemals einen Hund so heulen? Mein Gedanke lief zurück. Ja! +Als ich Kind war, in fernster Kindheit: + +- da hörte ich einen Hund so heulen. Und sah ihn auch, gesträubt, den +Kopf nach Oben, zitternd, in stillster Mitternacht, wo auch Hunde an +Gespenster glauben: + +- also dass es mich erbarmte. Eben nämlich gieng der volle Mond, +todtschweigsam, über das Haus, eben stand er still, eine runde Gluth, +- still auf flachem Dache, gleich als auf fremdem Eigenthume: - + +darob entsetzte sich damals der Hund: denn Hunde glauben an Diebe und +Gespenster. Und als ich wieder so heulen hörte, da erbarmte es mich +abermals. + +Wohin war jetzt Zwerg? und Thorweg? Und Spinne? Und alles Flüstern? +Träumte ich denn? Wachte ich auf? Zwischen wilden Klippen stand ich +mit Einem Male, allein, öde, im ödesten Mondscheine. + +Aber da lag ein Mensch! Und da! Der Hund, springend, gesträubt, +winselnd, - jetzt sah er mich kommen - da heulte er wieder, da +_schrie_ er: - hörte ich je einen Hund so Hülfe schrein? + +Und, wahrlich, was ich sah, desgleichen sah ich nie. Einen jungen +Hirten sah ich, sich windend, würgend, zuckend, verzerrten Antlitzes, +dem eine schwarze schwere Schlange aus dem Munde hieng. + +Sah ich je so viel Ekel und bleiches Grauen auf Einem Antlitze? Er +hatte wohl geschlafen? Da kroch ihm die Schlange in den Schlund - da +biss sie sich fest. + +Meine Hand riss die Schlange und riss: - umsonst! sie riss die +Schlange nicht aus dem Schlunde. Da schrie es aus mir: "Beiss zu! +Beiss zu! + +Den Kopf ab! Beiss zu!" - so schrie es aus mir, mein Grauen, mein +Hass, mein Ekel, mein Erbarmen, all mein Gutes und Schlimmes schrie +mit Einem Schrei aus mir. - + +Ihr Kühnen um mich! Ihr Sucher, Versucher, und wer von euch mit +listigen Segeln sich in unerforschte Meere einschiffte! Ihr +Räthsel-Frohen! + +So rathet mir doch das Räthsel, das ich damals schaute, so deutet mir +doch das Gesicht des Einsamsten! + +Denn ein Gesicht war's und ein Vorhersehn: - _was_ sah ich damals im +Gleichnisse? Und _wer_ ist, der einst noch kommen muss? + +_Wer_ ist der Hirt, dem also die Schlange in den Schlund kroch? _Wer_ +ist der Mensch, dem also alles Schwerste, Schwärzeste in den Schlund +kriechen wird? + +- Der Hirt aber biss, wie mein Schrei ihm rieth; er biss mit gutem +Bisse! Weit weg spie er den Kopf der Schlange -: und sprang empor. - + +Nicht mehr Hirt, nicht mehr Mensch, - ein Verwandelter, ein +Umleuchteter, welcher _lachte_! Niemals noch auf Erden lachte je ein +Mensch, wie _er_ lachte! + +Oh meine Brüder, ich hörte ein Lachen, das keines Menschen Lachen war, +- - und nun frisst ein Durst an mir, eine Sehnsucht, die nimmer stille +wird. + +Meine Sehnsucht nach diesem Lachen frisst an mir: oh wie ertrage ich +noch zu leben! Und wie ertrüge ich's, jetzt zu sterben! - + +Also sprach Zarathustra. + + + +Von der Seligkeit wider Willen + +Mit solchen Räthseln und Bitternissen im Herzen fuhr Zarathustra über +das Meer. Als er aber vier Tagereisen fern war von den glückseligen +Inseln und von seinen Freunden, da hatte er allen seinen Schmerz +überwunden -: siegreich und mit festen Füssen stand er wieder auf +seinem Schicksal. Und damals redete Zarathustra also zu seinem +frohlockenden Gewissen: + +"Allein bin ich wieder und will es sein, allein mit reinem Himmel und +freiem Meere; und wieder ist Nachmittag um mich. + +Des Nachmittags fand ich zum ersten Male einst meine Freunde, des +Nachmittags auch zum anderen Male: - zur Stunde, da alles Licht +stiller wird. + +Denn was von Glück noch unterwegs ist zwischen Himmel und Erde, das +sucht sich nun zur Herberge noch eine lichte Seele: _vor_Glück_ ist +alles Licht jetzt stiller worden. + +Oh Nachmittag meines Lebens! Einst stieg auch _mein_ Glück zu +Thale, dass es sich eine Herberge suche: da fand es diese offnen +gastfreundlichen Seelen. + +Oh Nachmittag meines Lebens! Was gab ich nicht hin, dass ich Eins +hätte: diese lebendige Pflanzung meiner Gedanken und diess Morgenlicht +meiner höchsten Hoffnung! + +Gefährten suchte einst der Schaffende und Kinder _seiner_ Hoffnung: +und siehe, es fand sich, dass er sie nicht finden könne, es sei denn, +er schaffe sie selber erst. + +Also bin ich mitten in meinem Werke, zu meinen Kindern gehend und von +ihnen kehrend: um seiner Kinder willen muss Zarathustra sich selbst +vollenden. + +Denn von Grund aus liebt man nur sein Kind und Werk; und wo grosse +Liebe zu sich selber ist, da ist sie der Schwangerschaft Wahrzeichen: +so fand ich's. + +Noch grünen mir meine Kinder in ihrem ersten Frühlinge, nahe bei +einander stehend und gemeinsam von Winden geschüttelt, die Bäume +meines Gartens und besten Erdreichs. + +Und wahrlich! Wo solche Bäume bei einander stehn, da _sind_ +glückselige Inseln! + +Aber einstmals will ich sie ausheben und einen jeden für sich allein +stellen: dass er Einsamkeit lerne und Trotz und Vorsicht. + +Knorrig und gekrümmt und mit biegsamer Härte soll er mir dann am Meere +dastehn, ein lebendiger Leuchtthurm unbesiegbaren Lebens. + +Dort, wo die Stürme hinab in's Meer stürzen, und des Gebirgs Rüssel +Wasser trinkt, da soll ein jeder einmal seine Tag- und Nachtwachen +haben, zu _seiner_ Prüfung und Erkenntniss. + +Erkannt und geprüft soll er werden, darauf, ob er meiner Art und +Abkunft ist, - ob er eines langen Willens Herr sei, schweigsam, auch +wenn er redet, und nachgebend also, dass er im Geben _nimmt_: - + +- dass er einst mein Gefährte werde und ein Mitschaffender und +Mitfeiernder Zarathustra's -: ein Solcher, der mir meinen Willen auf +meine Tafeln schreibt: zu aller Dinge vollerer Vollendung. + +Und um seinetwillen und seines Gleichen muss ich selber _mich_ +vollenden: darum weiche ich jetzt meinem Glücke aus und biete mich +allem Unglücke an - zu _meiner_ letzten Prüfung und Erkenntniss. + +Und wahrlich, Zeit war's, dass ich gierig; und des Wanderers Schatten +und die längste Weile und die stillste Stunde - alle redeten mir zu: +`es ist höchste Zeit!` + +Der Wind blies mir durch's Schlüsselloch und sagte `Komm!` Die Thür +sprang mir listig auf und sagte `Geh!` + +Aber ich lag angekettet an die Liebe zu meinen Kindern: das Begehren +legte mir diese Schlinge, das Begehren nach Liebe, dass ich meiner +Kinder Beute würde und mich an sie verlöre. + +Begehren - das heisst mir schon: mich verloren haben. Ich habe euch, +meine Kinder! In diesem Haben soll Alles Sicherheit und Nichts +Begehren sein. + +Aber brütend lag die Sonne meiner Liebe auf mir, im eignen Safte +kochte Zarathustra, - da flogen Schatten und Zweifel über mich weg. + +Nach Frost und Winter gelüstete mich schon: `oh dass Frost und Winter +mich wieder knacken und knirschen machten!` seufzte ich: - da stiegen +eisige Nebel aus mir auf. + +Meine Vergangenheit brach ihm Gräber, manch lebendig begrabner +Schmerz wachte auf -: ausgeschlafen hatte er sich nur, versteckt in +Leichen-Gewänder. + +Also rief mir Alles in Zeichen zu: `es ist Zeit!` - Aber ich - hörte +nicht: bis endlich mein Abgrund sich rührte und mein Gedanke mich +biss. + +Ach, abgründlicher Gedanke, der du _mein_ Gedanke bist! Wann finde ich +die Stärke, dich graben zu hören und nicht mehr zu zittern? + +Bis zur Kehle hinauf klopft mir das Herz, wenn ich dich graben höre! +Dein Schweigen noch will mich würgen, du abgründlich Schweigender! + +Noch wagte ich niemals, dich _herauf_ zu rufen: genug schon, dass +ich dich mit mir - trug! Noch war ich nicht stark genug zum letzten +Löwen-Übermuthe und -Muthwillen. + +Genug des Furchtbaren war mir immer schon deine Schwere: aber einst +soll ich noch die Stärke finden und die Löwen-Stimme, die dich herauf +ruft! + +Wenn ich mich dessen erst überwunden habe, dann will ich mich auch +des Grösseren noch überwinden; und ein _Sieg_ soll meiner Vollendung +Siegel sein! - + +Inzwischen treibe ich noch auf ungewissen Meeren; der Zufall +schmeichelt mir, der glattzüngige; vorwärts und rückwärts schaue ich +-, noch schaue ich kein Ende. + +Noch kam mir die Stunde meines letzten Kampfes nicht, - oder kommt sie +wohl mir eben? Wahrlich, mit tückischer Schönheit schaut mich rings +Meer und Leben an! + +Oh Nachmittag meines Lebens! Oh Glück vor Abend! Oh Hafen auf hoher +See! Oh Friede im Ungewissen! Wie misstraue ich euch Allen! + +Wahrlich, misstrauisch bin ich gegen eure tückische Schönheit! Dem +Liebenden gleiche ich, der allzusammtenem Lächeln misstraut. + +Wie er die Geliebteste vor sich her stösst, zärtlich noch in seiner +Härte, der Eifersüchtige -, also stosse ich diese selige Stunde vor +mir her. + +Hinweg mit dir, du selige Stunde! Mit dir kam mir eine Seligkeit wider +Willen! Willig zu meinem tiefsten Schmerze stehe ich hier: - zur +Unzeit kamst du! + +Hinweg mit dir, du selige Stunde! Lieber nimm Herberge dort - bei +meinen Kindern! Eile! und segne sie vor Abend noch mit _meinem_ +Glücke! + +Da naht schon der Abend: die Sonne sinkt. Dahin - mein Glück! -" + +Also sprach Zarathustra. Und er wartete auf sein Unglück die ganze +Nacht: aber er wartete umsonst. Die Nacht blieb hell und still, und +das Glück selber kam ihm immer näher und näher. Gegen Morgen aber +lachte Zarathustra zu seinem Herzen und sagte spöttisch: "das Glück +läuft mir nach. Das kommt davon, dass ich nicht den Weibern nachlaufe. +Das Glück aber ist ein Weib." + + + +Vor Sonnen-Aufgang + +Oh Himmel über mir, du Reiner! Tiefer! Du Licht-Abgrund! Dich schauend +schaudere ich vor göttlichen Begierden. + +In deine Höhe mich zu werfen - das ist _meine_ Tiefe! In deine +Reinheit mich zu bergen - das ist _meine_ Unschuld! + +Den Gott verhüllt seine Schönheit: so verbirgst du deine Sterne. Du +redest nicht: _so_ kündest du mir deine Weisheit. + +Stumm über brausendem Meere bist du heut mir aufgegangen, deine Liebe +und deine Scham redet Offenbarung zu meiner brausenden Seele. + +Dass du schön zu mir kamst, verhüllt in deine Schönheit, dass du stumm +zu mir sprichst, offenbar in deiner Weisheit: + +Oh wie erriethe ich nicht alles Schamhafte deiner Seele! _Vor_ der +Sonne kamst du zu mir, dem Einsamsten. + +Wir sind Freunde von Anbeginn: uns ist Gram und Grauen und Grund +gemeinsam; noch die Sonne ist uns gemeinsam. + +Wir reden nicht zu einander, weil wir zu Vieles wissen -: wir +schweigen uns an, wir lächeln uns unser Wissen zu. + +Bist du nicht das Licht zu meinem Feuer? Hast du nicht die +Schwester-Seele zu meiner Einsicht? + +Zusammen lernten wir Alles; zusammen lernten wir über uns zu uns +selber aufsteigen und wolkenlos lächeln: - + +- wolkenlos hinab lächeln aus lichten Augen und aus meilenweiter +Ferne, wenn unter uns Zwang und Zweck und Schuld wie Regen dampfen. + +Und wanderte ich allein: _wes_ hungerte meine Seele in Nächten und +Irr-Pfaden? Und stieg ich Berge, _wen_ suchte ich je, wenn nicht dich, +auf Bergen? + +Und all mein Wandern und Bergsteigen: eine Noth war's nur und ein +Behelf des Unbeholfenen: - _fliegen_ allein will mein ganzer Wille, in +_dich_ hinein fliegen! + +Und wen hasste ich mehr, als ziehende Wolken und Alles, was dich +befleckt? Und meinen eignen Hass hasste ich noch, weil er dich +befleckte! + +Den ziehenden Wolken bin ich gram, diesen schleichenden Raub-Katzen: +sie nehmen dir und mir, was uns gemein ist, - das ungeheure +unbegrenzte Ja- und Amen-sagen. + +Diesen Mittlern und Mischern sind wir gram, den ziehenden Wolken: +diesen Halb- und Halben, welche weder segnen lernten, noch von Grund +aus fluchen. + +Lieber will ich noch unter verschlossnem Himmel in der Tonne sitzen, +lieber ohne Himmel im Abgrund sitzen, als dich, Licht-Himmel, mit +Zieh-Wolken befleckt sehn! + +Und oft gelüstete mich, sie mit zackichten Blitz-Golddrähten +festzuheften, dass ich, gleich dem Donner, auf ihrem Kessel-Bauche die +Pauke schlüge: - + +- ein zorniger Paukenschläger, weil sie mir dein Ja! und Amen! rauben, +du Himmel über mir, du Reiner! Lichter! Du Licht-Abgrund! - weil sie +dir _mein_ Ja! und Amen! rauben. + +Denn lieber noch will ich Lärm und Donner und Wetter-Flüche, als diese +bedächtige zweifelnde Katzen-Ruhe; und auch unter Menschen hasse +ich am besten alle Leisetreter und Halb- und Halben und zweifelnde, +zögernde Zieh-Wolken. + +Und "wer nicht segnen kann, der soll fluchen _lernen_!" - diese helle +Lehre fiel mir aus hellem Himmel, dieser Stern steht auch noch in +schwarzen Nächten an meinem Himmel. + +Ich aber bin ein Segnender und ein Ja-sager, wenn du nur um mich bist, +du Reiner! Lichter! Du Licht-Abgrund! - in alle Abgründe trage ich da +noch mein segnendes Ja-sagen. + +Zum Segnenden bin ich worden und zum Ja-sagenden: und dazu rang ich +lange und war ein Ringer, dass ich einst die Hände frei bekäme zum +Segnen. + +Das aber ist mein Segnen: über jedwedem Ding als sein eigener Himmel +stehn, als sein rundes Dach, seine azurne Glocke und ewige Sicherheit: +und selig ist, wer also segnet! + +Denn alle Dinge sind getauft am Borne der Ewigkeit und jenseits von +Gut und Böse; Gut und Böse selber aber sind nur Zwischenschatten und +feuchte Trübsale und Zieh-Wolken. + +Wahrlich, ein Segnen ist es und kein Lästern, wenn ich lehre: "über +allen Dingen steht der Himmel Zufall, der Himmel Unschuld, der Himmel +Ohngefähr, der Himmel Übermuth." + +"Von Ohngefähr" - das ist der älteste Adel der Welt, den gab ich allen +Dingen zurück, ich erlöste sie von der Knechtschaft unter dem Zwecke. + +Diese Freiheit und Himmels-Heiterkeit stellte ich gleich azurner +Glocke über alle Dinge, als ich lehrte, dass über ihnen und durch sie +kein "ewiger Wille" - will. + +Diesen Übermuth und diese Narrheit stellte ich an die Stelle +jenes Willens, als ich lehrte: "bei Allem ist Eins unmöglich - +Vernünftigkeit!" + +Ein _Wenig_ Vernunft zwar, ein Same der Weisheit zerstreut von Stern +zu Stern, - dieser Sauerteig ist allen Dingen eingemischt: um der +Narrheit willen ist Weisheit allen Dingen eingemischt! + +Ein Wenig Weisheit ist schon möglich; aber diese selige Sicherheit +fand ich an allen Dingen: dass sie lieber noch auf den Füssen des +Zufalls - _tanzen_. + +Oh Himmel über mir, du Reiner! Hoher! Das ist mir nun deine Reinheit, +dass es keine ewige Vernunft-Spinne und -Spinnennetze giebt: - + +- dass du mir ein Tanzboden bist für göttliche Zufälle, dass du mir +ein Göttertisch bist für göttliche Würfel und Würfelspieler! - + +Doch du erröthest? Sprach ich Unaussprechbares? Lästerte ich, indem +ich dich segnen wollte? + +Oder ist es die Scham zu Zweien, welche dich erröthen machte? - +Heissest du mich gehn und schweigen, weil nun - der _Tag_ kommt? + +Die Welt ist tief -: und tiefer als je der Tag gedacht hat. Nicht +Alles darf vor dem Tage Worte haben. Aber der Tag kommt: so scheiden +wir nun! + +Oh Himmel über mir, du Schamhafter! Glühender! Oh du mein Glück vor +Sonnen-Aufgang! Der Tag kommt: so scheiden wir nun! - + +Also sprach Zarathustra. + + + +Von der verkleinernden Tugend + +1. + +Als Zarathustra wieder auf dem festen Lande war, gieng er nicht +stracks auf sein Gebirge und seine Höhle los, sondern that viele Wege +und Fragen und erkundete diess und das, also, dass er von sich selber +im Scherze sagte: "siehe einen Fluss, der in vielen Windungen zurück +zur Quelle fliesst!" Denn er wollte in Erfahrung bringen, was sich +inzwischen _mit_dem_Menschen_ zugetragen habe: ob er grösser oder +kleiner geworden sei. Und ein Mal sah er eine Reihe neuer Häuser; da +wunderte er sich und sagte: + +"Was bedeuten diese Häuser? Wahrlich, keine grosse Seele stellte sie +hin, sich zum Gleichnisse! + +Nahm wohl ein blödes Kind sie aus seiner Spielschachtel? Dass doch ein +anderes Kind sie wieder in seine Schachtel thäte! + +Und diese Stuben und Kammern: können _Männer_ da aus- und eingehen? +Gemacht dünken sie mich für Seiden-Puppen; oder für Naschkatzen, die +auch wohl an sich naschen lassen." + +Und Zarathustra blieb stehn und dachte nach. Endlich sagte er betrübt: +"Es ist _Alles_ kleiner geworden! + +Überall sehe ich niedrigere Thore: wer _meiner_ Art ist, geht da wohl +noch hindurch, aber - er muss sich bücken! + +Oh wann komme ich wieder in meine Heimat, wo ich mich nicht mehr +bücken muss - nicht mehr bücken muss vor den Kleinen!" - Und +Zarathustra seufzte und blickte in die Ferne. - + +Desselbigen Tages aber redete er seine Rede über die verkleinernde +Tugend. + + +2. + +Ich gehe durch diess Volk und halte meine Augen offen: sie vergeben +mir es nicht, dass ich auf ihre Tugenden nicht neidisch bin. + +Sie beissen nach mir, weil ich zu ihnen sage: für kleine Leute sind +kleine Tugenden nöthig - und weil es mir hart eingeht, dass kleine +Leute _nöthig_ sind! + +Noch gleiche ich dem Hahn hier auf fremdem Gehöfte, nach dem auch die +Hennen beissen; doch darob bin ich diesen Hennen nicht ungut. + +Ich bin höflich gegen sie wie gegen alles kleine Ärgerniss; gegen das +Kleine stachlicht zu sein dünkt mich eine Weisheit für Igel. + +Sie reden Alle von mir, wenn sie Abends um's Feuer sitzen, - sie reden +von mir, aber Niemand denkt - an mich! + +Diess ist die neue Stille, die ich lernte: ihr Lärm um mich breitet +einen Mantel über meine Gedanken. + +Sie lärmen unter einander: "was will uns diese düstere Wolke? sehen +wir zu, dass sie uns nicht eine Seuche bringe!" + +Und jüngst riss ein Weib sein Kind an sich, das zu mir wollte: "nehmt +die Kinder weg! schrie es; solche Augen versengen Kinder-Seelen." + +Sie husten, wenn ich rede: sie meinen, Husten sei ein Einwand gegen +starke Winde, - sie errathen Nichts vom Brausen meines Glückes! + +"Wir haben noch keine Zeit für Zarathustra" - so wenden sie ein; aber +was liegt an einer Zeit, die für Zarathustra "keine Zeit hat"? + +Und wenn sie gar mich rühmen: wie könnte ich wohl auf _ihrem_ Ruhme +einschlafen? Ein Stachel-Gürtel ist mir ihr Lob: es kratzt mich noch, +wenn ich es von mir thue. + +Und auch das lernte ich unter ihnen: der Lobende stellt sich, als gäbe +er zurück, in Wahrheit aber will er mehr beschenkt sein! + +Fragt meinen Fuss, ob ihm ihre Lob- und Lock-Weise gefällt! Wahrlich, +nach solchem Takt und Tiktak mag er weder tanzen, noch stille stehn. + +Zur kleinen Tugend möchten sie mich locken und loben; zum Tiktak des +kleinen Glücks möchten sie meinen Fuss überreden. + +Ich gehe durch diess Volk und halte die Augen offen: sie sind +_kleiner_ geworden und werden immer kleiner: - das aber macht ihre +Lehre von Glück und Tugend. + +Sie sind nämlich auch in der Tugend bescheiden - denn sie wollen +Behagen. Mit Behagen aber verträgt sich nur die bescheidene Tugend. + +Wohl lernen auch sie auf ihre Art Schreiten und Vorwärts-Schreiten: +das heisse ich ihr _Humpeln_ -. Damit werden sie jedem zum Anstosse, +der Eile hat. + +Und Mancher von ihnen geht vorwärts und blickt dabei zurück, mit +versteiftem Nacken: dem renne ich gern wider den Leib. + +Fuss und Augen sollen nicht lügen, noch sich einander Lügen strafen. +Aber es ist viel Lügnerei bei den kleinen Leuten. + +Einige von ihnen wollen, aber die Meisten werden nur gewollt. Einige +von ihnen sind ächt, aber die Meisten sind schlechte Schauspieler. + +Es giebt Schauspieler wider Wissen unter ihnen und Schauspieler +wider Willen -, die Ächten sind immer selten, sonderlich die ächten +Schauspieler. + +Des Mannes ist hier wenig: darum vermännlichen sich ihre Weiber. Denn +nur wer Mannes genug ist, wird im Weibe _das_Weib_ - erlösen. + +Und diese Heuchelei fand ich unter ihnen am schlimmsten: dass auch +Die, welche befehlen, die Tugenden Derer heucheln, welche dienen. + +"Ich diene, du dienst, wir dienen" - so betet hier auch die Heuchelei +der Herrschenden, - und wehe, wenn der erste Herr _nur_ der erste +Diener ist! + +Ach, auch in ihre Heucheleien verflog sich wohl meines Auges Neugier; +und gut errieth ich all ihr Fliegen-Glück und ihr Summen um besonnte +Fensterscheiben. + +Soviel Güte, soviel Schwäche sehe ich. Soviel Gerechtigkeit und +Mitleiden, soviel Schwäche. + +Rund, rechtlich und gütig sind sie mit einander, wie Sandkörnchen +rund, rechtlich und gütig mit Sandkörnchen sind. + +Bescheiden ein kleines Glück umarmen - das heissen sie "Ergebung"! und +dabei schielen sie bescheiden schon nach einem neuen kleinen Glücke +aus. + +Sie wollen im Grunde einfältiglich Eins am meisten: dass ihnen Niemand +wehe thue. So kommen sie jedermann zuvor und thun ihm wohl. + +Diess aber ist _Feigheit_: ob es schon "Tugend" heisst. - + +Und wenn sie einmal rauh reden, diese kleinen Leute: _ich_ höre darin +nur ihre Heiserkeit, - jeder Windzug nämlich macht sie heiser. + +Klug sind sie, ihre Tugenden haben kluge Finger. Aber ihnen fehlen die +Fäuste, ihre Finger wissen nicht, sich hinter Fäuste zu verkriechen. + +Tugend ist ihnen das, was bescheiden und zahm macht: damit machten +sie den Wolf zum Hunde und den Menschen selber zu des Menschen bestem +Hausthiere. + +"Wir setzten unsern Stuhl in die _Mitte_ - das sagt mir ihr Schmunzeln +- und ebenso weit weg von sterbenden Fechtern wie von vergnügten +Säuen." + +Diess aber ist - _Mittelmässigkeit_: ob es schon Mässigkeit heisst. - + + +3. + +Ich gehe durch diess Volk und lasse manches Wort fallen: aber sie +wissen weder zu nehmen noch zu behalten. + +Sie wundern sich, dass ich nicht kam, auf Lüste und Laster zu lästern; +und wahrlich, ich kam auch nicht, dass ich vor Taschendieben warnte! + +Sie wundern sich, dass ich nicht bereit bin, ihre Klugheit noch zu +witzigen und zu spitzigen: als ob sie noch nicht genug der Klüglinge +hätten, deren Stimme mir gleich Schieferstiften kritzelt! + +Und wenn ich rufe: "Flucht allen feigen Teufeln in euch, die gerne +winseln und Hände falten und anbeten möchten": so rufen sie: +"Zarathustra ist gottlos". + +Und sonderlich rufen es ihre Lehrer der Ergebung -; aber gerade ihnen +liebe ich's, in das Ohr zu schrein: Ja! Ich _bin_ Zarathustra, der +Gottlose! + +Diese Lehrer der Ergebung! Überall hin, wo es klein und krank und +grindig ist, kriechen sie, gleich Läusen; und nur mein Ekel hindert +mich, sie zu knacken. + +Wohlan! Diess ist meine Predigt für _ihre_ Ohren: ich bin Zarathustra, +der Gottlose, der da spricht "wer ist gottloser denn ich, dass ich +mich seiner Unterweisung freue?" + +Ich bin Zarathustra, der Gottlose: wo finde ich Meines-Gleichen? Und +alle Die sind Meines-Gleichen, die sich selber ihren Willen geben und +alle Ergebung von sich abthun. + +Ich bin Zarathustra, der Gottlose: ich koche mir noch jeden Zufall in +_meinem_ Topfe. Und erst, wenn er da gar gekocht ist, heisse ich ihn +willkommen, als _meine_ Speise. + +Und wahrlich, mancher Zufall kam herrisch zu mir: aber herrischer noch +sprach zu ihm mein _Wille_, - da lag er schon bittend auf den Knieen - + +- bittend, dass er Herberge finde und Herz bei mir, und +schmeichlerisch zuredend: "sieh doch; oh Zarathustra, wie nur Freund +zu Freunde kommt!" - + +Doch was rede ich, wo Niemand _meine_ Ohren hat! Und so will ich es +hinaus in alle Winde rufen: + +Ihr werdet immer kleiner, ihr kleinen Leute! Ihr bröckelt ab, ihr +Behaglichen! Ihr geht mir noch zu Grunde - + +- an euren vielen kleinen Tugenden, an eurem vielen kleinen +Unterlassen, an eurer vielen kleinen Ergebung! + +Zu viel schonend, zu viel nachgebend: so ist euer Erdreich! Aber dass +ein Baum _gross_ werde, dazu will er um harte Felsen harte Wurzeln +schlagen! + +Auch was ihr unterlasse, webt am Gewebe aller Menschen-Zukunft; auch +euer Nichts ist ein Spinnennetz und eine Spinne, die von der Zukunft +Blute lebt. + +Und wenn ihr nehmt, so ist es wie stehlen, ihr kleinen Tugendhaften; +aber noch unter Schelmen spricht die _Ehre_: "man soll nur stehlen, wo +man nicht rauben kann." + +"Es giebt sich" - das ist auch eine Lehre der Ergebung. Aber ich sage +euch, ihr Behaglichen: _es_nimmt_sich_ und wird immer mehr noch von +euch nehmen! + +Ach, dass ihr alles _halbe_ Wollen von euch abthätet und entschlossen +würdet zur Trägheit wie zur That! + +Ach, dass ihr mein Wort verstündet: "thut immerhin, was ihr wollt, - +aber seid erst Solche, die _wollen_können_!" + +"Liebt immerhin euren Nächsten gleich euch, - aber seid mir erst +solche, die _sich_selber_lieben_ - + +- mit der grossen Liebe lieben, mit der grossen Verachtung lieben!" +Also spricht Zarathustra, der Gottlose. - + +Doch was rede ich, wo Niemand _meine_ Ohren hat! Es ist hier noch eine +Stunde zu früh für mich. + +Mein eigner Vorläufer bin ich unter diesem Volke, mein eigner +Hahnen-Ruf durch dunkle Gassen. + +Aber _ihre_ Stunde kommt! Und es kommt auch die meine! Stündlich +werden sie kleiner, ärmer, unfruchtbarer, - armes Kraut! armes +Erdreich! + +Und _bald_ sollen sie mir dastehn wie dürres Gras und Steppe, und +wahrlich! ihrer selber müde - und mehr, als nach Wasser, nach _Feuer_ +lechzend! + +Oh gesegnete Stunde des Blitzes! Oh Geheimniss vor Mittag! - Laufende +Feuer will ich einst noch aus ihnen machen und Verkünder mit +Flammen-Zungen: - + +- verkünden sollen sie einst noch mit Flammen-Zungen: Er kommt, er ist +nahe, der grosse Mittag! + +Also sprach Zarathustra. + + + +Auf dem Ölberge + +Der Winter, ein schlimmer Gast, sitzt bei mir zu Hause; blau sind +meine Hände von seiner Freundschaft Händedruck. + +Ich ehre ihn, diesen schlimmen Gast, aber lasse gerne ihn allein +sitzen. Gerne laufe ich ihm davon; und, läuft man _gut_, so entläuft +man ihm! + +Mit warmen Füssen und warmen Gedanken laufe ich dorthin, wo der Wind +stille steht, - zum Sonnen-Winkel meines Ölbergs. + +Da lache ich meines gestrengen Gastes und bin ihm noch gut, dass er zu +Hause mir die Fliegen wegfängt und vielen kleinen Lärm stille macht. + +Er leidet es nämlich nicht, wenn eine Mücke singen will, oder gar +zwei; noch die Gasse macht er einsam, dass der Mondschein drin Nachts +sich fürchtet. + +Ein harter Gast ist er, - aber ich ehre ihn, und nicht bete ich, +gleich den Zärtlingen, zum dickbäuchichten Feuer-Götzen. + +Lieber noch ein Wenig zähneklappern als Götzen anbeten! - so will's +meine Art. Und sonderlich bin ich allen brünstigen dampfenden +dumpfigen Feuer-Götzen gram. + +Wen ich liebe, den liebe ich Winters besser als Sommers; besser spotte +ich jetzt meiner Feinde und herzhafter, seit der Winter mir im Hause +sitzt. + +Herzhaft wahrlich, selbst dann noch, wenn ich zu Bett _krieche_ -: da +lacht und muthwillt noch mein verkrochenes Glück; es lacht noch mein +Lügen-Traum. + +Ich - ein Kriecher? Niemals kroch ich im Leben vor Mächtigen; und +log ich je, so log ich aus Liebe. Desshalb bin ich froh auch im +Winter-Bette. + +Ein geringes Bett wärmt mich mehr als ein reiches, denn ich bin +eifersüchtig auf meine Armuth. Und im Winter ist sie mir am treuesten. + +Mit einer Bosheit beginne ich jeden Tag, ich spotte des Winters mit +einem kalten Bade: darob brummt mein gestrenger Hausfreund. + +Auch kitzle ich ihn gerne mit einem Wachskerzlein: dass er mir endlich +den Himmel herauslasse aus aschgrauer Dämmerung. + +Sonderlich boshaft bin ich nämlich des Morgens: zur frühen Stunde, +da der Eimer am Brunnen klirrt und die Rosse warm durch graue Gassen +wiehern: - + +Ungeduldig warte ich da, dass mir endlich der lichte Himmel aufgehe, +der schneebärtige Winter-Himmel, der Greis und Weisskopf, - + +- der Winter-Himmel, der schweigsame, der oft noch seine Sonne +verschweigt! + +Lernte ich wohl von ihm das lange lichte Schweigen? Oder lernte er's +von mir? Oder hat ein jeder von uns es selbst erfunden? + +Aller guten Dinge Ursprung ist tausendfältig, - alle guten +muthwilligen Dinge springen vor Lust in's Dasein: wie sollten sie das +immer nur - Ein Mal thun! + +Ein gutes muthwilliges Ding ist auch das lange Schweigen und gleich +dem Winter-Himmel blicken aus lichtem rundäugichten Antlitze: - + +- gleich ihm seine Sonne verschweigen und seinen unbeugsamen +Sonnen-Willen: wahrlich, diese Kunst und diesen Winter-Muthwillen +lernte ich _gut_! + +Meine liebste Bosheit und Kunst ist es, dass mein Schweigen lernte, +sich nicht durch Schweigen zu verrathen. + +Mit Worten und Würfeln klappernd überliste ich mir die feierlichen +Warter: allen diesen gestrengen Aufpassern soll mein Wille und Zweck +entschlüpfen. + +Dass mir Niemand in meinen Grund und letzten Willen hinab sehe, - dazu +erfand ich mir das lange lichte Schweigen. + +So manchen Klugen fand ich: der verschleierte sein Antlitz und trübte +sein Wasser, dass Niemand ihm hindurch und hinunter sehe. + +Aber zu ihm gerade kamen die klügeren Misstrauer und Nussknacker: ihm +gerade fischte man seinen verborgensten Fisch heraus! + +Sondern die Hellen, die Wackern, die Durchsichtigen - das sind mir +die klügsten Schweiger: denen so _tief_ ihr Grund ist, dass auch das +hellste Wasser ihn nicht - verräth. - + +Du schneebärtiger schweigender Winter-Himmel, du rundäugichter +Weisskopf über mir! Oh du himmlisches Gleichniss meiner Seele und +ihres Muthwillens! + +Und _muss_ ich mich nicht verbergen, gleich Einem, der Gold +verschluckt hat, - dass man mir nicht die Seele aufschlitze? + +_Muss_ ich nicht Stelzen tragen, dass sie meine langen Beine +_übersehen_, - alle diese Neidbolde und Leidholde, die um mich sind? + +Diese räucherigen, stubenwarmen, verbrauchten, vergrünten, +vergrämelten Seelen - wie _könnte_ ihr Neid mein Glück ertragen! + +So zeige ich ihnen nur das Eis und den Winter auf meinen Gipfeln - und +_nicht_, dass mein Berg noch alle Sonnengürtel um sich schlingt! + +Sie hören nur meine Winter-Stürme pfeifen: und _nicht_, dass ich +auch über warme Meere fahre, gleich sehnsüchtigen, schweren, heissen +Südwinden. + +Sie erbarmen sich noch meiner Unfälle und Zufälle: - aber _mein_ Wort +heisst: "lasst den Zufall zu mir kommen: unschuldig ist er, wie ein +Kindlein!" + +Wie _könnten_ sie mein Glück ertragen, wenn ich nicht Unfälle und +Winter-Nöthe und Eisbären-Mützen und Schneehimmel-Hüllen um mein Glück +legte! + +- wenn ich mich nicht selbst ihres _Mitleids_ erbarmte - des Mitleids +dieser Neidbolde und Leidholde! + +- wenn ich nicht selber vor ihnen seufzte und frostklapperte und mich +geduldsam in ihr Mitleid wickeln _liesse_! + +Diess ist der weise Muthwille und Wohlwille meiner Seele, dass sie +ihren Winter und ihre Froststürme _nicht_verbirgt_; sie verbirgt auch +ihre Frostbeulen nicht. + +Des Einen Einsamkeit ist die Flucht des Kranken; des Andern Einsamkeit +die Flucht _vor_ den Kranken. + +Mögen sie mich klappern und seufzen _hören_ vor Winterkälte, alle +diese armen scheelen Schelme um mich! Mit solchem Geseufz und +Geklapper flüchte ich noch vor ihren geheizten Stuben. + +Mögen sie mich bemitleiden und bemitseufzen ob meiner Frostbeulen: "am +Eis der Erkenntniss _erfriert_ er uns noch!" - so klagen sie. + +Inzwischen laufe ich mit warmen Füssen kreuz und quer auf meinem +Ölberge: im Sonnen-Winkel meines Ölberges singe und spotte ich alles +Mitleids. - + +Also sang Zarathustra. + + + +Vom Vorübergehen + +Also, durch viel Volk und vielerlei Städte langsam hindurchschreitend, +gierig Zarathustra auf Umwegen zurück zu seinem Gebirge und seiner +Höhle. Und siehe, dabei kam er unversehens auch an das Stadtthor +der _grossen_Stadt_: hier aber sprang ein schäumender Narr mit +ausgebreiteten Händen auf ihn zu und trat ihm in den Weg. Diess aber +war der selbige Narr, welchen das Volk "den Affen Zarathustra's" +hiess: denn er hatte ihm Etwas vom Satz und Fall der Rede abgemerkt +und borgte wohl auch gerne vom Schatze seiner Weisheit. Der Narr aber +redete also zu Zarathustra: + +"Oh Zarathustra, hier ist die grosse Stadt: hier hast du Nichts zu +suchen und Alles zu verlieren. + +Warum wolltest du durch diesen Schlamm waten? Habe doch Mitleiden mit +deinem Fusse! Speie lieber auf das Stadtthor und - kehre um! + +Hier ist die Hölle für Einsiedler-Gedanken: hier werden grosse +Gedanken lebendig gesotten und klein gekocht. + +Hier verwesen alle grossen Gefühle: hier dürfen nur klapperdürre +Gefühlchen klappern! + +Riechst du nicht schon die Schlachthäuser und Garküchen des Geistes? +Dampft nicht diese Stadt vom Dunst geschlachteten Geistes? + +Siehst du nicht die Seelen hängen wie schlaffe schmutzige Lumpen? - +Und sie machen noch Zeitungen aus diesen Lumpen! + +Hörst du nicht, wie der Geist hier zum Wortspiel wurde? Widriges +Wort-Spülicht bricht er heraus! - Und sie machen noch Zeitungen aus +diesem Wort-Spülicht. + +Sie hetzen einander und wissen nicht, wohin? Sie erhitzen einander und +wissen nicht, warum? Sie klimpern mit ihrem Bleche, sie klingeln mit +ihrem Golde. + +Sie sind kalt und suchen sich Wärme bei gebrannten Wassern; sie sind +erhitzt und suchen Kühle bei gefrorenen Geistern; sie sind Alle siech +und süchtig an öffentlichen Meinungen. + +Alle Lüste und Laster sind hier zu Hause; aber es giebt hier auch +Tugendhafte, es giebt viel anstellige angestellte Tugend: - + +Viel anstellige Tugend mit Schreibfingern und hartem Sitz- und +Warte-Fleische, gesegnet mit kleinen Bruststernen und ausgestopften +steisslosen Töchtern. + +Es giebt hier auch viel Frömmigkeit und viel gläubige +Speichel-Leckerei, Schmeichel-Bäckerei vor dem Gott der Heerschaaren. + +`Von Oben` her träufelt ja der Stern und der gnädige Speichel; nach +Oben hin sehnt sich jeder sternenlose Busen. + +Der Mond hat seinen Hof, und der Hof hat seine Mondkälber: zu Allem +aber, was vom Hofe kommt, betet das Bettel-Volk und alle anstellige +Bettel-Tugend. + +`Ich diene, du dienst, wir dienen` - so betet alle anstellige Tugend +hinauf zum Fürsten: dass der verdiente Stern sich endlich an den +schmalen Busen hefte! + +Aber der Mond dreht sich noch um alles Irdische: so dreht sich auch +der Fürst noch um das Aller-Irdischste -: das aber ist das Gold der +Krämer. + +Der Gott der Heerschaaren ist kein Gott der Goldbarren; der Fürst +denkt, aber der Krämer - lenkt! + +Bei Allem, was licht und stark und gut in dir ist, oh Zarathustra! +Speie auf diese Stadt der Krämer und kehre um! + +Hier fliesst alles Blut faulicht und lauicht und schaumicht durch alle +Adern: speie auf die grosse Stadt, welche der grosse Abraum ist, wo +aller Abschaum zusammenschäumt! + +Speie auf die Stadt der eingedrückten Seelen und schmalen Brüste, der +spitzen Augen, der klebrigen Finger - + +- auf die Stadt der Aufdringlinge, der Unverschämten, der Schreib- und +Schreihälse, der überheizten Ehrgeizigen: - + +- wo alles Anbrüchige, Anrüchige, Lüsterne, Düsterne, Übermürbe, +Geschwürige, Verschwörerische zusammenschwärt: - + +- speie auf die grosse Stadt und kehre um!" - - + +Hier aber unterbrach Zarathustra den schäumenden Narren und hielt ihm +den Mund zu. + +"Höre endlich auf! rief Zarathustra, mich ekelt lange schon deiner +Rede und deiner Art! + +Warum wohntest du so lange am Sumpfe, dass du selber zum Frosch und +zur Kröte werden musstest? + +Fliesst dir nicht selber nun ein faulichtes schaumichtes Sumpf-Blut +durch die Adern, dass du also quaken und lästern lerntest? + +Warum giengst du nicht in den Wald? Oder pflügtest die Erde? Ist das +Meer nicht voll von grünen Eilanden? + +Ich verachte dein Verachten; und wenn du mich warntest, - warum +warntest du dich nicht selber? + +Aus der Liebe allein soll mir mein Verachten und mein warnender Vogel +auffliegen: aber nicht aus dem Sumpfe! - + +Man heisst dich meinen Affen, du schäumender Narr: aber ich heisse +dich mein Grunze-Schwein, - durch Grunzen verdirbst du mir noch mein +Lob der Narrheit. + +Was war es denn, was dich zuerst grunzen machte? Dass Niemand dir +genug _geschmeichelt_ hat: - darum setztest du dich hin zu diesem +Unrathe, dass du Grund hättest viel zu grunzen, - + +- dass du Grund hättest zu vieler _Rache_! Rache nämlich, du eitler +Narr, ist all dein Schäumen, ich errieth dich wohl! + +Aber dein Narren-Wort thut _mir_ Schaden, selbst, wo du Recht hast! +Und wenn Zarathustra's Wort sogar hundert Mal Recht _hätte_: du +würdest mit meinem Wort immer - Unrecht _thun_!" + +Also sprach Zarathustra; und er blickte die grosse Stadt an, seufzte +und schwieg lange. Endlich redete er also: + +Mich ekelt auch dieser grossen Stadt und nicht nur dieses Narren. Hier +und dort ist Nichts zu bessern, Nichts zu bösern. + +Wehe dieser grossen Stadt! - Und ich wollte, ich sähe schon die +Feuersäule, in der sie verbrannt wird! + +Denn solche Feuersäulen müssen dem grossen Mittage vorangehn. Doch +diess hat seine Zeit und sein eigenes Schicksal. - + +Diese Lehre aber gebe ich dir, du Narr, zum Abschiede: wo man nicht +mehr lieben kann, da soll man - _vorübergehn_! - + +Also sprach Zarathustra und gieng an dem Narren und der grossen Stadt +vorüber. + + + +Von den Abtrünnigen + +1. + +Ach, liegt Alles schon welk und grau, was noch jüngst auf dieser Wiese +grün und bunt stand? Und wie vielen Honig der Hoffnung trug ich von +hier in meine Bienenkörbe! + +Diese jungen Herzen sind alle schon alt geworden, - und nicht alt +einmal! nur müde, gemein, bequem: - sie heissen es "Wir sind wieder +fromm geworden." + +Noch jüngst sah ich sie in der Frühe auf tapferen Füssen hinauslaufen: +aber ihre Füsse der Erkenntniss wurden müde, und nun verleumden sie +auch noch ihre Morgen-Tapferkeit! + +Wahrlich, Mancher von ihnen hob einst die Beine wie ein Tänzer, ihm +winkte das Lachen in meiner Weisheit: - da besann er sich. Eben sah +ich ihn krumm - zum Kreuze kriechen. + +Um Licht und Freiheit flatterten sie einst gleich Mücken und jungen +Dichtern. Ein Wenig älter, ein Wenig kälter: und schon sind sie +Dunkler und Munkler und Ofenhocker. + +Verzagte ihnen wohl das Herz darob, dass mich die Einsamkeit +verschlang gleich einem Wallfische? Lauschte ihr Ohr wohl +sehnsüchtig-lange _umsonst_ nach mir und meinen Trompeten- und +Herolds-Rufen? + +- Ach! Immer sind ihrer nur Wenige, deren Herz einen langen Muth und +Übermuth hat; und solchen bleibt auch der Geist geduldsam. Der Rest +aber ist _feige_. + +Der Rest: das sind immer die Allermeisten, der Alltag, der Überfluss, +die Viel-zu-Vielen - diese alle sind feige! - + +Wer meiner Art ist, dem werden auch die Erlebnisse meiner Art über +den Weg laufen: also, dass seine ersten Gesellen Leichname und +Possenreisser sein müssen. + +Seine zweiten Gesellen aber - die werden sich seine _Gläubigen_ +heissen: ein lebendiger Schwarm, viel Liebe, viel Thorheit, viel +unbärtige Verehrung. + +An diese Gläubigen soll Der nicht sein Herz binden, wer meiner Art +unter Menschen ist; an diese Lenze und bunte Wiesen soll Der nicht +glauben, wer die flüchtig-feige Menschenart kennt! + +_Könnten_ sie anders, so würden sie auch anders _wollen_. Halb- und +Halbe verderben alles Ganze. Dass Blätter welk werden, - was ist da zu +klagen! + +Lass sie fahren und fallen, oh Zarathustra, und klage nicht! Lieber +noch blase mit raschelnden Winden unter sie, - + +- blase unter diese Blätter, oh Zarathustra: dass alles _Welke_ +schneller noch von dir davonlaufen! - + + +2. + +"Wir sind wieder fromm geworden" - so bekennen diese Abtrünnigen; und +Manche von ihnen sind noch zu feige, also zu bekennen. + +Denen sehe ich in's Auge, - denen sage ich es in's Gesicht und in die +Röthe ihrer Wangen: ihr seid Solche, welche wieder _beten_! + +Es ist aber eine Schmach, zu beten! Nicht für Alle, aber für dich und +mich und wer auch im Kopfe sein Gewissen hat. Für _dich_ ist es eine +Schmach, zu beten! + +Du weisst es wohl: dein feiger Teufel in dir, der gerne Hände-falten +und Hände-in-den-Schooss-legen und es bequemer haben möchte: - dieser +feige Teufel redet dir zu "es _giebt_ einen Gott!" + +_Damit_ aber gehörst du zur lichtscheuen Art, denen Licht nimmer Ruhe +lässt; nun musst du täglich deinen Kopf tiefer in Nacht und Dunst +stecken! + +Und wahrlich, du wähltest die Stunde gut: denn eben wieder fliegen die +Nachtvögel aus. Die Stunde kam allem lichtscheuen Volke, die Abend- +und Feierstunde, wo es nicht - "feiert." + +Ich höre und rieche es: es kam ihre Stunde für Jagd und Umzug, nicht +zwar für eine wilde Jagd, sondern für eine zahme lahme schnüffelnde +Leisetreter- und Leisebeter-Jagd, - + +- für eine Jagd auf seelenvolle Duckmäuser: alle Herzens- Mausefallen +sind jetzt wieder aufgestellt! Und wo ich einen Vorhang aufhebe, da +kommt ein Nachtfalterchen herausgestürzt. + +Hockte es da wohl zusammen mit einem andern Nachtfalterchen? Denn +überall rieche ich kleine verkrochne Gemeinden; und wo es Kämmerlein +giebt, da giebt es neue Bet-Brüder drin und den Dunst von Bet-Brüdern. + +Sie sitzen lange Abende bei einander und sprechen: lasset uns wieder +werden wie die Kindlein und "lieber Gott" sagen! - an Mund und Magen +verdorben durch die frommen Zuckerbäcker. + +Oder sie sehen lange Abende einer listigen lauernden Kreuzspinne zu, +welche den Spinnen selber Klugheit predigt und also lehrt: "unter +Kreuzen ist gut spinnen!" + +Oder sie sitzen Tags über mit Angelruthen an Sümpfen und glauben sich +_tief_ damit; aber wer dort fischt, wo es keine Fische giebt, den +heisse ich noch nicht einmal oberflächlich! + +Oder sie lernen fromm-froh die Harfe schlagen bei einem +Lieder-Dichter, der sich gern jungen Weibchen in's Herz harfnen +möchte: - denn er wurde der alten Weibchen müde und ihres Lobpreisens. + +Oder sie lernen gruseln bei einem gelehrten Halb-Tollen, der in +dunklen Zimmern wartet, dass ihm die Geister kommen - und der Geist +ganz davonläuft! + +Oder sie horchen einem alten umgetriebnen Schnurr- und Knurrpfeifer +zu, der trüben Winden die Trübsal der Töne ablernte; nun pfeift er +nach dem Winde und predigt in trüben Tönen Trübsal. + +Und Einige von ihnen sind sogar Nachtwächter geworden: die verstehen +jetzt in Hörner zu blasen und Nachts umherzugehn und alte Sachen +aufzuwecken, die lange schon eingeschlafen sind. + +Fünf Worte von alten Sachen hörte ich gestern Nachts an der +Garten-Mauer: die kamen von solchen alten betrübten trocknen +Nachtwächtern. + +"Für einen Vater sorgt er nicht genug um seine Kinder: Menschen-Väter +thun diess besser!" - + +"Er ist zu alt! Er sorgt schon gar nicht mehr um seine Kinder" - also +antwortete der andere Nachtwächter. + +"_Hat_ er denn Kinder? Niemand kann's beweisen, wenn er's selber nicht +beweist! Ich wollte längst, er bewiese es einmal gründlich." + +"Beweisen? Als ob _Der_ je Etwas bewiesen hätte! Beweisen fällt ihm +schwer; er hält grosse Stücke darauf, dass man ihm glaubt." + +"Ja! Ja! Der Glaube macht ihn selig, der Glaube an ihn. Das ist so die +Art alter Leute! So geht's uns auch!" - + +- Also sprachen zu einander die zwei alten Nachtwächter und +Lichtscheuchen, und tuteten darauf betrübt in ihre Hörner: so +geschah's gestern Nachts an der Garten-Mauer. + +Mir aber wand sich das Herz vor Lachen und wollte brechen und wusste +nicht, wohin? und sank in's Zwerchfell. + +Wahrlich, das wird noch mein Tod sein, dass ich vor Lachen ersticke, +wenn ich Esel betrunken sehe und Nachtwächter also an Gott zweifeln +höre. + +Ist es denn nicht _lange_ vorbei auch für alle solche Zweifel? Wer +darf noch solche alte eingeschlafne lichtscheue Sachen aufwecken! + +Mit den alten Göttern gieng es ja lange schon zu Ende: - und wahrlich, +ein gutes fröhliches Götter-Ende hatten sie! + +Sie "dämmerten" sich nicht zu Tode, - das lügt man wohl! Vielmehr: sie +haben sich selber einmal zu Tode - _gelacht_! + +Das geschah, als das gottloseste Wort von einem Gotte selber ausgieng, +- das Wort: "Es ist Ein Gott! Du sollst keinen andern Gott haben neben +mir!" - + +- ein alter Grimm-Bart von Gott, ein eifersüchtiger vergass sich also: + +Und alle Götter lachten damals und wackelten auf ihren Stühlen und +riefen: "Ist das nicht eben Göttlichkeit, dass es Götter, aber keinen +Gott giebt?" + +Wer Ohren hat, der höre. - + +Also redete Zarathustra in der Stadt, die er liebte und welche +zubenannt ist die bunte Kuh. Von hier nämlich hatte er nur noch zwei +Tage zu gehen, dass er wieder in seine Höhle käme und zu seinen +Thieren; seine Seele aber frohlockte beständig ob der Nähe seiner +Heimkehr. - + + + +Die Heimkehr + +Oh Einsamkeit! Du meine _Heimat_ Einsamkeit! Zu lange lebte ich wild +in wilder Fremde, als dass ich nicht mit Thränen zu dir heimkehrte! + +Nun drohe mir nur mit dem Finger, wie Mütter drohn, nein lächle mir +zu, wie Mütter lächeln, nun sprich nur: "Und wer war das, der wie ein +Sturmwind einst von mir davonstürmte? - + +- der scheidend rief: zu lange sass ich bei der Einsamkeit, da +verlernte ich das Schweigen! _Das_ - lerntest du nun wohl? + +Oh Zarathustra, Alles weiss ich: und dass du unter den Vielen +_verlassener_ warst, du Einer, als je bei mir! + +Ein Anderes ist Verlassenheit, ein Anderes Einsamkeit: _Das_ - +lerntest du nun! Und dass du unter Menschen immer wild und fremd sein +wirst: + +-Wild und fremd auch noch, wenn sie dich lieben: denn zuerst von Allem +wollen sie _geschont_ sein! + +Hier aber bist du bei dir zu Heim und Hause; hier kannst du Alles +hinausreden und alle Gründe ausschütten, Nichts schämt sich hier +versteckter, verstockter Gefühle. + +Hier kommen alle Dinge liebkosend zu deiner Rede und schmeicheln dir: +denn sie wollen auf deinem Rücken reiten. Auf jedem Gleichniss reitest +du hier zu jeder Wahrheit. + +Aufrecht und aufrichtig darfst du hier zu allen Dingen reden: und +wahrlich, wie Lob klingt es ihren Ohren, dass Einer mit allen Dingen - +gerade redet! + +Ein Anderes aber ist Verlassensein. Denn, weisst du noch, oh +Zarathustra? Als damals dein Vogel über dir schrie, als du im Walde +standest, unschlüssig, wohin? unkundig, einem Leichnam nahe: - + +- als du sprachst: mögen mich meine Thiere führen! Gefährlicher fand +ich's unter Menschen, als unter Thieren: - _Das_ war Verlassenheit! + +Und weisst du noch, oh Zarathustra? Als du auf deiner Insel sassest, +unter leeren Eimern ein Brunnen Weins, gebend und ausgebend, unter +Durstigen schenkend und ausschenkend: + +- bis du endlich durstig allein unter Trunkenen sassest und nächtlich +klagtest `ist Nehmen nicht seliger als Geben? Und Stehlen noch seliger +als Nehmen?` - _Das_ war Verlassenheit! + +Und weisst du noch, oh Zarathustra? Als deine stillste Stunde kam und +dich von dir selber forttrieb, als sie mit bösem Flüstern sprach: +`Sprich und zerbrich!` - + +- als sie dir all dein Warten und Schweigen leid machte und deinen +demüthigen Muth entmuthigte: _Das_ war Verlassenheit!" - + +Oh Einsamkeit! Du meine Heimat Einsamkeit! Wie selig und zärtlich +redet deine Stimme zu mir! + +Wir fragen einander nicht, wir klagen einander nicht, wir gehen offen +mit einander durch offne Thüren. + +Denn offen ist es bei dir und hell; und auch die Stunden laufen hier +auf leichteren Füssen. Im Dunklen nämlich trägt man schwerer an der +Zeit, als im Lichte. + +Hier springen mir alles Seins Worte und Wort-Schreine auf: alles Sein +will hier Wort werden, alles Werden will hier von mir reden lernen. + +Da unten aber - da ist alles Reden umsonst! Da ist Vergessen und +Vorübergehn die beste Weisheit: _Das_ - lernte ich nun! + +Wer Alles bei den Menschen begreifen wollte, der müsste Alles +angreifen. Aber dazu habe ich zu reinliche Hände. + +Ich mag schon ihren Athem nicht einathmen; ach, dass ich so lange +unter ihrem Lärm und üblem Athem lebte! + +Oh selige Stille um mich! Oh reine Gerüche um mich! Oh wie aus tiefer +Brust diese Stille reinen Athem holt! Oh wie sie horcht, diese selige +Stille! + +Aber da unten - da redet Alles, da wird Alles überhört. Man mag seine +Weisheit mit Glocken einläuten: die Krämer auf dem Markte werden sie +mit Pfennigen überklingeln! + +Alles bei ihnen redet, Niemand weiss mehr zu verstehn. Alles fällt +in's Wasser, Nichts fällt mehr in tiefe Brunnen. + +Alles bei ihnen redet, Nichts geräth mehr und kommt zu Ende. Alles +gackert, aber wer will noch still auf dem Neste sitzen und Eier +brüten? + +Alles bei ihnen redet, Alles wird zerredet. Und was gestern noch zu +hart war für die Zeit selber und ihren Zahn: heute hängt es zerschabt +und zernagt aus den Mäulern der Heutigen. + +Alles bei ihnen redet, Alles wird verrathen. Und was einst +Geheimniss hiess und Heimlichkeit tiefer Seelen, heute gehört es den +Gassen-Trompetern und andern Schmetterlingen. + +Oh Menschenwesen, du wunderliches! Du Lärm auf dunklen Gassen! Nun +liegst du wieder hinter mir: - meine grösste Gefahr liegt hinter mir! + +Im Schonen und Mitleiden lag immer meine grösste Gefahr; und alles +Menschenwesen will geschont und gelitten sein. + +Mit verhaltenen Wahrheiten, mit Narrenhand und vernarrtem Herzen und +reich an kleinen Lügen des Mitleidens: - also lebte ich immer unter +Menschen. + +Verkleidet sass ich unter ihnen, bereit, _mich_ zu verkennen, dass ich +_sie_ ertrüge, und gern mir zuredend "du Narr, du kennst die Menschen +nicht!" + +Man verlernt die Menschen, wenn man unter Menschen lebt: zu viel +Vordergrund ist an allen Menschen, - was sollen da weitsichtige, +weit-süchtige Augen! + +Und wenn sie mich verkannten: ich Narr schonte sie darob mehr, als +mich: gewohnt zur Härte gegen mich und oft noch an mir selber mich +rächend für diese Schonung. + +Zerstochen von giftigen Fliegen und ausgehöhlt, dem Steine gleich, von +vielen Tropfen Bosheit, so sass ich unter ihnen und redete mir noch +zu: "unschuldig ist alles Kleine an seiner Kleinheit!" + +Sonderlich Die, welche sich "die Guten" heissen, fand ich als die +giftigsten Fliegen: sie stechen in aller Unschuld, sie lügen in aller +Unschuld; wie _vermöchten_ sie, gegen mich - gerecht zu sein! + +Wer unter den Guten lebt, den lehrt Mitleid lügen. Mitleid macht +dumpfe Luft allen freien Seelen. Die Dummheit der Guten nämlich ist +unergründlich. + +Mich selber verbergen und meinen Reichthum - _das_ lernte ich da +unten: denn jeden fand ich noch arm am Geiste. Das war der Lug meines +Mitleidens, dass ich bei jedem wusste, + +- dass ich jedem es ansah und anroch, was ihm Geistes _genug_ und was +ihm schon Geistes _zuviel_ war! + +Ihre steifen Weisen: ich hiess sie weise, nicht steif, - so lernte +ich Worte verschlucken. Ihre Todtengräber: ich hiess sie Forscher und +Prüfer, - so lernte ich Worte vertauschen. + +Die Todtengräber graben sich Krankheiten an. Unter altem Schutte ruhn +schlimme Dünste. Man soll den Morast nicht aufrühren. Man soll auf +Bergen leben. + +Mit seligen Nüstern athme ich wieder Berges-Freiheit! Erlöst ist +endlich meine Nase vom Geruch alles Menschenwesens! + +Von scharfen Lüften gekitzelt, wie von schäumenden Weinen, _niest_ +meine Seele, - niest und jubelt sich zu: Gesundheit! + +Also sprach Zarathustra. + + + +Von den drei Bösen + +1. + +Im Traum, im letzten Morgentraume stand ich heut auf einem Vorgebirge, +- jenseits der Welt, hielt eine Wage und _wog_ die Welt. + +Oh dass zu früh mir die Morgenröthe kam: die glühte mich +wach, die Eifersüchtige! Eifersüchtig ist sie immer auf meine +Morgentraum-Gluthen. + +Messbar für Den, der Zeit hat, wägbar für einen guten Wäger, +erfliegbar für starke Fittige, errathbar für göttliche Nüsseknacker: +also fand mein Traum die Welt: - + +Mein Traum, ein kühner Segler, halb Schiff, halb Windsbraut, gleich +Schmetterlingen schweigsam, ungeduldig gleich Edelfalken: wie hatte er +doch zum Welt-Wägen heute Geduld und Weile! + +Sprach ihm heimlich wohl meine Weisheit zu, meine lachende wache +Tags-Weisheit, welche über alle "unendliche Welten" spottet? Denn sie +spricht: "wo Kraft ist, wird auch die _Zahl_ Meisterin: die hat mehr +Kraft." + +Wie sicher schaute mein Traum auf diese endliche Welt, nicht +neugierig, nicht altgierig, nicht fürchtend, nicht bittend: - + +- als ob ein voller Apfel sich meiner Hand böte, ein reifer Goldapfel, +mit kühl-sanfter sammtener Haut: - so bot sich mir die Welt: - + +- als ob ein Baum mir winke, ein breitästiger, starkwilliger, gekrümmt +zur Lehne und noch zum Fussbrett für den Wegmüden: so stand die Welt +auf meinem Vorgebirge: - + +- als ob zierliche Hände mir einen Schrein entgegentrügen, - einen +Schrein offen für das Entzücken schamhafter verehrender Augen: also +bot sich mir heute die Welt entgegen: - + +- nicht Räthsel genug, um Menschen-Liebe davon zu scheuchen, nicht +Lösung genug, um Menschen-Weisheit einzuschläfern: - ein menschlich +gutes Ding war mir heut die Welt, der man so Böses nachredet! + +Wie danke ich es meinem Morgentraum, dass ich also in der Frühe heut +die Welt wog! Als ein menschlich gutes Ding kam er zu mir, dieser +Traum und Herzenströster! + +Und dass ich's ihm gleich thue am Tage und sein Bestes ihm nach- und +ablerne: will ich jetzt die drei bösesten Dinge auf die Wage thun und +menschlich gut abwägen. - + +Wer da segnen lehrte, der lehrte auch fluchen: welches sind in der +Welt die drei bestverfluchten Dinge? Diese will ich auf die Wage thun. + +Wollust, Herrschsucht, Selbstsucht: diese Drei wurden bisher am besten +verflucht und am schlimmsten beleu- und belügenmundet, - diese Drei +will ich menschlich gut abwägen. + +Wohlauf! Hier ist mein Vorgebirg und da das Meer: _das_ wälzt sich zu +mir heran, zottelig, schmeichlerisch, das getreue alte hundertköpfige +Hunds-Ungethüm, das ich liebe. + +Wohlauf! Hier will ich die Wage halten über gewälztem Meere: und auch +einen Zeugen wähle ich, dass er zusehe, - dich, du Einsiedler-Baum, +dich starkduftigen, breitgewölbten, den ich liebe! - + +Auf welcher Brücke geht zum Dereinst das Jetzt? Nach welchem Zwange +zwingt das Hohe sich zum Niederen? Und was heisst auch das Höchste +noch - hinaufwachsen? - + +Nun steht die Wage gleich und still: drei schwere Fragen warf ich +hinein, drei schwere Antworten trägt die andre Wagschale. + + +2. + +Wollust: allen busshemdigen Leib-Verächtern ihr Stachel und Pfahl, +und als "Welt" verflucht bei allen Hinterweltlern: denn sie höhnt und +narrt alle Wirr- und Irr-Lehrer. + +Wollust: dem Gesindel das langsame Feuer, auf dem es verbrannt wird; +allem wurmichten Holze, allen stinkenden Lumpen der bereite Brunst- +und Brodel-Ofen. + +Wollust: für die freien Herzen unschuldig und frei, das Garten-Glück +der Erde, aller Zukunft Dankes-Überschwang an das Jetzt. + +Wollust: nur dem Welken ein süsslich Gift, für die Löwen-Willigen aber +die grosse Herzstärkung, und der ehrfürchtig geschonte Wein der Weine. + +Wollust: das grosse Gleichniss-Glück für höheres Glück und höchste +Hoffnung. Vielem nämlich ist Ehe verheissen und mehr als Ehe, - + +- Vielem, das fremder sich ist, als Mann und Weib: - und wer begriff +es ganz, _wie_fremd_ sich Mann und Weib sind! + +Wollust: - doch ich will Zäune um meine Gedanken haben und auch noch +um meine Worte: dass mir nicht in meine Gärten die Schweine und +Schwärmer brechen! - + +Herrschsucht: die Glüh-Geissel der härtesten Herzensharten; die grause +Marter, die sich dem Grausamsten selber aufspart; die düstre Flamme +lebendiger Scheiterhaufen. + +Herrschsucht: die boshafte Bremse, die den eitelsten Völkern +aufgesetzt wird; die Verhöhnerin aller ungewissen Tugend; die auf +jedem Rosse und jedem Stolze reitet. + +Herrschsucht: das Erdbeben, das alles Morsche und Höhlichte bricht und +aufbricht; die rollende grollende strafende Zerbrecherin übertünchter +Gräber; das blitzende Fragezeichen neben vorzeitigen Antworten. + +Herrschsucht: vor deren Blick der Mensch kriecht und duckt und fröhnt +und niedriger wird als Schlange und Schwein: - bis endlich die grosse +Verachtung aus ihm aufschreie -, + +Herrschsucht: die furchtbare Lehrerin der grossen Verachtung, welche +Städten und Reichen in's Antlitz predigt "hinweg mit dir!" - bis es +aus ihnen selber aufschreie "hinweg mit _mir_!" + +Herrschsucht: die aber lockend auch zu Reinen und Einsamen und hinauf +zu selbstgenugsamen Höhen steigt, glühend gleich einer Liebe, welche +purpurne Seligkeiten lockend an Erdenhimmel malt. + +Herrschsucht: doch wer hiesse es _Sucht_, wenn das Hohe hinab nach +Macht gelüstet! Wahrlich, nichts Sieches und Süchtiges ist an solchem +Gelüsten und Niedersteigen! + +Dass die einsame Höhe sich nicht ewig vereinsame und selbst +begnüge; dass der Berg zu Thale komme und die Winde der Höhe zu den +Niederungen: - + +Oh wer fände den rechten Tauf- und Tugendnamen für solche Sehnsucht! +"Schenkende Tugend" - so nannte das Unnennbare einst Zarathustra. + +Und damals geschah es auch, - und wahrlich, es geschah zum ersten +Male! - dass sein Wort die _Selbstsucht_ selig pries, die heile, +gesunde Selbstsucht, die aus mächtiger Seele quillt: - + +- aus mächtiger Seele, zu welcher der hohe Leib gehört, der schöne, +sieghafte, erquickliche, um den herum jedwedes Ding Spiegel wird: + +- der geschmeidige überredende Leib, der Tänzer, dessen Gleichniss +und Auszug die selbst-lustige Seele ist. Solcher Leiber und Seelen +Selbst-Lust heisst sich selber: "Tugend." + +Mit ihren Worten von Gut und Schlecht schirmt sich solche Selbst-Lust +wie mit heiligen Hainen; mit den Namen ihres Glücks bannt sie von sich +alles Verächtliche. + +Von sich weg bannt sie alles Feige; sie spricht: Schlecht - das ist +feige! Verächtlich dünkt ihr der immer Sorgende, Seufzende, Klägliche +und wer auch die kleinsten Vortheile aufliest. + +Sie verachtet auch alle wehselige Weisheit: denn, wahrlich, es giebt +auch Weisheit, die im Dunklen blüht, eine Nachtschatten-Weisheit: als +welche immer seufzt: "Alles ist eitel!" + +Das scheue Misstrauen gilt ihr gering, und Jeder, wer Schwüre statt +Blicke und Hände will: auch alle allzu misstrauische Weisheit, - denn +solche ist feiger Seelen Art. + +Geringer noch gilt ihr der Schnell-Gefällige, der Hündische, der +gleich auf dem Rücken liegt, der Demüthige; und auch Weisheit giebt +es, die demüthig und hündisch und fromm und schnellgefällig ist. + +Verhasst ist ihr gar und ein Ekel, wer nie sich wehren will, +wer giftigen Speichel und böse Blicke hinunterschluckt, der +All-zu-Geduldige, Alles-Dulder, Allgenügsame: das nämlich ist die +knechtische Art. + +Ob Einer vor Göttern und göttlichen Fusstritten knechtisch ist, ob vor +Menschen und blöden Menschen-Meinungen: _alle_ Knechts-Art speit sie +an, diese selige Selbstsucht! + +Schlecht: so beisst sie Alles, was geknickt und knickerisch-knechtisch +ist, unfreie Zwinker-Augen, gedruckte Herzen, und jene falsche +nachgebende Art, welche mit breiten feigen Lippen küsst. + +Und After-Weisheit: so heisst sie Alles, was Knechte und Greise +und Müde witzeln; und sonderlich die ganze schlimme aberwitzige, +überwitzige Priester-Narrheit! + +Die After-Weisen aber, alle die Priester, Weltmüden und wessen Seele +von Weibs- und Knechtsart ist, - oh wie hat ihr Spiel von jeher der +Selbstsucht übel mitgespielt! + +Und Das gerade sollte Tugend sein und Tugend heissen, _dass_ man der +Selbstsucht übel mitspiele! Und "selbstlos" - so wünschten sich selber +mit gutem Grunde alle diese weltmüden Feiglinge und Kreuzspinnen! + +Aber denen Allen kommt nun der Tag, die Wandlung, das Richtschwert, +_der_grosse_Mittag_: da soll Vieles offenbar werden! + +Und wer das Ich heil und heilig spricht und die Selbstsucht selig, +wahrlich, der spricht auch, was er weiss, ein Weissager: "Siehe, er +kommt, er ist nahe, der grosse Mittag!" + +Also sprach Zarathustra. + + + +Vom Geist der Schwere + +1. + +Mein Mundwerk - ist des Volks: zu grob und herzlich rede ich für die +Seidenhasen. Und noch fremder klingt mein Wort allen Tinten-Fischen +und Feder-Füchsen. + +Meine Hand - ist eine Narrenhand: wehe allen Tischen und Wänden, und +was noch Platz hat für Narren-Zierath, Narren-Schmierath! + +Mein Fuss - ist ein Pferdefuss; damit trapple und trabe ich über Stock +und Stein, kreuz- und querfeld-ein und bin des Teufels vor Lust bei +allem schnellen Laufen. + +Mein Magen - ist wohl eines Adlers Magen? Denn er liebt am liebsten +Lammfleisch. Gewisslich aber ist er eines Vogels Magen. + +Von unschuldigen Dingen genährt und von Wenigem, bereit und ungeduldig +zu fliegen, davonzufliegen - das ist nun meine Art: wie sollte nicht +Etwas daran von Vogel-Art sein! + +Und zumal, dass ich dem Geist der Schwere feind bin, das ist +Vogel-Art: und wahrlich, todfeind, erzfeind, urfeind! Oh wohin flog +und verflog sich nicht schon meine Feindschaft! + +Davon könnte ich schon ein Lied singen - - und _will_ es singen: ob +ich gleich allein in leerem Hause bin und es meinen eignen Ohren +singen muss. + +Andre Sänger giebt es freilich, denen macht das volle Haus erst ihre +Kehle weide, ihre Hand gesprächig, ihr Auge ausdrücklich, ihr Herz +wach: - Denen gleiche ich nicht. - + + +2. + +Wer die Menschen einst fliegen lehrt, der hat alle Grenzsteine +verrückt; alle Grenzsteine selber werden ihm in die Luft fliegen, die +Erde wird er neu taufen - als "die Leichte." + +Der Vogel Strauss läuft schneller als das schnellste Pferd, aber auch +er steckt noch den Kopf schwer in schwere Erde: also der Mensch, der +noch nicht fliegen kann. + +Schwer heisst ihm Erde und Leben; und so _will_ es der Geist der +Schwere! Wer aber leicht werden will und ein Vogel, der muss sich +selber lieben: - also lehre _ich_. + +Nicht freilich mit der Liebe der Siechen und Süchtigen: denn bei denen +stinkt auch die Eigenliebe! + +Man muss sich selber lieben lernen - also lehre ich - mit einer heilen +und gesunden Liebe: dass man es bei sich selber aushalte und nicht +umherschweife. + +Solches Umherschweifen tauft sich "Nächstenliebe": mit diesem Worte +ist bisher am besten gelogen und geheuchelt worden, und sonderlich von +Solchen, die aller Welt schwer fielen. + +Und wahrlich, das ist kein Gebot für Heute und Morgen, sich lieben +_lernen_. Vielmehr ist von allen Künsten diese die feinste, listigste, +letzte und geduldsamste. + +Für seinen Eigener ist nämlich alles Eigene gut versteckt; und von +allen Schatzgruben wird die eigne am spätesten ausgegraben, - also +schafft es der Geist der Schwere. + +Fast in der Wiege giebt man uns schon schwere Worte und Werthe mit: +"gut" und "böse" - so heisst sich diese Mitgift. Um derentwillen +vergiebt man uns, dass wir leben. + +Und dazu lässt man die Kindlein zu sich kommen, dass man ihnen bei +Zeiten wehre, sich selber zu lieben: also schafft es der Geist der +Schwere. + +Und wir - wir schleppen treulich, was man uns mitgiebt, auf harten +Schultern und über rauhe Berge! Und schwitzen wir, so sagt man uns: +"Ja, das Leben ist schwer zu tragen!" + +Aber der Mensch nur ist sich schwer zu tragen! Das macht, er schleppt +zu vieles Fremde auf seinen Schultern. Dem Kameele gleich kniet er +nieder und lässt sich gut aufladen. + +Sonderlich der starke, tragsame Mensch, dem Ehrfurcht innewohnt: zu +viele _fremde_ schwere Worte und Werthe lädt er auf sich, - nun dünkt +das Leben ihm eine Wüste! + +Und wahrlich! Auch manches _Eigene_ ist schwer zu tragen! Und viel +Inwendiges am Menschen ist der Auster gleich, nämlich ekel und +schlüpfrig und schwer erfasslich -, + +- also dass eine edle Schale mit edler Zierath fürbitten muss. Aber +auch diese Kunst muss man lernen: Schale _haben_ und schönen Schein +und kluge Blindheit! + +Abermals trügt über Manches am Menschen, dass manche Schale gering und +traurig und zu sehr Schale ist. Viel verborgene Güte und Kraft wird +nie errathen; die köstlichsten Leckerbissen finden keine Schmecker! + +Die Frauen wissen das, die köstlichsten: ein Wenig fetter, ein Wenig +magerer - oh wie viel Schicksal liegt in so Wenigem! + +Der Mensch ist schwer zu entdecken und sich selber noch am schwersten; +oft lügt der Geist über die Seele. Also schafft es der Geist der +Schwere. + +Der aber hat sich selber entdeckt, welcher spricht: Das ist _mein_ +Gutes und Böses: damit hat er den Maulwurf und Zwerg stumm gemacht, +welcher spricht "Allen gut, Allen bös." + +Wahrlich, ich mag auch Solche nicht, denen jegliches Ding gut und +diese Welt gar die beste heisst. Solche nenne ich die Allgenügsamen. + +Allgenügsamkeit, die Alles zu schmecken weiss: das ist nicht der beste +Geschmack! Ich ehre die widerspänstigen wählerischen Zungen und Mägen, +welche "Ich" und "Ja" und "Nein" sagen lernten. + +Alles aber kauen und verdauen - das ist eine rechte Schweine-Art! +Immer I-a sagen - das lernte allein der Esel, und wer seines Geistes +ist! - + +Das tiefe Gelb und das heisse Roth: so will es _mein_ Geschmack, - +der mischt Blut zu allen Farben. Wer aber sein Haus weiss tüncht, der +verräth mir eine weissgetünchte Seele. + +In Mumien verliebt die Einen, die Andern in Gespenster; und Beide +gleich feind allem Fleisch und Blute - oh wie gehen Beide mir wider +den Geschmack! Denn ich liebe Blut. + +Und dort will ich nicht wohnen und weilen, wo Jedermann spuckt und +speit: das ist nun _mein_ Geschmack, - lieber noch lebte ich unter +Dieben und Meineidigen. Niemand trägt Gold im Munde. + +Widriger aber sind mir noch alle Speichellecker; und das widrigste +Thier von Mensch, das ich fand, das taufte ich Schmarotzer: das wollte +nicht lieben und doch von Liebe leben. + +Unselig heisse ich Alle, die nur Eine Wahl haben: böse Thiere zu +werden oder böse Thierbändiger: bei Solchen würde ich mir keine Hütten +bauen. + +Unselig heisse ich auch Die, welche immer _warten_ müssen, - die gehen +mir wider den Geschmack: alle die Zöllner und Krämer und Könige und +andren Länder- und Ladenhüter. + +Wahrlich, ich lernte das Warten auch und von Grund aus, + +- aber nur das Warten auf _mich_. Und über Allem lernte ich stehn und +gehn und laufen und springen und klettern und tanzen. + +Das ist aber meine Lehre: wer einst fliegen lernen will, der muss +erst stehn und gehn und laufen und klettern und tanzen lernen: - man +erfliegt das Fliegen nicht! + +Mit Strickleitern lernte ich manches Fenster erklettern, mit hurtigen +Beinen klomm ich auf hohe Masten: auf hohen Masten der Erkenntniss +sitzen dünkte mich keine geringe Seligkeit, - + +- gleich kleinen Flammen flackern auf hohen Masten: ein kleines Licht +zwar, aber doch ein grosser Trost für verschlagene Schiffer und +Schiffbrüchige! - + +Auf vielerlei Weg und Weise kam ich zu meiner Wahrheit; nicht auf +Einer Leiter stieg ich zur Höhe, wo mein Auge in meine Ferne schweift. + +Und ungern nur fragte ich stets nach Wegen, - das gieng mir immer +wider den Geschmack! Lieber fragte und versuchte ich die Wege selber. + +Ein Versuchen und Fragen war all mein Gehen: - und wahrlich, auch +antworten muss man _lernen_ auf solches Fragen! Das aber - ist mein +Geschmack: + +- kein guter, kein schlechter, aber _mein_ Geschmack, dessen ich weder +Scham noch Hehl mehr habe. + +"Das - ist nun _mein_ Weg, - wo ist der eure?" so antwortete ich +Denen, welche mich "nach dem Wege" fragten. _Den_ Weg nämlich - den +giebt es nicht! + +Also sprach Zarathustra. + + + +Von alten und neuen Tafeln + +1. + +Hier sitze ich und warte, alte zerbrochene Tafeln um mich und auch +neue halb beschriebene Tafeln. Wann kommt meine Stunde? + +- die Stunde meines Niederganges, Unterganges: denn noch Ein Mal will +ich zu den Menschen gehn. + +Dess warte ich nun: denn erst müssen mir die Zeichen kommen, +dass es _meine_ Stunde sei, - nämlich der lachende Löwe mit dem +Taubenschwarme. + +Inzwischen rede ich als Einer, der Zeit hat, zu mir selber. Niemand +erzählt mir Neues: so erzähle ich mir mich selber. - + + +2. + +Als ich zu den Menschen kam, da fand ich sie sitzen auf einem alten +Dünkel: Alle dünkten sich lange schon zu wissen, was dem Menschen gut +und böse sei. + +Eine alte müde Sache dünkte ihnen alles Reden von Tugend; und wer +gut schlafen wollte, der sprach vor Schlafengehen noch von "Gut" und +"Böse". + +Diese Schläferei störte ich auf, als ich lehrte: was gut und böse ist, +_das_weiss_noch_Niemand_: - es sei denn der Schaffende! + +- Das aber ist Der, welcher des Menschen Ziel schafft und der Erde +ihren Sinn giebt und ihre Zukunft: Dieser erst _schafft_ es, _dass_ +Etwas gut und böse ist. + +Und ich hiess sie ihre alten Lehr-Stühle umwerfen, und wo nur jener +alte Dünkel gesessen hatte; ich hiess sie lachen über ihre grossen +Tugend-Meister und Heiligen und Dichter und Welt-Erlöser. + +Über ihre düsteren Weisen hiess ich sie lachen, und wer je als +schwarze Vogelscheuche warnend auf dem Baume des Lebens gesessen +hatte. + +An ihre grosse Gräberstrasse setzte ich mich und selber zu Aas und +Geiern - und ich lachte über all ihr Einst und seine mürbe verfallende +Herrlichkeit. + +Wahrlich, gleich Busspredigern und Narrn schrie ich Zorn und Zeter +über all ihr Grosses und Kleines -, dass ihr Bestes so gar klein ist! +Dass ihr Bösestes so gar klein ist! - also lachte ich. + +Meine weise Sehnsucht schrie und lachte also aus mir, die auf +Bergen geboren ist, eine wilde Weisheit wahrlich! - meine grosse +flügelbrausende Sehnsucht. + +Und oft riss sie mich fort und hinauf und hinweg und mitten im +Lachen: da flog ich wohl schaudernd, ein Pfeil, durch sonnentrunkenes +Entzücken: + +- hinaus in ferne Zukünfte, die kein Traum noch sah, in heissere +Süden, als je sich Bildner träumten: dorthin, wo Götter tanzend sich +aller Kleider schämen: - + +- dass ich nämlich in Gleichnissen rede und gleich Dichtern hinke und +stammle: und wahrlich, ich schäme mich, dass ich noch Dichter sein +muss! - + +Wo alles Werden mich Götter-Tanz und Götter-Muthwillen dünkte, und die +Welt los- und ausgelassen und zu sich selber zurückfliehend: - + +- als ein ewiges Sich-fliehn und -Wiedersuchen vieler Götter, als das +selige Sich-Widersprechen, Sich-Wieder-hören, Sich-Wieder-Zugehören +vieler Götter: - + +Wo alle Zeit mich ein seliger Hohn auf Augenblicke dünkte, wo die +Nothwendigkeit die Freiheit selber war, die selig mit dem Stachel der +Freiheit spielte: - + +Wo ich auch meinen alten Teufel und Erzfeind wiederfand, den Geist der +Schwere und Alles, was er schuf: Zwang, Satzung, Noth und Folge und +Zweck und Wille und Gut und Böse: - + +Denn muss nicht dasein, _über_ das getanzt, hinweggetanzt werde? +Müssen nicht um der Leichten, Leichtesten willen - Maulwürfe und +schwere Zwerge dasein? - - + + +3. + +Dort war's auch, wo ich das Wort "Übermensch" vom Wege auflas, und +dass der Mensch Etwas sei, das überwunden werden müsse, + +- dass der Mensch eine Brücke sei und kein Zweck: sich selig preisend +ob seines Mittags und Abends, als Weg zu neuen Morgenröthen: + +- das Zarathustra-Wort vom grossen Mittage, und was sonst ich über den +Menschen aufhängte, gleich purpurnen zweiten Abendröthen. + +Wahrlich, auch neue Sterne liess ich sie sehn sammt neuen Nächten; und +über Wolken und Tag und Nacht spannte ich noch das Lachen aus wie ein +buntes Gezelt. + +Ich lehrte sie all _mein_ Dichten und Trachten: in Eins zu dichten und +zusammen zu tragen, was Bruchstück ist am Menschen und Räthsel und +grauser Zufall, - + +- als Dichter, Räthselrather und Erlöser des Zufalls lehrte ich sie an +der Zukunft schaffen, und Alles, das _war_ -, schaffend zu erlösen. + +Das Vergangne am Menschen zu erlösen und alles "Es war" umzuschauen, +bis der Wille spricht: "Aber so wollte ich es! So werde ich's wollen +-" + +- Diess hiess ich ihnen Erlösung, Diess allein lehrte ich sie Erlösung +heissen. - - + +Nun warte ich _meiner_ Erlösung -, dass ich zum letzten Male zu ihnen +gehe. + +Denn noch Ein Mal will ich zu den Menschen: _unter_ ihnen will ich +untergehen, sterbend will ich ihnen meine reichste Gabe geben! + +Der Sonne lernte ich Das ab, wenn sie hinabgeht, die Überreiche: Gold +schüttet sie da in's Meer aus unerschöpflichem Reichthume, - + +- also, dass der ärmste Fischer noch mit _goldenem_ Ruder rudert! +Diess nämlich sah ich einst und wurde der Thränen nicht satt im +Zuschauen. - - + +Der Sonne gleich will auch Zarathustra untergehn: nun sitzt er hier +und wartet, alte zerbrochne Tafeln um sich und auch neue Tafeln, - +halbbeschriebene. + + +4. + +Siehe, hier ist eine neue Tafel: aber wo sind meine Brüder, die sie +mit mir zu Thale und in fleischerne Herzen tragen? - + +Also heischt es meine grosse Liebe zu den Fernsten: schone deinen +Nächsten nicht! Der Mensch ist Etwas, das überwunden werden muss. + +Es giebt vielerlei Weg und Weise der Überwindung.- da siehe _du_ zu! +Aber nur ein Possenreisser denkt: "der Mensch kann auch _übersprungen_ +werden." + +Überwinde dich selber noch in deinem Nächsten: und ein Recht, das du +dir rauben kannst, sollst du dir nicht geben lassen! + +Was du thust, das kann dir Keiner wieder thun. Siehe, es giebt keine +Vergeltung. + +Wer sich nicht befehlen kann, der soll gehorchen. Und Mancher _kann_ +sich befehlen, aber da fehlt noch Viel, dass er sich auch gehorche! + + +5. + +Also will es die Art edler Seelen: sie wollen Nichts _umsonst_ haben, +am wenigsten das Leben. + +Wer vom Pöbel ist, der will umsonst leben; wir Anderen aber, denen +das Leben sich gab, - wir sinnen immer darüber, _was_ wir am besten +_dagegen_ geben! + +Und wahrlich, diess ist eine vornehme Rede, welche spricht: "was _uns_ +das Leben verspricht, das wollen _wir_ - dem Leben halten!" + +Man soll nicht geniessen wollen, wo man nicht zu geniessen giebt. Und +- man soll nicht geniessen _wollen_! + +Genuss und Unschuld nämlich sind die schamhaftesten Dinge: Beide +wollen nicht gesucht sein. Man soll sie _haben_ -, aber man soll eher +noch nach Schuld und Schmerzen _suchen_! - + + +6. + +Oh meine Brüder, wer ein Erstling ist, der wird immer geopfert. Nun +aber sind wir Erstlinge. + +Wir bluten Alle an geheimen Opfertischen, wir brennen und braten Alle +zu Ehren alter Götzenbilder. + +Unser Bestes ist noch jung: das reizt alte Gaumen. Unser Fleisch ist +zart, unser Fell ist nur ein Lamm-Fell: - wie sollten wir nicht alte +Götzenpriester reizen! + +_In_uns_selber_ wohnt er noch, der alte Götzenpriester, der unser +Bestes sich zum Schmause brät. Ach, meine Brüder, wie sollten +Erstlinge nicht Opfer sein! + +Aber so will es unsre Art; und ich liebe Die, welche sich nicht +bewahren wollen. Die Untergehenden liebe ich mit meiner ganzen Liebe: +denn sie gehn hinüber. - + + +7. + +Wahr sein - das _können_ Wenige! Und wer es kann, der will es noch +nicht! Am wenigsten aber können es die Guten. + +Oh diese Guten! - Gute Menschen reden nie die Wahrheit; für den Geist +ist solchermaassen gut sein eine Krankheit. + +Sie geben nach, diese Guten, sie ergeben sich, ihr Herz spricht nach, +ihr Grund gehorcht; wer aber gehorcht, der hört sich selber nicht! + +Alles, was den Guten böse heisst, muss zusammen kommen, dass Eine +Wahrheit geboren werde: oh meine Brüder, seid ihr auch böse genug zu +_dieser_ Wahrheit? + +Das verwegene Wagen, das lange Misstrauen, das grausame Nein, der +Überdruss, das Schneiden in's Lebendige - wie selten kommt _das_ +zusammen! Aus solchem Samen aber wird Wahrheit gezeugt! + +_Neben_ dem bösen Gewissen wuchs bisher alles _Wissen_! Zerbrecht, +zerbrecht mir, ihr Erkennenden, die alten Tafeln! + + +8. + +Wenn das Wasser Balken hat, wenn Stege und Geländer über den Fluss +springen: wahrlich, da findet Keiner Glauben, der da spricht: "Alles +ist im Fluss." + +Sondern selber die Tölpel widersprechen ihm. "Wie? sagen die Tölpel, +Alles wäre im Flusse? Balken und Geländer sind doch _über_ dem +Flusse!" + +"_Über_ dem Flusse ist Alles fest, alle die Werthe der Dinge, die +Brücken, Begriffe, alles `Gut` und `Böse`: das ist Alles fest!" - + +Kommt gar der harte Winter, der Fluss-Thierbändiger: dann lernen +auch die Witzigsten Misstrauen; und, wahrlich, nicht nur die Tölpel +sprechen dann: "Sollte nicht Alles - _stille_stehn_?" + +"Im Grunde steht Alles stille" -, das ist eine rechte Winter-Lehre, +ein gut Ding für unfruchtbare Zeit, ein guter Trost für Winterschläfer +und Ofenhocker. + +"Im Grund steht Alles still" -: _dagegen_ aber predigt der Thauwind! + +Der Thauwind, ein Stier, der kein pflügender Stier ist, - ein +wüthender Stier, ein Zerstörer, der mit zornigen Hörnern Eis bricht! +Eis aber - - _bricht_Stege_! + +Oh meine Brüder, ist _jetzt_ nicht Alles _im_Flusse_? Sind nicht alle +Geländer und Stege in's Wasser gefallen? Wer _hielte_ sich noch an +"Gut" und "Böse"? + +"Wehe uns! Heil uns! Der Thauwind weht!" - Also predigt mir, oh meine +Brüder, durch alle Gassen! + + +9. + +Es giebt einen alten Wahn, der heisst Gut und Böse. Um Wahrsager und +Sterndeuter drehte sich bisher das Rad dieses Wahns. + +Einst glaubte man an Wahrsager und Sterndeuter: und darum glaubte man +"Alles ist Schicksal: du sollst, denn du musst!" + +Dann wieder misstraute man allen Wahrsagern und Sterndeutern: und +_darum_ glaubte man "Alles ist Freiheit: du kannst, denn du willst!" + +Oh meine Brüder, über Sterne und Zukunft ist bisher nur gewähnt, nicht +gewusst worden: und _darum_ ist über Gut und Böse bisher nur gewähnt, +nicht gewusst worden! + + +10. + +"Du sollst nicht rauben! Du sollst nicht todtschlagen!" - solche Worte +hiess man einst heilig; vor ihnen beugte man Knie und Köpfe und zog +die Schuhe aus. + +Aber ich frage euch: wo gab es je bessere Räuber und Todtschläger in +der Welt, als es solche heilige Worte waren? + +Ist in allem Leben selber nicht - Rauben und Todtschlagen? Und dass +solche Worte heilig hiessen, wurde damit die _Wahrheit_ selber nicht - +todtgeschlagen? + +Oder war es eine Predigt des Todes, dass heilig hiess, was allem Leben +widersprach und widerrieth? - Oh meine Brüder, zerbrecht, zerbrecht +mir die alten tafeln! + + +11. + +Diess ist mein Mitleid mit allem Vergangenen, dass ich sehe: es ist +preisgegeben, - + +- der Gnade, dem Geiste, dem Wahnsinne jedes Geschlechtes +preisgegeben, das kommt und Alles, was war, zu seiner Brücke umdeutet! + +Ein grosser Gewalt-Herr könnte kommen, ein gewitzter Unhold, der mit +seiner Gnade und Ungnade alles Vergangene zwänge und zwängte: bis es +ihm Brücke würde und Vorzeichen und Herold und Hahnenschrei. + +Diess aber ist die andre Gefahr und mein andres Mitleiden: - wer vom +Pöbel ist, dessen Gedenken geht zurück bis zum Grossvater, - mit dem +Grossvater aber hört die Zeit auf. + +Also ist alles Vergangene preisgegeben: denn es könnte einmal kommen, +dass der Pöbel Herr würde und in seichten Gewässern alle Zeit +ertränke. + +Darum, oh meine Brüder, bedarf es eines _neuen_Adels_, der allem Pöbel +und allem Gewalt-Herrischen Widersacher ist und auf neue Tafeln neu +das Wort schreibt "edel". + +Vieler Edlen nämlich bedarf es und vielerlei Edlen, dass es Adel gebe! +Oder, wie ich einst im Gleichniss sprach: "Das eben ist Göttlichkeit, +dass es Götter, aber keinen Gott giebt!" + + +12. + +Oh meine Brüder, ich weihe und weise euch zu einem neuen Adel: ihr +sollt mir Zeuger und Züchter werden und Säemänner der Zukunft, - + +- wahrlich, nicht zu einem Adel, den ihr kaufen könntet gleich den +Krämern und mit Krämer-Golde: denn wenig Werth hat Alles, was seinen +Preis hat. + +Nicht, woher ihr kommt, mache euch fürderhin eure Ehre, sondern wohin +ihr geht! Euer Wille und euer Fuss, der über euch selber hinaus will, +- das mache eure neue Ehre! + +Wahrlich nicht, dass ihr einem Fürsten gedient habt - was liegt noch +an Fürsten! - oder dem, was steht, zum Bollwerk wurdet, dass es fester +stünde! + +Nicht, dass euer Geschlecht an Höfen höfisch wurde, und ihr lerntet, +bunt, einem Flamingo ähnlich, lange Stunden in flachen Teichen stehn. + +- Denn Stehen-_können_ ist ein Verdienst bei Höflingen; und +alle Höflinge glauben, zur Seligkeit nach dem Tode gehöre - +Sitzen-_dürfen_! - + +Nicht auch, dass ein Geist, den sie heilig nennen, eure Vorfahren in +gelobte Länder führte, die _ich_ nicht lobe: denn wo der schlimmste +aller Bäume wuchs, das Kreuz, - an dem Lande ist Nichts zu loben! - + +- und wahrlich, wohin dieser "heilige Geist" auch seine Ritter führte, +immer liefen bei solchen Zügen - Ziegen und Gänse und Kreuz- und +Querköpfe _voran_! - + +Oh meine Brüder, nicht zurück soll euer Adel schauen, sondern +_hinaus_! Vertriebene sollt ihr sein aus allen Vater- und +Urväterländern! + +Eurer Kinder Land sollt ihr lieben: diese Liebe sei euer neuer Adel, +- das unentdeckte, im feinsten Meere! Nach ihm heisse ich eure Segel +suchen und suchen! + +An euren Kindern sollt ihr _gutmachen_, dass ihr eurer Väter Kinder +seid: alles Vergangene sollt ihr _so_ erlösen! Diese neue Tafel stelle +ich über euch! + + +13. + +"Wozu leben? Alles ist eitel! Leben - das ist Stroh dreschen; Leben - +das ist sich verbrennen und doch nicht warm werden." - + +Solch alterthümliches Geschwätz gilt immer noch als "Weisheit"; dass +es aber alt ist und dumpfig riecht, _darum_ wird es besser geehrt. +Auch der Moder adelt. - + +Kinder durften so reden: die _scheuen_ das Feuer, weil es sie brannte! +Es ist viel Kinderei in den alten Büchern der Weisheit. + +Und wer immer "Stroh drischt", wie sollte der auf das Dreschen lästern +dürfen! Solchem Narren müsste man doch das Maul verbinden! + +Solche setzen sich zu Tisch und bringen Nichts mit, selbst den guten +Hunger nicht: - und nun lästern sie "Alles ist eitel!" + +Aber gut essen und trinken, oh meine Brüder, ist wahrlich keine eitle +Kunst! Zerbrecht, zerbrecht mir die Tafeln der Nimmer-Frohen! + + +14. + +"Dem Reinen ist Alles rein" - so spricht das Volk. Ich aber sage euch: +den Schweinen wird Alles Schwein! + +Darum predigen die Schwärmer und Kopfhänger, denen auch das Herz +niederhängt: "die Welt selber ist ein kothiges Ungeheuer." + +Denn diese Alle sind unsäuberlichen Geistes; sonderlich aber Jene, +welche nicht Ruhe, noch Rast haben, es sei denn, sie sehen die Welt +_von_hinten_, - die Hinterweltler! + +_Denen_ sage ich in's Gesicht, ob es gleich nicht lieblich klingt: +die Welt gleicht darin dem Menschen, dass sie einen Hintern hat, - +_so_Viel_ ist wahr! + +Es giebt in der Welt viel Koth: _so_Viel_ ist wahr! Aber darum ist die +Welt selber noch kein kothiges Ungeheuer! + +Es ist Weisheit darin, dass Vieles in der Welt übel riecht: der Ekel +selber schafft Flügel und quellenahnende Kräfte! + +An dem Besten ist noch Etwas zum Ekeln; und der Beste ist noch Etwas, +das überwunden werden muss! - + +Oh meine Brüder, es ist viel Weisheit darin, dass viel Koth in der +Welt ist! - + + +15. + +Solche Sprüche hörte ich fromme Hinterweltler zu ihrem Gewissen reden; +und wahrlich, ohne Arg und Falsch, - ob es Schon nichts Falscheres in +der Welt giebt, noch Ärgeres. + +"Lass doch die Welt der Welt sein! Hebe dawider auch nicht Einen +Finger auf!" + +"Lass, wer da wolle, die Leute würgen und stechen und schneiden und +schaben: hebe dawider auch nicht Einen Finger auf! Darob lernen sie +noch der Welt absagen." + +"Und deine eigne Vernunft - die sollst du selber görgeln und würgen; +denn es ist eine Vernunft von dieser Welt, - darob lernst du selber +der Welt absagen." - + +- Zerbrecht, zerbrecht mir, oh meine Brüder, diese alten Tafeln der +Frommen! Zersprecht mir die Sprüche der Welt-Verleumder! + + +16. + +"Wer viel lernt, der verlernt alles heftige Begehren" - das flüstert +man heute sich zu auf allen dunklen Gassen. + +"Weisheit macht müde, es lohnt sich - Nichts; du sollst nicht +begehren!" - diese neue Tafel fand ich hängen selbst auf offnen +Märkten. + +Zerbrecht mir, oh meine Brüder, zerbrecht mir auch diese _neue_ +Tafel! Die Welt-Müden hängten sie hin und die Prediger des Todes, +und auch die Stockmeister: denn seht, es ist auch eine Predigt zur +Knechtschaft! - + +Dass sie schlecht lernten und das Beste nicht, und Alles zu früh und +Alles zu geschwind: dass sie schlecht _assen_, daher kam ihnen jener +verdorbene Magen, - + +- ein verdorbener Magen ist nämlich ihr Geist: _der_ räth zum Tode! +Denn wahrlich, meine Brüder, der Geist _ist_ ein Magen! + +Das Leben ist ein Born der Lust: aber aus wem der verdorbene Magen +redet, der Vater der Trübsal, dem sind alle Quellen vergiftet. + +Erkennen: das ist _Lust_ dem Löwen-willigen! Aber wer müde wurde, der +wird selber nur "gewollt", mit dem spielen alle Wellen. + +Und so ist es immer schwacher Menschen Art: sie verlieren sich auf +ihren Wegen. Und zuletzt fragt noch ihre Müdigkeit: "wozu giengen wir +jemals Wege! Es ist Alles gleich!" + +_Denen_ klingt es lieblich zu Ohren, dass gepredigt wird: "Es verlohnt +sich Nichts! Ihr sollt nicht wollen!" Diess aber ist eine Predigt zur +Knechtschaft. + +Oh meine Brüder, ein frischer Brause-Wind kommt Zarathustra allen +Weg-Müden; viele Nasen wird er noch niesen machen! + +Auch durch Mauern bläst mein freier Athem, und hinein in Gefängnisse +und eingefangne Geister! + +Wollen befreit: denn Wollen ist Schaffen: so lehre ich. Und _nur_ zum +Schaffen sollt ihr lernen! + +Und auch das Lernen sollt ihr erst von mir _lernen_, das Gut-Lernen! - +Wer Ohren hat, der höre! + + +17. + +Da steht der Nachen, - dort hinüber geht es vielleicht in's grosse +Nichts. - Aber wer will in diess "Vielleicht" einsteigen? + +Niemand von euch will in den Todes-Nachen einsteigen! Wieso wollt ihr +dann _Welt-Müde_ sein! + +Weltmüde! Und noch nicht einmal Erd-Entrückte wurdet ihr! Lüstern +fand ich euch immer noch nach Erde, verliebt noch in die eigne +Erd-Müdigkeit! + +Nicht umsonst hängt euch die Lippe herab: - ein kleiner Erden-Wunsch +sitzt noch darauf! Und im Auge - schwimmt da nicht ein Wölkchen +unvergessner Erden-Lust? + +Es giebt auf Erden viel gute Erfindungen, die einen nützlich, die +andern angenehm: derentwegen ist die Erde zu lieben. + +Und mancherlei so gut Erfundenes giebt es da, dass es ist wie des +Weibes Busen: nützlich zugleich und angenehm. + +Ihr Welt-Müden aber! Ihr Erden-Faulen! Euch soll man mit Ruthen +streichen! Mit Ruthenstreichen soll man euch wieder muntre Beine +machen. + +Denn: seid ihr nicht Kranke und verlebte Wichte, deren die Erde müde +ist, so seid ihr schlaue Faulthiere oder naschhafte verkrochene +Lust-Katzen. Und wollt ihr nicht wieder lustig _laufen_, so sollt ihr +- dahinfahren! + +An Unheilbaren soll man nicht Arzt sein wollen: also lehrt es +Zarathustra: - so sollt ihr dahinfahren! + +Aber es gehört mehr _Muth_ dazu, ein Ende zu machen, als einen neuen +Vers: das wissen alle Ärzte und Dichter. - + + +18. + +Oh meine Brüder, es giebt Tafeln, welche die Ermüdung, und Tafeln, +welche die Faulheit schuf, die faulige: ob sie schon gleich reden, so +wollen sie doch ungleich gehört sein. - + +Seht hier diesen Verschmachtenden! Nur eine Spanne weit ist er noch +von seinem Ziele, aber vor Müdigkeit hat er sich trotzig hier in den +Staub gelegt: dieser Tapfere! + +Vor Müdigkeit gähnt er Weg und Erde und Ziel und sich selber an: +keinen Schritt will er noch weiter thun, - dieser Tapfere! + +Nun glüht die Sonne auf ihn, und die Hunde lecken nach seinem +Schweisse: aber er liegt da in seinem Trotze und will lieber +verschmachten: - + +- eine Spanne weit von seinem Ziele verschmachten! Wahrlich, ihr +werdet ihn noch an den Haaren in seinen Himmel ziehen müssen, - diesen +Helden! + +Besser noch, ihr lasst ihn liegen, wohin er sich gelegt hat, dass der +Schlaf ihm komme, der Tröster, mit kühlendem Rausche-Regen: + +Lasst ihn liegen, bis er von selber wach wird, bis er von selber alle +Müdigkeit widerruft und was Müdigkeit aus ihm lehrte! + +Nur, meine Brüder, dass ihr die Hunde von ihm scheucht, die faulen +Schleicher, und all das schwärmende Geschmeiss: - + +- all das schwärmende Geschmeiss der "Gebildeten", das sich am +Schweisse jedes Helden - gütlich thut! - + + +19. + +Ich schliesse Kreise um mich und heilige Grenzen; immer Wenigere +steigen mit mir auf immer höhere Berge, - ich baue ein Gebirge aus +immer heiligeren Bergen. - + +Wohin ihr aber auch mit mir steigen mögt, oh meine Brüder: seht zu, +dass nicht ein _Schmarotzer_ mit euch steige! + +Schmarotzer: das ist ein Gewürm, ein kriechendes, geschmiegtes, das +fett werden will an euren kranken wunden Winkeln. + +Und _das_ ist seine Kunst, dass er steigende Seelen erräth, wo sie +müde sind: in euren Gram und Unmuth, in eure zarte Scham baut er sein +ekles Nest. + +Wo der Starke schwach, der Edle allzumild ist, - dahinein baut er sein +ekles Nest: der Schmarotzer wohnt, wo der Grosse kleine wunde Winkel +hat. + +Was ist die höchste Art alles Seienden und was die geringste? Der +Schmarotzer ist die geringste Art; wer aber höchster Art ist, der +ernährt die meisten Schmarotzer. + +Die Seele nämlich, welche die längste Leiter hat und am tiefsten +hinunter kann: wie sollten nicht an der die meisten Schmarotzer +sitzen? - + +- die umfänglichste Seele, welche am weitesten in sich laufen und +irren und schweifen kann; die nothwendigste, welche sich aus Lust in +den Zufall stürzt: - + +- die seiende Seele, welche in's Werden taucht; die habende, welche +in's Wollen und Verlangen _will_: - + +- die sich selber fliehende, die sich selber im weitesten Kreise +einholt; die weiseste Seele, welcher die Narrheit am süssesten +zuredet: - + +- die sich selber liebendste, in der alle Dinge ihr Strömen +und Wiederströmen und Ebbe und Fluth haben: - oh wie sollte +_die_höchste_Seele_ nicht die schlimmsten Schmarotzer haben? + + +20. + +Oh meine Brüder, bin ich denn grausam? Aber ich sage: was fällt, das +soll man auch noch stossen! + +Das Alles von Heute - das fällt, das verfällt: wer wollte es halten! +Aber ich - ich _will_ es noch stossen! + +Kennt ihr die Wollust, die Steine in steile Tiefen rollt? - Diese +Menschen von heute: seht sie doch, wie sie in meine Tiefen rollen! + +Ein Vorspiel bin ich besserer Spieler, oh meine Brüder! Ein Beispiel! +_Thut_ nach meinem Beispiele! + +Und wen ihr nicht fliegen lehrt, den lehrt mir - schneller fallen! - + + +21. + +Ich liebe die Tapferen: aber es ist nicht genug, Hau-Degen sein, - man +muss auch wissen Hau-schau-_Wen_! + +Und oft ist mehr Tapferkeit darin, dass Einer an sich hält und +vorübergeht: _damit_ er sich dem würdigeren Feinde aufspare! + +Ich sollt nur Feinde haben, die zu hassen sind, aber nicht Feinde zum +Verachten: ihr müsst stolz auf euren Feind sein: also lehrte ich schon +Ein Mal. + +Dem würdigeren Feinde, oh meine Freunde, sollt ihr euch aufsparen: +darum müsst ihr an Vielem vorübergehn, - + +- sonderlich an vielem Gesindel, das euch in die Ohren lärmt von Volk +und Völkern. + +Haltet euer Auge rein von ihrem Für und Wider! Da giebt es viel Recht, +viel Unrecht: wer da zusieht, wird zornig. + +Dreinschaun, dreinhaun - das ist da Eins: darum geht weg in die Wälder +und legt euer Schwert schlafen! + +Geht _eure_ Wege! Und lasst Volk und Völker die ihren gehn! - dunkle +Wege wahrlich, auf denen auch nicht Eine Hoffnung mehr wetterleuchtet! + +Mag da der Krämer herrschen, wo Alles, was noch glänzt - Krämer-Gold +ist! Es ist die Zeit der Könige nicht mehr: was sich heute Volk +heisst, verdient keine Könige. + +Seht doch, wie diese Völker jetzt selber den Krämern gleich thun: sie +lesen sich die kleinsten Vortheile noch aus jedem Kehricht! + +Sie lauern einander auf, sie lauern einander Etwas ab, - das heissen +sie "gute Nachbarschaft." Oh selige ferne Zeit, wo ein Volk sich +sagte: "ich will über Völker - _Herr_ sein!" + +Denn, meine Brüder: das Beste soll herrschen, das Beste will auch +herrschen! Und wo die Lehre anders lautet, da - _fehlt_ es am Besten. + + +22. + +Wenn _Die_ - Brod umsonst hätten, wehe! Wonach würden _Die_ schrein! +Ihr Unterhalt - das ist ihre rechte Unterhaltung; und sie sollen es +schwer haben! + +Raubthiere sind es.- in ihrem "Arbeiten" - da ist auch noch Rauben, in +ihrem "Verdienen" - da ist auch noch Überlisten! Darum sollen sie es +schwer haben! + +Bessere Raubthiere sollen sie also werden, feinere, klügere, +_menschen-ähnlichere_: der Mensch nämlich ist das beste Raubthier. + +Allen Thieren hat der Mensch schon ihre Tugenden abgeraubt: das macht, +von allen Thieren hat es der Mensch am schwersten gehabt. + +Nur noch die Vögel sind über ihm. Und wenn der Mensch noch fliegen +lernte, wehe! _wohinauf_ - würde seine Raublust fliegen! + + +23. + +So will ich Mann und Weib: kriegstüchtig den Einen, gebärtüchtig das +Andre, beide aber tanztüchtig mit Kopf und Beinen. + +Und verloren sei uns der Tag, wo nicht Ein Mal getanzt wurde! Und +falsch heisse uns jede Wahrheit, bei der es nicht Ein Gelächter gab! + + +24. + +Euer Eheschliessen: seht zu, dass es nicht ein schlechtes _Schliessen_ +sei! Ihr schlosset zu schnell: so _folgt_ daraus - Ehebrechen! + +Und besser noch Ehebrechen als Ehe-biegen, Ehelügen! - So sprach mir +ein Weib: "wohl brach ich die Ehe, aber zuerst brach die Ehe - mich!" + +Schlimm-Gepaarte fand ich immer als die schlimmsten Rachsüchtigen: sie +lassen es aller Welt entgelten, dass sie nicht mehr einzeln laufen. + +Desswillen will ich, dass Redliche zu einander reden: "wir lieben +uns: lasst uns _zusehn_, dass wir uns lieb behalten! Oder soll unser +Versprechen ein Versehen sein?" + +- "Gebt uns eine Frist und kleine Ehe, dass wir zusehn, ob wir zur +grossen Ehe taugen! Es ist ein grosses Ding, immer zu Zwein sein!" + +Also rathe ich allen Redlichen; und was wäre denn meine Liebe zum +Übermenschen und zu Allem, was kommen soll, wenn ich anders riethe und +redete! + +Nicht nur fort euch zu pflanzen, sondern _hinauf_ - dazu, oh meine +Brüder, helfe euch der Garten der Ehe! + + +25. + +Wer über alte Ursprünge weise wurde, siehe, der wird zuletzt nach +Quellen der Zukunft suchen und nach neuen Ursprüngen. - + +Oh meine Brüder, es ist nicht über lange, da werden _neue_Völker_ +entspringen und neue Quellen hinab in neue Tiefen rauschen. + +Das Erdbeben nämlich - das verschüttet viel Brunnen, das schafft viel +Verschmachten: das hebt auch innre Kräfte und Heimlichkeiten an's +Licht. + +Das Erdbeben macht neue Quellen offenbar. Im Erdbeben alter Völker +brechen neue Quellen aus. + +Und wer da ruft: "Siehe hier ein Brunnen für viele Durstige, Ein Herz +für viele Sehnsüchtige, Ein Wille für viele Werkzeuge": - um den +sammelt sich ein _Volk_, das ist: viel Versuchende. + +Wer befehlen kann, wer gehorchen muss - Das wird da versucht! Ach, +mit welch langem Suchen und Rathen und Missrathen und Lernen und +Neu-Versuchen! + +Die Menschen-Gesellschaft: die ist ein Versuch, so lehre ich's, - ein +langes Suchen: sie sucht aber den Befehlenden! - + +- ein Versuch, oh meine Brüder! Und _kein_ "Vertrag"! Zerbrecht, +zerbrecht mir solch Wort der Weich-Herzen und Halb- und Halben! + + +26. + +Oh meine Brüder! Bei Welchen liegt doch die grösste Gefahr aller +Menschen-Zukunft? Ist es nicht bei den Guten und Gerechten? - + +- als bei Denen, die sprechen und im Herzen fühlen: "wir wissen schon, +was gut ist und gerecht, wir haben es auch; wehe Denen, die hier noch +suchen!" - + +Und was für Schaden auch die Bösen thun mögen: der Schaden der Guten +ist der schädlichste Schaden! + +Und was für Schaden auch die Welt-Verleumder thun mögen: der Schaden +der Guten ist der schädlichste Schaden. + +Oh meine Brüder, den Guten und Gerechten sah Einer einmal in's Herz, +der da sprach: "es sind die Pharisäer." Aber man verstand ihn nicht. + +Die Guten und Gerechten selber durften ihn nicht verstehen: ihr Geist +ist eingefangen in ihr gutes Gewissen. Die Dummheit der Guten ist +unergründlich klug. + +Das aber ist die Wahrheit: die Guten _müssen_ Pharisäer sein, - sie +haben keine Wahl! + +Die Guten _müssen_ Den kreuzigen, der sich seine eigne Tugend +erfindet! Das _ist_ die Wahrheit! + +Der Zweite aber, der ihr Land entdeckte, Land, Herz und Erdreich +der Guten und Gerechten: das war, der da fragte: "wen hassen sie am +meisten?" + +Den _Schaffenden_ hassen sie am meisten: den, der Tafeln bricht und +alte Werthe, den Brecher - den heissen sie Verbrecher. + +Die Guten nämlich - die _können_ nicht schaffen: die sind immer der +Anfang vom Ende:- + +- sie kreuzigen Den, der neue Werthe auf neue Tafeln schreibt, sie +opfern _sich_ die Zukunft, - sie kreuzigen alle Menschen-Zukunft! + +Die Guten - die waren immer der Anfang vom Ende. - + + +27. + +Oh meine Brüder, verstandet ihr auch diess Wort? Und was ich einst +sagte vom "letzten Menschen"? - - + +Bei Welchen liegt die grösste Gefahr aller Menschen-Zukunft? Ist es +nicht bei den Guten und Gerechten? + +Zerbrecht, zerbrecht mir die Guten und Gerechten! - Oh meine Brüder, +verstandet ihr auch diess Wort? + + +28. + +Ihr flieht von mir? Ihr seid erschreckt? Ihr zittert vor diesem Worte? + +Oh meine Brüder, als ich euch die Guten zerbrechen hiess und die +Tafeln der Guten: da erst schiffte ich den Menschen ein auf seine hohe +See. + +Und nun erst kommt ihm der grosse Schrecken, das grosse Um-sich-sehn, +die grosse Krankheit, der grosse Ekel, die grosse See-Krankheit. + +Falsche Küsten und falsche Sicherheiten lehrten euch die Guten; in +Lügen der Guten wart ihr geboren und geborgen. Alles ist in den Grund +hinein verlogen und verbogen durch die Guten. + +Aber wer das Land "Mensch" entdeckte, entdeckte auch das Land +"Menschen-Zukunft". Nun sollt ihr mir Seefahrer sein, wackere, +geduldsame! + +Aufrecht geht mir bei Zeiten, oh meine Brüder, lernt aufrecht gehn! +Das Meer stürmt: Viele wollen an euch sich wieder aufrichten. + +Das Meer stürmt: Alles ist im Meere. Wohlan! Wohlauf! Ihr alten +Seemanns-Herzen! + +Was Vaterland! _Dorthin_ will unser Steuer, wo unser _Kinder-Land_ +ist! Dorthinaus, stürmischer als das Meer, stürmt unsre grosse +Sehnsucht! - + + +29. + +"Warum so hart! - sprach zum Diamanten einst die Küchen-Kohle; sind +wir denn nicht Nah-Verwandte?" - + +Warum so weich? Oh meine Brüder, also frage _ich_ euch: seid ihr denn +nicht - meine Brüder? + +Warum so weich, so weichend und nachgebend? Warum ist so viel +Leugnung, Verleugnung in eurem Herzen? So wenig Schicksal in eurem +Blicke? + +Und wollt ihr nicht Schicksale sein und Unerbittliche: wie könntet ihr +mit mir - siegen? + +Und wenn eure Härte nicht blitzen und scheiden und zerschneiden will: +wie könntet ihr einst mit mir - schaffen? + +Die Schaffenden nämlich sind hart. Und Seligkeit muss es euch dünken, +eure Hand auf Jahrtausende zu drücken wie auf Wachs, - + +- Seligkeit, auf dem Willen von Jahrtausenden zu schreiben wie auf +Erz, - härter als Erz, edler als Erz. Ganz hart ist allein das +Edelste. + +Diese neue Tafel, oh meine Brüder, stelle ich über euch: werdet +hart! - + + +30. + +Oh du mein Wille! Du Wende aller Noth du _meine_ Nothwendigkeit! +Bewahre mich vor allen kleinen Siegen! + +Du Schickung meiner Seele, die ich Schicksal heisse! Du-In-mir! +Über-mir! Bewahre und spare mich auf zu Einem grossen Schicksale! + +Und deine letzte Grösse, mein Wille, spare dir für dein Letztes auf, - +dass du unerbittlich bist _in_ deinem Siege! Ach, wer unterlag nicht +seinem Siege! + +Ach, wessen Auge dunkelte nicht in dieser trunkenen Dämmerung! Ach, +wessen Fuss taumelte nicht und verlernte im Siege - stehen! - + +- Dass ich einst bereit und reif sei im grossen Mittage: bereit und +reif gleich glühendem Erze, blitzschwangrer Wolke und schwellendem +Milch-Euter: - + +- bereit zu mir selber und zu meinem verborgensten Willen: ein Bogen +brünstig nach seinem Pfeile, ein Pfeil brünstig nach seinem Sterne: - + +- ein Stern bereit und reif in seinem Mittage, glühend, durchbohrt, +selig vor vernichtenden Sonnen-Pfeilen: - + +- eine Sonne selber und ein unerbittlicher Sonnen-Wille, zum +Vernichten bereit im Siegen! + +Oh Wille, Wende aller Noth, du _meine_ Nothwendigkeit! Spare mich auf +zu Einem grossen Siege! - - + +Also sprach Zarathustra. + + + +Der Genesende + +1. + +Eines Morgens, nicht lange nach seiner Rückkehr zur Höhle, sprang +Zarathustra von seinem Lager auf wie ein Toller, schrie mit +furchtbarer Stimme und gebärdete sich, als ob noch Einer auf dem Lager +läge, der nicht davon aufstehn wolle; und also tönte Zarathustra's +Stimme, dass seine Thiere erschreckt hinzukamen, und dass aus allen +Höhlen und Schlupfwinkeln, die Zarathustra's Höhle benachbart waren, +alles Gethier davon huschte, - fliegend, flatternd, kriechend, +springend, wie ihm nur die Art von Fuss und Flügel gegeben war. +Zarathustra aber redete diese Worte: + +Herauf, abgründlicher Gedanke, aus meiner Tiefe! Ich bin dein Hahn und +Morgen-Grauen, verschlafener Wurm: auf! auf! Meine Stimme soll dich +schon wach krähen! + +Knüpfe die Fessel deiner Ohren los: horche! Denn ich will dich hören! +Auf! Auf! Hier ist Donners genug, dass auch Gräber horchen lernen! + +Und wische den Schlaf und alles Blöde, Blinde aus deinen Augen! Höre +mich auch mit deinen Augen: meine Stimme ist ein Heilmittel noch für +Blindgeborne. + +Und bist du erst wach, sollst du mir ewig wach bleiben. Nicht ist das +_meine_ Art, Urgrossmütter aus dem Schlafe wecken, dass ich sie heisse +- weiterschlafen! + +Du regst dich, dehnst dich, röchelst? Auf! Auf! Nicht röcheln - reden +sollst du mir! Zarathustra ruft dich, der Gottlose! + +Ich, Zarathustra, der Fürsprecher des Lebens, der Fürsprecher +des Leidens, der Fürsprecher des Kreises - dich rufe ich, meinen +abgründlichsten Gedanken! + +Heil mir! Du kommst - ich höre dich! Mein Abgrund _redet_, meine +letzte Tiefe habe ich an's Licht gestülpt! + +Heil mir! Heran! Gieb die Hand - - ha! lass! Haha! - - Ekel, Ekel, +Ekel - - - wehe mir! + + +2. + +Kaum aber hatte Zarathustra diese Worte gesprochen, da stürzte er +nieder gleich einem Todten und blieb lange wie ein Todter. Als er aber +wieder zu sich kam, da war er bleich und zitterte und blieb liegen und +wollte lange nicht essen noch trinken. Solches Wesen dauerte an ihm +sieben Tage; seine Thiere verliessen ihn aber nicht bei Tag und Nacht, +es sei denn, dass der Adler ausflog, Speise zu holen. Und was er +holte und zusammenraubte, das legte er auf Zarathustra's Lager: also +dass Zarathustra endlich unter gelben und rothen Beeren, Trauben, +Rosenäpfeln, wohlriechendem Krautwerke und Pinien-Zapfen lag. Zu +seinen Füssen aber waren zwei Lämmer gebreitet, welche der Adler mit +Mühe ihren Hirten abgeraubt hatte. + +Endlich, nach sieben Tagen, richtete sich Zarathustra auf seinem Lager +auf, nahm einen Rosenapfel in die Hand, roch daran und fand seinen +Geruch lieblich. Da glaubten seine Thiere, die Zeit sei gekommen, mit +ihm zu reden. + +"Oh Zarathustra, sagten sie, nun liegst du schon sieben Tage so, mit +schweren Augen: willst du dich nicht endlich wieder auf deine Füsse +stellen? + +Tritt hinaus aus deiner Höhle: die Welt wartet dein wie ein Garten. +Der Wind spielt mit schweren Wohlgerüchen, die zu dir wollen; und alle +Bäche möchten dir nachlaufen. + +Alle Dinge sehnen sich nach dir, dieweil du sieben Tage allein +bliebst, - tritt hinaus aus deiner Höhle! Alle Dinge wollen deine +Ärzte sein! + +Kam wohl eine neue Erkenntniss zu dir, eine saure, schwere? Gleich +angesäuertem Teige lagst du, deine Seele gieng auf und schwoll über +alle ihre Ränder. -" + +- Oh meine Thiere, antwortete Zarathustra, schwätzt also weiter +und lasst mich zuhören! Es erquickt mich so, dass ihr schwätzt: wo +geschwätzt wird, da liegt mir schon die Welt wie ein Garten. + +Wie lieblich ist es, dass Worte und Töne da sind: sind nicht Worte und +Töne Regenbogen und Schein-Brücken zwischen Ewig-Geschiedenem? + +Zu jeder Seele gehört eine andre Welt; für jede Seele ist jede andre +Seele eine Hinterwelt. + +Zwischen dem Ähnlichsten gerade lügt der Schein am schönsten; denn die +kleinste Kluft ist am schwersten zu überbrücken. + +Für mich - wie gäbe es ein Ausser-mir? Es giebt kein Aussen! Aber +das vergessen wir bei allen Tönen; wie lieblich ist es, dass wir +vergessen! + +Sind nicht den Dingen Namen und Töne geschenkt, dass der Mensch sich +an den Dingen erquicke? Es ist eine schöne Narrethei, das Sprechen: +damit tanzt der Mensch über alle Dinge. + +Wie lieblich ist alles Reden und alle Lüge der Töne! Mit Tönen tanzt +unsre Liebe auf bunten Regenbögen. - + +- "Oh Zarathustra, sagten darauf die Thiere, Solchen, die denken wie +wir, tanzen alle Dinge selber: das kommt und reicht sich die Hand und +lacht und flieht - und kommt zurück. + +Alles geht, Alles kommt zurück; ewig rollt das Rad des Seins. Alles +stirbt, Alles blüht wieder auf, ewig läuft das Jahr des Seins. + +Alles bricht, Alles wird neu gefügt; ewig baut sich das gleiche Haus +des Seins. Alles scheidet, Alles grüsst sich wieder; ewig bleibt sich +treu der Ring des Seins. + +In jedem Nu beginnt das Sein; um jedes Hier rollt sich die Kugel Dort. +Die Mitte ist überall. Krumm ist der Pfad der Ewigkeit." - + +- Oh ihr Schalks-Narren und Drehorgeln! antwortete Zarathustra und +lächelte wieder, wie gut wisst ihr, was sich in sieben Tagen erfüllen +musste: - + +- und wie jenes Unthier mir in den Schlund kroch und mich würgte! Aber +ich biss ihm den Kopf ab und spie ihn weg von mir. + +Und ihr, - ihr machtet schon ein Leier-Lied daraus? Nun aber liege +ich da, müde noch von diesem Beissen und Wegspein, krank noch von der +eigenen Erlösung. + +Und ihr schautet dem Allen zu? Oh meine Thiere, seid auch ihr grausam? +Habt ihr meinem grossen Schmerze zuschaun wollen, wie Menschen thun? +Der Mensch nämlich ist das grausamste Thier. + +Bei Trauerspielen, Stierkämpfen und Kreuzigungen ist es ihm bisher am +wohlsten geworden auf Erden; und als er sich die Hölle erfand, siehe, +da war das sein Himmel auf Erden. + +Wenn der grosse Mensch schreit -: flugs läuft der kleine hinzu; und +die Zunge hängt ihm aus dem Halse vor Lüsternheit. Er aber heisst es +sein "Mitleiden." + +Der kleine Mensch, sonderlich der Dichter - wie eifrig klagt er das +Leben in Worten an! Hört hin, aber überhört mir die Lust nicht, die in +allem Anklagen ist! + +Solche Ankläger des Lebens: die überwindet das Leben mit einem +Augenblinzeln. "Du liebst mich? sagt die Freche; warte noch ein Wenig, +noch habe ich für dich nicht Zeit." + +Der Mensch ist gegen sich selber das grausamste Thier; und bei Allem, +was sich "Sünder" und "Kreuzträger" und "Büsser" heisst, überhört mir +die Wollust nicht, die in diesem Klagen und Anklagen ist! + +Und ich selber - will ich damit des Menschen Ankläger sein? Ach, meine +Thiere, Das allein lernte ich bisher, dass dem Menschen sein Bösestes +nöthig ist zu seinem Besten, - + +- dass alles Böseste seine beste _Kraft_ ist und der härteste Stein +dem höchsten Schaffenden; und dass der Mensch besser _und_ böser +werden muss: - + +Nicht an _diess_ Marterholz war ich geheftet, dass ich weiss: der +Mensch ist böse, - sondern ich schrie, wie noch Niemand geschrien hat: + +"Ach dass sein Bösestes so gar klein ist! Ach dass sein Bestes so gar +klein ist!" + +Der grosse Überdruss am Menschen - _der_ würgte mich und war mir in +den Schlund gekrochen: und was der Wahrsager wahrsagte: "Alles ist +gleich, es lohnt sich Nichts, Wissen würgt." + +Eine lange Dämmerung hinkte vor mir her, eine todesmüde, todestrunkene +Traurigkeit, welche mit gähnendem Munde redete. + +"Ewig kehrt er wieder, der Mensch, dess du müde bist, der kleine +Mensch" - so gähnte meine Traurigkeit und schleppte den Fuss und +konnte nicht einschlafen. + +Zur Höhle wandelte sich mir die Menschen-Erde, ihre Brust sank hinein, +alles Lebendige ward mir Menschen-Moder und Knochen und morsche +Vergangenheit. + +Mein Seufzen sass auf allen Menschen-Gräbern und konnte nicht mehr +aufstehn; mein Seufzen und Fragen unkte und würgte und nagte und +klagte bei Tag und Nacht: + +- "ach, der Mensch kehrt ewig wieder! Der kleine Mensch kehrt ewig +wieder!" - + +Nackt hatte ich einst Beide gesehn, den grössten Menschen und den +kleinsten Menschen: allzuähnlich einander, - allzumenschlich auch den +Grössten noch! + +Allzuklein der Grösste! - Das war mein Überdruss am Menschen! Und +ewige Wiederkunft auch des Kleinsten! - Das war mein Überdruss an +allem Dasein! + +Ach, Ekel! Ekel! Ekel! - - Also sprach Zarathustra und seufzte und +schauderte; denn er erinnerte sich seiner Krankheit. Da liessen ihn +aber seine Thiere nicht weiter reden. + +"Sprich nicht weiter, du Genesender! - so antworteten ihm seine +Thiere, sondern geh hinaus, wo die Welt auf dich wartet gleich einem +Garten. + +Geh hinaus zu den Rosen und Bienen und Taubenschwärmen! Sonderlich +aber zu den Singe-Vögeln: dass du ihnen das _Singen_ ablernst! + +Singen nämlich ist für Genesende; der Gesunde mag reden. Und wenn auch +der Gesunde Lieder will, will er andre Lieder doch als der Genesende." + +- "Oh ihr Schalks-Narren und Drehorgeln, so schweigt doch! - +antwortete Zarathustra und lächelte über seine Thiere. Wie gut ihr +wisst, welchen Trost ich mir selber in sieben Tagen erfand! + +Dass ich wieder singen müsse, - _den_ Trost erfand ich mir und _diese_ +Genesung: wollt ihr auch daraus gleich wieder ein Leier-Lied machen?" + +- "Sprich nicht weiter, antworteten ihm abermals seine Thiere; lieber +noch, du Genesender, mache dir erst eine Leier zurecht, eine neue +Leier! + +Denn siehe doch, oh Zarathustra! Zu deinen neuen Liedern bedarf es +neuer Leiern. + +Singe und brause über, oh Zarathustra, heile mit neuen Liedern deine +Seele: dass du dein grosses Schicksal tragest, das noch keines +Menschen Schicksal war! + +Denn deine Thiere wissen es wohl, oh Zarathustra, wer du bist und +werden musst: siehe, du bist der Lehrer der ewigen Wiederkunft -, das +ist nun _dein_ Schicksal! + +Dass du als der Erste diese Lehre lehren musst, - wie sollte diess +grosse Schicksal nicht auch deine grösste Gefahr und Krankheit sein! + +Siehe, wir wissen, was du lehrst: dass alle Dinge ewig wiederkehren +und wir selber mit, und dass wir schon ewige Male dagewesen sind, und +alle Dinge mit uns. + +Du lehrst, dass es ein grosses Jahr des Werdens giebt, ein Ungeheuer +von grossem Jahre: das muss sich, einer Sanduhr gleich, immer wieder +von Neuem umdrehn, damit es von Neuem ablaufe und auslaufe: - + +- so dass alle diese Jahre sich selber gleich sind, im Grössten und +auch im Kleinsten, - so dass wir selber in jedem grossen Jahre uns +selber gleich sind, im Grössten und auch im Kleinsten. + +Und wenn du jetzt sterben wolltest, oh Zarathustra: siehe, wir wissen +auch, wie du da zu dir sprechen würdest: - aber deine Thiere bitten +dich, dass du noch nicht sterbest! + +Du würdest sprechen und ohne Zittern, vielmehr aufathmend vor +Seligkeit: denn eine grosse Schwere und Schwüle wäre von dir genommen, +du Geduldigster! - + +`Nun sterbe und schwinde ich, würdest du sprechen, und im Nu bin ich +ein Nichts. Die Seelen sind so sterblich wie die Leiber. + +Aber der Knoten von Ursachen kehrt wieder, in den ich verschlungen +bin, - der wird mich wieder schaffen! Ich selber gehöre zu den +Ursachen der ewigen Wiederkunft. + +Ich komme wieder, mit dieser Sonne, mit dieser Erde, mit diesem Adler, +mit dieser Schlange - _nicht_ zu einem neuen Leben oder besseren Leben +oder ähnlichen Leben: + +- ich komme ewig wieder zu diesem gleichen und selbigen Leben, im +Grössten und auch im Kleinsten, dass ich wieder aller Dinge ewige +Wiederkunft lehre, - + +- dass ich wieder das Wort spreche vom grossen Erden- und +Menschen-Mittage, dass -ich wieder den Menschen den Übermenschen +künde. + +Ich sprach mein Wort, ich zerbreche an meinem Wort: so will es mein +ewiges Loos -, als Verkündiger gehe ich zu Grunde! + +Die Stunde kam nun, dass der Untergehende sich selber segnet. Also +_endet_ Zarathustra's Untergang.`" - - + +Als die Thiere diese Worte gesprochen hatten, schwiegen sie und +warteten, dass Zarathustra Etwas zu ihnen sagen werde: aber +Zarathustra hörte nicht, dass sie schwiegen. Vielmehr lag er still, +mit geschlossenen Augen, einem Schlafenden ähnlich, ob er schon nicht +schlief: denn er unterredete sich eben mit seiner Seele. Die Schlange +aber und der Adler, als sie ihn solchermaassen schweigsam fanden, +ehrten die grosse Stille um ihn und machten sich behutsam davon. + + + +Von der grossen Sehnsucht + +Oh meine Seele, ich lehrte dich "Heute" sagen wie "Einst" und +"Ehemals" und über alles Hier und Da und Dort deinen Reigen hinweg +tanzen. + +Oh meine Seele, ich erlöste dich von allen Winkeln, ich kehrte Staub, +Spinnen und Zwielicht von dir ab. + +Oh meine Seele, ich wusch die kleine Scham und die Winkel-Tugend von +dir ab und überredete dich, nackt vor den Augen der Sonne zu stehn. + +Mit dem Sturme, welcher "Geist" heisst, blies ich über deine wogende +See; alle Wolken blies ich davon, ich erwürgte selbst die Würgerin, +die "Sünde" heisst. + +Oh meine Seele, ich gab dir das Recht, Nein zu sagen wie der Sturm und +Ja zu sagen wie offner Himmel Ja sagt: still wie Licht stehst du und +gehst du nun durch verneinende Stürme. + +Oh meine Seele, ich gab dir die Freiheit zurück über Erschaffnes und +Unerschaffnes: und wer kennt, wie du sie kennst, die Wollust des +Zukünftigen? + +Oh meine Seele, ich lehrte dich das Verachten, das nicht wie ein +Wurmfrass kommt, das grosse, das liebende Verachten, welches am +meisten liebt, wo es am meisten verachtet. + +Oh meine Seele, ich lehrte dich so überreden, dass du zu dir die +Gründe selber überredest: der Sonne gleich, die das Meer noch zu +seiner Höhe überredet. + +Oh meine Seele, ich nahm von dir alles Gehorchen Kniebeugen und +Herr-Sagen; ich gab dir selber den Namen "Wende der Noth" und +"Schicksal". + +Oh meine Seele, ich gab dir neue Namen und bunte Spielwerke, ich hiess +dich "Schicksal" und "Umfang der Umfänge" und "Nabelschnur der Zeit" +und "azurne Glocke". + +Oh meine Seele, deinem Erdreich gab ich alle Weisheit zu trinken, +alle neuen Weine und auch alle unvordenklich alten starken Weine der +Weisheit. + +Oh meine Seele, jede Sonne goss ich auf dich und jede Nacht und +jedes Schweigen und jede Sehnsucht: - da wuchsest du mir auf wie ein +Weinstock. + +Oh meine Seele, überreich und schwer stehst du nun da, ein Weinstock +mit schwellenden Eutern und gedrängten braunen Gold-Weintrauben: - + +- gedrängt und gedrückt von deinem Glücke, wartend vor Überflusse und +schamhaft noch ob deines Wartens. + +Oh meine Seele, es giebt nun nirgends eine Seele, die liebender wäre +und umfangender und umfänglicher! Wo wäre Zukunft und Vergangnes näher +beisammen als bei dir? + +Oh meine Seele, ich gab dir Alles, und alle meine Hände sind an +dich leer geworden: - und nun! Nun sagst du mir lächelnd und voll +Schwermuth: "Wer von uns hat zu danken? - + +- hat der Geber nicht zu danken, dass der Nehmende nahm? Ist Schenken +nicht eine Nothdurft? Ist Nehmen nicht - Erbarmen?" - + +Oh meine Seele, ich verstehe das Lächeln deiner Schwermuth: dein +Über-Reichthum selber streckt nun sehnende Hände aus! + +Deine Fülle blickt über brausende Meere hin und sucht und wartet; die +Sehnsucht der Über-Fülle blickt aus deinem lächelnden Augen-Himmel! + +Und wahrlich, oh meine Seele! Wer sähe dein Lächeln und schmelze nicht +vor Thränen? Die Engel selber schmelzen vor Thränen ob der Über-Güte +deines Lächelns. + +Deine Güte und Über-Güte ist es, die nicht klagen und weinen will: und +doch sehnt sich, oh meine Seele, dein Lächeln nach Thränen und dein +zitternder Mund nach Schluchzen. + +"Ist alles Weinen nicht ein Klagen? Und alles Klagen nicht ein +Anklagen?" Also redest du zu dir selber, und darum willst du, oh meine +Seele, lieber lächeln, als dein Leid ausschütten. + +- in stürzende Thränen ausschütten all dein Leid über deine Fülle und +über all die Drängniss des Weinstocks nach Winzer und Winzermesser! + +Aber willst du nicht weinen, nicht ausweinen deine purpurne +Schwermuth, so wirst du _singen_ müssen, oh meine Seele! - Siehe, ich +lächle selber, der ich dir solches vorhersage: + +- singen, mit brausendem Gesange, bis alle Meere still werden, dass +sie deiner Sehnsucht zuhorchen, - + +- bis über stille sehnsüchtige Meere der Nachen schwebt, das güldene +Wunder, um dessen Gold alle guten schlimmen wunderlichen Dinge +hüpfen: - + +- auch vieles grosse und kleine Gethier und Alles, was leichte +wunderliche Füsse hat, dass es auf veilchenblauen Pfaden laufen +kann, - + +- hin zu dem güldenen Wunder, dem freiwilligen Nachen und zu seinem +Herrn: das aber ist der Winzer, der mit diamantenem Winzermesser +wartet, - + +- dein grosser Löser, oh meine Seele, der Namenlose - - dem zukünftige +Gesänge erst Namen finden! Und wahrlich, schon duftet dein Athem nach +zukünftigen Gesängen, - + +- schon glühst du und träumst, schon trinkst du durstig an allen +tiefen klingenden Trost-Brunnen, schon ruht deine Schwermuth in der +Seligkeit zukünftiger Gesänge! - - + +Oh meine Seele, nun gab ich dir Alles und auch mein +Letztes, und alle meine Hände sind an dich leer geworden: - +_dass_ich_dich_singen_hiess_, siehe, das war mein Letztes! + +Dass ich dich singen hiess, sprich nun, sprich: _wer_ von uns hat +jetzt - zu danken? - Besser aber noch: singe mir, singe, oh meine +Seele! Und mich lass danken! - + +Also sprach Zarathustra. + + + +Das andere Tanzlied + +1. + +"In dein Auge schaute ich jüngst, oh Leben: Gold sah ich in deinem +Nacht-Auge blinken, - mein Herz stand still vor dieser Wollust: + +- einen goldenen Kahn sah ich blinken auf mächtigen Gewässern, einen +sinkenden, trinkenden, wieder winkenden goldenen Schaukel-Kahn! + +Nach meinem Fusse, dem tanzwüthigen, warfst du einen Blick, einen +lachenden fragenden schmelzenden Schaukel-Blick: + +Zwei Mal nur regtest du deine Klapper mit kleinen Händen - da +schaukelte schon mein Fuss vor Tanz-Wuth. - + +Meine Fersen bäumten sich, meine Zehen horchten, dich zu verstehen: +trägt doch der Tänzer sein Ohr - in seinen Zehen! + +Zu dir hin sprang ich: da flohst du zurück vor meinem Sprunge; und +gegen mich züngelte deines fliehenden fliegenden Haars Zunge! + +Von dir weg sprang ich und von deinen Schlangen: da standst du schon, +halbgewandt, das Auge voll Verlangen. + +Mit krummen Blicken - lehrst du mich krumme Bahnen; auf krummen Bahnen +lernt mein Fuss - Tücken! + +Ich fürchte dich Nahe, ich liebe dich Ferne; deine Flucht lockt mich, +dein Suchen stockt mich: - ich leide, aber was litt ich um dich nicht +gerne! + +Deren Kälte zündet, deren Hass verführt, deren Flucht bindet, deren +Spott - rührt: + +- wer hasste dich nicht, dich grosse Binderin, Umwinderin, +Versucherin, Sucherin, Finderin! Wer liebte dich nicht, dich +unschuldige, ungeduldige, windseilige, kindsäugige Sünderin! + +Wohin ziehst du mich jetzt, du Ausbund und Unband? Und jetzt fliehst +du mich wieder, du süsser Wildfang und Undank! + +Ich tanze dir nach, ich folge dir auch auf geringer Spur. Wo bist du? +Gieb mir die Hand! Oder einen Finger nur! + +Hier sind Höhlen und Dickichte: wir werden uns verirren! - Halt! Steh +still! Siehst du nicht Eulen und Fledermäuse schwirren? + +Du Eule! Du Fledermaus! Du willst mich äffen? Wo sind wir? Von den +Hunden lerntest du diess Heulen und Kläffen. + +Du fletschest mich lieblich an mit weissen Zähnlein, deine bösen Augen +springen gegen mich aus lockichtem Mähnlein! + +Das ist ein Tanz über Stock und Stein: ich bin der Jäger, - willst du +mein Hund oder meine Gemse sein? + +Jetzt neben mir! Und geschwind, du boshafte Springerin! Jetzt hinauf! +Und hinüber! - Wehe! Da fiel ich selber im Springen hin! + +Oh sieh mich liegen, du Übermuth, und um Gnade flehn! Gerne möchte ich +mit dir - lieblichere Pfade gehn! + +- der Liebe Pfade durch stille bunte Büsche! Oder dort den See +entlang: da schwimmen und tanzen Goldfische! + +Du bist jetzt müde? Da drüben sind Schafe und Abendröthen: ist es +nicht schön, zu schlafen, wenn Schäfer flöten? + +Du bist so arg müde? Ich trage dich hin, lass nur die Arme sinken! Und +hast du Durst, - ich hätte wohl Etwas, aber dein Mund will es nicht +trinken! - + +- Oh diese verfluchte flinke gelenke Schlange und Schlupf-Hexe! Wo +bist du hin? Aber im Gesicht fühle ich von deiner Hand zwei Tupfen und +rothe Klexe! + +Ich bin es wahrlich müde, immer dein schafichter Schäfer zu sein! Du +Hexe, habe ich dir bisher gesungen, nun sollst _du_ mir - schrein! + +Nach dem Takt meiner Peitsche sollst du mir tanzen und schrein! Ich +vergass doch die Peitsche nicht? - Nein!" - + + +2. + +Da antwortete mir das Leben also und hielt sich dabei die zierlichen +Ohren zu: + +"Oh Zarathustra! Klatsche doch nicht so fürchterlich mit deiner +Peitsche! Du weisst es ja: Lärm mordet Gedanken, - und eben kommen mir +so zärtliche Gedanken. + +Wir sind Beide zwei rechte Thunichtgute und Thunichtböse. Jenseits von +Gut und Böse fanden wir unser Eiland und unsre grüne Wiese - wir Zwei +allein! Darum müssen wir schon einander gut sein! + +Und lieben wir uns auch nicht von Grund aus -, muss man sich denn gram +sein, wenn man sich nicht von Grund aus liebt? + +Und dass ich dir gut bin und oft zu gut, Das weisst du: und der Grund +ist, dass ich auf deine Weisheit eifersüchtig bin. Ah, diese tolle +alte Närrin von Weisheit! + +Wenn dir deine Weisheit einmal davonliefe, ach! da liefe dir schnell +auch meine Liebe noch davon." - + +Darauf blickte das Leben nachdenklich hinter sich und um sich und +sagte leise: "Oh Zarathustra, du bist mir nicht treu genug! + +Du liebst mich lange nicht so sehr wie du redest; ich weiss, du denkst +daran, dass du mich bald verlassen willst. + +Es giebt eine alte schwere schwere Brumm-Glocke: die brummt Nachts bis +zu deiner Höhle hinauf: - + +- hörst du diese Glocke Mitternachts die Stunde schlagen, so denkst du +zwischen Eins und Zwölf daran - + +- du denkst daran, oh Zarathustra, ich weiss es, dass du mich bald +verlassen willst!" - + +"Ja, antwortete ich zögernd, aber du weisst es auch -" Und ich sagte +ihr Etwas in's Ohr, mitten hinein zwischen ihre verwirrten gelben +thörichten Haar-Zotteln. + +Du _weisst_ Das, oh Zarathustra? Das weiss Niemand. - - + +Und wir sahen uns an und blickten auf die grüne Wiese, über welche +eben der kühle Abend lief, und weinten mit einander. - Damals aber war +mir das Leben lieber, als je alle meine Weisheit. - + +Also sprach Zarathustra. + + +3. + + Eins! + Oh Mensch! Gieb Acht! + Zwei! + Was spricht die tiefe Mitternacht? + Drei! + "Ich schlief, ich schlief -," + Vier! + "Auf tiefen Traum bin ich erwacht:-" + Fünf! + "Die Welt ist tief," + Sechs! + "Und tiefer als der Tag gedacht." + Sieben! + "Tief ist ihr Weh -," + Acht! + "Lust - tiefer noch als Herzeleid:" + Neun! + "Weh spricht: Vergeh!" + Zehn! + "Doch alle Lust will Ewigkeit -," + Elf! + "- will tiefe, tiefe Ewigkeit!" + Zwölf! + + + +Die sieben Siegel + +(Oder: das Ja- und Amen-Lied) + +1. + +Wenn ich ein Wahrsager bin und voll jenes wahrsagerischen Geistes, der +auf hohem Joche zwischen zwei Meeren wandelt, - + +zwischen Vergangenem und Zukünftigem als schwere Wolke wandelt, - +schwülen Niederungen feind und Allem, was müde ist und nicht sterben, +noch leben kann.- + +zum Blitze bereit im dunklen Busen und zum erlösenden Lichtstrahle, +schwanger von Blitzen, die Ja! sagen, Ja! lachen, zu wahrsagerischen +Blitzstrahlen: - + +- selig aber ist der also Schwangere! Und wahrlich, lange muss als +schweres Wetter am Berge hängen, wer einst das Licht der Zukunft +zünden soll! - + +Oh wie sollte ich nicht nach der Ewigkeit brünstig sein und nach dem +hochzeitlichen Ring der Ringe, - dem Ring de Wiederkunft! + +Nie noch fand ich das Weib, von dem ich Kinder mochte, sei denn dieses +Weib, das ich lieb: denn ich liebe dich, oh Ewigkeit! + +Denn ich liebe dich, oh Ewigkeit! + + +2. + +Wenn mein Zorn je Gräber brach, Grenzsteine rückte und alte Tafeln +zerbrochen in steile Tiefen rollte: + +Wenn mein Hohn je vermoderte Worte zerblies, und ich wie ein Besen kam +den Kreuzspinnen und als Fegewind alten verdumpften Grabkammern: + +Wenn ich je frohlockend sass, wo alte Götter begraben liegen, +weltsegnend, weltliebend neben den Denkmalen alter Welt-Verleumder: - + +- denn selbst Kirchen und Gottes-Gräber liebe ich, wenn der Himmel +erst reinen Auges durch ihre zerbrochenen Decken blickt; gern sitze +ich gleich Gras und rothem Mohne auf zerbrochnen Kirchen - + +Oh wie sollte ich nicht nach der Ewigkeit brünstig sein und nach dem +hochzeitlichen Ring der Ringe, - dem Ring de Wiederkunft! + +Nie noch fand ich das Weib, von dem ich Kinder mochte, sei denn dieses +Weib, das ich lieb: denn ich liebe dich, oh Ewigkeit! + +Denn ich liebe dich, oh Ewigkeit! + + +3. + +Wenn je ein Hauch zu mir kam vom schöpferischen Hauche und von jener +himmlischen Noth, die noch Zufälle zwingt, Sternen-Reigen zu tanzen: + +Wenn ich je mit dem Lachen des schöpferischen Blitzes lachte, dem der +lange Donner der That grollend, aber gehorsam nachfolgt: + +Wenn ich je am Göttertisch der Erde mit Göttern Würfel spielte, dass +die Erde bebte und brach und Feuerflüsse heraufschnob: - + +- denn ein Göttertisch ist die Erde, und zitternd von schöpferischen +neuen Worten und Götter-Würfen: - + +Oh wie sollte ich nicht nach der Ewigkeit brünstig sein und nach dem +hochzeitlichen Ring der Ringe, - dem Ring de Wiederkunft! + +Nie noch fand ich das Weib, von dem ich Kinder mochte, sei denn dieses +Weib, das ich lieb: denn ich liebe dich, oh Ewigkeit! + +Denn ich liebe dich, oh Ewigkeit! + + +4. + +Wenn ich je vollen Zuges trank aus jenem schäumenden Würz- und +Mischkruge, in dem alle Dinge gut gemischt sind: + +Wenn meine Hand je Fernstes zum Nächsten goss und Feuer zu Geist und +Lust zu Leid und Schlimmstes zum Gütigsten: + +Wenn ich selber ein Korn bin von jenem erlösenden Salze, welches +macht, dass alle Dinge im Mischkruge gut sich mischen: - + +- denn es giebt ein Salz, das Gutes mit Bösem bindet; und auch das +Böseste ist zum Würzen würdig und zum letzten Überschäumen: - + +Oh wie sollte ich nicht nach der Ewigkeit brünstig sein und nach dem +hochzeitlichen Ring der Ringe, - dem Ring de Wiederkunft! + +Nie noch fand ich das Weib, von dem ich Kinder mochte, sei denn dieses +Weib, das ich lieb: denn ich liebe dich, oh Ewigkeit! + +Denn ich liebe dich, oh Ewigkeit! + + +5. + +Wenn ich dem Meere hold bin und Allem, was Meeres-Art ist, und am +holdesten noch, wenn es mir zornig widerspricht: + +Wenn jene suchende Lust in mir ist, die nach Unentdecktem die Segel +treibt, wenn eine Seefahrer-Lust in meiner Lust ist: + +Wenn je mein Frohlocken rief: "die Küste schwand, - nun fiel mir die +letzte Kette ab - + +- das Grenzenlose braust um mich, weit hinaus glänzt mir Raum und +Zeit, wohlan! wohlauf! altes Herz!" - + +Oh wie sollte ich nicht nach der Ewigkeit brünstig sein und nach dem +hochzeitlichen Ring der Ringe, - dem Ring de Wiederkunft! + +Nie noch fand ich das Weib, von dem ich Kinder mochte, sei denn dieses +Weib, das ich lieb: denn ich liebe dich, oh Ewigkeit! + +Denn ich liebe dich, oh Ewigkeit! + + +6. + +Wenn meine Tugend eines Tänzers Tugend ist, und ich oft mit beiden +Füssen in gold-smaragdenes Entzücken sprang: + +Wenn meine Bosheit eine lachende Bosheit ist, heimisch unter +Rosenhängen und Lilien-Hecken: + +- im Lachen nämlich ist alles Böse bei einander, aber heilig- und +losgesprochen durch seine eigne Seligkeit: - + +Und wenn Das mein A und O ist, dass alles Schwere leicht, aller Leib +Tänzer, aller Geist Vogel werde: und wahrlich, Das ist mein A und O! - + +Oh wie sollte ich nicht nach der Ewigkeit brünstig sein und nach dem +hochzeitlichen Ring der Ringe, - dem Ring de Wiederkunft! + +Nie noch fand ich das Weib, von dem ich Kinder mochte, sei denn dieses +Weib, das ich lieb: denn ich liebe dich, oh Ewigkeit! + +Denn ich liebe dich, oh Ewigkeit! + + +7. + +Wenn ich je stille Himmel über mir ausspannte und mit eignen Flügeln +in eigne Himmel flog: + +Wenn ich spielend in tiefen Licht-Fernen schwamm, und meiner Freiheit +Vogel-Weisheit kam: - + +- so aber spricht Vogel-Weisheit: "Siehe, es giebt kein Oben, kein +Unten! Wirf dich umher, hinaus, zurück, du Leichter! Singe! sprich +nicht mehr! + +- sind alle Worte nicht für die Schweren gemacht? Lügen dem Leichten +nicht alle Worte! Singe! sprich nicht mehr!" - + +Oh wie sollte ich nicht nach der Ewigkeit brünstig sein und nach dem +hochzeitlichen Ring der Ringe, - dem Ring de Wiederkunft! + +Nie noch fand ich das Weib, von dem ich Kinder mochte, sei denn dieses +Weib, das ich lieb: denn ich liebe dich, oh Ewigkeit! + +Denn ich liebe dich, oh Ewigkeit! + + + + +Vierter und letzter Theil + +Ach, wo in der Welt geschahen grössere Thorheiten, als bei den +Mitleidigen? Und was in der Weit stiftete mehr Leid, als die +Thorheiten der Mitleidigen? + +Wehe allen Liebenden, die nicht noch eine Höhe haben, welche über +ihrem Mitleiden ist! + +Also sprach der Teufel einst zu mir: "auch Gott hat seine Hölle: das +ist seine Liebe zu den Menschen." + +Und jüngst hörte ich ihn diess Wort sagen: "Gott ist todt; an seinem +Mitleiden mit den Menschen ist Gott gestorben." + +Zarathustra, Von den Mitleidigen + + + +Das Honig-Opfer + +- Und wieder liefen Monde und Jahre über Zarathustra's Seele, und er +achtete dessen nicht; sein Haar aber wurde weiss. Eines Tages, als +er auf einem Steine vor seiner Höhle sass und still hinausschaute, - +man schaut aber dort auf das Meer hinaus, und hinweg über gewundene +Abgründe - da giengen seine Thiere nachdenklich um ihn herum und +stellten sich endlich vor ihn hin. + +"Oh Zarathustra, sagten sie, schaust du wohl aus nach deinem Glücke?" +- "Was liegt am Glücke! antwortete er, ich trachte lange nicht mehr +nach Glücke, ich trachte nach meinem Werke." - "Oh Zarathustra, +redeten die Thiere abermals, Das sagst du als Einer, der des Guten +übergenug hat. Liegst du nicht in einem himmelblauen See von Glück?" +- "Ihr Schalks-Narren, antwortete Zarathustra und lächelte, wie gut +wähltet ihr das Gleichniss! Aber ihr wisst auch, dass mein Glück +schwer ist und nicht wie eine flüssige Wasserwelle: es drängt mich und +will nicht von mir und thut gleich geschmolzenem Peche." - + +Da giengen die Thiere wieder nachdenklich um ihn herum und stellten +sich dann abermals vor ihn hin. "Oh Zarathustra, sagten sie, _daher_ +also kommt es, dass du selber immer gelber und dunkler wirst, obschon +dein Haar weiss und flächsern aussehen will? Siehe doch, du sitzest in +deinem Peche!" - "Was sagt ihr da, meine Thiere, sagte Zarathustra und +lachte dazu, wahrlich, ich lästerte als ich von Peche sprach. Wie mir +geschieht, so geht es allen Früchten, die reif werden. Es ist der +_Honig_ in meinen Adern, der mein Blut dicker und auch meine Seele +stiller macht." - "So wird es sein, oh Zarathustra, antworteten die +Thiere und drängten sich an ihn; willst du aber nicht heute auf einen +hohen Berg steigen? Die Luft ist rein, und man sieht heute mehr von +der Welt als jemals." - "Ja, meine Thiere, antwortete er, ihr rathet +trefflich und mir nach dem Herzen: ich will heute auf einen hohen +Berg steigen! Aber sorgt, dass dort Honig mir zur Hand sei, gelber, +weisser, guter, eisfrischer Waben-Goldhonig. Denn wisset, ich will +droben das Honig-Opfer bringen." - + +Als Zarathustra aber oben auf der Höhe war, sandte er die Thiere heim, +die ihn geleitet hatten, und fand, dass er nunmehr allein sei: - da +lachte er aus ganzem Herzen, sah sich um und sprach also: + +Dass ich von Opfern sprach und Honig-Opfern, eine List war's nur +meiner Rede und, wahrlich, eine nützliche Thorheit! Hier oben +darf ich schon freier reden, als vor Einsiedler-Höhlen und +Einsiedler-Hausthieren. + +Was opfern! Ich verschwende, was mir geschenkt wird, ich Verschwender +mit tausend Händen: wie dürfte ich Das noch - Opfern heissen! + +Und als ich nach Honig begehrte, begehrte ich nur nach Köder und +süssem Seime und Schleime, nach dem auch Brummbären und wunderliche +mürrische böse Vögel die Zunge lecken: + +- nach dem besten Köder, wie er Jägern und Fischfängern noththut. Denn +wenn die Welt wie ein dunkler Thierwald ist und aller wilden Jäger +Lustgarten, so dünkt sie mich noch mehr und lieber ein abgründliches +reiches Meer, + +- ein Meer voll bunter Fische und Krebse, nach dem es auch Götter +gelüsten möchte, dass sie an ihm zu Fischern würden und zu +Netz-Auswerfern: so reich ist die Welt an Wunderlichem, grossem und +kleinem! + +Sonderlich die Menschen-Welt, das Menschen-Meer: - nach _dem_ werfe +ich nun meine goldene Angelruthe aus und spreche: thue dich auf, du +Menschen-Abgrund! + +Thue dich auf und wirf mir deine Fische und Glitzer-Krebse zu! +Mit meinem besten Köder ködere ich mir heute die wunderlichsten +Menschen-Fische! + +- mein Glück selber werfe ich hinaus in alle Weiten und Fernen, +zwischen Aufgang, Mittag und Niedergang, ob nicht an meinem Glücke +viele Menschen-Fische zerrn und zappeln lernen. + +Bis sie, anbeissend an meine spitzen verborgenen Haken, hinauf müssen +in _meine_ Höhe, die buntesten Abgrund-Gründlinge zu dem boshaftigsten +aller Menschen- Fischfänger. + +_Der_ nämlich bin ich von Grund und Anbeginn, ziehend, heranziehend, +hinaufziehend, aufziehend, ein Zieher, Züchter und Zuchtmeister, der +sich nicht umsonst einstmals zusprach: "Werde, der du bist!" + +Also mögen nunmehr die Menschen zu mir _hinauf_ kommen: denn noch +warte ich der Zeichen, dass es Zeit sei zu meinem Niedergange, noch +gehe ich selber nicht unter, wie ich muss, unter Menschen. + +Dazu warte ich hier, listig und spöttisch auf hohen Bergen, kein +Ungeduldiger, kein Geduldiger, vielmehr Einer, der auch die Geduld +verlernt hat, - weil er nicht mehr "duldet." + +Mein Schicksal nämlich lässt mir Zeit: es vergass mich wohl? Oder +sitzt es hinter einem grossen Steine im Schatten und fängt Fliegen? + +Und wahrlich, ich bin ihm gut darob, meinem ewigen Schicksale, dass +es mich nicht hetzt und drängt und mir Zeit zu Possen lässt und +Bosheiten: also dass ich heute zu einem Fischfange auf diesen hohen +Berg stieg. + +Fieng wohl je ein Mensch auf hohen Bergen Fische? Und wenn es auch +eine Thorheit ist, was ich hier oben will und treibe: besser noch +Diess, als dass ich da unten feierlich würde vor Warten und grün und +gelb - + +- ein gespreitzter Zornschnauber vor Warten, ein heiliger Heule-Sturm +aus Bergen, ein Ungeduldiger, der in die Thäler hinabruft: "Hört, oder +ich peitsche euch mit der Geissel Gottes!" + +Nicht dass ich solchen Zürnern darob gram würde: zum Lachen sind +sie mir gut genung! Ungeduldig müssen sie schon sein, diese grossen +Lärmtrommeln, welche heute oder niemals zu Worte kommen! + +Ich aber und mein Schicksal - wir reden nicht zum Heute, wir reden +auch nicht zum Niemals: wir haben zum Reden schon Geduld und Zeit und +Überzeit. Denn einst muss er doch kommen und darf nicht vorübergehn. + +Wer muss einst kommen und darf nicht vorübergehn? Unser grosser Hazar, +das ist unser grosses fernes Menschen-Reich, das Zarathustra-Reich von +tausend Jahren - - + +Wie ferne mag solches "Ferne" sein? was geht's mich an! Aber darum +steht es mir doch nicht minder fest -, mit beiden Füssen stehe ich +sicher auf diesem Grunde, + +- auf einem ewigen Grunde, auf hartem Urgesteine, auf diesem höchsten +härtesten Urgebirge, zu dem alle Winde kommen als zur Wetterscheide, +fragend nach Wo? und Woher? und Wohinaus? + +Hier lache, lache meine helle heile Bosheit! Von hohen Bergen wirf +hinab dein glitzerndes Spott-Gelächter! Ködere mit deinem Glitzern mir +die schönsten Menschen-Fische! + +Und was in allen Meeren _mir_ zugehört, mein An-und-für-mich in allen +Dingen - _Das_ fische mir heraus, _Das_ führe zu mir herauf: dess +warte ich, der boshaftigste aller Fischfänger. + +Hinaus, hinaus, meine Angel! Hinein, hinab, Köder meines Glücks! +Träufle deinen süssesten Thau, mein Herzens-Honig! Beisse, meine +Angel, in den Bauch aller schwarzen Trübsal! + +Hinaus, hinaus, mein Auge! Oh welche vielen Meere rings um mich, welch +dämmernde Menschen-Zukünfte! Und über mir - welch rosenrothe Stille! +Welch entwölktes Schweigen! + + + +Der Nothschrei + +Des nächsten Tages sass Zarathustra wieder auf seinem Steine vor der +Höhle, während die Thiere draussen in der Welt herumschweiften, dass +sie neue Nahrung heimbrächten, - auch neuen Honig: denn Zarathustra +hatte den alten Honig bis auf das letzte Korn verthan und +verschwendet. Als er aber dermaassen dasass, mit einem Stecken in +der Hand, und den Schatten seiner Gestalt auf der Erde abzeichnete, +nachdenkend und, wahrlich! nicht über sich und seinen Schatten - da +erschrak er mit Einem Male und fuhr zusammen: denn er sahe neben +seinem Schatten noch einen andern Schatten. Und wie er schnell um sich +blickte und aufstand, siehe, da stand der Wahrsager neben ihm, der +selbe, den er einstmals an seinem Tische gespeist und getränkt hatte, +der Verkündiger der grossen Müdigkeit, welcher lehrte: "Alles ist +gleich, es lohnt sich Nichts, Welt ist ohne Sinn, Wissen würgt." Aber +sein Antlitz hatte sich inzwischen verwandelt; und als ihm Zarathustra +in die Augen blickte, wurde sein Herz abermals erschreckt: so viel +schlimme Verkündigungen und aschgraue Blitze liefen über diess +Gesicht. + +Der Wahrsager, der es wahrgenommen, was sich in Zarathustra's Seele +zutrug, wischte mit der Hand über sein Antlitz hin, wie als ob er +dasselbe wegwischen wollte; desgleichen that auch Zarathustra. Und als +Beide dergestalt sich schweigend gefasst und gekräftigt hatten, gaben +sie sich die Hände, zum Zeichen, dass sie sich wiedererkennen wollten. + +"Sei mir willkommen, sagte Zarathustra, du Wahrsager der grossen +Müdigkeit, du sollst nicht umsonst einstmals mein Tisch- und +Gastfreund gewesen sein. Iss und trink auch heute bei mir und vergieb +es, dass ein vergnügter alter Mann mit dir zu Tische sitzt!" - "Ein +vergnügter alter Mann? antwortete der Wahrsager, den Kopf schüttelnd: +wer du aber auch bist oder sein willst, oh Zarathustra, du bist es +zum Längsten hier Oben gewesen, - dein Nachen soll über Kurzem nicht +mehr im Trocknen sitzen!" - "Sitze ich denn im Trocknen?" fragte +Zarathustra lachend. - "Die Wellen um deinen Berg, antwortete der +Wahrsager, steigen und steigen, die Wellen grosser Noth und Trübsal: +die werden bald auch deinen Nachen heben und dich davontragen." - +Zarathustra schwieg hierauf und wunderte sich. - "Hörst du noch +Nichts? fuhr der Wahrsager fort: rauscht und braust es nicht herauf +aus der Tiefe?" - Zarathustra schwieg abermals und horchte: da hörte +er einen langen, langen Schrei, welchen die Abgründe sich zuwarfen und +weitergaben, denn keiner wollte ihn behalten: so böse klang er. + +"Du schlimmer Verkündiger, sprach endlich Zarathustra, das ist ein +Nothschrei und der Schrei eines Menschen, der mag wohl aus einem +schwarzen Meere kommen. Aber was geht mich Menschen-Noth an! Meine +letzte Sünde, die mir aufgespart blieb, - weisst du wohl, wie sie +heisst?" + +- "Mitleiden! antwortete der Wahrsager aus einem überströmenden Herzen +und hob beide Hände empor - oh Zarathustra, ich komme, dass ich dich +zu deiner letzten Sünde verführe!" - + +Und kaum waren diese Worte gesprochen, da erscholl der Schrei +abermals, und länger und ängstlicher als vorher, auch schon viel +näher. "Hörst du? Hörst du, oh Zarathustra? rief der Wahrsager, dir +gilt der Schrei, dich ruft er: komm, komm, komm, es ist Zeit, es ist +höchste Zeit!" - + +Zarathustra schwieg hierauf, verwirrt und erschüttert; endlich fragte +er, wie Einer, der bei sich selber zögert: "Und wer ist das, der dort +mich ruft?" + +"Aber du weisst es ja, antwortete der Wahrsager heftig, was verbirgst +du dich? _Der_höhere_Mensch_ ist es, der nach dir schreit!" + +"Der höhere Mensch? schrie Zarathustra von Grausen erfasst: was will +_der_? Was will _der_? Der höhere Mensch! Was will der hier?" - und +seine Haut bedeckte sich mit Schweiss. + +Der Wahrsager aber antwortete nicht auf die Angst Zarathustra's, +sondern horchte und horchte nach der Tiefe zu. Als es jedoch lange +Zeit dort stille blieb, wandte er seinen Blick zurück und sahe +Zarathustra stehn und zittern. + +"Oh Zarathustra, hob er mit trauriger Stimme an, du stehst nicht da +wie Einer, den sein Glück drehend macht: du wirst tanzen müssen, dass +du mir nicht umfällst! + +Aber wenn du auch vor mir tanzen wolltest und alle deine Seitensprünge +springen: Niemand soll mir doch sagen dürfen: `Siehe, hier tanzt der +letzte frohe Mensch!` + +Umsonst käme Einer auf diese Höhe, der den hier suchte: Höhlen fände +er wohl und Hinter-Höhlen, Verstecke für Versteckte, aber nicht +Glücks-Schachte und Schatzkammern und neue Glücks-Goldadern. + +Glück - wie fände man wohl das Glück bei solchen Vergrabenen und +Einsiedlern! Muss ich das letzte Glück noch auf glückseligen Inseln +suchen und ferne zwischen vergessenen Meeren? + +Aber Alles ist gleich, es lohnt sich Nichts, es hilft kein Suchen, es +giebt auch keine glückseligen Inseln mehr!" - - + +Also seufzte der Wahrsager; bei seinem letzten Seufzer aber wurde +Zarathustra wieder hell und sicher, gleich Einem, der aus einem tiefen +Schlunde an's Licht kommt. "Nein! Nein! Drei Mal Nein! rief er mit +starker Stimme und strich sich den Bart - _Das_ weiss ich besser! +Es giebt noch glückselige Inseln! Stille _davon_, du seufzender +Trauersack! + +Höre _davon_ auf zu plätschern, du Regenwolke am Vormittag! Stehe ich +denn nicht schon da, nass von deiner Trübsal und begossen wie ein +Hund? + +Nun schüttle ich mich und laufe dir davon, dass ich wieder trocken +werde: dess darfst du nicht Wunder haben! Dünke ich dir unhöflich? +Aber hier ist _mein_ Hof. + +Was aber deinen höheren Menschen angeht: wohlan! ich suche ihn flugs +in jenen Wäldern: _daher_ kam sein Schrei. Vielleicht bedrängt ihn da +ein böses Thier. + +Er ist in _meinem_ Bereiche: darin soll er mir nicht zu Schaden +kommen! Und wahrlich, es giebt viele böse Thiere bei mir." - + +Mit diesen Worten wandte sich Zarathustra zum Gehen. Da sprach der +Wahrsager: "Oh Zarathustra, du bist ein Schelm! + +Ich weiss es schon: du willst mich los sein! Lieber noch läufst du in +die Wälder und stellst bösen Thieren nach! + +Aber was hilft es dir? Des Abends wirst du doch mich wiederhaben, in +deiner eignen Höhle werde ich dasitzen, geduldig und schwer wie ein +Klotz - und auf dich warten!" + +"So sei's! rief Zarathustra zurück im Fortgehn: und was mein ist in +meiner Höhle, gehört auch dir, meinem Gastfreunde! + +Solltest du aber drin noch Honig finden, wohlan! so lecke ihn nur auf, +du Brummbär, und versüsse deine Seele! Am Abende nämlich wollen wir +Beide guter Dinge sein, + +- guter Dinge und froh darob, dass dieser Tag zu Ende gieng! Und du +selber sollst zu meinen Liedern als mein Tanzbär tanzen. + +Du glaubst nicht daran? Du schüttelst den Kopf? Wohlan! Wohlauf! Alter +Bär! Aber auch ich - bin ein Wahrsager." + +Also sprach Zarathustra. + + + +Gespräch mit den Königen + +1. + +Zarathustra war noch keine Stunde in seinen Bergen und Wäldern +unterwegs, da sahe er mit Einem Male einen seltsamen Aufzug. Gerade +auf dem Wege, den er hinabwollte, kamen zwei Könige gegangen, mit +Kronen und Purpurgürteln geschmückt und bunt wie Flamingo-Vögel: die +trieben einen beladenen Esel vor sich her. "Was wollen diese Könige +in meinem Reiche?" sprach Zarathustra erstaunt zu seinem Herzen und +versteckte Sich geschwind hinter einem Busche. Als aber die Könige bis +zu ihm herankamen, sagte er, halblaut, wie Einer, der zu sich allein +redet: "Seltsam! Seltsam! Wie reimt sich Das zusammen? Zwei Könige +sehe ich - und nur Einen Esel!" + +Da machten die beiden Könige Halt, lächelten, sahen nach der Stelle +hin, woher die Stimme kam, und sahen sich nachher selber in's Gesicht. +"Solcherlei denkt man wohl auch unter uns, sagte der König zur +Rechten, aber man spricht es nicht aus." + +Der König zur Linken aber zuckte mit den Achseln und antwortete: "Das +mag wohl ein Ziegenhirt sein. Oder ein Einsiedler, der zu lange unter +Felsen und Bäumen lebte. Gar keine Gesellschaft nämlich verdirbt auch +die guten Sitten." + +"Die guten Sitten? entgegnete unwillig und bitter der andre König: wem +laufen wir denn aus dem Wege? Ist es nicht den `guten Sitten`? Unsrer +`guten Gesellschaft`? + +Lieber, wahrlich, unter Einsiedlern und Ziegenhirten als mit unserm +vergoldeten falschen überschminkten Pöbel leben, - ob er sich schon +`gute Gesellschaft` heisst, + +- ob er sich schon `Adel` heisst. Aber da ist Alles falsch und faul, +voran das Blut, Dank alten schlechten Krankheiten und schlechteren +Heil-Künstlern. + +Der Beste und Liebste ist mir heute noch ein gesunder Bauer, grob, +listig, hartnäckig, langhaltig: das ist heute die vornehmste Art. + +Der Bauer ist heute der Beste; und Bauern-Art sollte Herr sein! Aber +es ist das Reich des Pöbels, - ich lasse mir Nichts mehr vormachen. +Pöbel aber, das heisst: Mischmasch. + +Pöbel-Mischmasch: darin ist Alles in Allem durcheinander, Heiliger und +Hallunke und Junker und Jude und jeglich Vieh aus der Arche Noäh. + +Gute Sitten! Alles ist bei uns falsch und faul. Niemand weiss mehr +zu verehren: _dem_ gerade laufen wir davon. Es sind süssliche +zudringliche Hunde, sie vergolden Palmenblätter. + +Dieser Ekel würgt mich, dass wir Könige selber falsch wurden, +überhängt und verkleidet durch alten vergilbten Grossväter-Prunk, +Schaumünzen für die Dümmsten und die Schlauesten, und wer heute Alles +mit der Macht Schacher treibt! + +Wir _sind_ nicht die Ersten - und müssen es doch _bedeuten_: dieser +Betrügerei sind wir endlich satt und ekel geworden. + +Dem Gesindel giengen wir aus dem Wege, allen diesen Schreihälsen und +Schreib-Schmeissfliegen, dem Krämer-Gestank, dem Ehrgeiz-Gezappel, dem +üblen Athem -: pfui, unter dem Gesindel leben, + +- pfui, unter dem Gesindel die Ersten zu bedeuten! Ach, Ekel! Ekel! +Ekel! Was liegt noch an uns Königen!" - + +"Deine alte Krankheit fällt dich an, sagte hier der König zur Linken, +der Ekel fällt dich an, mein armer Bruder. Aber du weisst es doch, es +hört uns Einer zu." + +Sofort erhob sich Zarathustra, der zu diesen Reden Ohren und Augen +aufgesperrt hatte, aus seinem Schlupfwinkel, trat auf die Könige zu +und begann: + +"Der Euch zuhört, der Euch gerne zuhört, ihr Könige, der heisst +Zarathustra. + +Ich bin Zarathustra, der einst sprach: `Was liegt noch an Königen!` +Vergebt mir, ich freute mich, als Ihr zu einander sagtet: `Was liegt +an uns Königen!` + +Hier aber ist _mein_ Reich und meine Herrschaft: was mögt Ihr wohl +in meinem Reiche suchen? Vielleicht aber _fandet_ Ihr unterwegs, was +_ich_ suche: nämlich den höheren Menschen." + +Als Diess die Könige hörten, schlugen sie sich an die Brust und +sprachen mit Einem Munde: "Wir sind erkannt! + +Mit dem Schwerte dieses Wortes zerhaust du unsres Herzens dickste +Finsterniss. Du entdecktest unsre Noth, denn siehe! Wir sind +unterwegs, dass wir den höheren Menschen fänden - + +- den Menschen, der höher ist als wir: ob wir gleich Könige sind. Ihm +führen wir diesen Esel zu. Der höchste Mensch nämlich soll auf Erden +auch der höchste Herr sein. + +Es giebt kein härteres Unglück in allem Menschen-Schicksale, als wenn +die Mächtigen der Erde nicht auch die ersten Menschen sind. Da wird +Alles falsch und schief und ungeheuer. + +Und wenn sie gar die letzten sind und mehr Vieh als Mensch: da +steigt und steigt der Pöbel im Preise, und endlich spricht gar die +Pöbel-Tugend: `siehe, ich allein bin Tugend!` - + +Was hörte ich eben? antwortete Zarathustra; welche Weisheit bei +Königen! Ich bin entzückt, und, wahrlich, schon gelüstet's mich, einen +Reim darauf zu machen: - + +- mag es auch ein Reim werden, der nicht für Jedermanns Ohren taugt. +Ich verlernte seit langem schon die Rücksicht auf lange Ohren. Wohlan! +Wohlauf! + +(Hier aber geschah es, dass auch der Esel zu Worte kam: er sagte aber +deutlich und mit bösem Willen I-A.) + + Einstmals - ich glaub', im Jahr des Heiles Eins - + Sprach die Sibylle, trunken sonder Weins: + `Weh, nun geht's schief! + Verfall! Verfall! Nie sank die Welt so tief! + Rom sank zur Hure und zur Huren-Bude, + Rom's Caesar sank zum Vieh, Gott selbst - ward Jude!`" + + +2. + +An diesen Reimen Zarathustra's weideten sich die Könige; der König zur +Rechten aber sprach: "oh Zarathustra, wie gut thaten wir, dass wir +auszogen, dich zu sehn! + +Deine Feinde nämlich zeigten uns dein Bild in ihrem Spiegel: da +blicktest du mit der Fratze eines Teufels und hohnlachend: also dass +wir uns vor dir fürchteten. + +Aber was half's! Immer wieder stachst du uns in Ohr und Herz mit +deinen Sprüchen. Da sprachen wir endlich: was liegt daran, wie er +aussieht! + +Wir müssen ihn _hören_, ihn, der lehrt `ihr sollt den Frieden lieben +als Mittel zu neuen Kriegen, und den kurzen Frieden mehr als den +langen!` + +Niemand sprach je so kriegerische Worte: `Was ist gut? Tapfer sein ist +gut. Der gute Krieg ist's, der jede Sache heiligt.` + +Oh Zarathustra, unsrer Väter Blut rührte sich bei solchen Worten in +unserm Leibe: das war wie die Rede des Frühlings zu alten Weinfässern. + +Wenn die Schwerter durcheinander liefen gleich rothgefleckten +Schlangen, da wurden unsre Väter dem Leben gut; alles Friedens Sonne +dünkte sie flau und lau, der lange Frieden aber machte Scham. + +Wie sie seufzten, unsre Väter, wenn sie an der Wand blitzblanke +ausgedorrte Schwerter sahen! Denen gleich dürsteten sie nach Krieg. +Ein Schwert nämlich will Blut trinken und funkelt vor Begierde." - - + +- Als die Könige dergestalt mit Eifer von dem Glück ihrer Väter +redeten und schwätzten, überkam Zarathustra keine kleine Lust, ihres +Eifers zu spotten: denn ersichtlich waren es sehr friedfertige Könige, +welche er vor sich sah, solche mit alten und feinen Gesichtern. Aber +er bezwang sich. "Wohlan! sprach er, dorthin führt der Weg, da liegt +die Höhle Zarathustra's; und dieser Tag soll einen langen Abend haben! +Jetzt aber ruft mich eilig ein Nothschrei fort von Euch. + +Es ehrt meine Höhle, wenn Könige in ihr sitzen und warten wollen: +aber, freilich, Ihr werdet lange warten müssen! + +Je nun! Was thut's! Wo lernt man heute besser warten als an Höfen? Und +der Könige ganze Tugend, die ihnen übrig blieb, - heisst sie heute +nicht: Warten-_können_?" + +Also sprach Zarathustra. + + + +Der Blutegel + +Und Zarathustra gieng nachdenklich weiter und tiefer, durch Wälder und +vorbei an moorigen Gründen; wie es aber Jedem ergeht, der über schwere +Dinge nachdenkt, so trat er unversehens dabei auf einen Menschen. Und +siehe, da sprützten ihm mit Einem Male ein Weheschrei und zwei Flüche +und zwanzig schlimme Schimpfworte in's Gesicht: also dass er in seinem +Schrecken den Stock erhob und auch auf den Getretenen noch zuschlug. +Gleich darauf aber kam ihm die Besinnung; und sein Herz lachte über +die Thorheit, die er eben gethan hatte. + +"Vergieb, sagte er zu dem Getretenen, der sich grimmig erhoben und +gesetzt hatte, vergieb und vernimm vor Allem erst ein Gleichniss. + +Wie ein Wanderer, der von fernen Dingen träumt, unversehens auf +einsamer Strasse einen schlafenden Hund anstösst, einen Hund, der in +der Sonne liegt: + +- wie da Beide auffahren, sich anfahren, Todfeinden gleich, diese zwei +zu Tod Erschrockenen: also ergieng es uns. + +Und doch! Und doch - wie wenig hat gefehlt, dass sie einander +liebkosten, dieser Hund und dieser Einsame! Sind sie doch Beide - +Einsame!" + +- "Wer du auch sein magst, sagte immer noch grimmig der Getretene, +du trittst mir auch mit deinem Gleichniss zu nahe, und nicht nur mit +deinem Fusse! + +Siehe doch, bin ich denn ein Hund?" - und dabei erhob sich der +Sitzende und zog seinen nackten Arm aus dem Sumpfe. Zuerst nämlich +hatte er ausgestreckt am Boden gelegen, verborgen und unkenntlich +gleich Solchen, die einem Sumpf-Wilde auflauern. + +"Aber was treibst du doch!" rief Zarathustra erschreckt, denn er +sahe, dass über den nackten Arm weg viel Blut floss, - was ist dir +zugestossen? Biss dich, du Unseliger, ein schlimmes Thier? + +Der Blutende lachte, immer noch erzürnt. "Was geht's dich an! sagte er +und wollte weitergehn. Hier bin ich heim und in meinem Bereiche. Mag +mich fragen, wer da will: einem Tölpel aber werde ich schwerlich +antworten." + +"Du irrst, sagte Zarathustra mitleidig und hielt ihn fest, du irrst: +hier bist du nicht bei dir, sondern in meinem Reiche, und darin soll +mir Keiner zu Schaden kommen. + +Nenne mich aber immerhin, wie du willst, - ich bin, der ich sein muss. +Ich selber heisse mich Zarathustra. + +Wohlan! Dort hinauf geht der Weg zu Zarathustra's Höhle: die ist nicht +fern, - willst du nicht bei mir deiner Wunden warten? + +Es gieng dir schlimm, du Unseliger, in diesem Leben: erst biss dich +das Thier, und dann - trat dich der Mensch!" - - + +Als aber der Getretene den Namen Zarathustra's hörte, verwandelte er +sich. "Was geschieht mir doch! rief er aus, _wer_ kümmert mich denn +noch in diesem Leben, als dieser Eine Mensch, nämlich Zarathustra, und +jenes Eine Thier, das vom Blute lebt, der Blutegel? + +Des Blutegels halber lag ich hier an diesem Sumpfe wie ein Fischer, +und schon war mein ausgehängter Arm zehn Mal angebissen, da beisst +noch ein schönerer Igel nach meinem Blute, Zarathustra selber! + +Oh Glück! Oh Wunder! Gelobt sei dieser Tag, der mich in diesen Sumpf +lockte! Gelobt sei der beste lebendigste Schröpfkopf, der heut lebt, +gelobt sei der grosse Gewissens-Blutegel Zarathustra!" - + +Also sprach der Getretene; und Zarathustra freute sich über seine +Worte und ihre feine ehrfürchtige Art. "Wer bist du? fragte er und +reichte ihm die Hand, zwischen uns bleibt Viel aufzuklären und +aufzuheitern: aber schon, dünkt mich, wird es reiner heller Tag." + +"Ich bin _der_Gewissenhafte_des_Geistes_, antwortete der Gefragte, und +in Dingen des Geistes nimmt es nicht leicht Einer strenger, enger und +härter als ich, ausgenommen der, von dem ich's lernte, Zarathustra +selber. + +Lieber Nichts wissen, als Vieles halb wissen! Lieber ein Narr sein auf +eigne Faust, als ein Weiser nach fremdem Gutdünken! Ich - gehe auf den +Grund: + +- was liegt daran, ob er gross oder klein ist? Ob er Sumpf oder Himmel +heisst? Eine Hand breit Grund ist mir genung: wenn er nur wirklich +Grund und Boden ist! + +- eine Hand breit Grund: darauf kann man stehn. In der rechten +Wissen-Gewissenschaft giebt es nichts Grosses und nichts Kleines." + +"So bist du vielleicht der Erkenner des Blutegels? fragte Zarathustra; +und du gehst dem Blutegel nach bis auf die letzten Gründe, du +Gewissenhafter?" + +"Oh Zarathustra, antwortete der Getretene, das wäre ein Ungeheures, +wie dürfte ich mich dessen unterfangen! + +Wess ich aber Meister und Kenner bin, das ist des Blutegels _Hirn_: - +das ist _meine_ Welt! + +Und es ist auch eine Welt! Vergieb aber, dass hier mein Stolz zu Worte +kommt, denn ich habe hier nicht meines Gleichen. Darum sprach ich +`hier bin ich heim.` + +Wie lange gehe ich schon diesem Einen nach, dem Hirn des Blutegels, +dass die schlüpfrige Wahrheit mir hier nicht mehr entschlüpfe! Hier +ist _mein_ Reich! + +- darob warf ich alles Andere fort, darob wurde mir alles. Andre +gleich; und dicht neben meinem Wissen lagert mein schwarzes Unwissen. + +Mein Gewissen des Geistes will es so von mir, dass ich Eins weiss und +sonst Alles nicht weiss: es ekelt mich aller Halben des Geistes, aller +Dunstigen, Schwebenden, Schwärmerischen. + +Wo meine Redlichkeit aufhört, bin ich blind und will auch blind sein. +Wo ich aber wissen will, will ich auch redlich sein, nämlich hart, +streng, eng, grausam, unerbittlich. + +Dass _du_ einst sprachst, oh Zarathustra: `Geist ist das Leben, das +selber in's Leben schneidet,` das führte und verführte mich zu deiner +Lehre. Und, wahrlich, mit eignem Blute mehrte ich mir das eigne +Wissen!" + +- "Wie der Augenschein lehrt," fiel Zarathustra ein; denn immer noch +floss das Blut an dem nackten Arme des Gewissenhaften herab. Es hatten +nämlich zehn Blutegel sich in denselben eingebissen. + +"Oh du wunderlicher Gesell, wie Viel lehrt mich dieser Augenschein +da, nämlich du selber! Und nicht Alles dürfte ich vielleicht in deine +strengen Ohren giessen! + +Wohlan! So scheiden wir hier! Doch möchte ich gerne dich wiederfinden. +Dort hinauf führt der Weg zu meiner Höhle: heute Nacht sollst du dort +mein lieber Gast sein! + +Gerne möchte ich's auch an deinem Leibe wieder gut machen, dass +Zarathustra dich mit Füssen trat: darüber denke ich nach. Jetzt aber +ruft mich ein Nothschrei eilig fort von dir." + +Also sprach Zarathustra. + + + +Der Zauberer + +1. + +Als aber Zarathustra um einen Felsen herumbog, da sahe er, nicht +weit unter sich, auf dem gleichen Wege, einen Menschen, der die +Glieder warf wie ein Tobsüchtiger und endlich bäuchlings zur Erde +niederstürzte. "Halt! sprach da Zarathustra zu seinem Herzen, Der +dort muss wohl der höhere Mensch sein, von ihm kam jener schlimme +Nothschrei, - ich will sehn, ob da zu helfen ist." Als er aber +hinzulief, an die Stelle, wo der Mensch auf dem Boden lag, fand er +einen zitternden alten Mann mit stieren Augen; und wie sehr sich +Zarathustra mühte, dass er ihn aufrichte und wieder auf seine Beine +stelle, es war umsonst. Auch schien der Unglückliche nicht zu merken, +dass jemand um ihn sei; vielmehr sah er sich immer mit rührenden +Gebärden um, wie ein von aller Welt Verlassener und Vereinsamter. +Zuletzt aber, nach vielem Zittern, Zucken und Sich-zusammen-Krümmen, +begann er also zu jammern: + + Wer wärmt mich, wer liebt mich noch? + Gebt heisse Hände! + Gebt Herzens-Kohlenbecken! + Hingestreckt, schaudernd, + Halbtodtem gleich, dem man die Füsse wärmt - + Geschüttelt, ach! von unbekannten Fiebern, + Zitternd vor spitzen eisigen Frost-Pfeilen, + Von dir gejagt, Gedanke! + Unnennbarer! Verhüllter! Entsetzlicher! + Du Jäger hinter Wolken! + Darniedergeblitzt von dir, + Du höhnisch Auge, das mich aus Dunklem anblickt: + - so liege ich, + Biege mich, winde mich, gequält + Von allen ewigen Martern, + Getroffen + Von Dir, grausamster Jäger, + Du unbekannter - Gott! + + Triff tiefer, + Triff Ein Mal noch! + Zerstich, zerbrich diess Herz! + Was soll diess Martern + Mit zähnestumpfen Pfeilen? + Was blickst du wieder, + Der Menschen-Qual nicht müde, + Mit schadenfrohen Götter-Blitz-Augen? + Nicht tödten willst du, + Nur martern, martern? + Wozu - _mich_ martern, + Du schadenfroher unbekannter Gott? - + + Haha! Du schleichst heran? + Bei solcher Mitternacht + Was willst du? Sprich! + Du drängst mich, drückst mich - + Ha! schon viel zu nahe! + Weg! Weg! + Du hörst mich athmen, + Du behorchst mein Herz, + Du Eifersüchtiger - + Worauf doch eifersüchtig? + Weg! Weg! Wozu die Leiter? + Willst _du_hinein_, + In's Herz, + Einsteigen, in meine heimlichsten + Gedanken einsteigen? + Schamloser! Unbekannter - Dieb! + Was willst du dir erstehlen, + Was willst du dir erhorchen, + Was willst du dir erfoltern, + Du Folterer! + Du - Henker-Gott! + Oder soll ich, dem Hunde gleich, + Vor dir mich wälzen? + Hingebend, begeistert-ausser-mir, + Dir - Liebe zuwedeln? + + Umsonst! Stich weiter, + Grausamster Stachel! Nein, + Kein Hund - dein Wild nur bin ich, + Grausamster Jäger! + Dein stolzester Gefangner, + Du Räuber hinter Wolken! + Sprich endlich, + Was willst du, Wegelagerer, von _mir_? + Du Blitz-Verhüllter! Unbekannter! Sprich, + Was _willst_ du, unbekannter Gott? - - + + Wie? Lösegeld? + Was willst du Lösegelds? + Verlange Viel - das räth mein Stolz! + Und rede kurz - das räth mein andrer Stolz! + Haha! + + Mich - willst du? Mich? + Mich - ganz? + + Haha! + Und marterst mich, Narr, der du bist, + Zermarterst meinen Stolz? + Gieb _Liebe_ mir - wer wärmt mich noch? + Wer liebt mich noch? - gieb heisse Hände, + Gieb Herzens-Kohlenbecken, + Gieb mir, dem Einsamsten, + Den Eis, ach! siebenfaches Eis + Nach Feinden selber, + Nach Feinden schmachten lehrt, + Gieb, ja ergieb, + Grausamster Feind, + Mir - _dich_! - - + + Davon! + Da floh er selber, + Mein letzter einziger Genoss, + Mein grosser Feind, + Mein Unbekannter, + Mein Henker-Gott! - + + - Nein! Komm zurück, + Mit allen deinen Martern! + Zum Letzten aller Einsamen + Oh komm zurück! + All meine Thränen-Bäche laufen + Zu dir den Lauf! + + Und meine letzte Herzens-Flamme - + _Dir_ glüht sie auf! + Oh komm zurück, + Mein unbekannter Gott! Mein Schmerz! Mein letztes - + Glück! + + +2. + +- Hier aber konnte sich Zarathustra nicht länger halten, nahm seinen +Stock und schlug mit allen Kräften auf den jammernden los. "Halt ein! +schrie er ihm zu, mit ingrimmigem Lachen, halt ein, du Schauspieler! +Du Falschmünzer! Du Lügner aus dem Grunde! Ich erkenne dich wohl! + +Ich will dir schon warme Beine machen, du schlimmer Zauberer, ich +verstehe mich gut darauf, Solchen wie du bist - einzuheizen!" + +- "Lass ab, sagte der alte Mann und sprang vom Boden auf, schlage +nicht mehr, oh Zarathustra! Ich trieb's also nur zum Spiele! + +Solcherlei gehört zu meiner Kunst; dich selber wollte ich auf die +Probe stellen, als ich dir diese Probe gab! Und, wahrlich, du hast +mich gut durchschaut! + +Aber auch du - gabst mir von dir keine kleine Probe: du bist _hart_, +du weiser Zarathustra! Hart schlägst du zu mit deinen `Wahrheiten`, +dein Knüttel erzwingt von mir - _diese_ Wahrheit!" + +- "Schmeichle nicht, antwortete Zarathustra, immer noch erregt und +finsterblickend, du Schauspieler aus dem Grunde! Du bist falsch: was +redest du - von Wahrheit! + +Du Pfau der Pfauen, du Meer der Eitelkeit, _was_ spieltest du vor mir, +du schlimmer Zauberer, an _wen_ sollte ich glauben, als du in solcher +Gestalt jammertest?" + +"Den Büsser des Geistes, sagte der alte Mann, _den_ - spielte ich: du +selber erfandest einst diess Wort - + +- den Dichter und Zauberer, der gegen sich selber endlich seinen Geist +wendet, den Verwandelten, der an seinem bösen Wissen und Gewissen +erfriert. + +Und gesteh es nur ein: es währte lange, oh Zarathustra, bis du hinter +meine Kunst und Lüge kamst! _Du_glaubtest_ an meine Noth, als du mir +den Kopf mit beiden Händen hieltest, - + +- ich hörte dich jammern `man hat ihn zu wenig geliebt, zu wenig +geliebt!` Dass ich dich soweit betrog, darüber frohlockte inwendig +meine Bosheit." + +"Du magst Feinere betrogen haben als mich, sagte Zarathustra hart. Ich +bin nicht auf der Hut vor Betrügern, ich _muss_ ohne Vorsicht sein: so +will es mein Loos. + +Du aber - _musst_ betrügen: so weit kenne ich dich! Du musst immer +zwei- drei- vier- und fünfdeutig sein! Auch was du jetzt bekanntest, +war mir lange nicht wahr und nicht falsch genung! + +Du schlimmer Falschmünzer, wie könntest du anders! Deine Krankheit +würdest du noch schminken, wenn du dich deinem Arzte nackt zeigtest. + +So schminktest du eben vor mir deine Lüge, als du sprachst: `ich +trieb's also _nur_ zum Spiele!` Es war auch _Ernst_ darin, du _bist_ +Etwas von einem Büsser des Geistes! + +Ich errathe dich wohl: du wurdest der Bezauberer Aller, aber gegen +dich hast du keine Lüge und List mehr übrig, - du selber bist dir +entzaubert! + +Du erntetest den Ekel ein, als deine Eine Wahrheit. Kein Wort ist mehr +an dir ächt, aber dein Mund: nämlich der Ekel, der an deinem Munde +klebt." - - + +- "Wer bist du doch! schrie hier der alte Zauberer mit einer trotzigen +Stimme, wer darf also zu _mir_ reden, dem Grössten, der heute lebt?" +- und ein grüner Blitz schoss aus seinem Auge nach Zarathustra. Aber +gleich darauf verwandelte er sich und sagte traurig: + +"Oh Zarathustra, ich bin's müde, es ekelt mich meiner Künste, ich bin +nicht _gross_, was verstelle ich mich! Aber, du weisst es wohl - ich +suchte nach Grösse! + +Einen grossen Menschen wollte ich vorstellen und überredete Viele: +aber diese Lüge gieng über meine Kraft. An ihr zerbreche ich. + +Oh Zarathustra, Alles ist Lüge an mir; aber dass ich zerbreche - diess +mein Zerbrechen ist _ächt_!" - + +"Es ehrt dich, sprach Zarathustra düster und zur Seite niederblickend, +es ehrt dich, dass du nach Grösse suchtest, aber es verräth dich auch. +Du bist nicht gross. + +Du schlimmer alter Zauberer, _das_ ist dein Bestes und Redlichstes, +was ich an dir ehre, dass du deiner müde wurdest und es aussprachst: +`ich bin nicht gross.` + +_Darin_ ehre ich dich als einen Büsser des Geistes: und wenn auch nur +für einen Hauch und Husch, diesen Einen Augenblick warst du - ächt. + +Aber sprich, was suchst du hier in _meinen_ Wäldern und Felsen? Und +wenn du _mir_ dich in den Weg legtest, welche Probe wolltest du von +mir? - + +- wess versuchtest du _mich_?" - + +Also sprach Zarathustra, und seine Augen funkelten. Der alte Zauberer +schwieg eine Weile, dann sagte er: "Versuchte ich dich? Ich - suche +nur. + +Oh Zarathustra, ich suche einen Ächten, Rechten, Einfachen, +Eindeutigen, einen Menschen aller Redlichkeit, ein Gefäss der +Weisheit, einen Heiligen der Erkenntniss, einen grossen Menschen! + +Weisst du es denn nicht, oh Zarathustra? Ich suche Zarathustra." + +- Und hier entstand ein langes Stillschweigen zwischen Beiden; +Zarathustra aber versank tief hinein in sich selber, also dass er die +Augen schloss. Dann aber, zu seinem Unterredner zurückkehrend, ergriff +er die Hand des Zauberers und sprach, voller Artigkeit und Arglist: + +"Wohlan! Dort hinauf führt der Weg, da liegt die Höhle Zarathustra's. +In ihr darfst du suchen, wen du finden möchtest. + +Und frage meine Thiere um Rath, meinen Adler und meine Schlange: die +sollen dir suchen helfen. Meine Höhle aber ist gross. + +Ich selber freilich - ich sah noch keinen grossen Menschen. Was gross +ist, dafür ist das Auge der Feinsten heute grob. Es ist das Reich des +Pöbels. + +So Manchen fand ich schon, der streckte und blähte sich, und das +Volk schrie: `Seht da, einen grossen Menschen!` Aber was helfen alle +Blasebälge! Zuletzt fährt der Wind heraus. + +Zuletzt platzt ein Frosch, der sich zu lange aufblies: da fährt der +Wind heraus. Einem Geschwollnen in den Bauch stechen, das heisse ich +eine brave Kurzweil. Hört das, ihr Knaben! + +Diess Heute ist des Pöbels: wer _weiss_ da noch, was gross, was klein +ist! Wer suchte da mit Glück nach Grösse! Ein Narr allein: den Narren +glückt's. + +Du suchst nach grossen Menschen, du wunderlicher Narr? Wer _lehrte's_ +dich? Ist heute dazu die Zeit? Oh du schlimmer Sucher, was - versuchst +du mich?" - - + +Also sprach Zarathustra, getrösteten Herzens, und gierig lachend +seines Wegs fürbass. + + + +Ausser Dienst + +Nicht lange aber, nachdem Zarathustra sich von dem Zauberer losgemacht +hatte, sahe er wiederum Jemanden am Wege sitzen, den er gierig, +nämlich einen schwarzen langen Mann mit einem hageren Bleichgesicht: +_der_ verdross ihn gewaltig. "Wehe, sprach er zu seinem Herzen, da, +sitzt vermummte Trübsal, das dünkt mich von der Art der Priester: was +wollen _die_ in meinem Reiche? + +Wie! Kaum bin ich jenem Zauberer entronnen: muss mir da wieder ein +anderer Schwarzkünstler über den Weg laufen, - + +- irgend ein Hexenmeister mit Handauflegen, ein dunkler Wunderthäter +von Gottes Gnaden, ein gesalbter Welt-Verleumder, den der Teufel holen +möge! + +Aber der Teufel ist nie am Platze, wo er am Platze wäre: immer kommt +er zu spät, dieser vermaledeite Zwerg und Klumpfuss!" - + +Also fluchte Zarathustra ungeduldig in seinem Herzen und gedachte, wie +er abgewandten Blicks an dem schwarzen Manne vorüberschlüpfe: aber +siehe, es kam anders. Im gleichen Augenblicke nämlich hatte ihn schon +der Sitzende erblickt; und nicht unähnlich einem Solchen, dem ein +unvermuthetes Glück zustösst, sprang er auf und gieng auf Zarathustra +los. + +"Wer du auch bist, du Wandersmann, sprach er, hilf einem Verirrten, +einem Suchenden, einem alten Manne, der hier leicht zu Schaden kommt! + +Diese Welt hier ist mir fremd und fern, auch hörte ich wilde Thiere +heulen; und Der, welcher mir hätte Schutz bieten können, der ist +selber nicht mehr. + +Ich suchte den letzten frommen Menschen, einen Heiligen und +Einsiedler, der allein in seinem Walde noch Nichts davon gehört hatte, +was alle Welt heute weiss." + +"_Was_ weiss heute alle Welt? fragte Zarathustra. Etwa diess, dass der +alte Gott nicht mehr lebt, an den alle Welt einst geglaubt hat?" + +"Du sagst es, antwortete der alte Mann betrübt. Und ich diente diesem +alten Gotte bis zu seiner letzten Stunde. + +Nun aber bin ich ausser Dienst, ohne Herrn, und doch nicht frei, auch +keine Stunde mehr lustig, es sei denn in Erinnerungen. + +Dazu stieg ich in diese Berge, dass ich endlich wieder ein Fest mir +machte, wie es einem alten Papste und Kirchen-Vater zukommt: denn +wisse, ich bin der letzte Papst! - ein Fest frommer Erinnerungen und +Gottesdienste. + +Nun aber ist er selber todt, der frömmste Mensch, jener Heilige im +Walde, der seinen Gott beständig mit Singen und Brummen lobte. + +Ihn selber fand ich nicht mehr, als ich seine Hütte fand, - wohl aber +zwei Wölfe darin, welche um seinen Tod heulten - denn alle Thiere +liebten ihn. Da lief ich davon. + +Kam ich also umsonst in diese Wälder und Berge? Da entschloss sich +mein Herz, dass ich einen Anderen suchte, den Frömmsten aller Derer, +die nicht an Gott glauben -, dass ich Zarathustra suchte!" + +Also sprach der Greis und blickte scharfen Auges Den an, welcher vor +ihm stand; Zarathustra aber ergriff die Hand des alten Papstes und +betrachtete sie lange mit Bewunderung. + +"Siehe da, du Ehrwürdiger, sagte er dann, welche schöne und lange +Hand! Das ist die Hand eines Solchen, der immer Segen ausgetheilt hat. +Nun aber hält sie Den fest, welchen du suchst, mich, Zarathustra. + +Ich bin's, der gottlose Zarathustra, der da spricht: wer ist gottloser +als ich, dass ich mich seiner Unterweisung freue?" - + +Also sprach Zarathustra und durchbohrte mit seinen Blicken die +Gedanken und Hintergedanken des alten Papstes. Endlich begann dieser: + +"Wer ihn am meisten liebte und besass, der hat ihn nun am meisten auch +verloren -: + +- siehe, ich selber bin wohl von uns Beiden jetzt der Gottlosere? Aber +wer könnte daran sich freuen!" - + +"Du dientest ihm bis zuletzt, fragte Zarathustra nachdenklich, nach +einem tiefen Schweigen, du weisst, _wie_ er starb? Ist es wahr, was +man spricht, dass ihn das Mitleiden erwürgte, + +- dass er es sah, wie _der_Mensch_ am Kreuze hieng, und es nicht +ertrug, dass die Liebe zum Menschen seine Hölle und zuletzt sein Tod +wurde?" - - + +Der alte Papst aber antwortete nicht, sondern blickte scheu und mit +einem schmerzlichen und düsteren Ausdrucke zur Seite. + +"Lass ihn fahren, sagte Zarathustra nach einem langen Nachdenken, +indem er immer noch dem alten Manne gerade in's Auge blickte. + +Lass ihn fahren, er ist dahin. Und ob es dich auch ehrt, dass du +diesem Todten nur Gutes nachredest, so weisst du so gut als ich, _wer_ +er war; und dass er wunderliche Wege gieng." + +"Unter drei Augen gesprochen, sagte erheitert der alte Papst (denn er +war auf Einem Auge blind), in Dingen Gottes bin ich aufgeklärter als +Zarathustra selber - und darf es sein. + +Meine Liebe diente ihm lange Jahre, mein Wille gierig allem seinen +Willen nach. Ein guter Diener aber weiss Alles, und Mancherlei auch, +was sein Herr sich selbst verbirgt. + +Es war ein verborgener Gott, voller Heimlichkeit. Wahrlich zu einem +Sohne sogar kam er nicht anders als auf Schleichwegen. An der Thür +seines Glaubens steht der Ehebruch. + +Wer ihn als einen Gott der Liebe preist, denkt nicht hoch genug von +der Liebe selber. Wollte dieser Gott nicht auch Richter sein? Aber der +Liebende liebt jenseits von Lohn und Vergeltung. + +Als er jung war, dieser Gott aus dem Morgenlande, da war er hart und +rachsüchtig und erbaute sich eine Hölle zum Ergötzen seiner Lieblinge. + +Endlich aber wurde er alt und weich und mürbe und mitleidig, einem +Grossvater ähnlicher als einem Vater, am ähnlichsten aber einer +wackeligen alten Grossmutter. + +Da sass er, welk, in seinem Ofenwinkel, härmte sich ob seiner +schwachen Beine, weltmüde, willensmüde, und erstickte eines Tags an +seinem allzugrossen Mitleiden." - - + +"Du alter Papst, sagte hier Zarathustra dazwischen, hast du _Das_ mit +Augen angesehn? Es könnte wohl so abgegangen sein: so, _und_ auch +anders. Wenn Götter sterben, sterben sie immer viele Arten Todes. + +Aber wohlan! So oder so, so und so - er ist dahin! Er gieng meinen +Ohren und Augen wider den Geschmack, Schlimmeres möchte ich ihm nicht +nachsagen. + +Ich liebe Alles, was hell blickt und redlich redet. Aber er - du +weisst es ja, du alter Priester, es war Etwas von deiner Art an ihm, +von Priester-Art - er war vieldeutig. + +Er war auch undeutlich. Was hat er uns darob gezürnt, dieser +Zornschnauber, dass wir ihn schlecht verstanden Aber warum sprach er +nicht reinlicher? + +Und lag es an unsern Ohren, warum gab er uns Ohren, die ihn schlecht +hörten? War Schlamm in unsern Ohren, wohlan! wer legte ihn hinein? + +Zu Vieles missrieth ihm, diesem Töpfer, der nicht ausgelernt hatte! +Dass er aber Rache an seinen Töpfen und Geschöpfen nahm, dafür +dass sie ihm schlecht geriethen, - das war eine Sünde wider den +_guten_Geschmack_. + +Es giebt auch in der Frömmigkeit guten Geschmack: der sprach endlich +`Fort mit einem _solchen_ Gotte! Lieber keinen Gott, lieber auf eigne +Faust Schicksal machen, lieber Narr sein, lieber selber Gott sein!`" + +- "Was höre ich! sprach hier der alte Papst mit gespitzten Ohren; +oh Zarathustra, du bist frömmer als du glaubst, mit einem solchen +Unglauben! Irgend ein Gott in dir bekehrte dich zu deiner +Gottlosigkeit. + +Ist es nicht deine Frömmigkeit selber, die dich nicht mehr an einen +Gott glauben lässt? Und deine übergrosse Redlichkeit wird dich auch +noch jenseits von Gut und Böse wegfuhren! + +Siehe, doch, was blieb dir aufgespart? Du hast Augen und Hand und +Mund, die sind zum Segnen vorher bestimmt seit Ewigkeit. Man segnet +nicht mit der Hand allein. + +In deiner Nähe, ob du schon der Gottloseste sein willst, wittere ich +einen heimlichen Weih- und Wohlgeruch von langen Segnungen: mir wird +wohl und wehe dabei. + +Lass mich deinen Gast sein, oh Zarathustra, für eine einzige Nacht! +Nirgends auf Erden wird es mir jetzt wohler als bei dir!" - + +"Amen! So soll es sein! sprach Zarathustra mit grosser Verwunderung, +dort hinauf führt der Weg, da liegt die Höhle Zarathustra's. + +Gerne, fürwahr, würde ich dich selber dahin geleiten, du Ehrwürdiger, +denn ich liebe alle frommen Menschen. Aber jetzt ruft mich eilig ein +Nothschrei weg von dir. + +In meinem Bereiche soll mir Niemand zu Schaden kommen; meine Höhle ist +ein guter Hafen. Und am liebsten möchte ich jedweden Traurigen wieder +auf festes Land und feste Beine stellen. + +Wer aber nähme dir _deine_ Schwermuth von der Schulter? Dazu bin ich +zu schwach. Lange, wahrlich, möchten wir warten, bis dir Einer deinen +Gott wieder aufweckt. + +Dieser alte Gott nämlich lebt nicht mehr: der ist gründlich todt." - + +Also sprach Zarathustra. + + + +Der hässlichste Mensch + +- Und wieder liefen Zarathustra's Füsse durch Berge und Wälder, und +seine Augen suchten und suchten, aber nirgends war Der zu sehen, +welchen sie sehn wollten, der grosse Nothleidende und Nothschreiende. +Auf dem ganzen Wege aber frohlockte er in seinem Herzen und war +dankbar. "Welche guten Dinge, sprach er, schenkte mir doch dieser Tag, +zum Entgelt, dass er schlimm begann! Welche seltsamen Unterredner fand +ich! + +An deren Worten will ich lange nun kauen gleich als an guten Körnern; +klein soll mein Zahn sie mahlen und malmen, bis sie mir wie Milch in +die Seele fliessen!" - - + +Als aber der Weg wieder um einen Felsen bog, veränderte sich mit Einem +Male die Landschaft, und Zarathustra trat in ein Reich des Todes. Hier +starrten schwarze und rothe Klippen empor: kein Gras, kein Baum, keine +Vogelstimme. Es war nämlich ein Thal, welches alle Thiere mieden, +auch die Raubthiere-, nur dass eine Art hässlicher, dicker, grüner +Schlangen, wenn sie alt wurden, hierher kamen, um zu sterben. Darum +nannten diess Thal die Hirten: Schlangen-Tod. + +Zarathustra aber versank in eine schwarze Erinnerung, denn ihm war, +als habe er schon ein Mal in diesem Thal gestanden. Und vieles Schwere +legte sich ihm über den Sinn: also, dass er langsam gieng und immer +langsamer und endlich still stand. Da aber sahe er, als er die Augen +aufthat, Etwas, das am Wege sass, gestaltet wie ein Mensch und kaum +wie ein Mensch, etwas Unaussprechliches. Und mit Einem Schlage +überfiel Zarathustra die grosse Scham darob, dass er so Etwas mit den +Augen angesehn habe: erröthend bis hinauf an sein weisses Haar, wandte +er den Blick ab und hob den Fuss, dass er diese schlimme Stelle +verlasse. Da aber wurde die todte Öde laut: vom Boden auf nämlich +quoll es gurgelnd und röchelnd, wie Wasser Nachts durch verstopfte +Wasser-Röhren gurgelt und röchelt; und zuletzt wurde daraus eine +Menschen-Stimme und Menschen-Rede: - die lautete also. + +"Zarathustra! Zarathustra! Rathe mein Räthsel! Sprich, sprich! Was ist +_die_Rache_am_Zeugen_? + +Ich locke dich zurück, hier ist glattes Eis! Sieh zu, sieh zu, ob dein +Stolz sich hier nicht die Beine bricht! + +Du dünkst dich weise, du stolzer Zarathustra! So rathe doch das +Räthsel, du harter Nüsseknacker, - das Räthsel, das ich bin! So sprich +doch - wer bin _ich_!" + +- Als aber Zarathustra diese Worte gehört hatte, - was glaubt ihr +wohl, dass sich da mit seiner Seele zutrug? Das Mitleiden fiel ihn an; +und er sank mit Einem Male nieder, wie ein Eichbaum, der lange vielen +Holzschlägern widerstanden hat, - schwer, plötzlich, zum Schrecken +selber für Die, welche ihn fällen wollten. Aber schon stand er wieder +vom Boden auf, und sein Antlitz wurde hart. + +"Ich erkenne dich wohl, sprach er mit einer erzenen Stimme: du bist +der Mörder Gottes! Lass mich gehn. + +Du _ertrugst_ Den nicht, der _dich_ sah, - der dich immer und durch +und durch sah, du hässlichster Mensch! Du nahmst Rache an diesem +Zeugen!" + +Also sprach Zarathustra und wollte davon; aber der Unaussprechliche +fasste nach einem Zipfel seines Gewandes und begann von Neuem zu +gurgeln und nach Worten zu suchen. "Bleib!" sagte er endlich - + +- "bleib! Geh nicht vorüber! Ich errieth, welche Axt dich zu Boden +schlug: Heil dir, oh Zarathustra, dass du wieder stehst! + +Du erriethest, ich weiss es gut, wie Dem zu Muthe ist, der ihn +tödtete, - dem Mörder Gottes. Bleib! Setze dich her zu mir, es ist +nicht umsonst. + +Zu wem wollte ich, wenn nicht zu dir? Bleib, setze dich! Blicke mich +aber nicht an! Ehre also - meine Hässlichkeit! + +Sie verfolgen mich: nun bist _du_ meine letzte Zuflucht. _Nicht_ mit +ihrem Hasse, _nicht_ mit ihren Häschern: - oh solcher Verfolgung würde +ich spotten und stolz und froh sein! + +War nicht aller Erfolg bisher bei den Gut-Verfolgten? Und wer gut +verfolgt, lernt leicht _folgen_: - ist er doch einmal - hinterher! +Aber ihr _Mitleid_ ist's - + +- ihr Mitleid ist's, vor dem ich flüchte und dir zuflüchte. Oh +Zarathustra, schütze mich, du meine letzte Zuflucht, du Einziger, der +mich errieth: + +- du erriethest, wie Dem zu Muthe ist, welcher _ihn_ tödtete. Bleib! +Und willst du gehn, du Ungeduldiger: geh nicht den Weg, den ich kam. +_Der_ Weg ist schlecht. + +Zürnst du mir, dass ich zu lange schon rede-rade-breche? Dass ich +schon dir rathe? Aber wisse, ich bin's, der hässlichste Mensch, + +- der auch die grössten schwersten Füsse hat. Wo _ich_ gieng, ist der +Weg schlecht. Ich trete alle Wege todt und zu Schanden. + +Dass du aber an mir vorübergiengst, schweigend; dass du erröthetest, +ich sah es wohl: daran erkannte ich dich als Zarathustra. + +Jedweder Andere hätte mir sein Almosen zugeworfen, sein Mitleiden, +mit Blick und Rede. Aber dazu - bin ich nicht Bettler genug, das +erriethest du - + +- dazu bin ich zu _reich_, reich an Grossem, an Furchtbarem, am +Hässlichsten, am Unaussprechlichsten! Deine Scham, oh Zarathustra, +_ehrte_ mich! + +Mit Noth kam ich heraus aus dem Gedräng der Mitleidigen, - dass ich +den Einzigen fände, der heute lehrt `Mitleiden ist zudringlich` - +dich, oh Zarathustra! + +- sei es eines Gottes, sei es der Menschen Mitleiden: Mitleiden geht +gegen die Scham. Und nicht-helfen-wollen kann vornehmer sein als jene +Tugend, die zuspringt. + +_Das_ aber heisst heute Tugend selber bei allen kleinen Leuten, das +Mitleiden: - die haben keine Ehrfurcht vor grossem Unglück, vor +grosser Hässlichkeit, vor grossem Missrathen. + +Über diese Alle blicke ich hinweg, wie ein Hund über die Rücken +wimmelnder Schafheerden wegblickt. Es sind kleine wohlwollige +wohlwillige graue Leute. + +Wie ein Reiher verachtend über flache Teiche wegblickt, mit +zurückgelegtem Kopfe: so blicke ich über das Gewimmel grauer kleiner +Wellen und Willen und Seelen weg. + +Zu lange hat man ihnen Recht gegeben, diesen kleinen Leuten: _so_ gab +man ihnen endlich auch die Macht - nun lehren sie: `gut ist nur, was +kleine Leute gut heissen.` + +Und `Wahrheit` heisst heute, was der Prediger sprach, der selber aus +ihnen herkam, jener wunderliche Heilige und Fürsprecher der kleinen +Leute, welcher von sich zeugte `ich - bin die Wahrheit.` + +Dieser Unbescheidne macht nun lange schon den kleinen Leuten den Kamm +hoch schwellen - er, der keinen kleinen Irrthum lehrte, als er lehrte +`ich - bin die Wahrheit.` + +Ward einem Unbescheidnen jemals höflicher geantwortet? - Du aber, oh +Zarathustra, giengst an ihm vorüber und sprachst: `Nein! Nein! Drei +Mal Nein!` + +Du warntest vor seinem Irrthum, du warntest als der Erste vor dem +Mitleiden - nicht Alle, nicht Keinen, sondern dich und deine Art. + +Du schämst dich an der Scham des grossen Leidenden; und wahrlich, wenn +du sprichst `von dem Mitleiden her kommt eine grosse Wolke, habt Acht, +ihr Menschen!` + +- wenn du lehrst `alle Schaffenden sind hart, alle grosse Liebe +ist über ihrem Mitleiden`: oh Zarathustra, wie gut dünkst du mich +eingelernt auf Wetter-Zeichen! + +Du selber aber - warne dich selber auch vor _deinem_ Mitleiden! +Denn Viele sind zu dir unterwegs, viele Leidende, Zweifelnde, +Verzweifelnde, Ertrinkende, Frierende - + +Ich warne dich auch vor mir. Du erriethest mein bestes, schlimmstes +Räthsel, mich selber und was ich that. Ich kenne die Axt, die dich +fällt. + +Aber er - _musste_ sterben: er sah mit Augen, welche _Alles_ sahn, - +er sah des Menschen Tiefen und Gründe, alle seine verhehlte Schmach +und Hässlichkeit. + +Sein Mitleiden kannte keine Scham: er kroch in meine schmutzigsten +Winkel. Dieser Neugierigste, Über-Zudringliche, Über-Mitleidige musste +sterben. + +Er sah immer _mich_: an einem solchen Zeugen wollte ich Rache haben - +oder selber nicht leben. + +Der Gott, der Alles sah, _auch_den_Menschen_ dieser Gott musste +sterben! Der Mensch _erträgt_ es nicht, dass solch ein Zeuge lebt." + +Also, sprach der hässlichste Mensch. Zarathustra aber erhob sich +und schickte sich an fortzugehn: denn ihn fröstelte bis in seine +Eingeweide. + +"Du Unaussprechlicher, sagte er, du warntest mich vor deinem Wege. +Zum Danke dafür lobe ich dir den meinen. Siehe, dort hinauf liegt die +Höhle Zarathustra's. + +Meine Höhle ist gross und tief und hat viele Winkel; da findet der +Versteckteste sein Versteck. Und dicht bei ihr sind hundert Schlüpfe +und Schliche für kriechendes, flatterndes und springendes Gethier. + +Du Ausgestossener, der du dich selber ausstiessest, du willst nicht +unter Menschen und Menschen-Mitleid wohnen? Wohlan, so thu's mir +gleich! So lernst du auch von mir; nur der Thäter lernt. + +Und rede zuerst und -nächst mit meinen Thieren! Das stolzeste Thier +und das klügste Thier - die möchten uns Beiden wohl die rechten +Rathgeber sein!" - - + +Also sprach Zarathustra und gieng seiner Wege, nachdenklicher und +langsamer noch als zuvor: denn er fragte sich Vieles und wusste sich +nicht leicht zu antworten. + +"Wie arm ist doch der Mensch! dachte er in seinem Herzen, wie +hässlich, wie röchelnd, wie voll verborgener Scham! + +Man sagt mir, dass der Mensch sich selber liebe: ach, wie gross muss +diese Selber-Liebe sein! Wie viel Verachtung hat sie wider sich! + +Auch dieser da liebte sich, wie er sich verachtete, - ein grosser +Liebender ist er mir und ein grosser Verächter. + +Keinen fand ich noch, der sich tiefer verachtet hätte: auch _Das_ ist +Höhe. Wehe, war _Der_ vielleicht der höhere Mensch, dessen Schrei ich +hörte? + +Ich liebe die grossen Verachtenden. Der Mensch aber ist Etwas, das +überwunden werden muss." - - + + + +Der freiwillige Bettler + +Als Zarathustra den hässlichsten Menschen verlassen hatte, fror ihn, +und er fühlte sich einsam: es gieng ihm nämlich vieles Kalte und +Einsame durch die Sinne, also, dass darob auch seine Glieder kälter +wurden. Indem er aber weiter und weiter stieg, hinauf, hinab, bald an +grünen Weiden vorbei, aber auch über wilde steinichte Lager, wo ehedem +wohl ein ungeduldiger Bach sich zu Bett gelegt hatte.- da wurde ihm +mit Einem Male wieder wärmer und herzlicher zu Sinne. + +"Was geschah mir doch? fragte er sich, etwas Warmes und Lebendiges +erquickt mich, das muss in meiner Nähe sein. + +Schon bin ich weniger allein; unbewusste Gefährten und Brüder +schweifen um mich, ihr warmer Athem rührt an meine Seele." + +Als er aber um sich spähete und nach den Tröstern seiner Einsamkeit +suchte: siehe, da waren es Kühe, welche auf einer Anhöhe bei einander +standen; deren Nähe und Geruch hatten sein Herz erwärmt. Diese Kühe +aber schienen mit Eifer einem Redenden zuzuhören und gaben nicht auf +Den Acht, der herankam. Wie aber Zarathustra ganz in ihrer Nähe war, +hörte er deutlich, dass eine Menschen-Stimme aus der Mitte der Kühe +heraus redete; und ersichtlich hatten sie allesammt ihre Köpfe dem +Redenden zugedreht. + +Da sprang Zarathustra mit Eifer hinauf und drängte die Thiere +auseinander, denn er fürchtete, dass hier jemandem ein Leids geschehn +sei, welchem schwerlich das Mitleid von Kühen abhelfen mochte. Aber +darin hatte er sich getäuscht; denn siehe, da sass ein Mensch auf der +Erde und schien den Thieren zuzureden, dass sie keine Scheu vor ihm +haben sollten, ein friedfertiger Mensch und Berg-Prediger, aus dessen +Augen die Güte selber predigte. "Was suchst du hier?" rief Zarathustra +mit Befremden. + +"Was ich hier suche? antwortete er: das Selbe, was du suchst, du +Störenfried! nämlich das Glück auf Erden. + +Dazu aber möchte ich von diesen Kühen lernen. Denn, weisst du wohl, +einen halben Morgen schon rede ich ihnen zu, und eben wollten sie mir +Bescheid geben. Warum doch störst du sie? + +So wir nicht umkehren und werden wie die Kühe, so kommen wir nicht +in das Himmelreich. Wir sollten ihnen nämlich Eins ablernen: das +Wiederkäuen. + +Und wahrlich, wenn der Mensch auch die ganze Welt gewönne und lernte +das Eine nicht, das Wiederkäuen: was hülfe es! Er würde nicht seine +Trübsal los + +- seine grosse Trübsal: die aber heisst heute _Ekel_. Wer hat heute +von Ekel nicht Herz, Mund und Augen voll? Auch du! Auch du! Aber siehe +doch diese Kühe an!" - + +Also sprach der Berg-Prediger und wandte dann seinen eignen Blick +Zarathustra zu, - denn bisher hieng er mit Liebe an den Kühen -: da +aber verwandelte er sich. "Wer ist das, mit dem ich rede? rief er +erschreckt und sprang vom Boden empor. + +Diess ist der Mensch ohne Ekel, diess ist Zarathustra selber, der +Überwinder des grossen Ekels, diess ist das Auge, diess ist der Mund, +diess ist das Herz Zarathustra's selber." + +Und indem er also sprach, küsste er Dem, zu welchem er redete, die +Hände, mit überströmenden Augen, und gebärdete sich ganz als Einer, +dem ein kostbares Geschenk und Kleinod unversehens vom Himmel fällt. +Die Kühe aber schauten dem Allen zu und wunderten sich. + +"Sprich nicht von mir, du Wunderlicher! Lieblicher! sagte Zarathustra +und wehrte seiner Zärtlichkeit, sprich mir erst von dir! Bist du nicht +der freiwillige Bettler, der einst einen grossen Reichthum von sich +warf, - + +- der sich seines Reichthums schämte und der Reichen, und zu den +Ärmsten floh, dass er ihnen seine Fülle und sein Herz schenke? Aber +sie nahmen ihn nicht an." + +"Aber sie nahmen mich nicht an, sagte der freiwillige Bettler, du +weisst es ja. So gieng ich endlich zu den Thieren und zu diesen +Kühen." + +"Da lerntest du, unterbrach Zarathustra den Redenden, wie es schwerer +ist, recht geben als recht nehmen, und dass gut schenken eine _Kunst_ +ist und die letzte listigste Meister-Kunst der Güte." + +"Sonderlich heutzutage, antwortete der freiwillige Bettler: heute +nämlich, wo alles Niedrige aufständisch ward und scheu und auf seine +Art hoffährtig: nämlich auf Pöbel-Art. + +Denn es kam die Stunde, du weisst es ja, für den grossen schlimmen +langen langsamen Pöbel- und Sklaven-Aufstand: der wächst und wächst! + +Nun empört die Niedrigen alles Wohlthun und kleine Weggeben; und die +Überreichen mögen auf der Hut sein! + +Wer heute gleich bauchichten Flaschen tröpfelt aus allzuschmalen +Hälsen: - solchen Flaschen bricht man heute gern den Hals. + +Lüsterne Gier, gallichter Neid, vergrämte Rachsucht, Pöbel-Stolz: das +sprang mir Alles in's Gesicht. Es ist nicht mehr wahr, dass die Armen +selig sind. Das Himmelreich aber ist bei den Kühen." + +Und warum ist es nicht bei den Reichen? fragte Zarathustra versuchend, +während er den Kühen wehrte, die den Friedfertigen zutraulich +anschnauften. + +"Was versuchst du mich? antwortete dieser. Du weisst es selber besser +noch als ich. Was trieb mich doch zu den Ärmsten, oh Zarathustra? War +es nicht der Ekel vor unsern Reichsten? + +- vor den Sträflingen des Reichthums, welche sich ihren Vortheil aus +jedem Kehricht auflesen, mit kalten Augen, geilen Gedanken, vor diesem +Gesindel, das gen Himmel stinkt, + +- vor diesem vergüldeten verfälschten Pöbel, dessen Väter Langfinger +oder Aasvögel oder Lumpensammler waren, mit Weibern willfährig, +lüstern, vergesslich: - sie haben's nämlich alle nicht weit zur Hure - + +Pöbel oben, Pöbel unten! Was ist heute noch `Arm` und `Reich`! Diesen +Unterschied verlernte ich, - da floh ich davon, weiter, immer weiter, +bis ich zu diesen Kühen kam." + +Also sprach der Friedfertige und schnaufte selber und schwitzte +bei seinen Worten: also dass die Kühe sich von Neuem wunderten. +Zarathustra aber sah ihm immer mit Lächeln in's Gesicht, als er so +hart redete, und schüttelte dazu schweigend den Kopf. + +"Du thust dir Gewalt an, du Berg-Prediger, wenn du solche harte Worte +brauchst. Für solche Härte wuchs dir nicht der Mund, nicht das Auge. + +Auch, wie mich dünkt, dein Magen selber nicht: _dem_ widersteht all +solches Zürnen und Hassen und Überschäumen. Dein Magen will sanftere +Dinge: du bist kein Fleischer. + +Vielmehr dünkst du mich ein Pflanzler und Wurzelmann. Vielleicht +malmst du Körner. Sicherlich aber bist du fleischlichen Freuden abhold +und liebst den Honig." + +"Du erriethst mich gut, antwortete der freiwillige Bettler, mit +erleichtertem Herzen. Ich liebe den Honig, ich malme auch Körner, denn +ich suchte, was lieblich mundet und reinen Athem macht: + +- auch was lange Zeit braucht, ein Tag- und Maul-Werk für sanfte +Müssiggänger und Tagediebe. + +Am weitesten freilich brachten es diese Kühe: die erfanden sich das +Wiederkäuen und In-der-Sonne-Liegen. Auch enthalten sie sich aller +schweren Gedanken, welche das Herz blähn." + +"- Wohlan! sagte Zarathustra: du solltest auch _meine_ Thiere sehn, +meinen Adler und meine Schlange, - ihres Gleichen giebt es heute nicht +auf Erden. + +Siehe, dorthin führt der Weg zu meiner Höhle: sei diese Nacht ihr +Gast. Und rede mit meinen Thieren vom Glück der Thiere, - + +- bis ich selber heimkomme. Denn jetzt ruft ein Nothschrei Mich +eilig weg von dir. Auch findest du neuen Honig bei mir, eisfrischen +Waben-Goldhonig: den iss! + +Jetzt aber nimm flugs Abschied von deinen Kühen, du Wunderlicher! +Lieblicher! ob es dir schon schwer werden mag. Denn es sind deine +wärmsten Freunde und Lehrmeister!" - + +"- Einen ausgenommen, den ich noch lieber habe, antwortete der +freiwillige Bettler. Du selber bist gut und besser noch als eine Kuh, +oh Zarathustra!" + +"Fort, fort mit dir! du arger Schmeichler! schrie Zarathustra mit +Bosheit, was verdirbst du mich mit solchem Lob und Schmeichel-Honig?" + +"Fort, fort von mir!" schrie er noch Ein Mal und schwang seinen Stock +nach dem zärtlichen Bettler: der aber lief hurtig davon. + + + +Der Schatten + +Kaum aber war der freiwillige Bettler davongelaufen und Zarathustra +wieder mit sich allein, da hörte er hinter sich eine neue Stimme: die +rief "Halt! Zarathustra! So warte doch! Ich bin's ja, oh Zarathustra, +ich, dein Schatten!" Aber Zarathustra wartete nicht, denn ein +plötzlicher Verdruss überkam ihn ob des vielen Zudrangs und Gedrängs +in seinen Bergen. "Wo ist meine Einsamkeit hin? sprach er. + +Es wird mir wahrlich zu viel; diess Gebirge wimmelt, mein Reich ist +nicht mehr von _dieser_ Welt, ich brauche neue Berge. + +Mein Schatten ruft mich? Was liegt an meinem Schatten! Mag er mir +nachlaufen! ich - laufe ihm davon." - + +Also sprach Zarathustra zu seinem Herzen und lief davon. Aber Der, +welcher hinter ihm war, folgte ihm nach: so dass alsbald drei Laufende +hinter einander her waren, nämlich voran der freiwillige Bettler, +dann Zarathustra und zudritt und -hinterst sein Schatten. Nicht lange +liefen sie so, da kam Zarathustra zur Besinnung über seine Thorheit +und schüttelte mit Einem Rucke allen Verdruss und Überdruss von sich. + +"Wie! sprach er, geschahen nicht von je die lächerlichsten Dinge bei +uns alten Einsiedlern und Heiligen? + +Wahrlich, meine Thorheit wuchs hoch in den Bergen! Nun höre ich sechs +alte Narren-Beine hinter einander her klappern! + +Darf aber Zarathustra sich wohl vor einem Schatten fürchten? Auch +dünkt mich zu guterletzt, dass er längere Beine hat als ich." + +Also sprach Zarathustra, lachend mit Augen und Eingeweiden, blieb +stehen und drehte sich schnell herum - und siehe, fast warf er dabei +seinen Nachfolger und Schatten zu Boden: so dicht schon folgte ihm +derselbe auf den Fersen, und so schwach war er auch. Als er ihn +nämlich mit Augen prüfte, erschrak er wie vor einem plötzlichen +Gespenste: so dünn, schwärzlich, hohl und überlebt sah dieser +Nachfolger aus. + +"Wer bist du? fragte Zarathustra heftig, was treibst du hier? Und +wesshalb heissest du dich meinen Schatten? Du gefällst mir nicht." + +"Vergieb mir, antwortete der Schatten, dass ich's bin; und wenn ich +dir nicht gefalle, wohlan, oh Zarathustra! darin lobe ich dich und +deinen guten Geschmack. + +Ein Wanderer bin ich, der viel schon hinter deinen Fersen her gieng: +immer unterwegs, aber ohne Ziel, auch ohne Heim: also dass mir +wahrlich wenig zum ewigen Juden fehlt, es sei denn, dass ich nicht +ewig, und auch nicht Jude bin. + +Wie? Muss ich immerdar unterwegs sein? Von jedem Winde gewirbelt, +unstät, fortgetrieben? Oh Erde, du wardst mir zu rund! + +Auf jeder Oberfläche sass ich schon, gleich müdem Staube schlief ich +ein auf Spiegeln und Fensterscheiben: Alles nimmt von mir, Nichts +giebt, ich werde dünn, - fast gleiche ich einem Schatten. + +Dir aber, oh Zarathustra, flog und zog ich am längsten nach, und, +verbarg ich mich schon vor dir, so war ich doch dein bester Schatten: +wo du nur gesessen hast, sass ich auch. + +Mit dir bin ich in fernsten, kältesten Welten umgegangen, einem +Gespenste gleich, das freiwillig über Winterdächer und Schnee läuft. + +Mit dir strebte ich in jedes Verbotene, Schlimmste, Fernste: und wenn +irgend Etwas an mir Tugend ist, so ist es, dass ich vor keinem Verbote +Furcht hatte. + +Mit dir zerbrach ich, was je mein Herz verehrte, alle Grenzsteine +und Bilder warf ich um, den gefährlichsten Wünschen lief ich nach, - +wahrlich, über jedwedes Verbrechen lief ich einmal hinweg. + +Mit dir verlernte ich den Glauben an Worte und Werthe und grosse +Namen. Wenn der Teufel sich häutet, fällt da nicht auch sein Name ab? +der ist nämlich auch Haut. Der Teufel selber ist vielleicht - Haut. + +`Nichts ist wahr, Alles ist erlaubt`: so sprach ich mir zu. In die +kältesten Wasser stürzte ich mich, mit Kopf und Herzen. Ach, wie oft +stand ich darob nackt als rother Krebs da! + +Ach, wohin kam mir alles Gute und alle Scham und aller Glaube an die +Guten! Ach, wohin ist jene verlogne Unschuld, die ich einst besass, +die Unschuld der Guten und ihrer edlen Lügen! + +Zu oft, wahrlich, folgte ich der Wahrheit dicht auf dem Fusse: da trat +sie mir vor den Kopf. Manchmal meinte ich zu lügen, und siehe! da erst +traf ich - die Wahrheit. + +Zu Viel klärte sich mir auf: nun geht es mich Nichts mehr an. Nichts +lebt mehr, das ich liebe, - wie sollte ich noch mich selber lieben? + +`Leben, wie ich Lust habe, oder gar nicht leben`: so will ich's, so +will's auch der Heiligste. Aber, wehe! wie habe _ich_ noch - Lust? + +Habe _ich_ - noch ein Ziel? Einen Hafen, nach dem _mein_ Segel läuft? + +Einen guten Wind? Ach, nur wer weiss, _wohin_ er fährt, weiss auch, +welcher Wind gut und sein Fahrwind ist. + +Was blieb mir noch zurück? Ein Herz müde und frech; ein unstäter +Wille; Flatter-Flügel; ein zerbrochnes Rückgrat. + +Diess Suchen nach _meinem_ Heim: oh Zarathustra, weisst du wohl, diess +Suchen war _meine_ Heimsuchung, es frisst mich auf. + +`Wo ist - _mein_ Heim?` Darnach frage und suche und suchte ich, das +fand ich nicht. Oh ewiges Überall, oh ewiges Nirgendwo, oh ewiges - +Umsonst!" + +Also sprach der Schatten, und Zarathustra's Gesicht verlängerte sich +bei seinen Worten. "Du bist mein Schatten! sagte er endlich, mit +Traurigkeit. + +Deine Gefahr ist keine kleine, du freier Geist und Wanderer! Du +hast einen schlimmen Tag gehabt: sieh zu, dass dir nicht noch ein +schlimmerer Abend kommt! + +Solchen Unstäten, wie du, dünkt zuletzt auch ein Gefängniss selig. +Sahst du je, wie eingefangne Verbrecher schlafen? Sie schlafen ruhig, +sie gemessen ihre neue Sicherheit. + +Hüte dich, dass dich nicht am Ende noch ein enger Glaube einfängt, +ein harter, strenger Wahn! Dich nämlich verführt und versucht nunmehr +Jegliches, das eng und fest ist. + +Du hast das Ziel verloren: wehe, wie wirst du diesen Verlust +verscherzen und verschmerzen? Damit - hast du auch den Weg verloren! + +Du armer Schweifender, Schwärmender, du müder Schmetterling! willst du +diesen Abend eine Rast und Heimstätte haben? So gehe hinauf zu meiner +Höhle! + +Dorthin führt der Weg zu meiner Höhle. Und jetzo will ich Schnell +wieder von dir davonlaufen. Schon liegt es wie ein Schatten auf mir. + +Ich will allein laufen, dass es wieder hell um mich werde. Dazu muss +ich noch lange lustig auf den Beinen sein. Des Abends aber wird bei +mir - getanzt!" - - + +Also sprach Zarathustra. + + + +Mittags + +- Und Zarathustra lief und lief und fand Niemanden mehr und war allein +und fand immer wieder sich und genoss und schlürfte seine Einsamkeit +und dachte an gute Dinge, - stundenlang. Um die Stunde des Mittags +aber, als die Sonne gerade über Zarathustra's Haupte stand, kam er an +einem alten krummen und knorrichten Baume vorbei, der von der reichen +Liebe eines Weinstocks rings umarmt und vor sich selber verborgen war: +von dem hiengen gelbe Trauben in Fülle dem Wandernden entgegen. Da +gelüstete ihn, einen kleinen Durst zu löschen und sich eine Traube +abzubrechen; als er aber schon den Arm dazu ausstreckte, da +gelüstete ihn etwas Anderes noch mehr: nämlich sich neben den Baum +niederzulegen, um die Stunde des vollkommnen Mittags, und zu schlafen. + +Diess that Zarathustra; und sobald er auf dem Boden lag, in der +Stille und Heimlichkeit des bunten Grases, hatte er auch schon seinen +kleinen Durst vergessen und schlief ein. Denn, wie das Sprichwort +Zarathustra's sagt: Eins ist nothwendiger als das Andre. Nur dass +seine Augen offen blieben: - sie wurden nämlich nicht satt, den Baum +und die Liebe des Weinstocks zu sehn und zu preisen. Im Einschlafen +aber sprach Zarathustra also zu seinem Herzen: + +Still! Still! Ward die Welt nicht eben vollkommen? Was geschieht mir +doch? + +Wie ein zierlicher Wind, ungesehn, auf getäfeltem Meere tanzt, leicht, +federleicht: so - tanzt der Schlaf auf mir, + +Kein Auge drückt er mir zu, die Seele lässt er mir wach. Leicht ist +er, wahrlich! federleicht. + +Er überredet mich, ich weiss nicht wie?, er betupft mich innewendig +mit schmeichelnder Hand, er zwingt mich. Ja, er zwingt mich, dass +meine Seele sich ausstreckt: - + +- wie sie mir lang und müde wird, meine wunderliche Seele! Kam ihr +eines siebenten Tages Abend gerade am Mittage? Wandelte sie zu lange +schon selig zwischen guten und reifen Dingen? + +Sie streckt sich lang aus, lang, - länger! sie liegt stille, meine +wunderliche Seele. Zu viel Gutes hat sie schon geschmeckt, diese. +goldene Traurigkeit drückt sie, sie verzieht den Mund. + +- Wie ein Schiff, das in seine stillste Bucht einlief: - nun lehnt es +sich an die Erde, der langen Reisen müde und der ungewissen Meere. Ist +die Erde nicht treuer? + +Wie solch ein Schiff sich dem Lande anlegt, anschmiegt: - da genügt's, +dass eine Spinne vom Lande her zu ihm ihren Faden spinnt. Keiner +stärkeren Taue bedarf es da. + +Wie solch ein müdes Schiff in der stillsten Bucht: so ruhe auch ich +nun der Erde nahe, treu, zutrauend, wartend, mit den leisesten Fäden +ihr angebunden. + +Oh Glück! Oh Glück! Willst du wohl singen, oh meine Seele? Du liegst +im Grase. Aber das ist die heimliche feierliche Stunde, wo kein Hirt +seine Flöte bläst. + +Scheue dich! Heisser Mittag schläft auf den Fluren. Singe. nicht! +Still! Die Welt ist vollkommen. + +Singe nicht, du Gras-Geflügel, oh meine Seele! Flüstere nicht einmal! +Sieh doch - still! der alte Mittag schläft, er bewegt den Mund: trinkt +er nicht eben einen Tropfen Glücks - + +- einen alten braunen Tropfen goldenen Glücks, goldenen Weins? Es +huscht über ihn hin, sein Glück lacht. So - lacht ein Gott. Still! - + +- "Zum Glück, wie wenig genügt schon zum Glücke!" So sprach ich einst, +und dünkte mich klug. Aber es war eine Lästerung: _das_ lernte ich +nun. Kluge Narrn reden besser. + +Das Wenigste gerade, das Leiseste, Leichteste, einer Eidechse +Rascheln, ein Hauch, ein Husch, ein Augen-Blidk - _Wenig_ macht die +Art des _besten_ Glücks. Still! + +- Was geschah mir: Horch! Flog die Zeit wohl davon? Falle ich nicht? +Fiel ich nicht - horch! in den Brunnen der Ewigkeit? + +- Was geschieht mir? Still! Es sticht mich - wehe - in's Herz? In's +Herz! Oh zerbrich, zerbrich, Herz, nach solchem Glücke, nach solchem +Stiche! + +- Wie? Ward die Welt nicht eben vollkommen? Rund und reif? Oh des +goldenen runden Reifs - wohin fliegt er wohl? Laufe ich ihm nach! +Husch! + +Still - - (und hier dehnte sich Zarathustra und fühlte, dass er +schlafe.) - + +Auf! sprach er zu sich selber, du Schläfer! Du Mittagsschläfer! +Wohlan, wohlauf, ihr alten Beine! Zeit ist's und Überzeit, manch gut +Stück Wegs blieb euch noch zurück - + +Nun schlieft ihr euch aus, wie lange doch? Eine halbe Ewigkeit! +Wohlan, wohlauf nun, mein altes Herz! Wie lange erst darfst du nach +solchem Schlaf - dich auswachen? + +(Aber da schlief er schon von Neuem ein, und seine Seele sprach gegen +ihn und wehrte sich und legte sich wieder hin) - "Lass mich doch! +Still! Ward nicht die Welt eben vollkommen? Oh des goldnen runden +Balls!" - + +"Steh auf, sprach Zarathustra, du kleine Diebin, du Tagediebin! Wie? +Immer noch sich strecken, gähnen, seufzen, hinunterfallen in tiefe +Brunnen? + +Wer bist du doch! Oh meine Seele!" (und hier erschrak er, denn ein +Sonnenstrahl fiel vom Himmel herunter auf sein Gesicht) + +"Oh Himmel über mir, sprach er seufzend und setzte sich aufrecht, du +schaust mir zu? Du horchst meiner wunderlichen Seele zu? + +Wann trinkst du diesen Tropfen Thau's, der auf alle Erden-Dinge +niederfiel, - wann trinkst du diese wunderliche Seele - + +- wann, Brunnen der Ewigkeit! du heiterer schauerlicher +Mittags-Abgrund! wann trinkst du meine Seele in dich zurück?" + +Also sprach Zarathustra und erhob sich von seinem Lager am Baume wie +aus einer fremden Trunkenheit: und siehe, da stand die Sonne immer +noch gerade über seinem Haupte. Es möchte aber Einer daraus mit Recht +abnehmen, dass Zarathustra damals nicht lange geschlafen habe. + + + +Die Begrüssung + +Am späten Nachmittage war es erst, dass Zarathustra, nach langem +umsonstigen Suchen und Umherstreifen, wieder zu seiner Höhle heimkam. +Als er aber derselben gegenüberstand, nicht zwanzig Schritt mehr von +ihr ferne, da geschah das, was er jetzt am wenigsten erwartete: von +Neuem hörte er den grossen _Nothschrei_. Und, erstaunlich! diess +Mal kam derselbige aus seiner eignen Höhle. Es war aber ein langer +vielfältiger seltsamer Schrei, und Zarathustra unterschied deutlich, +dass er sich aus vielen Stimmen zusammensetze: mochte er schon, aus +der Ferne gehört, gleich dem Schrei aus einem einzigen Munde klingen. + +Da sprang Zarathustra auf seine Höhle zu, und siehe! welches +Schauspiel erwartete ihn erst nach diesem Hörspiele! Denn da sassen +sie allesammt bei einander, an denen er des Tags vorübergegangen war: +der König zur Rechten und der König zur Linken, der alte Zauberer, +der Papst, der freiwillige Bettler, der Schatten, der Gewissenhafte +des Geistes, der traurige Wahrsager und der Esel; der hässlichste +Mensch aber hatte sich eine Krone aufgesetzt und zwei Purpurgürtel +umgeschlungen, - denn er liebte es, gleich allen Hässlichen, sich +zu verkleiden und schön zu thun. Inmitten aber dieser betrübten +Gesellschaft stand der Adler Zarathustra's, gesträubt und unruhig, +denn er sollte auf zu Vieles antworten, wofür sein Stolz keine Antwort +hatte; die kluge Schlange aber hieng um seinen Hals. + +Diess Alles schaute Zarathustra mit grosser Verwunderung; dann prüfte +er jeden Einzelnen seiner Gäste mit leutseliger Neugierde, las ihre +Seelen ab und wunderte sich von Neuem. Inzwischen hatten sich die +Versammelten von ihren Sitzen erhoben und warteten mit Ehrfurcht, dass +Zarathustra reden werde. Zarathustra aber sprach also: + +"Ihr Verzweifelnden! Ihr Wunderlichen! Ich hörte also _euren_ +Nothschrei? Und nun weiss ich auch, wo Der zu suchen ist, den ich +umsonst heute suchte: der höhere Mensch -: + +- in meiner eignen Höhle sitzt er, der höhere Mensch! Aber was wundere +ich mich! Habe ich ihn nicht selber zu mir gelockt durch Honig-Opfer +und listige Lockrufe meines Glücks? + +Doch dünkt mir, ihr taugt euch schlecht zur Gesellschaft, ihr macht +einander das Herz unwirsch, ihr Nothschreienden, wenn ihr hier +beisammen sitzt? Es muss erst Einer kommen, + +- Einer, der euch wieder lachen macht, ein guter fröhlicher Hanswurst, +ein Tänzer und Wind und Wildfang, irgend ein alter Narr: - was dünket +euch? + +Vergebt mir doch, ihr Verzweifelnden, dass ich vor euch mit solch +kleinen Worten rede, unwürdig, wahrlich!, solcher Gäste! Aber ihr +errathet nicht, _was_ mein Herz muthwillig macht: - + +- ihr selber thut es und euer Anblick, vergebt es mir! Jeder nämlich +wird muthig, der einem Verzweifelnden zuschaut. Einem Verzweifelnden +zuzusprechen - dazu dünkt sich jeder stark genug. + +Mir selber gabt ihr diese Kraft, - eine gute Gabe, meine hohen Gäste! +Ein rechtschaffnes Gastgeschenk! Wohlan, so zürnt nun nicht, dass ich +euch auch vom Meinigen anbiete. + +Diess hier ist mein Reich und meine Herrschaft: was aber mein ist, für +diesen Abend und diese Nacht soll es euer sein. Meine Thiere sollen +euch dienen: meine Höhle sei eure Ruhestatt! + +Bei mir zu Heim-und-Hause soll Keiner verzweifeln, in meinem Reviere +schütze ich jeden vor seinen wilden Thieren. Und das ist das Erste, +was ich euch anbiete: Sicherheit! + +Das Zweite aber ist: mein kleiner Finger. Und habt ihr _den_ erst, so +nehmt nur noch die ganze Hand, wohlan! und das Herz dazu! Willkommen +hier, willkommen, meine Gastfreunde!" + +Also sprach Zarathustra und lachte vor Liebe und Bosheit. Nach +dieser Begrüssung verneigten sich seine Gäste abermals und schwiegen +ehrfürchtig; der König zur Rechten aber antwortete ihm in ihrem Namen. + +"Daran, oh Zarathustra, wie du uns Hand und Gruss botest, erkennen wir +dich als Zarathustra. Du erniedrigtest dich vor uns; fast thatest du +unserer Ehrfurcht wehe -: + +- wer aber vermochte gleich dir sich mit solchem Stolze zu +erniedrigen? _Das_ richtet uns selber auf, ein Labsal ist es unsern +Augen und Herzen. + +Diess allein nur zu schaun, stiegen gern wir auf höhere Berge, als +dieser Berg ist. Als Schaulustige nämlich kamen wir, wir wollten sehn, +was trübe Augen hell macht. + +Und siehe, schon ist es vorbei mit allem unsern Nothschrein. Schon +steht Sinn und Herz uns offen und ist entzückt. Wenig fehlt: und unser +Muth wird muthwillig. + +Nichts, oh Zarathustra, wächst Erfreulicheres auf Erden, als ein hoher +starker Wille: der ist ihr schönstes Gewächs. Eine ganze Landschaft +erquickt sich an Einem solchen Baume. + +Der Pinie vergleiche ich, wer gleich dir, oh Zarathustra, aufwächst: +lang, schweigend, hart, allein, besten biegsamsten Holzes, herrlich, - + +- zuletzt aber hinausgreifend mit starken grünen Ästen nach _seiner_ +Herrschaft, starke Fragen fragend vor Winden und Wettern und was immer +auf Höhen heimisch ist, + +- stärker antwortend, ein Befehlender, ein Siegreicher: oh wer sollte +nicht, solche Gewächse zu schaun, auf hohe Berge steigen? + +Deines Baumes hier, oh Zarathustra, erlabt sich auch der Düstere, der +Missrathene, an deinem Anblicke wird auch der Unstäte sicher und heilt +sein Herz. + +Und wahrlich, zu deinem Berge und Baume richten sich heute viele +Augen; eine grosse Sehnsucht hat sich aufgemacht, und Manche lernten +fragen: wer ist Zarathustra? + +Und wem du jemals dein Lied und deinen Honig in's Ohr geträufelt: alle +die Versteckten, die Einsiedler, die Zweisiedler sprachen mit Einem +Male zu ihrem Herzen: + +`Lebt Zarathustra noch? Es lohnt sich nicht mehr zu leben, Alles ist +gleich, Alles ist umsonst: oder - wir müssen mit Zarathustra leben!` + +`Warum kommt er nicht, der sich so lange ankündigte? also fragen +Viele; verschlang ihn die Einsamkeit? Oder sollen wir wohl zu ihm +kommen?` + +Nun geschieht's, dass die Einsamkeit selber mürbe wird und zerbricht, +einem Grabe gleich, das zerbricht und seine Todten nicht mehr halten +kann. Überall sieht man Auferstandene. + +Nun steigen und steigen die Wellen um deinen Berg, oh Zarathustra. Und +wie hoch auch deine Höhe ist, Viele müssen zu dir hinauf; dein Nachen +soll nicht lange mehr im Trocknen sitzen. + +Und dass wir Verzweifelnde jetzt in deine Höhle kamen und schon nicht +mehr verzweifeln: ein Wahr- und Vorzeichen ist es nur, davon, dass +Bessere zu dir unterwegs sind, - + +- denn er selber ist zu dir unterwegs, der letzte Rest Gottes unter +Menschen, das ist: alle die Menschen der grossen Sehnsucht, des +grossen Ekels, des grossen Überdrusses, + +- Alle, die nicht leben wollen, oder sie lernen wieder _hoffen_ - oder +sie lernen von dir, oh Zarathustra, die _grosse_ Hoffnung!" + +Also sprach der König zur Rechten und ergriff die Hand Zarathustra's, +um sie zu küssen; aber Zarathustra wehrte seiner Verehrung und trat +erschreckt zurück, schweigend und plötzlich wie in weite Fernen +entfliehend. Nach einer kleinen Weile aber war er schon wieder bei +seinen Gästen, blickte sie mit hellen, prüfenden Augen an und sprach: + +Meine Gäste, ihr höheren Menschen, ich will deutsch und deutlich mit +euch reden. Nicht auf _euch_ wartete ich hier in diesen Bergen. + +("Deutsch und deutlich? Dass Gott erbarm! sagte hier der König zur +Linken, bei Seite; man merkt, er kennt die lieben Deutschen nicht, +dieser Weise aus dem Morgenlande! + +Aber er meint `deutsch und derb` - wohlan! Das ist heutzutage noch +nicht der schlimmste Geschmack!") + +"Ihr mögt wahrlich insgesammt höhere Menschen sein, fuhr Zarathustra +fort: aber für mich - seid ihr nicht hoch und stark genug. + +Für mich, das heisst: für das Unerbittliche, das in mir schweigt, aber +nicht immer schweigen wird. Und gehört ihr zu mir, so doch nicht als +mein rechter Arm. + +Wer nämlich selber auf kranken und zarten Beinen steht, gleich +euch, der will vor Allem, ob er's weiss oder sich verbirgt: dass er +_geschont_ werde. + +Meine Arme und meine Beine aber schone ich nicht, ich schone meine +Krieger nicht: wieso könntet ihr zu _meinem_ Kriege taugen? + +Mit euch verdürbe ich mir jeden Sieg noch. Und Mancher von euch fiele +schon um, wenn er nur den lauten Schall meiner Trommeln hörte. + +Auch seid ihr mir nicht schön genug und wohlgeboren. Ich brauche reine +glatte Spiegel für meine Lehren; auf eurer Oberfläche verzerrt sich +noch mein eignes Bildniss. + +Eure Schultern drückt manche Last, manche Erinnerung; manch schlimmer +Zwerg hockt in euren Winkeln. Es giebt verborgenen Pöbel auch in euch. + +Und seid ihr auch hoch und höherer Art: Vieles an euch ist krumm und +missgestalt. Da ist kein Schmied in der Welt, der euch mir zurecht und +gerade schlüge. + +Ihr seid nur Brücken: mögen Höhere auf euch hinüber schreiten! Ihr +bedeutet Stufen: so zürnt Dem nicht, der über euch hinweg in _seine_ +Höhe steigt! + +Aus eurem Samen mag auch mir einst ein ächter Sohn und vollkommener +Erbe wachsen: aber das ist ferne. Ihr selber seid Die nicht, welchen +mein Erbgut und Name zugehört. + +Nicht auf euch warte ich hier in diesen Bergen, nicht mit euch darf +ich zum letzten Male niedersteigen. Als Vorzeichen kamt ihr mir nur, +dass schon Höhere zu mir unterwegs sind, - + +- _nicht_ die Menschen der grossen Sehnsucht, des grossen Ekels, des +grossen Überdrusses und Das, was ihr den Überrest Gottes nanntet. + +- Nein! Nein! Drei Mal Nein! Auf _Andere_ warte ich hier in diesen +Bergen und will meinen Fuss nicht ohne sie von dannen heben, + +- auf Höhere, Stärkere, Sieghaftere, Wohlgemuthere, Solche, die +rechtwinklig gebaut sind an Leib und Seele: _lachende_Löwen_ müssen +kommen! + +Oh, meine Gastfreunde, ihr Wunderlichen, - hörtet ihr noch Nichts von +meinen Kindern? Und dass sie zu mir unterwegs sind? + +Sprecht mir doch von meinen Gärten, von meinen glückseligen Inseln, +von meiner neuen schönen Art, - warum sprecht ihr mir nicht davon? + +Diess Gastgeschenk erbitte ich mir von eurer Liebe, dass ihr mir von +meinen Kindern sprecht. Hierzu bin ich reich, hierzu ward ich arm: was +gab ich nicht hin, + +- was gäbe ich nicht hin, dass ich Eins hätte: _diese_ Kinder, _diese_ +lebendige Pflanzung, _diese_ Lebensbäume meines Willens und meiner +höchsten Hoffnung!" + +Also sprach Zarathustra und hielt plötzlich inne in seiner Rede: denn +ihn überfiel seine Sehnsucht, und er schloss Augen und Mund vor der +Bewegung seines Herzens. Und auch alle seine Gäste schwiegen und +standen still und bestürzt: nur dass der alte Wahrsager mit Händen und +Gebärden Zeichen gab. + + + +Das Abendmahl + +An dieser Stelle nämlich unterbrach der Wahrsager die Begrüssung +Zarathustra's und seiner Gäste: er drängte sich vor, wie Einer, der +keine Zeit zu verlieren hat, fasste die Hand Zarathustra's und rief: +"Aber Zarathustra! + +Eins ist nothwendiger als das Andre, so redest du selber: wohlan, Eins +ist _mir_ jetzt nothwendiger als alles Andere. + +Ein Wort zur rechten Zeit: hast du mich nicht zum _Mahle_ eingeladen? +Und hier sind viele, die lange Wege machten. Du willst uns doch nicht +mit Reden abspeisen? + +Auch gedachtet ihr Alle mir schon zu viel des Erfrierens, Ertrinkens, +Erstickens und andrer Leibes-Nothstände: Keiner aber gedachte _meines_ +Nothstandes, nämlich des Verhungerns -" + +(Also sprach der Wahrsager; wie die Thiere Zarathustra's aber diese +Worte hörten, liefen sie vor Schrecken davon. Denn sie sahen, dass +was sie auch am Tage heimgebracht hatten, nicht genug sein werde, den +Einen Wahrsager zu stopfen.) + +"Eingerechnet das Verdursten, fuhr der Wahrsager fort. Und ob ich +schon Wasser hier plätschern höre, gleich Reden der Weisheit, nämlich +reichlich und unermüdlich: ich - will _Wein_! + +Nicht jeder ist gleich Zarathustra ein geborner Wassertrinker. Wasser +taugt auch nicht für Müde und Verwelkte: _uns_ gebührt Wein, - _der_ +erst giebt plötzliches Genesen und stegreife Gesundheit!" + +Bei dieser Gelegenheit, da der Wahrsager nach Wein begehrte, geschah +es, dass auch der König zur Linken, der Schweigsame, einmal zu Worte +kam. "Für Wein, sprach er, trugen _wir_ Sorge, ich sammt meinem +Bruder, dem Könige zur Rechten: wir haben Weins genug, - einen ganzen +Esel voll. So fehlt Nichts als Brod." + +"Brod? entgegnete Zarathustra und lachte dazu. Nur gerade Brod haben +Einsiedler nicht. Aber der Mensch lebt nicht vom Brod allein, sondern +auch vom Fleische guter Lämmer, deren ich zwei habe: + +- _Die_ soll man geschwinde schlachten und würzig, mit Salbei, +zubereiten: so liebe ich's. Und auch an Wurzeln und Früchten fehlt es +nicht, gut genug selbst für Lecker- und Schmeckerlinge; noch an Nüssen +und andern Räthseln zum Knacken. + +Also wollen wir in Kürze eine gute Mahlzeit machen. Wer aber mit essen +will, muss auch mit Hand anlegen, auch die Könige. Bei Zarathustra +nämlich darf auch ein König Koch sein." + +Mit diesem Vorschlage war Allen nach dem Herzen geredet: nur dass der +freiwillige Bettler sich gegen Fleisch und Wein und Würzen sträubte. + +"Nun hört mir doch diesen Schlemmer Zarathustra! sagte er scherzhaft: +geht man dazu in Höhlen und Hoch-Gebirge, dass man solche Mahlzeiten +macht? + +Nun freilich verstehe ich, was er einst uns lehrte: `Gelobt sei die +kleine Armuth!` Und warum er die Bettler abschaffen will." + +"Sei guter Dinge, antwortete ihm Zarathustra, wie ich es bin. Bleibe +bei deiner Sitte, du Trefflicher, malme deine Körner, trink dein +Wasser, lobe deine Küche: wenn sie dich nur fröhlich macht! + +Ich bin ein Gesetz nur für die Meinen, ich bin kein Gesetz für Alle. +Wer aber zu mir gehört, der muss von starken Knochen sein, auch von +leichten Füssen, - + +- lustig zu Kriegen und Festen, kein Düsterling, kein Traum-Hans, +bereit zum Schwersten wie zu seinem Feste, gesund und heil. + +Das Beste gehört den Meinen und mir; und giebt man's uns nicht, so +nehmen wir's: - die beste Nahrung, den reinsten Himmel, die stärksten +Gedanken, die schönsten Fraun!" - + +Also sprach Zarathustra; der König zur Rechten aber entgegnete: +"Seltsam! Vernahm man je solche kluge Dinge aus dem Munde eines +Weisen? + +Und wahrlich, das ist das Seltsamste an einem Weisen, wenn er zu +alledem auch noch klug und kein Esel ist." + +Also sprach der König zur Rechten und wunderte sich; der Esel aber +sagte zu seiner Rede mit bösem Willen I-A. Diess aber war der +Anfang von jener langen Mahlzeit, welche "das Abendmahl" in den +Historien-Büchern genannt wird. Bei derselben aber wurde von nichts +Anderem geredet als _vom_höheren_Menschen_. + + + +Vom höheren Menschen + +1. + +Als ich zum ersten Male zu den Menschen kam, da that ich die +Einsiedler-Thorheit, die grosse Thorheit: ich stellte mich auf den +Markt. + +Und als ich zu Allen redete, redete ich zu Keinem. Des Abends aber +waren Seiltänzer meine Genossen, und Leichname; und ich selber fast +ein Leichnam. + +Mit dem neuen Morgen aber kam mir eine neue Wahrheit: da lernte ich +sprechen "Was geht mich Markt und Pöbel und Pöbel-Lärm und lange +Pöbel-Ohren an!" + +Ihr höheren Menschen, Diess lernt von mir: auf dem Markt glaubt +Niemand an höhere Menschen. Und wollt ihr dort reden, wohlan! Der +Pöbel aber blinzelt "wir sind Alle gleich." + +"Ihr höheren Menschen, - so blinzelt der Pöbel - es giebt keine +höheren Menschen, wir sind Alle gleich, Mensch ist Mensch, vor Gott - +sind wir Alle gleich!" + +Vor Gott! - Nun aber starb dieser Gott. Vor dem Pöbel aber wollen wir +nicht gleich sein. Ihr höheren Menschen, geht weg vom Markt! + + +2. + +Vor Gott! - Nun aber starb dieser Gott! Ihr höheren Menschen, dieser +Gott war eure grösste Gefahr. + +Seit er im Grabe liegt, seid ihr erst wieder auferstanden. Nun erst +kommt der grosse Mittag, nun erst wird der höhere Mensch - Herr! + +Verstandet ihr diess Wort, oh meine Brüder? Ihr seid erschreckt: wird +euren Herzen schwindlig? Klafft euch hier der Abgrund? Kläfft euch +hier der Höllenhund? + +Wohlan! Wohlauf! Ihr höheren Menschen! Nun erst kreisst der Berg der +Menschen-Zukunft. Gott starb: nun wollen _wir_, - dass der Übermensch +lebe. + + +3. + +Die Sorglichsten fragen heute: "wie bleibt der Mensch erhalten?" +Zarathustra aber fragt als der Einzige und Erste: "wie wird der Mensch +_überwunden_?" + +Der Übermensch liegt mir am Herzen, _der_ ist mein Erstes und +Einziges, - und _nicht_ der Mensch: nicht der Nächste, nicht der +Ärmste, nicht der Leidendste, nicht der Beste - + +Oh meine Brüder, was ich lieben kann am Menschen, das ist, dass er ein +Übergang ist und ein Untergang. Und auch an euch ist vieles, das mich +lieben und hoffen macht. + +Dass ihr verachtetet, ihr höheren Menschen, das macht mich hoffen. Die +grossen Verachtenden nämlich sind die grossen Verehrenden. + +Dass ihr verzweifeltet, daran ist Viel zu ehren. Denn ihr lerntet +nicht, wie ihr euch ergäbet, ihr lerntet die kleinen Klugheiten nicht. + +Heute nämlich wurden die kleinen Leute Herr: die predigen Alle +Ergebung und Bescheidung und Klugheit und Fleiss und Rücksicht und das +lange Und-so-weiter der kleinen Tugenden. + +Was von Weibsart ist, was von Knechtsart stammt und sonderlich der +Pöbel-Mischmasch: _Das_ will nun Herr werden alles Menschen-Schicksals +- oh Ekel! Ekel! Ekel! + +_Das_ frägt und frägt und wird nicht müde: "Wie erhält sich der +Mensch, am besten, am längsten, am angenehmsten?" Damit - sind sie die +Herrn von Heute. + +Diese Herrn von Heute überwindet mir, oh meine Brüder, - diese kleinen +Leute: _die_ sind des Übermenschen grösste Gefahr! + +Überwindet mir, ihr höheren Menschen, die kleinen Tugenden, die +kleinen Klugheiten, die Sandkorn-Rücksichten, den Ameisen-Kribbelkram, +das erbärmliche Behagen, das "Glück der Meisten" -! + +Und lieber verzweifelt, als dass ihr euch ergebt. Und, wahrlich, ich +liebe euch dafür, dass ihr heute nicht zu leben wisst, ihr höheren +Menschen! So nämlich lebt _ihr_ - am Besten! + + +4. + +Habt ihr Muth, oh meine Brüder? Seid ihr herzhaft? _Nicht_ Muth vor +Zeugen, sondern Einsiedler- und Adler-Muth, dem auch kein Gott mehr +zusieht? + +Kalte Seelen, Maulthiere, Blinde, Trunkene heissen mir nicht herzhaft. +Herz hat, wer Furcht kennt, aber Furcht _zwingt_, er den Abgrund +sieht, aber mit _Stolz_. + +Wer den Abgrund sieht, aber mit Adlers-Augen, wer mit Adlers-Krallen +den Abgrund _fasst_: Der hat Muth. - - + + +5. + +"Der Mensch ist böse" - so sprachen mir zum Troste alle Weisesten. +Ach, wenn es heute nur noch wahr ist! Denn das Böse ist des Menschen +beste Kraft. + +"Der Mensch muss besser und böser werden" - so lehre _ich_. Das +Böseste ist nöthig zu des Übermenschen Bestem. + +Das mochte gut sein für jenen Prediger der kleinen Leute, dass er litt +und trug an des Menschen Sünde. Ich aber erfreue mich der grossen +Sünde als meines grossen _Trostes_. - + +Solches ist aber nicht für lange Ohren gesagt. Jedwedes Wort gehört +auch nicht in jedes Maul. Das sind feine ferne Dinge: nach denen +sollen nicht Schafs-Klauen greifen! + + +6. + +Ihr höheren Menschen, meint ihr, ich sei da, gut zu machen, was ihr +schlecht machtet? + +Oder ich wollte fürderhin euch Leidende bequemer betten? Oder euch +Unstäten, Verirrten, Verkletterten neue leichtere Fusssteige zeigen? + +Nein! Nein! Drei Mal Nein! Immer Mehr, immer Bessere eurer Art sollen +zu Grunde gehn, - denn ihr sollt es immer schlimmer und härter haben. +So allein - + +- so allein wächst der Mensch in _die_ Höhe, wo der Blitz ihn trifft +und zerbricht: hoch genug für den Blitz! + +Auf Weniges, auf Langes, auf Fernes geht mein Sinn und meine +Sehnsucht: was gienge mich euer kleines, vieles, kurzes Elend an! + +Ihr leidet mir noch nicht genug! Denn ihr leidet an euch, ihr littet +noch nicht _am_Menschen_. Ihr würdet lügen, wenn ihr's anders sagtet! +Ihr leidet Alle nicht, woran ich litt. - - + + +7. + +Es ist mir nicht genug, dass der Blitz nicht mehr schadet. Nicht +ableiten will ich ihn: er soll lernen für _mich_ - arbeiten. - + +Meine Weisheit sammlet sich lange schon gleich einer Wolke, sie wird +stiller und dunkler. So thut jede Weisheit, welche _einst_ Blitze +gebären soll. - + +Diesen Menschen von Heute will ich nicht _Licht_ sein, nicht Licht +heissen. _Die_ - will ich blenden: Blitz meiner Weisheit! Stich ihnen +die Augen aus! + + +8. + +Wollt Nichts über euer Vermögen: es giebt eine schlimme Falschheit bei +Solchen, die über ihr Vermögen wollen. + +Sonderlich, wenn sie grosse Dinge wollen! Denn sie wecken Misstrauen +gegen grosse Dinge, diese feinen Falschmünzer und Schauspieler: - + +- bis sie endlich falsch vor sich selber sind, schieläugig, +übertünchter Wurmfrass, bemäntelt durch starke Worte, durch +Aushänge-Tugenden, durch glänzende falsche Werke. + +Habt da eine gute Vorsicht, ihr höheren Menschen! Nichts nämlich gilt +mir heute kostbarer und seltner als Redlichkeit. + +Ist diess Heute nicht des Pöbels? Pöbel aber weiss nicht, was gross, +was klein, was gerade und redlich ist: der ist unschuldig krumm, der +lügt immer. + + +9. + +Habt heute ein gutes Misstrauen, ihr höheren Menschen, ihr Beherzten! +Ihr Offenherzigen! Und haltet eure Gründe geheim! Diess Heute nämlich +ist des Pöbels. + +Was der Pöbel ohne Gründe einst glauben lernte, wer könnte ihm durch +Gründe Das - umwerfen? + +Und auf dem Markte überzeugt man mit Gebärden. Aber Gründe machen den +Pöbel misstrauisch. + +Und wenn da einmal Wahrheit zum Siege kam, so fragt euch Mit gutem +Misstrauen: "welch starker Irrthum hat für sie gekämpft?" + +Hütet euch auch vor den Gelehrten! Die hassen euch: denn sie sind +unfruchtbar! Sie haben kalte vertrocknete Augen, vor ihnen liegt jeder +Vogel entfedert. + +Solche brüsten sich damit, dass sie nicht lügen: aber Ohnmacht zur +Lüge ist lange noch nicht Liebe zur Wahrheit. Hütet euch! + +Freiheit von Fieber ist lange noch nicht Erkenntniss! Ausgekälteten +Geistern glaube ich nicht. Wer nicht lügen kann, weiss nicht, was +Wahrheit ist. + + +10. + +Wollt ihr hoch hinaus, so braucht die eignen Beine! Lasst euch nicht +empor _tragen_, setzt euch nicht auf fremde Rücken und Köpfe! + +Du aber stiegst zu Pferde? Du reitest nun hurtig hinauf zu deinem +Ziele? Wohlan, mein Freund! Aber dein lahmer Fuss sitzt auch mit zu +Pferde! + +Wenn du an deinem Ziele bist, wenn du von deinem Pferde springst: auf +deiner _Höhe_ gerade, du höherer Mensch - wirst du stolpern! + + +11. + +Ihr Schaffenden, ihr höheren Menschen! Man ist nur für das eigne Kind +schwanger. + +Lasst euch Nichts vorreden, einreden! Wer ist denn _euer_ Nächster? +Und handelt ihr auch "für den Nächsten", - ihr schafft doch nicht für +ihn! + +Verlernt mir doch diess "Für", ihr Schaffenden: eure Tugend gerade +will es, dass ihr kein Ding mit "für" und "um" und "weil" thut. Gegen +diese falschen kleinen Worte sollt ihr euer Ohr zukleben. + +Das "für den Nächsten" ist die Tugend nur der kleinen Leute: da heisst +es "gleich und gleich" und "Hand wäscht Hand": - sie haben nicht Recht +noch Kraft zu _eurem_ Eigennutz! + +In eurem Eigennutz, ihr Schaffenden, ist der Schwangeren Vorsicht und +Vorsehung! Was Niemand noch mit Augen sah, die Frucht: die schirmt und +schont und nährt eure ganze Liebe. + +Wo eure ganze Liebe ist, bei eurem Kinde, da ist auch eure ganze +Tugend! Euer Werk, euer Wille ist _euer_ "Nächster": lasst euch keine +falschen Werthe einreden! + + +12. + +Ihr Schaffenden, ihr höheren Menschen! Wer gebären muss, der ist +krank; wer aber geboren hat, ist unrein. + +Fragt die Weiber: man gebiert nicht, weil es Vergnügen macht. Der +Schmerz macht Hühner und Dichter gackern. + +Ihr Schaffenden, an euch ist viel Unreines. Das macht, ihr musstet +Mütter sein. + +Ein neues Kind: oh wie viel neuer Schmutz kam auch zur Welt! Geht bei +Seite! Und wer geboren hat, soll seine Seele rein waschen! + + +13. + +Seid nicht tugendhaft über eure Kräfte! Und wollt Nichts von euch +wider die Wahrscheinlichkeit! + +Geht in den Fusstapfen, wo schon eurer Väter Tugend gierig! Wie +wolltet ihr hoch steigen, wenn nicht eurer Väter Wille mit euch +steigt? + +Wer aber Erstling sein will, sehe zu, dass er nicht auch Letztling +werde! Und wo die Laster eurer Väter sind, darin sollt ihr nicht +Heilige bedeuten wollen! + +Wessen Väter es mit Weibern hielten und mit starken Weinen und +Wildschweinen: was wäre es, wenn Der von sich Keuschheit wollte? + +Eine Narrheit wäre es! Viel, wahrlich, dünkt es mich für einen +Solchen, wenn er Eines oder zweier oder dreier Weiber Mann ist. + +Und stiftete er Klöster und schriebe über die Thür: "der Weg zum +Heiligen," - ich spräche doch: wozu! es ist eine neue Narrheit! + +Er stiftete sich selber ein Zucht- und Fluchthaus: wohl bekomm's! Aber +ich glaube nicht daran. + +In der Einsamkeit wächst, was Einer in sie bringt, auch das innere +Vieh. Solchergestalt widerräth sich Vielen die Einsamkeit. + +Gab es Schmutzigeres bisher auf Erden als Wüsten-Heilige? _Um_die_ +herum war nicht nur der Teufel los, - sondern auch das Schwein. + + +14. + +Scheu, beschämt, ungeschickt, einem Tiger gleich, dem der Sprung +missrieth: also, ihr höheren Menschen, sah ich oft euch bei Seite +schleichen. Ein _Wurf_ missrieth euch. + +Aber, ihr Würfelspieler, was liegt daran! Ihr lerntet nicht spielen +und spotten, wie man spielen und spotten muss! Sitzen wir nicht immer +an einem grossen Spott- und Spieltische? + +Und wenn euch Grosses missrieth, seid ihr selber darum - missrathen? +Und missriethet ihr selber, missrieth darum - der Mensch? Missrieth +aber der Mensch: wohlan! wohlauf! + + +15. + +Je höher von Art, je seltener geräth ein Ding. Ihr höheren Menschen +hier, seid ihr nicht alle - missgerathen? + +Seid guten Muths, was liegt daran! Wie Vieles ist noch möglich! Lernt +über euch selber lachen, wie man lachen muss! + +Was Wunders auch, dass ihr missriethet und halb geriethet, ihr +Halb-Zerbrochenen! Drängt und stösst sich nicht in euch - des Menschen +_Zukunft_? + +Des Menschen Fernstes, Tiefstes, Sternen-Höchstes, seine ungeheure +Kraft: schäumt Das nicht alles gegen einander in eurem Topfe? + +Was Wunders, dass mancher Topf zerbricht! Lernt über euch lachen, wie +man lachen muss! Ihr höheren Menschen, oh wie Vieles ist noch möglich! + +Und wahrlich, wie Viel gerieth schon! Wie reich ist diese Erde an +kleinen guten vollkommenen Dingen, an Wohlgerathenem! + +Stellt kleine gute vollkommne Dinge um euch, ihr höheren Menschen! +Deren goldene Reife heilt das Herz. Vollkommnes lehrt hoffen. + + +16. + +Welches war hier auf Erden bisher die grösste Sünde? War es nicht das +Wort Dessen, der sprach: "Wehe Denen, die hier lachen!" + +Fand er zum Lachen auf der Erde selber keine Gründe? So suchte er nur +schlecht. Ein Kind findet hier noch Gründe. + +Der - liebte nicht genug: sonst hätte er auch uns geliebt, die +Lachenden! Aber er hasste und höhnte uns, Heulen und Zähneklappern +verhiess er uns. + +Muss man denn gleich fluchen, wo man nicht liebt? Das - dünkt mich ein +schlechter Geschmack. Aber so that er, dieser Unbedingte. Er kam vom +Pöbel. + +Und er selber liebte nur nicht genug: sonst hätte er weniger gezürnt, +dass man ihn nicht liebe. Alle grosse Liebe _will_ nicht Liebe: - die +will mehr. + +Geht aus dem Wege allen solchen Unbedingten! Das ist eine arme kranke +Art, eine Pöbel-Art: sie sehn schlimm diesem Leben zu, sie haben den +bösen Blick für diese Erde. + +Geht aus dem Wege allen solchen Unbedingten! Sie haben Schwere Füsse +und schwüle Herzen: - sie wissen nicht zu tanzen. Wie möchte Solchen +wohl die Erde leicht sein! + + +17. + +Krumm kommen alle guten Dinge ihrem Ziele nahe. Gleich Katzen machen +sie Buckel, sie schnurren innewendig vor ihrem nahen Glücke, - alle +guten Dinge lachen. + +Der Schritt verräth, ob Einer schon auf _seiner_ Bahn schreitet: so +seht mich gehn! Wer aber seinem Ziel nahe kommt, der tanzt. + +Und, wahrlich, zum Standbild ward ich nicht, noch stehe ich nicht da, +starr, stumpf, steinern, eine Säule; ich liebe geschwindes Laufen. + +Und wenn es auf Erden auch Moor und dicke Trübsal giebt: wer leichte +Füsse hat, läuft über Schlamm noch hinweg und tanzt wie auf gefegtem +Eise. + +Erhebt eure Herzen, meine Brüder, hoch! höher! Und vergesst mir auch +die Beine nicht! Erhebt auch eure Beine, ihr guten Tänzer, und besser +noch: ihr steht auch auf dem Kopf! + + +18. + +Diese Krone des Lachenden, diese Rosenkranz-Krone: ich selber setzte +mir diese Krone auf, ich selber sprach heilig mein Gelächter. Keinen +Anderen fand ich heute stark genug dazu. + +Zarathustra der Tänzer, Zarathustra der Leichte, der mit den Flügeln +winkt, ein Flugbereiter, allen Vögeln zuwinkend, bereit und fertig, +ein Selig-Leichtfertiger: - + +Zarathustra der Wahrsager, Zarathustra der Wahrlacher, kein +Ungeduldiger, kein Unbedingter, Einer, der Sprünge und Seitensprünge +liebt; ich selber setzte mir diese Krone auf! + + +19. + +Erhebt eure Herzen, meine Brüder, hoch! höher! Und vergesst mir auch +die Beine nicht! Erhebt auch eure Beine, ihr guten Tänzer, und besser +noch: ihr steht auch auf dem Kopf! + +Es giebt auch im Glück schweres Gethier, es giebt Plumpfüssler von +Anbeginn. Wunderlich müht sie sich ab, einem Elephanten gleich, der +sich müht auf dem Kopf zu stehn. + +Besser aber noch närrisch sein vor Glücke als närrisch vor Unglücke, +besser plump tanzen als lahm gehn. So lernt mir doch meine Weisheit +ab: auch das schlimmste Ding hat zwei gute Kehrseiten, - + +- auch das schlimmste Ding hat gute Tanzbeine: so lernt mir doch euch +selbst, ihr höheren Menschen, auf eure rechten Beine stellen! + +So verlernt mir doch Trübsal-Blasen und alle Pöbel-Traurigkeit! Oh wie +traurig dünken mich heute des Pöbels Hanswürste noch! Diess Heute aber +ist des Pöbels. + + +20. + +Dem Winde thut mir gleich, wenn er aus seinen Berghöhlen stürzt: nach +seiner eignen Pfeife will er tanzen, die Meere zittern und hüpfen +unter seinen Fusstapfen. + +Der den Eseln Flügel giebt, der Löwinnen melkt, gelobt sei dieser gute +unbändige Geist, der allem Heute und allem Pöbel wie ein Sturmwind +kommt, - + +- der Distel- und Tiftelköpfen feind ist und allen welken Blättern und +Unkräutern: gelobt sei dieser wilde gute freie Sturmgeist, welcher auf +Mooren und Trübsalen wie auf Wiesen tanzt! + +Der die Pöbel-Schwindhunde hasst und alles missrathene düstere +Gezücht: gelobt sei dieser Geist aller freien Geister, der lachende +Sturm, welcher allen Schwarzsichtigen, Schwärsüchtigen Staub in die +Augen bläst! + +Ihr höheren Menschen, euer Schlimmstes ist: ihr lerntet alle nicht +tanzen, wie man tanzen muss - über euch hinweg tanzen! Was liegt +daran, dass ihr missriethet! + +Wie Vieles ist noch möglich! So _lernt_ doch über euch hinweg lachen! +Erhebt eure Herzen, ihr guten Tänzer, hoch! höher! Und vergesst mir +auch das gute Lachen nicht! + +Diese Krone des Lachenden, diese Rosenkranz-Krone: euch, meinen +Brüdern, werfe ich diese Krone zu! Das Lachen sprach ich heilig; ihr +höheren Menschen, _lernt_ mir - lachen! + + + +Das Lied der Schwermuth + +1. + +Als Zarathustra diese Reden sprach, stand er nahe dem Eingange seiner +Höhle; mit den letzten Worten aber entschlüpfte er seinen Gästen und +floh für eine kurze Weile in's Freie. + +"Oh reine Gerüche um mich, rief er aus, oh selige Stille um mich! Aber +wo sind meine Thiere? Heran, heran, mein Adler und meine Schlange! + +Sagt mir doch, meine Thiere: diese höheren Menschen insgesammt - +_riechen_ sie vielleicht nicht gut? Oh reine Gerüche um mich! Jetzo +weiss und fühle ich erst, wie ich euch, meine Thiere, liebe." + +- Und Zarathustra sprach nochmals: "ich liebe euch, meine Thiere!" Der +Adler aber und die Schlange drängten sich an ihn, als er diese Worte +sprach, und sahen zu ihm hinauf. Solchergestalt waren sie zu drei +still beisammen und schnüffelten und schlürften mit einander die gute +Luft. Denn die Luft war hier draussen besser als bei den höheren +Menschen. + + +2. + +Kaum aber hatte Zarathustra seine Höhle verlassen, da erhob sich der +alte Zauberer, sah listig umher und sprach: "Er ist hinaus! + +Und schon, ihr höheren Menschen - dass ich euch mit diesem Lob- und +Schmeichel-Namen kitzle, gleich ihm selber - schon fällt mich mein +schlimmer Trug- und Zaubergeist an, mein schwermüthiger Teufel, + +- welcher diesem Zarathustra ein Widersacher ist aus dem Grunde: +vergebt es ihm! Nun will er vor euch zaubern, er hat gerade _seine_ +Stunde; umsonst ringe ich mit diesem bösen Geiste. + +Euch Allen, welche Ehren ihr euch mit Worten geben mögt, ob ihr +euch `die freien Geister` nennt oder `die Wahrhaftigen` oder `die +Büsser des Geistes` oder `die Entfesselten` oder `die grossen +Sehnsüchtigen` - + +- euch Allen, die ihr _am_grossen_Ekel_ leidet gleich mir, denen der +alte Gott starb und noch kein neuer Gott in Wiegen und Windeln liegt, +- euch Allen ist mein böser Geist und Zauber-Teufel hold. + +Ich kenne euch, ihr höheren Menschen, ich kenne ihn, - ich kenne auch +diesen Unhold, den ich wider Willen liebe, diesen Zarathustra: er +selber dünkt mich öfter gleich einer schönen Heiligen-Larve, + +- gleich einem neuen wunderlichen Mummenschanze, in dem sich +mein böser Geist, der schwermüthige Teufel, gefällt: - ich liebe +Zarathustra, so dünkt mich oft, um meines bösen Geistes Willen. - + +Aber schon fällt _der_ mich an und zwingt mich, dieser Geist der +Schwermuth, dieser Abend-Dämmerungs-Teufel: und, wahrlich, ihr höheren +Menschen, es gelüstet ihn - + +- macht nur die Augen auf! - es gelüstet ihn, _nackt_ zu kommen, ob +männlich, ob weiblich, noch weiss ich's nicht: aber er kommt, er +zwingt mich, wehe! macht eure Sinne auf! + +Der Tag klingt ab, allen Dingen kommt nun der Abend, auch den besten +Dingen; hört nun und seht, ihr höheren Menschen, welcher Teufel, ob +Mann, ob Weib, dieser Geist der Abend-Schwermuth ist!" + +Also sprach der alte Zauberer, sah listig umher und griff dann zu +seiner Harfe. + + +3. + +Bei abgehellter Luft, Wenn schon des Thau's Tröstung Zur Erde +niederquillt, Unsichtbar, auch ungehört: - Denn zartes Schuhwerk trägt +Der Tröster Thau gleich allen Trost-Milden -: Gedenkst du da, gedenkst +du, heisses Herz, Wie einst du durstetest, Nach himmlischen Thränen +und Thau-Geträufel Versengt und müde durstetest, Dieweil auf gelben +Gras-Pfaden Boshaft abendliche Sonnenblicke Durch schwarze Bäume um +dich liefen, Blendende Sonnen-Gluthblicke, schadenfrohe. + +"Der _Wahrheit_ Freier? Du? - so höhnten sie - Nein! Nur ein Dichter! +Ein Thier, ein listiges, raubendes, schleichendes, Das lügen muss, +Das wissentlich, willentlich lügen muss: Nach Beute lüstern, Bunt +verlarvt, Sich selber Larve, Sich selbst zur Beute - _Das_ - der +Wahrheit Freier? Nein! Nur Narr! Nur Dichter! Nur Buntes redend, Aus +Narren-Larven bunt herausschreiend, Herumsteigend auf lügnerischen +Wort-Brücken, Auf bunten Regenbogen, Zwischen falschen Himmeln Und +falschen Erden, Herumschweifend, herumschwebend, - _Nur_ Narr! _Nur_ +Dichter! + +_Das_ - der Wahrheit Freier? Nicht still, starr, glatt, kalt, Zum +Bilde worden, Zur Gottes-Säule, Nicht aufgestellt vor Tempeln, Eines +Gottes Thürwart: Nein! Feindselig solchen Wahrheits-Standbildern, In +jeder Wildniss heimischer als vor Tempeln, Voll Katzen-Muthwillens, +Durch jedes Fenster springend Husch! in jeden Zufall, Jedem Urwalde +zuschnüffelnd, Süchtig-sehnsüchtig zuschnüffelnd, Dass du in Urwäldern +Unter buntgefleckten Raubthieren Sündlich-gesund und bunt und schön +liefest, Mit lüsternen Lefzen, Selig-höhnisch, selig-höllisch, +selig-blutgierig, Raubend, schleichend, lügend liefest: - + +Oder, dem Adler gleich, der lange, Lange starr in Abgründe blickt, In +_seine_ Abgründe: - - Oh wie sie sich hier hinab, Hinunter, hinein, +In immer tiefere Tiefen ringeln! - Dann, Plötzlich, geraden Zugs, +Gezückten Flugs, Auf Lämmer stossen, Jach hinab, heisshungrig, +Nach Lämmern lüstern, Gram allen Lamms-Seelen, Grimmig-gram +Allem, was blickt Schafmässig, lammäugig, krauswollig, Grau, mit +Lamms-Schafs-Wohlwollen! + +Also Adlerhaft, pantherhaft Sind des Dichters Sehnsüchte, Sind _deine_ +Sehnsüchte unter tausend Larven, Du Narr! Du Dichter! + +Der du den Menschen schautest So Gott als Schaf -: Den Gott +_zerreissen_ im Menschen Wie das Schaf im Menschen, Und zerreisend +_lachen_ - + +_Das_, _Das_ ist deine Seligkeit! Eines Panthers und Adlers Seligkeit! +Eines Dichters und Narren Seligkeit!" - - + +Bei abgehellter Luft, Wenn schon des Monds Sichel Grün zwischen +Purpurröthen Und neidisch hinschleicht: - dem Tage feind, Mit jedem +Schritte heimlich An Rosen-Hängematten Hinsichelnd, bis sie sinken, +Nacht-abwärts blass hinabsinken: + +So sank ich selber einstmals Aus meinem Wahrheits-Wahnsinne, Aus +meinen Tages-Sehnsüchten, Des Tages müde, krank vom Lichte, - sank +abwärts, abendwärts, schattenwärts: Von Einer Wahrheit Verbrannt und +durstig: - gedenkst du noch, gedenkst du, heisses Herz, Wie da du +durstetest? - Dass ich verbannt sei Von _aller_ Wahrheit, Nur Narr! +Nur Dichter! + + + +Von der Wissenschaft + +Also sang der Zauberer; und Alle, die beisammen waren, giengen gleich +Vögeln unvermerkt in das Netz seiner listigen und schwermüthigen +Wollust. Nur der Gewissenhafte des Geistes war nicht eingefangen: er +nahm flugs dem Zauberer die Harfe weg und rief "Luft! Lasst gute Luft +herein! Lass Zarathustra herein! Du machst diese Höhle schwül und +giftig, du schlimmer alter Zauberer! + +Du verfährst, du Falscher, Feiner, zu unbekannten Begierden und +Wildnissen. Und wehe, wenn Solche, wie du, von der _Wahrheit_ Redens +und Wesens machen! + +Wehe allen freien Geistern, welche nicht vor _solchen_ Zauberern auf +der Hut sind! Dahin ist es mit ihrer Freiheit: du lehrst und lockst +zurück in Gefängnisse, - + +- du alter schwermüthiger Teufel, aus deiner Klage klingt eine +Lockpfeife, du gleichst Solchen, welche mit ihrem Lobe der Keuschheit +heimlich zu Wollüsten laden!" + +Also sprach der Gewissenhafte; der alte Zauberer aber blickte um sich, +genoss seines Sieges und verschluckte darüber den Verdruss, welchen +ihm der Gewissenhafte machte. "Sei still! sagte er mit bescheidener +Stimme, gute Lieder wollen gut wiederhallen; nach guten Liedern soll +man lange schweigen. + +So thun es diese Alle, die höheren Menschen. Du aber hast wohl Wenig +von meinem Lied verstanden? In dir ist Wenig von einem Zaubergeiste." + +"Du lobst mich, entgegnete der Gewissenhafte, indem du mich von dir +abtrennst, wohlan! Aber ihr Anderen, was sehe ich? Ihr sitzt alle noch +mit lüsternen Augen da -: + +Ihr freien Seelen, wohin ist eure Freiheit! Fast, dünkt mich's, +gleicht ihr Solchen, die lange schlimmen tanzenden nackten Mädchen +zusahn: eure Seelen tanzen selber! + +In euch, ihr höheren Menschen, muss Mehr von Dem sein, was der +Zauberer seinen bösen Zauber- und Truggeist nennt: - wir müssen wohl +verschieden sein. + +Und wahrlich, wir sprachen und dachten genug mitsammen, ehe +Zarathustra heimkam zu seiner Höhle, als dass ich nicht wüsste: wir +_sind_ verschieden. + +Wir _suchen_ Verschiednes auch hier oben, ihr und ich. Ich nämlich +suche _mehr_Sicherheit_, desshalb kam ich zu Zarathustra. Der nämlich +ist noch der festeste Thurm und Wille - + +- heute, wo Alles wackelt, wo alle Erde bebt. Ihr aber, wenn ich +eure Augen sehe, die ihr macht, fast dünkt mich's, ihr sucht mehr +_Unsicherheit_, + +- mehr Schauder, mehr Gefahr, mehr Erdbeben. Euch gelüstet, fast dünkt +mich's so, vergebt meinem Dünkel, ihr höheren Menschen - + +- euch gelüstet nach dem schlimmsten gefährlichsten Leben, das _mir_ +am meisten Furcht macht, nach dem Leben wilder Thiere, nach Wäldern, +Höhlen, steilen Bergen und Irr- Schlünden. + +Und nicht die Führer _aus_ der Gefahr gefallen euch am besten, +sondern die euch von allen Wegen abführen, die Verführer. Aber, wenn +solch Gelüsten an euch _wirklich_ ist, so dünkt es mich trotzdem +_unmöglich_. + +Furcht nämlich - das ist des Menschen Erb- und Grundgefühl; aus der +Furcht erklärt sich jegliches, Erbsünde und Erbtugend. Aus der Furcht +wuchs auch _meine_ Tugend, die heisst: Wissenschaft. + +Die Furcht nämlich vor wildem Gethier - die wurde dem Menschen am +längsten angezüchtet, einschliesslich das Thier, das er in sich selber +birgt und fürchtet: - Zarathustra heisst es `das innere Vieh`. + +Solche lange alte Furcht, endlich fein geworden, geistlich, geistig - +heute, dünkt mich, heisst sie: Wissenschaft." - + +Also sprach der Gewissenhafte; aber Zarathustra, der eben in seine +Höhle zurückkam und die letzte Rede gehört und errathen hatte, warf +dem Gewissenhaften eine Hand voll Rosen zu und lachte ob seiner +"Wahrheiten". "Wie! rief er, was hörte ich da eben? Wahrlich, mich +dünkt, du bist ein Narr oder ich selber bin's: und deine `Wahrheit` +stelle ich rucks und flugs auf den Kopf. + +_Furcht_ nämlich - ist unsre Ausnahme. Muth aber und Abenteuer und +Lust am Ungewissen, am Ungewagten, - _Muth_ dünkt mich des Menschen +ganze Vorgeschichte. + +Den wildesten muthigsten Thieren hat er alle ihre Tugenden abgeneidet +und abgeraubt: so erst wurde er - zum Menschen. + +_Dieser_ Muth, endlich fein geworden, geistlich, geistig, dieser +Menschen-Muth mit Adler-Flügeln und Schlangen-Klugheit: _der_, dünkt +mich, heisst heute -" + +"Zarathustra"! schrien Alle, die beisammen sassen, wie aus Einem Munde +und machten dazu ein grosses Gelächter; es hob sich aber von ihnen wie +eine schwere Wolke. Auch der Zauberer lachte und sprach mit Klugheit: +"Wohlan! Er ist davon, mein böser Geist! + +Und habe ich euch nicht selber vor ihm gewarnt, als ich sagte, dass er +ein Betrüger sei, ein Lug- und Truggeist? + +Sonderlich nämlich, wenn er sich nackend zeigt. Aber was kann _ich_ +für seine Tücken! Habe _ich_ ihn und die Welt geschaffen? + +Wohlan! Seien wir wieder gut und guter Dinge! Und ob schon Zarathustra +böse blickt - seht ihn doch! er ist mir gram -: + +- bevor die Nacht kommt, lernt er wieder, mich lieben und loben, er +kann nicht lange leben, ohne solche Thorheiten zu thun. + +_Der_ - liebt seine Feinde: diese Kunst versteht er am besten von +Allen, die ich sah. Aber er nimmt Rache dafür - an seinen Freunden!" + +Also sprach der alte Zauberer, und die höheren Menschen zollten ihm +Beifall: so dass Zarathustra herumgieng und mit Bosheit und Liebe +seinen Freunden die Hände schüttelte, - gleichsam als Einer, der an +Allen Etwas gutzumachen und abzubitten hat. Als er aber dabei an die +Thür seiner Höhle kam, siehe, da gelüstete ihn schon wieder nach der +guten Luft da draussen und nach seinen Thieren, - und er wollte hinaus +schlüpfen. + + + +Unter Töchtern der Wüste + +1. + +"Gehe nicht davon! sagte da der Wanderer, welcher sich den Schatten +Zarathustra's nannte, bleibe bei uns, es möchte uns sonst die alte +dumpfe Trübsal wieder anfallen. + +Schon gab uns jener alte Zauberer von seinem Schlimmsten zum Besten, +und siehe doch, der gute fromme Papst da hat Thränen in den Augen und +hat sich ganz wieder auf's Meer der Schwermuth eingeschifft. + +Diese Könige mögen wohl vor uns noch gute Miene machen: das lernten +_Die_ nämlich von uns Allen heute am Besten! Hätten sie aber keine +Zeugen, ich wette, auch bei ihnen fienge das böse Spiel wieder an - + +- das böse Spiel der ziehenden Wolken, der feuchten Schwermuth, der +verhängten Himmel, der gestohlenen Sonnen, der heulenden Herbst-Winde, + +- das böse Spiel unsres Heulens und Nothschreiens: bleibe bei uns, oh +Zarathustra! Hier ist viel verborgenes Elend, das reden will, viel +Abend, viel Wolke, viel dumpfe Luft! + +Du nährtest uns mit starker Manns-Kost und kräftigen Sprüchen: lass es +nicht zu, dass uns zum Nachtisch die weichlichen weiblichen Geister +wieder anfallen! + +Du allein machst die Luft um dich herum stark und klar! Fand ich je +auf Erden so gute Luft als bei dir in deiner Höhle? + +Viele Länder sah ich doch, meine Nase lernte vielerlei Luft prüfen und +abschätzen: aber bei dir schmecken meine Nüstern ihre grösste Lust! + +Es sei denn, - es sei denn -, oh vergieb eine alte Erinnerung! Vergieb +mir ein altes Nachtisch-Lied, das ich einst unter Töchtern der Wüste +dichtete: - + +- bei denen nämlich gab es gleich gute helle morgenländische Luft; +dort war ich am fernsten vom wolkigen feuchten schwermüthigen +Alt-Europa! + +Damals liebte ich solcherlei Morgenland-Mädchen und andres blaues +Himmelreich, über dem keine Wolken und keine Gedanken hängen. + +Ihr glaubt es nicht, wie artig sie dasassen, wenn sie nicht tanzten, +tief, aber ohne Gedanken, wie kleine Geheimnisse, wie bebänderte +Räthsel, wie Nachtisch-Nüsse - + +bunt und fremd fürwahr! aber ohne Wolken: Räthsel, die sich +rathen lassen: solchen Mädchen zu Liebe erdachte ich damals einen +Nachtisch-Psalm." + +Also sprach der Wanderer und Schatten; und ehe Jemand ihm antwortete, +hatte er schon die Harfe des alten Zauberers ergriffen, die Beine +gekreuzt und blickte gelassen und weise um sich: - mit den Nüstern +aber zog er langsam und fragend die Luft ein, wie Einer, der in neuen +Ländern neue fremde Luft kostet. Darauf hob er mit einer Art Gebrüll +zu singen an. + + +2. + +Die Wüste wächst: weh Dem, der Wüsten birgt! + + - Ha! Feierlich! + In der That feierlich! + Ein würdiger Anfang! + Afrikanisch feierlich! + Eines Löwen würdig, + Oder eines moralischen Brüllaffen - + - aber Nichts für euch, + Ihr allerliebsten Freundinnen, + Zu deren Füssen mir + Zum ersten Male, + Einem Europäer, unter Palmen + Zu sitzen vergönnt ist. Sela. + + Wunderbar wahrlich! + Da sitze ich nun, + Der Wüste nahe und bereits + So fern wieder der Wüste, + Auch in Nichts noch verwüstet: + Nämlich hinabgeschluckt + Von dieser kleinsten Oasis -: + - sie sperrte gerade gähnend + Ihr liebliches Maul auf. + Das wohlriechendste aller Mäulchen: + Da fiel ich hinein, + Hinab, hindurch - unter euch, + Ihr allerliebsten Freundinnen! Sela. + + Heil, Heil jenem Wallfische, + Wenn er also es seinem Gaste + Wohl sein liess! - ihr versteht + Meine gelehrte Anspielung? + Heil seinem Bauche, + Wenn er also + Ein so lieblicher Oasis-Bauch war + Gleich diesem: was ich aber in Zweifel ziehe, + - dafür komme ich aus Europa, + Das zweifelsüchtiger ist als alle + Ältlichen Eheweibchen. + Möge Gott es bessern! + Amen! + + Da sitze ich nun, + In dieser kleinsten Oasis, + Einer Dattel gleich, + Braun, durchsüsst, goldschwürig, lüstern + Nach einem runden Mädchenmunde, + Mehr noch aber nach mädchenhaften + Eiskalten schneeweissen schneidigen + Beisszähnen: nach denen nämlich + Lechzt das Herz allen heissen Datteln. Sela. + + Den genannten Südfrüchten + Ähnlich, allzuähnlich + Liege ich hier, von kleinen + Flügelkäfern + Umtänzelt und umspielt, + Insgleichen von noch kleineren + Thörichteren boshafteren + Wünschen und Einfällen, + Umlagert von euch, + Ihr stummen, ihr ahnungsvollen + Mädchen-Katzen, + Dudu und Suleika, + - _umsphinxt_, dass ich in Ein Wort + Viel Gefühle stopfe: + (Vergebe mir Gott + Diese Sprach-Sünde!) + - sitze hier, die beste Luft schnüffelnd, + Paradieses-Luft wahrlich, + Lichte leichte Luft, goldgestreifte, + So gute Luft nur je + Vom Monde herabfiel - + Sei es aus Zufall, + Oder geschah es aus Übermuthe? + Wie die alten Dichter erzählen. + Ich Zweifler aber ziehe es + In Zweifel, dafür aber komme ich + Aus Europa, + Das zweifelsüchtiger ist als alle + Ältlichen Eheweibchen. + Möge Gott es bessern! + Amen! + + Diese schönste Luft trinkend, + Mit Nüstern geschwellt gleich Bechern, + Ohne Zukunft, ohne Erinnerungen, + So sitze ich hier, ihr + Allerliebsten Freundinnen, + Und sehe der Palme zu, + Wie sie, einer Tänzerin gleich, + Sich biegt und schmiegt und in der Hüfte wiegt, + - man thut es mit, sieht man lange zu! + Einer Tänzerin gleich, die, wie mir scheinen will, + Zu lange schon, gefährlich lange + Immer, immer nur auf Einem Beine stand? + - da vergass sie darob, wie mir scheinen will, + Das andre Bein? + Vergebens wenigstens + Suchte ich das vermisste + Zwillings-Kleinod + - nämlich das andre Bein - + In der heiligen Nähe + Ihres allerliebsten, allerzierlichsten + Fächer- und Flatter- und Flitterröckchens. + ja, wenn ihr mir, ihr schönen Freundinnen, + Ganz glauben wollt: + Sie hat es verloren! + Es ist dahin! + Auf ewig dahin! + Das andre Bein! + Oh schade um dieses liebliche andre Bein! + Wo - mag es wohl weilen und verlassen trauern? + Das einsame Bein? + In Furcht vielleicht vor einem + Grimmen gelben blondgelockten + Löwen-Unthiere? Oder gar schon + Abgenagt, abgeknabbert - + Erbärmlich, wehe! wehe! abgeknabbert! Sela. + + Oh weint mir nicht, + Weiche Herzen! + Weint mir nicht, ihr + Dattel-Herzen! Milch-Busen! + Ihr Süssholz-Herz- + Beutelchen! + Weine nicht mehr, + Bleiche Dudu! + Sei ein Mann, Suleika! Muth! Muth! + - Oder sollte vielleicht + Etwas Stärkendes, Herz-Stärkendes, + Hier am Platze sein? + Ein gesalbter Spruch? + Ein feierlicher Zuspruch? - + + Ha! Herauf, Würde! + Tugend-Würde! Europäer-Würde! + Blase, blase wieder, + Blasebalg der Tugend! + Ha! + Noch Ein Mal brüllen, + Moralisch brüllen! + Als moralischer Löwe + Vor den Töchtern der Wüste brüllen! + - Denn Tugend-Geheul, + Ihr allerliebsten Mädchen, + Ist mehr als Alles + Europäer-Inbrunst, Europäer-Heisshunger! + Und da stehe ich schon, + Als Europäer, + Ich kann nicht anders, Gott helfe mir! + Amen! + +Die Wüste wächst: weh Dem, der Wüsten birgt! + + + +Die Erweckung + +1. + +Nach dem Liede des Wanderers und Schattens wurde die Höhle mit Einem +Male voll Lärmens und Lachens; und da die versammelten Gäste alle +zugleich redeten, und auch der Esel, bei einer solchen Ermuthigung, +nicht mehr still blieb, überkam Zarathustra ein kleiner Widerwille +und Spott gegen seinen Besuch: ob er sich gleich ihrer Fröhlichkeit +erfreute. Denn sie dünkte ihm ein Zeichen der Genesung. So schlüpfte +er hinaus in's Freie und sprach zu seinen Thieren. + +"Wo ist nun ihre Noth hin? sprach er, und schon athmete er selber von +seinem kleinen Überdrusse auf, - bei mir verlernten sie, wie mich +dünkt, das Nothschrein! + +- wenn auch, leider, noch nicht das Schrein." Und Zarathustra hielt +sich die Ohren zu, denn eben mischte sich das I-A des Esels wunderlich +mit dem Jubel-Lärm dieser höheren Menschen. + +"Sie sind lustig, begann er wieder, und wer weiss? vielleicht auf +ihres Wirthes Unkosten; und lernten sie von mir lachen, so ist es doch +nicht _mein_ Lachen, das sie lernten. + +Aber was liegt daran! Es sind alte Leute: sie genesen auf ihre Art, +sie lachen auf ihre Art; meine Ohren haben schon Schlimmeres erduldet +und wurden nicht unwirsch. + +Dieser Tag ist ein Sieg: er weicht schon, er flieht, +_der_Geist_der_Schwere_, mein alter Erzfeind! Wie gut will dieser Tag +enden, der so schlimm und schwer begann! + +Und enden _will_ er. Schon kommt der Abend: über das Meer her reitet +er, der gute Reiter! Wie er sich wiegt, der Selige, Heimkehrende, in +seinen purpurnen Sätteln! + +Der Himmel blickt klar dazu, die Welt liegt tief: oh all ihr +Wunderlichen, die ihr zu mir kamt, es lohnt sich schon, bei mir zu +leben!" + +Also sprach Zarathustra. Und wieder kam da das Geschrei und Gelächter +der höheren Menschen aus der Höhle: da begann er von Neuem. + +"Sie beissen an, mein Köder wirkt, es weicht auch ihnen ihr Feind, der +Geist der Schwere. Schon lernen sie über sich selber lachen: höre ich +recht? + +Meine Manns-Kost wirkt, mein Saft- und Kraft-Spruch: und wahrlich, +ich nährte sie nicht mit Bläh-Gemüsen! Sondern mit Krieger-Kost, mit +Eroberer-Kost: neue Begierden weckte ich. + +Neue Hoffnungen sind in ihren Armen und Beinen, ihr Herz streckt sich +aus. Sie finden neue Worte, bald wird ihr Geist Muthwillen athmen. + +Solche Kost mag freilich nicht für Kinder sein, noch auch für +sehnsüchtige alte und junge Weibchen. Denen überredet man anders die +Eingeweide; deren Arzt und Lehrer bin ich nicht. + +Der _Ekel_ weicht diesen höheren Menschen: wohlan! das ist mein Sieg. +In meinem Reiche werden sie sicher, alle dumme Scham läuft davon, sie +schütten sich aus. + +Sie schütten ihr Herz aus, gute Stunden kehren ihnen zurück, sie +feiern und käuen wieder, - sie werden _dankbar_. + +_Das_ nehme ich als das beste Zeichen: sie werden dankbar. Nicht lange +noch, und sie denken sich Feste aus und stellen Denksteine ihren alten +Freuden auf. + +Es sind _Genesende_!" Also sprach Zarathustra fröhlich zu seinem +Herzen und schaute hinaus; seine Thiere aber drängten sich an ihn und +ehrten sein Glück und sein Stillschweigen. + + +2. + +Plötzlich aber erschrak das Ohr Zarathustra's: die Höhle nämlich, +welche bisher voller Lärmens und Gelächters war, wurde mit Einem Male +todtenstill; - seine Nase aber roch einen wohlriechenden Qualm und +Weihrauch, wie von brennenden Pinien-Zapfen. + +"Was geschieht? Was treiben sie?" fragte er sich und schlich zum +Eingange heran, dass er seinen Gästen, unvermerkt, zusehn könne. Aber, +Wunder über Wunder! was musste er da mit seinen eignen Augen sehn! + +"Sie sind Alle wieder _fromm_ geworden, sie _beten_, sie sind toll!" +- sprach er und verwundene sich über die Maassen. Und, fürwahr!, alle +diese höheren Menschen, die zwei Könige, der Papst ausser Dienst, der +schlimme Zauberer, der freiwillige Bettler, der Wanderer und Schatten, +der alte Wahrsager, der Gewissenhafte des Geistes und der hässlichste +Mensch: sie lagen Alle gleich Kindern und gläubigen alten Weibchen auf +den Knien und beteten den Esel an. Und eben begann der hässlichste +Mensch zu gurgeln und zu schnauben, wie als ob etwas Unaussprechliches +aus ihm heraus wolle; als er es aber wirklich bis zu Worten gebracht +hatte, siehe, da war es eine fromme seltsame Litanei zur Lobpreisung +des angebeteten und angeräucherten Esels. Diese Litanei aber klang +also: + +Amen! Und Lob und Ehre und Weisheit und Dank und Preis und Stärke sei +unserm Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit! + +- Der Esel aber schrie dazu I-A. + +Er trägt unsre Last, er nahm Knechtsgestalt an, er ist geduldsam von +Herzen und redet niemals Nein; und wer seinen Gott liebt, der züchtigt +ihn. + +- Der Esel aber schrie dazu I-A. + +Er redet nicht: es sei denn, dass er zur Welt, die er Schuf, immer Ja +sagt: also preist er seine Welt. Seine Schlauheit ist es, die nicht +redet: so bekommt er selten Unrecht. + +- Der Esel aber schrie dazu I-A. + +Unscheinbar geht er durch die Welt. Grau ist die Leib-Farbe, in welche +er seine Tugend hüllt. Hat er Geist, so verbirgt er ihn; Jedermann +aber glaubt an seine langen Ohren. + +- Der Esel aber schrie dazu I-A. + +Welche verborgene Weisheit ist das, dass er lange Ohren trägt und +allein ja und nimmer Nein sagt! Hat er nicht die Welt erschaffen nach +seinem Bilde, nämlich so dumm als möglich? + +- Der Esel aber schrie dazu I-A. + +Du gehst gerade und krumme Wege; es kümmert dich wenig, was uns +Menschen gerade oder krumm dünkt. Jenseits von Gut und Böse ist dein +Reich. Es ist deine Unschuld, nicht zu wissen, was Unschuld ist. + +- Der Esel aber schrie dazu I-A. + +Siehe doch, wie du Niemanden von dir stössest, die Bettler nicht, noch +die Könige. Die Kindlein lässest du zu dir kommen, und wenn dich die +bösen Buben locken, so sprichst du einfältiglich I-A. + +- Der Esel aber schrie dazu I-A. + +Du liebst Eselinnen und frische Feigen, du bist kein Kostverächter. +Eine Distel kitzelt dir das Herz, wenn du gerade Hunger hast. Darin +liegt eines Gottes Weisheit. + +- Der Esel aber schrie dazu I-A. + + + +Das Eselsfest + +1. + +An dieser Stelle der Litanei aber konnte Zarathustra sich nicht länger +bemeistern, schrie selber I-A, lauter noch als der Esel, und sprang +mitten unter seine tollgewordenen Gäste. + +"Aber was treibt ihr da, ihr Menschenkinder? rief er, indem er die +Betenden vom Boden empor riss. Wehe, wenn euch Jemand Anderes zusähe +als Zarathustra: + +Jeder würde urtheilen, ihr wäret mit eurem neuen Glauben die ärgsten +Gotteslästerer oder die thörichtsten aller alten Weiblein! + +Und du selber, du alter Papst, wie stimmt Das mit dir selber zusammen, +dass du solchergestalt einen Esel hier als Gott anbetest?" - + +"Oh Zarathustra, antwortete der Papst, vergieb mir, aber in Dingen +Gottes bin ich aufgeklärter noch als du. Und so ist's billig. + +Lieber Gott also anbeten, in dieser Gestalt, als in gar keiner +Gestalt! Denke über diesen Spruch nach, mein hoher Freund: du erräthst +geschwind, in solchem Spruch steckt Weisheit. + +Der, welcher sprach `Gott ist ein Geist` - der machte bisher auf Erden +den grössten Schritt und Sprung zum Unglauben: solch Wort ist auf +Erden nicht leicht wieder gut zu machen! + +Mein altes Herz springt und hüpft darob, dass es auf Erden noch Etwas +anzubeten giebt. Vergieb das, oh Zarathustra, einem alten frommen +Papst-Herzen! -" + +- "Und du, sagte Zarathustra zu dem Wanderer und Schatten, du nennst +und wähnst dich einen freien Geist? Und treibst hier solchen Götzen- +und Pfaffendienst? + +Schlimmer, wahrlich, treibst du's hier noch als bei deinen schlimmen +braunen Mädchen, du schlimmer neuer Gläubiger!" + +"Schlimm genug, antwortete der Wanderer und Schatten, du hast Recht: +aber was kann ich dafür! Der alte Gott lebt wieder, Oh Zarathustra, du +magst reden, was du willst. + +Der hässlichste Mensch ist an Allem schuld: der hat ihn wieder +auferweckt. Und wenn er sagt, dass er ihn einst getödtet habe: _Tod_ +ist bei Göttern immer nur ein Vorurtheil." + +- Und du, sprach Zarathustra, du schlimmer alter Zauberer, was thatest +du! Wer soll, in dieser freien Zeit, fürderhin an dich glauben, wenn +_du_ an solche Götter-Eseleien glaubst? + +Es war eine Dummheit, was du thatest; wie konntest du, du Kluger, eine +solche Dummheit thun! + +"Oh Zarathustra, antwortete der kluge Zauberer, du hast Recht, es war +eine Dummheit, - es ist mir auch schwer genug geworden." + +- "Und du gar, sagte Zarathustra, zu dem Gewissenhaften des Geistes, +erwäge doch und lege den Finger an deine Nase! Geht hier denn Nichts +wider dein Gewissen? Ist dein Geist nicht zu reinlich für diess Beten +und den Dunst dieser Betbrüder?" + +"Es ist Etwas daran, antwortete der Gewissenhafte und legte den Finger +an die Nase, es ist Etwas an diesem Schauspiele, das meinem Gewissen +sogar wohlthut. + +Vielleicht, dass ich an Gott nicht glauben darf: gewiss aber ist, dass +Gott mir in dieser Gestalt noch am glaubwürdigsten dünkt. + +Gott soll ewig sein, nach dem Zeugnisse der Frömmsten: wer so viel +Zeit hat, lässt sich Zeit. So langsam und so dumm als möglich: _damit_ +kann ein Solcher es doch sehr weit bringen. + +Und wer des Geistes zu viel hat, der möchte sich wohl in die Dumm- +und Narrheit selber vernarren. Denke über dich selber nach, oh +Zarathustra! + +Du selber - wahrlich! auch du könntest wohl aus Überfluss und Weisheit +zu einem Esel werden. + +Geht nicht ein vollkommner Weiser gern auf den krümmsten Wegen? Der +Augenschein lehrt es, oh Zarathustra, - _dein_ Augenschein!" + +- "Und du selber zuletzt, sprach Zarathustra und wandte sich gegen den +hässlichsten Menschen, der immer noch auf dem Boden lag, den Arm zu +dem Esel emporhebend (er gab ihm nämlich Wein zu trinken). Sprich, du +Unaussprechlicher, was hast du da gemacht! + +Du dünkst mich verwandelt, dein Auge glüht, der Mantel des Erhabenen +liegt um deine Hässlichkeit: _was_ thatest du? + +Ist es denn wahr, was jene sagen, dass du ihn wieder auferwecktest? +Und wozu? War er nicht mit Grund abgetödtet und abgethan? + +Du selber dünkst mich aufgeweckt: was thatest du? was kehrtest _du_ +um? Was bekehrtest _du_ dich? Sprich, du Unaussprechlicher?" + +"Oh Zarathustra, antwortete der hässlichste Mensch, du bist ein +Schelm! + +Ob _Der_ noch lebt oder wieder lebt oder gründlich todt ist, - wer von +uns Beiden weiss Das am Besten? Ich frage dich. + +Eins aber weiss ich, - von dir selber lernte ich's einst, oh +Zarathustra: wer am gründlichsten tödten will, der _lacht_. + +`Nicht durch Zorn, sondern durch Lachen tödtet man` - so sprachst du +einst. Oh Zarathustra, du Verborgener, du Vernichter ohne Zorn, du +gefährlicher Heiliger, - du bist ein Schelm!" + + +2. + +Da aber geschah es, dass Zarathustra, verwundert über lauter solche +Schelmen-Antworten, zur Thür seiner Höhle zurück sprang und, gegen +alle seine Gäste gewendet, mit starker Stimme schrie: + +"Oh ihr Schalks-Narren allesammt, ihr Possenreisser! Was verstellt und +versteckt ihr euch vor mir! + +Wie doch einem jeden von euch das Herz zappelte vor Lust und Bosheit, +darob, dass ihr endlich einmal wieder wurdet wie die Kindlein, nämlich +fromm, - + +- dass ihr endlich wieder thatet wie Kinder thun, nämlich betetet, +hände-faltetet und `lieber Gott` sagtet! + +Aber nun lasst mir _diese_ Kinderstube, meine eigne Höhle, wo heute +alle Kinderei zu Hause ist. Kühlt hier draussen euren heissen +Kinder-Übermuth und Herzenslärm ab! + +Freilich: so ihr nicht werdet wie die Kindlein, so kommt ihr nicht in +_das_ Himmelreich. (Und Zarathustra zeigte mit den Händen nach Oben.) + +Aber wir wollen auch gar nicht in's Himmelreich: Männer sind wir +worden, - so wollen wir das Erdenreich." + + +3. + +Und noch einmal hob Zarathustra an zu reden. "Oh meine neuen Freunde, +sprach er, - ihr Wunderlichen, ihr höheren Menschen, wie gut gefallt +ihr mir nun, - + +- seit ihr wieder fröhlich wurdet! Ihr seid wahrlich Alle aufgeblüht: +mich dünkt, solchen Blumen, wie ihr seid, thun _neue_Feste_ noth, + +- ein kleiner tapferer Unsinn, irgend ein Gottesdienst und Eselsfest, +irgend ein alter fröhlicher Zarathustra-Narr, ein Brausewind, der euch +die Seelen hell bläst. + +Vergesst die Nacht und diess Eselsfest nicht, ihr höheren Menschen! +_Das_ erfandet ihr bei mir, Das nehme ich als gutes Wahrzeichen, - +Solcherlei erfinden nur Genesende! + +Und feiert ihr es abermals, dieses Eselsfest, thut's euch zu Liebe, +thut's auch mir zu Liebe! Und zu _meinem_ Gedächtniss!" + +Also sprach Zarathustra. + + + +Das Nachtwandler-Lied + +1. + +Inzwischen aber war Einer nach dem Andern hinaus getreten, in's Freie +und in die kühle nachdenkliche Nacht; Zarathustra selber aber führte +den hässlichsten Menschen an der Hand, dass er ihm seine Nacht-Welt +und den grossen runden Mond und die silbernen Wasserstürze bei seiner +Höhle zeige. Da standen sie endlich still bei einander, lauter alte +Leute, aber mit einem getrösteten tapferen Herzen und verwundert +bei sich, dass es ihnen auf Erden so wohl war; die Heimlichkeit der +Nacht aber kam ihnen näher und näher an's Herz. Und von Neuem dachte +Zarathustra bei sich: "oh wie gut sie mir nun gefallen, diese höheren +Menschen!" - aber er sprach es nicht aus, denn er ehrte ihr Glück und +ihr Stillschweigen. - + +Da aber geschah Das, was an jenem erstaunlichen langen Tage das +Erstaunlichste war: der hässlichste Mensch begann noch ein Mal und zum +letzten Mal zu gurgeln und zu schnauben, und als er es bis zu Worten +gebracht hatte, siehe, da sprang eine Frage rund und reinlich aus +seinem Munde, eine gute tiefe klare Frage, welche Allen, die ihm +zuhörten, das Herz im Leibe bewegte. + +"Meine Freunde insgesammt, sprach der hässlichste Mensch, was dünket +euch? Um dieses Tags Willen - _ich_ bin's zum ersten Male zufrieden, +dass ich das ganze Leben lebte. + +Und dass ich so viel bezeuge, ist mir noch nicht genug. Es lohnt sich +auf der Erde zu leben: Ein Tag, Ein Fest mit Zarathustra lehrte mich +die Erde lieben. + +`War _Das_ - das Leben?` will ich zum Tode sprechen. `Wohlan! Noch Ein +Mal!` + +Meine Freunde, was dünket euch? Wollt ihr nicht gleich mir zum Tode +sprechen: War Das - das Leben? Um Zarathustra's Willen, wohlan! Noch +Ein Mal!" - - + +Also sprach der hässlichste Mensch; es war aber nicht lange vor +Mitternacht. Und was glaubt ihr wohl, dass damals sich zutrug? Sobald +die höheren Menschen seine Frage hörten, wurden sie sich mit Einem +Male ihrer Verwandlung und Genesung bewusst, und wer ihnen dieselbe +gegeben habe: da sprangen sie auf Zarathustra zu, dankend, verehrend, +liebkosend, ihm die Hände küssend, so wie es der Art eines Jeden eigen +war: also dass Einige lachten, Einige weinten. Der alte Wahrsager aber +tanzte vor Vergnügen; und wenn er auch, wie manche Erzähler meinen, +damals voll süssen Weines war, so war er gewisslich noch voller des +süssen Lebens und hatte aller Müdigkeit abgesagt. Es giebt sogar +Solche, die erzählen, dass damals der Esel getanzt habe: nicht umsonst +nämlich habe ihm der hässlichste Mensch vorher Wein zu trinken +gegeben. Diess mag sich nun so verhalten oder auch anders; und wenn in +Wahrheit an jenem Abende der Esel nicht getanzt hat, so geschahen doch +damals grössere und seltsamere Wunderdinge als es das Tanzen eines +Esels wäre. Kurz, wie das Sprichwort Zarathustra's lautet: "was liegt +daran!" + + +2. + +Zarathustra aber, als sich diess mit dem hässlichsten Menschen zutrug, +stand da, wie ein Trunkener: sein Blick erlosch, seine Zunge lallte, +seine Füsse schwankten. Und wer möchte auch errathen, welche Gedanken +dabei über Zarathustra's Seele liefen? Ersichtlich aber wich sein +Geist zurück und floh voraus und war in weiten Fernen und gleichsam +"auf hohem Joche, wie geschrieben steht, zwischen zwei Meeren, + +- zwischen Vergangenem und Zukünftigem als schwere Wolke wandelnd." +Allgemach aber, während ihn die höheren Menschen in den Armen hielten, +kam er ein Wenig zu sich selber zurück und wehrte mit den Händen dem +Gedränge der Verehrenden und Besorgten; doch sprach er nicht. Mit +Einem Male aber wandte er schnell den Kopf, denn er schien Etwas zu +hören: da legte er den Finger an den Mund und sprach: "Kommt!" + +Und alsbald wurde es rings still und heimlich; aus der Tiefe aber kam +langsam der Klang einer Glocke herauf. Zarathustra horchte darnach, +gleich den höheren Menschen; dann aber legte er zum andern Male den +Finger an den Mund und sprach wiederum: "Kommt! Kommt! Es geht gen +Mitternacht!" - und seine Stimme hatte sich verwandelt. Aber immer +noch rührte er sich nicht von der Stelle: da wurde es noch stiller +und heimlicher, und Alles horchte, auch der Esel, und Zarathustra's +Ehrenthiere, der Adler und die Schlange, insgleichen die Höhle +Zarathustra's und der grosse kühle Mond und die Nacht selber. +Zarathustra aber legte zum dritten Male die Hand an den Mund und +sprach: + +Kommt! Kommt! Kommt! Lasst uns jetzo wandeln! Es ist die Stunde: lasst +uns in die Nacht wandeln! + + +3. + +Ihr höheren Menschen, es geht gen Mitternacht: da will ich euch Etwas +in die Ohren sagen, wie jene alte Glocke es mir in's Ohr sagt, - + +- so heimlich, so schrecklich, so herzlich, wie jene +Mitternachts-Glocke zu mir es redet, die mehr erlebt hat als Ein +Mensch: + +- welche schon eurer Väter Herzens-Schmerzens-Schläge abzählte - ach! +ach! wie sie seufzt! wie sie im Traume lacht! die alte tiefe tiefe +Mitternacht! + +Still! Still! Da hört sich Manches, das am Tage nicht laut werden +darf; nun aber, bei kühler Luft, da auch aller Lärm eurer Herzen +stille ward, - + +- nun redet es, nun hört es sich, nun schleicht es sich in nächtliche +überwache Seelen: ach! ach! wie sie seufzt! wie sie im Traume lacht! + +- hörst du's nicht, wie sie heimlich, schrecklich, herzlich zu _dir_ +redet, die alte tiefe tiefe Mitternacht? Oh Mensch, gieb Acht! + + +4. + +Wehe mir! Wo ist die Zeit hin? Sank ich nicht in tiefe Brunnen? Die +Welt schläft - + +Ach! Ach! Der Hund heult, der Mond scheint. Lieber will ich sterben, +sterben, als euch sagen, was mein Mitternachts-Herz eben denkt. + +Nun starb ich schon. Es ist dahin. Spinne, was spinnst du um mich? +Willst du Blut? Ach! Ach! der Thau fällt, die Stunde kommt - + +- die Stunde, wo mich fröstelt und friert, die fragt und fragt und +fragt: "wer hat Herz genug dazu? + +- wer soll der Erde Herr sein? Wer will sagen: _so_ sollt ihr laufen, +ihr grossen und kleinen Ströme!" + +- die Stunde naht: oh Mensch, du höherer Mensch, gieb Acht! diese +Rede ist für feine Ohren, für deine Ohren was spricht die tiefe +Mitternacht? + + +5. + +Es trägt mich dahin, meine Seele tanzt. Tagewerk! Tagewerk! Wer soll +der Erde Herr sein? + +Der Mond ist kühl, der Wind schweigt. Ach! Ach! Flogt ihr schon hoch +genug? Ihr tanztet: aber ein Bein ist doch kein Flügel. + +Ihr guten Tänzer, nun ist alle Lust vorbei, Wein ward Hefe, jeder +Becher ward mürbe, die Gräber stammeln. + +Ihr flogt nicht hoch genug: nun stammeln die Gräber "erlöst doch die +Todten! Warum ist so lange Nacht? Macht uns nicht der Mond trunken?" + +Ihr höheren Menschen, erlöst doch die Gräber, weckt die Leichname auf! +Ach, was gräbt noch der Wurm? Es naht, es naht die Stunde, - + +- es brummt die Glocke, es schnarrt noch das Herz, es gräbt noch der +Holzwurm, der Herzenswurm. Ach! Ach! Die Welt ist tief! + + +6. + +Süsse Leier! Süsse Leier! Ich liebe deinen Ton, deinen trunkenen +Unken-Ton! - wie lang her, wie fern her kommt mir dein Ton, weit her, +von den Teichen der Liebe! + +Du alte Glocke, du süsse Leier! Jeder Schmerz riss dir in's Herz, +Vaterschmerz, Väterschmerz, Urväterschmerz, deine Rede wurde reif,- + +- reif gleich goldenem Herbste und Nachmittage, gleich meinem +Einsiedlerherzen - nun redest du: die Welt selber ward reif, die +Traube bräunt, + +- nun will sie sterben, vor Glück sterben. Ihr höheren Menschen, +riecht ihr's nicht? Es quillt heimlich ein Geruch herauf, + +- ein Duft und Geruch der Ewigkeit, ein rosenseliger, brauner +Gold-Wein-Geruch von altem Glücke, + +von trunkenem Mitternachts-Sterbeglücke, welches singt: die Welt ist +tief und tiefer als der Tag gedacht! + + +7. + +Lass mich! Lass mich! Ich bin zu rein für dich. Rühre mich nicht an! +Ward meine Welt nicht eben vollkommen? + +Meine Haut ist zu rein für deine Hände. Lass mich, du dummer +tölpischer dumpfer Tag! Ist die Mitternacht nicht heller? + +Die Reinsten sollen der Erde Herrn sein, die Unerkanntesten, +Stärksten, die Mitternachts-Seelen, die heller und tiefer sind als +jeder Tag. + +Oh Tag, du tappst nach mir? Du tastest nach meinem Glücke? Ich bin dir +reich, einsam, eine Schatzgrube, eine Goldkammer? + +Oh Welt, du willst _mich_? Bin ich dir weltlich? Bin ich dir +geistlich? Bin ich dir göttlich? Aber Tag und Welt, ihr seid zu +plump, - + +- habt klügere Hände, greift nach tieferem Glücke, nach tieferem +Unglücke, greift nach irgend einem Gotte, greift nicht nach mir: + +- mein Unglück, mein Glück ist tief, du wunderlicher Tag, aber doch +bin ich kein Gott, keine Gottes-Hölle: tief ist ihr Weh. + + +8. + +Gottes Weh ist tiefer, du wunderliche Welt! Greife nach Gottes Weh, +nicht nach mir! Was bin ich! Eine trunkene süsse Leier, - + +eine Mitternachts-Leier, eine Glocken-Unke, die Niemand versteht, +aber welche reden _muss_, vor Tauben, ihr höheren Menschen! Denn ihr +versteht mich nicht! + +Dahin! Dahin! Oh Jugend! Oh Mittag! Oh Nachmittag! Nun kam Abend und +Nacht und Mitternacht, - der Hund heult, der Wind: + +- ist der Wind nicht ein Hund? Er winselt, er kläfft, er heult. Ach! +Ach! wie sie seufzt! wie sie lacht, wie sie röchelt und keucht, die +Mitternacht! + +Wie sie eben nüchtern spricht, diese trunkene Dichterin! sie übertrat +wohl ihre Trunkenheit? sie wurde überwach? sie käut zurück? + +- ihr Weh käut sie zurück, im Traume, die alte tiefe Mitternacht, und +mehr noch ihre Lust. Lust nämlich, wenn schon Weh tief ist: Lust ist +tiefer noch als Herzeleid. + + +9. + +Du Weinstock! Was preisest du mich? Ich schnitt dich doch! Ich bin +grausam, du blutest -: was will dein Lob meiner trunkenen Grausamkeit? + +"Was vollkommen ward, alles Reife - will sterben!" so redest du. +Gesegnet, gesegnet sei das Winzermesser! Aber alles Unreife will +leben: wehe! + +Weh spricht: "Vergeh! Weg, du Wehe!" Aber Alles, was leidet, will +leben, dass es reif werde und lustig und sehnsüchtig, + +- sehnsüchtig nach Fernerem, Höherem, Hellerem. "Ich will Erben, so +spricht Alles, was leidet, ich will Kinder, ich will nicht _mich_," - + +Lust aber will nicht Erben, nicht Kinder, - Lust will sich selber, +will Ewigkeit, will Wiederkunft, will Alles-sich-ewig-gleich. + +Weh spricht: "Brich, blute, Herz! Wandle, Bein! Flügel, flieg! Hinan! +Hinauf! Schmerz!" Wohlan! Wohlauf! Oh mein altes Herz: Weh spricht: +"vergeh!" + + +10. + +Ihr höheren Menschen, was dünket euch? Bin ich ein Wahrsager? Ein +Träumender? Trunkener? Ein Traumdeuter? Eine Mitternachts-Glocke? + +Ein Tropfen Thau's? Ein Dunst und Duft der Ewigkeit? Hört ihr's nicht? +Riecht ihr's nicht? Eben ward meine Welt vollkommen, Mitternacht ist +auch Mittag, - + +Schmerz ist auch eine Lust, Fluch ist auch ein Segen, Nacht ist auch +eine Sonne, - geht davon oder ihr lernt: ein Weiser ist auch ein Narr. + +Sagtet ihr jemals ja zu Einer Lust? Oh, meine Freunde, so sagtet +ihr Ja auch zu _allem_ Wehe. Alle Dinge sind verkettet, verfädelt, +verliebt, - + +- wolltet ihr jemals Ein Mal Zwei Mal, spracht ihr jemals "du gefällst +mir, Glück! Husch! Augenblick!" so wolltet ihr _Alles_ zurück! + +- Alles von neuem, Alles ewig, Alles verkettet, verfädelt, verliebt, +oh so _liebtet_ ihr die Welt, - + +- ihr Ewigen, liebt sie ewig und allezeit: und auch zum Weh sprecht +ihr: vergeh, aber komm zurück! Denn alle Lust will - Ewigkeit! + + +11. + +Alle Lust will aller Dinge Ewigkeit, will Honig, will Hefe, will +trunkene Mitternacht, will Gräber, will Gräber-Thränen-Trost, will +vergüldetes Abendroth - + +- _was_ will nicht Lust! sie ist durstiger, herzlicher, hungriger, +schrecklicher, heimlicher als alles Weh, sie will _sich_, sie beisst +in _sich_, des Ringes Wille ringt in ihr, - + +- sie will Liebe, sie will Hass, sie ist überreich, schenkt, wirft +weg, bettelt, dass Einer sie nimmt, dankt dem Nehmenden, sie möchte +gern gehasst sein, - + +- so reich ist Lust, dass sie nach Wehe durstet, nach Hölle, nach +Hass, nach Schmach, nach dem Krüppel, nach _Welt_, - denn diese Welt, +oh ihr kennt sie ja! + +Ihr höheren Menschen, nach euch sehnt sie sich, die Lust, die +unbändige, selige, - nach eurem Weh, ihr Missrathenen! Nach +Missrathenem sehnt sich alle ewige Lust. + +Denn alle Lust will sich selber, drum will sie auch Herzeleid! Oh +Glück, oh Schmerz! Oh brich, Herz! Ihr höheren Menschen, lernt es +doch, Lust will Ewigkeit, + +- Lust will _aller_ Dinge Ewigkeit, will tiefe, tiefe Ewigkeit! + + +12. + +Lerntet ihr nun mein Lied? Erriethet ihr, was es will? Wohlan! +Wohlauf! Ihr höheren Menschen, so singt mir nun meinen Rundgesang! + +Singt mir nun selber das Lied, dess Name ist "Noch ein Mal", dess Sinn +ist "in alle Ewigkeit!", singt, ihr höheren Menschen, Zarathustra's +Rundgesang! + + Oh Mensch! Gieb Acht! + Was spricht die tiefe Mitternacht? + "Ich schlief, ich schlief -, + Aus tiefem Traum bin ich erwacht: - + Die Welt ist tief, + Und tiefer als der Tag gedacht. + Tief ist ihr Weh -, + Lust - tiefer noch als Herzeleid: + Weh spricht: Vergeh! + Doch alle Lust will Ewigkeit + will tiefe, tiefe Ewigkeit!" + + + +Das Zeichen + +Des Morgens aber nach dieser Nacht sprang Zarathustra von seinem Lager +auf, gürtete sich die Lenden und kam heraus aus seiner Höhle, glühend +und stark, wie eine Morgensonne, die aus dunklen Bergen kommt. + +"Du grosses Gestirn, sprach er, wie er einstmal gesprochen hatte, +du tiefes Glücks-Auge, was wäre all dein Glück, wenn du nicht _Die_ +hättest, welchen du leuchtest! + +Und wenn sie in ihren Kammern blieben, während du schon wach bist und +kommst und schenkst und austheilst: wie würde darob deine stolze Scham +zürnen! + +Wohlan! sie schlafen noch, diese höheren Menschen, während _ich_ wach +bin: _das_ sind nicht meine rechten Gefährten! Nicht auf sie warte ich +hier in meinen Bergen. + +Zu meinem Werke will ich, zu meinem Tage: aber sie verstehen nicht, +was die Zeichen meines Morgens sind, mein Schritt - ist für sie kein +Weckruf. + +Sie schlafen noch in meiner Höhle, ihr Traum käut noch an meinen +Mitternächten. Das Ohr, das nach _mir_ horcht, - das _gehorchende_ Ohr +fehlt in ihren Gliedern." + +- Diess hatte Zarathustra zu seinem Herzen gesprochen, als die Sonne +aufgieng: da blickte er fragend in die Höhe, denn er hörte über sich +den scharfen Ruf seines Adlers. "Wohlan! rief er hinauf, so gefällt +und gebührt es mir. Meine Thiere sind wach, denn ich bin wach. + +Mein Adler ist wach und ehrt gleich mir die Sonne. Mit Adlers-Klauen +greift er nach dem neuen Lichte. Ihr seid meine rechten Thiere; ich +liebe euch. + +Aber noch fehlen mir meine rechten Menschen!" - + +Also sprach Zarathustra; da aber geschah es, dass er sich plötzlich +wie von unzähligen Vögeln umschwärmt und umflattert hörte, - das +Geschwirr so vieler Flügel aber und das Gedräng um sein Haupt war so +gross, dass er die Augen schloss. Und wahrlich, einer Wolke gleich +fiel es über ihn her, einer Wolke von Pfeilen gleich, welche sich über +einen neuen Feind ausschüttet. Aber siehe, hier war es eine Wolke der +Liebe, und über einen neuen Freund. + +"Was geschieht mir?" dachte Zarathustra in seinem erstaunten Herzen +und liess sich langsam auf dem grossen Steine nieder, der neben dem +Ausgange seiner Höhle lag. Aber, indem er mit den Händen um sich und +über sich und unter sich griff, und den zärtlichen Vögeln wehrte, +siehe, da geschah ihm etwas noch Seltsameres: er griff nämlich dabei +unvermerkt in ein dichtes warmes Haar-Gezottel hinein; zugleich aber +erscholl vor ihm ein Gebrüll, - ein sanftes langes Löwen-Brüllen. + +"Das Zeichen kommt," sprach Zarathustra und sein Herz verwandelte +sich. Und in Wahrheit, als es helle vor ihm wurde, da lag ihm ein +gelbes mächtiges Gethier zu Füssen und schmiegte das Haupt an seine +Knie und wollte nicht von ihm lassen vor Liebe und that einem Hunde +gleich, welcher seinen alten Herrn wiederfindet. Die Tauben aber waren +mit ihrer Liebe nicht minder eifrig als der Löwe; und jedes Mal, wenn +eine Taube über die Nase des Löwen huschte, schüttelte der Löwe das +Haupt und wunderte sich und lachte dazu. + +Zu dem Allen sprach Zarathustra nur Ein Wort: "meine Kinder sind nahe, +meine Kinder" -, dann wurde er ganz stumm. Sein Herz aber war gelöst, +und aus seinen Augen tropften Thränen herab und fielen auf seine +Hände. Und er achtete keines Dings mehr und sass da, unbeweglich und +ohne dass er sich noch gegen die Thiere wehrte. Da flogen die Tauben +ab und zu und setzten sich ihm auf die Schulter und liebkosten sein +weisses Haar und wurden nicht müde mit Zärtlichkeit und Frohlocken. +Der starke Löwe aber leckte immer die Thränen, welche auf die Hände +Zarathustra's herabfielen und brüllte und brummte schüchtern dazu. +Also trieben es diese Thiere. - + +Diess Alles dauerte eine lange Zeit, oder eine kurze Zeit: denn, recht +gesprochen, giebt es für dergleichen Dinge auf Erden _keine_ Zeit -. +Inzwischen aber waren die höheren Menschen in der Höhle Zarathustra's +wach geworden und ordneten sich mit einander zu einem Zuge an, dass +sie Zarathustra entgegen giengen und ihm den Morgengruss böten: denn +sie hatten gefunden, als sie erwachten, dass er schon nicht mehr unter +ihnen weilte. Als sie aber zur Thür der Höhle gelangten, und das +Geräusch ihrer Schritte ihnen voranlief, da stutzte der Löwe gewaltig, +kehrte sich mit Einem Male von Zarathustra ab und sprang, wild +brüllend, auf die Höhle los; die höheren Menschen aber, als sie ihn +brüllen hörten, schrien alle auf, wie mit Einem Munde, und flohen +zurück und waren im Nu verschwunden. + +Zarathustra selber aber, betäubt und fremd, erhob sich von seinem +Sitze, sah um sich, stand staunend da, fragte sein Herz, besann sich +und war allein. "Was hörte ich doch? sprach er endlich langsam, was +geschah mir eben?" + +Und schon kam ihm die Erinnerung, und er begriff mit Einem Blicke +Alles, was zwischen Gestern und Heute sich begeben hatte. "Hier ist +ja der Stein, sprach er und strich sich den Bart, auf _dem_ sass ich +gestern am Morgen; und hier trat der Wahrsager zu mir, und hier hörte +ich zuerst den Schrei, den ich eben hörte, den grossen Nothschrei. + +Oh ihr höheren Menschen, von _eurer_ Noth war's ja, dass gestern am +Morgen jener alte Wahrsager mir wahrsagte, - + +- zu eurer Noth wollte er mich verfuhren und versuchen: oh +Zarathustra, sprach er zu mir, ich komme, dass ich dich zu deiner +letzten Sünde verführe. + +Zu meiner letzten Sünde? rief Zarathustra und lachte zornig über sein +eigenes Wort: _was_ blieb mir doch aufgespart als meine letzte Sünde?" + +- Und noch ein Mal versank Zarathustra in sich und setzte sich wieder +auf den grossen Stein nieder und sann nach. Plötzlich sprang er +empor, - + +"Mitleiden! Das Mitleiden mit dem höheren Menschen! schrie er auf, +und sein Antlitz verwandelte sich in Erz. Wohlan! _Das_ - hatte seine +Zeit! + +Mein Leid und mein Mitleiden - was liegt daran! Trachte ich denn nach +_Glücke_? Ich trachte nach meinem _Werke_! + +Wohlan! Der Löwe kam, meine Kinder sind nahe, Zarathustra ward reif, +meine Stunde kam: - + +Dies ist _mein_ Morgen, _mein_ Tag hebt an: herauf nun, herauf, du +grosser Mittag!" - - + +Also sprach Zarathustra und verliess seine Höhle, glühend und stark, +wie eine Morgensonne, die aus dunklen Bergen kommt. + + + + + + + + +End of the Project Gutenberg EBook of Also Sprach Zarathustra, by +Friedrich Wilhelm Nietzsche + +*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK ALSO SPRACH ZARATHUSTRA *** + +***** This file should be named 7205-8.txt or 7205-8.zip ***** +This and all associated files of various formats will be found in: + http://www.gutenberg.org/7/2/0/7205/ + +Produced by Peter Bellen, derived from HTML files at +"Projekt Gutenberg - DE" + + +Updated editions will replace the previous one--the old editions +will be renamed. + +Creating the works from public domain print editions means that no +one owns a United States copyright in these works, so the Foundation +(and you!) can copy and distribute it in the United States without +permission and without paying copyright royalties. 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It exists +because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from +people in all walks of life. + +Volunteers and financial support to provide volunteers with the +assistance they need, are critical to reaching Project Gutenberg-tm's +goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will +remain freely available for generations to come. In 2001, the Project +Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure +and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations. +To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation +and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 +and the Foundation web page at http://www.pglaf.org. + + +Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive +Foundation + +The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit +501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the +state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal +Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification +number is 64-6221541. Its 501(c)(3) letter is posted at +http://pglaf.org/fundraising. Contributions to the Project Gutenberg +Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent +permitted by U.S. federal laws and your state's laws. + +The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S. +Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered +throughout numerous locations. Its business office is located at +809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email +business@pglaf.org. 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Thus, we do not necessarily +keep eBooks in compliance with any particular paper edition. + + +Most people start at our Web site which has the main PG search facility: + + http://www.gutenberg.org + +This Web site includes information about Project Gutenberg-tm, +including how to make donations to the Project Gutenberg Literary +Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to +subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks. diff --git a/old/7205-8.zip b/old/7205-8.zip Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..4ebc432 --- /dev/null +++ b/old/7205-8.zip diff --git a/old/7205-h.zip b/old/7205-h.zip Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..58a55cf --- /dev/null +++ b/old/7205-h.zip diff --git a/old/7205-h/7205-h.htm b/old/7205-h/7205-h.htm new file mode 100644 index 0000000..28720f6 --- /dev/null +++ b/old/7205-h/7205-h.htm @@ -0,0 +1,20740 @@ +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.0 Strict//EN" +"http://www.w3.org/TR/xhtml1/DTD/xhtml1-strict.dtd"> +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml" xml:lang="en" lang="de"> +<head> +<meta http-equiv="Content-Type" content="text/html;charset=utf-8" /> +<meta http-equiv="Content-Style-Type" content="text/css" /> +<title>The Project Gutenberg eBook of Also sprach Zarathustra, by Friedrich Wilhelm Nietzsche</title> +<link rel="coverpage" href="images/cover.jpg" /> +<style type="text/css"> + +body { margin-left: 20%; + margin-right: 20%; + text-align: justify } + +h1, h2, h3, h4, h5 {text-align: center; font-style: normal; font-weight: +normal; line-height: 1.5; margin-top: .5em; margin-bottom: .5em;} + +h1 {font-size: 300%; + margin-top: 0.6em; + margin-bottom: 0.6em; + letter-spacing: 0.12em; + word-spacing: 0.2em; + text-indent: 0em;} +h2 {font-size: 175%; margin-top: 2em; margin-bottom: 2em;} +h3 {font-size: 150%; margin-top: 2em;} +h4 {font-size: 120%;} +h5 {font-size: 110%;} + +hr {width: 80%; margin-top: 2em; margin-bottom: 2em;} + +div.chapter {page-break-before: always; margin-top: 4em;} + +p {text-indent: 1em; + margin-top: 0.25em; + margin-bottom: 0.25em; } + +p.poem {text-indent: 0%; + margin-left: 10%; + font-size: 90%; + margin-top: 1em; + margin-bottom: 1em; } + +p.noindent {text-indent: 0% } + +p.right {text-align: right; + margin-right: 10%; + margin-top: 1em; + margin-bottom: 1em; } + +div.fig { display:block; + margin:0 auto; + text-align:center; + margin-top: 1em; + margin-bottom: 1em;} + +a:link {color:blue; text-decoration:none} +a:visited {color:blue; text-decoration:none} +a:hover {color:red} + +</style> + +</head> + +<body> + +<div style='text-align:center; font-size:1.2em; font-weight:bold'>The Project Gutenberg eBook of Also Sprach Zarathustra, by Friedrich Wilhelm Nietzsche</div> +<div style='display:block; margin:1em 0'> +This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and +most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions +whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms +of the Project Gutenberg License included with this eBook or online +at <a href="https://www.gutenberg.org">www.gutenberg.org</a>. 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style="width:100%;" alt="cover" /><br/><br/> +</div> + +<h1>Also sprach Zarathustra</h1> + +<h4>Ein Buch für Alle und Keinen</h4> + +<h2>von Friedrich Wilhelm Nietzsche</h2> + +<hr /> + +<h3>Inhaltsverzeichnis</h3> + +<table summary="" style="margin-left: auto; margin-right: auto"> + +<tr> +<td> <a href="#part01"><b>Erster Theil</b></a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap01">Zarathustra’s Vorrede</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap02">Die Reden Zarathustra’s</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap03">Von den drei Verwandlungen</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap04">Von den Lehrstühlen der Tugend</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap05">Von den Hinterweltlern</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap06">Von den Verächtern des Leibes</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap07">Von den Freuden- und Leidenschaften</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap08">Vom bleichen Verbrecher</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap09">Vom Lesen und Schreiben</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap10">Vom Baum am Berge</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap11">Von den Predigern des Todes</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap12">Vom Krieg und Kriegsvolke</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap13">Vom neuen Götzen</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap14">Von den Fliegen des Marktes</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap15">Von der Keuschheit</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap16">Vom Freunde</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap17">Von tausend und Einem Ziele</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap18">Von der Nächstenliebe</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap19">Vom Wege des Schaffenden</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap20">Von alten und jungen Weiblein</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap21">Vom Biss der Natter</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap22">Von Kind und Ehe</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap23">Vom freien Tode</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap24">Von der schenkenden Tugend</a><br/><br/></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#part02"><b>Zweiter Theil</b></a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap25">Das Kind mit dem Spiegel</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap26">Auf den glückseligen Inseln</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap27">Von den Mitleidigen</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap28">Von den Priestern</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap29">Von den Tugendhaften</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap30">Vom Gesindel</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap31">Von den Taranteln</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap32">Von den berühmten Weisen</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap33">Das Nachtlied</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap34">Das Tanzlied</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap35">Das Grablied</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap36">Von der Selbst-Überwindung</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap37">Von den Erhabenen</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap38">Vom Lande der Bildung</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap39">Von der unbefleckten Erkenntniss</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap40">Von den Gelehrten</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap41">Von den Dichtern</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap42">Von grossen Ereignissen</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap43">Der Wahrsager</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap44">Von der Erlösung</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap45">Von der Menschen-Klugheit</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap46">Die stillste Stunde</a><br/><br/></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#part03"><b>Dritter Theil</b></a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap47">Der Wanderer</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap48">Vom Gesicht und Räthsel</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap49">Von der Seligkeit wider Willen</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap50">Vor Sonnen-Aufgang</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap51">Von der verkleinernden Tugend</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap52">Auf dem Ölberge</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap53">Vom Vorübergehen</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap54">Von den Abtrünnigen</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap55">Die Heimkehr</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap56">Von den drei Bösen</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap57">Vom Geist der Schwere</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap58">Von alten und neuen Tafeln</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap59">Der Genesende</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap60">Von der grossen Sehnsucht</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap61">Das andere Tanzlied</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap62">Die sieben Siegel (Oder: das Ja- und Amen-Lied)</a><br/><br/></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#part04"><b>Vierter und letzter Theil</b></a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap63">Das Honig-Opfer</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap64">Der Nothschrei</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap65">Gespräch mit den Königen</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap66">Der Blutegel</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap67">Der Zauberer</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap68">Ausser Dienst</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap69">Der hässlichste Mensch</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap70">Der freiwillige Bettler</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap71">Der Schatten</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap72">Mittags</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap73">Die Begrüssung</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap74">Das Abendmahl</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap75">Vom höheren Menschen</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap76">Das Lied der Schwermuth</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap77">Von der Wissenschaft</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap78">Unter Töchtern der Wüste</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap79">Die Erweckung</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap80">Das Eselsfest</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap81">Das Nachtwandler-Lied</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap82">Das Zeichen</a></td> +</tr> + +</table> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="part01"></a>Erster Theil</h2> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap01"></a>Zarathustra’s Vorrede.</h3> + +<h4>1.</h4> + +<p> +Als Zarathustra dreissig Jahr alt war, verliess er seine Heimat und den See +seiner Heimat und ging in das Gebirge. Hier genoss er seines Geistes und seiner +Einsamkeit und wurde dessen zehn Jahr nicht müde. Endlich aber verwandelte sich +sein Herz,—und eines Morgens stand er mit der Morgenröthe auf, trat vor +die Sonne hin und sprach zu ihr also: +</p> + +<p> +„Du grosses Gestirn! Was wäre dein Glück, wenn du nicht Die hättest, +welchen du leuchtest! +</p> + +<p> +Zehn Jahre kamst du hier herauf zu meiner Höhle: du würdest deines Lichtes und +dieses Weges satt geworden sein, ohne mich, meinen Adler und meine Schlange. +</p> + +<p> +Aber wir warteten deiner an jedem Morgen, nahmen dir deinen Überfluss ab und +segneten dich dafür. +</p> + +<p> +Siehe! Ich bin meiner Weisheit überdrüssig, wie die Biene, die des Honigs zu +viel gesammelt hat, ich bedarf der Hände, die sich ausstrecken. +</p> + +<p> +Ich möchte verschenken und austheilen, bis die Weisen unter den Menschen wieder +einmal ihrer Thorheit und die Armen einmal ihres Reichthums froh geworden sind. +</p> + +<p> +Dazu muss ich in die Tiefe steigen: wie du des Abends thust, wenn du hinter das +Meer gehst und noch der Unterwelt Licht bringst, du überreiches Gestirn! +</p> + +<p> +Ich muss, gleich dir, <i>untergehen</i>, wie die Menschen es nennen, zu denen +ich hinab will. +</p> + +<p> +So segne mich denn, du ruhiges Auge, das ohne Neid auch ein allzugrosses Glück +sehen kann! +</p> + +<p> +Segne den Becher, welcher überfliessen will, dass das Wasser golden aus ihm +fliesse und überallhin den Abglanz deiner Wonne trage! +</p> + +<p> +Siehe! Dieser Becher will wieder leer werden, und Zarathustra will wieder +Mensch werden.“ +</p> + +<p> +—Also begann Zarathustra’s Untergang. +</p> + +<h4>2.</h4> + +<p> +Zarathustra stieg allein das Gebirge abwärts und Niemand begegnete ihm. Als er +aber in die Wälder kam, stand auf einmal ein Greis vor ihm, der seine heilige +Hütte verlassen hatte, um Wurzeln im Walde zu suchen. Und also sprach der Greis +zu Zarathustra: +</p> + +<p> +Nicht fremd ist mir dieser Wanderer: vor manchem Jahre gieng er hier vorbei. +Zarathustra hiess er; aber er hat sich verwandelt. Damals trugst du deine Asche +zu Berge: willst du heute dein Feuer in die Thäler tragen? Fürchtest du nicht +des Brandstifters Strafen? +</p> + +<p> +Ja, ich erkenne Zarathustra. Rein ist sein Auge, und an seinem Munde birgt sich +kein Ekel. Geht er nicht daher wie ein Tänzer? +</p> + +<p> +Verwandelt ist Zarathustra, zum Kind ward Zarathustra, ein Erwachter ist +Zarathustra: was willst du nun bei den Schlafenden? +</p> + +<p> +Wie im Meere lebtest du in der Einsamkeit, und das Meer trug dich. Wehe, du +willst an’s Land steigen? Wehe, du willst deinen Leib wieder selber +schleppen? +</p> + +<p> +Zarathustra antwortete: „Ich liebe die Menschen.“ +</p> + +<p> +Warum, sagte der Heilige, gieng ich doch in den Wald und die Einöde? War es +nicht, weil ich die Menschen allzu sehr liebte? +</p> + +<p> +Jetzt liebe ich Gott: die Menschen liebe ich nicht. Der Mensch ist mir eine zu +unvollkommene Sache. Liebe zum Menschen würde mich umbringen. +</p> + +<p> +Zarathustra antwortete: „Was sprach ich von Liebe! Ich bringe den +Menschen ein Geschenk.“ +</p> + +<p> +Gieb ihnen Nichts, sagte der Heilige. Nimm ihnen lieber Etwas ab und trage es +mit ihnen—das wird ihnen am wohlsten thun: wenn er dir nur wohlthut! +</p> + +<p> +Und willst du ihnen geben, so gieb nicht mehr, als ein Almosen, und lass sie +noch darum betteln! +</p> + +<p> +„Nein, antwortete Zarathustra, ich gebe kein Almosen. Dazu bin ich nicht +arm genug.“ +</p> + +<p> +Der Heilige lachte über Zarathustra und sprach also: So sieh zu, dass sie deine +Schätze annehmen! Sie sind misstrauisch gegen die Einsiedler und glauben nicht, +dass wir kommen, um zu schenken. +</p> + +<p> +Unse Schritte klingen ihnen zu einsam durch die Gassen. Und wie wenn sie Nachts +in ihren Betten einen Mann gehen hören, lange bevor die Sonne aufsteht, so +fragen sie sich wohl: wohin will der Dieb? +</p> + +<p> +Gehe nicht zu den Menschen und bleibe im Walde! Gehe lieber noch zu den +Thieren! Warum willst du nicht sein, wie ich,—ein Bär unter Bären, ein +Vogel unter Vögeln? +</p> + +<p> +„Und was macht der Heilige im Walde?“ fragte Zarathustra. +</p> + +<p> +Der Heilige antwortete: Ich mache Lieder und singe sie, und wenn ich Lieder +mache, lache, weine und brumme ich: also lobe ich Gott. +</p> + +<p> +Mit Singen, Weinen, Lachen und Brummen lobe ich den Gott, der mein Gott ist. +Doch was bringst du uns zum Geschenke? +</p> + +<p> +Als Zarathustra diese Worte gehört hatte, grüsste er den Heiligen und sprach: +„Was hätte ich euch zu geben! Aber lasst mich schnell davon, dass ich +euch Nichts nehme!“—Und so trennten sie sich von einander, der +Greis und der Mann, lachend, gleichwie zwei Knaben lachen. +</p> + +<p> +Als Zarathustra aber allein war, sprach er also zu seinem Herzen: „Sollte +es denn möglich sein! Dieser alte Heilige hat in seinem Walde noch Nichts davon +gehört, dass <i>Gott todt</i> ist!“— +</p> + +<h4>3.</h4> + +<p> +Als Zarathustra in die Nächste Stadt kam, die an den Wäldern liegt, fand er +daselbst viel Volk versammelt auf dem Markte: denn es war verheissen worden, +das man einen Seiltänzer sehen solle. Und Zarathustra sprach also zum Volke: +</p> + +<p> +Ich lehre euch den Übermenschen. Der Mensch ist Etwas, das überwunden werden +soll. Was habt ihr gethan, ihn zu überwinden? +</p> + +<p> +„Alle Wesen bisher schufen etwas über sich hinaus: und ihr wollt die Ebbe +dieser großen Flut sein und lieber noch zum Tiere zurückgehen, als den Menschen +zu überwinden?“ +</p> + +<p> +Was ist der Affe für den Menschen? Ein Gelächter oder eine schmerzliche Scham. +Und ebendas soll der Mensch für den Übermenschen sein: ein Gelächter oder eine +schmerzliche Scham. +</p> + +<p> +Ihr habt den Weg vom Wurme zum Menschen gemacht, und Vieles ist in euch noch +Wurm. Einst wart ihr Affen, und auch jetzt ist der Mensch mehr Affe, als irgend +ein Affe. +</p> + +<p> +Wer aber der Weiseste von euch ist, der ist auch nur ein Zwiespalt und Zwitter +von Pflanze und von Gespenst. Aber heisse ich euch zu Gespenstern oder Pflanzen +werden? +</p> + +<p> +Seht, ich lehre euch den Übermenschen! +</p> + +<p> +Der Übermensch ist der Sinn der Erde. Euer Wille sage: der Übermensch +<i>sei</i> der Sinn der Erde! +</p> + +<p> +Ich beschwöre euch, meine Brüder, <i>bleibt der Erde treu</i> und glaubt Denen +nicht, welche euch von überirdischen Hoffnungen reden! Giftmischer sind es, ob +sie es wissen oder nicht. +</p> + +<p> +Verächter des Lebens sind es, Absterbende und selber Vergiftete, deren die Erde +müde ist: so mögen sie dahinfahren! +</p> + +<p> +Einst war der Frevel an Gott der grösste Frevel, aber Gott starb, und damit +auch diese Frevelhaften. An der Erde zu freveln ist jetzt das Furchtbarste und +die Eingeweide des Unerforschlichen höher zu achten, als der Sinn der Erde! +</p> + +<p> +Einst blickte die Seele verächtlich auf den Leib: und damals war diese +Verachtung das Höchste:—sie wollte ihn mager, grässlich, verhungert. So +dachte sie ihm und der Erde zu entschlüpfen. +</p> + +<p> +Oh diese Seele war selbst noch mager, grässlich und verhungert: und Grausamkeit +war die Wollust dieser Seele! +</p> + +<p> +Aber auch ihr noch, meine Brüder, sprecht mir: was kündet euer Leib von eurer +Seele? Ist eure Seele nicht Armuth und Schmutz und ein erbärmliches Behagen? +</p> + +<p> +Wahrlich, ein schmutziger Strom ist der Mensch. Man muss schon ein Meer sein, +um einen schmutzigen Strom aufnehmen zu können, ohne unrein zu werden. +</p> + +<p> +Seht, ich lehre euch den Übermenschen: der ist diess Meer, in ihm kann eure +grosse Verachtung untergehn. +</p> + +<p> +Was ist das Grösste, das ihr erleben könnt? Das ist die Stunde der grossen +Verachtung. Die Stunde, in der euch auch euer Glück zum Ekel wird und ebenso +eure Vernunft und eure Tugend. +</p> + +<p> +Die Stunde, wo ihr sagt: „Was liegt an meinem Glücke! Es ist Armuth und +Schmutz, und ein erbärmliches Behagen. Aber mein Glück sollte das Dasein selber +rechtfertigen!“ +</p> + +<p> +Die Stunde, wo ihr sagt: „Was liegt an meiner Vernunft! Begehrt sie nach +Wissen wie der Löwe nach seiner Nahrung? Sie ist Armuth und Schmutz und ein +erbärmliches Behagen!“ +</p> + +<p> +Die Stunde, wo ihr sagt: „Was liegt an meiner Tugend! Noch hat sie mich +nicht rasen gemacht. Wie müde bin ich meines Guten und meines Bösen! Alles das +ist Armuth und Schmutz und ein erbärmliches Behagen!“ +</p> + +<p> +Die Stunde, wo ihr sagt: „Was liegt an meiner Gerechtigkeit! Ich sehe +nicht, dass ich Gluth und Kohle wäre. Aber der Gerechte ist Gluth und +Kohle!“ +</p> + +<p> +Die Stunde, wo ihr sagt: „Was liegt an meinem Mitleiden! Ist nicht +Mitleid das Kreuz, an das Der genagelt wird, der die Menschen liebt? Aber mein +Mitleiden ist keine Kreuzigung.“ +</p> + +<p> +Spracht ihr schon so? Schriet ihr schon so? Ach, dass ich euch schon so +schreien gehört hatte! +</p> + +<p> +Nicht eure Sünde—eure Genügsamkeit schreit gen Himmel, euer Geiz selbst +in eurer Sünde schreit gen Himmel! +</p> + +<p> +Wo ist doch der Blitz, der euch mit seiner Zunge lecke? Wo ist der Wahnsinn, +mit dem ihr geimpft werden müsstet? +</p> + +<p> +Seht, ich lehre euch den Übermenschen: der ist dieser Blitz, der ist dieser +Wahnsinn!— +</p> + +<p> +Als Zarathustra so gesprochen hatte, schrie Einer aus dem Volke: „Wir +hörten nun genug von dem Seiltänzer; nun lasst uns ihn auch sehen!“ Und +alles Volk lachte über Zarathustra. Der Seiltänzer aber, welcher glaubte, dass +das Wort ihm gälte, machte sich an sein Werk. +</p> + +<h4>4.</h4> + +<p> +Zarathustra aber sahe das Volk an und wunderte sich. Dann sprach er also: +</p> + +<p> +Der Mensch ist ein Seil, geknüpft zwischen Thier und Übermensch,—ein Seil +über einem Abgrunde. +</p> + +<p> +Ein gefährliches Hinüber, ein gefährliches Auf-dem-Wege, ein gefährliches +Zurückblicken, ein gefährliches Schaudern und Stehenbleiben. +</p> + +<p> +Was gross ist am Menschen, das ist, dass er eine Brücke und kein Zweck ist: was +geliebt werden kann am Menschen, das ist, dass er ein <i>Übergang</i> und ein +<i>Untergang</i> ist. +</p> + +<p> +Ich liebe Die, welche nicht zu leben wissen, es sei denn als Untergehende, denn +es sind die Hinübergehenden. +</p> + +<p> +Ich liebe die grossen Verachtenden, weil sie die grossen Verehrenden sind und +Pfeile der Sehnsucht nach dem andern Ufer. +</p> + +<p> +Ich liebe Die, welche nicht erst hinter den Sternen einen Grund suchen, +unterzugehen und Opfer zu sein: sondern die sich der Erde opfern, dass die Erde +einst der Übermenschen werde. +</p> + +<p> +Ich liebe Den, welcher lebt, damit er erkenne, und welcher erkennen will, damit +einst der Übermensch lebe. Und so will er seinen Untergang. +</p> + +<p> +Ich liebe Den, welcher arbeitet und erfindet, dass er dem Übermenschen das Haus +baue und zu ihm Erde, Thier und Pflanze vorbereite: denn so will er seinen +Untergang. +</p> + +<p> +Ich liebe Den, welcher seine Tugend liebt: denn Tugend ist Wille zum Untergang +und ein Pfeil der Sehnsucht. +</p> + +<p> +Ich liebe Den, welcher nicht einen Tropfen Geist für sich zurückbehält, sondern +ganz der Geist seiner Tugend sein will: so schreitet er als Geist über die +Brücke. +</p> + +<p> +Ich liebe Den, welcher aus seiner Tugend seinen Hang und sein Verhängniss +macht: so will er um seiner Tugend willen noch leben und nicht mehr leben. +</p> + +<p> +Ich liebe Den, welcher nicht zu viele Tugenden haben will. Eine Tugend ist mehr +Tugend, als zwei, weil sie mehr Knoten ist, an den sich das Verhängniss hängt. +</p> + +<p> +Ich liebe Den, dessen Seele sich verschwendet, der nicht Dank haben will und +nicht zurückgiebt: denn er schenkt immer und will sich nicht bewahren. +</p> + +<p> +Ich liebe Den, welcher sich schämt, wenn der Würfel zu seinem Glücke fällt und +der dann fragt: bin ich denn ein falscher Spieler?—denn er will zu Grunde +gehen. +</p> + +<p> +Ich liebe Den, welcher goldne Worte seinen Thaten voraus wirft und immer noch +mehr hält, als er verspricht: denn er will seinen Untergang. +</p> + +<p> +Ich liebe Den, welcher die Zukünftigen rechtfertigt und die Vergangenen erlöst: +denn er will an den Gegenwärtigen zu Grunde gehen. +</p> + +<p> +Ich liebe Den, welcher seinen Gott züchtigt, weil er seinen Gott liebt: denn er +muss am Zorne seines Gottes zu Grunde gehen. +</p> + +<p> +Ich liebe Den, dessen Seele tief ist auch in der Verwundung, und der an einem +kleinen Erlebnisse zu Grunde gehen kann: so geht er gerne über die Brücke. +</p> + +<p> +Ich liebe Den, dessen Seele übervoll ist, so dass er sich selber vergisst, und +alle Dinge in ihm sind: so werden alle Dinge sein Untergang. +</p> + +<p> +Ich liebe Den, der freien Geistes und freien Herzes ist: so ist sein Kopf nur +das Eingeweide seines Herzens, sein Herz aber treibt ihn zum Untergang. +</p> + +<p> +Ich liebe alle Die, welche schwere Tropfen sind, einzeln fallend aus der +dunklen Wolke, die über den Menschen hängt: sie verkündigen, dass der Blitz +kommt, und gehn als Verkündiger zu Grunde. +</p> + +<p> +Seht, ich bin ein Verkündiger des Blitzes und ein schwerer Tropfen aus der +Wolke: dieser Blitz aber heisst Übermensch.— +</p> + +<h4>5.</h4> + +<p> +Als Zarathustra diese Worte gesprochen hatte, sahe er wieder das Volk an und +schwieg. „Da stehen sie“, sprach er zu seinem Herzen, „da +lachen sie: sie verstehen mich nicht, ich bin nicht der Mund für diese Ohren. +</p> + +<p> +Muss man ihnen erst die Ohren zerschlagen, dass sie lernen, mit den Augen +hören. Muss man rasseln gleich Pauken und Busspredigern? Oder glauben sie nur +dem Stammelnden? +</p> + +<p> +Sie haben etwas, worauf sie stolz sind. Wie nennen sie es doch, was sie stolz +macht? Bildung nennen sie’s, es zeichnet sie aus vor den Ziegenhirten. +</p> + +<p> +Drum hören sie ungern von sich das Wort „Verachtung“. So will ich +denn zu ihrem Stolze reden. +</p> + +<p> +So will ich ihnen vom Verächtlichsten sprechen: das aber ist der <i>letzte +Mensch</i>.“ +</p> + +<p> +Und also sprach Zarathustra zum Volke: +</p> + +<p> +Es ist an der Zeit, dass der Mensch sich sein Ziel stecke. Es ist an der Zeit, +dass der Mensch den Keim seiner höchsten Hoffnung pflanze. +</p> + +<p> +Noch ist sein Boden dazu reich genug. Aber dieser Boden wird einst arm und zahm +sein, und kein hoher Baum wird mehr aus ihm wachsen können. +</p> + +<p> +Wehe! Es kommt die Zeit, wo der Mensch nicht mehr den Pfeil seiner Sehnsucht +über den Menschen hinaus wirft, und die Sehne seines Bogens verlernt hat, zu +schwirren! +</p> + +<p> +Ich sage euch: man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern +gebären zu können. Ich sage euch: ihr habt noch Chaos in euch. +</p> + +<p> +Wehe! Es kommt die Zeit, wo der Mensch keinen Stern mehr gebären wird. Wehe! Es +kommt die Weit des verächtlichsten Menschen, der sich selber nicht mehr +verachten kann. +</p> + +<p> +Seht! Ich zeige euch den <i>letzten Menschen</i>. +</p> + +<p> +„Was ist Liebe? Was ist Schöpfung? Was ist Sehnsucht? Was ist +Stern“—so fragt der letzte Mensch und blinzelt. +</p> + +<p> +Die Erde ist dann klein geworden, und auf ihr hüpft der letzte Mensch, der +Alles klein macht. Sein Geschlecht ist unaustilgbar, wie der Erdfloh; der +letzte Mensch lebt am längsten. +</p> + +<p> +„Wir haben das Glück erfunden“—sagen die letzten Menschen und +blinzeln. +</p> + +<p> +Sie haben den Gegenden verlassen, wo es hart war zu leben: denn man braucht +Wärme. Man liebt noch den Nachbar und reibt sich an ihm: denn man braucht +Wärme. +</p> + +<p> +Krankwerden und Misstrauen-haben gilt ihnen sündhaft: man geht achtsam einher. +Ein Thor, der noch über Steine oder Menschen stolpert! +</p> + +<p> +Ein wenig Gift ab und zu: das macht angenehme Träume. Und viel Gift zuletzt, zu +einem angenehmen Sterben. +</p> + +<p> +Man arbeitet noch, denn Arbeit ist eine Unterhaltung. Aber man sorgt dass die +Unterhaltung nicht angreife. +</p> + +<p> +Man wird nicht mehr arm und reich: Beides ist zu beschwerlich. Wer will noch +regieren? Wer noch gehorchen? Beides ist zu beschwerlich. +</p> + +<p> +Kein Hirt und Eine Heerde! Jeder will das Gleiche, Jeder ist gleich: wer anders +fühlt, geht freiwillig in’s Irrenhaus. +</p> + +<p> +„Ehemals war alle Welt irre“—sagen die Feinsten und blinzeln. +</p> + +<p> +Man ist klug und weiss Alles, was geschehn ist: so hat man kein Ende zu +spotten. Man zankt sich noch, aber man versöhnt sich bald—sonst verdirbt +es den Magen. +</p> + +<p> +Man hat sein Lüstchen für den Tag und sein Lüstchen für die Nacht: aber man +ehrt die Gesundheit. +</p> + +<p> +„Wir haben das Glück erfunden“—sagen die letzten Menschen und +blinzeln— +</p> + +<p> +Und hier endete die erste Rede Zarathustra’s, welche man auch „die +Vorrede“ heisst: denn an dieser Stelle unterbrach ihn das Geschrei und +die Lust der Menge. „Gieb uns diesen letzten Menschen, oh Zarathustra,—so +riefen sie—mache uns zu diesen letzten Menschen! So schenken wir dir den +Übermenschen!“ Und alles Volk jubelte und schnalzte mit der Zunge. Zarathustra +aber wurde traurig und sagte zu seinem Herzen: +</p> + +<p> +Sie verstehen mich nicht: ich bin nicht den Mund für diese Ohren. +</p> + +<p> +Zu lange wohl lebte ich im Gebirge, zu viel horchte ich auf Bäche und Bäume: +nun rede ich ihnen gleich den Ziegenhirten. +</p> + +<p> +Unbewegt ist meine Seele und hell wie das Gebirge am Vormittag. Aber sie +meinen, ich sei kalt und ein Spötter in furchtbaren Spässen. +</p> + +<p> +Und nun blicken sie mich an und lachen: und indem sie lachen, hassen sie mich +noch. Es ist Eis in ihrem Lachen. +</p> + +<h4>6.</h4> + +<p> +Da aber geschah Etwas, das jeden Mund stumm und jedes Auge starr machte. +Inzwischen nämlich hatte der Seiltänzer sein Werk begonnen: er war aus einer +kleiner Thür hinausgetreten und gieng über das Seil, welches zwischen zwei +Thürmen gespannt war, also, dass es über dem Markte und dem Volke hieng. Als er +eben in der Mitte seines Weges war, öffnete sich die kleine Thür noch einmal, +und ein bunter Gesell, einem Possenreisser gleich, sprang heraus und gieng mit +schnellen Schritten dem Ersten nach. „Vorwärts, Lahmfuss, rief seine +fürchterliche Stimme, vorwärts Faulthier, Schleichhändler, Bleichgesicht! Dass +ich dich nicht mit meiner Ferse kitzle! Was treibst du hier zwischen Thürmen? +In den Thurm gehörst du, einsperren sollte man dich, einem Bessern, als du +bist, sperrst du die freie Bahn!“—Und mit jedem Worte kam er ihm näher +und näher: als er aber nur noch einen Schritt hinter ihm war, da geschah das +Erschreckliche, das jeden Mund stumm und jedes Auge starr machte:—er +stiess ein Geschrei aus wie ein Teufel und sprang über Den hinweg, der ihm im +Wege war. Dieser aber, als er so seinen Nebenbuhler siegen sah, verlor dabei +den Kopf und das Seil; er warf seine Stange weg und schoss schneller als diese, +wie ein Wirbel von Armen und Beinen, in die Tiefe. Der Markt und das Volk glich +dem Meere, wenn der Sturm hineinfährt: Alles floh aus einander und +übereinander, und am meisten dort, wo der Körper niederschlagen musste. +</p> + +<p> +Zarathustra aber blieb stehen, und gerade neben ihn fiel der Körper hin, übel +zugerichtet und zerbrochen, aber noch nicht todt. Nach einer Weile kam dem +Zerschmetterten das Bewusstsein zurück, und er sah Zarathustra neben sich +knieen. „Was machst du da? sagte er endlich, ich wusste es lange, dass mir der +Teufel ein Bein stellen werde. Nun schleppt er mich zur Hölle: willst +du’s ihm wehren?“ +</p> + +<p> +„Bei meiner Ehre, Freund, antwortete Zarathustra, das giebt es Alles nicht, +wovon du sprichst: es giebt keinen Teufel und keine Hölle. Deine Seele wird +noch schneller todt sein als dein Leib: fürchte nun Nichts mehr!“ +</p> + +<p> +Der Mann blickte misstrauisch auf. „Wenn du die Wahrheit sprichst, sagte er +dann, so verliere ich Nichts, wenn ich das Leben verliere. Ich bin nicht viel +mehr als ein Thier, das man tanzen gelehrt hat, durch Schläge und schmale +Bissen.“ +</p> + +<p> +„Nicht doch, sprach Zarathustra; du hast aus der Gefahr deinen Beruf gemacht, +daran ist Nichts zu verachten. Nun gehst du an deinem Beruf zu Grunde: dafür +will ich dich mit meinen Händen begraben.“ +</p> + +<p> +Als Zarathustra diess gesagt hatte, antwortete der Sterbende nicht mehr; aber +er bewegte die Hand, wie als ob er die Hand Zarathustra’s zum Danke +suche.— +</p> + +<h4>7.</h4> + +<p> +Inzwischen kam der Abend, und der Markt barg sich in Dunkelheit: da verlief +sich das Volk, denn selbst Neugierde und Schrecken werden müde. Zarathustra +aber sass neben dem Todten auf der Erde und war in Gedanken versunken: so +vergass er die Zeit. Endlich aber wurde es Nacht, und ein kalter Wind blies +über den Einsamen. Da erhob sich Zarathustra und sagte zu seinem Herzen: +</p> + +<p> +Wahrlich, einen schönen Fischfang that heute Zarathustra! Keinen Menschen fieng +er, wohl aber einen Leichnam. +</p> + +<p> +Unheimlich ist das menschliche Dasein und immer noch ohne Sinn: ein +Possenreisser kann ihm zum Verhängniss werden. +</p> + +<p> +Ich will die Menschen den Sinn ihres Seins lehren: welcher ist der Übermensch, +der Blitz aus der dunklen Wolke Mensch. +</p> + +<p> +Aber noch bin ich ihnen ferne, und mein Sinn redet nicht zu ihren Sinnen. Eine +Mitte bin ich noch den Menschen zwischen einem Narren und einem Leichnam. +</p> + +<p> +Dunkel ist die Nacht, dunkel sind die Wege Zarathustra’s. Komm, du kalter +und steifer Gefährte! Ich trage dich dorthin, wo ich dich mit meinen Händen +begrabe. +</p> + +<h4>8.</h4> + +<p> +Als Zarathustra diess zu seinem Herzen gesagt hatte, lud er den Leichnam auf +seinem Rücken und machte sich auf den Weg. Und noch nicht war er hundert +Schritte gegangen, da schlich ein Mensch an ihn heran und flüsterte ihm +in’s Ohr—und siehe! Der, welcher redete, war der Possenreisser vom +Thurme. „Geh weg von dieser Stadt, oh Zarathustra, sprach er; es hassen dich +hier zu Viele. Es hassen dich die Guten und Gerechten und sie nennen dich ihren +Feind und Verächter; es hassen dich die Gläubigen des rechten Glaubens, und sie +nennen dich die Gefahr der Menge. Dein Glück war es, dass man über dich lachte: +und wahrlich, du redetest gleich einem Possenreisser. Dein Glück war es, dass +du dich dem todten Hunde geselltest; als du dich so erniedrigtest, hast du dich +selber für heute errettet. Geh aber fort aus dieser Stadt—oder morgen +springe ich über dich hinweg, ein Lebendiger über einen Todten.“ Und als er +diess gesagt hatte, verschwand der Mensch; Zarathustra aber gieng weiter durch +die dunklen Gassen. +</p> + +<p> +Am Thore der Stadt begegneten ihm die Todtengräber: sie leuchteten ihm mit der +Fackel in’s Gesicht, erkannten Zarathustra und spotteten sehr über ihn. +„Zarathustra trägt den todten Hund davon: brav, dass Zarathustra zum +Todtengräber wurde! Denn unsere Hände sind zu reinlich für diesen Braten. Will +Zarathustra wohl dem Teufel seinen Bissen stehlen? Nun wohlan! Und gut Glück +zur Mahlzeit! Wenn nur nicht der Teufel ein besserer Dieb ist, als Zarathustra! +—er stiehlt die Beide, er frisst sie Beide!“ Und sie lachten mit einander und +steckten die Köpfe zusammen. +</p> + +<p> +Zarathustra sagte dazu kein Wort und gieng seines Weges. Als er zwei Stunden +gegangen war, an Wäldern und Sümpfen vorbei, da hatte er zu viel das hungrige +Geheul der Wölfe gehört, und ihm selber kam der Hunger. So blieb er an einem +einsamen Hause stehn, in dem ein Licht brannte. +</p> + +<p> +Der Hunger überfällt mich, sagte Zarathustra, wie ein Räuber. In Wäldern und +Sümpfen überfällt mich mein Hunger und in tiefer Nacht. +</p> + +<p> +Wunderliche Launen hat mein Hunger. Oft kommt er mir erst nach der Mahlzeit, +und heute kam er den ganzen Tag nicht: wo weilte er doch? +</p> + +<p> +Und damit schlug Zarathustra an das Thor des Hauses. Ein alter Mann erschien; +er trug das Licht und fragte: „Wer kommt zu mir und zu meinem schlimmen +Schlafe?“ +</p> + +<p> +„Ein Lebendiger und ein Todter, sagte Zarathustra. Gebt mir zu essen und zu +trinken, ich vergass es am Tage. Der, welcher den Hungrigen speiset, erquickt +seine eigene Seele: so spricht die Weisheit.“ +</p> + +<p> +Der Alte gieng fort, kam aber gleich zurück und bot Zarathustra Brod und Wein. +„Eine böse Gegend ist’s für Hungernde, sagte er; darum wohne ich hier. +Thier und Mensch kommen zu mir, dem Einsiedler. Aber heisse auch deinen +Gefährten essen und trinken, er ist müder als du.“ Zarathustra antwortete: +„Todt ist mein Gefährte, ich werde ihn schwerlich dazu überreden.“ „Das geht +mich Nichts an, sagte der Alte mürrisch; wer an meinem Hause anklopft, muss +auch nehmen, was ich ihm biete. Esst und gehabt euch wohl!“— +</p> + +<p> +Darauf gieng Zarathustra wieder zwei Stunden und vertraute dem Wege und dem +Lichte der Sterne: denn er war ein gewohnter Nachtgänger und liebte es, allem +Schlafenden in’s Gesicht zu sehn. Als aber der Morgen graute, fand sich +Zarathustra in einem tiefen Walde, und kein Weg zeigte sich ihm mehr. Da legte +er den Todten in einen hohlen Baum sich zu Häupten—denn er wollte ihn vor +den Wölfen schützen—und sich selber auf den Boden und das Moos. Und +alsbald schlief er ein, müden Leibes, aber mit einer unbewegten Seele. +</p> + +<h4>8.</h4> + +<p> +Lange schlief Zarathustra, und nicht nur die Morgenröthe gieng über sein +Antlitz, sondern auch der Vormittag. Endlich aber that sein Auge sich auf: +verwundert sah Zarathustra in den Wald und die Stille, verwundert sah er in +sich hinein. Dann erhob er sich schnell, wie ein Seefahrer, der mit Einem Male +Land sieht, und jauchzte: denn er sah eine neue Wahrheit. Und also redete er +dann zu seinem Herzen: +</p> + +<p> +Ein Licht gieng mir auf: Gefährten brauche ich und lebendige,—nicht todte +Gefährten und Leichname, die ich mit mir trage, wohin ich will. +</p> + +<p> +Sondern lebendige Gefährten brauche ich, die mir folgen, weil sie sich selber +folgen wollen—und dorthin, wo ich will. +</p> + +<p> +Ein Licht gieng mir auf: nicht zum Volke rede Zarathustra, sondern zu +Gefährten! Nicht soll Zarathustra einer Heerde Hirt und Hund werden! +</p> + +<p> +Viele wegzulocken von der Heerde—dazu kam ich. Zürnen soll mir Volk und +Heerde: Räuber will Zarathustra den Hirten heissen. +</p> + +<p> +Hirten sage ich, aber sie nennen sich die Guten und Gerechten. Hirten sage ich: +aber sie nennen sich die Gläubigen des rechten Glaubens. +</p> + +<p> +Siehe die Guten und Gerechten! Wen hassen sie am meisten? Den, der zerbricht +ihre Tafeln der Werthe, den Brecher, den Verbrecher:—das aber ist der +Schaffende. +</p> + +<p> +Siehe die Gläubigen aller Glauben! Wen hassen sie am meisten? Den, der +zerbricht ihre Tafeln der Werthe, den Brecher, den Verbrecher:—das aber +ist der Schaffende. +</p> + +<p> +Gefährten sucht der Schaffende und nicht Leichname, und auch nicht Heerden und +Gläubige. Die Mitschaffenden sucht der Schaffende, Die, welche neue Werthe auf +neue Tafeln schreiben. +</p> + +<p> +Gefährten sucht der Schaffende, und Miterntende: denn Alles steht bei ihm reif +zur Ernte. Aber ihm fehlen die hundert Sicheln: so rauft er Ähren aus und ist +ärgerlich. +</p> + +<p> +Gefährten sucht der Schaffende, und solche, die ihre Sicheln zu wetzen wissen. +Vernichter wird man sie heissen und Verächter des Guten und Bösen. Aber die +Erntenden sind es und die Feiernden. +</p> + +<p> +Mitschaffende sucht Zarathustra, Miterntende und Mitfeiernde sucht Zarathustra: +was hat er mit Heerden und Hirten und Leichnamen zu schaffen! +</p> + +<p> +Und du, mein erster Gefährte, gehab dich wohl! Gut begrub ich dich in deinem +hohlen Baume, gut barg ich dich vor den Wölfen. +</p> + +<p> +Aber ich scheide von dir, die Zeit ist um. Zwischen Morgenröthe und Morgenröthe +kam mir eine neue Wahrheit. +</p> + +<p> +Nicht Hirt soll ich sein, nicht Todtengräber. Nicht reden einmal will ich +wieder mit dem Volke; zum letzten Male sprach ich zu einem Todten. +</p> + +<p> +Den Schaffenden, den Erntenden, den Feiernden will ich mich zugesellen: den +Regenbogen will ich ihnen zeigen und alle die Treppen des Übermenschen. +</p> + +<p> +Den Einsiedlern werde ich mein Lied singen und den Zweisiedlern; und wer noch +Ohren hat für Unerhörtes, dem will ich sein Herz schwer machen mit meinem +Glücke. +</p> + +<p> +Zu meinem Ziele will ich, ich gehe meinen Gang; über die Zögernden und +Saumseligen werde ich hinwegspringen. Also sei mein Gang ihr Untergang! +</p> + +<h4>10.</h4> + +<p> +Diess hatte Zarathustra zu seinem Herzen gesprochen, als die Sonne im Mittag +stand: da blickte er fragend in die Höhe—denn er hörte über sich den +scharfen Ruf eines Vogels. Und siehe! Ein Adler zog in weiten Kreisen durch die +Luft, und an ihm hieng eine Schlange, nicht einer Beute gleich, sondern einer +Freundin: denn sie hielt sich um seinen Hals geringelt. +</p> + +<p> +„Es sind meine Thiere!“ sagte Zarathustra und freute sich von Herzen. +</p> + +<p> +„Das stolzeste Thier unter der Sonne und das klügste Thier unter der +Sonne—sie sind ausgezogen auf Kundschaft. +</p> + +<p> +Erkunden wollen sie, ob Zarathustra noch lebe. Wahrlich, lebe ich noch? +</p> + +<p> +Gefährlicher fand ich’s unter Menschen als unter Thieren, gefährlicher +Wege geht Zarathustra. Mögen mich meine Thiere führen!“ +</p> + +<p> +Als Zarathustra diess gesagt hatte, gedachte er der Worte des Heiligen im +Walde, seufzte und sprach also zu seinem Herzen: +</p> + +<p> +Möchte ich klüger sein! Möchte ich klug von Grund aus sein, gleich meiner +Schlange! +</p> + +<p> +Aber Unmögliches bitte ich da: so bitte ich denn meinen Stolz, dass er immer +mit meiner Klugheit gehe! +</p> + +<p> +Und wenn mich einst meine Klugheit verlässt:—ach, sie liebt es, +davonzufliegen!—möge mein Stolz dann noch mit meiner Thorheit fliegen! +</p> + +<p> +—Also begann Zarathustra’s Untergang. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap02"></a>Die Reden Zarathustra’s</h3> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap03"></a>Von den drei Verwandlungen</h3> + +<p> +Drei Verwandlungen nenne ich euch des Geistes: wie der Geist zum Kamele wird, +und zum Löwen das Kameel, und zum Kinde zuletzt der Löwe. +</p> + +<p> +Vieles Schwere giebt es dem Geiste, dem starken, tragsamen Geiste, dem +Ehrfurcht innewohnt: nach dem Schweren und Schwersten verlangt seine Stärke. +</p> + +<p> +Was ist schwer? so fragt der tragsame Geist, so kniet er nieder, dem Kameele +gleich, und will gut beladen sein. +</p> + +<p> +Was ist das Schwerste, ihr Helden? so fragt der tragsame Geist, dass ich es auf +mich nehme und meiner Stärke froh werde. +</p> + +<p> +Ist es nicht das: sich erniedrigen, um seinem Hochmuth wehe zu thun? Seine +Thorheit leuchten lassen, um seiner Weisheit zu spotten? +</p> + +<p> +Oder ist es das: von unserer Sache scheiden, wenn sie ihren Sieg feiert? Auf +hohe Berge steigen, um den Versucher zu versuchen? +</p> + +<p> +Oder ist es das: sich von Eicheln und Gras der Erkenntniss nähren und um der +Wahrheit willen an der Seele Hunger leiden? +</p> + +<p> +Oder ist es das: krank sein und die Tröster heimschicken und mit Tauben +Freundschaft schliessen, die niemals hören, was du willst? +</p> + +<p> +Oder ist es das: in schmutziges Wasser steigen, wenn es das Wasser der Wahrheit +ist, und kalte Frösche und heisse Kröten nicht von sich weisen? +</p> + +<p> +Oder ist es das: Die lieben, die uns verachten, und dem Gespenste die Hand +reichen, wenn es uns fürchten machen will? +</p> + +<p> +Alles diess Schwerste nimmt der tragsame Geist auf sich: dem Kameele gleich, +das beladen in die Wüste eilt, also eilt er in seine Wüste. +</p> + +<p> +Aber in der einsamsten Wüste geschieht die zweite Verwandlung: zum Löwen wird +hier der Geist, Freiheit will er sich erbeuten und Herr sein in seiner eignen +Wüste. +</p> + +<p> +Seinen letzten Herrn sucht er sich hier: feind will er ihm werden und seinem +letzten Gotte, um Sieg will er mit dem grossen Drachen ringen. +</p> + +<p> +Welches ist der grosse Drache, den der Geist nicht mehr Herr und Gott heissen +mag? „Du-sollst“ heisst der grosse Drache. Aber der Geist des Löwen sagt „Ich +will“. +</p> + +<p> +„Du-sollst“ liegt ihm am Wege, goldfunkelnd, ein Schuppenthier, und +auf jeder Schuppe glänzt golden „Du-sollst!“ +</p> + +<p> +Tausendjährige Werthe glänzen an diesen Schuppen, und also spricht der +mächtigste aller Drachen „aller Werth der Dinge—der glänzt an mir.“ +</p> + +<p> +„Aller Werth ward schon geschaffen, und aller geschaffene Werth—das +bin ich. Wahrlich, es soll kein „Ich will“ mehr geben!“ Also +spricht der Drache. +</p> + +<p> +Meine Brüder, wozu bedarf es des Löwen im Geiste? Was genügt nicht das lastbare +Thier, das entsagt und ehrfürchtig ist? +</p> + +<p> +Neue Werthe schaffen—das vermag auch der Löwe noch nicht: aber Freiheit +sich schaffen zu neuem Schaffen—das vermag die Macht des Löwen. +</p> + +<p> +Freiheit sich schaffen und ein heiliges Nein auch vor der Pflicht: dazu, meine +Brüder bedarf es des Löwen. +</p> + +<p> +Recht sich nehmen zu neuen Werthen—das ist das furchtbarste Nehmen für +einen tragsamen und ehrfürchtigen Geist. Wahrlich, ein Rauben ist es ihm und +eines raubenden Thieres Sache. +</p> + +<p> +Als sein Heiligstes liebte er einst das „Du-sollst“: nun muss er Wahn und +Willkür auch noch im Heiligsten finden, dass er sich Freiheit raube von seiner +Liebe: des Löwen bedarf es zu diesem Raube. +</p> + +<p> +Aber sagt, meine Brüder, was vermag noch das Kind, das auch der Löwe nicht +vermochte? Was muss der raubende Löwe auch noch zum Kinde werden? +</p> + +<p> +Unschuld ist das Kind und Vergessen, ein Neubeginnen, ein Spiel, ein aus sich +rollendes Rad, eine erste Bewegung, ein heiliges Ja-sagen. +</p> + +<p> +Ja, zum Spiele des Schaffens, meine Brüder, bedarf es eines heiligen Ja-sagens: +<i>seinen</i> Willen will nun der Geist, <i>seine</i> Welt gewinnt sich der +Weltverlorene. +</p> + +<p> +Drei Verwandlungen nannte ich euch des Geistes: wie der Geist zum Kameele ward, +und zum Löwen das Kameel, und der Löwe zuletzt zum Kinde. — +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra. Und damals weilte er in der Stadt, welche genannt +wird: die bunte Kuh. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap04"></a>Von den Lehrstühlen der Tugend</h3> + +<p> +Man rühmte Zarathustra einen Weisen, der gut vom Schlafe und von der Tugend zu +reden wisse: sehr werde er geehrt und gelohnt dafür, und alle Jünglinge sässen +vor seinem Lehrstuhle. Zu ihm gieng Zarathustra, und mit allen Jünglingen sass +er vor seinem Lehrstuhle. Und also sprach der Weise: +</p> + +<p> +Ehre und Scham vor dem Schlafe! Das ist das Erste! Und Allen aus dem Wege gehn, +die schlecht schlafen und Nachts wachen! +</p> + +<p> +Schamhaft ist noch der Dieb vor dem Schlafe: stets stiehlt er sich leise durch +die Nacht. Schamlos aber ist der Wächter der Nacht, schamlos trägt er sein +Horn. +</p> + +<p> +Keine geringe Kunst ist schlafen: es thut schon Noth, den ganzen Tag darauf hin +zu wachen. +</p> + +<p> +Zehn Mal musst du des Tages dich selber überwinden: das macht eine gute +Müdigkeit und ist Mohn der Seele. +</p> + +<p> +Zehn Mal musst du dich wieder dir selber versöhnen; denn Überwindung ist +Bitterniss, und schlecht schläft der Unversöhnte. +</p> + +<p> +Zehn Wahrheiten musst du des Tages finden: sonst suchst du noch des Nachts nach +Wahrheit, und deine Seele blieb hungrig. +</p> + +<p> +Zehn Mal musst du lachen am Tage und heiter sein: sonst stört dich der Magen in +der Nacht, dieser Vater der Trübsal. +</p> + +<p> +Wenige wissen das: aber man muss alle Tugenden haben, um gut zu schlafen. Werde +ich falsch Zeugniss reden? Werde ich ehebrechen? +</p> + +<p> +Werde ich mich gelüsten lassen meines Nächsten Magd? Das Alles vertrüge sich +schlecht mit gutem Schlafe. +</p> + +<p> +Und selbst wenn man alle Tugenden hat, muss man sich noch auf Eins verstehn: +selber die Tugenden zur rechten Zeit schlafen schicken. +</p> + +<p> +Dass sie sich nicht mit einander zanken, die artigen Weiblein! Und über dich, +du Unglückseliger! +</p> + +<p> +Friede mit Gott und dem Nachbar: so will es der gute Schlaf. Und Friede auch +noch mit des Nachbars Teufel! Sonst geht er bei dir des Nachts um. +</p> + +<p> +Ehre der Obrigkeit und Gehorsam, und auch der krummen Obrigkeit! So will es der +gute Schlaf. Was kann ich dafür, dass die Macht gerne auf krummen Beinen +Wandelt? +</p> + +<p> +Der soll mir immer der beste Hirt heissen, der sein Schaf auf die grünste Aue +führt: so verträgt es sich mit dem gutem Schlafe. +</p> + +<p> +Viel Ehren will ich nicht, noch grosse Schätze: das entzündet die Milz. Aber +schlecht schläft es sich ohne einen guten Namen und einen kleinen Schatz. +</p> + +<p> +Eine kleine Gesellschaft ist mir willkommener als eine böse: doch muss sie gehn +und kommen zur rechten Zeit. So verträgt es sich mit gutem Schlafe. +</p> + +<p> +Sehr gefallen mir auch die Geistig-Armen: sie fördern den Schlaf. Selig sind +die, sonderlich, wenn man ihnen immer Recht giebt. +</p> + +<p> +Also läuft der Tag dem Tugendsamen. Kommt nun die Nacht, so hüte ich mich wohl, +den Schlaf zu rufen! Nicht will er gerufen sein, der Schlaf, der der Herr der +Tugenden ist! +</p> + +<p> +Sondern ich denke, was ich des Tages gethan und gedacht. Wiederkäuend frage ich +mich, geduldsam gleich einer Kuh: welches waren doch deine zehn Überwindungen? +</p> + +<p> +Und welches waren die zehn Versöhnungen und die zehn Wahrheiten und die zehn +Gelächter, mit denen sich mein Herz gütlich that? +</p> + +<p> +Solcherlei erwägend und gewiegt von vierzig Gedanken, überfällt mich auf einmal +der Schlaf, der Ungerufne, der Herr der Tugenden. +</p> + +<p> +Der Schlaf klopft mir auf meine Auge: da wird es schwer. Der Schlaf berührt mir +den Mund: da bleibt er offen. +</p> + +<p> +Wahrlich, auf weichen Sohlen kommt er mir, der liebste der Diebe, und stiehlt +mir meine Gedanken: dumm stehe ich da wie dieser Lehrstuhl. +</p> + +<p> +Aber nicht lange mehr stehe ich dann: da liege ich schon.— +</p> + +<p> +Als Zarathustra den Weisen also sprechen hörte, lachte er bei sich im Herzen: +denn ihm war dabei ein Licht aufgegangen. Und also sprach er zu seinem Herzen: +</p> + +<p> +Ein Narr ist mir dieser Weise da mit seinen vierzig Gedanken: aber ich glaube, +dass er sich wohl auf das Schlafen versteht. +</p> + +<p> +Glücklich schon, wer in der Nähe dieses Weisen wohnt! Solch ein Schlaf steckt +an, noch durch eine dicke Wand hindurch steckt er an. +</p> + +<p> +Ein Zauber wohnt selbst in seinem Lehrstuhle. Und nicht vergebens sassen die +Jünglinge vor dem Prediger der Tugend. +</p> + +<p> +Seine Weisheit heisst: wachen, um gut zu schlafen. Und wahrlich, hätte das +Leben keinen Sinn und müsste ich Unsinn wählen, so wäre auch mir diess der +wählenswürdigste Unsinn. +</p> + +<p> +Jetzo verstehe ich klar, was einst man vor Allem suchte, wenn man Lehrer der +Tugend suchte. Guten Schlaf suchte man sich und mohnblumige Tugenden dazu! +</p> + +<p> +Allen diesen gelobten Weisen der Lehrstühle war Weisheit der Schlaf ohne +Träume: sie kannten keinen bessern Sinn des Lebens. +</p> + +<p> +Auch noch heute wohl giebt es Einige, wie diesen Prediger der Tugend, und nicht +immer so Ehrliche: aber ihre Zeit ist um. Und nicht mehr lange stehen sie noch: +da liegen sie schon. +</p> + +<p> +Selig sind diese Schläfrigen: denn sie sollen bald einnicken.— +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap05"></a>Von den Hinterweltlern</h3> + +<p> +Einst warf auch Zarathustra seinen Wahn jenseits des Menschen, gleich allen +Hinterweltlern. Eines leidenden und zerquälten Gottes Werk schien mir da die +Welt. +</p> + +<p> +Traum schien mir da die Welt und Dichtung eines Gottes; farbiger Rauch vor den +Augen eines göttlich Unzufriednen. +</p> + +<p> +Gut und böse und Lust und Leid und Ich und Du—farbiger Rauch dünkte +mich’s vor schöpferischen Augen. Wegsehn wollte der Schöpfer von +sich,—da schuf er die Welt. +</p> + +<p> +Trunkne Lust ist’s dem Leidenden, wegzusehn von seinem Leiden und sich zu +verlieren. Trunkne Lust Und Selbst-sich-Verlieren dünkte mich einst die Welt. +</p> + +<p> +Diese Welt, die ewig unvollkommene, eines ewigen Widerspruches Abbild und +unvollkommnes Abbild—eine trunkne Lust ihrem unvollkommnen +Schöpfer:—also dünkte mich einst die Welt. +</p> + +<p> +Also warf auch ich einst meinen Wahn jenseits des Menschen, gleich allen +Hinterweltlern. Jenseits des Menschen in Wahrheit? +</p> + +<p> +Ach, ihr Brüder, dieser Gott, den ich schuf, war Menschen-Werk und -Wahnsinn, +gleich allen Göttern! +</p> + +<p> +Mensch war er, und nur ein armes Stück Mensch und Ich: aus der eigenen Asche +und Gluth kam es mir, dieses Gespenst, und wahrlich! Nicht kam es mir von +Jenseits! +</p> + +<p> +Was geschah, meine Brüder? Ich überwand mich, den Leidenden, ich trug meine +eigne Asche zu Berge, eine hellere Flamme erfand ich mir. Und siehe! Da +<i>wich</i> das Gespenst von mir! +</p> + +<p> +Leiden wäre es mir jetzt und Qual dem Genesenen, solche Gespenster zu glauben: +Leiden wäre es mir jetzt und Erniedrigung. Also rede ich zu den Hinterweltlern. +</p> + +<p> +Leiden war’s und Unvermögen—das schuf alle Hinterwelten; und jener +kurze Wahnsinn des Glücks, den nur der Leidendste erfährt. +</p> + +<p> +Müdigkeit, die mit Einem Sprunge zum Letzten will, mit einem Todessprunge, eine +arme unwissende Müdigkeit, die nicht einmal mehr wollen will: die schuf alle +Götter und Hinterwelten. +</p> + +<p> +Glaubt es mir, meine Brüder! Der Leib war’s, der am Leibe +verzweifelte,—der tastete mit den Fingern des bethörten Geistes an die +letzten Wände. +</p> + +<p> +Glaubt es mir, meine Brüder! Der Leib war’s, der an der Erde +verzweifelte,—der hörte den Bauch des Seins zu sich reden. +</p> + +<p> +Und da wollte er mit dem Kopfe durch die letzten Wände, und nicht nur mit dem +Kopfe,—hinüber zu „jener Welt“. +</p> + +<p> +Aber „jene Welt“ ist gut verborgen vor dem Menschen, jene entmenschte +unmenschliche Welt, die ein himmlisches Nichts ist; und der Bauch des Seins +redet gar nicht zum Menschen, es sei denn als Mensch. +</p> + +<p> +Wahrlich, schwer zu beweisen ist alles Sein und schwer zum Reden zu bringen. +Sagt mir, ihr Brüder, ist nicht das Wunderlichste aller Dinge noch am besten +bewiesen? +</p> + +<p> +Ja, diess Ich und des Ich’s Widerspruch und Wirrsal redet noch am +redlichsten von seinem Sein, dieses schaffende, wollende, werthende Ich, +welches das Maass und der Werth der Dinge ist. +</p> + +<p> +Und diess redlichste Sein, das Ich—das redet vom Leibe, und es will noch +den Leib, selbst wenn es dichtet und schwärmt und mit zerbrochnen Flügeln +flattert. +</p> + +<p> +Immer redlicher lernt es reden, das Ich: und je mehr es lernt, um so mehr +findet es Worte und Ehren für Leib und Erde. +</p> + +<p> +Einen neuen Stolz lehrte mich mein Ich, den lehre ich die Menschen:—nicht +mehr den Kopf in den Sand der himmlischen Dinge zu stecken, sondern frei ihn zu +tragen, einen Erden-Kopf, der der Erde Sinn schafft! +</p> + +<p> +Einen neuen Willen lehre ich die Menschen: diesen Weg wollen, den blindlings +der Mensch gegangen, und gut ihn heissen und nicht mehr von ihm bei Seite +schleichen, gleich den Kranken und Absterbenden! +</p> + +<p> +Kranke und Absterbende waren es, die verachteten Leib und Erde und erfanden das +Himmlische und die erlösenden Blutstropfen: aber auch noch diese süssen und +düstern Gifte nahmen sie von Leib und Erde! +</p> + +<p> +Ihrem Elende wollten sie entlaufen, und die Sterne waren ihnen zu weit. Da +seufzten sie: „Oh dass es doch himmlische Wege gäbe, sich in ein andres Sein +und Glück zu schleichen!“—da erfanden sie sich ihre Schliche und blutigen +Tränklein! +</p> + +<p> +Ihrem Leibe und dieser Erde nun entrückt wähnten sie sich, diese Undankbaren. +Doch wem dankten sie ihrer Entrückung Krampf und Wonne? Ihrem Leibe und dieser +Erde. +</p> + +<p> +Milde ist Zarathustra den Kranken. Wahrlich, er zürnt nicht ihren Arten des +Trostes und Undanks. Mögen sie Genesende werden und Überwindende und einen +höheren Leib sich schaffen! +</p> + +<p> +Nicht auch zürnt Zarathustra dem Genesenden, wenn er zärtlich nach seinem Wahne +blickt und Mitternachts um das Grab seines Gottes schleicht: aber Krankheit und +kranker Leib bleiben mir auch seine Thränen noch. +</p> + +<p> +Vieles krankhafte Volk gab es immer unter Denen, welche dichten und gottsüchtig +sind; wüthend hassen sie den Erkennenden und jene jüngste der Tugenden, welche +heisst: Redlichkeit. +</p> + +<p> +Rückwärts blicken sie immer nach dunklen Zeiten: da freilich war Wahn und +Glaube ein ander Ding; Raserei der Vernunft war Gottähnlichkeit, und Zweifel +Sünde. +</p> + +<p> +Allzugut kenne ich diese Gottähnlichen: sie wollen, dass an sie geglaubt werde, +und Zweifel Sünde sei. Allzugut weiss ich auch, woran sie selber am besten +glauben. +</p> + +<p> +Wahrlich nicht an Hinterwelten und erlösende Blutstropfen: sondern an den Leib +glauben auch sie am besten, und ihr eigener Leib ist ihnen ihr Ding an sich. +</p> + +<p> +Aber ein krankhaftes Ding ist er ihnen: und gerne möchten sie aus der Haut +fahren. Darum horchen sie nach den Predigern des Todes und predigen selber +Hinterwelten. +</p> + +<p> +Hört mir lieber, meine Brüder, auf die Stimme des gesunden Leibes: eine +redlichere und reinere Simme ist diess. +</p> + +<p> +Redlicher redet und reiner der gesunde Leib, der vollkommne und rechtwinklige: +und er redet vom Sinn der Erde. +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap06"></a>Von den Verächtern des Leibes</h3> + +<p> +Den Verächtern des Leibes will ich mein Wort sagen. Nicht umlernen und umlehren +sollen sie mir, sondern nur ihrem eignen Leibe Lebewohl sagen—und also +stumm werden. +</p> + +<p> +„Leib bin ich und Seele“ —so redet das Kind. Und warum sollte man nicht +wie die Kinder reden? +</p> + +<p> +Aber der Erwachte, der Wissende sagt: Leib bin ich ganz und gar, und Nichts +ausserdem; und Seele ist nur ein Wort für ein Etwas am Leibe. +</p> + +<p> +Der Leib ist eine grosse Vernunft, eine Vielheit mit Einem Sinne, ein Krieg und +ein Frieden, eine Heerde und ein Hirt. +</p> + +<p> +Werkzeug deines Leibes ist auch deine kleine Vernunft, mein Bruder, die du +„Geist“ nennst, ein kleines Werk- und Spielzeug deiner grossen Vernunft. +</p> + +<p> +„Ich“ sagst du und bist stolz auf diess Wort. Aber das Grössere ist, woran du +nicht glauben willst,—dein Leib und seine grosse Vernunft: die sagt nicht +Ich, aber thut Ich. +</p> + +<p> +Was der Sinn fühlt, was der Geist erkennt, das hat niemals in sich sein Ende. +Aber Sinn und Geist möchten dich überreden, sie seien aller Dinge Ende: so +eitel sind sie. +</p> + +<p> +Werk- und Spielzeuge sind Sinn und Geist: hinter ihnen liegt noch das Selbst. +Das Selbst sucht auch mit den Augen der Sinne, es horcht auch mit den Ohren des +Geistes. +</p> + +<p> +Immer horcht das Selbst und sucht: es vergleicht, bezwingt, erobert, zerstört. +Es herrscht und ist auch des Ich’s Beherrscher. +</p> + +<p> +Hinter deinen Gedanken und Gefühlen, mein Bruder, steht ein mächtiger Gebieter, +ein unbekannter Weiser—der heisst Selbst. In deinem Leibe wohnt er, dein +Leib ist er. +</p> + +<p> +Es ist mehr Vernunft in deinem Leibe, als in deiner besten Weisheit. Und wer +weiss denn, wozu dein Leib gerade deine beste Weisheit nöthig hat? +</p> + +<p> +Dein Selbst lacht über dein Ich und seine stolzen Sprünge. „Was sind mir diese +Sprünge und Flüge des Gedankens? sagt es sich. Ein Umweg zu meinem Zwecke. Ich +bin das Gängelband des Ich’s und der Einbläser seiner Begriffe.“ +</p> + +<p> +Das Selbst sagt zum Ich: „hier fühle Schmerz!“ Und da leidet es und denkt nach, +wie es nicht mehr leide—und dazu eben <i>soll</i> es denken. +</p> + +<p> +Das Selbst sagt zum Ich: „hier fühle Lust!“ Da freut es sich und denkt nach, +wie es noch oft sich freue—und dazu eben <i>soll</i> es denken. +</p> + +<p> +Den Verächtern des Leibes will ich ein Wort sagen. Dass sie verachten, das +macht ihr Achten. Was ist es, das Achten und Verachten und Werth und Willen +schuf? +</p> + +<p> +Das schaffende Selbst schuf sich Achten und Verachten, es schuf sich Lust und +Weh. Der schaffende Leib schuf sich den Geist als eine Hand seines Willens. +</p> + +<p> +Noch in eurer Thorheit und Verachtung, ihr Verächter des Leibes, dient ihr +eurem Selbst. Ich sage euch: euer Selbst selber will sterben und kehrt sich vom +Leben ab. +</p> + +<p> +Nicht mehr vermag es das, was es am liebsten wilI:—über sich hinaus zu +schaffen. Das will es am liebsten, das ist seine ganze Inbrunst. +</p> + +<p> +Aber zu spät ward es ihm jetzt dafür:—so will euer Selbst untergehn, ihr +Verächter des Leibes. +</p> + +<p> +Untergehn will euer Selbst, und darum wurdet ihr zu Verächtern des Leibes! Denn +nicht mehr vermögt ihr über euch hinaus zu schaffen. +</p> + +<p> +Und darum zürnt ihr nun dem Leben und der Erde. Ein ungewusster Neid ist im +scheelen Blick eurer Verachtung. +</p> + +<p> +Ich gehe nicht euren Weg, ihr Verächter des Leibes! Ihr seid mir keine Brücken +zum Übermenschen!— +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap07"></a>Von den Freuden- und Leidenschaften</h3> + +<p> +Mein Bruder, wenn du eine Tugend hast, und es deine Tugend ist, so hast du sie +mit Niemandem gemeinsam. +</p> + +<p> +Freilich, du willst sie bei Namen nennen und liebkosen; du willst sie am Ohre +zupfen und Kurzweil mit ihr treiben. +</p> + +<p> +Und siehe! Nun hast du ihren Namen mit dem Volke gemeinsam und bist Volk und +Heerde geworden mit deiner Tugend! +</p> + +<p> +Besser thätest du, zu sagen: „unaussprechbar ist und namenlos, was meiner Seele +Qual und Süsse macht und auch noch der Hunger meiner Eingeweide ist.“ +</p> + +<p> +Deine Tugend sei zu hoch für die Vertraulichkeit der Namen: und musst du von +ihr reden, so schäme dich nicht, von ihr zu stammeln. +</p> + +<p> +So sprich und stammle: „Das ist <i>mein</i> Gutes, das liebe ich, so gefällt es +mir ganz, so allein will ich das Gute. +</p> + +<p> +Nicht will ich es als eines Gottes Gesetz, nicht will ich es als eine +Menschen-Satzung und -Nothdurft: kein Wegweiser sei es mir für Über-Erden und +Paradiese. +</p> + +<p> +Eine irdische Tugend ist es, die ich liebe: wenig Klugheit ist darin und am +wenigsten die Vernunft Aller. +</p> + +<p> +Aber dieser Vogel baute bei mir sich das Nest: darum liebe und herze ich +ihn,—nun sitze er bei mir auf seinen goldnen Eiern.“ +</p> + +<p> +So sollst du stammeln und deine Tugend loben. +</p> + +<p> +Einst hattest du Leidenschaften und nanntest sie böse. Aber jetzt hast du nur +noch deine Tugenden: die wuchsen aus deinen Leidenschaften. +</p> + +<p> +Du legtest dein höchstes Ziel diesen Leidenschaften an’s Herz: da wurden +sie deine Tugenden und Freudenschaften. +</p> + +<p> +Und ob du aus dem Geschlechte der Jähzornigen wärest oder aus dem der +Wollüstigen oder der Glaubens-Wüthigen oder der Rachsüchtigen: +</p> + +<p> +Am Ende wurden alle deine Leidenschaften zu Tugenden und alle deine Teufel zu +Engeln. +</p> + +<p> +Einst hattest du wilde Hunde in deinem Keller: aber am Ende verwandelten sie +sich zu Vögeln und lieblichen Sängerinnen. +</p> + +<p> +Aus deinen Giften brautest du dir deinen Balsam; deine Kuh Trübsal melktest du, +—nun trinkst du die süsse Milch ihres Euters. +</p> + +<p> +Und nichts Böses wächst mehr fürderhin aus dir, es sei denn das Böse, das aus +dem Kampfe deiner Tugenden wächst. +</p> + +<p> +Mein Bruder, wenn du Glück hast, so hast du Eine Tugend und nicht mehr: so +gehst du leichter über die Brücke. +</p> + +<p> +Auszeichnend ist es, viele Tugenden zu haben, aber ein schweres Loos; und +Mancher gieng in die Wüste und tödtete sich, weil er müde war, Schlacht und +Schlachtfeld von Tugenden zu sein. +</p> + +<p> +Mein Bruder, ist Krieg und Schlacht böse? Aber nothwendig ist diess Böse, +nothwendig ist der Neid und das Misstrauen und die Verleumdung unter deinen +Tugenden. +</p> + +<p> +Siehe, wie jede deiner Tugenden begehrlich ist nach dem Höchsten: sie will +deinen ganzen Geist, dass er <i>ihr</i> Herold sei, sie will deine ganze Kraft +in Zorn, Hass und Liebe. +</p> + +<p> +Eifersüchtig ist jede Tugend auf die andre, und ein furchtbares Ding ist +Eifersucht. Auch Tugenden können an der Eifersucht zu Grunde gehn. +</p> + +<p> +Wen die Flamme der Eifersucht umringt, der wendet zuletzt, gleich dem +Scorpione, gegen sich selber den vergifteten Stachel. +</p> + +<p> +Ach, mein Bruder, sahst du noch nie eine Tugend sich selber verleumden und +erstechen? +</p> + +<p> +Der Mensch ist Etwas, das überwunden werden muss: und darum sollst du deine +Tugenden lieben,—denn du wirst an ihnen zu Grunde gehn.— +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap08"></a>Vom bleichen Verbrecher</h3> + +<p> +Ihr wollt nicht tödten, ihr Richter und Opferer, bevor das Thier nicht genickt +hat? Seht, der bleiche Verbrecher hat genickt: aus seinem Auge redet die grosse +Verachtung. +</p> + +<p> +„Mein Ich ist Etwas, das überwunden werden soll: mein Ich ist mir die grosse +Verachtung des Menschen“ : so redet es aus diesem Auge. +</p> + +<p> +Dass er sich selber richtete, war sein höchster Augenblick: lasst den Erhabenen +nicht wieder zurück in sein Niederes! +</p> + +<p> +Es giebt keine Erlösung für Den, der so an sich selber leidet, es sei denn der +schnelle Tod. +</p> + +<p> +Euer Tödten, ihr Richter, soll ein Mitleid sein und keine Rache. Und indem ihr +tödtet, seht zu, dass ihr selber das Leben rechtfertiget! +</p> + +<p> +Es ist nicht genug, dass ihr euch mit Dem versöhnt, den ihr tödtet. Eure +Traurigkeit sei Liebe zum Übermenschen: so rechtfertigt ihr euer Noch-Leben! +</p> + +<p> +„Feind“ sollt ihr sagen, aber nicht „Bösewicht“; „Kranker“ sollt ihr sagen, +aber nicht „Schuft“; „Thor“ sollt ihr sagen, aber nicht „Sünder“. +</p> + +<p> +Und du, rother Richter, wenn du laut sagen wolltest, was du Alles schon in +Gedanken gethan hast: so würde Jedermann schreien: „Weg mit diesem Unflath und +Giftwurm!“ +</p> + +<p> +Aber ein Anderes ist der Gedanke, ein Anderes die That, ein Anderes das Bild +der That. Das Rad des Grundes rollt nicht zwischen ihnen. +</p> + +<p> +Ein Bild machte diesen bleichen Menschen bleich. Gleichwüchsig war er seiner +That, als er sie that: aber ihr Bild ertrug er nicht, als sie gethan war. +</p> + +<p> +Immer sah er sich nun als Einer That Thäter. Wahnsinn heisse ich diess: die +Ausnahme verkehrte sich ihm zum Wesen. +</p> + +<p> +Der Strich bannt die Henne; der Streich, den er führte, bannte seine arme +Vernunft—den Wahnsinn <i>nach</i> der That heisse ich diess. +</p> + +<p> +Hört, ihr Richter! Einen anderen Wahnsinn giebt es noch: und der ist vor der +That. Ach, ihr krocht mir nicht tief genug in diese Seele! +</p> + +<p> +So spricht der rothe Richter: „was mordete doch dieser Verbrecher? Er wollte +rauben.“ Aber ich sage euch: seine Seele wollte Blut, nicht Raub: er dürstete +nach dem Glück des Messers! +</p> + +<p> +Seine arme Vernunft aber begriff diesen Wahnsinn nicht und überredete ihn. „Was +liegt an Blut! sprach sie; willst du nicht zum Mindesten einen Raub dabei +machen? Eine Rache nehmen?“ +</p> + +<p> +Und er horchte auf seine arme Vernunft: wie Blei lag ihre Rede auf +ihm,—da raubte er, als er mordete. Er wollte sich nicht seines Wahnsinns +schämen. +</p> + +<p> +Und nun wieder liegt das Blei seiner Schuld auf ihm, und wieder ist seine arme +Vernunft so steif, so gelähmt, so schwer. +</p> + +<p> +Wenn er nur den Kopf schütteln könnte, so würde seine Last herabrollen: aber +wer schüttelt diesen Kopf? +</p> + +<p> +Was ist dieser Mensch? Ein Haufen von Krankheiten, welche durch den Geist in +die Welt hinausgreifen: da wollen sie ihre Beute machen. +</p> + +<p> +Was ist dieser Mensch? Ein Knäuel wilder Schlangen, welche selten bei einander +Ruhe haben,—da gehn sie für sich fort und suchen Beute in der Welt. +</p> + +<p> +Seht diesen armen Leib! Was er litt und begehrte, das deutete sich diese arme +Seele,—sie deutete es als mörderische Lust und Gier nach dem Glück des +Messers. +</p> + +<p> +Wer jetzt krank wird, den überfällt das Böse, das jetzt böse ist: wehe will er +thun, mit dem, was ihm wehe thut. Aber es gab andre Zeiten und ein andres Böses +und Gutes. +</p> + +<p> +Einst war der Zweifel böse und der Wille zum Selbst. Damals wurde der Kranke +zum Ketzer und zur Hexe: als Ketzer und Hexe litt er und wollte leiden machen. +</p> + +<p> +Aber diess will nicht in eure Ohren: euren Guten schade es, sagt ihr mir. Aber +was liegt mir an euren Guten! +</p> + +<p> +Vieles an euren Guten macht mir Ekel, und wahrlich nicht ihr Böses. Wollte ich +doch, sie hätten einen Wahnsinn, an dem sie zu Grunde giengen, gleich diesem +bleichen Verbrecher! +</p> + +<p> +Wahrlich, ich wollte, ihr Wahnsinn hiesse Wahrheit oder Treue oder +Gerechtigkeit: aber sie haben ihre Tugend, um lange zu leben und in einem +erbärmlichen Behagen. +</p> + +<p> +Ich bin ein Geländer am Strome: fasse mich, wer mich fassen kann! Eure Krücke +aber bin ich nicht.— +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap09"></a>Vom Lesen und Schreiben</h3> + +<p> +Von allem Geschriebenen liebe ich nur Das, was Einer mit seinem Blute schreibt. +Schreibe mit Blut: und du wirst erfahren, dass Blut Geist ist. +</p> + +<p> +Es ist nicht leicht möglich, fremdes Blut zu verstehen: ich hasse die lesenden +Müssiggänger. +</p> + +<p> +Wer den Leser kennt, der thut Nichts mehr für den Leser. Noch ein Jahrhundert +Leser—und der Geist selber wird stinken. +</p> + +<p> +Dass Jedermann lesen lernen darf, verdirbt auf die Dauer nicht allein das +Schreiben, sondern auch das Denken. +</p> + +<p> +Einst war der Geist Gott, dann wurde er zum Menschen und jetzt wird er gar noch +Pöbel. +</p> + +<p> +Wer in Blut und Sprüchen schreibt, der will nicht gelesen, sondern auswendig +gelernt werden. +</p> + +<p> +Im Gebirge ist der nächste Weg von Gipfel zu Gipfel: aber dazu musst du lange +Beine haben. Sprüche sollen Gipfel sein: und Die, zu denen gesprochen wird, +Grosse und Hochwüchsige. +</p> + +<p> +Die Luft dünn und rein, die Gefahr nahe und der Geist voll einer fröhlichen +Bosheit: so passt es gut zu einander. +</p> + +<p> +Ich will Kobolde um mich haben, denn ich bin muthig. Muth, der die Gespenster +verscheucht, schafft sich selber Kobolde,—der Muth will lachen. +</p> + +<p> +Ich empfinde nicht mehr mit euch: diese Wolke, die ich unter mir sehe, diese +Schwärze und Schwere, über die ich lache,—gerade das ist eure +Gewitterwolke. +</p> + +<p> +Ihr seht nach Oben, wenn ihr nach Erhebung verlangt. Und ich sehe hinab, weil +ich erhoben bin. +</p> + +<p> +Wer von euch kann zugleich lachen und erhoben sein? +</p> + +<p> +Wer auf den höchsten Bergen steigt, der lacht über alle Trauer-Spiele und +Trauer-Ernste. +</p> + +<p> +Muthig, unbekümmert, spöttisch, gewaltthätig—so will uns die Weisheit: +sie ist ein Weib und liebt immer nur einen Kriegsmann. +</p> + +<p> +Ihr sagt mir: „das Leben ist schwer zu tragen.“ Aber wozu hättet ihr Vormittags +euren Stolz und Abends eure Ergebung? +</p> + +<p> +Das Leben ist schwer zu tragen: aber so thut mir doch nicht so zärtlich! Wir +sind allesammt hübsche lastbare Esel und Eselinnen. +</p> + +<p> +Was haben wir gemein mit der Rosenknospe, welche zittert, weil ihr ein Tropfen +Thau auf dem Leibe liegt? +</p> + +<p> +Es ist wahr: wir lieben das Leben, nicht, weil wir an’s Leben, sondern +weil wir an’s Lieben gewöhnt sind. +</p> + +<p> +Es ist immer etwas Wahnsinn in der Liebe. Es ist aber immer auch etwas Vernunft +im Wahnsinn. +</p> + +<p> +Und auch mir, der ich dem Leben gut bin, scheinen Schmetterlinge und +Seifenblasen und was ihrer Art unter Menschen ist, am meisten vom Glücke zu +wissen. +</p> + +<p> +Diese leichten thörichten zierlichen beweglichen Seelchen flattern zu +sehen—das verführt Zarathustra zu Thränen und Liedern. +</p> + +<p> +Ich würde nur an einen Gott glauben, der zu tanzen verstünde. +</p> + +<p> +Und als ich meinen Teufel sah, da fand ich ihn ernst, gründlich, tief, +feierlich: es war der Geist der Schwere,—durch ihn fallen alle Dinge. +</p> + +<p> +Nicht durch Zorn, sondern durch Lachen tödtet man. Auf, lasst uns den Geist der +Schwere tödten! +</p> + +<p> +Ich habe gehen gelernt: seitdem lasse ich mich laufen. Ich habe fliegen +gelernt: seitdem will ich nicht erst gestossen sein, um von der Stelle zu +kommen. +</p> + +<p> +Jetzt bin ich leicht, jetzt fliege ich, jetzt sehe ich mich unter mir, jetzt +tanzt ein Gott durch mich. +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap10"></a>Vom Baum am Berge</h3> + +<p> +Zarathustra’s Auge hatte gesehn, dass ein Jüngling ihm auswich. Und als +er eines Abends allein durch die Berge gieng, welche die Stadt umschliessen, +die genannt wird „die bunte Kuh“: siehe, da fand er im Gehen diesen Jüngling, +wie er an einen Baum gelehnt sass und müden Blickes in das Thal schaute. +Zarathustra fasste den Baum an, bei welchem der Jüngling sass, und sprach also: +</p> + +<p> +Wenn ich diesen Baum da mit meinen Händen schütteln wollte, ich würde es nicht +vermögen. +</p> + +<p> +Aber der Wind, den wir nicht sehen, der quält und biegt ihn, wohin er will. Wir +werden am schlimmsten von unsichtbaren Händen gebogen und gequält. +</p> + +<p> +Da erhob sich der Jüngling bestürzt und sagte: „ich höre Zarathustra und eben +dachte ich an ihn.“ Zarathustra entgegnete: +</p> + +<p> +„Was erschrickst du desshalb?—Aber es ist mit dem Menschen wie mit dem +Baume. +</p> + +<p> +Je mehr er hinauf in die Höhe und Helle will, um so stärker streben seine +Wurzeln erdwärts, abwärts, in’s Dunkle, Tiefe,—in’s Böse.“ +</p> + +<p> +„Ja in’s Böse! rief der Jüngling. Wie ist es möglich, dass du meine Seele +entdecktest?“ +</p> + +<p> +Zarathustra lächelte und sprach: „Manche Seele wird man nie entdecken, es sei +denn, dass man sie zuerst erfindet.“ „Ja in’s Böse! rief der Jüngling +nochmals. +</p> + +<p> +Du sagtest die Wahrheit, Zarathustra. Ich traue mir selber nicht mehr, seitdem +ich in die Höhe will, und Niemand traut mir mehr,—wie geschieht diess +doch? +</p> + +<p> +Ich verwandele mich zu schnell: mein Heute widerlegt mein Gestern. Ich +überspringe oft die Stufen, wenn ich steige,—das verzeiht mir keine +Stufe. +</p> + +<p> +Bin ich oben, so finde ich mich immer allein. Niemand redet mit mir, der Frost +der Einsamkeit macht mich zittern. Was will ich doch in der Höhe? +</p> + +<p> +Meine Verachtung und meine Sehnsucht wachsen mit einander; je höher ich steige, +um so mehr verachte ich Den, der steigt. Was will er doch in der Höhe? +</p> + +<p> +Wie schäme ich mich meines Steigens und Stolperns! Wie spotte ich meines +heftigen Schnaubens! Wie hasse ich den Fliegenden! Wie müde bin ich in der +Höhe!“ +</p> + +<p> +Hier schwieg der Jüngling. Und Zarathustra betrachtete den Baum, an dem sie +standen, und sprach also: +</p> + +<p> +Dieser Baum steht einsam hier am Gebirge; er wuchs hoch hinweg über Mensch und +Thier. +</p> + +<p> +Und wenn er reden wollte, er würde Niemanden haben, der ihn verstünde: so hoch +wuchs er. +</p> + +<p> +Nun wartet er und wartet,—worauf wartet er doch? Er wohnt dem Sitze der +Wolken zu nahe: er wartet wohl auf den ersten Blitz? +</p> + +<p> +Als Zarathustra diess gesagt hatte, rief der Jüngling mit heftigen Gebärden: +„Ja, Zarathustra, du sprichst die Wahrheit. Nach meinem Untergange verlangte +ich, als ich in die Höhe wollte, und du bist der Blitz, auf den ich wartete! +Siehe, was bin ich noch, seitdem du uns erschienen bist? Der <i>Neid</i> auf +dich ist’s, der mich zerstört hat!“—So sprach der Jüngling und +weinte bitterlich. Zarathustra aber legte seinen Arm um ihn und führte ihn mit +sich fort. +</p> + +<p> +Und als sie eine Weile mit einander gegangen waren, hob Zarathustra also an zu +sprechen: +</p> + +<p> +Es zerreisst mir das Herz. Besser als deine Worte es sagen, sagt mir dein Auge +alle deine Gefahr. +</p> + +<p> +Noch bist du nicht frei, du <i>suchst</i> noch nach Freiheit. Übernächtig +machte dich dein Suchen und überwach. +</p> + +<p> +In die freie Höhe willst du, nach Sternen dürstet deine Seele. Aber auch deine +schlimmen Triebe dürsten nach Freiheit. +</p> + +<p> +Deine wilden Hunde wollen in die Freiheit; sie bellen vor Lust in ihrem Keller, +wenn dein Geist alle Gefängnisse zu lösen trachtet. +</p> + +<p> +Noch bist du mir ein Gefangner, der sich Freiheit ersinnt: ach, klug wird +solchen Gefangnen die Seele, aber auch arglistig und schlecht. +</p> + +<p> +Reinigen muss sich noch der Befreite des Geistes. Viel Gefängniss und Moder ist +noch in ihm zurück: rein muss noch sein Auge werden. +</p> + +<p> +Ja, ich kenne deine Gefahr. Aber bei meiner Liebe und Hoffnung beschwöre ich +dich: wirf deine Liebe und Hoffnung nicht weg! +</p> + +<p> +Edel fühlst du dich noch, und edel fühlen dich auch die Andern noch, die dir +gram sind und böse Blicke senden. Wisse, dass Allen ein Edler im Wege steht. +</p> + +<p> +Auch den Guten steht ein Edler im Wege: und selbst wenn sie ihn einen Guten +nennen, so wollen sie ihn damit bei Seite bringen. +</p> + +<p> +Neues will der Edle schaffen und eine neue Tugend. Altes will der Gute, und +dass Altes erhalten bleibe. +</p> + +<p> +Aber nicht das ist die Gefahr des Edlen, dass er ein Guter werde, sondern ein +Frecher, ein Höhnender, ein Vernichter. +</p> + +<p> +Ach, ich kannte Edle, die verloren ihre höchste Hoffnung. Und nun verleumdeten +sie alle hohen Hoffnungen. +</p> + +<p> +Nun lebten sie frech in kurzen Lüsten, und über den Tag hin warfen sie kaum +noch Ziele. +</p> + +<p> +„Geist ist auch Wollust“—so sagten sie. Da zerbrachen ihrem Geiste die +Flügel: nun kriecht er herum und beschmutzt im Nagen. +</p> + +<p> +Einst dachten sie Helden zu werden: Lüstlinge sind es jetzt. Ein Gram und ein +Grauen ist ihnen der Held. +</p> + +<p> +Aber bei meiner Liebe und Hoffnung beschwöre ich dich: wirf den Helden in +deiner Seele nicht weg! Halte heilig deine höchste Hoffnung!— +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap11"></a>Von den Predigern des Todes</h3> + +<p> +Es giebt Prediger des Todes: und die Erde ist voll von Solchen, denen Abkehr +gepredigt werden muss vom Leben. +</p> + +<p> +Voll ist die Erde von Überflüssigen, verdorben ist das Leben durch die +Viel-zu-Vielen. Möge man sie mit dem „ewigen Leben“ aus diesem Leben weglocken! +</p> + +<p> +„Gelbe“ : so nennt man die Prediger des Todes, oder „Schwarze“ . Aber ich will +sie euch noch in andern Farben zeigen. +</p> + +<p> +Da sind die Fürchterlichen, welche in sich das Raubthier herumtragen und keine +Wahl haben, es sei denn Lüste oder Selbstzerfleischung. Und auch ihre Lüste +sind noch Selbstzerfleischung. +</p> + +<p> +Sie sind noch nicht einmal Menschen geworden, diese Fürchterlichen: mögen sie +Abkehr predigen vom Leben und selber dahinfahren! +</p> + +<p> +Da sind die Schwindsüchtigen der Seele: kaum sind sie geboren, so fangen sie +schon an zu sterben und sehnen sich nach Lehren der Müdigkeit und Entsagung. +</p> + +<p> +Sie wollen gerne todt sein, und wir sollten ihren Willen gut heissen! Hüten wir +uns, diese Todten zu erwecken und diese lebendigen Särge zu versehren! +</p> + +<p> +Ihnen begegnet ein Kranker oder ein Greis oder ein Leichnam; und gleich sagen +sie „das Leben ist widerlegt!“ +</p> + +<p> +Aber nur sie sind widerlegt und ihr Auge, welches nur das Eine Gesicht sieht am +Dasein. +</p> + +<p> +Eingehüllt in dicke Schwermuth und begierig auf die kleinen Zufälle, welche den +Tod bringen: so warten sie und beissen die Zähne auf einander. +</p> + +<p> +Oder aber: sie greifen nach Zuckerwerk und spotten ihrer Kinderei dabei: sie +hängen an ihrem Strohhalm Leben und spotten, dass sie noch an einem Strohhalm +hängen. +</p> + +<p> +Ihre Weisheit lautet: „ein Thor, der leben bleibt, aber so sehr sind wir +Thoren! Und das eben ist das Thörichtste am Leben!“— +</p> + +<p> +„Das Leben ist nur Leiden“ —so sagen Andre und lügen nicht: so sorgt doch, +dass <i>ihr</i> aufhört! So sorgt doch, dass das Leben aufhört, welches nur +Leiden ist! +</p> + +<p> +Und also laute die Lehre eurer Tugend „du sollst dich selber tödten! Du sollst +dich selber davonstehlen!“— +</p> + +<p> +„Wollust ist Sünde,—so sagen die Einen, welche den Tod +predigen—lasst uns bei Seite gehn und keine Kinder zeugen!“ +</p> + +<p> +„Gebären ist mühsam,—sagen dich Andern—wozu noch gebären? Man +gebiert nur Unglückliche!“ Und auch sie sind Prediger des Todes. +</p> + +<p> +„Mitleid thut noth—so sagen die Dritten. Nehmt hin, was ich habe! Nehmt +hin, was ich bin! Um so weniger bindet mich das Leben!“ +</p> + +<p> +Wären sie Mitleidige von Grund aus, so würden sie ihren Nächsten das Leben +verleiden. Böse sein—das wäre ihre rechte Güte. +</p> + +<p> +Aber sie wollen loskommen vom Leben: was schiert es sie, dass sie Andre mit +ihren Ketten und Geschenken noch fester binden!— +</p> + +<p> +Und auch ihr, denen das Leben wilde Arbeit und Unruhe ist: seid ihr nicht sehr +müde des Lebens? Seid ihr nicht sehr reif für die Predigt des Todes? +</p> + +<p> +Ihr Alle, denen die wilde Arbeit lieb ist und das Schnelle, Neue, +Fremde,—ihr ertragt euch schlecht, euer Fleiss ist Flucht und Wille, sich +selber zu vergessen. +</p> + +<p> +Wenn ihr mehr an das Leben glaubtet, würdet ihr weniger euch dem Augenblicke +hinwerfen. Aber ihr habt zum Warten nicht Inhalt genug in euch—und selbst +zur Faulheit nicht! +</p> + +<p> +Überall ertönt die Stimme Derer, welche den Tod predigen: und die Erde ist voll +von Solchen, welchen der Tod gepredigt werden muss. +</p> + +<p> +Oder „das ewige Leben“ : das gilt mir gleich,—wofern sie nur schnell +dahinfahren! +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap12"></a>Vom Krieg und Kriegsvolke</h3> + +<p> +Von unsern besten Feinden wollen wir nicht geschont sein, und auch von Denen +nicht, welche wir von Grund aus lieben. So lasst mich denn euch die Wahrheit +sagen! +</p> + +<p> +Meine Brüder im Kriege! Ich liebe euch von Grund aus, ich bin und war +Euresgleichen. Und ich bin auch euer bester Feind. So lasst mich denn euch die +Wahrheit sagen! +</p> + +<p> +Ich weiss um den Hass und Neid eures Herzens. Ihr seid nicht gross genug, um +Hass und Neid nicht zu kennen. So seid denn gross genug, euch ihrer nicht zu +schämen! +</p> + +<p> +Und wenn ihr nicht Heilige der Erkenntniss sein könnt, so seid mir wenigstens +deren Kriegsmänner. Das sind die Gefährten und Vorläufer solcher Heiligkeit. +</p> + +<p> +Ich sehe viel Soldaten: möchte ich viel Kriegsmänner sehn! „Ein-form“ nennt +man’s, was sie tragen: möge es nicht Ein-form sein, was sie damit +verstecken! +</p> + +<p> +Ihr sollt mir Solche sein, deren Auge immer nach einem Feinde sucht—nach +<i>eurem</i> Feinde. Und bei Einigen von euch giebt es einen Hass auf den +ersten Blick. +</p> + +<p> +Euren Feind sollt ihr suchen, euren Krieg sollt ihr führen und für eure +Gedanken! Und wenn euer Gedanke unterliegt, so soll eure Redlichkeit darüber +noch Triumph rufen! +</p> + +<p> +Ihr sollt den Frieden lieben als Mittel zu neuen Kriegen. Und den kurzen +Frieden mehr, als den langen. +</p> + +<p> +Euch rathe ich nicht zur Arbeit, sondern zum Kampfe. Euch rathe ich nicht zum +Frieden, sondern zum Siege. Eure Arbeit sei ein Kampf, euer Friede sei ein +Sieg! +</p> + +<p> +Man kann nur schweigen und stillsitzen, wenn man Pfeil und Bogen hat: sonst +schwätzt und zankt man. Euer Friede sei ein Sieg! +</p> + +<p> +Ihr sagt, die gute Sache sei es, die sogar den Krieg heilige? Ich sage euch: +der gute Krieg ist es, der jede Sache heiligt. +</p> + +<p> +Der Krieg und der Muth haben mehr grosse Dinge gethan, als die Nächstenliebe. +Nicht euer Mitleiden, sondern eure Tapferkeit rettete bisher die Verunglückten. +</p> + +<p> +Was ist gut? fragt ihr. Tapfer sein ist gut. Lasst die kleinen Mädchen reden: +„gut sein ist, was hübsch zugleich und rührend ist.“ +</p> + +<p> +Man nennt euch herzlos: aber euer Herz ist ächt, und ich liebe die Scham eurer +Herzlichkeit. Ihr schämt euch eurer Fluth, und Andre schämen sich ihrer Ebbe. +</p> + +<p> +Ihr seid hässlich? Nun wohlan, meine Brüder! So nehmt das Erhabne um euch, den +Mantel des Hässlichen! +</p> + +<p> +Und wenn eure Seele gross wird, so wird sie übermüthig, und in eurer +Erhabenheit ist Bosheit. Ich kenne euch. +</p> + +<p> +In der Bosheit begegnet sich der Übermüthige mit dem Schwächlinge. Aber sie +missverstehen einander. Ich kenne euch. +</p> + +<p> +Ihr dürft nur Feinde haben, die zu hassen sind, aber nicht Feinde zum +Verachten. Ihr müsst stolz auf euern Feind sein: dann sind die Erfolge eures +Feindes auch eure Erfolge. +</p> + +<p> +Auflehnung—das ist die Vornehmheit am Sclaven. Eure Vornehmheit sei +Gehorsam! Euer Befehlen selber sei ein Gehorchen! +</p> + +<p> +Einem guten Kriegsmanne klingt „du sollst“ angenehmer, als „ich will“. Und +Alles, was euch lieb ist, sollt ihr euch erst noch befehlen lassen. +</p> + +<p> +Eure Liebe zum Leben sei Liebe zu eurer höchsten Hoffnung: und eure höchste +Hoffnung sei der höchste Gedanke des Lebens! +</p> + +<p> +Euren höchsten Gedanken aber sollt ihr euch von mir befehlen lassen—und +er lautet: der Mensch ist Etwas, das überwunden werden soll. +</p> + +<p> +So lebt euer Leben des Gehorsams und des Krieges! Was liegt am Lang-Leben! +Welcher Krieger will geschont sein! +</p> + +<p> +Ich schone euch nicht, ich liebe euch von Grund aus, meine Brüder im +Kriege!— +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap13"></a>Vom neuen Götzen</h3> + +<p> +Irgendwo giebt es noch Völker und Heerden, doch nicht bei uns, meine Brüder: da +giebt es Staaten. +</p> + +<p> +Staat? Was ist das? Wohlan! Jetzt thut mir die Ohren auf, denn jetzt sage ich +euch mein Wort vom Tode der Völker. +</p> + +<p> +Staat heisst das kälteste aller kalten Ungeheuer. Kalt lügt es auch; und diese +Lüge kriecht aus seinem Munde: „Ich, der Staat, bin das Volk.“ +</p> + +<p> +Lüge ist’s! Schaffende waren es, die schufen die Völker und hängten einen +Glauben und eine Liebe über sie hin: also dienten sie dem Leben. +</p> + +<p> +Vernichter sind es, die stellen Fallen auf für Viele und heissen sie Staat: sie +hängen ein Schwert und hundert Begierden über sie hin. +</p> + +<p> +Wo es noch Volk giebt, da versteht es den Staat nicht und hasst ihn als bösen +Blick und Sünde an Sitten und Rechten. +</p> + +<p> +Dieses Zeichen gebe ich euch: jedes Volk spricht seine Zunge des Guten und +Bösen: die versteht der Nachbar nicht. Seine Sprache erfand es sich in Sitten +und Rechten. +</p> + +<p> +Aber der Staat lügt in allen Zungen des Guten und Bösen; und was er auch redet, +er lügt—und was er auch hat, gestohlen hat er’s. +</p> + +<p> +Falsch ist Alles an ihm; mit gestohlenen Zähnen beisst er, der Bissige. Falsch +sind selbst seine Eingeweide. +</p> + +<p> +Sprachverwirrung des Guten und Bösen: dieses Zeichen gebe ich euch als Zeichen +des Staates. Wahrlich, den Willen zum Tode deutet dieses Zeichen! Wahrlich, es +winkt den Predigern des Todes! +</p> + +<p> +Viel zu Viele werden geboren: für die Überflüssigen ward der Staat erfunden! +</p> + +<p> +Seht mir doch, wie er sie an sich lockt, die Viel-zu-Vielen! Wie er sie +schlingt und kaut und wiederkäut! +</p> + +<p> +„Auf der Erde ist nichts Grösseres als ich: der ordnende Finger bin ich Gottes“ +—also brüllt das Unthier. Und nicht nur Langgeohrte und Kurzgeäugte sinken auf +die Kniee! +</p> + +<p> +Ach, auch in euch, ihr grossen Seelen, raunt er seine düsteren Lügen! Ach, er +erräth die reichen Herzen, die gerne sich verschwenden! +</p> + +<p> +Ja, auch euch erräth er, ihr Besieger des alten Gottes! Müde wurdet ihr im +Kampfe, und nun dient eure Müdigkeit noch dem neuen Götzen! +</p> + +<p> +Helden und Ehrenhafte möchte er um sich aufstellen, der neue Götze! Gerne sonnt +er sich im Sonnenschein guter Gewissen,—das kalte Unthier! +</p> + +<p> +Alles will er <i>euch</i> geben, wenn <i>ihr</i> ihn anbetet, der neue Götze: +also kauft er sich den Glanz eurer Tugend und den Blick eurer stolzen Augen. +</p> + +<p> +Ködern will er mit euch die Viel-zu-Vielen! Ja, ein Höllenkunststück ward da +erfunden, ein Pferd des Todes, klirrend im Putz göttlicher Ehren! +</p> + +<p> +Ja, ein Sterben für Viele ward da erfunden, das sich selber als Leben preist: +wahrlich, ein Herzensdienst allen Predigern des Todes! +</p> + +<p> +Staat nenne ich’s, wo Alle Gifttrinker sind, Gute und Schlimme: Staat, wo +Alle sich selber verlieren, Gute und Schlimme: Staat, wo der langsame +Selbstmord Aller—„das Leben“ heisst. +</p> + +<p> +Seht mir doch diese Überflüssigen! Sie stehlen sich die Werke der Erfinder und +die Schätze der Weisen: Bildung nennen sie ihren Diebstahl—und Alles wird +ihnen zu Krankheit und Ungemach! +</p> + +<p> +Seht mir doch diese Überflüssigen! Krank sind sie immer, sie erbrechen ihre +Galle und nennen es Zeitung. Sie verschlingen einander und können sich nicht +einmal verdauen. +</p> + +<p> +Seht mir doch diese Überflüssigen! Reichthümer erwerben sie und werden ärmer +damit. Macht wollen sie und zuerst das Brecheisen der Macht, viel +Geld,—diese Unvermögenden! +</p> + +<p> +Seht sie klettern, diese geschwinden Affen! Sie klettern über einander hinweg +und zerren sich also in den Schlamm und die Tiefe. +</p> + +<p> +Hin zum Throne wollen sie Alle: ihr Wahnsinn ist es,—als ob das Glück auf +dem Throne sässe! Oft sitzt der Schlamm auf dem Thron—und oft auch der +Thron auf dem Schlamme. +</p> + +<p> +Wahnsinnige sind sie mir Alle und kletternde Affen und Überheisse. Übel riecht +mir ihr Götze, das kalte Unthier: übel riechen sie mir alle zusammen, diese +Götzendiener. +</p> + +<p> +Meine Brüder, wollt ihr denn ersticken im Dunste ihrer Mäuler und Begierden! +Lieber zerbrecht doch die Fenster und springt in’s Freie! +</p> + +<p> +Geht doch dem schlechten Geruche aus dem Wege! Geht fort von der Götzendienerei +der Überflüssigen! +</p> + +<p> +Geht doch dem schlechten Geruche aus dem Wege! Geht fort von dem Dampfe dieser +Menschenopfer! +</p> + +<p> +Frei steht grossen Seelen auch jetzt noch die Erde. Leer sind noch viele Sitze +für Einsame und Zweisame, um die der Geruch stiller Meere weht. +</p> + +<p> +Frei steht noch grossen Seelen ein freies Leben. Wahrlich, wer wenig besitzt, +wird um so weniger besessen: gelobt sei die kleine Armuth! +</p> + +<p> +Dort, wo der Staat aufhört, da beginnt erst der Mensch, der nicht überflüssig +ist: da beginnt das Lied des Nothwendigen, die einmalige und unersetzliche +Weise. +</p> + +<p> +Dort, wo der Staat <i>aufhört</i>,—so seht mir doch hin, meine Brüder! +Seht ihr ihn nicht, den Regenbogen und die Brücken des Übermenschen?— +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap14"></a>Von den Fliegen des Marktes</h3> + +<p> +Fliehe, mein Freund, in deine Einsamkeit! Ich sehe dich betäubt vom Lärme der +grossen Männer und zerstochen von den Stacheln der kleinen. +</p> + +<p> +Würdig wissen Wald und Fels mit dir zu schweigen. Gleiche wieder dem Baume, den +du liebst, dem breitästigen: still und aufhorchend hängt er über dem Meere. +</p> + +<p> +Wo die Einsamkeit aufhört, da beginnt der Markt; und wo der Markt beginnt, da +beginnt auch der Lärm der grossen Schauspieler und das Geschwirr der giftigen +Fliegen. +</p> + +<p> +In der Welt taugen die besten Dinge noch Nichts, ohne Einen, der sie erst +aufführt: grosse Männer heisst das Volk diese Aufführer. +</p> + +<p> +Wenig begreift das Volk das Grosse, das ist: das Schaffende. Aber Sinne hat es +für alle Aufführer und Schauspieler grosser Sachen. +</p> + +<p> +Um die Erfinder von neuen Werthen dreht sich die Welt:—unsichtbar dreht +sie sich. Doch um die Schauspieler dreht sich das Volk und der Ruhm: so ist es +der Welt Lauf. +</p> + +<p> +Geist hat der Schauspieler, doch wenig Gewissen des Geistes. Er glaubt immer an +Das, womit er am stärksten glauben macht,—glauben an <i>sich</i> macht! +</p> + +<p> +Morgen hat er einen neuen Glauben und übermorgen einen neueren. Rasche Sinne +hat er, gleich dem Volke, und veränderliche Witterungen. +</p> + +<p> +Umwerfen—das heisst ihm: beweisen. Toll machen—das heisst ihm: +überzeugen. Und Blut gilt ihm als aller Gründe bester. +</p> + +<p> +Eine Wahrheit, die nur in feine Ohren schlüpft, nennt er Lüge und Nichts. +Wahrlich, er glaubt nur an Götter, die grossen Lärm in der Welt machen! +</p> + +<p> +Voll von feierlichen Possenreissern ist der Markt—und das Volk rühmt sich +seiner grossen Männer! das sind ihm die Herrn der Stunde. +</p> + +<p> +Aber die Stunde drängt sie: so drängen sie dich. Und auch von dir wollen sie Ja +oder Nein. Wehe, du willst zwischen Für und Wider deinen Stuhl setzen? +</p> + +<p> +Dieser Unbedingten und Drängenden halber sei ohne Eifersucht, du Liebhaber der +Wahrheit! Niemals noch hängte sich die Wahrheit an den Arm eines Unbedingten. +</p> + +<p> +Dieser Plötzlichen halber gehe zurück in deine Sicherheit: nur auf dem Markt +wird man mit Ja? oder Nein? überfallen. +</p> + +<p> +Langsam ist das Erleben allen tiefen Brunnen: lange müssen sie warten, bis sie +wissen, <i>was</i> in ihre Tiefe fiel. +</p> + +<p> +Abseits vom Markte und Ruhme begiebt sich alles Grosse: abseits vom Markte und +Ruhme wohnten von je die Erfinder neuer Werthe. +</p> + +<p> +Fliehe, mein Freund, in deine Einsamkeit: ich sehe dich von giftigen Fliegen +zerstochen. Fliehe dorthin, wo rauhe, starke Luft weht! +</p> + +<p> +Fliehe in deine Einsamkeit! Du lebtest den Kleinen und Erbärmlichen zu nahe. +Fliehe vor ihrer unsichtbaren Rache! Gegen dich sind sie Nichts als Rache. +</p> + +<p> +Hebe nicht mehr den Arm gegen sie! Unzählbar sind sie, und es ist nicht dein +Loos, Fliegenwedel zu sein. +</p> + +<p> +Unzählbar sind diese Kleinen und Erbärmlichen; und manchem stolzen Baue +gereichten schon Regentropfen und Unkraut zum Untergange. +</p> + +<p> +Du bist kein Stein, aber schon wurdest du hohl von vielen Tropfen. Zerbrechen +und zerbersten wirst du mir noch von vielen Tropfen. +</p> + +<p> +Ermüdet sehe ich dich durch giftige Fliegen, blutig geritzt sehe ich dich an +hundert Stellen; und dein Stolz will nicht einmal zürnen. +</p> + +<p> +Blut möchten sie von dir in aller Unschuld, Blut begehren ihre blutlosen Seelen +—und sie stechen daher in aller Unschuld. +</p> + +<p> +Aber, du Tiefer, du leidest zu tief auch an kleinen Wunden; und ehe du dich +noch geheilt hast, kroch dir der gleiche Giftwurm über die Hand. +</p> + +<p> +Zu stolz bist du mir dafür, diese Naschhaften zu tödten. Hüte dich aber, dass +es nicht dein Verhängniss werde, all ihr giftiges Unrecht zu tragen! +</p> + +<p> +Sie summen um dich auch mit ihrem Lobe: Zudringlichkeit ist ihr Loben. Sie +wollen die Nähe deiner Haut und deines Blutes. +</p> + +<p> +Sie schmeicheln dir wie einem Gotte oder Teufel; sie winseln vor dir wie vor +einem Gotte oder Teufel. Was macht es! Schmeichler sind es und Winsler und +nicht mehr. +</p> + +<p> +Auch geben sie sich dir oft als Liebenswürdige. Aber das war immer die Klugheit +der Feigen. Ja, die Feigen sind klug! +</p> + +<p> +Sie denken viel über dich mit ihrer engen Seele,—bedenklich bist du ihnen +stets! Alles, was viel bedacht wird, wird bedenklich. +</p> + +<p> +Sie bestrafen dich für alle deine Tugenden. Sie verzeihen dir von Grund aus nur +—deine Fehlgriffe. +</p> + +<p> +Weil du milde bist und gerechten Sinnes, sagst du: „unschuldig sind sie an +ihrem kleinen Dasein.“ Aber ihre enge Seele denkt: „Schuld ist alles grosse +Dasein.“ +</p> + +<p> +Auch wenn du ihnen milde bist, fühlen sie sich noch von dir verachtet; und sie +geben dir deine Wohlthat zurück mit versteckten Wehthaten. +</p> + +<p> +Dein wortloser Stolz geht immer wider ihren Geschmack; sie frohlocken, wenn du +einmal bescheiden genug bist, eitel zu sein. +</p> + +<p> +Das, was wir an einem Menschen erkennen, das entzünden wir an ihm auch. Also +hüte dich vor den Kleinen! +</p> + +<p> +Vor dir fühlen sie sich klein, und ihre Niedrigkeit glimmt und glüht gegen dich +in unsichtbarer Rache. +</p> + +<p> +Merktest du nicht, wie oft sie stumm wurden, wenn du zu ihnen tratest, und wie +ihre Kraft von ihnen gieng wie der Rauch von einem erlöschenden Feuer? +</p> + +<p> +Ja, mein Freund, das böse Gewissen bist du deinen Nächsten: denn sie sind +deiner unwerth. Also hassen sie dich und möchten gerne an deinem Blute saugen. +</p> + +<p> +Deine Nächsten werden immer giftige Fliegen sein; Das, was gross an dir +ist,—das selber muss sie giftiger machen und immer fliegenhafter. +</p> + +<p> +Fliehe, mein Freund, in deine Einsamkeit und dorthin, wo eine rauhe, starke +Luft weht. Nicht ist es dein Loos, Fliegenwedel zu sein.— +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap15"></a>Von der Keuschheit</h3> + +<p> +Ich liebe den Wald. In den Städten ist schlecht zu leben: da giebt es zu Viele +der Brünstigen. +</p> + +<p> +Ist es nicht besser, in die Hände eines Mörders zu gerathen, als in die Träume +eines brünstigen Weibes? +</p> + +<p> +Und seht mir doch diese Männer an: ihr Auge sagt es—sie wissen nichts +Besseres auf Erden, als bei einem Weibe zu liegen. +</p> + +<p> +Schlamm ist auf dem Grunde ihrer Seele; und wehe, wenn ihr Schlamm gar noch +Geist hat! +</p> + +<p> +Dass ihr doch wenigstens als Thiere vollkommen wäret! Aber zum Thiere gehört +die Unschuld. +</p> + +<p> +Rathe ich euch, eure Sinne zu tödten? Ich rathe euch zur Unschuld der Sinne. +</p> + +<p> +Rathe ich euch zur Keuschheit? Die Keuschheit ist bei Einigen eine Tugend, aber +bei Vielen beinahe ein Laster. +</p> + +<p> +Diese enthalten sich wohl: aber die Hündin Sinnlichkeit blickt mit Neid aus +Allem, was sie thun. +</p> + +<p> +Noch in die Höhen ihrer Tugend und bis in den kalten Geist hinein folgt ihnen +diess Gethier und sein Unfrieden. +</p> + +<p> +Und wie artig weiss die Hündin Sinnlichkeit um ein Stück Geist zu betteln, wenn +ihr ein Stuck Fleisch versagt wird! +</p> + +<p> +Ihr liebt Trauerspiele und Alles, was das Herz zerbricht? Aber ich bin +misstrauisch gegen eure Hündin. +</p> + +<p> +Ihr habt mir zu grausame Augen und blickt lüstern nach Leidenden. Hat sich +nicht nur eure Wollust verkleidet und heisst sich Mitleiden? +</p> + +<p> +Und auch diess Gleichniss gebe ich euch: nicht Wenige, die ihren Teufel +austreiben wollten, fuhren dabei selber in die Säue. +</p> + +<p> +Wem die Keuschheit schwer fällt, dem ist sie zu widerrathen: dass sie nicht der +Weg zur Hölle werde—das ist zu Schlamm und Brunst der Seele. +</p> + +<p> +Rede ich von schmutzigen Dingen? Das ist mir nicht das Schlimmste. +</p> + +<p> +Nicht, wenn die Wahrheit schmutzig ist, sondern wenn sie seicht ist, steigt der +Erkennende ungern in ihr Wasser. +</p> + +<p> +Wahrlich, es giebt Keusche von Grund aus: sie sind milder von Herzen, sie +lachen lieber und reichlicher als ihr. +</p> + +<p> +Sie lachen auch über die Keuschheit und fragen: „was ist Keuschheit! +</p> + +<p> +Ist Keuschheit nicht Thorheit? Aber diese Thorheit kam zu uns und nicht wir zur +ihr. +</p> + +<p> +Wir boten diesem Gaste Herberge und Herz: nun wohnt er bei uns,—mag er +bleiben, wie lange er will!“ +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap16"></a>Vom Freunde</h3> + +<p> +„Einer ist immer zu viel um mich“—also denkt der Einsiedler. „Immer +Einmal Eins—das giebt auf die Dauer Zwei!“ +</p> + +<p> +Ich und Mich sind immer zu eifrig im Gespräche: wie wäre es auszuhalten, wenn +es nicht einen Freund gäbe? +</p> + +<p> +Immer ist für den Einsiedler der Freund der Dritte: der Dritte ist der Kork, +der verhindert, dass das Gespräch der Zweie in die Tiefe sinkt. +</p> + +<p> +Ach, es giebt zu viele Tiefen für alle Einsiedler. Darum sehnen sie sich so +nach einem Freunde und nach seiner Höhe. +</p> + +<p> +Unser Glaube an Andre verräth, worin wir gerne an uns selber glauben möchten. +Unsre Sehnsucht nach einem Freunde ist unser Verräther. +</p> + +<p> +Und oft will man mit der Liebe nur den Neid überspringen. Und oft greift man an +und macht sich einen Feind, um zu verbergen, dass man angreifbar ist. +</p> + +<p> +„Sei wenigstens mein Feind!“—so spricht die wahre Ehrfurcht, die nicht um +Freundschaft zu bitten wagt. +</p> + +<p> +Will man einen Freund haben, so muss man auch für ihn Krieg führen wollen: und +um Krieg zu führen, muss man Feind sein <i>können</i>. +</p> + +<p> +Man soll in seinem Freunde noch den Feind ehren. Kannst du an deinen Freund +dicht herantreten, ohne zu ihm überzutreten? +</p> + +<p> +In seinem Freunde soll man seinen besten Feind haben. Du sollst ihm am nächsten +mit dem Herzen sein, wenn du ihm widerstrebst. +</p> + +<p> +Du willst vor deinem Freunde kein Kleid tragen? Es soll deines Freundes Ehre +sein, dass du dich ihm giebst, wie du bist? Aber er wünscht dich darum zum +Teufel! +</p> + +<p> +Wer aus sich kein Hehl macht, empört: so sehr habt ihr Grund, die Nacktheit zu +fürchten! Ja, wenn ihr Götter wäret, da dürftet ihr euch eurer Kleider schämen! +</p> + +<p> +Du kannst dich für deinen Freund nicht schön genug putzen: denn du sollst ihm +ein Pfeil und eine Sehnsucht nach dem Übermenschen sein. +</p> + +<p> +Sahst du deinen Freund schon schlafen,—damit du erfahrest, wie er +aussieht? Was ist doch sonst das Gesicht deines Freundes? Es ist dein eignes +Gesicht, auf einem rauhen und unvollkommnen Spiegel. +</p> + +<p> +Sahst du deinen Freund schon schlafen? Erschrakst du nicht, dass dein Freund so +aussieht? Oh, mein Freund, der Mensch ist Etwas, das überwunden werden muss. +</p> + +<p> +Im Errathen und Stillschweigen soll der Freund Meister sein: nicht Alles musst +du sehn wollen. Dein Traum soll dir verrathen, was dein Freund im Wachen thut. +</p> + +<p> +Ein Errathen sei dein Mitleiden: dass du erst wissest, ob dein Freund Mitleiden +wolle. Vielleicht liebt er an dir das ungebrochne Auge und den Blick der +Ewigkeit. +</p> + +<p> +Das Mitleiden mit dem Freunde berge sich unter einer harten Schale, an ihm +sollst du dir einen Zahn ausbeissen. So wird es seine Feinheit und Süsse haben. +</p> + +<p> +Bist du reine Luft und Einsamkeit und Brod und Arznei deinem Freunde? Mancher +kann seine eignen Ketten nicht lösen und doch ist er dem Freunde ein Erlöser. +</p> + +<p> +Bist du ein Sclave? So kannst du nicht Freund sein. Bist du ein Tyrann? So +kannst du nicht Freunde haben. +</p> + +<p> +Allzulange war im Weibe ein Sclave und ein Tyrann versteckt. Desshalb ist das +Weib noch nicht der Freundschaft fähig: es kennt nur die Liebe. +</p> + +<p> +In der Liebe des Weibes ist Ungerechtigkeit und Blindheit gegen Alles, was es +nicht liebt. Und auch in der wissenden Liebe des Weibes ist immer noch Überfall +und Blitz und Nacht neben dem Lichte. +</p> + +<p> +Noch ist das Weib nicht der Freundschaft fähig: Katzen sind immer noch die +Weiber, und Vögel. Oder, besten Falles, Kühe. +</p> + +<p> +Noch ist das Weib nicht der Freundschaft fähig. Aber sagt mir, ihr Männer, wer +von euch ist denn fähig der Freundschaft? +</p> + +<p> +Oh über eure Armuth, ihr Männer, und euren Geiz der Seele! Wie viel ihr dem +Freunde gebt, das will ich noch meinem Feinde geben, und will auch nicht ärmer +damit geworden sein. +</p> + +<p> +Es giebt Kameradschaft: möge es Freundschaft geben! +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap17"></a>Von tausend und Einem Ziele</h3> + +<p> +VieIe Länder sah Zarathustra und viele Völker: so entdeckte er vieler Völker +Gutes und Böses. Keine grössere Macht fand Zarathustra auf Erden, als Gut und +Böse. +</p> + +<p> +Leben könnte kein Volk, das nicht erst schätzte; will es sich aber erhalten, so +darf es nicht schätzen, wie der Nachbar schätzt. +</p> + +<p> +Vieles, das diesem Volke gut hiess, hiess einem andern Hohn und Schmach: also +fand ich’s. Vieles fand ich hier böse genannt und dort mit purpurnen +Ehren geputzt. +</p> + +<p> +Nie verstand ein Nachbar den andern: stets verwunderte sich seine Seele ob des +Nachbarn Wahn und Bosheit. +</p> + +<p> +Eine Tafel der Güter hängt über jedem Volke. Siehe, es ist seiner Überwindungen +Tafel; siehe, es ist die Stimme seines Willens zur Macht. +</p> + +<p> +Löblich ist, was ihm schwer gilt; was unerlässlich und schwer, heisst gut, und +was aus der höchsten Noth noch befreit, das Seltene, Schwerste,—das +preist es heilig. +</p> + +<p> +Was da macht, dass es herrscht und siegt und glänzt, seinem Nachbarn zu Grauen +und Neide: das gilt ihm das Hohe, das Erste, das Messende, der Sinn aller +Dinge. +</p> + +<p> +Wahrlich, mein Bruder, erkanntest du erst eines Volkes Noth und Land und Himmel +und Nachbar: so erräthst du wohl das Gesetz seiner Überwindungen und warum es +auf dieser Leiter zu seiner Hoffnung steigt. +</p> + +<p> +„Immer sollst du der Erste sein und den Andern vorragen: Niemanden soll deine +eifersüchtige Seele lieben, es sei denn den Freund“—diess machte einem +Griechen die Seele zittern: dabei gieng er seinen Pfad der Grösse. +</p> + +<p> +„Wahrheit reden und gut mit Bogen und Pfeil verkehren“ —so dünkte es jenem +Volke zugleich lieb und schwer, aus dem mein Name kommt—der Name, welcher +mir zugleich lieb und schwer ist. +</p> + +<p> +„Vater und Mutter ehren und bis in die Wurzel der Seele hinein ihnen zu Willen +sein“ : diese Tafel der Überwindung hängte ein andres Volk über sich auf und +wurde mächtig und ewig damit. +</p> + +<p> +„Treue üben und um der Treue Willen Ehre und Blut auch an böse und fährliche +Sachen setzen“ : also sich lehrend bezwang sich ein anderes Volk, und also sich +bezwingend wurde es schwanger und schwer von grossen Hoffnungen. +</p> + +<p> +Wahrlich, die Menschen gaben sich alles ihr Gutes und Böses. Wahrlich, sie +nahmen es nicht, sie fanden es nicht, nicht fiel es ihnen als Stimme vom +Himmel. +</p> + +<p> +Werthe legte erst der Mensch in die Dinge, sich zu erhalten,—er schuf +erst den Dingen Sinn, einen Menschen-Sinn! Darum nennt er sich „Mensch“, das +ist: der Schätzende. +</p> + +<p> +Schätzen ist Schaffen: hört es, ihr Schaffenden! Schätzen selber ist aller +geschätzten Dinge Schatz und Kleinod. +</p> + +<p> +Durch das Schätzen erst giebt es Werth: und ohne das Schätzen wäre die Nuss des +Daseins hohl. Hört es, ihr Schaffenden! +</p> + +<p> +Wandel der Werthe,—das ist Wandel der Schaffenden. Immer vernichtet, wer +ein Schöpfer sein muss. +</p> + +<p> +Schaffende waren erst Völker und spät erst Einzelne; wahrlich, der Einzelne +selber ist noch die jüngste Schöpfung. +</p> + +<p> +Völker hängten sich einst eine Tafel des Guten über sich. Liebe, die herrschen +will, und Liebe, die gehorchen will, erschufen sich zusammen solche Tafeln. +</p> + +<p> +Älter ist an der Heerde die Lust, als die Lust am Ich: und so lange das gute +Gewissen Heerde heisst, sagt nur das schlechte Gewissen: Ich. +</p> + +<p> +Wahrlich, das schlaue Ich, das lieblose, das seinen Nutzen im Nutzen Vieler +will: das ist nicht der Heerde Ursprung, sondern ihr Untergang. +</p> + +<p> +Liebende waren es stets und Schaffende, die schufen Gut und Böse. Feuer der +Liebe glüht in aller Tugenden Namen und Feuer des Zorns. +</p> + +<p> +Viele Länder sah Zarathustra und viele Völker: keine grössere Macht fand +Zarathustra auf Erden, als die Werke der Liebenden: „gut“ und „böse“ ist ihr +Name. +</p> + +<p> +Wahrlich, ein Ungethüm ist die Macht dieses Lobens und Tadelns. Sagt, wer +bezwingt es mir, ihr Brüder? Sagt, wer wirft diesem Thier die Fessel über die +tausend Nacken? +</p> + +<p> +Tausend Ziele gab es bisher, denn tausend Völker gab es. Nur die Fessel der +tausend Nacken fehlt noch, es fehlt das Eine Ziel. Noch hat die Menschheit kein +Ziel. +</p> + +<p> +Aber sagt mir doch, meine Brüder: wenn der Menschheit das Ziel noch fehlt, +fehlt da nicht auch—sie selber noch?— +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap18"></a>Von der Nächstenliebe</h3> + +<p> +Ihr drängt euch um den Nächsten und habt schöne Worte dafür. Aber ich sage +euch: eure Nächstenliebe ist eure schlechte Liebe zu euch selber. +</p> + +<p> +Ihr flüchtet zum Nächsten vor euch selber und möchtet euch daraus eine Tugend +machen: aber ich durchschaue euer „Selbstloses“. +</p> + +<p> +Das Du ist älter als das Ich; das Du ist heilig gesprochen, aber noch nicht das +Ich: so drängt sich der Mensch hin zum Nächsten. +</p> + +<p> +Rathe ich euch zur Nächstenliebe? Lieber noch rathe ich euch zur +Nächsten-Flucht und zur Fernsten-Liebe! +</p> + +<p> +Höher als die Liebe zum Nächsten ist die Liebe zum Fernsten und Künftigen; +höher noch als die Liebe zu Menschen ist die Liebe zu Sachen und Gespenstern. +</p> + +<p> +Diess Gespenst, das vor dir herläuft, mein Bruder, ist schöner als du; warum +giebst du ihm nicht dein Fleisch und deine Knochen? Aber du fürchtest dich und +läufst zu deinem Nächsten. +</p> + +<p> +Ihr haltet es mit euch selber nicht aus und liebt euch nicht genug: nun wollt +ihr den Nächsten zur Liebe verführen und euch mit seinem Irrthum vergolden. +</p> + +<p> +Ich wollte, ihr hieltet es nicht aus mit allerlei Nächsten und deren Nachbarn; +so müsstet ihr aus euch selber euren Freund und sein überwallendes Herz +schaffen. +</p> + +<p> +Ihr ladet euch einen Zeugen ein, wenn ihr von euch gut reden wollt; und wenn +ihr ihn verführt habt, gut von euch zu denken, denkt ihr selber gut von euch. +</p> + +<p> +Nicht nur Der lügt, welcher wider sein Wissen redet, sondern erst recht Der, +welcher wider sein Nichtwissen redet. Und so redet ihr von euch im Verkehre und +belügt mit euch den Nachbar. +</p> + +<p> +Also spricht der Narr: „der Umgang mit Menschen verdirbt den Charakter, +sonderlich wenn man keinen hat.“ +</p> + +<p> +Der Eine geht zum Nächsten, weil er sich sucht, und der Andre, weil er sich +verlieren möchte. Eure schlechte Liebe zu euch selber macht euch aus der +Einsamkeit ein Gefängniss. +</p> + +<p> +Die Ferneren sind es, welche eure Liebe zum Nächsten bezahlen; und schon wenn +ihr zu fünfen mit einander seid, muss immer ein sechster sterben. +</p> + +<p> +Ich liebe auch eure Feste nicht: zu viel Schauspieler fand ich dabei, und auch +die Zuschauer gebärdeten sich oft gleich Schauspielern. +</p> + +<p> +Nicht den Nächsten lehre ich euch, sondern den Freund. Der Freund sei euch das +Fest der Erde und ein Vorgefühl des Übermenschen. +</p> + +<p> +Ich lehre euch den Freund und sein übervolles Herz. Aber man muss verstehn, ein +Schwamm zu sein, wenn man von übervollen Herzen geliebt sein will. +</p> + +<p> +Ich lehre euch den Freund, in dem die Welt fertig dasteht, eine Schale des +Guten,—den schaffenden Freund, der immer eine fertige Welt zu verschenken +hat. +</p> + +<p> +Und wie ihm die Welt auseinander rollte, so rollt sie ihm wieder in Ringen +zusammen, als das Werden des Guten durch das Böse, als das Werden der Zwecke +aus dem Zufalle. +</p> + +<p> +Die Zukunft und das Fernste sei dir die Ursache deines Heute: in deinem Freunde +sollst du den Übermenschen als deine Ursache lieben. +</p> + +<p> +Meine Brüder, zur Nächstenliebe rathe ich euch nicht: ich rathe euch zur +Fernsten-Liebe. +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap19"></a>Vom Wege des Schaffenden</h3> + +<p> +Willst du, mein Bruder, in die Vereinsamung gehen? Willst du den Weg zu dir +selber suchen? Zaudere noch ein Wenig und höre mich. +</p> + +<p> +„Wer sucht, der geht leicht selber verloren. Alle Vereinsamung ist Schuld“: +also spricht die Heerde. Und du gehörtest lange zur Heerde. +</p> + +<p> +Die Stimme der Heerde wird auch in dir noch tönen. Und wenn du sagen wirst „ich +habe nicht mehr Ein Gewissen mit euch“, so wird es eine Klage und ein Schmerz +sein. +</p> + +<p> +Siehe, diesen Schmerz selber gebar noch das Eine Gewissen: und dieses Gewissens +letzter Schimmer glüht noch auf deiner Trübsal. +</p> + +<p> +Aber du willst den Weg deiner Trübsal gehen, welches ist der Weg zu dir selber? +So zeige mir dein Recht und deine Kraft dazu! +</p> + +<p> +Bist du eine neue Kraft und ein neues Recht? Eine erste Bewegung? Ein aus sich +rollendes Rad? Kannst du auch Sterne zwingen, dass sie um dich sich drehen? +</p> + +<p> +Ach, es giebt so viel Lüsternheit nach Höhe! Es giebt so viel Krämpfe der +Ehrgeizigen! Zeige mir, dass du keiner der Lüsternen und Ehrgeizigen bist! +</p> + +<p> +Ach, es giebt so viel grosse Gedanken, die thun nicht mehr als ein Blasebalg: +sie blasen auf und machen leerer. +</p> + +<p> +Frei nennst du dich? Deinen herrschenden Gedanken will ich hören und nicht, +dass du einem Joche entronnen bist. +</p> + +<p> +Bist du ein Solcher, der einem Joche entrinnen <i>durfte</i>? Es giebt Manchen, +der seinen letzten Werth wegwarf, als er seine Dienstbarkeit wegwarf. +</p> + +<p> +Frei wovon? Was schiert das Zarathustra! Hell aber soll mir dein Auge künden: +frei <i>wozu</i>? +</p> + +<p> +Kannst du dir selber dein Böses und dein Gutes geben und deinen Willen über +dich aufhängen wie ein Gesetz? Kannst du dir selber Richter sein und Rächer +deines Gesetzes? +</p> + +<p> +Furchtbar ist das Alleinsein mit dem Richter und Rächer des eignen Gesetzes. +Also wird ein Stern hinausgeworfen in den öden Raum und in den eisigen Athem +des Alleinseins. +</p> + +<p> +Heute noch leidest du an den Vielen, du Einer: heute noch hast du deinen Muth +ganz und deine Hoffnungen. +</p> + +<p> +Aber einst wird dich die Einsamkeit müde machen, einst wird dein Stolz sich +krümmen und dein Muth knirschen. Schreien wirst du einst „ich bin allein!“ +</p> + +<p> +Einst wirst du dein Hohes nicht mehr sehn und dein Niedriges allzunahe; dein +Erhabnes selbst wird dich fürchten machen wie ein Gespenst. Schreien wirst du +einst: „Alles ist falsch!“ +</p> + +<p> +Es giebt Gefühle, die den Einsamen tödten wollen; gelingt es ihnen nicht, nun, +so müssen sie selber sterben! Aber vermagst du das, Mörder zu sein? +</p> + +<p> +Kennst du, mein Bruder, schon das Wort „Verachtung“? Und die Qual deiner +Gerechtigkeit, Solchen gerecht zu sein, die dich verachten? +</p> + +<p> +Du zwingst Viele, über dich umzulernen; das rechnen sie dir hart an. Du kamst +ihnen nahe und giengst doch vorüber: das verzeihen sie dir niemals. +</p> + +<p> +Du gehst über sie hinaus: aber je höher du steigst, um so kleiner sieht dich +das Auge des Neides. Am meisten aber wird der Fliegende gehasst. +</p> + +<p> +„Wie wolltet ihr gegen mich gerecht sein!—musst du sprechen—ich +erwähle mir eure Ungerechtigkeit als den mir zugemessnen Theil.“ +</p> + +<p> +Ungerechtigkeit und Schmutz werfen sie nach dem Einsamen: aber, mein Bruder, +wenn du ein Stern sein willst, so musst du ihnen desshalb nicht weniger +leuchten! +</p> + +<p> +Und hüte dich vor den Guten und Gerechten! Sie kreuzigen gerne Die, welche sich +ihre eigne Tugend erfinden,—sie hassen den Einsamen. +</p> + +<p> +Hüte dich auch vor der heiligen Einfalt! Alles ist ihr unheilig, was nicht +einfältig ist; sie spielt auch gerne mit dem Feuer—der Scheiterhaufen. +</p> + +<p> +Und hüte dich auch vor den Anfällen deiner Liebe! Zu schnell streckt der +Einsame Dem die Hand entgegen, der ihm begegnet. +</p> + +<p> +Manchem Menschen darfst du nicht die Hand geben, sondern nur die Tatze: und ich +will, dass deine Tatze auch Krallen habe. +</p> + +<p> +Aber der schlimmste Feind, dem du begegnen kannst, wirst du immer dir selber +sein; du selber lauerst dir auf in Höhlen und Wäldern. +</p> + +<p> +Einsamer, du gehst den Weg zu dir selber! Und an dir selber fuhrt dein Weg +vorbei und an deinen sieben Teufeln! +</p> + +<p> +Ketzer wirst du dir selber sein und Hexe und Wahrsager und Narr und Zweifler +und Unheiliger und Bösewicht. +</p> + +<p> +Verbrennen musst du dich wollen in deiner eignen Flamme: wie wolltest du neu +werden, wenn du nicht erst Asche geworden bist! +</p> + +<p> +Einsamer, du gehst den Weg des Schaffenden: einen Gott willst du dir schaffen +aus deinen sieben Teufeln! +</p> + +<p> +Einsamer, du gehst den Weg des Liebenden: dich selbst liebst du und desshalb +verachtest du dich, wie nur Liebende verachten. +</p> + +<p> +Schaffen will der Liebende, weil er verachtet! Was weiss Der von Liebe, der +nicht gerade verachten musste, was er liebte! +</p> + +<p> +Mit deiner Liebe gehe in deine Vereinsamung und mit deinem Schaffen, mein +Bruder; und spät erst wird die Gerechtigkeit dir nachhinken. +</p> + +<p> +Mit meinen Thränen gehe in deine Vereinsamung, mein Bruder. Ich liebe Den, der +über sich selber hinaus schaffen will und so zu Grunde geht.— +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap20"></a>Von alten und jungen Weiblein</h3> + +<p> +„Was schleichst du so scheu durch die Dämmerung, Zarathustra? Und was birgst du +behutsam unter deinem Mantel? +</p> + +<p> +Ist es ein Schatz, der dir geschenkt? Oder ein Kind, das dir geboren wurde? +Oder gehst du jetzt selber auf den Wegen der Diebe, du Freund der +Bösen?“— +</p> + +<p> +Wahrlich, mein Bruder! sprach Zarathustra, es ist ein Schatz, der mir geschenkt +wurde: eine kleine Wahrheit ist’s, die ich trage. +</p> + +<p> +Aber sie ist ungebärdig wie ein junges Kind; und wenn ich ihr nicht den Mund +halte, so schreit sie überlaut. +</p> + +<p> +Als ich heute allein meines Weges gieng, zur Stunde, wo die Sonne sinkt, +begegnete mir ein altes Weiblein und redete also zu meiner Seele: +</p> + +<p> +„Vieles sprach Zarathustra auch zu uns Weibern, doch nie sprach er uns über das +Weib.“ +</p> + +<p> +Und ich entgegnete ihr: „über das Weib soll man nur zu Männern reden.“ +</p> + +<p> +„Rede auch zu mir vom Weibe, sprach sie; ich bin alt genug, um es gleich wieder +zu vergessen.“ +</p> + +<p> +Und ich willfahrte dem alten Weiblein und sprach also zu ihm: +</p> + +<p> +Alles am Weibe ist ein Räthsel, und Alles am Weibe hat Eine Lösung: sie heisst +Schwangerschaft. +</p> + +<p> +Der Mann ist für das Weib ein Mittel: der Zweck ist immer das Kind. Aber was +ist das Weib für den Mann? +</p> + +<p> +Zweierlei will der ächte Mann: Gefahr und Spiel. Desshalb will er das Weib, als +das gefährlichste Spielzeug. +</p> + +<p> +Der Mann soll zum Kriege erzogen werden und das Weib zur Erholung des Kriegers: +alles Andre ist Thorheit. +</p> + +<p> +Allzusüsse Früchte—die mag der Krieger nicht. Darum mag er das Weib; +bitter ist auch noch das süsseste Weib. +</p> + +<p> +Besser als ein Mann versteht das Weib die Kinder, aber der Mann ist kindlicher +als das Weib. +</p> + +<p> +Im ächten Manne ist ein Kind versteckt: das will spielen. Auf, ihr Frauen, so +entdeckt mir doch das Kind im Manne! +</p> + +<p> +Ein Spielzeug sei das Weib, rein und fein, dem Edelsteine gleich, bestrahlt von +den Tugenden einer Welt, welche noch nicht da ist. +</p> + +<p> +Der Strahl eines Sternes glänze in eurer Liebe! Eure Hoffnung heisse: „möge ich +den Übermenschen gebären!“ +</p> + +<p> +In eurer Liebe sei Tapferkeit! Mit eurer Liebe sollt ihr auf Den losgehn, der +euch Furcht einflösst! +</p> + +<p> +In eurer Liebe sei eure Ehre! Wenig versteht sich sonst das Weib auf Ehre. Aber +diess sei eure Ehre, immer mehr zu lieben, als ihr geliebt werdet, und nie die +Zweiten zu sein. +</p> + +<p> +Der Mann fürchte sich vor dem Weibe, wenn es liebt: da bringt es jedes Opfer, +und jedes andre Ding gilt ihm ohne Werth. +</p> + +<p> +Der Mann fürchte sich vor dem Weibe, wenn es hasst: denn der Mann ist im Grunde +der Seele nur böse, das Weib aber ist dort schlecht. +</p> + +<p> +Wen hasst das Weib am meisten?—Also sprach das Eisen zum Magneten: „ich +hasse dich am meisten, weil du anziehst, aber nicht stark genug bist, an dich +zu ziehen.“ +</p> + +<p> +Das Glück des Mannes heisst: ich will. Das Glück des Weibes heisst: er will. +</p> + +<p> +„Siehe, jetzt eben ward die Welt vollkommen!“—also denkt ein jedes Weib, +wenn es aus ganzer Liebe gehorcht. +</p> + +<p> +Und gehorchen muss das Weib und eine Tiefe finden zu seiner Oberfläche. +Oberfläche ist des Weibes Gemüth, eine bewegliche stürmische Haut auf einem +seichten Gewässer. +</p> + +<p> +Des Mannes Gemüth aber ist tief, sein Strom rauscht in unterirdischen Höhlen: +das Weib ahnt seine Kraft, aber begreift sie nicht.— +</p> + +<p> +Da entgegnete mir das alte Weiblein: „Vieles Artige sagte Zarathustra und +sonderlich für Die, welche jung genug dazu sind. +</p> + +<p> +Seltsam ist’s, Zarathustra kennt wenig die Weiber, und doch hat er über +sie Recht! Geschieht diess desshalb, weil beim Weibe kein Ding unmöglich ist? +</p> + +<p> +Und nun nimm zum Danke eine kleine Wahrheit! Bin ich doch alt genug für sie! +</p> + +<p> +Wickle sie ein und halte ihr den Mund: sonst schreit sie überlaut, diese kleine +Wahrheit.“ +</p> + +<p> +„Gieb mir, Weib, deine kleine Wahrheit!“ sagte ich. Und also sprach das alte +Weiblein: +</p> + +<p> +„Du gehst zu Frauen? Vergiss die Peitsche nicht!“— +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap21"></a>Vom Biss der Natter</h3> + +<p> +Eines Tages war Zarathustra unter einem Feigenbaume eingeschlafen, da es heiss +war, und hatte seine Arme über das Gesicht gelegt. Da kam eine Natter und biss +ihn in den Hals, so dass Zarathustra vor Schmerz aufschrie. Als er den Arm vom +Gesicht genommen hatte, sah er die Schlange an: da erkannte sie die Augen +Zarathustra’s, wand sich ungeschickt und wollte davon. „Nicht doch, +sprach Zarathustra; noch nahmst du meinen Dank nicht an! Du wecktest mich zur +Zeit, mein Weg ist noch lang.“ „Dein Weg ist noch kurz, sagte die Natter +traurig; mein Gift tödtet.“ Zarathustra lächelte. „Wann starb wohl je ein +Drache am Gift einer Schlange?—sagte er. Aber nimm dein Gift zurück! Du +bist nicht reich genug, es mir zu schenken.“ Da fiel ihm die Natter von Neuem +um den Hals und leckte ihm seine Wunde. +</p> + +<p> +Als Zarathustra diess einmal seinen Jüngern erzählte, fragten sie: „Und was, oh +Zarathustra, ist die Moral deiner Geschichte?“ Zarathustra antwortete darauf +also: +</p> + +<p> +Den Vernichter der Moral heissen mich die Guten und Gerechten: meine Geschichte +ist unmoralisch.— +</p> + +<p> +So ihr aber einen Feind habt, so vergeltet ihm nicht Böses mit Gutem: denn das +würde beschämen. Sondern beweist, dass er euch etwas Gutes angethan hat. +</p> + +<p> +Und lieber zürnt noch, als dass ihr beschämt! Und wenn euch geflucht wird, so +gefällt es mir nicht, dass ihr dann segnen wollt. Lieber ein Wenig mitfluchen! +</p> + +<p> +Und geschah euch ein grosses Unrecht, so thut mir geschwind fünf kleine dazu! +Grässlich ist Der anzusehn, den allein das Unrecht drückt. +</p> + +<p> +Wusstet ihr diess schon? Getheiltes Unrecht ist halbes Recht. Und Der soll das +Unrecht auf sich nehmen, der es tragen kann! +</p> + +<p> +Eine kleine Rache ist menschlicher, als gar keine Rache. Und wenn die Strafe +nicht auch ein Recht und eine Ehre ist für den Übertretenden, so mag ich auch +euer Strafen nicht. +</p> + +<p> +Vornehmer ist’s, sich Unrecht zu geben als Recht zu behalten, sonderlich +wenn man Recht hat. Nur muss man reich genug dazu sein. +</p> + +<p> +Ich mag eure kalte Gerechtigkeit nicht; und aus dem Auge eurer Richter blickt +mir immer der Henker und sein kaltes Eisen. +</p> + +<p> +Sagt, wo findet sich die Gerechtigkeit, welche Liebe mit sehenden Augen ist? +</p> + +<p> +So erfindet mir doch die Liebe, welche nicht nur alle Strafe, sondern auch alle +Schuld trägt! +</p> + +<p> +So erfindet mir doch die Gerechtigkeit, die Jeden freispricht, ausgenommen den +Richtenden! +</p> + +<p> +Wollt ihr auch diess noch hören? An Dem, der von Grund aus gerecht sein will, +wird auch noch die Lüge zur Menschen-Freundlichkeit. +</p> + +<p> +Aber wie wollte ich gerecht sein von Grund aus! Wie kann ich Jedem das Seine +geben! Diess sei mir genug: ich gebe Jedem das Meine. +</p> + +<p> +Endlich, meine Brüder, hütet euch Unrecht zu thun allen Einsiedlern! Wie könnte +ein Einsiedler vergessen! Wie könnte er vergelten! +</p> + +<p> +Wie ein tiefer Brunnen ist ein Einsiedler. Leicht ist es, einen Stein +hineinzuwerfen; sank er aber bis zum Grunde, sagt, wer will ihn wieder +hinausbringen? +</p> + +<p> +Hütet euch, den Einsiedler zu beleidigen! Thatet ihr’s aber, nun, so +tödtet ihn auch noch! +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap22"></a>Von Kind und Ehe</h3> + +<p> +Ich habe eine Frage für dich allein, mein Bruder: wie ein Senkblei werfe ich +diese Frage in deine Seele, dass ich wisse, wie tief sie sei. +</p> + +<p> +Du bist jung und wünschest dir Kind und Ehe. Aber ich frage dich: bist du ein +Mensch, der ein Kind sich wünschen <i>darf</i>? +</p> + +<p> +Bist du der Siegreiche, der Selbstbezwinger, der Gebieter der Sinne, der Herr +deiner Tugenden? Also frage ich dich. +</p> + +<p> +Oder redet aus deinem Wunsche das Thier und die Nothdurft? Oder Vereinsamung? +Oder Unfriede mit dir? +</p> + +<p> +Ich will, dass dein Sieg und deine Freiheit sich nach einem Kinde sehne. +Lebendige Denkmale sollst du bauen deinem Siege und deiner Befreiung. +</p> + +<p> +Über dich sollst du hinausbauen. Aber erst musst du mir selber gebaut sein, +rechtwinklig an Leib und Seele. +</p> + +<p> +Nicht nur fort sollst du dich pflanzen, sondern hinauf! Dazu helfe dir der +Garten der Ehe! +</p> + +<p> +Einen höheren Leib sollst du schaffen, eine erste Bewegung, ein aus sich +rollendes Rad,—einen Schaffenden sollst du schaffen. +</p> + +<p> +Ehe: so heisse ich den Willen zu Zweien, das Eine zu schaffen, das mehr ist, +als die es schufen. Ehrfurcht vor einander nenne ich Ehe als vor den Wollenden +eines solchen Willens. +</p> + +<p> +Diess sei der Sinn und die Wahrheit deiner Ehe. Aber Das, was die +Viel-zu-Vielen Ehe nennen, diese Überflüssigen,—ach, wie nenne ich das? +</p> + +<p> +Ach, diese Armuth der Seele zu Zweien! Ach, dieser Schmutz der Seele zu Zweien! +Ach diess erbärmliche Behagen zu Zweien! +</p> + +<p> +Ehe nennen sie diess Alles; und sie sagen, ihre Ehen seien im Himmel +geschlossen. +</p> + +<p> +Nun, ich mag ihn nicht, diesen Himmel der Überflüssigen! Nein, ich mag sie +nicht, diese im himmlischen Netz verschlungenen Thiere! +</p> + +<p> +Ferne bleibe mir auch der Gott, der heranhinkt, zu segnen, was er nicht +zusammenfügte! +</p> + +<p> +Lacht mir nicht über solche Ehen! Welches Kind hätte nicht Grund, über seine +Eltern zu weinen? +</p> + +<p> +Würdig schien mir dieser Mann und reif für den Sinn der Erde: aber als ich sein +Weib sah, schien mir die Erde ein Haus für Unsinnige. +</p> + +<p> +Ja, ich wollte, dass die Erde in Krämpfen bebte, wenn sich ein Heiliger und +eine Gans mit einander paaren. +</p> + +<p> +Dieser gieng wie ein Held auf Wahrheiten aus und endlich erbeutete er sich eine +kleine geputzte Lüge. Seine Ehe nennt er’s. +</p> + +<p> +Jener war spröde im Verkehre und wählte wählerisch. Aber mit Einem Male verdarb +er für alle Male seine Gesellschaft: seine Ehe nennt er’s. +</p> + +<p> +Jener suchte eine Magd mit den Tugenden eines Engels. Aber mit Einem Male wurde +er die Magd eines Weibes, und nun thäte es Noth, dass er darüber noch zum Engel +werde. +</p> + +<p> +Sorgsam fand ich jetzt alle Käufer, und Alle haben listige Augen. Aber seine +Frau kauft auch der Listigste noch im Sack. +</p> + +<p> +Viele kurze Thorheiten—das heisst bei euch Liebe. Und eure Ehe macht +vielen kurzer Thorheiten ein Ende, als Eine lange Dummheit. +</p> + +<p> +Eure Liebe zum Weibe und des Weibes Liebe zum Manne: ach, möchte sie doch +Mitleiden sein mit leidenden und verhüllten Göttern! Aber zumeist errathen zwei +Thiere einander. +</p> + +<p> +Aber auch noch eure beste Liebe ist nur ein verzücktes Gleichniss und eine +schmerzhafte Gluth. Eine Fackel ist sie, die euch zu höheren Wegen leuchten +soll. +</p> + +<p> +Über euch hinaus sollt ihr einst lieben! So <i>lernt</i> erst lieben! Und darum +musstet ihr den bittern Kelch eurer Liebe trinken. +</p> + +<p> +Bitterniss ist im Kelch auch der besten Liebe: so macht sie Sehnsucht zum +Übermenschen, so macht sie Durst dir, dem Schaffenden! +</p> + +<p> +Durst dem Schaffenden, Pfeil und Sehnsucht zum Übermenschen: sprich, mein +Bruder, ist diess dein Wille zur Ehe? +</p> + +<p> +Heilig heisst mir solch ein Wille und solche Ehe.— +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap23"></a>Vom freien Tode</h3> + +<p> +Viele sterben zu spät, und Einige sterben zu früh. Noch klingt fremd die Lehre: +„stirb zur rechten Zeit!“ +</p> + +<p> +Stirb zur rechten Zeit: also lehrt es Zarathustra. +</p> + +<p> +Freilich, wer nie zur rechten Zeit lebt, wie sollte der je zur rechten Zeit +sterben? Möchte er doch nie geboren sein!—Also rathe ich den +Überflüssigen. +</p> + +<p> +Aber auch die Überflüssigen thun noch wichtig mit ihrem Sterben, und auch die +hohlste Nuss will noch geknackt sein. +</p> + +<p> +Wichtig nehmen Alle das Sterben: aber noch ist der Tod kein Fest. Noch +erlernten die Menschen nicht, wie man die schönsten Feste weiht. +</p> + +<p> +Den vollbringenden Tod zeige ich euch, der den Lebenden ein Stachel und ein +Gelöbniss wird. +</p> + +<p> +Seinen Tod stirbt der Vollbringende, siegreich, umringt von Hoffenden und +Gelobenden. +</p> + +<p> +Also sollte man sterben lernen; und es sollte kein Fest geben, wo ein solcher +Sterbender nicht der Lebenden Schwüre weihte! +</p> + +<p> +Also zu sterben ist das Beste; das Zweite aber ist: im Kampfe zu sterben und +eine grosse Seele zu verschwenden. +</p> + +<p> +Aber dem Kämpfenden gleich verhasst wie dem Sieger ist euer grinsender Tod, der +heranschleicht wie ein Dieb—und doch als Herr kommt. +</p> + +<p> +Meinen Tod lobe ich euch, den freien Tod, der mir kommt, weil <i>ich</i> will. +</p> + +<p> +Und wann werde ich wollen?—Wer ein Ziel hat und einen Erben, der will den +Tod zur rechten Zeit für Ziel und Erben. +</p> + +<p> +Und aus Ehrfurcht vor Ziel und Erben wird er keine dürren Kränze mehr im +Heiligthum des Lebens aufhängen. +</p> + +<p> +Wahrlich, nicht will ich den Seildrehern gleichen: sie ziehen ihren Faden in +die Länge und gehen dabei selber immer rückwärts. +</p> + +<p> +Mancher wird auch für seine Wahrheiten und Siege zu alt; ein zahnloser Mund hat +nicht mehr das Recht zu jeder Wahrheit. +</p> + +<p> +Und Jeder, der Ruhm haben will, muss sich bei Zeiten von der Ehre verabschieden +und die schwere Kunst üben, zur rechten Zeit zu—gehn. +</p> + +<p> +Man muss aufhören, sich essen zu lassen, wenn man am besten schmeckt: das +wissen Die, welche lange geliebt werden wollen. +</p> + +<p> +Saure Äpfel giebt es freilich, deren Loos will, dass sie bis auf den letzten +Tag des Herbstes warten: und zugleich werden sie reif, gelb und runzelig. +</p> + +<p> +Andern altert das Herz zuerst und Andern der Geist. Und Einige sind greis in +der Jugend: aber spät jung erhält lang jung. +</p> + +<p> +Manchem missräth das Leben: ein Giftwurm frisst sich ihm an’s Herz. So +möge er zusehn, dass ihm das Sterben um so mehr gerathe. +</p> + +<p> +Mancher wird nie süss, er fault im Sommer schon. Feigheit ist es, die ihn an +seinem Aste festhält. +</p> + +<p> +Viel zu Viele leben und viel zu lange hängen sie an ihren Ästen. Möchte ein +Sturm kommen, der all diess Faule und Wurmfressne vom Baume schüttelt! +</p> + +<p> +Möchten Prediger kommen des <i>schnellen</i> Todes! Das wären mir die rechten +Stürme und Schüttler an Lebensbäumen Aber ich höre nur den langsamen Tod +predigen und Geduld mit allem „Irdischen“ . +</p> + +<p> +Ach, ihr predigt Geduld mit dem Irdischen? Dieses Irdische ist es, das zu viel +Geduld mit euch hat, ihr Lästermäuler! +</p> + +<p> +Wahrlich, zu früh starb jener Hebräer, den die Prediger des langsamen Todes +ehren: und Vielen ward es seitdem zum Verhängniss, dass er zu früh starb. +</p> + +<p> +Noch kannte er nur Thränen und die Schwermuth des Hebräers, sammt dem Hasse der +Guten und Gerechten,—der Hebräer Jesus: da überfiel ihn die Sehnsucht zum +Tode. +</p> + +<p> +Wäre er doch in der Wüste geblieben und ferne von den Guten und Gerechten! +Vielleicht hätte er leben gelernt und die Erde lieben gelernt—und das +Lachen dazu! +</p> + +<p> +Glaubt es mir, meine Brüder! Er starb zu früh; er selber hätte seine Lehre +widerrufen, wäre er bis zu meinem Alter gekommen! Edel genug war er zum +Widerrufen! +</p> + +<p> +Aber ungereift war er noch. Unreif liebt der Jüngling und unreif hasst er auch +Mensch und Erde. Angebunden und schwer ist ihm noch Gemüth und Geistesflügel. +</p> + +<p> +Aber im Manne ist mehr Kind als im Jünglinge, und weniger Schwermuth: besser +versteht er sich auf Tod und Leben. +</p> + +<p> +Frei zum Tode und frei im Tode, ein heiliger Nein-sager, wenn es nicht Zeit +mehr ist zum Ja: also versteht er sich auf Tod und Leben. +</p> + +<p> +Dass euer Sterben keine Lästerung sei auf Mensch und Erde, meine Freunde: das +erbitte ich mir von dem Honig eurer Seele. +</p> + +<p> +In eurem Sterben soll noch euer Geist und eure Tugend glühn, gleich einem +Abendroth um die Erde: oder aber das Sterben ist euch schlecht gerathen. +</p> + +<p> +Also will ich selber sterben, dass ihr Freunde um meinetwillen die Erde mehr +liebt; und zur Erde will ich wieder werden, dass ich in Der Ruhe habe, die mich +gebar. +</p> + +<p> +Wahrlich, ein Ziel hatte Zarathustra, er warf seinen Ball: nun seid ihr Freunde +meines Zieles Erbe, euch werfe ich den goldenen Ball zu. +</p> + +<p> +Lieber als Alles sehe ich euch, meine Freunde, den goldenen Ball werfen! Und so +verziehe ich noch ein Wenig auf Erden: verzeiht es mir! +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap24"></a>Von der schenkenden Tugend</h3> + +<h4>1.</h4> + +<p> +Als Zarathustra von der Stadt Abschied genommen hatte, welcher sein Herz +zugethan war und deren Name lautet: „die bunte Kuh“—folgten ihm Viele, +die sich seine Jünger nannten und gaben ihm das Geleit. Also kamen sie an einen +Kreuzweg: da sagte ihnen Zarathustra, dass er nunmehr allein gehen wolle; denn +er war ein Freund des Alleingehens. Seine Jünger aber reichten ihm zum +Abschiede einen Stab, an dessen goldnem Griffe sich eine Schlange um die Sonne +ringelte. Zarathustra freute sich des Stabes und stützte sich darauf; dann +sprach er also zu seinen Jüngern. +</p> + +<p> +Sagt mir doch: wie kam Gold zum höchsten Werthe? Darum, dass es ungemein ist +und unnützlich und leuchtend und mild im Glanze; es schenkt sich immer. +</p> + +<p> +Nur als Abbild der höchsten Tugend kam Gold zum höchsten Werthe. Goldgleich +leuchtet der Blick dem Schenkenden. Goldes-Glanz schliesst Friede zwischen Mond +und Sonne. +</p> + +<p> +Ungemein ist die höchste Tugend und unnützlich, leuchtend ist sie und mild im +Glanze: eine schenkende Tugend ist die höchste Tugend. +</p> + +<p> +Wahrlich, ich errathe euch wohl, meine Jünger: ihr trachtet, gleich mir, nach +der schenkenden Tugend. Was hättet ihr mit Katzen und Wölfen gemeinsam? +</p> + +<p> +Das ist euer Durst, selber zu Opfern und Geschenken zu werden: und darum habt +ihr den Durst, alle Reichthümer in euren Seele zu häufen. +</p> + +<p> +Unersättlich trachtet eure Seele nach Schätzen und Kleinodien, weil eure Tugend +unersättlich ist im Verschenken-Wollen. +</p> + +<p> +Ihr zwingt alle Dinge zu euch und in euch, dass sie aus eurem Borne +zurückströmen sollen als die Gaben eurer Liebe. +</p> + +<p> +Wahrlich, zum Räuber an allen Werthen muss solche schenkende Liebe werden; aber +heil und heilig heisse ich diese Selbstsucht. +</p> + +<p> +Eine andre Selbstsucht giebt es, eine allzuarme, eine hungernde, die immer +stehlen will, jene Selbstsucht der Kranken, die kranke Selbstsucht. +</p> + +<p> +Mit dem Auge des Diebes blickt sie auf alles Glänzende; mit der Gier des +Hungers misst sie Den, der reich zu essen hat; und immer schleicht sie um den +Tisch der Schenkenden. +</p> + +<p> +Krankheit redet aus solcher Begierde und unsichtbare Entartung; von siechem +Leibe redet die diebische Gier dieser Selbstsucht. +</p> + +<p> +Sagt mir, meine Brüder: was gilt uns als Schlechtes und Schlechtestes? Ist es +nicht <i>Entartung</i>?—Und auf Entartung rathen wir immer, wo die +schenkende Seele fehlt. +</p> + +<p> +Aufwärts geht unser Weg, von der Art hinüber zur Über-Art. Aber ein Grauen ist +uns der entartende Sinn, welcher spricht: „Alles für mich.“ +</p> + +<p> +Aufwärts fliegt unser Sinn: so ist er ein Gleichniss unsres Leibes, einer +Erhöhung Gleichniss. Solcher Erhöhungen Gleichnisse sind die Namen der +Tugenden. +</p> + +<p> +Also geht der Leib durch die Geschichte, ein Werdender und ein Kämpfender. Und +der Geist—was ist er ihm? Seiner Kämpfe und Siege Herold, Genoss und +Wiederhall. +</p> + +<p> +Gleichnisse sind alle Namen von Gut und Böse: sie sprechen nicht aus, sie +winken nur. Ein Thor, welcher von ihnen Wissen will! +</p> + +<p> +Achtet mir, meine Brüder, auf jede Stunde, wo euer Geist in Gleichnissen reden +will: da ist der Ursprung eurer Tugend. +</p> + +<p> +Erhöht ist da euer Leib und auferstanden; mit seiner Wonne entzückt er den +Geist, dass er Schöpfer wird und Schätzer und Liebender und aller Dinge +Wohlthäter. +</p> + +<p> +Wenn euer Herz breit und voll wallt, dem Strome gleich, ein Segen und eine +Gefahr den Anwohnenden: da ist der Ursprung eurer Tugend. +</p> + +<p> +Wenn ihr erhaben seid über Lob und Tadel, und euer Wille allen Dingen befehlen +will, als eines Liebenden Wille: da ist der Ursprung eurer Tugend. +</p> + +<p> +Wenn ihr das Angenehme verachtet und das weiche Bett, und von den Weichlichen +euch nicht weit genug betten könnt: da ist der Ursprung eurer Tugend. +</p> + +<p> +Wenn ihr Eines Willens Wollende seid, und diese Wende aller Noth euch +Nothwendigkeit heisst: da ist der Ursprung eurer Tugend. +</p> + +<p> +Wahrlich, ein neues Gutes und Böses ist sie! Wahrlich, ein neues tiefes +Rauschen und eines neuen Quelles Stimme! +</p> + +<p> +Macht ist sie, diese neue Tugend; ein herrschender Gedanke ist sie und um ihn +eine kluge Seele: eine goldene Sonne und um sie die Schlange der Erkenntniss. +</p> + +<h4>2.</h4> + +<p> +Hier schwieg Zarathustra eine Weile und sah mit Liebe auf seine Jünger. Dann +fuhr er also fort zu reden:—und seine Stimme hatte sich verwandelt. +</p> + +<p> +Bleibt mir der Erde treu, meine Brüder, mit der Macht eurer Tugend! Eure +schenkende Liebe und eure Erkenntniss diene dem Sinn der Erde! Also bitte und +beschwöre ich euch. +</p> + +<p> +Lasst sie nicht davon fliegen vom Irdischen und mit den Flügeln gegen ewige +Wände schlagen! Ach, es gab immer so viel verflogene Tugend! +</p> + +<p> +Führt, gleich mir, die verflogene Tugend zur Erde zurück—ja, zurück zu +Leib und Leben: dass sie der Erde ihren Sinn gebe, einen Menschen-Sinn! +</p> + +<p> +Hundertfältig verflog und vergriff sich bisher so Geist wie Tugend. Ach, in +unserm Leibe wohnt jetzt noch all dieser Wahn und Fehlgriff: Leib und Wille ist +er da geworden. +</p> + +<p> +Hundertfältig versuchte und verirrte sich bisher so Geist wie Tugend. Ja, ein +Versuch war der Mensch. Ach, viel Unwissen und Irrthum ist an uns Leib +geworden! +</p> + +<p> +Nicht nur die Vernunft von Jahrtausenden—auch ihr Wahnsinn bricht an uns +aus. Gefährlich ist es, Erbe zu sein. +</p> + +<p> +Noch kämpfen wir Schritt um Schritt mit dem Riesen Zufall, und über der ganzen +Menschheit waltete bisher noch der Unsinn, der Ohne-Sinn. +</p> + +<p> +Euer Geist und eure Tugend diene dem Sinn der Erde, meine Brüder: und aller +Dinge Werth werde neu von euch gesetzt! Darum sollt ihr Kämpfende sein! Darum +sollt ihr Schaffende sein! +</p> + +<p> +Wissend reinigt sich der Leib; mit Wissen versuchend erhöht er sich; dem +Erkennenden heiligen sich alle Triebe; dem Erhöhten wird die Seele fröhlich. +</p> + +<p> +Arzt, hilf dir selber: so hilfst du auch deinem Kranken noch. Das sei seine +beste Hülfe, dass er Den mit Augen sehe, der sich selber heil macht. +</p> + +<p> +Tausend Pfade giebt es, die nie noch gegangen sind; tausend Gesundheiten und +verborgene Eilande des Lebens. Unerschöpft und unentdeckt ist immer noch Mensch +und Menschen-Erde. +</p> + +<p> +Wachet und horcht, ihr Einsamen! Von der Zukunft her kommen Winde mit +heimlichem Flügelschlagen; und an feine Ohren ergeht gute Botschaft. +</p> + +<p> +Ihr Einsamen von heute, ihr Ausscheidenden, ihr sollt einst ein Volk sein: aus +euch, die ihr euch selber auswähltet, soll ein auserwähltes Volk +erwachsen:—und aus ihm der Übermensch. +</p> + +<p> +Wahrlich, eine Stätte der Genesung soll noch die Erde werden! Und schon liegt +ein neuer Geruch um sie, ein Heil bringender,—und eine neue Hoffnung! +</p> + +<h4>3.</h4> + +<p> +Als Zarathustra diese Worte gesagt hatte, schwieg er, wie Einer, der nicht sein +letztes Wort gesagt hat; lange wog er den Stab zweifelnd in seiner Hand. +Endlich sprach er also:—und seine Stimme hatte sich verwandelt. +</p> + +<p> +Allein gehe ich nun, meine Jünger! Auch ihr geht nun davon und allein! So will +ich es. +</p> + +<p> +Wahrlich, ich rathe euch: geht fort von mir und wehrt euch gegen Zarathustra! +Und besser noch: schämt euch seiner! Vielleicht betrog er euch. +</p> + +<p> +Der Mensch der Erkenntniss muss nicht nur seine Feinde lieben, sondern auch +seine Freunde hassen können. +</p> + +<p> +Man vergilt einem Lehrer schlecht, wenn man immer nur der Schüler bleibt. Und +warum wollt ihr nicht an meinem Kranze rupfen? +</p> + +<p> +Ihr verehrt mich; aber wie, wenn eure Verehrung eines Tages umfällt? Hütet +euch, dass euch nicht eine Bildsäule erschlage! +</p> + +<p> +Ihr sagt, ihr glaubt an Zarathustra? Aber was liegt an Zarathustra! Ihr seid +meine Gläubigen: aber was liegt an allen Gläubigen! +</p> + +<p> +Ihr hattet euch noch nicht gesucht: da fandet ihr mich. So thun alle Gläubigen; +darum ist es so wenig mit allem Glauben. +</p> + +<p> +Nun heisse ich euch, mich verlieren und euch finden; und erst, wenn ihr mich +Alle verleugnet habt, will ich euch wiederkehren. +</p> + +<p> +Wahrlich, mit andern Augen, meine Brüder, werde ich mir dann meine Verlorenen +suchen; mit einer anderen Liebe werde ich euch dann lieben. +</p> + +<p> +Und einst noch sollt ihr mir Freunde geworden sein und Kinder Einer Hoffnung: +dann will ich zum dritten Male bei euch sein, dass ich den grossen Mittag mit +euch feiere. +</p> + +<p> +Und das ist der grosse Mittag, da der Mensch auf der Mitte seiner Bahn steht +zwischen Thier und Übermensch und seinen Weg zum Abende als seine höchste +Hoffnung feiert: denn es ist der Weg zu einem neuen Morgen. +</p> + +<p> +Alsda wird sich der Untergehende selber segnen, dass er ein Hinübergehender +sei; und die Sonne seiner Erkenntniss wird ihm im Mittage stehn. +</p> + +<p> +„Todt sind alle Götter: nun wollen wir, dass der Übermensch lebe.“—diess +sei einst am grossen Mittage unser letzter Wille!— +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="part02"></a>Zweiter Theil</h2> + +<p class="poem"> +„—und erst, wenn ihr mich Alle verleugnet habt, will ich euch +wiederkehren.<br/> +    Wahrlich, mit andern <i>Augen</i>, meine Brüder, werde ich mir dann meine +Verlorenen suchen; mit einer andern Liebe werde ich euch dann lieben.“ +</p> + +<p class="right"> +Zarathustra, von der schenkenden Tugend +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap25"></a>Das Kind mit dem Spiegel</h3> + +<p> +Hierauf gieng Zarathustra wieder zurück in das Gebirge und in die Einsamkeit +seiner Höhle und entzog sich den Menschen: wartend gleich einem Säemann, der +seinen Samen ausgeworfen hat. Seine Seele aber wurde voll von Ungeduld und +Begierde nach Denen, welche er liebte: denn er hatte ihnen noch Viel zu geben. +Diess nämlich ist das Schwerste, aus Liebe die offne Hand schliessen und als +Schenkender die Scham bewahren. +</p> + +<p> +Also vergiengen dem Einsamen Monde und Jahre; seine Weisheit aber wuchs und +machte ihm Schmerzen durch ihre Fülle. +</p> + +<p> +Eines Morgens aber wachte er schon vor der Morgenröthe auf, besann sich lange +auf seinem Lager und sprach endlich zu seinem Herzen: +</p> + +<p> +Was erschrak ich doch so in meinem Traume, dass ich aufwachte? Trat nicht ein +Kind zu mir, das einen Spiegel trug? +</p> + +<p> +„Oh Zarathustra—sprach das Kind zu mir—schaue Dich an im Spiegel!“ +</p> + +<p> +Aber als ich in den Spiegel schaute, da schrie ich auf, und mein Herz war +erschüttert: denn nicht mich sahe ich darin, sondern eines Teufels Fratze und +Hohnlachen. +</p> + +<p> +Wahrlich, allzugut verstehe ich des Traumes Zeichen und Mahnung: meine +<i>Lehre</i> ist in Gefahr, Unkraut will Weizen heissen! +</p> + +<p> +Meine Feinde sind mächtig worden und haben meiner Lehre Bildniss entstellt, +also, dass meine Liebsten sich der Gaben schämen müssen, die ich ihnen gab. +</p> + +<p> +Verloren giengen mir meine Freunde; die Stunde kam mir, meine Verlornen zu +suchen!— +</p> + +<p> +Mit diesen Worten sprang Zarathustra auf, aber nicht wie ein Geängstigter, der +nach Luft sucht, sondern eher wie ein Seher und Sänger, welchen der Geist +anfällt. Verwundert sahen sein Adler und seine Schlange auf ihn hin: denn +gleich dem Morgenrothe lag ein kommendes Glück auf seinem Antlitze. +</p> + +<p> +Was geschah mir doch, meine Thiere?—sagte Zarathustra. Bin ich nicht +verwandelt! Kam mir nicht die Seligkeit wie ein Sturmwind? +</p> + +<p> +Thöricht ist mein Glück und Thörichtes wird es reden: zu jung noch ist +es—so habt Geduld mit ihm! +</p> + +<p> +Verwundet bin ich von meinem Glücke: alle Leidenden sollen mir Arzte sein! +</p> + +<p> +Zu meinen Freunden darf ich wieder hinab und auch zu meinen Feinden! +Zarathustra darf wieder reden und schenken und Lieben das Liebste thun! +</p> + +<p> +Meine ungeduldige Liebe fliesst über in Strömen, abwärts, nach Aufgang und +Niedergang. Aus schweigsamem Gebirge und Gewittern des Schmerzes rauscht meine +Seele in die Thäler. +</p> + +<p> +Zu lange sehnte ich mich und schaute in die Ferne. Zu lange gehörte ich der +Einsamkeit: so verlernte ich das Schweigen. +</p> + +<p> +Mund bin ich worden ganz und gar, und Brausen eines Bachs aus hohen Felsen: +hinab will ich meine Rede stürzen in die Thäler. +</p> + +<p> +Und mag mein Strom der Liebe in Unwegsames stürzen! Wie sollte ein Strom nicht +endlich den Weg zum Meere finden! +</p> + +<p> +Wohl ist ein See in mir, ein einsiedlerischer, selbstgenugsamer; aber mein +Strom der Liebe reisst ihn mit sich hinab—zum Meere! +</p> + +<p> +Neue Wege gehe ich, eine neue Rede kommt mir; müde wurde ich, gleich allen +Schaffenden, der alten Zungen. Nicht will mein Geist mehr auf abgelaufnen +Sohlen wandeln. +</p> + +<p> +Zu langsam läuft mir alles Reden:—in deinen Wagen springe ich, Sturm! Und +auch dich will ich noch peitschen mit meiner Bosheit! +</p> + +<p> +Wie ein Schrei und ein jauchzen will ich über weite Meere hinfahren, bis ich +die glückseligen Inseln finde, wo meine Freunde weilen:— +</p> + +<p> +Und meine Feinde unter ihnen! Wie liebe ich nun jeden, zu dem ich nur reden +darf! Auch meine Feinde gehören zu meiner Seligkeit. +</p> + +<p> +Und wenn ich auf mein wildestes Pferd steigen will, so hilft mir mein Speer +immer am besten hinauf: der ist meines Fusses allzeit bereiter Diener:— +</p> + +<p> +Der Speer, den ich gegen meine Feinde schleudere! Wie danke ich es meinen +Feinden, dass ich endlich ihn schleudern darf! +</p> + +<p> +Zu gross war die Spannung meiner Wolke: zwischen Gelächtern der Blitze will ich +Hagelschauer in die Tiefe werfen. +</p> + +<p> +Gewaltig wird sich da meine Brust heben, gewaltig wird sie ihren Sturm über die +Berge hinblasen: so kommt ihr Erleichterung. +</p> + +<p> +Wahrlich, einem Sturme gleich kommt mein Glück und meine Freiheit! Aber meine +Feinde sollen glauben, <i>der Böse</i> rase über ihren Häuptern. +</p> + +<p> +Ja, auch ihr werdet erschreckt sein, meine Freunde, ob meiner wilden Weisheit; +und vielleicht flieht ihr davon sammt meinen Feinden. +</p> + +<p> +Ach, dass ich’s verstünde, euch mit Hirtenflöten zurück zu locken! Ach, +dass meine Löwin Weisheit zärtlich brüllen lernte! Und Vieles lernten wir schon +mit einander! +</p> + +<p> +Meine wilde Weisheit wurde trächtig auf einsamen Bergen; auf rauhen Steinen +gebar sie ihr Junges, Jüngstes. +</p> + +<p> +Nun läuft sie närrisch durch die harte Wüste und sucht und sucht nach sanftem +Rasen—meine alte wilde Weisheit! +</p> + +<p> +Auf eurer Herzen sanften Rasen, meine Freunde!—auf eure Liebe möchte sie +ihr Liebstes betten! +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap26"></a>Auf den glückseligen Inseln</h3> + +<p> +Die Feigen fallen von den Bäumen, sie sind gut und süss; und indem sie fallen, +reisst ihnen die rothe Haut. Ein Nordwind bin ich reifen Feigen. +</p> + +<p> +Also, gleich Feigen, fallen euch diese Lehren zu, meine Freunde: nun trinkt +ihren Saft und ihr süsses Fleisch! Herbst ist es umher und reiner Himmel und +Nachmittag. +</p> + +<p> +Seht, welche Fülle ist um uns! Und aus dem Überflusse heraus ist es schön +hinaus zu blicken auf ferne Meere. +</p> + +<p> +Einst sagte man Gott, wenn man auf ferne Meere blickte; nun aber lehrte ich +euch sagen: Übermensch. +</p> + +<p> +Gott ist eine Muthmaassung; aber ich will, dass euer Muthmaassen nicht weiter +reiche, als euer schaffender Wille. +</p> + +<p> +Könntet ihr einen Gott <i>schaffen</i>?—So schweigt mir doch von allen +Göttern! Wohl aber könntet ihr den Übermenschen schaffen. +</p> + +<p> +Nicht ihr vielleicht selber, meine Brüder! Aber zu Vätern und Vorfahren könntet +ihr euch umschaffen des Übermenschen: und Diess sei euer bestes +Schaffen!— +</p> + +<p> +Gott ist eine Muthmaassung: aber ich will, dass euer Muthmaassen begrenzt sei +in der Denkbarkeit. +</p> + +<p> +Könntet ihr einen Gott <i>denken</i>?—Aber diess bedeute euch Wille zur +Wahrheit, dass Alles verwandelt werde in Menschen—Denkbares, +Menschen—Sichtbares, Menschen—Fühlbares! Eure eignen Sinne sollt +ihr zu Ende denken! +</p> + +<p> +Und was ihr Welt nanntet, das soll erst von euch geschaffen werden: eure +Vernunft, euer Bild, euer Wille, eure Liebe soll es selber werden! Und +wahrlich, zu eurer Seligkeit, ihr Erkennenden! +</p> + +<p> +Und wie wolltet ihr das Leben ertragen ohne diese Hoffnung, ihr Erkennenden? +Weder in’s Unbegreifliche dürftet ihr eingeboren sein, noch in’s +Unvernünftige. +</p> + +<p> +Aber dass ich euch ganz mein Herz offenbare, ihr Freunde: <i>wenn</i> es Götter +gäbe, wie hielte ich’s aus, kein Gott zu sein! <i>Also</i> giebt es keine +Götter. +</p> + +<p> +Wohl zog ich den Schluss; nun aber zieht er mich.— +</p> + +<p> +Gott ist eine Muthmaassung: aber wer tränke alle Qual dieser Muthmaassung, ohne +zu sterben? Soll dem Schaffenden sein Glaube genommen sein und dem Adler sein +Schweben in Adler-Fernen? +</p> + +<p> +Gott ist ein Gedanke, der macht alles Gerade krumm und Alles, was steht, +drehend. Wie? Die Zeit wäre hinweg, und alles Vergängliche nur Lüge? +</p> + +<p> +Diess zu denken ist Wirbel und Schwindel menschlichen Gebeinen und noch dem +Magen ein Erbrechen: wahrlich, die drehende Krankheit heisse ich’s, +Solches zu muthmaassen. +</p> + +<p> +Böse heisse ich’s und menschenfeindlich: all diess Lehren vom Einen und +Vollen und Unbewegten und Satten und Unvergänglichen! +</p> + +<p> +Alles Unvergängliche—das ist nur ein Gleichniss! Und die Dichter lügen +zuviel.— +</p> + +<p> +Aber von Zeit und Werden sollen die besten Gleichnisse reden: ein Lob sollen +sie sein und eine Rechtfertigung aller Vergänglichkeit! +</p> + +<p> +Schaffen—das ist die grosse Erlösung vom Leiden, und des Lebens +Leichtwerden. Aber dass der Schaffende sei, dazu selber thut Leid noth und viel +Verwandelung. +</p> + +<p> +Ja, viel bitteres Sterben muss in eurem Leben sein, ihr Schaffenden! Also seid +ihr Fürsprecher und Rechtfertiger aller Vergänglichkeit. +</p> + +<p> +Dass der Schaffende selber das Kind sei, das neu geboren werde, dazu muss er +auch die Gebärerin sein wollen und der Schmerz der Gebärerin. +</p> + +<p> +Wahrlich, durch hundert Seelen gieng ich meinen Weg und durch hundert Wiegen +und Geburtswehen. Manchen Abschied nahm ich schon, ich kenne die herzbrechenden +letzten Stunden. +</p> + +<p> +Aber so will’s mein schaffender Wille, mein Schicksal. Oder, dass +ich’s euch redlicher sage: solches Schicksal gerade—will mein +Wille. +</p> + +<p> +Alles Fühlende leidet an mir und ist in Gefängnissen: aber mein Wollen kommt +mir stets als mein Befreier und Freudebringer. +</p> + +<p> +Wollen befreit: das ist die wahre Lehre von Wille und Freiheit—so lehrt +sie euch Zarathustra. +</p> + +<p> +Nicht-mehr-wollen und Nicht-mehr-schätzen und Nicht-mehr-schaffen! ach, dass +diese grosse Müdigkeit mir stets ferne bleibe! +</p> + +<p> +Auch im Erkennen fühle ich nur meines Willens Zeuge- und Werde-Lust; und wenn +Unschuld in meiner Erkenntniss ist, so geschieht diess, weil Wille zur Zeugung +in ihr ist. +</p> + +<p> +Hinweg von Gott und Göttem lockte mich dieser Wille; was wäre denn zu schaffen, +wenn Götter—da wären! +</p> + +<p> +Aber zum Menschen treibt er mich stets von Neuem, mein inbrünstiger +Schaffens-Wille; so treibt’s den Hammer hin zum Steine. +</p> + +<p> +Ach, ihr Menschen, im Steine schläft mir ein Bild, das Bild meiner Bilder! Ach, +dass es im härtesten, hässlichsten Steine schlafen muss! +</p> + +<p> +Nun wüthet mein Hammer grausam gegen sein Gefängniss. Vom Steine stäuben +Stücke: was schiert mich das? +</p> + +<p> +Vollenden will ich’s: denn ein Schatten kam zu mir—aller Dinge +Stillstes und Leichtestes kam einst zu mir! +</p> + +<p> +Des Übermenschen Schönheit kam zu mir als Schatten. Ach, meine Brüder! Was +gehen mich noch—die Götter an!— +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap27"></a>Von den Mitleidigen</h3> + +<p> +Meine Freunde, es kam eine Spottrede zu eurem Freunde: „seht nur Zarathustra! +Wandelt er nicht unter uns wie unter Thieren?“ +</p> + +<p> +Aber so ist es besser geredet: „der Erkennende wandelt unter Menschen +<i>als</i> unter Thieren.“ +</p> + +<p> +Der Mensch selber aber heisst dem Erkennenden: das Thier, das rothe Backen hat. +</p> + +<p> +Wie geschah ihm das? Ist es nicht, weil er sich zu oft hat schämen müssen? +</p> + +<p> +Oh meine Freunde! So spricht der Erkennende: Scham, Scham, Scham—das ist +die Geschichte des Menschen! +</p> + +<p> +Und darum gebeut sich der Edle, nicht zu beschämen: Scham gebeut er sich vor +allem Leidenden. +</p> + +<p> +Wahrlich, ich mag sie nicht, die Barmherzigen, die selig sind in ihrem +Mitleiden: zu sehr gebricht es ihnen an Scham. +</p> + +<p> +Muss ich mitleidig sein, so will ich’s doch nicht heissen; und wenn +ich’s bin, dann gern aus der Ferne. +</p> + +<p> +Gerne verhülle ich auch das Haupt und fliehe davon, bevor ich noch erkannt bin: +und also heisse ich euch thun, meine Freunde! +</p> + +<p> +Möge mein Schicksal mir immer Leidlose, gleich euch, über den Weg führen, und +Solche, mit denen mir Hoffnung und Mahl und Honig gemein sein <i>darf</i>! +</p> + +<p> +Wahrlich, ich that wohl Das und jenes an Leidenden: aber Besseres schien ich +mir stets zu thun, wenn ich lernte, mich besser freuen. +</p> + +<p> +Seit es Menschen giebt, hat der Mensch sich zu wenig gefreut: Das allein, meine +Brüder, ist unsre Erbsünde! +</p> + +<p> +Und lernen wir besser uns freuen, so verlernen wir am besten, Andern wehe zu +thun und Wehes auszudenken. +</p> + +<p> +Darum wasche ich mir die Hand, die dem Leidenden half, darum wische ich mir +auch noch die Seele ab. +</p> + +<p> +Denn dass ich den Leidenden leidend sah, dessen schämte ich mich um seiner +Scham willen; und als ich ihm half, da vergieng ich mich hart an seinem Stolze. +</p> + +<p> +Grosse Verbindlichkeiten machen nicht dankbar, sondern rachsüchtig; und wenn +die kleine Wohlthat nicht vergessen wird, so wird noch ein Nage-Wurm daraus. +</p> + +<p> +„Seid spröde im Annehmen! Zeichnet aus damit, dass ihr annehmt!“—also +rathe ich Denen, die Nichts zu verschenken haben. +</p> + +<p> +Ich aber bin ein Schenkender: gerne schenke ich, als Freund den Freunden. +Fremde aber und Arme mögen sich die Frucht selber von meinem Baume pflücken: so +beschämt es weniger. +</p> + +<p> +Bettler aber sollte man ganz abschaffen! Wahrlich, man ärgert sich ihnen zu +geben und, ärgert sich ihnen nicht zu geben. +</p> + +<p> +Und insgleichen die Sünder und bösen Gewissen! Glaubt mir, meine Freunde: +Gewissensbisse erziehn zum Beissen. +</p> + +<p> +Das Schlimmste aber sind die kleinen Gedanken. Wahrlich, besser noch bös +gethan, als klein gedacht! +</p> + +<p> +Zwar ihr sagt: „die Lust an kleinen Bosheiten erspart uns manche grosse böse +That.“ Aber hier sollte man nicht sparen wollen. +</p> + +<p> +Wie ein Geschwür ist die böse That: sie juckt und kratzt und bricht +heraus,—sie redet ehrlich. +</p> + +<p> +„Siehe, ich bin Krankheit“—so redet die böse That; das ist ihre +Ehrlichkeit. +</p> + +<p> +Aber dem Pilze gleich ist der kleine Gedanke: er kriecht und duckt sich und +will nirgendswo sein—bis der ganze Leib morsch und welk ist vor kleinen +Pilzen. +</p> + +<p> +Dem aber, der vom Teufel besessen ist, sage ich diess Wort in’s Ohr: +„besser noch, du ziehest deinen Teufel gross! Auch für dich giebt es noch einen +Weg der Grösse!“— +</p> + +<p> +Ach, meine Brüder! Man weiss von Jedermann Etwas zu viel! Und Mancher wird uns +durchsichtig, aber desshalb können wir noch lange nicht durch ihn hindurch. +</p> + +<p> +Es ist schwer, mit Menschen zu leben, weil Schweigen so schwer ist. +</p> + +<p> +Und nicht gegen Den, der uns zuwider ist, sind wir am unbilligsten, sondern +gegen Den, welcher uns gar Nichts angeht. +</p> + +<p> +Hast du aber einen leidenden Freund, so sei seinem Leiden eine Ruhestätte, doch +gleichsam ein hartes Bett, ein Feldbett: so wirst du ihm am besten nützen. +</p> + +<p> +Und thut dir ein Freund Übles, so sprich: „ich vergebe dir, was du mir thatest; +dass du es aber <i>dir</i> thatest,—wie könnte ich das vergeben!“ +</p> + +<p> +Also redet alle grosse Liebe: die überwindet auch noch Vergebung und Mitleiden. +</p> + +<p> +Man soll sein Herz festhalten; denn lässt man es gehn, wie bald geht Einem da +der Kopf durch! +</p> + +<p> +Ach, wo in der Welt geschahen grössere Thorheiten, als bei den Mitleidigen? Und +was in der Welt stiftete mehr Leid, als die Thorheiten der Mitleidigen? +</p> + +<p> +Wehe allen Liebenden, die nicht noch eine Höhe haben, welche über ihrem +Mitleiden ist! +</p> + +<p> +Also sprach der Teufel einst zu mir: „auch Gott hat seine Hölle: das ist seine +Liebe zu den Menschen.“ +</p> + +<p> +Und jüngst hörte ich ihn diess Wort sagen: „Gott ist todt; an seinem Mitleiden +mit den Menschen ist Gott gestorben.“— +</p> + +<p> +So seid mir gewarnt vordem Mitleiden: <i>daher</i> kommt noch den Menschen eine +schwere Wolke! Wahrlich, ich verstehe mich auf Wetterzeichen! +</p> + +<p> +Merket aber auch diess Wort: alle grosse Liebe ist noch über all ihrem +Mitleiden: denn sie will das Geliebte noch—schaffen! +</p> + +<p> +„Mich selber bringe ich meiner Liebe dar, und meinen Nächsten gleich +mir“—so geht die Rede allen Schaffenden. +</p> + +<p> +Alle Schaffenden aber sind hart.— +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap28"></a>Von den Priestern</h3> + +<p> +Und einstmals gab Zarathustra seinen Jüngern ein Zeichen und sprach diese Worte +zu ihnen: +</p> + +<p> +„Hier sind Priester: und wenn es auch meine Feinde sind, geht mir still an +ihnen vorüber und mit schlafendem Schwerte! +</p> + +<p> +Auch unter ihnen sind Helden; Viele von ihnen litten zuviel—: so wollen +sie Andre leiden machen. +</p> + +<p> +Böse Feinde sind sie: Nichts ist rachsüchtiger als ihre Demuth. Und leicht +besudelt sich Der, welcher sie angreift. +</p> + +<p> +Aber mein Blut ist mit dem ihren verwandt; und ich will mein Blut auch noch in +dem ihren geehrt wissen.“— +</p> + +<p> +Und als sie vorüber gegangen waren, fiel Zarathustra der Schmerz an; und nicht +lange hatte er mit seinem Schmerze gerungen, da hub er also an zu reden: +</p> + +<p> +Es jammert mich dieser Priester. Sie gehen mir auch wider den Geschmack; aber +das ist mir das Geringste, seit ich unter Menschen bin. +</p> + +<p> +Aber ich leide und litt mit ihnen: Gefangene sind es mir und Abgezeichnete. +Der, welchen sie Erlöser nennen, schlug sie in Banden:— +</p> + +<p> +In Banden falscher Werthe und Wahn-Worte! Ach dass Einer sie noch von ihrem +Erlöser erlöste! +</p> + +<p> +Auf einem Eilande glaubten sie einst zu landen, als das Meer sie herumriss; +aber siehe, es war ein schlafendes Ungeheuer! +</p> + +<p> +Falsche Werthe und Wahn-Worte: das sind die schlimmsten Ungeheuer für +Sterbliche,—lange schläft und wartet in ihnen das Verhängniss. +</p> + +<p> +Aber endlich kommt es und wacht und frisst und schlingt, was auf ihm sich +Hütten baute. +</p> + +<p> +Oh seht mir doch diese Hütten an, die sich diese Priester bauten! Kirchen +heissen sie ihre süssduftenden Höhlen. +</p> + +<p> +Oh über diess verfälschte Licht, diese versumpfte Luft! Hier, wo die Seele zu +ihrer Höhe hinauf—nicht fliegen darf! +</p> + +<p> +Sondern also gebietet ihr Glaube: „auf den Knien die Treppe hinan, ihr Sünder!“ +</p> + +<p> +Wahrlich, lieber sehe ich noch den Schamlosen, als die verrenkten Augen ihrer +Scham und Andacht! +</p> + +<p> +Wer schuf sich solche Höhlen und Buss-Treppen? Waren es nicht Solche, die sich +verbergen wollten und sich vor dem reinen Himmel schämten? +</p> + +<p> +Und erst wenn der reine Himmel wieder durch zerbrochne Decken blickt, und hinab +auf Gras und rothen Mohn an zerbrochnen Mauern,—will ich den Stätten +dieses Gottes wieder mein Herz zuwenden. +</p> + +<p> +Sie nannten Gott, was ihnen widersprach und wehe that: und wahrlich, es war +viel Helden-Art in ihrer Anbetung! +</p> + +<p> +Und nicht anders wussten sie ihren Gott zu lieben, als indem sie den Menschen +an’s Kreuz schlugen! +</p> + +<p> +Als Leichname gedachten sie zu leben, schwarz schlugen sie ihren Leichnam aus; +auch aus ihren Reden rieche ich noch die üble Würze von Todtenkammern. +</p> + +<p> +Und wer ihnen nahe lebt, der lebt schwarzen Teichen nahe, aus denen heraus die +Unke ihr Lied mit süssem Tiefsinne singt. +</p> + +<p> +Bessere Lieder müssten sie mir singen, dass ich an ihren Erlöser glauben lerne: +erlöster müssten mir seine jünger aussehen! +</p> + +<p> +Nackt möchte ich sie sehn: denn allein die Schönheit sollte Busse predigen. +Aber wen überredet wohl diese vermummte Trübsal! +</p> + +<p> +Wahrlich, ihre Erlöser selber kamen nicht aus der Freiheit und der Freiheit +siebentem Himmel! Wahrlich, sie selber wandelten niemals auf den Teppichen der +Erkenntniss! +</p> + +<p> +Aus Lücken bestand der Geist dieser Erlöser; aber in jede Lücke hatten sie +ihren Wahn gestellt, ihren Lückenbüsser, den sie Gott nannten. +</p> + +<p> +In ihrem Mitleiden war ihr Geist ertrunken, und wenn sie schwollen und +überschwollen von Mitleiden, schwamm immer obenauf eine grosse Thorheit. +</p> + +<p> +Eifrig trieben sie und mit Geschrei ihre Heerde über ihren Steg: wie als ob es +zur Zukunft nur Einen Steg gäbe! Wahrlich, auch diese Hirten gehörten noch zu +den Schafen! +</p> + +<p> +Kleine Geister und umfängliche Seelen hatten diese Hirten: aber, meine Brüder, +was für kleine Länder waren bisher auch die umfänglichsten Seelen! +</p> + +<p> +Blutzeichen schrieben sie auf den Weg, den sie giengen, und ihre Thorheit +lehrte, dass man mit Blut die Wahrheit beweise. +</p> + +<p> +Aber Blut ist der schlechteste Zeuge der Wahrheit; Blut vergiftet die reinste +Lehre noch zu Wahn und Hass der Herzen. +</p> + +<p> +Und wenn Einer durch’s Feuer geht für seine Lehre,—was beweist +diess! Mehr ist’s wahrlich, dass aus eignem Brande die eigne Lehre kommt! +</p> + +<p> +Schwüles Herz und kalter Kopf: wo diess zusammentrifft, da entsteht der +Brausewind, der „Erlöser“. +</p> + +<p> +Grössere gab es wahrlich und Höher-Geborene, als Die, welche das Volk Erlöser +nennt, diese hinreissenden Brausewinde! +</p> + +<p> +Und noch von Grösseren, als alle Erlöser waren, müsst ihr, meine Brüder, erlöst +werden, wollt ihr zur Freiheit den Weg finden! +</p> + +<p> +Niemals noch gab es einen Übermenschen. Nackt sah ich Beide, den grössten und +den kleinsten Menschen:— +</p> + +<p> +Allzuähnlich sind sie noch einander. Wahrlich, auch den Grössten fand +ich—allzumenschlich! +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap29"></a>Von den Tugendhaften</h3> + +<p> +Mit Donnern und himmlischen Feuerwerken muss man zu schlaffen und schlafenden +Sinnen reden. +</p> + +<p> +Aber der Schönheit Stimme redet leise: sie schleicht sich nur in die +aufgewecktesten Seelen. +</p> + +<p> +Leise erbebte und lachte mir heut mein Schild; das ist der Schönheit heiliges +Lachen und Beben. +</p> + +<p> +Über euch, ihr Tugendhaften, lachte heut meine Schönheit. Und also kam ihre +Stimme zu mir: „sie wollen noch—bezahlt sein!“ +</p> + +<p> +Ihr wollt noch bezahlt sein, ihr Tugendhaften! Wollt Lohn für Tugend und Himmel +für Erden und Ewiges für euer Heute haben? +</p> + +<p> +Und nun zürnt ihr mir, dass ich lehre, es giebt keinen Lohn- und Zahlmeister? +Und wahrlich, ich lehre nicht einmal, dass Tugend ihr eigener Lohn ist. +</p> + +<p> +Ach, das ist meine Trauer: in den Grund der Dinge hat man Lohn und Strafe +hineingelogen—und nun auch noch in den Grund eurer Seelen, ihr +Tugendhaften! +</p> + +<p> +Aber dem Rüssel des Ebers gleich soll mein Wort den Grund eurer Seelen +aufreissen; Pflugschar will ich euch heissen. +</p> + +<p> +Alle Heimlichkeiten eures Grundes sollen an’s Licht; und wenn ihr +aufgewühlt und zerbrochen in der Sonne liegt, wird auch eure Lüge von eurer +Wahrheit ausgeschieden sein. +</p> + +<p> +Denn diess ist eure Wahrheit: ihr seid <i>zu reinlich</i> für den Schmutz der +Worte: Rache, Strafe, Lohn, Vergeltung. +</p> + +<p> +Ihr liebt eure Tugend, wie die Mutter ihr Kind; aber wann hörte man, dass eine +Mutter bezahlt sein wollte für ihre Liebe? +</p> + +<p> +Es ist euer liebstes Selbst, eure Tugend. Des Ringes Durst ist in euch: sich +selber wieder zu erreichen, dazu ringt und dreht sich jeder Ring. +</p> + +<p> +Und dem Sterne gleich, der erlischt, ist jedes Werk eurer Tugend: immer ist +sein Licht noch unterwegs und wandert—und wann wird es nicht mehr +unterwegs sein? +</p> + +<p> +Also ist das Licht eurer Tugend noch unterwegs, auch wenn das Werk gethan ist. +Mag es nun vergessen und todt sein: sein Strahl von Licht lebt noch und +wandert. +</p> + +<p> +Dass eure Tugend euer Selbst sei und nicht ein Fremdes, eine Haut, eine +Bemäntelung: das ist die Wahrheit aus dem Grunde eurer Seele, ihr Tugendhaften! +- +</p> + +<p> +Aber wohl giebt es Solche, denen Tugend der Krampf unter einer Peitsche heisst: +und ihr habt mir zuviel auf deren Geschrei gehört! +</p> + +<p> +Und Andre giebt es, die heissen Tugend das Faulwerden ihrer Laster; und wenn +ihr Hass und ihre Eifersucht einmal die Glieder strecken, wird ihre +„Gerechtigkeit“ munter und reibt sich die verschlafenen Augen. +</p> + +<p> +Und Andre giebt es, die werden abwärts gezogen: ihre Teufel ziehn sie. Aber je +mehr sie sinken, um so glühender leuchtet ihr Auge und die Begierde nach ihrem +Gotte. +</p> + +<p> +Ach, auch deren Geschrei drang zu euren Ohren, ihr Tugendhaften: was ich +<i>nicht</i> bin, das, das ist mir Gott und Tugend! +</p> + +<p> +Und Andre giebt es, die kommen schwer und knarrend daher, gleich Wägen, die +Steine abwärts fahren: die reden viel von Würde und Tugend,—ihren +Hemmschuh heissen sie Tugend! +</p> + +<p> +Und Andre giebt es, die sind gleich Alltags-Uhren, die aufgezogen wurden; sie +machen ihr Tiktak und wollen, dass man Tiktak—Tugend heisse. +</p> + +<p> +Wahrlich, an Diesen habe ich meine Lust: wo ich solche Uhren finde, werde ich +sie mit meinem Spotte aufziehn; und sie sollen mir dabei noch schnurren! +</p> + +<p> +Und Andre sind stolz über ihre Handvoll Gerechtigkeit und begehen um +ihrerwillen Frevel an allen Dingen: also dass die Welt in ihrer Ungerechtigkeit +ertränkt wird. +</p> + +<p> +Ach, wie übel ihnen das Wort „Tugend“ aus dem Munde läuft! Und wenn sie sagen: +„ich bin gerecht,“ so klingt es immer gleich wie: „ich bin gerächt!“ +</p> + +<p> +Mit ihrer Tugend wollen sie ihren Feinden die Augen auskratzen; und sie erheben +sich nur, um Andre zu erniedrigen. +</p> + +<p> +Und wiederum giebt es Solche, die sitzen in ihrem Sumpfe und reden also heraus +aus dem Schilfrohr: „Tugend—das ist still im Sumpfe sitzen. +</p> + +<p> +Wir beissen Niemanden und gehen Dem aus dem Wege, der beissen will; und in +Allem haben wir die Meinung, die man uns giebt.“ +</p> + +<p> +Und wiederum giebt es Solche, die lieben Gebärden und denken: Tugend ist eine +Art Gebärde. +</p> + +<p> +Ihre Kniee beten immer an, und ihre Hände sind Lobpreisungen der Tugend, aber +ihr Herz weiss Nichts davon. +</p> + +<p> +Und wiederum giebt es Solche, die halten es für Tugend, zu sagen: „Tugend ist +nothwendig“; aber sie glauben im Grunde nur daran, dass Polizei nothwendig ist. +</p> + +<p> +Und Mancher, der das Hohe an den Menschen nicht sehen kann, nennt es Tugend, +dass er ihr Niedriges allzunahe sieht: also heisst er seinen bösen Blick +Tugend. +</p> + +<p> +Und Einige wollen erbaut und aufgerichtet sein und heissen es Tugend; und Andre +wollen umgeworfen sein—und heissen es auch Tugend. +</p> + +<p> +Und derart glauben fast Alle daran, Antheil zu haben an der Tugend; und zum +Mindesten will ein jeder Kenner sein über „gut“ und „böse“ . +</p> + +<p> +Aber nicht dazu kam Zarathustra, allen diesen Lügnern und Narren zu sagen: „was +wisst <i>ihr</i> von Tugend! Was <i>könntet</i> ihr von Tugend wissen!“— +</p> + +<p> +Sondern, dass ihr, meine Freunde, der alten Worte müde würdet, welche ihr von +den Narren und Lügnern gelernt habt: +</p> + +<p> +Müde würdet der Worte „Lohn,“ „Vergeltung,“ „Strafe,“ „Rache in der +Gerechtigkeit“— +</p> + +<p> +Müde würdet zu sagen: „dass eine Handlung gut ist, das macht, sie ist +selbstlos.“ +</p> + +<p> +Ach, meine Freunde! Dass <i>euer</i> Selbst in der Handlung sei, wie die Mutter +im Kinde ist: das sei mir <i>euer</i> Wort von Tugend! +</p> + +<p> +Wahrlich, ich nahm euch wohl hundert Worte und eurer Tugend liebste Spielwerke; +und nun zürnt ihr mir, wie Kinder zürnen. +</p> + +<p> +Sie spielten am Meere,—da kam die Welle und riss ihnen ihr Spielwerk in +die Tiefe: nun weinen sie. +</p> + +<p> +Aber die selbe Welle soll ihnen neue Spielwerke bringen und neue bunte Muscheln +vor sie hin ausschütten! +</p> + +<p> +So werden sie getröstet sein; und gleich ihnen sollt auch ihr, meine Freunde, +eure Tröstungen haben—und neue bunte Muscheln!— +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap30"></a>Vom Gesindel</h3> + +<p> +Das Leben ist ein Born der Lust; aber wo das Gesindel mit trinkt, da sind alle +Brunnen vergiftet. +</p> + +<p> +Allem Reinlichen bin ich hold; aber ich mag die grinsenden Mäuler nicht sehn +und den Durst der Unreinen. +</p> + +<p> +Sie warfen ihr Auge hinab in den Brunnen: nun glänzt mir ihr widriges Lächeln +herauf aus dem Brunnen. +</p> + +<p> +Das heilige Wasser haben sie vergiftet mit ihrer Lüsternheit; und als sie ihre +schmutzigen Träume Lust nannten, vergifteten sie auch noch die Worte. +</p> + +<p> +Unwillig wird die Flamme, wenn sie ihre feuchten Herzen an’s Feuer legen; +der Geist selber brodelt und raucht, wo das Gesindel an’s Feuer tritt. +</p> + +<p> +Süsslich und übermürbe wird in ihrer Hand die Frucht: windfällig und wipfeldürr +macht ihr Blick den Fruchtbaum. +</p> + +<p> +Und Mancher, der sich vom Leben abkehrte, kehrte sich nur vom Gesindel ab: er +wollte nicht Brunnen und Flamme und Frucht mit dem Gesindel theilen. +</p> + +<p> +Und Mancher, der in die Wüste gieng und mit Raubthieren Durst litt, wollte nur +nicht mit schmutzigen Kameeltreibern um die Cisterne sitzen. +</p> + +<p> +Und Mancher, der wie ein Vernichter daher kam und wie ein Hagelschlag allen +Fruchtfeldern, wollte nur seinen Fuss dem Gesindel in den Rachen setzen und +also seinen Schlund stopfen. +</p> + +<p> +Und nicht das ist der Bissen, an dem ich am meisten würgte, zu wissen, dass das +Leben selber Feindschaft nöthig hat und Sterben und Marterkreuze:— +</p> + +<p> +Sondern ich fragte einst und erstickte fast an meiner Frage: wie? hat das Leben +auch das Gesindel <i>nöthig</i>? +</p> + +<p> +Sind vergiftete Brunnen nöthig und stinkende Feuer und beschmutzte Träume und +Maden im Lebensbrode? +</p> + +<p> +Nicht mein Hass, sondern mein Ekel frass mir hungrig am Leben! Ach, des Geistes +wurde ich oft müde, als ich auch das Gesindel geistreich fand! +</p> + +<p> +Und den Herrschenden wandt’ich den Rücken, als ich sah, was sie jetzt +Herrschen nennen: schachern und markten um Macht—mit dem Gesindel! +</p> + +<p> +Unter Völkern wohnte ich fremder Zunge, mit verschlossenen Ohren: dass mir +ihres Schacherns Zunge fremd bliebe und ihr Markten um Macht. +</p> + +<p> +Und die Nase mir haltend, gieng ich unmuthig durch alles Gestern und Heute: +wahrlich, übel riecht alles Gestern und Heute nach dem schreibenden Gesindel! +</p> + +<p> +Einem Krüppel gleich, der taub und blind und stumm wurde: also lebte ich lange, +dass ich nicht mit Macht- und Schreib- und Lust-Gesindel lebte. +</p> + +<p> +Mühsam stieg mein Geist Treppen, und vorsichtig; Almosen der Lust waren sein +Labsal; am Stabe schlich dem Blinden das Leben. +</p> + +<p> +Was geschah mir doch? Wie erlöste ich mich vom Ekel? Wer verjüngte mein Auge? +Wie erflog ich die Höhe, wo kein Gesindel mehr am Brunnen sitzt? +</p> + +<p> +Schuf mein Ekel selber mir Flügel und quellenahnende Kräfte? Wahrlich, +in’s Höchste musste ich fliegen, dass ich den Born der Lust wiederfände! +</p> + +<p> +Oh, ich fand ihn, meine Brüder! Hier im Höchsten quillt mir der Born der Lust! +Und es giebt ein Leben, an dem kein Gesindel mit trinkt! +</p> + +<p> +Fast zu heftig strömst du mir, Quell der Lust! Und oft leerst du den Becher +wieder, dadurch dass du ihn füllen willst! +</p> + +<p> +Und noch muss ich lernen, bescheidener dir zu nahen: allzuheftig strömt dir +noch mein Herz entgegen:— +</p> + +<p> +Mein Herz, auf dem mein Sommer brennt, der kurze, heisse, schwermüthige, +überselige: wie verlangt mein Sommer-Herz nach deiner Kühle! +</p> + +<p> +Vorbei die zögernde Trübsal meines Frühlings! Vorüber die Bosheit meiner +Schneeflocken im Juni! Sommer wurde ich ganz und Sommer-Mittag! +</p> + +<p> +Ein Sommer im Höchsten mit kalten Quellen und seliger Stille: oh kommt, meine +Freunde, dass die Stille noch seliger werde! Denn diess ist <i>unsre</i> Höhe +und unsre Heimat: zu hoch und steil wohnen wir hier allen Unreinen und ihrem +Durste. Werft nur eure reinen Augen in den Born meiner Lust, ihr Freunde! Wie +sollte er darob trübe werden! Entgegenlachen soll er euch mit <i>seiner</i> +Reinheit. +</p> + +<p> +Auf dem Baume Zukunft bauen wir unser Nest; Adler sollen uns Einsamen Speise +bringen in ihren Schnäbeln! +</p> + +<p> +Wahrlich, keine Speise, an der Unsaubere mitessen dürften! Feuer würden sie zu +fressen wähnen und sich die Mäuler verbrennen! +</p> + +<p> +Wahrlich, keine Heimstätten halten wir hier bereit für Unsaubere! Eishöhle +würde ihren Leibern unser Glück heissen und ihren Geistern! +</p> + +<p> +Und wie starke Winde wollen wir über ihnen leben, Nachbarn den Adlern, Nachbarn +dem Schnee, Nachbarn der Sonne: also leben starke Winde. +</p> + +<p> +Und einem Winde gleich will ich einst noch zwischen sie blasen und mit meinem +Geiste ihrem Geiste den Athem nehmen: so will es meine Zukunft. +</p> + +<p> +Wahrlich, ein starker Wind ist Zarathustra allen Niederungen; und solchen Rath +räth er seinen Feinden und Allem, was spuckt und speit: hütet euch <i>gegen</i> +den Wind zu speien! +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap31"></a>Von den Taranteln</h3> + +<p> +Siehe, das ist der Tarantel Höhle! Willst du sie selber sehn? Hier hängt ihr +Netz: rühre daran, dass es erzittert. +</p> + +<p> +Da kommt sie willig: willkommen, Tarantel! Schwarz sitzt auf deinem Rücken dein +Dreieck und Wahrzeichen; und ich weiss auch, was in deiner Seele sitzt. +</p> + +<p> +Rache sitzt in deiner Seele: wohin du beissest, da wächst schwarzer Schorf; mit +Rache macht dein Gift die Seele drehend! +</p> + +<p> +Also rede ich zu euch im Gleichniss, die ihr die Seelen drehend macht, ihr +Prediger der <i>Gleichheit</i>! Taranteln seid ihr mir und versteckte +Rachsüchtige! +</p> + +<p> +Aber ich will eure Verstecke schon an’s Licht bringen: darum lache ich +euch in’s Antlitz mein Gelächter der Höhe. +</p> + +<p> +Darum reisse ich an eurem Netze, dass eure Wuth euch aus eurer Lügen-Höhle +locke, und eure Rache hervorspringe hinter eurem Wort „Gerechtigkeit.“ +</p> + +<p> +Denn dass der Mensch erlöst werde von der Rache: das ist mir die Brücke zur +höchsten Hoffnung und ein Regenbogen nach langen Unwettern. +</p> + +<p> +Aber anders wollen es freilich die Taranteln. „Das gerade heisse uns +Gerechtigkeit, dass die Welt voll werde von den Unwettern unsrer +Rache“ —also reden sie mit einander. +</p> + +<p> +„Rache wollen wir üben und Beschimpfung an Allen, die uns nicht gleich +sind“—so geloben sich die Tarantel-Herzen. +</p> + +<p> +„Und „Wille zur Gleichheit“—das selber soll fürderhin der +Name für Tugend werden; und gegen Alles, was Macht hat, wollen wir unser +Geschrei erheben!“ +</p> + +<p> +Ihr Prediger der Gleichheit, der Tyrannen-Wahnsinn der Ohnmacht schreit also +aus euch nach „Gleichheit“: eure heimlichsten Tyrannen-Gelüste vermummen sich +also in Tugend-Worte! +</p> + +<p> +Vergrämter Dünkel, verhaltener Neid, vielleicht eurer Väter Dünkel und Neid: +aus euch bricht’s als Flamme heraus und Wahnsinn der Rache. +</p> + +<p> +Was der Vater schwieg, das kommt im Sohne zum Reden; und oft fand ich den Sohn +als des Vaters entblösstes Geheimniss. +</p> + +<p> +Den Begeisterten gleichen sie: aber nicht das Herz ist es, was sie begeistert, +—sondern die Rache. Und wenn sie fein und kalt werden, ist’s nicht der +Geist, sondern der Neid, der sie fein und kalt macht. +</p> + +<p> +Ihre Eifersucht führt sie auch auf der Denker Pfade; und diess ist das Merkmal +ihrer Eifersucht—immer gehn sie zu weit: dass ihre Müdigkeit sich zuletzt +noch auf Schnee schlafen legen muss. +</p> + +<p> +Aus jeder ihrer Klagen tönt Rache, in jedem ihrer Lobsprüche ist ein Wehethun; +und Richter-sein scheint ihnen Seligkeit. +</p> + +<p> +Also aber rathe ich euch, meine Freunde: misstraut Allen, in welchen der Trieb, +zu strafen, mächtig ist! +</p> + +<p> +Das ist Volk schlechter Art und Abkunft; aus ihren Gesichtern blickt der Henker +und der Spürhund. +</p> + +<p> +Misstraut allen Denen, die viel von ihrer Gerechtigkeit reden! Wahrlich, ihren +Seelen fehlt es nicht nur an Honig. +</p> + +<p> +Und wenn sie sich selber „die Guten und Gerechten“ nennen, so vergesst nicht, +dass ihnen zum Pharisäer Nichts fehlt als—Macht! +</p> + +<p> +Meine Freunde, ich will nicht vermischt und verwechselt werden. +</p> + +<p> +Es giebt Solche, die predigen meine Lehre vom Leben: und zugleich sind sie +Prediger der Gleichheit und Taranteln. +</p> + +<p> +Dass sie dem Leben zu Willen reden, ob sie gleich in ihrer Höhle sitzen, diese +Gift-Spinnen, und abgekehrt vom Leben: das macht, sie wollen damit wehethun. +</p> + +<p> +Solchen wollen sie damit wehethun, die jetzt die Macht haben: denn bei diesen +ist noch die Predigt vom Tode am besten zu Hause. +</p> + +<p> +Wäre es anders, so würden die Taranteln anders lehren: und gerade sie waren +ehemals die besten Welt-Verleumder und Ketzer-Brenner. +</p> + +<p> +Mit diesen Predigern der Gleichheit will ich nicht vermischt und verwechselt +sein. Denn so redet <i>mir</i> die Gerechtigkeit: „die Menschen sind nicht +gleich.“ +</p> + +<p> +Und sie sollen es auch nicht werden! Was wäre denn meine Liebe zum +Übermenschen, wenn ich anders spräche? +</p> + +<p> +Auf tausend Brücken und Stegen sollen sie sich drängen zur Zukunft, und immer +mehr Krieg und Ungleichheit soll zwischen sie gesetzt sein: so lässt mich meine +grosse Liebe reden! +</p> + +<p> +Erfinder von Bildern und Gespenstern sollen sie werden in ihren Feindschaften, +und mit ihren Bildern und Gespenstern sollen sie noch gegeneinander den +höchsten Kampf kämpfen! +</p> + +<p> +Gut und Böse, und Reich und Arm, und Hoch und Gering, und alle Namen der +Werthe: Waffen sollen es sein und klirrende Merkmale davon, dass das Leben sich +immer wieder selber überwinden muss! +</p> + +<p> +In die Höhe will es sich bauen mit Pfeilern und Stufen, das Leben selber: in +weite Fernen will es blicken und hinaus nach seligen +Schönheiten,—<i>darum</i> braucht es Höhe! +</p> + +<p> +Und weil es Höhe braucht, braucht es Stufen und Widerspruch der Stufen und +Steigenden! Steigen will das Leben und steigend sich überwinden. +</p> + +<p> +Und seht mir doch, meine Freunde! Hier, wo der Tarantel Höhle ist, heben sich +eines alten Tempels Trümmer aufwärts,—seht mir doch mit erleuchteten +Augen hin! +</p> + +<p> +Wahrlich, wer hier einst seine Gedanken in Stein nach Oben thürmte, um das +Geheimniss alles Lebens wusste er gleich dem Weisesten! +</p> + +<p> +Dass Kampf und Ungleiches auch noch in der Schönheit sei und Krieg um Macht und +Übermacht: das lehrt er uns hier im deutlichsten Gleichniss. +</p> + +<p> +Wie sich göttlich hier Gewölbe und Bogen brechen, im Ringkampfe: wie mit Licht +und Schatten sie wider einander streben, die göttlich-Strebenden— +</p> + +<p> +Also sicher und schön lasst uns auch Feinde sein, meine Freunde! Göttlich +wollen wir <i>wider</i> einander streben!— +</p> + +<p> +Wehe! Da biss mich selber die Tarantel, meine alte Feindin! Göttlich sicher und +schön biss sie mich in den Finger! +</p> + +<p> +„Strafe muss sein und Gerechtigkeit—so denkt sie: nicht umsonst soll er +hier der Feindschaft zu Ehren Lieder singen!“ +</p> + +<p> +Ja, sie hat sich gerächt! Und wehe! nun wird sie mit Rache auch noch meine +Seele drehend machen! +</p> + +<p> +Dass ich mich aber <i>nicht</i> drehe, meine Freunde, bindet mich fest hier an +diese Säule! Lieber noch Säulen-Heiliger will ich sein, als Wirbel der +Rachsucht! +</p> + +<p> +Wahrlich, kein Dreh- und Wirbelwind ist Zarathustra; und wenn er ein Tänzer +ist, nimmermehr doch ein Tarantel-Tänzer!— +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap32"></a>Von den berühmten Weisen</h3> + +<p> +Dem Volke habt ihr gedient und des Volkes Aberglauben, ihr berühmten Weisen +alle!—und <i>nicht</i> der Wahrheit! Und gerade darum zollte man euch +Ehrfurcht. +</p> + +<p> +Und darum auch ertrug man euren Unglauben, weil er ein Witz und Umweg war zum +Volke. So lässt der Herr seine Sclaven gewähren und ergötzt sich noch an ihrem +Übermuthe. +</p> + +<p> +Aber wer dem Volke verhasst ist wie ein Wolf den Hunden: das ist der freie +Geist, der Fessel-Feind, der Nicht-Anbeter, der in Wäldern Hausende. +</p> + +<p> +Ihn zu jagen aus seinem Schlupfe—das hiess immer dem Volke „Sinn für das +Rechte“ : gegen ihn hetzt es noch immer seine scharfzahnigsten Hunde. +</p> + +<p> +„Denn die Wahrheit ist da: ist das Volk doch da! Wehe, wehe den +Suchenden!“—also scholl es von jeher. +</p> + +<p> +Eurem Volke wolltet ihr Recht schaffen in seiner Verehrung: das hiesset ihr +„Wille zur Wahrheit,“ ihr berühmten Weisen! +</p> + +<p> +Und euer Herz sprach immer zu sich: „vom Volke kam ich: von dort her kam mir +auch Gottes Stimme.“ +</p> + +<p> +Hart-nackig und klug, dem Esel gleich, wart ihr immer als des Volkes +Fürsprecher. +</p> + +<p> +Und mancher Mächtige, der gut fahren wollte mit dem Volke, spannte vor seine +Rosse noch—ein Eselein, einen berühmten Weisen. +</p> + +<p> +Und nun wollte ich, ihr berühmten Weisen, ihr würfet endlich das Fell des Löwen +ganz von euch! +</p> + +<p> +Das Fell des Raubthiers, das buntgefleckte, und die Zotten des Forschenden, +Suchenden, Erobernden! +</p> + +<p> +Ach, dass ich an eure „Wahrhaftigkeit“ glauben lerne, dazu müsstet ihr mir erst +euren verehrenden Willen zerbrechen. +</p> + +<p> +Wahrhaftig—so heisse ich Den, der in götterlose Wüsten geht und sein +verehrendes Herz zerbrochen hat. +</p> + +<p> +Im gelben Sande und verbrannt von der Sonne schielt er wohl durstig nach den +quellenreichen Eilanden, wo Lebendiges unter dunkeln Bäumen ruht. +</p> + +<p> +Aber sein Durst überredet ihn nicht, diesen Behaglichen gleich zu werden: denn +wo Oasen sind, da sind auch Götzenbilder. +</p> + +<p> +Hungernd, gewaltthätig, einsam, gottlos: so will sich selber der Löwen-Wille. +</p> + +<p> +Frei von dem Glück der Knechte, erlöst von Göttern und Anbetungen, furchtlos +und fürchterlich, gross und einsam: so ist der Wille des Wahrhaftigen. +</p> + +<p> +In der Wüste wohnten von je die Wahrhaftigen, die freien Geister, als der Wüste +Herren; aber in den Städten wohnen die gutgefütterten, berühmten +Weisen,—die Zugthiere. +</p> + +<p> +Immer nämlich ziehen sie, als Esel—des <i>Volkes</i> Karren! +</p> + +<p> +Nicht dass ich ihnen darob zürne: aber Dienende bleiben sie mir und +Angeschirrte, auch wenn sie von goldnem Geschirre glänzen. +</p> + +<p> +Und oft waren sie gute Diener und preiswürdige. Denn so spricht die Tugend: +musst du Diener sein, so suche Den, welchem dein Dienst am besten nützt! +</p> + +<p> +„Der Geist und die Tugend deines Herrn sollen wachsen, dadurch dass du sein +Diener bist: so wächsest du selber mit seinem Geiste und seiner Tugend!“ +</p> + +<p> +Und wahrlich, ihr berühmten Weisen, ihr Diener des Volkes! Ihr selber wuchset +mit des Volkes Geist und Tugend—und das Volk durch euch! Zu euren Ehren +sage ich das! +</p> + +<p> +Aber Volk bleibt ihr mir auch noch in euren Tugenden, Volk mit blöden +Augen,—Volk, das nicht weiss, was <i>Geist</i> ist! +</p> + +<p> +Geist ist das Leben, das selber in’s Leben schneidet: an der eignen Qual +mehrt es sich das eigne Wissen,—wusstet ihr das schon? +</p> + +<p> +Und des Geistes Glück ist diess: gesalbt zu sein und durch Thränen geweiht zum +Opferthier,—wusstet ihr das schon? +</p> + +<p> +Und die Blindheit des Blinden und sein Suchen und Tappen soll noch von der +Macht der Sonne zeugen, in die er schaute,—wusstet ihr das schon? +</p> + +<p> +Und mit Bergen soll der Erkennende <i>bauen</i> lernen! Wenig ist es, dass der +Geist Berge versetzt,—wusstet ihr das schon? +</p> + +<p> +Ihr kennt nur des Geistes Funken: aber ihr seht den Ambos nicht, der er ist, +und nicht die Grausamkeit seines Hammers! +</p> + +<p> +Wahrlich, ihr kennt des Geistes Stolz nicht! Aber noch weniger würdet ihr des +Geistes Bescheidenheit ertragen, wenn sie einmal reden wollte! +</p> + +<p> +Und niemals noch durftet ihr euren Geist in eine Grube von Schnee werfen: ihr +seid nicht heiss genug dazu! So kennt ihr auch die Entzückungen seiner Kälte +nicht. +</p> + +<p> +In Allem aber thut ihr mir zu vertraulich mit dem Geiste; und aus der Weisheit +machtet ihr oft ein Armen- und Krankenhaus für schlechte Dichter. +</p> + +<p> +Ihr seid keine Adler: so erfuhrt ihr auch das Glück im Schrecken des Geistes +nicht. Und wer kein Vogel ist, soll sich nicht über Abgründen lagern. +</p> + +<p> +Ihr seid mir Laue: aber kalt strömt jede tiefe Erkenntniss. Eiskalt sind die +innersten Brunnen des Geistes: ein Labsal heissen Händen und Handelnden. +</p> + +<p> +Ehrbar steht ihr mir da und steif und mit geradem Rücken, ihr berühmten Weisen! +—euch treibt kein starker Wind und Wille. +</p> + +<p> +Saht ihr nie ein Segel über das Meer gehn, geründet und gebläht und zitternd +vor dem Ungestüm des Windes? +</p> + +<p> +Dem Segel gleich, zitternd vor dem Ungestüm des Geistes, geht meine Weisheit +über das Meer—meine wilde Weisheit! +</p> + +<p> +Aber ihr Diener des Volkes, ihr berühmten Weisen,—wie <i>könntet</i> ihr +mit mir gehn!— +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap33"></a>Das Nachtlied</h3> + +<p> +Nacht ist es: nun reden lauter alle springenden Brunnen. Und auch meine Seele +ist ein springender Brunnen. +</p> + +<p> +Nacht ist es: nun erst erwachen alle Lieder der Liebenden. Und auch meine Seele +ist das Lied eines Liebenden. +</p> + +<p> +Ein Ungestilltes, Unstillbares ist in mir; das will laut werden. Eine Begierde +nach Liebe ist in mir, die redet selber die Sprache der Liebe. +</p> + +<p> +Licht bin ich: ach, dass ich Nacht wäre! Aber diess ist meine Einsamkeit, dass +ich von Licht umgürtet bin. +</p> + +<p> +Ach, dass ich dunkel wäre und nächtig! Wie wollte ich an den Brüsten des Lichts +saugen! +</p> + +<p> +Und euch selber wollte ich noch segnen, ihr kleinen Funkelsterne und +Leuchtwürmer droben!—und selig sein ob eurer Licht-Geschenke. +</p> + +<p> +Aber ich lebe in meinem eignen Lichte, ich trinke die Flammen in mich zurück, +die aus mir brechen. +</p> + +<p> +Ich kenne das Glück des Nehmenden nicht; und oft träumte mir davon, dass +Stehlen noch seliger sein müsse, als Nehmen. +</p> + +<p> +Das ist meine Armuth, dass meine Hand niemals ausruht vom Schenken; das ist +mein Neid, dass ich wartende Augen sehe und die erhellten Nächte der Sehnsucht. +</p> + +<p> +Oh Unseligkeit aller Schenkenden! Oh Verfinsterung meiner Sonne! Oh Begierde +nach Begehren! Oh Heisshunger in der Sättigung! +</p> + +<p> +Sie nehmen von mir: aber rühre ich noch an ihre Seele? Eine Kluft ist zwischen +Geben und Nehmen; und die kleinste Kluft ist am letzten zu überbrücken. +</p> + +<p> +Ein Hunger wächst aus meiner Schönheit: wehethun möchte ich Denen, welchen ich +leuchte, berauben möchte ich meine Beschenkten:—also hungere ich nach +Bosheit. +</p> + +<p> +Die Hand zurückziehend, wenn sich schon ihr die Hand entgegenstreckt; dem +Wasserfälle gleich zögernd, der noch im Sturze zögert:—also hungere ich +nach Bosheit. +</p> + +<p> +Solche Rache sinnt meine Fülle aus; solche Tücke quillt aus meiner Einsamkeit. +</p> + +<p> +Mein Glück im Schenken erstarb im Schenken, meine Tugend wurde ihrer selber +müde an ihrem Überflusse! +</p> + +<p> +Wer immer schenkt, dessen Gefahr ist, dass er die Scham verliere; wer immer +austheilt, dessen Hand und Herz hat Schwielen vor lauter Austheilen. +</p> + +<p> +Mein Auge quillt nicht mehr über vor der Scham der Bittenden; meine Hand wurde +zu hart für das Zittern gefüllter Hände. +</p> + +<p> +Wohin kam die Thräne meinem Auge und der Flaum meinem Herzen? Oh Einsamkeit +aller Schenkenden! Oh Schweigsamkeit aller Leuchtenden! +</p> + +<p> +Viel Sonnen kreisen im öden Räume: zu Allem, was dunkel ist, reden sie mit +ihrem Lichte,—mir schweigen sie. +</p> + +<p> +Oh diess ist die Feindschaft des Lichts gegen Leuchtendes, erbarmungslos +wandelt es seine Bahnen. +</p> + +<p> +Unbillig gegen Leuchtendes im tiefsten Herzen: kalt gegen Sonnen,—also +wandelt jede Sonne. +</p> + +<p> +Einem Sturme gleich fliegen die Sonnen ihre Bahnen, das ist ihr Wandeln. Ihrem +unerbittlichen Willen folgen sie, das ist ihre Kälte. +</p> + +<p> +Oh, ihr erst seid es, ihr Dunklen, ihr Nächtigen, die ihr Wärme schafft aus +Leuchtendem! Oh, ihr erst trinkt euch Milch und Labsal aus des Lichtes Eutern! +</p> + +<p> +Ach, Eis ist um mich, meine Hand verbrennt sich an Eisigem! Ach, Durst ist in +mir, der schmachtet nach eurem Durste! +</p> + +<p> +Nacht ist es: ach dass ich Licht sein muss! Und Durst nach Nächtigem! Und +Einsamkeit! +</p> + +<p> +Nacht ist es: nun bricht wie ein Born aus mir mein Verlangen,—nach Rede +verlangt mich. +</p> + +<p> +Nacht ist es: nun reden lauter alle springenden Brunnen. Und auch meine Seele +ist ein springender Brunnen. +</p> + +<p> +Nacht ist es: nun erst erwachen alle Lieder der Liebenden. Und auch meine Seele +ist das Lied eines Liebenden.— +</p> + +<p> +Also sang Zarathustra. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap34"></a>Das Tanzlied</h3> + +<p> +Eines Abends gieng Zarathustra mit seinen Jüngern durch den Wald; und als er +nach einem Brunnen suchte, siehe, da kam er auf eine grüne Wiese, die von +Bäumen und Gebüsch still umstanden war: auf der tanzten Mädchen mit einander. +Sobald die Mädchen Zarathustra erkannten, liessen sie vom Tanze ab; Zarathustra +aber trat mit freundlicher Gebärde zu ihnen und sprach diese Worte: +</p> + +<p> +„Lasst vom Tanze nicht ab, ihr lieblichen Mädchen! Kein Spielverderber kam zu +euch mit bösem Blick, kein Mädchen-Feind. +</p> + +<p> +Gottes Fürsprecher bin ich vor dem Teufel: der aber ist der Geist der Schwere. +Wie sollte ich, ihr Leichten, göttlichen Tänzen feind sein? Oder Mädchen-Füssen +mit schönen Knöcheln? +</p> + +<p> +Wohl bin ich ein Wald und eine Nacht dunkler Bäume: doch wer sich vor meinem +Dunkel nicht scheut, der findet auch Rosenhänge unter meinen Cypressen. +</p> + +<p> +Und auch den kleinen Gott findet er wohl, der den Mädchen der liebste ist: +neben dem Brunnen liegt er, still, mit geschlossenen Augen. +</p> + +<p> +Wahrlich, am hellen Tage schlief er mir ein, der Tagedieb! Haschte er wohl zu +viel nach Schmetterlingen? +</p> + +<p> +Zürnt mir nicht, ihr schönen Tanzenden, wenn ich den kleinen Gott ein Wenig +züchtige! Schreien wird er wohl und weinen,—aber zum Lachen ist er noch +im Weinen! +</p> + +<p> +Und mit Thränen im Auge soll er euch um einen Tanz bitten; und ich selber will +ein Lied zu seinem Tanze singen: +</p> + +<p> +Ein Tanz- und Spottlied auf den Geist der Schwere, meinen allerhöchsten +grossmächtigsten Teufel, von dem sie sagen, dass er „der Herr der +Welt“ sei.“— +</p> + +<p> +Und diess ist das Lied, welches Zarathustra sang, als Cupido und die Mädchen +zusammen tanzten. +</p> + +<p> +In dein Auge schaute ich jüngst, oh Leben! Und in’s Unergründliche schien +ich mir da zu sinken. +</p> + +<p> +Aber du zogst mich mit goldner Angel heraus; spöttisch lachtest du, als ich +dich unergründlich nannte. +</p> + +<p> +„So geht die Rede aller Fische, sprachst du; was <i>sie</i> nicht ergründen, +ist unergründlich. +</p> + +<p> +Aber veränderlich bin ich nur und wild und in Allem ein Weib, und kein +tugendhaftes: +</p> + +<p> +Ob ich schon euch Männern „die Tiefe“ heisse oder „die +Treue“, „die Ewige“, „die +Geheimnissvolle.“— +</p> + +<p> +Doch ihr Männer beschenkt uns stets mit den eignen Tugenden—ach, ihr +Tugendhaften!“ +</p> + +<p> +Also lachte sie, die Unglaubliche; aber ich glaube ihr niemals und ihrem +Lachen, wenn sie bös von sich selber spricht. +</p> + +<p> +Und als ich unter vier Augen mit meiner wilden Weisheit redete, sagte sie mir +zornig: „Du willst, du begehrst, du liebst, darum allein <i>lobst</i> du das +Leben!“ +</p> + +<p> +Fast hätte ich da bös geantwortet und der Zornigen die Wahrheit gesagt; und man +kann nicht böser antworten, als wenn man seiner Weisheit „die Wahrheit sagt.“ +</p> + +<p> +So nämlich steht es zwischen uns Dreien. Von Grund aus liebe ich nur das Leben +—und, wahrlich, am meisten dann, wenn ich es hasse! +</p> + +<p> +Dass ich aber der Weisheit gut bin und oft zu gut: das macht, sie erinnert mich +gar sehr an das Leben! +</p> + +<p> +Sie hat ihr Auge, ihr Lachen und sogar ihr goldnes Angelrüthchen: was kann ich +dafür, dass die Beiden sich so ähnlich sehen? +</p> + +<p> +Und als mich einmal das Leben fragte: Wer ist denn das, die Weisheit?—da +sagte ich eifrig: „Ach ja! die Weisheit! +</p> + +<p> +Man dürstet um sie und wird nicht satt, man blickt durch Schleier, man hascht +durch Netze. +</p> + +<p> +Ist sie schön? Was weiss ich! Aber die ältesten Karpfen werden noch mit ihr +geködert. +</p> + +<p> +Veränderlich ist sie und trotzig; oft sah ich sie sich die Lippe beissen und +den Kamm wider ihres Haares Strich führen. +</p> + +<p> +Vielleicht ist sie böse und falsch, und in Allem ein Frauenzimmer; aber wenn +sie von sich selber schlecht spricht, da gerade verführt sie am meisten.“ +</p> + +<p> +Als ich diess zu dem Leben sagte, da lachte es boshaft und machte die Augen zu. +„Von wem redest du doch? sagte sie, wohl von mir? +</p> + +<p> +Und wenn du Recht hättest,—sagt man <i>das</i> mir so in’s Gesicht! +Aber nun sprich doch auch von deiner Weisheit!“ +</p> + +<p> +Ach, und nun machtest du wieder dein Auge auf, oh geliebtes Leben! Und +in’s Unergründliche schien ich mir wieder zu sinken.— +</p> + +<p> +Also sang Zarathustra. Als aber der Tanz zu Ende und die Mädchen fortgegangen +waren, wurde er traurig. +</p> + +<p> +„Die Sonne ist lange schon hinunter, sagte er endlich; die Wiese ist feucht, +von den Wäldern her kommt Kühle. +</p> + +<p> +Ein Unbekanntes ist um mich und blickt nachdenklich. Was! Du lebst noch, +Zarathustra? +</p> + +<p> +Warum? Wofür? Wodurch? Wohin? Wo? Wie? Ist es nicht Thorheit, noch zu +leben?— +</p> + +<p> +Ach, meine Freunde, der Abend ist es, der so aus mir fragt. Vergebt mir meine +Traurigkeit! +</p> + +<p> +Abend ward es: vergebt mir, dass es Abend ward!“ +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap35"></a>Das Grablied</h3> + +<p> +„Dort ist die Gräberinsel, die schweigsame; dort sind auch die Gräber meiner +Jugend. Dahin will ich einen immergrünen Kranz des Lebens tragen.“ +</p> + +<p> +Also im Herzen beschliessend fuhr ich über das Meer.— +</p> + +<p> +Oh ihr, meiner Jugend Gesichte und Erscheinungen! Oh, ihr Blicke der Liebe +alle, ihr göttlichen Augenblicke! Wie starbt ihr mir so schnell! Ich gedenke +eurer heute wie meiner Todten. +</p> + +<p> +Von euch her, meinen liebsten Todten, kommt mir ein süsser Geruch, ein herz- +und thränenlösender. Wahrlich, er erschüttert und löst das Herz dem einsam +Schiffenden. +</p> + +<p> +Immer noch bin ich der Reichste und Bestzubeneidende—ich der Einsamste! +Denn ich <i>hatte</i> euch doch, und ihr habt mich noch: sagt, wem fielen, wie +mir, solche Rosenäpfel vom Baume? +</p> + +<p> +Immer noch bin ich eurer Liebe Erbe und Erdreich, blühend zu eurem Gedächtnisse +von bunten wildwachsenen Tugenden, oh ihr Geliebtesten! +</p> + +<p> +Ach, wir waren gemacht, einander nahe zu bleiben, ihr holden fremden Wunder; +und nicht schüchternen Vögeln gleich kamt ihr zu mir und meiner +Begierde—nein, als Trauende zu dem Trauenden! +</p> + +<p> +Ja, zur Treue gemacht, gleich mir, und zu zärtlichen Ewigkeiten: muss ich nun +euch nach eurer Untreue heissen, ihr göttlichen Blicke und Augenblicke: keinen +andern Namen lernte ich noch. +</p> + +<p> +Wahrlich, zu schnell starbt ihr mir, ihr Flüchtlinge. Doch floht ihr mich +nicht, noch floh ich euch: unschuldig sind wir einander in unsrer Untreue. +</p> + +<p> +<i>Mich</i> zu tödten, erwürgte man euch, ihr Singvögel meiner Hoffnungen! Ja, +nach euch, ihr Liebsten, schoss immer die Bosheit Pfeile—mein Herz zu +treffen! +</p> + +<p> +Und sie traf! Wart ihr doch stets mein Herzlichstes, mein Besitz und mein +Besessen-sein: <i>darum</i> musstet ihr jung sterben und allzu frühe! +</p> + +<p> +Nach dem Verwundbarsten, das ich besass, schoss man den Pfeil: das waret ihr, +denen die Haut einem Flaume gleich ist und mehr noch dem Lächeln, das an einem +Blick erstirbt! +</p> + +<p> +Aber diess Wort will ich zu meinen Feinden reden: was ist alles Menschen-Morden +gegen Das, was ihr mir thatet! +</p> + +<p> +Böseres thatet ihr mir, als aller Menschen-Mord ist; Unwiederbringliches nahmt +ihr mir:—also rede ich zu euch, meine Feinde! +</p> + +<p> +Mordetet ihr doch meiner Jugend Gesichte und liebste Wunder! Meine Gespielen +nahmt ihr mir, die seligen Geister! Ihrem Gedächtnisse lege ich diesen Kranz +und diesen Fluch nieder. +</p> + +<p> +Diesen Fluch gegen euch, meine Feinde! Machtet ihr doch mein Ewiges kurz, wie +ein Ton zerbricht in kalter Nacht! Kaum als Aufblinken göttlicher Augen kam es +mir nur,—als Augenblick! +</p> + +<p> +Also sprach zur guten Stunde einst meine Reinheit: „göttlich sollen mir alle +Wesen sein.“ +</p> + +<p> +Da überfielt ihr mich mit schmutzigen Gespenstern; ach, wohin floh nun jene +gute Stunde! +</p> + +<p> +„Alle Tage sollen mir heilig sein“ —so redete einst die Weisheit meiner +Jugend: wahrlich, einer fröhlichen Weisheit Rede! +</p> + +<p> +Aber da stahlt ihr Feinde mir meine Nächte und verkauftet sie zu schlafloser +Qual: ach, wohin floh nun jene fröhliche Weisheit? +</p> + +<p> +Einst begehrte ich nach glücklichen Vogelzeichen: da führtet ihr mir ein +Eulen-Unthier über den Weg, ein widriges. Ach, wohin floh da meine zärtliche +Begierde? +</p> + +<p> +Allem Ekel gelobte ich einst zu entsagen: da verwandeltet ihr meine Nahen und +Nächsten in Eiterbeulen. Ach, wohin floh da mein edelstes Gelöbniss? +</p> + +<p> +Als Blinder gieng ich einst selige Wege: da warft ihr Unflath auf den Weg des +Blinden: und nun ekelte ihn des alten Blinden-Fusssteigs. +</p> + +<p> +Und als ich mein Schwerstes that und meiner Überwindungen Sieg feierte: da +machtet ihr Die, welche mich liebten, schrein, ich thue ihnen am wehesten. +</p> + +<p> +Wahrlich, das war immer euer Thun: ihr vergälltet mir meinen besten Honig und +den Fleiss meiner besten Bienen. +</p> + +<p> +Meiner Mildthätigkeit sandtet ihr immer die frechsten Bettler zu; um mein +Mitleiden drängtet ihr immer die unheilbar Schamlosen. So verwundetet ihr meine +Tugend in ihrem Glauben. +</p> + +<p> +Und legte ich noch mein Heiligstes zum Opfer hin: flugs stellte eure +„Frömmigkeit“ ihre fetteren Gaben dazu: also dass im Dampfe eures Fettes noch +mein Heiligstes erstickte. +</p> + +<p> +Und einst wollte ich tanzen, wie nie ich noch tanzte: über alle Himmel weg +wollte ich tanzen. Da überredetet ihr meinen liebsten Sänger. +</p> + +<p> +Und nun stimmte er eine schaurige dumpfe Weise an; ach, er tutete mir, wie ein +düsteres Horn, zu Ohren! +</p> + +<p> +Mörderischer Sänger, Werkzeug der Bosheit, Unschuldigster! Schon stand ich +bereit zum besten Tanze: da mordetest du mit deinen Tönen meine Verzückung! +</p> + +<p> +Nur im Tanze weiss ich der höchsten Dinge Gleichniss zu reden:—und nun +blieb mir mein höchstes Gleichniss ungeredet in einen Gliedern! +</p> + +<p> +Ungeredet und unerlöst blieb mir die höchste Hoffnung! Und es starben mir alle +Gesichte und Tröstungen meiner Jugend! +</p> + +<p> +Wie ertrug ich’s nur? Wie verwand und überwand ich solche Wunden? Wie +erstand meine Seele wieder aus diesen Gräbern? +</p> + +<p> +Ja, ein Unverwundbares, Unbegrabbares ist an mir, ein Felsensprengendes: das +heisst <i>mein Wille</i>. Schweigsam schreitet es und unverändert durch die +Jahre. +</p> + +<p> +Seinen Gang will er gehn auf meinen Füssen, mein alter Wille; herzenshart ist +ihm der Sinn und unverwundbar. +</p> + +<p> +Unverwundbar bin ich allein an meiner Ferse. Immer noch lebst du da und bist +dir gleich, Geduldigster! Immer noch brachst du dich durch alle Gräber! +</p> + +<p> +In dir lebt auch noch das Unerlöste meiner Jugend; und als Leben und Jugend +sitzest du hoffend hier auf gelben Grab-Trümmern. +</p> + +<p> +Ja, noch bist du mir aller Gräber Zertrümmerer: Heil dir, mein Wille! Und nur +wo Gräber sind, giebt es Auferstehungen.— +</p> + +<p> +Also sang Zarathustra.— +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap36"></a>Von der Selbst-Überwindung</h3> + +<p> +„Wille zur Wahrheit“ heisst ihr’s, ihr Weisesten, was euch treibt und +brünstig macht? +</p> + +<p> +Wille zur Denkbarkeit alles Seienden: also heisse <i>ich</i> euren Willen! +</p> + +<p> +Alles Seiende wollt ihr erst denkbar <i>machen</i>: denn ihr zweifelt mit gutem +Misstrauen, ob es schon denkbar ist. +</p> + +<p> +Aber es soll sich euch fügen und biegen! So will’s euer Wille. Glatt soll +es werden und dem Geiste unterthan, als sein Spiegel und Widerbild. +</p> + +<p> +Das ist euer ganzer Wille, ihr Weisesten, als ein Wille zur Macht; und auch +wenn ihr vom Guten und Bösen redet und von den Werthschätzungen. Schaffen wollt +ihr noch die Welt, vor der ihr knien könnt: so ist es eure letzte Hoffnung und +Trunkenheit. +</p> + +<p> +Die Unweisen freilich, das Volk,—die sind gleich dem Flusse, auf dem ein +Nachen weiter schwimmt: und im Nachen sitzen feierlich und vermummt die +Werthschätzungen. +</p> + +<p> +Euren Willen und eure Werthe setztet ihr auf den Fluss des Werdens; einen alten +Willen zur Macht verräth mir, was vom Volke als gut und böse geglaubt wird. +</p> + +<p> +Ihr wart es, ihr Weisesten, die solche Gäste in diesen Nachen setzten und ihnen +Prunk und stolze Namen gaben,—ihr und euer herrschender Wille! +</p> + +<p> +Weiter trägt nun der Fluss euren Nachen: er <i>muss</i> ihn tragen. Wenig +thut’s, ob die gebrochene Welle schäumt und zornig dem Kiele +widerspricht! +</p> + +<p> +Nicht der Fluss ist eure Gefahr und das Ende eures Guten und Bösen, ihr +Weisesten: sondern jener Wille selber, der Wille zur Macht,—der +unerschöpfte zeugende Lebens-Wille. +</p> + +<p> +Aber damit ihr mein Wort versteht vom Guten und Bösen: dazu will ich euch noch +mein Wort vom Leben sagen und von der Art alles Lebendigen. +</p> + +<p> +Dem Lebendigen gieng ich nach, ich gieng die grössten und die kleinsten Wege, +dass ich seine Art erkenne. +</p> + +<p> +Mit hundertfachem Spiegel fieng ich noch seinen Blick auf, wenn ihm der Mund +geschlossen war: dass sein Auge mir rede. Und sein Auge redete mir. +</p> + +<p> +Aber, wo ich nur Lebendiges fand, da hörte ich auch die Rede vom Gehorsame. +Alles Lebendige ist ein Gehorchendes. +</p> + +<p> +Und diess ist das Zweite: Dem wird befohlen, der sich nicht selber gehorchen +kann. So ist es des Lebendigen Art. +</p> + +<p> +Diess aber ist das Dritte, was ich hörte: dass Befehlen schwerer ist, als +Gehorchen. Und nicht nur, dass der Befehlende die Last aller Gehorchenden +trägt, und dass leicht ihn diese Last zerdrückt:— +</p> + +<p> +Ein Versuch und Wagniss erschien mir in allem Befehlen; und stets, wenn es +befiehlt, wagt das Lebendige sich selber dran. +</p> + +<p> +Ja noch, wenn es sich selber befiehlt: auch da noch muss es sein Befehlen +büssen. Seinem eignen Gesetze muss es Richter und Rächer und Opfer werden. +</p> + +<p> +Wie geschieht diess doch! so fragte ich mich. Was überredet das Lebendige, dass +es gehorcht und befiehlt und befehlend noch Gehorsam übt? +</p> + +<p> +Hört mir nun mein Wort, ihr Weisesten! Prüft es ernstlich, ob ich dem Leben +selber in’s Herz kroch und bis in die Wurzeln seines Herzens! +</p> + +<p> +Wo ich Lebendiges fand, da fand ich Willen zur Macht; und noch im Willen des +Dienenden fand ich den Willen, Herr zu sein. +</p> + +<p> +Dass dem Stärkeren diene das Schwächere, dazu überredet es sein Wille, der über +noch Schwächeres Herr sein will: dieser Lust allein mag es nicht entrathen. +</p> + +<p> +Und wie das Kleinere sich dem Grösseren hingiebt, dass es Lust und Macht am +Kleinsten habe: also giebt sich auch das Grösste noch hin und setzt um der +Macht willen—das Leben dran. +</p> + +<p> +Das ist die Hingebung des Grössten, dass es Wagniss ist und Gefahr und um den +Tod ein Würfelspielen. +</p> + +<p> +Und wo Opferung und Dienste und Liebesblicke sind: auch da ist Wille, Herr zu +sein. Auf Schleichwegen schleicht sich da der Schwächere in die Burg und bis +in’s Herz dem Mächtigeren—und stiehlt da Macht. +</p> + +<p> +Und diess Geheimniss redete das Leben selber zu mir. Siehe, sprach es, ich bin +das, was sich immer selber überwinden muss. +</p> + +<p> +„Freilich, ihr heisst es Wille zur Zeugung oder Trieb zum Zwecke, zum Höheren, +Ferneren, Vielfacheren: aber all diess ist Eins und Ein Geheimniss. +</p> + +<p> +Lieber noch gehe ich unter, als dass ich diesem Einen absagte; und wahrlich, wo +es Untergang giebt und Blätterfallen, siehe, da opfert sich Leben—um +Macht! +</p> + +<p> +Dass ich Kampf sein muss und Werden und Zweck und der Zwecke Widerspruch: ach, +wer meinen Willen erräth, erräth wohl auch, auf welchen <i>krummen</i> Wegen er +gehen muss! +</p> + +<p> +Was ich auch schaffe und wie ich’s auch liebe,—bald muss ich Gegner +ihm sein und meiner Liebe: so will es mein Wille. +</p> + +<p> +Und auch du, Erkennender, bist nur ein Pfad und Fusstapfen meines Willens: +wahrlich, mein Wille zur Macht wandelt auch auf den Füssen deines Willens zur +Wahrheit! +</p> + +<p> +Der traf freilich die Wahrheit nicht, der das Wort nach ihr schoss vom +„Willen zum Dasein“: diesen Willen—giebt es nicht! +</p> + +<p> +Denn: was nicht ist, das kann nicht wollen; was aber im Dasein ist, wie könnte +das noch zum Dasein wollen! +</p> + +<p> +Nur, wo Leben ist, da ist auch Wille: aber nicht Wille zum Leben, +sondern—so lehre ich’s dich—Wille zur Macht! +</p> + +<p> +Vieles ist dem Lebenden höher geschätzt, als Leben selber; doch aus dem +Schätzen selber heraus redet—der Wille zur Macht!“— +</p> + +<p> +Also lehrte mich einst das Leben: und daraus löse ich euch, ihr Weisesten, noch +das Räthsel eures Herzens. +</p> + +<p> +Wahrlich, ich sage euch: Gutes und Böses, das unvergänglich wäre—das +giebt es nicht! Aus sich selber muss es sich immer wieder überwinden. +</p> + +<p> +Mit euren Werthen und Worten von Gut und Böse übt ihr Gewalt, ihr +Werthschätzenden: und diess ist eure verborgene Liebe und eurer Seele Glänzen, +Zittern und Überwallen. +</p> + +<p> +Aber eine stärkere Gewalt wächst aus euren Werthen und eine neue Überwindung: +an der zerbricht Ei und Eierschale. +</p> + +<p> +Und wer ein Schöpfer sein muss im Guten und Bösen: wahrlich, der muss ein +Vernichter erst sein und Werthe zerbrechen. +</p> + +<p> +Also gehört das höchste Böse zur höchsten Güte: diese aber ist die +schöpferische.— +</p> + +<p> +Reden wir nur davon, ihr Weisesten, ob es gleich schlimm ist. Schweigen ist +schlimmer; alle verschwiegenere Wahrheiten werden giftig. +</p> + +<p> +Und mag doch Alles zerbrechen, was an unseren Wahrheiten zerbrechen—kann! +Manches Haus giebt es noch zu bauen! +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap37"></a>Von den Erhabenen</h3> + +<p> +Still ist der Grund meines Meeres: wer erriethe wohl, dass er scherzhafte +Ungeheuer birgt! +</p> + +<p> +Unerschütterlich ist meine Tiefe: aber sie glänzt von schwimmenden Räthseln und +Gelächtern. +</p> + +<p> +Einen Erhabenen sah ich heute, einen Feierlichen, einen Büsser des Geistes: oh +wie lachte meine Seele ob seiner Hässlichkeit! +</p> + +<p> +Mit erhobener Brust und Denen gleich, welche den Athem an sich ziehn: also +stand er da, der Erhabene, und schweigsam: +</p> + +<p> +Behängt mit hässlichen Wahrheiten, seiner Jagdbeute, und reich an zerrissenen +Kleidern; auch viele Dornen hiengen an ihm—aber noch sah ich keine Rose. +</p> + +<p> +Noch lernte er das Lachen nicht und die Schönheit. Finster kam dieser Jäger +zurück aus dem Walde der Erkenntniss. +</p> + +<p> +Vom Kampfe kehrte er heim mit wilden Thieren: aber aus seinem Ernste blickt +auch noch ein wildes Thier—ein unüberwundenes! +</p> + +<p> +Wie ein Tiger steht er immer noch da, der springen will; aber ich mag diese +gespannten Seelen nicht, unhold ist mein Geschmack allen diesen Zurückgezognen. +</p> + +<p> +Und ihr sagt mir, Freunde, dass nicht zu streiten sei über Geschmack und +Schmecken? Aber alles Leben ist Streit um Geschmack und Schmecken! +</p> + +<p> +Geschmack: das ist Gewicht zugleich und Wagschale und Wägender; und wehe allem +Lebendigen, das ohne Streit um Gewicht und Wagschale und Wägende leben wollte! +</p> + +<p> +Wenn er seiner Erhabenheit müde würde, dieser Erhabene: dann erst würde seine +Schönheit anheben,—und dann erst will ich ihn schmecken und schmackhaft +finden. +</p> + +<p> +Und erst, wenn er sich von sich selber abwendet, wird er über seinen eignen +Schatten springen—und, wahrlich! hinein in <i>seine</i> Sonne. +</p> + +<p> +Allzulange sass er im Schatten, die Wangen bleichten dem Büsser des Geistes; +fast verhungerte er an seinen Erwartungen. +</p> + +<p> +Verachtung ist noch in seinem Auge; und Ekel birgt sich an seinem Munde. Zwar +ruht er jetzt, aber seine Ruhe hat sich noch nicht in die Sonne gelegt. +</p> + +<p> +Dem Stiere gleich sollte er thun; und sein Glück sollte nach Erde riechen und +nicht nach Verachtung der Erde. +</p> + +<p> +Als weissen Stier möchte ich ihn sehn, wie er schnaubend und brüllend der +Pflugschar vorangeht: und sein Gebrüll sollte noch alles Irdische preisen! +</p> + +<p> +Dunkel noch ist sein Antlitz; der Hand Schatten spielt auf ihm. Verschattet ist +noch der Sinn seines Auges. +</p> + +<p> +Seine That selber ist noch der Schatten auf ihm: die Hand verdunkelt den +Handelnden. Noch hat er seine That nicht überwunden. +</p> + +<p> +Wohl liebe ich an ihm den Nacken des Stiers: aber nun will ich auch noch das +Auge des Engels sehn. +</p> + +<p> +Auch seinen Helden-Willen muss er noch verlernen: ein Gehobener soll er mir +sein und nicht nur ein Erhabener:—der Äther selber sollte ihn heben, den +Willenlosen! +</p> + +<p> +Er bezwang Unthiere, er löste Räthsel: aber erlösen sollte er auch noch seine +Unthiere und Räthsel, zu himmlischen Kindern sollte er sie noch verwandeln. +</p> + +<p> +Noch hat seine Erkenntniss nicht lächeln gelernt und ohne Eifersucht sein; noch +ist seine strömende Leidenschaft nicht stille geworden in der Schönheit. +</p> + +<p> +Wahrlich, nicht in der Sattheit soll sein Verlangen schweigen und untertauchen, +sondern in der Schönheit! Die Anmuth gehört zur Grossmuth des Grossgesinnten. +</p> + +<p> +Den Arm über das Haupt gelegt: so sollte der Held ausruhn, so sollte er auch +noch sein Ausruhen überwinden. +</p> + +<p> +Aber gerade dem Helden ist das <i>Schöne</i> aller Dinge Schwerstes. +Unerringbar ist das Schöne allem heftigen Willen. +</p> + +<p> +Ein Wenig mehr, ein Wenig weniger: das gerade ist hier Viel, das ist hier das +Meiste. +</p> + +<p> +Mit lässigen Muskeln stehn und mit abgeschirrtem Willen: das ist das Schwerste +euch Allen, ihr Erhabenen! +</p> + +<p> +Wenn die Macht gnädig wird und herabkommt in’s Sichtbare: Schönheit +heisse ich solches Herabkommen. +</p> + +<p> +Und von Niemandem will ich so als von dir gerade Schönheit, du Gewaltiger: +deine Güte sei deine letzte Selbst- Überwältigung. +</p> + +<p> +Alles Böse traue ich dir zu: darum will ich von dir das Gute. +</p> + +<p> +Wahrlich, ich lachte oft der Schwächlinge, welche sich gut glauben, weil sie +lahme Tatzen haben! +</p> + +<p> +Der Säule Tugend sollst du nachstreben: schöner wird sie immer und zarter, aber +inwendig härter und tragsamer, je mehr sie aufsteigt. +</p> + +<p> +Ja, du Erhabener, einst sollst du noch schön sein und deiner eignen Schönheit +den Spiegel vorhalten. +</p> + +<p> +Dann wird deine Seele vor göttlichen Begierden schaudern; und Anbetung wird +noch in deiner Eitelkeit sein! +</p> + +<p> +Diess nämlich ist das Geheimniss der Seele: erst, wenn sie der Held verlassen +hat, naht ihr, im Traume,—der Über-Held. +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap38"></a>Vom Lande der Bildung</h3> + +<p> +Zu weit hinein flog ich in die Zukunft: ein Grauen überfiel mich. +</p> + +<p> +Und als ich um mich sah, siehe! da war die Zeit mein einziger Zeitgenosse. +</p> + +<p> +Da floh ich rückwärts, heimwärts—und immer eilender: so kam ich zu euch, +ihr Gegenwärtigen, und in’s Land der Bildung. +</p> + +<p> +Zum ersten Male brachte ich ein Auge mit für euch, und gute Begierde: wahrlich, +mit Sehnsucht im Herzen kam ich. +</p> + +<p> +Aber wie geschah mir? So angst mir auch war,—ich musste lachen! Nie sah +mein Auge etwas so Buntgesprenkeltes! +</p> + +<p> +Ich lachte und lachte, während der Fuss mir noch zitterte und das Herz dazu: +„hier ist ja die Heimat aller Farbentöpfe!“—sagte ich. +</p> + +<p> +Mit fünfzig Klexen bemalt an Gesicht und Gliedern: so sasset ihr da zu meinem +Staunen, ihr Gegenwärtigen! +</p> + +<p> +Und mit fünfzig Spiegeln um euch, die eurem Farbenspiele schmeichelten und +nachredeten! +</p> + +<p> +Wahrlich, ihr könntet gar keine bessere Maske tragen, ihr Gegenwärtigen, als +euer eignes Gesicht ist! Wer könnte euch—<i>erkennen</i>! +</p> + +<p> +Vollgeschrieben mit den Zeichen der Vergangenheit, und auch diese Zeichen +überpinselt mit neuen Zeichen: also habt ihr euch gut versteckt vor allen +Zeichendeutern! +</p> + +<p> +Und wenn man auch Nierenprüfer ist: wer glaubt wohl noch, dass ihr Nieren habt! +Aus Farben scheint ihr gebacken und aus geleimten Zetteln. +</p> + +<p> +Alle Zeiten und Völker blicken bunt aus euren Schleiern; alle Sitten und +Glauben reden bunt aus euren Gebärden. +</p> + +<p> +Wer von euch Schleier und Überwürfe und Farben und Gebärden abzöge: gerade +genug würde er übrig behalten, um die Vögel damit zu erschrecken. +</p> + +<p> +Wahrlich, ich selber bin der erschreckte Vogel, der euch einmal nackt sah und +ohne Farbe; und ich flog davon, als das Gerippe mir Liebe zuwinkte. +</p> + +<p> +Lieber wollte ich doch noch Tagelöhner sein in der Unterwelt und bei den +Schatten des Ehemals!—feister und voller als ihr sind ja noch die +Unterweltlichen! +</p> + +<p> +Diess, ja diess ist Bitterniss meinen Gedärmen, dass ich euch weder nackt, noch +bekleidet aushalte, ihr Gegenwärtigen! +</p> + +<p> +Alles Unheimliche der Zukunft, und was je verflogenen Vögeln Schauder machte, +ist wahrlich heimlicher noch und traulicher als eure „Wirklichkeit“. +</p> + +<p> +Denn so sprecht ihr: „Wirkliche sind wir ganz, und ohne Glauben und +Aberglauben“ : also brüstet ihr euch—ach, auch noch ohne Brüste! +</p> + +<p> +Ja, wie solltet ihr glauben <i>können</i>, ihr Buntgesprenkelten!—die ihr +Gemälde seid von Allem, was je geglaubt wurde! +</p> + +<p> +Wandelnde Widerlegungen seid ihr des Glaubens selber, und aller Gedanken +Gliederbrechen. <i>Unglaubwürdige</i>: also heisse <i>ich</i> euch, ihr +Wirklichen! +</p> + +<p> +Alle Zeiten schwätzen wider einander in euren Geistern; und aller Zeiten Träume +und Geschwätz waren wirklicher noch als euer Wachsein ist! +</p> + +<p> +Unfruchtbare seid ihr: <i>darum</i> fehlt es euch an Glauben. Aber wer schaffen +musste, der hatte auch immer seine Wahr-Träume und Stern-Zeichen—und +glaubte an Glauben!— +</p> + +<p> +Halboffne Thore seid ihr, an denen Todtengräber warten. Und das ist <i>eure</i> +Wirklichkeit: „Alles ist werth, dass es zu Grunde geht.“ +</p> + +<p> +Ach, wie ihr mir dasteht, ihr Unfruchtbaren, wie mager in den Rippen! Und +Mancher von euch hatte wohl dessen selber ein Einsehen. +</p> + +<p> +Und er sprach: „es hat wohl da ein Gott, als ich schlief, mir heimlich Etwas +entwendet? Wahrlich, genug, sich ein Weibchen daraus zu bilden! +</p> + +<p> +Wundersam ist die Armuth meiner Rippen!“ also sprach schon mancher +Gegenwärtige. +</p> + +<p> +Ja, zum Lachen seid ihr mir, ihr Gegenwärtigen! Und sonderlich, wenn ihr euch +über euch selber wundert! +</p> + +<p> +Und wehe mir, wenn ich nicht lachen könnte über eure Verwunderung, und alles +Widrige aus euren Näpfen hinunter trinken müsste! +</p> + +<p> +So aber will ich’s mit euch leichter nehmen, da ich <i>Schweres</i> zu +tragen habe; und was thut’s mir, wenn sich Käfer und Flügelwürmer noch +auf mein Bündel setzen! +</p> + +<p> +Wahrlich, es soll mir darob nicht schwerer werden! Und nicht aus euch, ihr +Gegenwärtigen, soll mir die grosse Müdigkeit kommen.—Ach, wohin soll ich +nun noch steigen mit meiner Sehnsucht! Von allen Bergen schaue ich aus nach +Vater- und Mutterländern. +</p> + +<p> +Aber Heimat fand ich nirgends: unstät bin ich in allen Städten und ein Aufbruch +an allen Thoren. +</p> + +<p> +Fremd sind mir und ein Spott die Gegenwärtigen, zu denen mich jüngst das Herz +trieb; und vertrieben bin ich aus Vater- und Mutterländern. +</p> + +<p> +So liebe ich allein noch meiner <i>Kinder Land</i>, das unentdeckte, im +fernsten Meere: nach ihm heisse ich meine Segel suchen und suchen. +</p> + +<p> +An meinen Kindern will ich es gut machen, dass ich meiner Väter Kind bin: und +an aller Zukunft—<i>diese</i> Gegenwart! +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap39"></a>Von der unbefleckten Erkenntniss</h3> + +<p> +Als gestern der Mond aufgieng, wähnte ich, dass er eine Sonne gebären wolle: so +breit und trächtig lag er am Horizonte. +</p> + +<p> +Aber ein Lügner war er mir mit seiner Schwangerschaft; und eher noch will ich +an den Mann im Monde glauben als an das Weib. +</p> + +<p> +Freilich, wenig Mann ist er auch, dieser schüchterne Nachtschwärmer. Wahrlich, +mit schlechtem Gewissen wandelt er über die Dächer. +</p> + +<p> +Denn er ist lüstern und eifersüchtig, der Mönch im Monde, lüstern nach der Erde +und nach allen Freuden der Liebenden. +</p> + +<p> +Nein, ich mag ihn nicht, diesen Kater auf den Dächern! Widerlich sind mir Alle, +die um halbverschlossne Fenster schleichen! +</p> + +<p> +Fromm und schweigsam wandelt er hin auf Sternen-Teppichen:—aber ich mag +alle leisetretenden Mannsfüsse nicht, an denen auch nicht ein Sporen klirrt. +</p> + +<p> +Jedes Redlichen Schritt redet; die Katze aber stiehlt sich über den Boden weg. +Siehe, katzenhaft kommt der Mond daher und unredlich.— +</p> + +<p> +Dieses Gleichniss gebe ich euch empfindsamen Heuchlern, euch, den +„Rein-Erkennenden!“ Euch heisse <i>ich</i>—Lüsterne! +</p> + +<p> +Auch ihr liebt die Erde und das Irdische: ich errieth euch wohl!—aber +Scham ist in eurer Liebe und schlechtes Gewissen,—dem Monde gleicht ihr! +</p> + +<p> +Zur Verachtung des Irdischen hat man euren Geist überredet, aber nicht eure +Eingeweide: <i>die</i> aber sind das Stärkste an euch! +</p> + +<p> +Und nun schämt sich euer Geist, dass er euren Eingeweiden zu willen ist und +geht vor seiner eignen Scham Schleich- und Lügenwege. +</p> + +<p> +„Das wäre mir das Höchste—also redet euer verlogner Geist zu +sich—auf das Leben ohne Begierde zu schaun und nicht gleich dem Hunde mit +hängender Zunge: +</p> + +<p> +Glücklich zu sein im Schauen, mit erstorbenem Willen, ohne Griff und Gier der +Selbstsucht—kalt und aschgrau am ganzen Leibe, aber mit trunkenen +Mondesaugen!“ +</p> + +<p> +„Das wäre mir das Liebste,—also verführt sich selber der +Verführte—die Erde zu lieben, wie der Mond sie liebt, und nur mit dem +Auge allein ihre Schönheit zu betasten. +</p> + +<p> +Und das heisse mir aller Dinge <i>unbefleckte</i> Erkenntniss, dass ich von den +Dingen Nichts will: ausser dass ich vor ihnen da liegen darf wie ein Spiegel +mit hundert Augen.“— +</p> + +<p> +Oh, ihr empfindsamen Heuchler, ihr Lüsternen! Euch fehlt die Unschuld in der +Begierde: und nun verleumdet ihr drum das Begehren! +</p> + +<p> +Wahrlich, nicht als Schaffende, Zeugende, Werdelustige liebt ihr die Erde! +</p> + +<p> +Wo ist Unschuld? Wo der Wille zur Zeugung ist. Und wer über sich hinaus +schaffen will, der hat mir den reinsten Willen. +</p> + +<p> +Wo ist Schönheit? Wo ich mit allem Willen <i>wollen muss</i>; wo ich lieben und +untergehn will, dass ein Bild nicht nur Bild bleibe. +</p> + +<p> +Lieben und Untergehn: das reimt sich seit Ewigkeiten. Wille zur Liebe: das ist, +willig auch sein zum Tode. Also rede ich zu euch Feiglingen! +</p> + +<p> +Aber nun will euer entmanntes Schielen „Beschaulichkeit“ heissen! Und was mit +feigen Augen sich tasten lässt, soll „schön“ getauft werden! oh, ihr +Beschmutzer edler Namen! +</p> + +<p> +Aber das soll euer Fluch sein, ihr Unbefleckten, ihr Rein-Erkennenden, dass ihr +nie gebären werdet: und wenn ihr auch breit und trächtig am Horizonte liegt! +</p> + +<p> +Wahrlich, ihr nehmt den Mund voll mit edlen Worten: und wir sollen glauben, +dass euch das Herz übergehe, ihr Lügenbolde? +</p> + +<p> +Aber in <i>eine</i> Worte sind geringe, verachtete, krumme Worte: gerne nehme +ich auf, was bei eurer Mahlzeit unter den Tisch fällt. +</p> + +<p> +Immer noch kann ich mit ihnen—Heuchlern die Wahrheit sagen! ja, meine +Gräten, Muscheln und Stachelblätter sollen—Heuchlern die Nasen kitzeln! +</p> + +<p> +Schlechte Luft ist immer um euch und eure Mahlzeiten: eure lüsternen Gedanken, +eure Lügen und Heimlichkeiten sind ja in der Luft! +</p> + +<p> +Wagt es doch erst, euch selber zu glauben—euch und euren Eingeweiden! Wer +sich selber nicht glaubt, lügt immer. +</p> + +<p> +Eines Gottes Larve hängtet ihr um vor euch selber, ihr „Reinen“ : in eines +Gottes Larve verkroch sich euer greulicher Ringelwurm. +</p> + +<p> +Wahrlich, ihr täuscht, ihr „Beschaulichen“ ! Auch Zarathustra war einst der Narr +eurer göttlichen Häute; nicht errieth er das Schlangengeringel, mit denen sie +gestopft waren. +</p> + +<p> +Eines Gottes Seele wähnte ich einst spielen zu sehn in euren Spielen, ihr +Rein-Erkennenden! Keine bessere Kunst wähnte ich einst als eure Künste! +</p> + +<p> +Schlangen-Unflath und schlimmen Geruch verhehlte mir die Ferne: und dass einer +Eidechse List lüstern hier herumschlich. +</p> + +<p> +Aber ich kam euch <i>nah</i>: da kam mir der Tag—und nun kommt er +euch,—zu Ende gieng des Mondes Liebschaft! +</p> + +<p> +Seht doch hin! Ertappt und bleich steht er da—vor der Morgenröthe! +</p> + +<p> +Denn schon kommt sie, die Glühende,—<i>ihre</i> Liebe zur Erde kommt! +Unschuld und Schöpfer-Begier ist alle Sonnen-Liebe! +</p> + +<p> +Seht doch hin, wie sie ungeduldig über das Meer kommt! Fühlt ihr den Durst und +den heissen Athem ihrer Liebe nicht? +</p> + +<p> +Am Meere will sie saugen und seine Tiefe zu sich in die Höhe trinken: da hebt +sich die Begierde des Meeres mit tausend Brüsten. +</p> + +<p> +Geküsst und gesaugt <i>will</i> es sein vom Durste der Sonne; Luft <i>will</i> +es werden und Höhe und Fusspfad des Lichts und selber Licht! +</p> + +<p> +Wahrlich, der Sonne gleich liebe ich das Leben und alle tiefen Meere. +</p> + +<p> +Und diess heisst <i>mir</i> Erkenntniss: alles Tiefe soll hinauf—zu +meiner Höhe! +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap40"></a>Von den Gelehrten</h3> + +<p> +Als ich im Schlafe lag, da frass ein Schaf am Epheukranze meines +Hauptes,—frass und sprach dazu: „Zarathustra ist kein Gelehrter mehr.“ +</p> + +<p> +Sprach’s und gieng stotzig davon und stolz. Ein Kind erzählte +mir’s. +</p> + +<p> +Gerne liege ich hier, wo die Kinder spielen, an der zerbrochnen Mauer, unter +Disteln und rothen Mohnblumen. +</p> + +<p> +Ein Gelehrter bin ich den Kindern noch und auch den Disteln und rothen +Mohnblumen. Unschuldig sind sie, selbst noch in ihrer Bosheit. +</p> + +<p> +Aber den Schafen bin ich’s nicht mehr: so will es mein +Loos—gesegnet sei es! +</p> + +<p> +Denn diess ist die Wahrheit: ausgezogen bin ich aus dem Hause der Gelehrten: +und die Thür habe ich noch hinter mir zugeworfen. +</p> + +<p> +Zu lange sass meine Seele hungrig an ihrem Tische; nicht, gleich ihnen, bin ich +auf das Erkennen abgerichtet wie auf das Nüsseknacken. +</p> + +<p> +Freiheit liebe ich und die Luft über frischer Erde; lieber noch will ich auf +Ochsenhäuten schlafen, als auf ihren Würden und Achtbarkeiten. +</p> + +<p> +Ich bin zu heiss und verbrannt von eigenen Gedanken: oft will es mir den Athem +nehmen. Da muss ich in’s Freie und weg aus allen verstaubten Stuben. +</p> + +<p> +Aber sie sitzen kühl in kühlem Schatten: sie wollen in Allem nur Zuschauer sein +und hüten sich dort zu sitzen, wo die Sonne auf die Stufen brennt. +</p> + +<p> +Gleich Solchen, die auf der Strasse stehn und die Leute angaffen, welche +vorübergehn: also warten sie auch und gaffen Gedanken an, die Andre gedacht +haben. +</p> + +<p> +Greift man sie mit Händen, so stäuben sie um sich gleich Mehlsäcken, und +unfreiwillig. aber wer erriethe wohl, dass ihr Staub vom Korne stammt und von +der gelben Wonne der Sommerfelder? +</p> + +<p> +Geben sie sich weise, so fröstelt mich ihrer kleinen Sprüche und Wahrheiten: +ein Geruch ist oft an ihrer Weisheit, als ob sie aus dem Sumpfe stamme: und +wahrlich, ich hörte auch schon den Frosch aus ihr quaken! +</p> + +<p> +Geschickt sind sie, sie haben kluge Finger: was will <i>meine</i> Einfalt bei +ihrer Vielfalt! Alles Fädeln und Knüpfen und Weben verstehn ihre Finger: also +wirken sie die Strümpfe des Geistes! +</p> + +<p> +Gute Uhrwerke sind sie: nur sorge man, sie richtig aufzuziehn! Dann zeigen sie +ohne Falsch die Stunde an und machen einen bescheidnen Lärm dabei. +</p> + +<p> +Gleich Mühlwerken arbeiten sie und Stampfen: man werfe ihnen nur seine +Fruchtkörner zu!—sie wissen schon, Korn klein zu mahlen und weissen Staub +daraus zu machen. +</p> + +<p> +Sie sehen einander gut auf die Finger und trauen sich nicht zum Besten. +Erfinderisch in kleinen Schlauheiten warten sie auf Solche, deren Wissen auf +lahmen Füssen geht,—gleich Spinnen warten sie. +</p> + +<p> +Ich sah sie immer mit Vorsicht Gift bereiten; und immer zogen sie gläserne +Handschuhe dabei an ihre Finger. +</p> + +<p> +Auch mit falschen Würfeln wissen sie zu spielen; und so eifrig fand ich sie +spielen, dass sie dabei schwitzten. +</p> + +<p> +Wir sind einander fremd, und ihre Tugenden gehn mir noch mehr wider den +Geschmack, als ihre Falschheiten und falschen Würfel. +</p> + +<p> +Und als ich bei ihnen wohnte, da wohnte ich über ihnen. Darüber wurden sie mir +gram. +</p> + +<p> +Sie wollen Nichts davon hören, dass Einer über ihren Köpfen wandelt; und so +legten sie Holz und Erde und Unrath zwischen mich und ihre Köpfe. +</p> + +<p> +Also dämpften sie den Schall meiner Schritte: und am schlechtesten wurde ich +bisher von den Gelehrtesten gehört. +</p> + +<p> +Aller Menschen Fehl und Schwäche legten sie zwischen sich und +mich:—„Fehlboden“ heissen sie das in ihren Häusern. +</p> + +<p> +Aber trotzdem wandele ich mit meinen Gedanken <i>über</i> ihren Köpfen; und +selbst, wenn ich auf meinen eignen Fehlern wandeln wollte, würde ich noch über +ihnen sein und ihren Köpfen. +</p> + +<p> +Denn die Menschen sind <i>nicht</i> gleich: so spricht die Gerechtigkeit. Und +was ich will, dürften <i>sie</i> nicht wollen! +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap41"></a>Von den Dichtern</h3> + +<p> +„Seit ich den Leib besser kenne,—sagte Zarathustra zu einem seiner +Jünger—ist mir der Geist nur noch gleichsam Geist; und alles das +„Unvergängliche“—das ist auch nur ein Gleichniss.“ +</p> + +<p> +„So hörte ich dich schon einmal sagen, antwortete der Jünger; und damals +fügtest du hinzu: „aber die Dichter lügen zuviel.“ Warum sagtest du +doch, dass die Dichter zuviel lügen?“ +</p> + +<p> +„Warum? sagte Zarathustra. Du fragst warum? Ich gehöre nicht zu Denen, welche +man nach ihrem Warum fragen darf. +</p> + +<p> +Ist denn mein Erleben von Gestern? Das ist lange her, dass ich die Gründe +meiner Meinungen erlebte. +</p> + +<p> +Müsste ich nicht ein Fass sein von Gedächtniss, wenn ich auch meine Gründe bei +mir haben wollte? +</p> + +<p> +Schon zuviel ist mir’s, meine Meinungen selber zu behalten; und mancher +Vogel fliegt davon. +</p> + +<p> +Und mitunter finde ich auch ein zugezogenes Thier in meinem Taubenschlage, das +mir fremd ist, und das zittert, wenn ich meine Hand darauf lege. +</p> + +<p> +Doch was sagte dir einst Zarathustra? Dass die Dichter zuviel lügen?—Aber +auch Zarathustra ist ein Dichter. +</p> + +<p> +Glaubst du nun, dass er hier die Wahrheit redete? Warum glaubst du das?“ +</p> + +<p> +Der Jünger antwortete: „ich glaube an Zarathustra.“ Aber Zarathustra schüttelte +den Kopf und lächelte. +</p> + +<p> +Der Glaube macht mich nicht selig, sagte er, zumal nicht der Glaube an mich. +</p> + +<p> +Aber gesetzt, dass jemand allen Ernstes sagte, die Dichter lügen zuviel: so hat +er Recht,—<i>wir</i> lügen zuviel. +</p> + +<p> +Wir wissen auch zu wenig und sind schlechte Lerner: so müssen wir schon lügen. +</p> + +<p> +Und wer von uns Dichtern hätte nicht seinen Wein verfälscht? Manch giftiger +Mischmasch geschah in unsern Kellern, manches Unbeschreibliche ward da gethan. +</p> + +<p> +Und weil wir wenig wissen, so gefallen uns von Herzen die geistig Armen, +sonderlich wenn es junge Weibchen sind! +</p> + +<p> +Und selbst nach den Dingen sind wir noch begehrlich, die sich die alten +Weibchen Abends erzählen. Das heissen wir selber an uns das Ewig-Weibliche. +</p> + +<p> +Und als ob es einen besondren geheimen Zugang zum Wissen gäbe, der sich Denen +<i>verschütte</i>, welche Etwas lernen: so glauben wir an das Volk und seine +„Weisheit“. +</p> + +<p> +Das aber glauben alle Dichter: dass wer im Grase oder an einsamen Gehängen +liegend die Ohren spitze, Etwas von den Dingen erfahre, die zwischen Himmel und +Erde sind. +</p> + +<p> +Und kommen ihnen zärtliche Regungen, so meinen die Dichter immer, die Natur +selber sei in sie verliebt: +</p> + +<p> +Und sie schleiche zu ihrem Ohre, Heimliches hinein zu sagen und verliebte +Schmeichelreden: dessen brüsten und blähen sie sich vor allen Sterblichen! +</p> + +<p> +Ach, es giebt so viel Dinge zwischen Himmel und Erden, von denen sich nur die +Dichter Etwas haben träumen lassen! +</p> + +<p> +Und zumal <i>über</i> dem Himmel: denn alle Götter sind Dichter-Gleichniss, +Dichter-Erschleichniss! +</p> + +<p> +Wahrlich, immer zieht es uns hinan—nämlich zum Reich der Wolken: auf +diese setzen wir unsre bunten Bälge und heissen sie dann Götter und +Übermenschen:— +</p> + +<p> +Sind sie doch gerade leicht genug für diese Stühle!—alle diese Götter und +Übermenschen. +</p> + +<p> +Ach, wie bin ich all des Unzulänglichen müde, das durchaus Ereigniss sein soll! +Ach, wie bin ich der Dichter müde! +</p> + +<p> +Als Zarathustra so sprach, zürnte ihm sein Jünger, aber er schwieg. Und auch +Zarathustra schwieg; und sein Auge hatte sich nach innen gekehrt, gleich als ob +es in weite Fernen sähe. Endlich seufzte er und holte Athem. +</p> + +<p> +Ich bin von Heute und Ehedem, sagte er dann; aber Etwas ist in mir, das ist von +Morgen und übermorgen und Einstmals. +</p> + +<p> +Ich wurde der Dichter müde, der alten und der neuen: Oberflächliche sind sie +mir Alle und seichte Meere. +</p> + +<p> +Sie dachten nicht genug in die Tiefe: darum sank ihr Gefühl nicht bis zu den +Gründen. +</p> + +<p> +Etwas Wollust und etwas Langeweile: das ist noch ihr bestes Nachdenken gewesen. +</p> + +<p> +Gespenster-Hauch und -Huschen gilt mir all ihr Harfen-Klingklang; was wussten +sie bisher von der Inbrunst der Töne!— +</p> + +<p> +Sie sind mir auch nicht reinlich genug: sie trüben Alle ihr Gewässer, dass es +tief scheine. +</p> + +<p> +Und gerne geben sie sich damit als Versöhner: aber Mittler und Mischer bleiben +sie mir und Halb-und-Halbe und Unreinliche!— +</p> + +<p> +Ach, ich warf wohl mein Netz in ihre Meere und wollte gute Fische fangen; aber +immer zog ich eines alten Gottes Kopf herauf. +</p> + +<p> +So gab dem Hungrigen das Meer einen Stein. Und sie selber mögen wohl aus dem +Meere stammen. +</p> + +<p> +Gewiss, man findet Perlen in ihnen: um so ähnlicher sind sie selber harten +Schalthieren. Und statt der Seele fand ich oft bei ihnen gesalzenen Schleim. +</p> + +<p> +Sie lernten vom Meere auch noch seine Eitelkeit: ist nicht das Meer der Pfau +der Pfauen? +</p> + +<p> +Noch vor dem hässlichsten aller Büffel rollt es seinen Schweif hin, nimmer wird +es seines Spitzenfächers von Silber und Seide müde. +</p> + +<p> +Trutzig blickt der Büffel dazu, dem Sande nahe in seiner Seele, näher noch dem +Dickicht, am nächsten aber dem Sumpfe. +</p> + +<p> +Was ist ihm Schönheit und Meer und Pfauen-Zierath! Dieses Gleichniss sage ich +den Dichtern. +</p> + +<p> +Wahrlich, ihr Geist selber ist der Pfau der Pfauen und ein Meer von Eitelkeit! +</p> + +<p> +Zuschauer will der Geist des Dichters: sollten’s auch Büffel sein!— +</p> + +<p> +Aber dieses Geistes wurde ich müde: und ich sehe kommen, dass er seiner selber +müde wird. +</p> + +<p> +Verwandelt sah ich schon die Dichter und gegen sich selber den Blick gerichtet. +</p> + +<p> +Büsser des Geistes sah ich kommen: die wuchsen aus ihnen. +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap42"></a>Von grossen Ereignissen</h3> + +<p> +Es giebt eine Insel im Meere—unweit den glückseligen Inseln +Zarathustra’s—auf welcher beständig ein Feuerberg raucht; von der +sagt das Volk, und sonderlich sagen es die alten Weibchen aus dem Volke, dass +sie wie ein Felsblock vor das Thor der Unterwelt gestellt sei: durch den +Feuerberg selber aber führe der schmale Weg abwärts, der zu diesem Thore der +Unterwelt geleite. +</p> + +<p> +Um jene Zeit nun, als Zarathustra auf den glückseligen Inseln weilte, geschah +es, dass ein Schiff an der Insel Anker warf, auf welcher der rauchende Berg +steht; und seine Mannschaft gieng an’s Land, um Kaninchen zu schiessen. +Gegen die Stunde des Mittags aber, da der Capitän und seine Leute wieder +beisammen waren, sahen sie plötzlich durch die Luft einen Mann auf sich +zukommen, und eine Stimme sagte deutlich: „es ist Zeit! Es ist die höchste +Zeit!“ Wie die Gestalt ihnen aber am nächsten war—sie flog aber schnell +gleich einem Schatten vorbei, in der Richtung, wo der Feuerberg lag—da +erkannten sie mit grösster Bestürzung, dass es Zarathustra sei; denn sie hatten +ihn Alle schon gesehn, ausgenommen der Capitän selber, und sie liebten ihn, wie +das Volk liebt: also dass zu gleichen Theilen Liebe und Scheu beisammen sind. +</p> + +<p> +„Seht mir an! sagte der alte Steuermann, da fährt Zarathustra zur +Hölle!“— +</p> + +<p> +Um die gleiche Zeit, als diese Schiffer an der Feuerinsel landeten, lief das +Gerücht umher, dass Zarathustra verschwunden sei; und als man seine Freunde +fragte, erzählten sie, er sei bei Nacht zu Schiff gegangen, ohne zu sagen, +wohin er reisen wolle. +</p> + +<p> +Also entstand eine Unruhe; nach drei Tagen aber kam zu dieser Unruhe die +Geschichte der Schiffsleute hinzu—und nun sagte alles Volk, dass der +Teufel Zarathustra geholt habe. Seine jünger lachten zwar ob dieses Geredes; +und einer von ihnen sagte sogar: „eher glaube ich noch, dass Zarathustra sich +den Teufel geholt hat.“ Aber im Grunde der Seele waren sie Alle voll Besorgniss +und Sehnsucht: so war ihre Freude gross, als am fünften Tage Zarathustra unter +ihnen erschien. +</p> + +<p> +Und diess ist die Erzählung von Zarathustra’s Gespräch mit dem +Feuerhunde. +</p> + +<p> +Die Erde, sagte er, hat eine Haut; und diese Haut hat Krankheiten. Eine dieser +Krankheiten heisst zum Beispiel: „Mensch.“ +</p> + +<p> +Und eine andere dieser Krankheiten heisst „Feuerhund“: über <i>den</i> haben +sich die Menschen Viel vorgelogen und vorlügen lassen. +</p> + +<p> +Diess Geheimniss zu ergründen gieng ich über das Meer: und ich habe die +Wahrheit nackt gesehn, wahrlich! barfuss bis zum Halse. +</p> + +<p> +Was es mit dem Feuerhund auf sich hat, weiss ich nun; und insgleichen mit all +den Auswurf- und Umsturz-Teufeln, vor denen sich nicht nur alte Weibchen +fürchten. +</p> + +<p> +Heraus mit dir, Feuerhund, aus deiner Tiefe! rief ich, und bekenne, wie tief +diese Tiefe ist! Woher ist das, was du da heraufschnaubst? +</p> + +<p> +Du trinkst reichlich am Meere: das verräth deine versalzte Beredsamkeit! +Fürwahr, für einen Hund der Tiefe nimmst du deine Nahrung zu sehr von der +Oberfläche! +</p> + +<p> +Höchstens für den Bauchredner der Erde halt’ ich dich: und immer, wenn +ich Umsturz- und Auswurf-Teufel reden hörte, fand ich sie gleich dir: gesalzen, +lügnerisch und flach. +</p> + +<p> +Ihr versteht zu brüllen und mit Asche zu verdunkeln! Ihr seid die besten +Grossmäuler und lerntet sattsam die Kunst, Schlamm heiss zu sieden. +</p> + +<p> +Wo ihr seid, da muss stets Schlamm in der Nähe sein, und viel Schwammichtes, +Höhlichtes, Eingezwängtes: das will in die Freiheit. +</p> + +<p> +„Freiheit“ brüllt ihr Alle am liebsten: aber ich verlernte den Glauben an +„grosse Ereignisse,“ sobald viel Gebrüll und Rauch um sie herum ist. +</p> + +<p> +Und glaube mir nur, Freund Höllenlärm! Die grössten Ereignisse—das sind +nicht unsre lautesten, sondern unsre stillsten Stunden. +</p> + +<p> +Nicht um die Erfinder von neuem Lärme: um die Erfinder von neuen Werthen dreht +sich die Welt; <i>unhörbar</i> dreht sie sich. +</p> + +<p> +Und gesteh es nur! Wenig war immer nur geschehn, wenn dein Lärm und Rauch sich +verzog. Was liegt daran, dass eine Stadt zur Mumie wurde, und eine Bildsäule im +Schlamme liegt! +</p> + +<p> +Und diess Wort sage ich noch den Umstürzern von Bildsäulen. Das ist wohl die +grösste Thorheit, Salz in’s Meer und Bildsäulen in den Schlamm zu werfen. +</p> + +<p> +Im Schlamme eurer Verachtung lag die Bildsäule: aber das ist gerade ihr Gesetz, +dass ihr aus der Verachtung wieder Leben und lebende Schönheit wächst! +</p> + +<p> +Mit göttlicheren Zügen steht sie nun auf und leidendverführerisch; und +wahrlich! sie wird euch noch Dank sagen, dass ihr sie umstürztet, ihr +Umstürzer! +</p> + +<p> +Diesen Rath aber rathe ich Königen und Kirchen und Allem, was alters- und +tugendschwach ist—lasst euch nur umstürzen! Dass ihr wieder zum Leben +kommt, und zu euch—die Tugend!— +</p> + +<p> +Also redete ich vor dem Feuerhunde: da unterbrach er mich mürrisch und fragte: +„Kirche? Was ist denn das?“ +</p> + +<p> +Kirche? antwortete ich, das ist eine Art von Staat, und zwar die verlogenste. +Doch schweig still, du Heuchelhund! Du kennst deine Art wohl am besten schon! +</p> + +<p> +Gleich dir selber ist der Staat ein Heuchelhund; gleich dir redet er gern mit +Rauch und Gebrülle,—dass er glauben mache, gleich dir, er rede aus dem +Bauch der Dinge. +</p> + +<p> +Denn er will durchaus das wichtigste Thier auf Erden sein, der Staat; und man +glaubt’s ihm auch.— +</p> + +<p> +Als ich das gesagt hatte, gebärdete sich der Feuerhund wie unsinnig vor Neid. +„Wie? schrie er, das wichtigste Thier auf Erden? Und man glaubt’s ihm +auch?“ Und so viel Dampf und grässliche Stimmen kamen ihm aus dem Schlunde, +dass ich meinte, er werde vor Arger und Neid ersticken. +</p> + +<p> +Endlich wurde er stiller, und sein Keuchen liess nach; sobald er aber stille +war, sagte ich lachend: +</p> + +<p> +„Du ärgerst dich, Feuerhund: also habe ich über dich Recht! +</p> + +<p> +Und dass ich auch noch Recht behalte, so höre von einem andern Feuerhunde: der +spricht wirklich aus dem Herzen der Erde. +</p> + +<p> +Gold haucht sein Athem und goldigen Regen: so will’s das Herz ihm. Was +ist ihm Asche und Rauch und heisser Schleim noch! +</p> + +<p> +Lachen flattert aus ihm wie ein buntes Gewölke; abgünstig ist er deinem Gurgeln +und Speien und Grimmen der Ein- geweide! +</p> + +<p> +Das Gold aber und das Lachen—das nimmt er aus dem Herzen der Erde: denn +dass du’s nur weisst,—das Herz der Erde ist von Gold.“ +</p> + +<p> +Als diess der Feuerhund vernahm, hielt er’s nicht mehr aus, mir +zuzuhören. Beschämt zog er seinen Schwanz ein, sagte auf eine kleinlaute Weise +Wau! Wau! und kroch hinab in seine Höhle.— +</p> + +<p> +Also erzählte Zarathustra. Seine Jünger aber hörten ihm kaum zu: so gross war +ihre Begierde, ihm von den Schiffsleuten, den Kaninchen und dem fliegenden +Manne zu erzählen. +</p> + +<p> +„Was soll ich davon denken! sagte Zarathustra. Bin ich denn ein Gespenst? +</p> + +<p> +Aber es wird mein Schatten gewesen sein. Ihr hörtet wohl schon Einiges vom +Wanderer und seinem Schatten? +</p> + +<p> +Sicher aber ist das: ich muss ihn kürzer halten,—er verdirbt mir sonst +noch den Ruf.“ +</p> + +<p> +Und nochmals schüttelte Zarathustra den Kopf und wunderte sich. „Was soll ich +davon denken!“ sagte er nochmals. +</p> + +<p> +„Warum schrie denn das Gespenst: es ist Zeit! Es ist die höchste Zeit! +</p> + +<p> +<i>Wozu</i> ist es denn—höchste Zeit?“— +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap43"></a>Der Wahrsager</h3> + +<p> +„- und ich sahe eine grosse Traurigkeit über die Menschen kommen. Die Besten +wurden ihrer Werke müde. +</p> + +<p> +Eine Lehre ergieng, ein Glauben lief neben ihr: „Alles ist leer, Alles +ist gleich, Alles war!“ +</p> + +<p> +Und von allen Hügeln klang es wieder: „Alles ist leer, Alles ist gleich, +Alles war!“ +</p> + +<p> +Wohl haben wir geerntet: aber warum wurden alle Früchte uns faul und braun? Was +fiel vom bösen Monde bei der letzten Nacht hernieder? +</p> + +<p> +Umsonst war alle Arbeit, Gift ist unser Wein geworden, böser Blick sengte unsre +Felder und Herzen gelb. +</p> + +<p> +Trocken wurden wir Alle; und fällt Feuer auf uns, so stäuben wir der Asche +gleich:—ja das Feuer selber machten wir müde. +</p> + +<p> +Alle Brunnen versiegten uns, auch das Meer wich zurück. Aller Grund will +reissen, aber die Tiefe will nicht schlingen! +</p> + +<p> +„Ach, wo ist noch ein Meer, in dem man ertrinken könnte“: so klingt +unsre Klage - hinweg über flache Sümpfe. +</p> + +<p> +Wahrlich, zum Sterben wurden wir schon zu müde; nun wachen wir noch und leben +fort—in Grabkammern!“— +</p> + +<p> +Also hörte Zarathustra einen Wahrsager reden; und seine Weissagung gieng ihm zu +Herzen und verwandelte ihn. Traurig gieng er umher und müde; und er wurde Denen +gleich, von welchen der Wahrsager geredet hatte. +</p> + +<p> +Wahrlich, so sagte er zu seinen Jüngern, es ist um ein Kleines, so kommt diese +lange Dämmerung. Ach, wie soll ich mein Licht hinüber retten! +</p> + +<p> +Dass es mir nicht ersticke in dieser Traurigkeit! Ferneren Welten soll es ja +Licht sein und noch fernsten Nächten! +</p> + +<p> +Dergestalt im Herzen bekümmert gieng Zarathustra umher; und drei Tage lang nahm +er nicht Trank und Speise zu sich, hatte keine Ruhe und verlor die Rede. +Endlich geschah es, dass er in einen tiefen Schlaf verfiel. Seine jünger aber +sassen um ihn in langen Nachtwachen und warteten mit Sorge, ob er wach werde +und wieder rede und genesen sei von seiner Trübsal. +</p> + +<p> +Diess aber ist die Rede, welche Zarathustra sprach, als er aufwachte; seine +Stimme aber kam zu seinen Jüngern wie aus weiter Ferne. +</p> + +<p> +Hört mir doch den Traum, den ich träumte, ihr Freunde, und helft mir seinen +Sinn rathen! +</p> + +<p> +Ein Räthsel ist er mir noch, dieser Traum; sein Sinn ist verborgen in ihm und +eingefangen und fliegt noch nicht über ihn hin mit freien Flügeln. +</p> + +<p> +Allem Leben hatte ich abgesagt, so träumte mir. Zum Nacht- und Grabwächter war +ich worden, dort auf der einsamen Berg-Burg des Todes. +</p> + +<p> +Droben hütete ich seine Särge: voll standen die dumpfen Gewölbe von solchen +Siegeszeichen. Aus gläsernen Särgen blickte mich überwundenes Leben an. +</p> + +<p> +Den Geruch verstaubter Ewigkeiten athmete ich: schwül und verstaubt lag meine +Seele. Und wer hätte dort auch seine Seele lüften können! +</p> + +<p> +Helle der Mitternacht war immer um mich, Einsamkeit kauerte neben ihr; und, +zudritt, röchelnde Todesstille, die schlimmste meiner Freundinnen. +</p> + +<p> +Schlüssel führte ich, die rostigsten aller Schlüssel; und ich verstand es, +damit das knarrendste aller Thore zu öffnen. +</p> + +<p> +Einem bitterbösen Gekrächze gleich lief der Ton durch die langen Gänge, wenn +sich des Thores Flügel hoben: unhold schrie dieser Vogel, ungern wollte er +geweckt sein. +</p> + +<p> +Aber furchtbarer noch und herzzuschnürender war es, wenn es wieder schwieg und +rings stille ward, und ich allein sass in diesem tückischen Schweigen. +</p> + +<p> +So gieng mir und schlich die Zeit, wenn Zeit es noch gab: was weiss ich davon! +Aber endlich geschah das, was mich weckte. +</p> + +<p> +Dreimal schlugen Schläge an’s Thor, gleich Donnern, es hallten und +heulten die Gewölbe dreimal wieder: da gieng ich zum Thore. +</p> + +<p> +Alpa! rief ich, wer trägt seine Asche zu Berge? Alpa! Alpa! Wer trägt seine +Asche zu Berge? +</p> + +<p> +Und ich drückte den Schlüssel und hob am Thore und mühte mich. Aber noch keinen +Fingerbreit stand es offen: +</p> + +<p> +Da riss ein brausender Wind seine Flügel auseinander: pfeifend, schrillend und +schneidend warf er mir einen schwarzen Sarg zu: +</p> + +<p> +Und im Brausen und Pfeifen und Schrillen zerbarst der Sarg und spie +tausendfältiges Gelächter aus. +</p> + +<p> +Und aus tausend Fratzen von Kindern, Engeln, Eulen, Narren und kindergrossen +Schmetterlingen lachte und höhnte und brauste es wider mich. +</p> + +<p> +Grässlich erschrak ich darob: es warf mich nieder. Und ich schrie vor Grausen, +wie nie ich schrie. +</p> + +<p> +Aber der eigne Schrei weckte mich auf:—und ich kam zu mir.— +</p> + +<p> +Also erzählte Zarathustra seinen Traum und schwieg dann: denn er wusste noch +nicht die Deutung seines Traumes. Aber der jünger, den er am meisten lieb +hatte, erhob sich schnell, fasste die Hand Zarathustra’s und sprach: +</p> + +<p> +„Dein Leben selber deutet uns diesen Traum, oh Zarathustra! +</p> + +<p> +Bist du nicht selber der Wind mit schrillem Pfeifen, der den Burgen des Todes +die Thore aufreisst? +</p> + +<p> +Bist du nicht selber der Sarg voll bunter Bosheiten und Engelsfratzen des +Lebens? +</p> + +<p> +Wahrlich, gleich tausendfältigem Kindsgelächter kommt Zarathustra in alle +Todtenkammern, lachend über diese Nacht- und Grabwächter, und wer sonst mit +düstern Schlüsseln rasselt. +</p> + +<p> +Schrecken und umwerfen wirst du sie mit deinem Gelächter; Ohnmacht und +Wachwerden wird deine Macht über sie beweisen. +</p> + +<p> +Und auch, wenn die lange Dämmerung kommt und die Todesmüdigkeit, wirst du an +unserm Himmel, nicht untergehn, du Fürsprecher des Lebens! +</p> + +<p> +Neue Sterne liessest du uns sehen und neue Nachtherrlichkeiten; wahrlich, das +Lachen selber spanntest du wie ein buntes Gezelt über uns. +</p> + +<p> +Nun wird immer Kindes-Lachen aus Särgen quellen; nun wird immer siegreich ein +starker Wind kommen aller Todesmüdigkeit: dessen bist du uns selber Bürge und +Wahrsager! +</p> + +<p> +Wahrlich, <i>sie selber träumtest du</i>, deine Feinde: das war dein schwerster +Traum! +</p> + +<p> +Aber wie du von ihnen aufwachtest und zu dir kamst, also sollen sie selber von +sich aufwachen—und zu dir kommen!“— +</p> + +<p> +So sprach der jünger; und alle Anderen drängten sich nun um Zarathustra und +ergriffen ihn bei den Händen und wollten ihn bereden, dass er vom Bette und von +der Traurigkeit lasse und zu ihnen zurückkehre. Zarathustra aber sass +aufgerichtet auf seinem Lager, und mit fremdem Blicke. Gleichwie Einer, der aus +langer Fremde heimkehrt, sah er auf seine Jünger und prüfte ihre Gesichter; und +noch erkannte er sie nicht. Als sie aber ihn hoben und auf die Füsse stellten, +siehe, da verwandelte sich mit Einem Male sein Auge; er begriff Alles, was +geschehen war, strich sich den Bart und sagte mit starker Stimme: +</p> + +<p> +„Wohlan! Diess nun hat seine Zeit; sorgt mir aber dafür, meine jünger, dass wir +eine gute Mahlzeit machen, und in Kürze! Also gedenke ich Busse zu thun für +schlimme Träume! +</p> + +<p> +Der Wahrsager aber soll an meiner Seite essen und trinken: und wahrlich, ich +will ihm noch ein Meer zeigen, in dem er ertrinken kann!“ +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra. Darauf aber blickte er dem jünger, welcher den +Traumdeuter abgegeben hatte, lange in’s Gesicht und schüttelte dabei den +Kopf. - +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap44"></a>Von der Erlösung</h3> + +<p> +Als Zarathustra eines Tags über die grosse Brücke gieng, umringten ihn die +Krüppel und Bettler, und ein Bucklichter redete also zu ihm: +</p> + +<p> +„Siehe, Zarathustra! Auch das Volk lernt von dir und gewinnt Glauben an deine +Lehre: aber dass es ganz dir glauben soll, dazu bedarf es noch Eines—du +musst erst noch uns Krüppel überreden! Hier hast du nun eine schöne Auswahl und +wahrlich, eine Gelegenheit mit mehr als Einem Schopfe! Blinde kannst du heilen +und Lahme laufen machen; und Dem, der zuviel hinter sich hat, könntest du wohl +auch ein Wenig abnehmen:—das, meine ich, wäre die rechte Art, die Krüppel +an Zarathustra glauben zu machen!“ +</p> + +<p> +Zarathustra aber erwiderte Dem, der da redete, also: „Wenn man dem Bucklichten +seinen Buckel nimmt, so nimmt man ihm seinen Geist—also lehrt das Volk. +Und wenn man dem Blinden seine Augen giebt, so sieht er zuviel schlimme Dinge +auf Erden: also dass er Den verflucht, der ihn heilte. Der aber, welcher den +Lahmen laufen macht, der thut ihm den grössten Schaden an: denn kaum kann er +laufen, so gehn seine Laster mit ihm durch—also lehrt das Volk über +Krüppel. Und warum sollte Zarathustra nicht auch vom Volke lernen, wenn das +Volk von Zarathustra lernt? +</p> + +<p> +Das ist mir aber das Geringste, seit ich unter Menschen bin, dass ich sehe: +„Diesem fehlt ein Auge und jenem ein Ohr und einem Dritten das Bein, und +Andre giebt es, die verloren die Zunge oder die Nase oder den Kopf.“ +</p> + +<p> +Ich sehe und sah Schlimmeres und mancherlei so Abscheuliches, dass ich nicht +von Jeglichem reden und von Einigem nicht einmal schweigen möchte: nämlich +Menschen, denen es an Allem fehlt, ausser dass sie Eins zuviel +haben—Menschen, welche Nichts weiter sind als ein grosses Auge, oder ein +grosses Maul oder ein grosser Bauch oder irgend etwas Grosses,—umgekehrte +Krüppel heisse ich Solche. +</p> + +<p> +Und als ich aus meiner Einsamkeit kam und zum ersten Male über diese Brücke +gieng: da traute ich meinen Augen nicht und sah hin, und wieder hin, und sagte +endlich: „das ist ein Ohr! Ein Ohr, so gross wie ein Mensch!“ Ich +sah noch besser hin: und wirklich, unter dem Ohre bewegte sich noch Etwas, das +zum Erbarmen klein und ärmlich und schmächtig war. Und wahrhaftig, das +ungeheure Ohr sass auf einem kleinen dünnen Stiele,—der Stiel aber war +ein Mensch! Wer ein Glas vor das Auge nahm, konnte sogar noch ein kleines +neidisches Gesichtchen erkennen; auch, dass ein gedunsenes Seelchen am Stiele +baumelte. Das Volk sagte mir aber, das grosse Ohr sei nicht nur ein Mensch, +sondern ein grosser Mensch, ein Genie. Aber ich glaubte dem Volke niemals, wenn +es von grossen Menschen redete—und behielt meinen Glauben bei, dass es +ein umgekehrter Krüppel sei, der an Allem zu wenig und an Einem zu viel habe.“ +</p> + +<p> +Als Zarathustra so zu dem Bucklichten geredet hatte und zu Denen, welchen er +Mundstück und Fürsprecher war, wandte er sich mit tiefem Unmuthe zu seinen +Jüngern und sagte: +</p> + +<p> +„Wahrlich, meine Freunde, ich wandle unter den Menschen wie unter den +Bruchstücken und Gliedmaassen von Menschen! +</p> + +<p> +Diess ist meinem Auge das Fürchterliche, dass ich den Menschen zertrümmert +finde und zerstreuet wie über ein Schlacht- und Schlächterfeld hin. +</p> + +<p> +Und flüchtet mein Auge vom Jetzt zum Ehemals: es findet immer das Gleiche: +Bruchstücke und Gliedmaassen und grause Zufälle—aber keine Menschen! +</p> + +<p> +Das jetzt und das Ehemals auf Erden—ach! meine Freunde—das, ist +<i>mein</i> Unerträglichstes; und ich wüsste nicht zu leben, wenn ich nicht +noch ein Seher wäre, dessen, was kommen muss. +</p> + +<p> +Ein Seher, ein Wollender, ein Schaffender, eine Zukunft selber und eine Brücke +zur Zukunft—und ach, auch noch gleichsam ein Krüppel an dieser Brücke: +das Alles ist Zarathustra. +</p> + +<p> +Und auch ihr fragtet euch oft: „wer ist uns Zarathustra? Wie soll er uns +heissen?“ Und gleich mir selber gabt ihr euch Fragen zur Antwort. +</p> + +<p> +Ist er ein Versprechender? Oder ein Erfüller? Ein Erobernder? Oder ein +Erbender? Ein Herbst? Oder eine Pflugschar? Ein Arzt? Oder ein Genesener? +</p> + +<p> +Ist er ein Dichter? Oder ein Wahrhaftiger? Ein Befreier? Oder ein Bändiger? Ein +Guter? Oder ein Böser? +</p> + +<p> +Ich wandle unter Menschen als den Bruchstücken der Zukunft: jener Zukunft, die +ich schaue. +</p> + +<p> +Und das ist all mein Dichten und Trachten, dass ich in Eins dichte und +zusammentragen was Bruchstück ist und Räthsel und grauser Zufall. +</p> + +<p> +Und wie ertrüge ich es, Mensch zu sein, wenn der Mensch nicht auch Dichter und +Räthselrather und der Erlöser des Zufalls wäre! +</p> + +<p> +Die Vergangnen zu erlösen und alles „Es war“ umzuschauen in ein +„So wollte ich es!“—das hiesse mir erst Erlösung! +</p> + +<p> +Wille—so heisst der Befreier und Freudebringer: also lehrte ich euch, +meine Freunde! Und nun lernt diess hinzu: der Wille selber ist noch ein +Gefangener. +</p> + +<p> +Wollen befreit: aber wie heisst Das, was auch den Befreier noch in Ketten +schlägt? +</p> + +<p> +„Es war“: also heisst des Willens Zähneknirschen und einsamste +Trübsal. Ohnmächtig gegen Das, was gethan ist—ist er allem Vergangenen +ein böser Zuschauer. +</p> + +<p> +Nicht zurück kann der Wille wollen; dass er die Zeit nicht brechen kann und der +Zeit Begierde,—das ist des Willens einsamste Trübsal. +</p> + +<p> +Wollen befreit: was ersinnt sich das Wollen selber, dass es los seiner Trübsal +werde und seines Kerkers spotte? +</p> + +<p> +Ach, ein Narr wird jeder Gefangene! Närrisch erlöst sich auch der gefangene +Wille. +</p> + +<p> +Dass die Zeit nicht zurückläuft, das ist sein Ingrimm; „Das, was +war“—so heisst der Stein, den er nicht wälzen kann. +</p> + +<p> +Und so wälzt er Steine aus Ingrimm und Unmuth und übt Rache an dem, was nicht +gleich ihm Grimm und Unmuth fühlt. +</p> + +<p> +Also wurde der Wille, der Befreier, ein Wehethäter: und an Allem, was leiden +kann, nimmt er Rache dafür, dass er nicht zurück kann. +</p> + +<p> +Diess, ja diess allein ist <i>Rache</i> selber: des Willens Widerwille gegen +die Zeit und ihr „Es war.“ +</p> + +<p> +Wahrlich, eine grosse Narrheit wohnt in unserm Willen; und zum Fluche wurde es +allem Menschlichen, dass diese Narrheit Geist lernte! +</p> + +<p> +Der Geist der Rache: meine Freunde, das war bisher der Menschen bestes +Nachdenken; und wo Leid war, da sollte immer Strafe sein. +</p> + +<p> +„Strafe“ nämlich, so heisst sich die Rache selber: mit einem +Lügenwort heuchelt sie sich ein gutes Gewissen. +</p> + +<p> +Und weil im Wollenden selber Leid ist, darob dass es nicht zurück wollen kann, +—also sollte Wollen selber und alles Leben—Strafe sein! +</p> + +<p> +Und nun wälzte sich Wolke auf Wolke über den Geist: bis endlich der Wahnsinn +predigte: „Alles vergeht, darum ist Alles werth zu vergehn!“ +</p> + +<p> +„Und diess ist selber Gerechtigkeit, jenes Gesetz der Zeit, dass sie ihre +Kinder fressen muss“: also predigte der Wahnsinn. +</p> + +<p> +„Sittlich sind die Dinge geordnet nach Recht und Strafe. Oh wo ist die +Erlösung vom Fluss der Dinge und der Strafe Dasein“? Also predigte der +Wahnsinn. +</p> + +<p> +„Kann es Erlösung geben, wenn es ein ewiges Recht giebt? Ach, unwälzbar +ist der Stein „Es war“: ewig müssen auch alle Strafen sein!“ Also +predigte der Wahnsinn. +</p> + +<p> +„Keine That kann vernichtet werden: wie könnte sie durch die Strafe +ungethan werden! Diess, diess ist das Ewige an der Strafe „Dasein“, +dass das Dasein auch ewig wieder That und Schuld sein muss! +</p> + +<p> +Es sei denn, dass der Wille endlich sich selber erlöste und Wollen zu +Nicht-Wollen würde—“: doch ihr kennt, meine Brüder, diess Fabellied +des Wahnsinns! +</p> + +<p> +Weg führte ich euch von diesen Fabelliedern, als ich euch lehrte: „der +Wille ist ein Schaffender.“ +</p> + +<p> +Alles „Es war“ ist ein Bruchstück, ein Räthsel, ein grauser +Zufall—bis der schaffende Wille dazu sagt: „aber so wollte ich +es!“ +</p> + +<p> +Bis der schaffende Wille dazu sagt: „Aber so will ich es! So werde +ich’s wollen!“ +</p> + +<p> +Aber sprach er schon so? Und wann geschieht diess? Ist der Wille schon +abgeschirrt von seiner eignen Thorheit? +</p> + +<p> +Wurde der Wille sich selber schon Erlöser und Freudebringer? Verlernte er den +Geist der Rache und alles Zähneknirschen? +</p> + +<p> +Und wer lehrte ihn Versöhnung mit der Zeit, und Höheres als alle Versöhnung +ist? +</p> + +<p> +Höheres als alle Versöhnung muss der Wille wollen, welcher der Wille zur Macht +ist—: doch wie geschieht ihm das? Wer lehrte ihn auch noch das +Zurückwollen?“ +</p> + +<p> +—Aber an dieser Stelle seiner Rede geschah es, dass Zarathustra plötzlich +innehielt und ganz einem Solchen gleich sah, der auf das Äusserste erschrickt. +Mit erschrecktem Auge blickte er auf seine Jünger; sein Auge durchbohrte wie +mit Pfeilen ihre Gedanken und Hintergedanken. Aber nach einer kleinen Weile +lachte er schon wieder und sagte begütigt: +</p> + +<p> +„Es ist schwer, mit Menschen zu leben, weil Schweigen so schwer ist. Sonderlich +für einen Geschwätzigen.“— +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra. Der Bucklichte aber hatte dem Gespräche zugehört und +sein Gesicht dabei bedeckt; als er aber Zarathustra lachen hörte, blickte er +neugierig auf und sagte langsam: +</p> + +<p> +„Aber warum redet Zarathustra anders zu uns als zu seinen Jüngern?“ +</p> + +<p> +Zarathustra antwortete: „Was ist da zum Verwundern! Mit Bucklichten darf man +schon bucklicht reden!“ +</p> + +<p> +„Gut, sagte der Bucklichte; und mit Schülern darf man schon aus der Schule +schwätzen. +</p> + +<p> +Aber warum redet Zarathustra anders zu seinen Schülern—als zu sich +selber?“— +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap45"></a>Von der Menschen-Klugheit</h3> + +<p> +Nicht die Höhe: der Abhang ist das Furchtbare! +</p> + +<p> +Der Abhang, wo der Blick <i>hinunter</i> stürzt und die Hand <i>hinauf</i> +greift. Da schwindelt dem Herzen vor seinem doppelten Willen. +</p> + +<p> +Ach, Freunde, errathet ihr wohl auch meines Herzens doppelten Willen? +</p> + +<p> +Das, Das ist <i>mein</i> Abhang und meine Gefahr, dass mein Blick in die Höhe +stürzt, und dass meine Hand sich halten und stützen möchte—an der Tiefe! +</p> + +<p> +An den Menschen klammert sich mein Wille, mit Ketten binde ich mich an den +Menschen, weil es mich hinauf reisst zum Obermenschen: denn dahin will mein +andrer Wille. +</p> + +<p> +Und <i>dazu</i> lebe ich blind unter den Menschen; gleich als ob ich sie nicht +kennte: dass meine Hand ihren Glauben an Festes nicht ganz verliere. +</p> + +<p> +Ich kenne euch Menschen nicht: diese Finsterniss und Tröstung ist oft um mich +gebreitet. +</p> + +<p> +Ich sitze am Thorwege für jeden Schelm und frage: wer will mich betrügen? +</p> + +<p> +Das ist meine erste Menschen-Klugheit, dass ich mich betrügen lasse, um nicht +auf der Hut zu sein vor Betrügern. +</p> + +<p> +Ach, wenn ich auf der Hut wäre vor dem Menschen: wie könnte meinem Balle der +Mensch ein Anker sein! Zu leicht risse es mich hinauf und hinweg! +</p> + +<p> +Diese Vorsehung ist über meinem Schicksal, dass ich ohne Vorsicht sein muss. +</p> + +<p> +Und wer unter Menschen nicht verschmachten will, muss lernen, aus allen Gläsern +zu trinken; und wer unter Menschen rein bleiben will, muss verstehn, sich auch +mit schmutzigem Wasser zu waschen. +</p> + +<p> +Und also sprach ich oft mir zum Troste: „Wohlan! Wohlauf! Altes Herz! Ein +Unglück missrieth dir: geniesse diess als dein—Glück!“ +</p> + +<p> +Diess aber ist meine andre Menschen-Klugheit: ich schone die <i>Eitlen</i> mehr +als die Stolzen. +</p> + +<p> +Ist nicht verletzte Eitelkeit die Mutter aller Trauerspiele? Wo aber Stolz +verletzt wird, da wächst wohl etwas Besseres noch, als Stolz ist. +</p> + +<p> +Damit das Leben gut anzuschaun sei, muss sein Spiel gut gespielt werden: dazu +aber bedarf es guter Schauspieler. +</p> + +<p> +Gute Schauspieler fand ich alle Eitlen: sie spielen und wollen, dass ihnen gern +zugeschaut werde,—all ihr Geist ist bei diesem Willen. +</p> + +<p> +Sie führen sich auf, sie erfinden sich; in ihrer Nähe liebe ich’s, dem +Leben zuzuschaun,—es heilt von der Schwermuth. +</p> + +<p> +Darum schone ich die Eitlen, weil sie mir Arzte sind meiner Schwermuth und mich +am Menschen fest halten als an einem Schauspiele. +</p> + +<p> +Und dann: wer ermisst am Eitlen die ganze Tiefe seiner Bescheidenheit! Ich bin +ihm gut und mitleidig ob seiner Bescheidenheit. +</p> + +<p> +Von euch will er seinen Glauben an sich lernen; er nährt sich an euren Blicken, +er frisst das Lob aus euren Händen. +</p> + +<p> +Euren Lügen glaubt er noch, wenn ihr gut über ihn lügt: denn im Tiefsten seufzt +sein Herz: „was bin <i>ich</i>!“ +</p> + +<p> +Und wenn das die rechte Tugend ist, die nicht um sich selber weiss: nun, der +Eitle weiss nicht um seine Bescheidenheit!— +</p> + +<p> +Das ist aber meine dritte Menschen-Klugheit, dass ich mir den Anblick der Bösen +nicht verleiden lasse durch eure Furchtsamkeit. +</p> + +<p> +Ich bin selig, die Wunder zu sehn, welche heisse Sonne ausbrütet: Tiger und +Palmen und Klapperschlangen. +</p> + +<p> +Auch unter Menschen giebt es schöne Brut heisser Sonne und viel Wunderwürdiges +an den Bösen. +</p> + +<p> +Zwar, wie eure Weisesten mir nicht gar so weise erschienen: so fand ich auch +der Menschen Bosheit unter ihrem Rufe. +</p> + +<p> +Und oft fragte ich mit Kopfschütteln: Warum noch klappern, ihr +Klapperschlangen? +</p> + +<p> +Wahrlich, es giebt auch für das Böse noch eine Zukunft! Und der heisseste Süden +ist noch nicht entdeckt für den Menschen. +</p> + +<p> +Wie Manches heisst jetzt schon ärgste Bosheit, was doch nur zwölf Schuhe breit +und drei Monate lang ist! Einst aber werden grössere Drachen zur Welt kommen. +</p> + +<p> +Denn dass dem Übermenschen sein Drache nicht fehle, der Über-Drache, der seiner +würdig ist: dazu muss viel heisse Sonne noch auf feuchten Urwald glühen! +</p> + +<p> +Aus euren Wildkatzen müssen erst Tiger geworden sein und aus euren Giftkröten +Krokodile: denn der gute Jäger soll eine gute Jagd haben! +</p> + +<p> +Und wahrlich, ihr Guten und Gerechten! An euch ist Viel zum Lachen und zumal +eure Furcht vor dem, was bisher „Teufel“ hiess! +</p> + +<p> +So fremd seid ihr dem Grossen mit eurer Seele, dass euch der Übermensch +<i>furchtbar</i> sein würde in seiner Güte! +</p> + +<p> +Und ihr Weisen und Wissenden, ihr würdet vor dem Sonnenbrande der Weisheit +flüchten, in dem der Übermensch mit Lust seine Nacktheit badet! +</p> + +<p> +Ihr höchsten Menschen, denen mein Auge begegnete! das ist mein Zweifel an euch +und mein heimliches Lachen: ich rathe, ihr würdet meinen +Übermenschen—Teufel heissen! +</p> + +<p> +Ach, ich ward dieser Höchsten und Besten müde: aus ihrer „Höhe“ verlangte mich +hinauf, hinaus, hinweg zu dem Übermenschen! +</p> + +<p> +Ein Grausen überfiel mich, als ich diese Besten nackend sah: da wuchsen mir die +Flügel, fortzuschweben in ferne Zukünfte. +</p> + +<p> +In fernere Zukünfte, in südlichere Süden, als je ein Bildner träumte: dorthin, +wo Götter sich aller Kleider schämen! +</p> + +<p> +Aber verkleidet will ich <i>euch</i> sehn, ihr Nächsten und Mitmenschen, und +gut geputzt, und eitel, und würdig, als „die Guten und Gerechten,“— +</p> + +<p> +Und verkleidet will ich selber unter euch sitzen,—dass ich euch und mich +<i>verkenne</i>: das ist nämlich meine letzte Menschen-Klugheit. +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap46"></a>Die stillste Stunde</h3> + +<p> +„Was geschah mir, meine Freunde? Ihr seht mich verstört, fortgetrieben, +unwillig-folgsam, bereit zu gehen—ach, von <i>euch</i> fortzugehen! +</p> + +<p> +Ja, noch Ein Mal muss Zarathustra in seine Einsamkeit: aber unlustig geht +diessmal der Bär zurück in seine Höhle! +</p> + +<p> +Was geschah mir? Wer gebeut diess?—Ach, meine zornige Herrin will es so, +sie sprach zu mir: nannte ich je euch schon ihren Namen? +</p> + +<p> +Gestern gen Abend sprach zu mir <i>meine stillste Stunde</i>: das ist der Name +meiner furchtbaren Herrin. +</p> + +<p> +Und so geschah’s,—denn Alles muss ich euch sagen, dass euer Herz +sich nicht verhärte gegen den plötzlich Scheidenden! +</p> + +<p> +Kennt ihr den Schrecken des Einschlafenden?— +</p> + +<p> +Bis in die Zehen hinein erschrickt er, darob, dass ihm der Boden weicht und der +Traum beginnt. +</p> + +<p> +Dieses sage ich euch zum Gleichniss. Gestern, zur stillsten Stunde, wich mir +der Boden: der Traum begann. +</p> + +<p> +Der Zeiger rückte, die Uhr meines Lebens holte Athem—nie hörte ich solche +Stille um mich: also dass mein Herz erschrak. +</p> + +<p> +Dann sprach es ohne Stimme zu mir: „Du weisst es, +Zarathustra?“— +</p> + +<p> +Und ich schrie vor Schrecken bei diesem Flüstern, und das Blut wich aus meinem +Gesichte: aber ich schwieg. +</p> + +<p> +Da sprach es abermals ohne Stimme zu mir: „Du weisst es, Zarathustra, +aber du redest es nicht!“— +</p> + +<p> +Und ich antwortete endlich gleich einem Trotzigen: „Ja, ich weiss es, +aber ich will es nicht reden!“ +</p> + +<p> +Da sprach es wieder ohne Stimme zu mir: „Du <i>willst</i> nicht, +Zarathustra? Ist diess auch wahr? Verstecke dich nicht in deinen +Trotz!“— +</p> + +<p> +Und ich weinte und zitterte wie ein Kind und sprach: „Ach, ich wollte +schon, aber wie kann ich es! Erlass mir diess nur! Es ist über meine +Kraft!“ +</p> + +<p> +Da sprach es wieder ohne Stimme zu mir: „Was liegt an dir, Zarathustra! +Sprich dein Wort und zerbrich!“— +</p> + +<p> +Und ich antwortete: „Ach, ist es <i>mein</i> Wort? Wer bin ich? Ich warte +des Würdigeren; ich bin nicht werth, an ihm auch nur zu zerbrechen.“ +</p> + +<p> +Da sprach es wieder ohne Stimme zu mir: „Was liegt an dir? Du bist mir +noch nicht demüthig genug. Die Demuth hat das härteste Fell.“— +</p> + +<p> +Und ich antwortete: „Was trug nicht schon das Fell meiner Demuth! Am +Fusse wohne ich meiner Höhe: wie hoch meine Gipfel sind? Niemand sagte es mir +noch. Aber gut kenne ich meine Thäler.“ +</p> + +<p> +Da sprach es wieder ohne Stimme zu mir: „Oh Zarathustra, wer Berge zu +versetzen hat, der versetzt auch Thäler und Niederungen.“— +</p> + +<p> +Und ich antwortete: „Noch versetzte mein Wort keine Berge, und was ich +redete, erreichte die Menschen nicht. Ich gieng wohl zu den Menschen, aber noch +langte ich nicht bei ihnen an.“ +</p> + +<p> +Da sprach es wieder ohne Stimme zu mir: „Was weisst du <i>davon</i>! Der +Thau fällt auf das Gras, wenn die Nacht am verschwiegensten ist.“— +</p> + +<p> +Und ich antwortete: „sie verspotteten mich, als ich meinen eigenen Weg +fand und gieng; und in Wahrheit zitterten damals meine Füsse.“ +</p> + +<p> +Und so sprachen sie zu mir: „du verlerntest den Weg, nun verlernst du +auch das Gehen!“ +</p> + +<p> +Da sprach es wieder ohne Stimme zu mir: „Was liegt an ihrem Spotte! Du +bist Einer, der das Gehorchen verlernt hat: nun sollst du befehlen! +</p> + +<p> +Weisst du nicht, <i>wer</i> Allen am nöthigsten thut? Der Grosses befiehlt. +</p> + +<p> +Grosses vollführen ist schwer: aber das Schwerere ist, Grosses befehlen. +</p> + +<p> +Das ist dein Unverzeihlichstes: du hast die Macht, und du willst nicht +herrschen.“— +</p> + +<p> +Und ich antwortete: „Mir fehlt des Löwen Stimme zu allem Befehlen.“ +</p> + +<p> +Da sprach es wieder wie ein Flüstern zu mir: „Die stillsten Worte sind +es, welche den Sturm bringen. Gedanken, die mit Taubenfüssen kommen, lenken die +Welt. +</p> + +<p> +Oh Zarathustra, du sollst gehen als ein Schatten dessen, was kommen muss: so +wirst du befehlen und befehlend vorangehen.“— +</p> + +<p> +Und ich antwortete: „Ich schäme mich.“ +</p> + +<p> +Da sprach es wieder ohne Stimme zu mir: „Du musst noch Kind werden und +ohne Scham. +</p> + +<p> +Der Stolz der Jugend ist noch auf dir, spät bist du jung geworden: aber wer zum +Kinde werden will, muss auch noch seine Jugend überwinden.“— +</p> + +<p> +Und ich besann mich lange und zitterte. Endlich aber sagte ich, was ich zuerst +sagte: „Ich will nicht.“ +</p> + +<p> +Da geschah ein Lachen um mich. Wehe, wie diess Lachen mir die Eingeweide +zerriss und das Herz aufschlitzte! +</p> + +<p> +Und es sprach zum letzten Male zu mir: „Oh Zarathustra, deine Früchte +sind reif, aber du bist nicht reif für deine Früchte! +</p> + +<p> +So musst du wieder in die Einsamkeit: denn du sollst noch mürbe +werden.“— +</p> + +<p> +Und wieder lachte es und floh: dann wurde es stille um mich wie mit einer +zwiefachen Stille. Ich aber lag am Boden, und der Schweiss floss mir von den +Gliedern. +</p> + +<p> +—Nun hörtet ihr Alles, und warum ich in meine Einsamkeit zurück muss. +Nichts verschwieg ich euch, meine Freunde. +</p> + +<p> +Aber auch diess hörtet ihr von mir, <i>wer</i> immer noch aller Menschen +Verschwiegenster ist—und es sein will! +</p> + +<p> +Ach meine Freunde! Ich hätte euch noch Etwas zu sagen, ich hätte euch noch +Etwas zu geben! Warum gebe ich es nicht? Bin ich denn geizig?“— +</p> + +<p> +Als Zarathustra aber diese Worte gesprochen hatte, überfiel ihn die Gewalt des +Schmerzes und die Nähe des Abschieds von seinen Freunden, also dass er laut +weinte; und Niemand wusste ihn zu trösten. Des Nachts aber gieng er allein fort +und verliess seine Freunde. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="part03"></a>Dritter Theil</h2> + +<p class="poem"> +„Ihr seht nach Oben, wenn ihr nach Erhebung verlangt. Und ich sehe hinab, +weil ich erhoben bin.<br/> +    Wer von euch kann zugleich lachen und erhoben sein?<br/> +    Wer auf den höchsten Bergen steigt, der lacht über alle Trauer-Spiele und +Trauer-Ernste.“ +</p> + +<p class="right"> +Zarathustra, vom Lesen und Schreiben. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap47"></a>Der Wanderer</h3> + +<p> +Um Mitternacht war es, da nahm Zarathustra seinen Weg über den Rücken der +Insel, dass er mit dem frühen Morgen an das andre Gestade käme: denn dort +wollte er zu Schiff steigen. Es gab nämlich allda eine gute Rhede, an der auch +fremde Schiffe gern vor Anker giengen; die nahmen Manchen mit sich, der von den +glückseligen Inseln über das Meer wollte. Als nun Zarathustra so den Berg +hinanstieg, gedachte er unterwegs des vielen einsamen Wanderns von Jugend an, +und wie viele Berge und Rücken und Gipfel er schon gestiegen sei. +</p> + +<p> +Ich bin ein Wanderer und ein Bergsteiger, sagte er zu seinem Herzen, ich liebe +die Ebenen nicht und es scheint, ich kann nicht lange still sitzen. +</p> + +<p> +Und was mir nun auch noch als Schicksal und Erlebniss komme,—ein Wandern +wird darin sein und ein Bergsteigen: man erlebt endlich nur noch sich selber. +</p> + +<p> +Die Zeit ist abgeflossen, wo mir noch Zufälle begegnen durften; und was +<i>könnte</i> jetzt noch zu mir fallen, was nicht schon mein Eigen wäre! +</p> + +<p> +Es kehrt nur zurück, es kommt mir endlich heim—mein eigen Selbst, und was +von ihm lange in der Fremde war und zerstreut unter alle Dinge und Zufälle. +</p> + +<p> +Und noch Eins weiss ich: ich stehe jetzt vor meinem letzten Gipfel und vor dem, +was mir am längsten aufgespart war. Ach, meinen härtesten Weg muss ich hinan! +Ach, ich begann meine einsamste Wanderung! +</p> + +<p> +Wer aber meiner Art ist, der entgeht einer solchen Stunde nicht: der Stunde, +die zu ihm redet: „Jetzo erst gehst du deinen Weg der Grösse! Gipfel und +Abgrund—das ist jetzt in Eins beschlossen! +</p> + +<p> +Du gehst deinen Weg der Grösse: nun ist deine letzte Zuflucht worden, was +bisher deine letzte Gefahr hiess! +</p> + +<p> +Du gehst deinen Weg der Grösse: das muss nun dein bester Muth sein, dass es +hinter dir keinen Weg mehr giebt! +</p> + +<p> +Du gehst deinen Weg der Grösse; hier soll dir Keiner nachschleichen! Dein Fuss +selber löschte hinter dir den Weg aus, und über ihm steht geschrieben: +Unmöglichkeit. +</p> + +<p> +Und wenn dir nunmehr alle Leitern fehlen, so musst du verstehen, noch auf +deinen eigenen Kopf zu steigen: wie wolltest du anders aufwärts steigen? +</p> + +<p> +Auf deinen eigenen Kopf und hinweg über dein eigenes Herz! Jetzt muss das +Mildeste an dir noch zum Härtesten werden. +</p> + +<p> +Wer sich stets viel geschont hat, der kränkelt zuletzt an seiner vielen +Schonung. Gelobt sei, was hart macht! Ich lobe das Land nicht, wo Butter und +Honig—fliesst! +</p> + +<p> +Von sich <i>absehn</i> lernen ist nöthig, um <i>Viel</i> zu sehn:—diese +Härte thut jedem Berge-Steigenden Noth. +</p> + +<p> +Wer aber mit den Augen zudringlich ist als Erkennender, wie sollte der von +allen Dingen mehr als ihre vorderen Gründe sehn! +</p> + +<p> +Du aber, oh Zarathustra, wolltest aller Dinge Grund schaun und Hintergrund: so +musst du schon über dich selber steigen,—hinan, hinauf, bis du auch deine +Sterne noch <i>unter</i> dir hast! +</p> + +<p> +Ja! Hinab auf mich selber sehn und noch auf meine Sterne: das erst hiesse mir +mein <i>Gipfel</i>, das blieb mir noch zurück als mein <i>letzter</i> Gipfel!—“ +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra im Steigen zu sich, mit harten Sprüchlein sein Herz +tröstend: denn er war wund am Herzen wie noch niemals zuvor. Und als er auf die +Höhe des Bergrückens kam, siehe, da lag das andere Meer vor ihm ausgebreitet: +und er stand still und schwieg lange. Die Nacht aber war kalt in dieser Höhe +und klar und hellgestirnt. +</p> + +<p> +Ich erkenne mein Loos, sagte er endlich mit Trauer. Wohlan! Ich bin bereit. +Eben begann meine letzte Einsamkeit. +</p> + +<p> +Ach, diese schwarze traurige See unter mir! Ach, diese schwangere nächtliche +Verdrossenheit! Ach, Schicksal und See! Zu euch muss ich nun <i>hinab</i> +steigen! +</p> + +<p> +Vor meinem höchsten Berge stehe ich und vor meiner längsten Wanderung: darum +muss ich erst tiefer hinab als ich jemals stieg: +</p> + +<p> +—tiefer hinab in den Schmerz als ich jemals stieg, bis hinein in seine +schwärzeste Fluth! So will es mein Schicksal: Wohlan! Ich bin bereit. +</p> + +<p> +Woher kommen die höchsten Berge? so fragte ich einst. Da lernte ich, dass sie +aus dem Meere kommen. +</p> + +<p> +Diess Zeugniss ist in ihr Gestein geschrieben und in die Wände ihrer Gipfel. +Aus dem Tiefsten muss das Höchste zu seiner Höhe kommen.— +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra auf der Spitze des Berges, wo es kalt war; als er aber +in die Nähe des Meeres kam und zuletzt allein unter den Klippen stand, da war +er unterwegs müde geworden und sehnsüchtiger als noch zuvor. +</p> + +<p> +Es schläft jetzt Alles noch, sprach er; auch das Meer schläft. Schlaftrunken +und fremd blickt sein Auge nach mir. +</p> + +<p> +Aber es athmet warm, das fühle ich. Und ich fühle auch, dass es träumt. Es +windet sieh träumend auf harten Kissen. +</p> + +<p> +Horch! Horch! Wie es stöhnt von bösen Erinnerungen! Oder bösen Erwartungen? +</p> + +<p> +Ach, ich bin traurig mit dir, du dunkles Ungeheuer, und mir selber noch gram um +deinetwillen. +</p> + +<p> +Ach, dass meine Hand nicht Stärke genug hat! Gerne, wahrlich, möchte ich dich +von bösen Träumen erlösen!— +</p> + +<p> +Und indem Zarathustra so sprach, lachte er mit Schwermuth und Bitterkeit über +sich selber. „Wie! Zarathustra! sagte er, willst du noch dem Meere Trost +singen? +</p> + +<p> +Ach, du liebreicher Narr Zarathustra, du Vertrauens-Überseliger! Aber so warst +du immer: immer kamst du vertraulich zu allem Furchtbaren. +</p> + +<p> +Jedes Ungethüm wolltest du noch streicheln. Ein Hauch warmen Athems, ein Wenig +weiches Gezottel an der Tatze—: und gleich warst du bereit, es zu lieben +und zu locken. +</p> + +<p> +Die <i>Liebe</i> ist die Gefahr des Einsamsten, die Liebe zu Allem, wenn es nur +lebt! Zum Lachen ist wahrlich meine Narrheit und meine Bescheidenheit in der +Liebe!“— +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra und lachte dabei zum andern Male: da aber gedachte er +seiner verlassenen Freunde—, und wie als ob er sich mit seinen Gedanken +an ihnen vergangen habe, zürnte er sich ob seiner Gedanken. Und alsbald geschah +es, dass der Lachende weinte:—vor Zorn und Sehnsucht weinte Zarathustra +bitterlich. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap48"></a>Vom Gesicht und Räthsel</h3> + +<h4>1.</h4> + +<p> +Als es unter den Schiffsleuten ruchbar wurde, dass Zarathustra auf dem Schiffe +sei,—denn es war ein Mann zugleich mit ihm an Bord gegangen, der von den +glückseligen Inseln kam—da entstand eine grosse Neugierde und Erwartung. +Aber Zarathustra schwieg zwei Tage und war kalt und taub vor Traurigkeit, also, +dass er weder auf Blicke noch auf Fragen antwortete. Am Abende aber des zweiten +Tages that er seine Ohren wieder auf, ob er gleich noch schwieg: denn es gab +viel Seltsames und Gefährliches auf diesem Schiffe anzuhören, welches weither +kam und noch weiterhin wollte. Zarathustra aber war ein Freund aller Solchen, +die weite Reisen thun und nicht ohne Gefahr leben mögen. Und siehe! zuletzt +wurde ihm im Zuhören die eigne Zunge gelöst, und das Eis seines Herzens brach: +—da begann er also zu reden: +</p> + +<p> +Euch, den kühnen Suchern, Versuchern, und wer je sich mit listigen Segeln auf +furchtbare Meere einschiffte,— +</p> + +<p> +euch, den Räthsel-Trunkenen, den Zwielicht-Frohen, deren Seele mit Flöten zu +jedem Irr-Schlunde gelockt wird: +</p> + +<p> +—denn nicht wollt ihr mit feiger Hand einem Faden nachtasten; und, wo ihr +<i>errathen</i> könnt, da hasst ihr es, zu <i>erschliessen</i>— +</p> + +<p> +euch allein erzähle ich das Räthsel, das ich <i>sah</i>,—das Gesicht des +Einsamsten.— +</p> + +<p> +Düster gierig ich jüngst durch leichenfarbne Dämmerung,—düster und hart, +mit gepressten Lippen. Nicht nur Eine Sonne war mir untergegangen. +</p> + +<p> +Ein Pfad, der trotzig durch Geröll stieg, ein boshafter, einsamer, dem nicht +Kraut, nicht Strauch mehr zusprach: ein Bergpfad knirschte unter dem Trotz +meines Fusses. +</p> + +<p> +Stumm über höhnischem Geklirr von Kieseln schreitend, den Stein zertretend, der +ihn gleiten liess: also zwang mein Fuss sich aufwärts. +</p> + +<p> +Aufwärts:—dem Geiste zum Trotz, der ihn abwärts zog, abgrundwärts zog, +dem Geiste der Schwere, meinem Teufel und Erzfeinde. +</p> + +<p> +Aufwärts:—obwohl er auf mir sass, halb Zwerg, halb Maulwurf; lahm; +lähmend; Blei durch mein Ohr, Bleitropfen-Gedanken in mein Hirn träufelnd. +</p> + +<p> +„Oh Zarathustra, raunte er höhnisch Silb’ um Silbe, du Stein der +Weisheit! Du warfst dich hoch, aber jeder geworfene Stein muss—fallen! +</p> + +<p> +Oh Zarathustra, du Stein der Weisheit, du Schleuderstein, du +Stern-Zertrümmerer! Dich selber warfst du so hoch,—aber jeder geworfene +Stein - muss fallen! +</p> + +<p> +Verurtheilt zu dir selber und zur eignen Steinigung: oh Zarathustra, weit +warfst du ja den Stein,—aber auf <i>dich</i> wird er zurückfallen!“ +</p> + +<p> +Drauf schwieg der Zwerg; und das währte lange. Sein Schweigen aber drückte +mich; und solchermaassen zu Zwein ist man wahrlich einsamer als zu Einem! +</p> + +<p> +Ich stieg, ich stieg, ich träumte, ich dachte,—aber Alles drückte mich. +Einem Kranken glich ich, den seine schlimme Marter müde macht, und den wieder +ein schlimmerer Traum aus dem Einschlafen weckt.— +</p> + +<p> +Aber es giebt Etwas in mir, das ich Muth heisse: das schlug bisher mir jeden +Unmuth todt. Dieser Muth hiess mich endlich stille stehn und sprechen: „Zwerg! +Du! Oder ich!“— +</p> + +<p> +Muth nämlich ist der beste Todtschläger,—Muth, welcher <i>angreift</i>: +denn in jedem Angriffe ist klingendes Spiel. +</p> + +<p> +Der Mensch aber ist das muthigste Thier: damit überwand er jedes Thier. Mit +klingendem Spiele überwand er noch jeden Schmerz; Menschen-Schmerz aber ist der +tiefste Schmerz. +</p> + +<p> +Der Muth schlägt auch den Schwindel todt an Abgründen: und wo stünde der Mensch +nicht an Abgründen! Ist Sehen nicht selber—Abgründe sehen? +</p> + +<p> +Muth ist der beste Todtschläger: der Muth schlägt auch das Mitleiden todt. +Mitleiden aber ist der tiefste Abgrund: so tief der Mensch in das Leben sieht, +so tief sieht er auch in das Leiden. +</p> + +<p> +Muth aber ist der beste Todtschläger, Muth, der angreift: der schlägt noch den +Tod todt, denn er spricht: „War <i>das</i> das Leben? Wohlan! Noch Ein Mal!“ +</p> + +<p> +In solchem Spruche aber ist viel klingendes Spiel. Wer Ohren hat, der +höre.— +</p> + +<h4>2.</h4> + +<p> +„Halt! Zwerg! sprach ich. Ich! Oder du! Ich aber bin der Stärkere von uns +Beiden—: du kennst meinen abgründlichen Gedanken nicht! +<i>Den</i>—könntest du nicht tragen!“— +</p> + +<p> +Da geschah, was mich leichter machte: denn der Zwerg sprang mir von der +Schulter, der Neugierige! Und er hockte sich auf einen Stein vor mich hin. Es +war aber gerade da ein Thorweg, wo wir hielten. +</p> + +<p> +„Siehe diesen Thorweg! Zwerg! sprach ich weiter: der hat zwei Gesichter. Zwei +Wege kommen hier zusammen: die gieng noch Niemand zu Ende. +</p> + +<p> +Diese lange Gasse zurück: die währt eine Ewigkeit. Und jene lange Gasse hinaus +—das ist eine andre Ewigkeit. +</p> + +<p> +Sie widersprechen sich, diese Wege; sie stossen sich gerade vor den +Kopf:—und hier, an diesem Thorwege, ist es, wo sie zusammen kommen. Der +Name des Thorwegs steht oben geschrieben: „Augenblick“. +</p> + +<p> +Aber wer Einen von ihnen weiter gienge—und immer weiter und immer ferner: +glaubst du, Zwerg, dass diese Wege sich ewig widersprechen?“— +</p> + +<p> +„Alles Gerade lügt, murmelte verächtlich der Zwerg. Alle Wahrheit ist +krumm, die Zeit selber ist ein Kreis.“ +</p> + +<p> +„Du Geist der Schwere! sprach ich zürnend, mache dir es nicht zu leicht! Oder +ich lasse dich hocken, wo du hockst, Lahmfuss,—und ich trug dich +<i>hoch</i>! +</p> + +<p> +Siehe, sprach ich weiter, diesen Augenblick! Von diesem Thorwege Augenblick +läuft eine lange ewige Gasse <i>rückwärts</i> hinter uns liegt eine Ewigkeit. +</p> + +<p> +Muss nicht, was laufen <i>kann</i> von allen Dingen, schon einmal diese Gasse +gelaufen sein? Muss nicht, was geschehn <i>kann</i> von allen Dingen, schon +einmal geschehn, gethan, vorübergelaufen sein? +</p> + +<p> +Und wenn Alles schon dagewesen ist: was hältst du Zwerg von diesem Augenblick? +Muss auch dieser Thorweg nicht schon—dagewesen sein? +</p> + +<p> +Und sind nicht solchermaassen fest alle Dinge verknotet, dass dieser Augenblick +<i>alle</i> kommenden Dinge nach sich zieht? <i>Also</i>—- sich selber +noch? +</p> + +<p> +Denn, was laufen <i>kann</i> von allen Dingen: auch in dieser langen Gasse +<i>hinaus</i>—<i>muss</i> es einmal noch laufen!— +</p> + +<p> +Und diese langsame Spinne, die im Mondscheine kriecht, und dieser Mondschein +selber, und ich und du im Thorwege, zusammen flüsternd, von ewigen Dingen +flüsternd—müssen wir nicht Alle schon dagewesen sein? +</p> + +<p> +—und wiederkommen und in jener anderen Gasse laufen, hinaus, vor uns, in +dieser langen schaurigen Gasse—müssen wir nicht ewig +wiederkommen?—“ +</p> + +<p> +Also redete ich, und immer leiser: denn ich fürchtete mich vor meinen eignen +Gedanken und Hintergedanken. Da, plötzlich, hörte ich einen Hund nahe +<i>heulen</i>. +</p> + +<p> +Hörte ich jemals einen Hund so heulen? Mein Gedanke lief zurück. Ja! Als ich +Kind war, in fernster Kindheit: +</p> + +<p> +—da hörte ich einen Hund so heulen. Und sah ihn auch, gesträubt, den Kopf +nach Oben, zitternd, in stillster Mitternacht, wo auch Hunde an Gespenster +glauben: +</p> + +<p> +—also dass es mich erbarmte. Eben nämlich gieng der volle Mond, +todtschweigsam, über das Haus, eben stand er still, eine runde +Gluth,—still auf flachem Dache, gleich als auf fremdem Eigenthume:— +</p> + +<p> +darob entsetzte sich damals der Hund: denn Hunde glauben an Diebe und +Gespenster. Und als ich wieder so heulen hörte, da erbarmte es mich abermals. +</p> + +<p> +Wohin war jetzt Zwerg? und Thorweg? Und Spinne? Und alles Flüstern? Träumte ich +denn? Wachte ich auf? Zwischen wilden Klippen stand ich mit Einem Male, allein, +öde, im ödesten Mondscheine. +</p> + +<p> +Aber da lag ein Mensch! Und da! Der Hund, springend, gesträubt, +winselnd,—jetzt sah er mich kommen—da heulte er wieder, da +<i>schrie</i> er:—hörte ich je einen Hund so Hülfe schrein? +</p> + +<p> +Und, wahrlich, was ich sah, desgleichen sah ich nie. Einen jungen Hirten sah +ich, sich windend, würgend, zuckend, verzerrten Antlitzes, dem eine schwarze +schwere Schlange aus dem Munde hieng. +</p> + +<p> +Sah ich je so viel Ekel und bleiches Grauen auf Einem Antlitze? Er hatte wohl +geschlafen? Da kroch ihm die Schlange in den Schlund—da biss sie sich +fest. +</p> + +<p> +Meine Hand riss die Schlange und riss:—umsonst! sie riss die Schlange +nicht aus dem Schlunde. Da schrie es aus mir: „Beiss zu! Beiss zu! +</p> + +<p> +Den Kopf ab! Beiss zu!“—so schrie es aus mir, mein Grauen, mein Hass, +mein Ekel, mein Erbarmen, all mein Gutes und Schlimmes schrie mit Einem Schrei +aus mir.— +</p> + +<p> +Ihr Kühnen um mich! Ihr Sucher, Versucher, und wer von euch mit listigen Segeln +sich in unerforschte Meere einschiffte! Ihr Räthsel-Frohen! +</p> + +<p> +So rathet mir doch das Räthsel, das ich damals schaute, so deutet mir doch das +Gesicht des Einsamsten! +</p> + +<p> +Denn ein Gesicht war’s und ein Vorhersehn:—<i>was</i> sah ich +damals im Gleichnisse? Und <i>wer</i> ist, der einst noch kommen muss? +</p> + +<p> +<i>Wer</i> ist der Hirt, dem also die Schlange in den Schlund kroch? <i>Wer</i> +ist der Mensch, dem also alles Schwerste, Schwärzeste in den Schlund kriechen +wird? +</p> + +<p> +—Der Hirt aber biss, wie mein Schrei ihm rieth; er biss mit gutem Bisse! +Weit weg spie er den Kopf der Schlange—: und sprang empor.— +</p> + +<p> +Nicht mehr Hirt, nicht mehr Mensch,—ein Verwandelter, ein Umleuchteter, +welcher <i>lachte</i>! Niemals noch auf Erden lachte je ein Mensch, wie +<i>er</i> lachte! +</p> + +<p> +Oh meine Brüder, ich hörte ein Lachen, das keines Menschen Lachen war,—- +und nun frisst ein Durst an mir, eine Sehnsucht, die nimmer stille wird. +</p> + +<p> +Meine Sehnsucht nach diesem Lachen frisst an mir: oh wie ertrage ich noch zu +leben! Und wie ertrüge ich’s, jetzt zu sterben!— +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap49"></a>Von der Seligkeit wider Willen</h3> + +<p> +Mit solchen Räthseln und Bitternissen im Herzen fuhr Zarathustra über das Meer. +Als er aber vier Tagereisen fern war von den glückseligen Inseln und von seinen +Freunden, da hatte er allen seinen Schmerz überwunden—: siegreich und mit +festen Füssen stand er wieder auf seinem Schicksal. Und damals redete +Zarathustra also zu seinem frohlockenden Gewissen: +</p> + +<p> +„Allein bin ich wieder und will es sein, allein mit reinem Himmel und freiem +Meere; und wieder ist Nachmittag um mich. +</p> + +<p> +Des Nachmittags fand ich zum ersten Male einst meine Freunde, des Nachmittags +auch zum anderen Male:—zur Stunde, da alles Licht stiller wird. +</p> + +<p> +Denn was von Glück noch unterwegs ist zwischen Himmel und Erde, das sucht sich +nun zur Herberge noch eine lichte Seele: <i>vor Glück</i> ist alles Licht jetzt +stiller worden. +</p> + +<p> +Oh Nachmittag meines Lebens! Einst stieg auch <i>mein</i> Glück zu Thale, dass +es sich eine Herberge suche: da fand es diese offnen gastfreundlichen Seelen. +</p> + +<p> +Oh Nachmittag meines Lebens! Was gab ich nicht hin, dass ich Eins hätte: diese +lebendige Pflanzung meiner Gedanken und diess Morgenlicht meiner höchsten +Hoffnung! +</p> + +<p> +Gefährten suchte einst der Schaffende und Kinder <i>seiner</i> Hoffnung: und +siehe, es fand sich, dass er sie nicht finden könne, es sei denn, er schaffe +sie selber erst. +</p> + +<p> +Also bin ich mitten in meinem Werke, zu meinen Kindern gehend und von ihnen +kehrend: um seiner Kinder willen muss Zarathustra sich selbst vollenden. +</p> + +<p> +Denn von Grund aus liebt man nur sein Kind und Werk; und wo grosse Liebe zu +sich selber ist, da ist sie der Schwangerschaft Wahrzeichen: so fand +ich’s. +</p> + +<p> +Noch grünen mir meine Kinder in ihrem ersten Frühlinge, nahe bei einander +stehend und gemeinsam von Winden geschüttelt, die Bäume meines Gartens und +besten Erdreichs. +</p> + +<p> +Und wahrlich! Wo solche Bäume bei einander stehn, da <i>sind</i> glückselige +Inseln! +</p> + +<p> +Aber einstmals will ich sie ausheben und einen jeden für sich allein stellen: +dass er Einsamkeit lerne und Trotz und Vorsicht. +</p> + +<p> +Knorrig und gekrümmt und mit biegsamer Härte soll er mir dann am Meere dastehn, +ein lebendiger Leuchtthurm unbesiegbaren Lebens. +</p> + +<p> +Dort, wo die Stürme hinab in’s Meer stürzen, und des Gebirgs Rüssel +Wasser trinkt, da soll ein jeder einmal seine Tag- und Nachtwachen haben, zu +<i>seiner</i> Prüfung und Erkenntniss. +</p> + +<p> +Erkannt und geprüft soll er werden, darauf, ob er meiner Art und Abkunft +ist,—ob er eines langen Willens Herr sei, schweigsam, auch wenn er redet, +und nachgebend also, dass er im Geben <i>nimmt</i>:— +</p> + +<p> +—dass er einst mein Gefährte werde und ein Mitschaffender und +Mitfeiernder Zarathustra’s—: ein Solcher, der mir meinen Willen auf +meine Tafeln schreibt: zu aller Dinge vollerer Vollendung. +</p> + +<p> +Und um seinetwillen und seines Gleichen muss ich selber <i>mich</i> vollenden: +darum weiche ich jetzt meinem Glücke aus und biete mich allem Unglücke +an—zu <i>meiner</i> letzten Prüfung und Erkenntniss. +</p> + +<p> +Und wahrlich, Zeit war’s, dass ich gierig; und des Wanderers Schatten und +die längste Weile und die stillste Stunde—alle redeten mir zu: „es +ist höchste Zeit!“ +</p> + +<p> +Der Wind blies mir durch’s Schlüsselloch und sagte „Komm!“ +Die Thür sprang mir listig auf und sagte „Geh!“ +</p> + +<p> +Aber ich lag angekettet an die Liebe zu meinen Kindern: das Begehren legte mir +diese Schlinge, das Begehren nach Liebe, dass ich meiner Kinder Beute würde und +mich an sie verlöre. +</p> + +<p> +Begehren—das heisst mir schon: mich verloren haben. Ich habe euch, meine +Kinder! In diesem Haben soll Alles Sicherheit und Nichts Begehren sein. +</p> + +<p> +Aber brütend lag die Sonne meiner Liebe auf mir, im eignen Safte kochte +Zarathustra,—da flogen Schatten und Zweifel über mich weg. +</p> + +<p> +Nach Frost und Winter gelüstete mich schon: „oh dass Frost und Winter +mich wieder knacken und knirschen machten!“ seufzte ich:—da stiegen +eisige Nebel aus mir auf. +</p> + +<p> +Meine Vergangenheit brach ihm Gräber, manch lebendig begrabner Schmerz wachte +auf—: ausgeschlafen hatte er sich nur, versteckt in Leichen-Gewänder. +</p> + +<p> +Also rief mir Alles in Zeichen zu: „es ist Zeit!“—Aber +ich—hörte nicht: bis endlich mein Abgrund sich rührte und mein Gedanke +mich biss. +</p> + +<p> +Ach, abgründlicher Gedanke, der du <i>mein</i> Gedanke bist! Wann finde ich die +Stärke, dich graben zu hören und nicht mehr zu zittern? +</p> + +<p> +Bis zur Kehle hinauf klopft mir das Herz, wenn ich dich graben höre! Dein +Schweigen noch will mich würgen, du abgründlich Schweigender! +</p> + +<p> +Noch wagte ich niemals, dich <i>herauf</i> zu rufen: genug schon, dass ich dich +mit mir—trug! Noch war ich nicht stark genug zum letzten Löwen-Übermuthe +und -Muthwillen. +</p> + +<p> +Genug des Furchtbaren war mir immer schon deine Schwere: aber einst soll ich +noch die Stärke finden und die Löwen-Stimme, die dich herauf ruft! +</p> + +<p> +Wenn ich mich dessen erst überwunden habe, dann will ich mich auch des +Grösseren noch überwinden; und ein <i>Sieg</i> soll meiner Vollendung Siegel +sein!— +</p> + +<p> +Inzwischen treibe ich noch auf ungewissen Meeren; der Zufall schmeichelt mir, +der glattzüngige; vorwärts und rückwärts schaue ich—, noch schaue ich +kein Ende. +</p> + +<p> +Noch kam mir die Stunde meines letzten Kampfes nicht,—oder kommt sie wohl +mir eben? Wahrlich, mit tückischer Schönheit schaut mich rings Meer und Leben +an! +</p> + +<p> +Oh Nachmittag meines Lebens! Oh Glück vor Abend! Oh Hafen auf hoher See! Oh +Friede im Ungewissen! Wie misstraue ich euch Allen! +</p> + +<p> +Wahrlich, misstrauisch bin ich gegen eure tückische Schönheit! Dem Liebenden +gleiche ich, der allzusammtenem Lächeln misstraut. +</p> + +<p> +Wie er die Geliebteste vor sich her stösst, zärtlich noch in seiner Härte, der +Eifersüchtige—, also stosse ich diese selige Stunde vor mir her. +</p> + +<p> +Hinweg mit dir, du selige Stunde! Mit dir kam mir eine Seligkeit wider Willen! +Willig zu meinem tiefsten Schmerze stehe ich hier:—zur Unzeit kamst du! +</p> + +<p> +Hinweg mit dir, du selige Stunde! Lieber nimm Herberge dort—bei meinen +Kindern! Eile! und segne sie vor Abend noch mit <i>meinem</i> Glücke! +</p> + +<p> +Da naht schon der Abend: die Sonne sinkt. Dahin—mein Glück!—“ +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra. Und er wartete auf sein Unglück die ganze Nacht: aber +er wartete umsonst. Die Nacht blieb hell und still, und das Glück selber kam +ihm immer näher und näher. Gegen Morgen aber lachte Zarathustra zu seinem +Herzen und sagte spöttisch: „das Glück läuft mir nach. Das kommt davon, dass +ich nicht den Weibern nachlaufe. Das Glück aber ist ein Weib.“ +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap50"></a>Vor Sonnen-Aufgang</h3> + +<p> +Oh Himmel über mir, du Reiner! Tiefer! Du Licht-Abgrund! Dich schauend +schaudere ich vor göttlichen Begierden. +</p> + +<p> +In deine Höhe mich zu werfen—das ist <i>meine</i> Tiefe! In deine +Reinheit mich zu bergen—das ist <i>meine</i> Unschuld! +</p> + +<p> +Den Gott verhüllt seine Schönheit: so verbirgst du deine Sterne. Du redest +nicht: <i>so</i> kündest du mir deine Weisheit. +</p> + +<p> +Stumm über brausendem Meere bist du heut mir aufgegangen, deine Liebe und deine +Scham redet Offenbarung zu meiner brausenden Seele. +</p> + +<p> +Dass du schön zu mir kamst, verhüllt in deine Schönheit, dass du stumm zu mir +sprichst, offenbar in deiner Weisheit: +</p> + +<p> +Oh wie erriethe ich nicht alles Schamhafte deiner Seele! <i>Vor</i> der Sonne +kamst du zu mir, dem Einsamsten. +</p> + +<p> +Wir sind Freunde von Anbeginn: uns ist Gram und Grauen und Grund gemeinsam; +noch die Sonne ist uns gemeinsam. +</p> + +<p> +Wir reden nicht zu einander, weil wir zu Vieles wissen—: wir schweigen +uns an, wir lächeln uns unser Wissen zu. +</p> + +<p> +Bist du nicht das Licht zu meinem Feuer? Hast du nicht die Schwester-Seele zu +meiner Einsicht? +</p> + +<p> +Zusammen lernten wir Alles; zusammen lernten wir über uns zu uns selber +aufsteigen und wolkenlos lächeln:— +</p> + +<p> +—wolkenlos hinab lächeln aus lichten Augen und aus meilenweiter Ferne, +wenn unter uns Zwang und Zweck und Schuld wie Regen dampfen. +</p> + +<p> +Und wanderte ich allein: <i>wes</i> hungerte meine Seele in Nächten und +Irr-Pfaden? Und stieg ich Berge, <i>wen</i> suchte ich je, wenn nicht dich, auf +Bergen? +</p> + +<p> +Und all mein Wandern und Bergsteigen: eine Noth war’s nur und ein Behelf +des Unbeholfenen:—<i>fliegen</i> allein will mein ganzer Wille, in +<i>dich</i> hinein fliegen! +</p> + +<p> +Und wen hasste ich mehr, als ziehende Wolken und Alles, was dich befleckt? Und +meinen eignen Hass hasste ich noch, weil er dich befleckte! +</p> + +<p> +Den ziehenden Wolken bin ich gram, diesen schleichenden Raub-Katzen: sie nehmen +dir und mir, was uns gemein ist,—das ungeheure unbegrenzte Ja- und +Amen-sagen. +</p> + +<p> +Diesen Mittlern und Mischern sind wir gram, den ziehenden Wolken: diesen Halb- +und Halben, welche weder segnen lernten, noch von Grund aus fluchen. +</p> + +<p> +Lieber will ich noch unter verschlossnem Himmel in der Tonne sitzen, lieber +ohne Himmel im Abgrund sitzen, als dich, Licht-Himmel, mit Zieh-Wolken befleckt +sehn! +</p> + +<p> +Und oft gelüstete mich, sie mit zackichten Blitz-Golddrähten festzuheften, dass +ich, gleich dem Donner, auf ihrem Kessel-Bauche die Pauke schlüge:— +</p> + +<p> +—ein zorniger Paukenschläger, weil sie mir dein Ja! und Amen! rauben, du +Himmel über mir, du Reiner! Lichter! Du Licht-Abgrund!—weil sie dir +<i>mein</i> Ja! und Amen! rauben. +</p> + +<p> +Denn lieber noch will ich Lärm und Donner und Wetter-Flüche, als diese +bedächtige zweifelnde Katzen-Ruhe; und auch unter Menschen hasse ich am besten +alle Leisetreter und Halb- und Halben und zweifelnde, zögernde Zieh-Wolken. +</p> + +<p> +Und „wer nicht segnen kann, der soll fluchen <i>lernen</i>!“—diese helle +Lehre fiel mir aus hellem Himmel, dieser Stern steht auch noch in schwarzen +Nächten an meinem Himmel. +</p> + +<p> +Ich aber bin ein Segnender und ein Ja-sager, wenn du nur um mich bist, du +Reiner! Lichter! Du Licht-Abgrund!—in alle Abgründe trage ich da noch +mein segnendes Ja-sagen. +</p> + +<p> +Zum Segnenden bin ich worden und zum Ja-sagenden: und dazu rang ich lange und +war ein Ringer, dass ich einst die Hände frei bekäme zum Segnen. +</p> + +<p> +Das aber ist mein Segnen: über jedwedem Ding als sein eigener Himmel stehn, als +sein rundes Dach, seine azurne Glocke und ewige Sicherheit: und selig ist, wer +also segnet! +</p> + +<p> +Denn alle Dinge sind getauft am Borne der Ewigkeit und jenseits von Gut und +Böse; Gut und Böse selber aber sind nur Zwischenschatten und feuchte Trübsale +und Zieh-Wolken. +</p> + +<p> +Wahrlich, ein Segnen ist es und kein Lästern, wenn ich lehre: „über allen +Dingen steht der Himmel Zufall, der Himmel Unschuld, der Himmel Ohngefähr, der +Himmel Übermuth.“ +</p> + +<p> +„Von Ohngefähr“—das ist der älteste Adel der Welt, den gab ich allen +Dingen zurück, ich erlöste sie von der Knechtschaft unter dem Zwecke. +</p> + +<p> +Diese Freiheit und Himmels-Heiterkeit stellte ich gleich azurner Glocke über +alle Dinge, als ich lehrte, dass über ihnen und durch sie kein „ewiger +Wille“ —will. +</p> + +<p> +Diesen Übermuth und diese Narrheit stellte ich an die Stelle jenes Willens, als +ich lehrte: „bei Allem ist Eins unmöglich—Vernünftigkeit!“ +</p> + +<p> +Ein <i>Wenig</i> Vernunft zwar, ein Same der Weisheit zerstreut von Stern zu +Stern,—dieser Sauerteig ist allen Dingen eingemischt: um der Narrheit +willen ist Weisheit allen Dingen eingemischt! +</p> + +<p> +Ein Wenig Weisheit ist schon möglich; aber diese selige Sicherheit fand ich an +allen Dingen: dass sie lieber noch auf den Füssen des +Zufalls—<i>tanzen</i>. +</p> + +<p> +Oh Himmel über mir, du Reiner! Hoher! Das ist mir nun deine Reinheit, dass es +keine ewige Vernunft-Spinne und -Spinnennetze giebt:— +</p> + +<p> +—dass du mir ein Tanzboden bist für göttliche Zufälle, dass du mir ein +Göttertisch bist für göttliche Würfel und Würfelspieler!— +</p> + +<p> +Doch du erröthest? Sprach ich Unaussprechbares? Lästerte ich, indem ich dich +segnen wollte? +</p> + +<p> +Oder ist es die Scham zu Zweien, welche dich erröthen machte?—Heissest du +mich gehn und schweigen, weil nun—der <i>Tag</i> kommt? +</p> + +<p> +Die Welt ist tief—: und tiefer als je der Tag gedacht hat. Nicht Alles +darf vor dem Tage Worte haben. Aber der Tag kommt: so scheiden wir nun! +</p> + +<p> +Oh Himmel über mir, du Schamhafter! Glühender! Oh du mein Glück vor +Sonnen-Aufgang! Der Tag kommt: so scheiden wir nun!— +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap51"></a>Von der verkleinernden Tugend</h3> + +<h4>1.</h4> + +<p> +Als Zarathustra wieder auf dem festen Lande war, gieng er nicht stracks auf +sein Gebirge und seine Höhle los, sondern that viele Wege und Fragen und +erkundete diess und das, also, dass er von sich selber im Scherze sagte: „siehe +einen Fluss, der in vielen Windungen zurück zur Quelle fliesst!“ Denn er wollte +in Erfahrung bringen, was sich inzwischen <i>mit dem Menschen</i> zugetragen +habe: ob er grösser oder kleiner geworden sei. Und ein Mal sah er eine Reihe +neuer Häuser; da wunderte er sich und sagte: +</p> + +<p> +„Was bedeuten diese Häuser? Wahrlich, keine grosse Seele stellte sie hin, sich +zum Gleichnisse! +</p> + +<p> +Nahm wohl ein blödes Kind sie aus seiner Spielschachtel? Dass doch ein anderes +Kind sie wieder in seine Schachtel thäte! +</p> + +<p> +Und diese Stuben und Kammern: können <i>Männer</i> da aus- und eingehen? +Gemacht dünken sie mich für Seiden-Puppen; oder für Naschkatzen, die auch wohl +an sich naschen lassen.“ +</p> + +<p> +Und Zarathustra blieb stehn und dachte nach. Endlich sagte er betrübt: „Es ist +<i>Alles</i> kleiner geworden! +</p> + +<p> +Überall sehe ich niedrigere Thore: wer <i>meiner</i> Art ist, geht da wohl noch +hindurch, aber—er muss sich bücken! +</p> + +<p> +Oh wann komme ich wieder in meine Heimat, wo ich mich nicht mehr bücken +muss—nicht mehr bücken muss vor den Kleinen!“—Und Zarathustra +seufzte und blickte in die Ferne.— +</p> + +<p> +Desselbigen Tages aber redete er seine Rede über die verkleinernde Tugend. +</p> + +<h4>2.</h4> + +<p> +Ich gehe durch diess Volk und halte meine Augen offen: sie vergeben mir es +nicht, dass ich auf ihre Tugenden nicht neidisch bin. +</p> + +<p> +Sie beissen nach mir, weil ich zu ihnen sage: für kleine Leute sind kleine +Tugenden nöthig—und weil es mir hart eingeht, dass kleine Leute +<i>nöthig</i> sind! +</p> + +<p> +Noch gleiche ich dem Hahn hier auf fremdem Gehöfte, nach dem auch die Hennen +beissen; doch darob bin ich diesen Hennen nicht ungut. +</p> + +<p> +Ich bin höflich gegen sie wie gegen alles kleine Ärgerniss; gegen das Kleine +stachlicht zu sein dünkt mich eine Weisheit für Igel. +</p> + +<p> +Sie reden Alle von mir, wenn sie Abends um’s Feuer sitzen,—sie +reden von mir, aber Niemand denkt—an mich! +</p> + +<p> +Diess ist die neue Stille, die ich lernte: ihr Lärm um mich breitet einen +Mantel über meine Gedanken. +</p> + +<p> +Sie lärmen unter einander: „was will uns diese düstere Wolke? sehen wir zu, +dass sie uns nicht eine Seuche bringe!“ +</p> + +<p> +Und jüngst riss ein Weib sein Kind an sich, das zu mir wollte: „nehmt die +Kinder weg! schrie es; solche Augen versengen Kinder-Seelen.“ +</p> + +<p> +Sie husten, wenn ich rede: sie meinen, Husten sei ein Einwand gegen starke +Winde,—sie errathen Nichts vom Brausen meines Glückes! +</p> + +<p> +„Wir haben noch keine Zeit für Zarathustra“—so wenden sie ein; aber was +liegt an einer Zeit, die für Zarathustra „keine Zeit hat“? +</p> + +<p> +Und wenn sie gar mich rühmen: wie könnte ich wohl auf <i>ihrem</i> Ruhme +einschlafen? Ein Stachel-Gürtel ist mir ihr Lob: es kratzt mich noch, wenn ich +es von mir thue. +</p> + +<p> +Und auch das lernte ich unter ihnen: der Lobende stellt sich, als gäbe er +zurück, in Wahrheit aber will er mehr beschenkt sein! +</p> + +<p> +Fragt meinen Fuss, ob ihm ihre Lob- und Lock-Weise gefällt! Wahrlich, nach +solchem Takt und Tiktak mag er weder tanzen, noch stille stehn. +</p> + +<p> +Zur kleinen Tugend möchten sie mich locken und loben; zum Tiktak des kleinen +Glücks möchten sie meinen Fuss überreden. +</p> + +<p> +Ich gehe durch diess Volk und halte die Augen offen: sie sind <i>kleiner</i> +geworden und werden immer kleiner:—das aber macht ihre Lehre von Glück +und Tugend. +</p> + +<p> +Sie sind nämlich auch in der Tugend bescheiden—denn sie wollen Behagen. +Mit Behagen aber verträgt sich nur die bescheidene Tugend. +</p> + +<p> +Wohl lernen auch sie auf ihre Art Schreiten und Vorwärts-Schreiten: das heisse +ich ihr <i>Humpeln</i>—. Damit werden sie jedem zum Anstosse, der Eile +hat. +</p> + +<p> +Und Mancher von ihnen geht vorwärts und blickt dabei zurück, mit versteiftem +Nacken: dem renne ich gern wider den Leib. +</p> + +<p> +Fuss und Augen sollen nicht lügen, noch sich einander Lügen strafen. Aber es +ist viel Lügnerei bei den kleinen Leuten. +</p> + +<p> +Einige von ihnen wollen, aber die Meisten werden nur gewollt. Einige von ihnen +sind ächt, aber die Meisten sind schlechte Schauspieler. +</p> + +<p> +Es giebt Schauspieler wider Wissen unter ihnen und Schauspieler wider +Willen—, die Ächten sind immer selten, sonderlich die ächten +Schauspieler. +</p> + +<p> +Des Mannes ist hier wenig: darum vermännlichen sich ihre Weiber. Denn nur wer +Mannes genug ist, wird im Weibe <i>das Weib</i>—erlösen. +</p> + +<p> +Und diese Heuchelei fand ich unter ihnen am schlimmsten: dass auch Die, welche +befehlen, die Tugenden Derer heucheln, welche dienen. +</p> + +<p> +„Ich diene, du dienst, wir dienen“ —so betet hier auch die Heuchelei der +Herrschenden,—und wehe, wenn der erste Herr <i>nur</i> der erste Diener +ist! +</p> + +<p> +Ach, auch in ihre Heucheleien verflog sich wohl meines Auges Neugier; und gut +errieth ich all ihr Fliegen-Glück und ihr Summen um besonnte Fensterscheiben. +</p> + +<p> +Soviel Güte, soviel Schwäche sehe ich. Soviel Gerechtigkeit und Mitleiden, +soviel Schwäche. +</p> + +<p> +Rund, rechtlich und gütig sind sie mit einander, wie Sandkörnchen rund, +rechtlich und gütig mit Sandkörnchen sind. +</p> + +<p> +Bescheiden ein kleines Glück umarmen—das heissen sie „Ergebung“! und +dabei schielen sie bescheiden schon nach einem neuen kleinen Glücke aus. +</p> + +<p> +Sie wollen im Grunde einfältiglich Eins am meisten: dass ihnen Niemand wehe +thue. So kommen sie jedermann zuvor und thun ihm wohl. +</p> + +<p> +Diess aber ist <i>Feigheit</i>: ob es schon „Tugend“ heisst.— +</p> + +<p> +Und wenn sie einmal rauh reden, diese kleinen Leute: <i>ich</i> höre darin nur +ihre Heiserkeit,—jeder Windzug nämlich macht sie heiser. +</p> + +<p> +Klug sind sie, ihre Tugenden haben kluge Finger. Aber ihnen fehlen die Fäuste, +ihre Finger wissen nicht, sich hinter Fäuste zu verkriechen. +</p> + +<p> +Tugend ist ihnen das, was bescheiden und zahm macht: damit machten sie den Wolf +zum Hunde und den Menschen selber zu des Menschen bestem Hausthiere. +</p> + +<p> +„Wir setzten unsern Stuhl in die <i>Mitte</i>—das sagt mir ihr +Schmunzeln—und ebenso weit weg von sterbenden Fechtern wie von vergnügten +Säuen.“ +</p> + +<p> +Diess aber ist—<i>Mittelmässigkeit</i>: ob es schon Mässigkeit +heisst.— +</p> + +<h4>3.</h4> + +<p> +Ich gehe durch diess Volk und lasse manches Wort fallen: aber sie wissen weder +zu nehmen noch zu behalten. +</p> + +<p> +Sie wundern sich, dass ich nicht kam, auf Lüste und Laster zu lästern; und +wahrlich, ich kam auch nicht, dass ich vor Taschendieben warnte! +</p> + +<p> +Sie wundern sich, dass ich nicht bereit bin, ihre Klugheit noch zu witzigen und +zu spitzigen: als ob sie noch nicht genug der Klüglinge hätten, deren Stimme +mir gleich Schieferstiften kritzelt! +</p> + +<p> +Und wenn ich rufe: „Flucht allen feigen Teufeln in euch, die gerne winseln und +Hände falten und anbeten möchten“ : so rufen sie: „Zarathustra ist gottlos“. +</p> + +<p> +Und sonderlich rufen es ihre Lehrer der Ergebung—; aber gerade ihnen +liebe ich’s, in das Ohr zu schrein: Ja! Ich <i>bin</i> Zarathustra, der +Gottlose! +</p> + +<p> +Diese Lehrer der Ergebung! Überall hin, wo es klein und krank und grindig ist, +kriechen sie, gleich Läusen; und nur mein Ekel hindert mich, sie zu knacken. +</p> + +<p> +Wohlan! Diess ist meine Predigt für <i>ihre</i> Ohren: ich bin Zarathustra, der +Gottlose, der da spricht „wer ist gottloser denn ich, dass ich mich seiner +Unterweisung freue?“ +</p> + +<p> +Ich bin Zarathustra, der Gottlose: wo finde ich Meines-Gleichen? Und alle Die +sind Meines-Gleichen, die sich selber ihren Willen geben und alle Ergebung von +sich abthun. +</p> + +<p> +Ich bin Zarathustra, der Gottlose: ich koche mir noch jeden Zufall in +<i>meinem</i> Topfe. Und erst, wenn er da gar gekocht ist, heisse ich ihn +willkommen, als <i>meine</i> Speise. +</p> + +<p> +Und wahrlich, mancher Zufall kam herrisch zu mir: aber herrischer noch sprach +zu ihm mein <i>Wille</i>,—da lag er schon bittend auf den Knieen— +</p> + +<p> +—bittend, dass er Herberge finde und Herz bei mir, und schmeichlerisch +zuredend: „sieh doch; oh Zarathustra, wie nur Freund zu Freunde kommt!“— +</p> + +<p> +Doch was rede ich, wo Niemand <i>meine</i> Ohren hat! Und so will ich es hinaus +in alle Winde rufen: +</p> + +<p> +Ihr werdet immer kleiner, ihr kleinen Leute! Ihr bröckelt ab, ihr Behaglichen! +Ihr geht mir noch zu Grunde— +</p> + +<p> +—an euren vielen kleinen Tugenden, an eurem vielen kleinen Unterlassen, +an eurer vielen kleinen Ergebung! +</p> + +<p> +Zu viel schonend, zu viel nachgebend: so ist euer Erdreich! Aber dass ein Baum +<i>gross</i> werde, dazu will er um harte Felsen harte Wurzeln schlagen! +</p> + +<p> +Auch was ihr unterlasse, webt am Gewebe aller Menschen-Zukunft; auch euer +Nichts ist ein Spinnennetz und eine Spinne, die von der Zukunft Blute lebt. +</p> + +<p> +Und wenn ihr nehmt, so ist es wie stehlen, ihr kleinen Tugendhaften; aber noch +unter Schelmen spricht die <i>Ehre</i>: „man soll nur stehlen, wo man nicht +rauben kann.“ +</p> + +<p> +„Es giebt sich“—das ist auch eine Lehre der Ergebung. Aber ich sage euch, +ihr Behaglichen: <i>es nimmt sich</i> und wird immer mehr noch von euch nehmen! +</p> + +<p> +Ach, dass ihr alles <i>halbe</i> Wollen von euch abthätet und entschlossen +würdet zur Trägheit wie zur That! +</p> + +<p> +Ach, dass ihr mein Wort verstündet: „thut immerhin, was ihr wollt,—aber +seid erst Solche, die <i>wollen können</i>!“ +</p> + +<p> +„Liebt immerhin euren Nächsten gleich euch,—aber seid mir erst solche, +die <i>sich selber lieben</i>— +</p> + +<p> +—mit der grossen Liebe lieben, mit der grossen Verachtung lieben!“ Also +spricht Zarathustra, der Gottlose.— +</p> + +<p> +Doch was rede ich, wo Niemand <i>meine</i> Ohren hat! Es ist hier noch eine +Stunde zu früh für mich. +</p> + +<p> +Mein eigner Vorläufer bin ich unter diesem Volke, mein eigner Hahnen-Ruf durch +dunkle Gassen. +</p> + +<p> +Aber <i>ihre</i> Stunde kommt! Und es kommt auch die meine! Stündlich werden +sie kleiner, ärmer, unfruchtbarer,—armes Kraut! armes Erdreich! +</p> + +<p> +Und <i>bald</i> sollen sie mir dastehn wie dürres Gras und Steppe, und +wahrlich! ihrer selber müde—und mehr, als nach Wasser, nach <i>Feuer</i> +lechzend! +</p> + +<p> +Oh gesegnete Stunde des Blitzes! Oh Geheimniss vor Mittag!—Laufende Feuer +will ich einst noch aus ihnen machen und Verkünder mit Flammen-Zungen:— +</p> + +<p> +—verkünden sollen sie einst noch mit Flammen-Zungen: Er kommt, er ist +nahe, der grosse Mittag! +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap52"></a>Auf dem Ölberge</h3> + +<p> +Der Winter, ein schlimmer Gast, sitzt bei mir zu Hause; blau sind meine Hände +von seiner Freundschaft Händedruck. +</p> + +<p> +Ich ehre ihn, diesen schlimmen Gast, aber lasse gerne ihn allein sitzen. Gerne +laufe ich ihm davon; und, läuft man <i>gut</i>, so entläuft man ihm! +</p> + +<p> +Mit warmen Füssen und warmen Gedanken laufe ich dorthin, wo der Wind stille +steht,—zum Sonnen-Winkel meines Ölbergs. +</p> + +<p> +Da lache ich meines gestrengen Gastes und bin ihm noch gut, dass er zu Hause +mir die Fliegen wegfängt und vielen kleinen Lärm stille macht. +</p> + +<p> +Er leidet es nämlich nicht, wenn eine Mücke singen will, oder gar zwei; noch +die Gasse macht er einsam, dass der Mondschein drin Nachts sich fürchtet. +</p> + +<p> +Ein harter Gast ist er,—aber ich ehre ihn, und nicht bete ich, gleich den +Zärtlingen, zum dickbäuchichten Feuer-Götzen. +</p> + +<p> +Lieber noch ein Wenig zähneklappern als Götzen anbeten!—so will’s +meine Art. Und sonderlich bin ich allen brünstigen dampfenden dumpfigen +Feuer-Götzen gram. +</p> + +<p> +Wen ich liebe, den liebe ich Winters besser als Sommers; besser spotte ich +jetzt meiner Feinde und herzhafter, seit der Winter mir im Hause sitzt. +</p> + +<p> +Herzhaft wahrlich, selbst dann noch, wenn ich zu Bett <i>krieche</i>—: da +lacht und muthwillt noch mein verkrochenes Glück; es lacht noch mein +Lügen-Traum. +</p> + +<p> +Ich—ein Kriecher? Niemals kroch ich im Leben vor Mächtigen; und log ich +je, so log ich aus Liebe. Desshalb bin ich froh auch im Winter-Bette. +</p> + +<p> +Ein geringes Bett wärmt mich mehr als ein reiches, denn ich bin eifersüchtig +auf meine Armuth. Und im Winter ist sie mir am treuesten. +</p> + +<p> +Mit einer Bosheit beginne ich jeden Tag, ich spotte des Winters mit einem +kalten Bade: darob brummt mein gestrenger Hausfreund. +</p> + +<p> +Auch kitzle ich ihn gerne mit einem Wachskerzlein: dass er mir endlich den +Himmel herauslasse aus aschgrauer Dämmerung. +</p> + +<p> +Sonderlich boshaft bin ich nämlich des Morgens: zur frühen Stunde, da der Eimer +am Brunnen klirrt und die Rosse warm durch graue Gassen wiehern:— +</p> + +<p> +Ungeduldig warte ich da, dass mir endlich der lichte Himmel aufgehe, der +schneebärtige Winter-Himmel, der Greis und Weisskopf,— +</p> + +<p> +—der Winter-Himmel, der schweigsame, der oft noch seine Sonne +verschweigt! +</p> + +<p> +Lernte ich wohl von ihm das lange lichte Schweigen? Oder lernte er’s von +mir? Oder hat ein jeder von uns es selbst erfunden? +</p> + +<p> +Aller guten Dinge Ursprung ist tausendfältig,—alle guten muthwilligen +Dinge springen vor Lust in’s Dasein: wie sollten sie das immer +nur—Ein Mal thun! +</p> + +<p> +Ein gutes muthwilliges Ding ist auch das lange Schweigen und gleich dem +Winter-Himmel blicken aus lichtem rundäugichten Antlitze:— +</p> + +<p> +—gleich ihm seine Sonne verschweigen und seinen unbeugsamen +Sonnen-Willen: wahrlich, diese Kunst und diesen Winter-Muthwillen lernte ich +<i>gut</i>! +</p> + +<p> +Meine liebste Bosheit und Kunst ist es, dass mein Schweigen lernte, sich nicht +durch Schweigen zu verrathen. +</p> + +<p> +Mit Worten und Würfeln klappernd überliste ich mir die feierlichen Warter: +allen diesen gestrengen Aufpassern soll mein Wille und Zweck entschlüpfen. +</p> + +<p> +Dass mir Niemand in meinen Grund und letzten Willen hinab sehe,—dazu +erfand ich mir das lange lichte Schweigen. +</p> + +<p> +So manchen Klugen fand ich: der verschleierte sein Antlitz und trübte sein +Wasser, dass Niemand ihm hindurch und hinunter sehe. +</p> + +<p> +Aber zu ihm gerade kamen die klügeren Misstrauer und Nussknacker: ihm gerade +fischte man seinen verborgensten Fisch heraus! +</p> + +<p> +Sondern die Hellen, die Wackern, die Durchsichtigen—das sind mir die +klügsten Schweiger: denen so <i>tief</i> ihr Grund ist, dass auch das hellste +Wasser ihn nicht—verräth.— +</p> + +<p> +Du schneebärtiger schweigender Winter-Himmel, du rundäugichter Weisskopf über +mir! Oh du himmlisches Gleichniss meiner Seele und ihres Muthwillens! +</p> + +<p> +Und <i>muss</i> ich mich nicht verbergen, gleich Einem, der Gold verschluckt +hat,—dass man mir nicht die Seele aufschlitze? +</p> + +<p> +<i>Muss</i> ich nicht Stelzen tragen, dass sie meine langen Beine +<i>übersehen</i>,—alle diese Neidbolde und Leidholde, die um mich sind? +</p> + +<p> +Diese räucherigen, stubenwarmen, verbrauchten, vergrünten, vergrämelten Seelen +—wie <i>könnte</i> ihr Neid mein Glück ertragen! +</p> + +<p> +So zeige ich ihnen nur das Eis und den Winter auf meinen Gipfeln—und +<i>nicht</i>, dass mein Berg noch alle Sonnengürtel um sich schlingt! +</p> + +<p> +Sie hören nur meine Winter-Stürme pfeifen: und <i>nicht</i>, dass ich auch über +warme Meere fahre, gleich sehnsüchtigen, schweren, heissen Südwinden. +</p> + +<p> +Sie erbarmen sich noch meiner Unfälle und Zufälle:—aber <i>mein</i> Wort +heisst: „lasst den Zufall zu mir kommen: unschuldig ist er, wie ein Kindlein!“ +</p> + +<p> +Wie <i>könnten</i> sie mein Glück ertragen, wenn ich nicht Unfälle und +Winter-Nöthe und Eisbären-Mützen und Schneehimmel-Hüllen um mein Glück legte! +</p> + +<p> +—wenn ich mich nicht selbst ihres <i>Mitleids</i> erbarmte—des +Mitleids dieser Neidbolde und Leidholde! +</p> + +<p> +—wenn ich nicht selber vor ihnen seufzte und frostklapperte und mich +geduldsam in ihr Mitleid wickeln <i>liesse</i>! +</p> + +<p> +Diess ist der weise Muthwille und Wohlwille meiner Seele, dass sie ihren Winter +und ihre Froststürme <i>nicht verbirgt</i>; sie verbirgt auch ihre Frostbeulen +nicht. +</p> + +<p> +Des Einen Einsamkeit ist die Flucht des Kranken; des Andern Einsamkeit die +Flucht <i>vor</i> den Kranken. +</p> + +<p> +Mögen sie mich klappern und seufzen <i>hören</i> vor Winterkälte, alle diese +armen scheelen Schelme um mich! Mit solchem Geseufz und Geklapper flüchte ich +noch vor ihren geheizten Stuben. +</p> + +<p> +Mögen sie mich bemitleiden und bemitseufzen ob meiner Frostbeulen: „am Eis der +Erkenntniss <i>erfriert</i> er uns noch!“—so klagen sie. +</p> + +<p> +Inzwischen laufe ich mit warmen Füssen kreuz und quer auf meinem Ölberge: im +Sonnen-Winkel meines Ölberges singe und spotte ich alles Mitleids.— +</p> + +<p> +Also sang Zarathustra. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap53"></a>Vom Vorübergehen</h3> + +<p> +Also, durch viel Volk und vielerlei Städte langsam hindurchschreitend, gierig +Zarathustra auf Umwegen zurück zu seinem Gebirge und seiner Höhle. Und siehe, +dabei kam er unversehens auch an das Stadtthor der <i>grossen Stadt</i>: hier +aber sprang ein schäumender Narr mit ausgebreiteten Händen auf ihn zu und trat +ihm in den Weg. Diess aber war der selbige Narr, welchen das Volk „den Affen +Zarathustra’s“ hiess: denn er hatte ihm Etwas vom Satz und Fall der Rede +abgemerkt und borgte wohl auch gerne vom Schatze seiner Weisheit. Der Narr aber +redete also zu Zarathustra: +</p> + +<p> +„Oh Zarathustra, hier ist die grosse Stadt: hier hast du Nichts zu suchen und +Alles zu verlieren. +</p> + +<p> +Warum wolltest du durch diesen Schlamm waten? Habe doch Mitleiden mit deinem +Fusse! Speie lieber auf das Stadtthor und—kehre um! +</p> + +<p> +Hier ist die Hölle für Einsiedler-Gedanken: hier werden grosse Gedanken +lebendig gesotten und klein gekocht. +</p> + +<p> +Hier verwesen alle grossen Gefühle: hier dürfen nur klapperdürre Gefühlchen +klappern! +</p> + +<p> +Riechst du nicht schon die Schlachthäuser und Garküchen des Geistes? Dampft +nicht diese Stadt vom Dunst geschlachteten Geistes? +</p> + +<p> +Siehst du nicht die Seelen hängen wie schlaffe schmutzige Lumpen?—Und sie +machen noch Zeitungen aus diesen Lumpen! +</p> + +<p> +Hörst du nicht, wie der Geist hier zum Wortspiel wurde? Widriges Wort-Spülicht +bricht er heraus!—Und sie machen noch Zeitungen aus diesem Wort-Spülicht. +</p> + +<p> +Sie hetzen einander und wissen nicht, wohin? Sie erhitzen einander und wissen +nicht, warum? Sie klimpern mit ihrem Bleche, sie klingeln mit ihrem Golde. +</p> + +<p> +Sie sind kalt und suchen sich Wärme bei gebrannten Wassern; sie sind erhitzt +und suchen Kühle bei gefrorenen Geistern; sie sind Alle siech und süchtig an +öffentlichen Meinungen. +</p> + +<p> +Alle Lüste und Laster sind hier zu Hause; aber es giebt hier auch Tugendhafte, +es giebt viel anstellige angestellte Tugend:— +</p> + +<p> +Viel anstellige Tugend mit Schreibfingern und hartem Sitz- und Warte-Fleische, +gesegnet mit kleinen Bruststernen und ausgestopften steisslosen Töchtern. +</p> + +<p> +Es giebt hier auch viel Frömmigkeit und viel gläubige Speichel-Leckerei, +Schmeichel-Bäckerei vor dem Gott der Heerschaaren. +</p> + +<p> +„Von Oben“ her träufelt ja der Stern und der gnädige Speichel; nach +Oben hin sehnt sich jeder sternenlose Busen. +</p> + +<p> +Der Mond hat seinen Hof, und der Hof hat seine Mondkälber: zu Allem aber, was +vom Hofe kommt, betet das Bettel-Volk und alle anstellige Bettel-Tugend. +</p> + +<p> +„Ich diene, du dienst, wir dienen“—so betet alle anstellige +Tugend hinauf zum Fürsten: dass der verdiente Stern sich endlich an den +schmalen Busen hefte! +</p> + +<p> +Aber der Mond dreht sich noch um alles Irdische: so dreht sich auch der Fürst +noch um das Aller-Irdischste—: das aber ist das Gold der Krämer. +</p> + +<p> +Der Gott der Heerschaaren ist kein Gott der Goldbarren; der Fürst denkt, aber +der Krämer—lenkt! +</p> + +<p> +Bei Allem, was licht und stark und gut in dir ist, oh Zarathustra! Speie auf +diese Stadt der Krämer und kehre um! +</p> + +<p> +Hier fliesst alles Blut faulicht und lauicht und schaumicht durch alle Adern: +speie auf die grosse Stadt, welche der grosse Abraum ist, wo aller Abschaum +zusammenschäumt! +</p> + +<p> +Speie auf die Stadt der eingedrückten Seelen und schmalen Brüste, der spitzen +Augen, der klebrigen Finger— +</p> + +<p> +—auf die Stadt der Aufdringlinge, der Unverschämten, der Schreib- und +Schreihälse, der überheizten Ehrgeizigen:— +</p> + +<p> +—wo alles Anbrüchige, Anrüchige, Lüsterne, Düsterne, Übermürbe, +Geschwürige, Verschwörerische zusammenschwärt:— +</p> + +<p> +—speie auf die grosse Stadt und kehre um!“— +</p> + +<p> +Hier aber unterbrach Zarathustra den schäumenden Narren und hielt ihm den Mund +zu. +</p> + +<p> +„Höre endlich auf! rief Zarathustra, mich ekelt lange schon deiner Rede und +deiner Art! +</p> + +<p> +Warum wohntest du so lange am Sumpfe, dass du selber zum Frosch und zur Kröte +werden musstest? +</p> + +<p> +Fliesst dir nicht selber nun ein faulichtes schaumichtes Sumpf-Blut durch die +Adern, dass du also quaken und lästern lerntest? +</p> + +<p> +Warum giengst du nicht in den Wald? Oder pflügtest die Erde? Ist das Meer nicht +voll von grünen Eilanden? +</p> + +<p> +Ich verachte dein Verachten; und wenn du mich warntest,—warum warntest du +dich nicht selber? +</p> + +<p> +Aus der Liebe allein soll mir mein Verachten und mein warnender Vogel +auffliegen: aber nicht aus dem Sumpfe!— +</p> + +<p> +Man heisst dich meinen Affen, du schäumender Narr: aber ich heisse dich mein +Grunze-Schwein,—durch Grunzen verdirbst du mir noch mein Lob der +Narrheit. +</p> + +<p> +Was war es denn, was dich zuerst grunzen machte? Dass Niemand dir genug +<i>geschmeichelt</i> hat:—darum setztest du dich hin zu diesem Unrathe, +dass du Grund hättest viel zu grunzen,— +</p> + +<p> +—dass du Grund hättest zu vieler <i>Rache</i>! Rache nämlich, du eitler +Narr, ist all dein Schäumen, ich errieth dich wohl! +</p> + +<p> +Aber dein Narren-Wort thut <i>mir</i> Schaden, selbst, wo du Recht hast! Und +wenn Zarathustra’s Wort sogar hundert Mal Recht <i>hätte</i>: du würdest +mit meinem Wort immer—Unrecht <i>thun</i>!“ +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra; und er blickte die grosse Stadt an, seufzte und +schwieg lange. Endlich redete er also: +</p> + +<p> +Mich ekelt auch dieser grossen Stadt und nicht nur dieses Narren. Hier und dort +ist Nichts zu bessern, Nichts zu bösern. +</p> + +<p> +Wehe dieser grossen Stadt!—Und ich wollte, ich sähe schon die Feuersäule, +in der sie verbrannt wird! +</p> + +<p> +Denn solche Feuersäulen müssen dem grossen Mittage vorangehn. Doch diess hat +seine Zeit und sein eigenes Schicksal.— +</p> + +<p> +Diese Lehre aber gebe ich dir, du Narr, zum Abschiede: wo man nicht mehr lieben +kann, da soll man—<i>vorübergehn</i>!— +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra und gieng an dem Narren und der grossen Stadt vorüber. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap54"></a>Von den Abtrünnigen</h3> + +<h4>1.</h4> + +<p> +Ach, liegt Alles schon welk und grau, was noch jüngst auf dieser Wiese grün und +bunt stand? Und wie vielen Honig der Hoffnung trug ich von hier in meine +Bienenkörbe! +</p> + +<p> +Diese jungen Herzen sind alle schon alt geworden,—und nicht alt einmal! +nur müde, gemein, bequem:—sie heissen es „Wir sind wieder fromm +geworden.“ +</p> + +<p> +Noch jüngst sah ich sie in der Frühe auf tapferen Füssen hinauslaufen: aber +ihre Füsse der Erkenntniss wurden müde, und nun verleumden sie auch noch ihre +Morgen-Tapferkeit! +</p> + +<p> +Wahrlich, Mancher von ihnen hob einst die Beine wie ein Tänzer, ihm winkte das +Lachen in meiner Weisheit:—da besann er sich. Eben sah ich ihn +krumm—zum Kreuze kriechen. +</p> + +<p> +Um Licht und Freiheit flatterten sie einst gleich Mücken und jungen Dichtern. +Ein Wenig älter, ein Wenig kälter: und schon sind sie Dunkler und Munkler und +Ofenhocker. +</p> + +<p> +Verzagte ihnen wohl das Herz darob, dass mich die Einsamkeit verschlang gleich +einem Wallfische? Lauschte ihr Ohr wohl sehnsüchtig-lange <i>umsonst</i> nach +mir und meinen Trompeten- und Herolds-Rufen? +</p> + +<p> +—Ach! Immer sind ihrer nur Wenige, deren Herz einen langen Muth und +Übermuth hat; und solchen bleibt auch der Geist geduldsam. Der Rest aber ist +<i>feige</i>. +</p> + +<p> +Der Rest: das sind immer die Allermeisten, der Alltag, der Überfluss, die +Viel-zu-Vielen—diese alle sind feige!— +</p> + +<p> +Wer meiner Art ist, dem werden auch die Erlebnisse meiner Art über den Weg +laufen: also, dass seine ersten Gesellen Leichname und Possenreisser sein +müssen. +</p> + +<p> +Seine zweiten Gesellen aber—die werden sich seine <i>Gläubigen</i> +heissen: ein lebendiger Schwarm, viel Liebe, viel Thorheit, viel unbärtige +Verehrung. +</p> + +<p> +An diese Gläubigen soll Der nicht sein Herz binden, wer meiner Art unter +Menschen ist; an diese Lenze und bunte Wiesen soll Der nicht glauben, wer die +flüchtig-feige Menschenart kennt! +</p> + +<p> +<i>Könnten</i> sie anders, so würden sie auch anders <i>wollen</i>. Halb- und +Halbe verderben alles Ganze. Dass Blätter welk werden,—was ist da zu +klagen! +</p> + +<p> +Lass sie fahren und fallen, oh Zarathustra, und klage nicht! Lieber noch blase +mit raschelnden Winden unter sie,— +</p> + +<p> +—blase unter diese Blätter, oh Zarathustra: dass alles <i>Welke</i> +schneller noch von dir davonlaufen!— +</p> + +<h4>2.</h4> + +<p> +„Wir sind wieder fromm geworden“ —so bekennen diese Abtrünnigen; und +Manche von ihnen sind noch zu feige, also zu bekennen. +</p> + +<p> +Denen sehe ich in’s Auge,—denen sage ich es in’s Gesicht und +in die Röthe ihrer Wangen: ihr seid Solche, welche wieder <i>beten</i>! +</p> + +<p> +Es ist aber eine Schmach, zu beten! Nicht für Alle, aber für dich und mich und +wer auch im Kopfe sein Gewissen hat. Für <i>dich</i> ist es eine Schmach, zu +beten! +</p> + +<p> +Du weisst es wohl: dein feiger Teufel in dir, der gerne Hände-falten und +Hände-in-den-Schooss-legen und es bequemer haben möchte:—dieser feige +Teufel redet dir zu „es <i>giebt</i> einen Gott!“ +</p> + +<p> +<i>Damit</i> aber gehörst du zur lichtscheuen Art, denen Licht nimmer Ruhe +lässt; nun musst du täglich deinen Kopf tiefer in Nacht und Dunst stecken! +</p> + +<p> +Und wahrlich, du wähltest die Stunde gut: denn eben wieder fliegen die +Nachtvögel aus. Die Stunde kam allem lichtscheuen Volke, die Abend- und +Feierstunde, wo es nicht—„feiert.“ +</p> + +<p> +Ich höre und rieche es: es kam ihre Stunde für Jagd und Umzug, nicht zwar für +eine wilde Jagd, sondern für eine zahme lahme schnüffelnde Leisetreter- und +Leisebeter-Jagd,— +</p> + +<p> +—für eine Jagd auf seelenvolle Duckmäuser: alle Herzens- Mausefallen sind +jetzt wieder aufgestellt! Und wo ich einen Vorhang aufhebe, da kommt ein +Nachtfalterchen herausgestürzt. +</p> + +<p> +Hockte es da wohl zusammen mit einem andern Nachtfalterchen? Denn überall +rieche ich kleine verkrochne Gemeinden; und wo es Kämmerlein giebt, da giebt es +neue Bet-Brüder drin und den Dunst von Bet-Brüdern. +</p> + +<p> +Sie sitzen lange Abende bei einander und sprechen: lasset uns wieder werden wie +die Kindlein und „lieber Gott“ sagen!—an Mund und Magen verdorben durch +die frommen Zuckerbäcker. +</p> + +<p> +Oder sie sehen lange Abende einer listigen lauernden Kreuzspinne zu, welche den +Spinnen selber Klugheit predigt und also lehrt: „unter Kreuzen ist gut +spinnen!“ +</p> + +<p> +Oder sie sitzen Tags über mit Angelruthen an Sümpfen und glauben sich +<i>tief</i> damit; aber wer dort fischt, wo es keine Fische giebt, den heisse +ich noch nicht einmal oberflächlich! +</p> + +<p> +Oder sie lernen fromm-froh die Harfe schlagen bei einem Lieder-Dichter, der +sich gern jungen Weibchen in’s Herz harfnen möchte:—denn er wurde +der alten Weibchen müde und ihres Lobpreisens. +</p> + +<p> +Oder sie lernen gruseln bei einem gelehrten Halb-Tollen, der in dunklen Zimmern +wartet, dass ihm die Geister kommen—und der Geist ganz davonläuft! +</p> + +<p> +Oder sie horchen einem alten umgetriebnen Schnurr- und Knurrpfeifer zu, der +trüben Winden die Trübsal der Töne ablernte; nun pfeift er nach dem Winde und +predigt in trüben Tönen Trübsal. +</p> + +<p> +Und Einige von ihnen sind sogar Nachtwächter geworden: die verstehen jetzt in +Hörner zu blasen und Nachts umherzugehn und alte Sachen aufzuwecken, die lange +schon eingeschlafen sind. +</p> + +<p> +Fünf Worte von alten Sachen hörte ich gestern Nachts an der Garten-Mauer: die +kamen von solchen alten betrübten trocknen Nachtwächtern. +</p> + +<p> +„Für einen Vater sorgt er nicht genug um seine Kinder: Menschen-Väter thun +diess besser!“— +</p> + +<p> +„Er ist zu alt! Er sorgt schon gar nicht mehr um seine Kinder“—also +antwortete der andere Nachtwächter. +</p> + +<p> +„<i>Hat</i> er denn Kinder? Niemand kann’s beweisen, wenn er’s +selber nicht beweist! Ich wollte längst, er bewiese es einmal gründlich.“ +</p> + +<p> +„Beweisen? Als ob <i>Der</i> je Etwas bewiesen hätte! Beweisen fällt ihm +schwer; er hält grosse Stücke darauf, dass man ihm glaubt.“ +</p> + +<p> +„Ja! Ja! Der Glaube macht ihn selig, der Glaube an ihn. Das ist so die Art +alter Leute! So geht’s uns auch!“— +</p> + +<p> +—Also sprachen zu einander die zwei alten Nachtwächter und +Lichtscheuchen, und tuteten darauf betrübt in ihre Hörner: so geschah’s +gestern Nachts an der Garten-Mauer. +</p> + +<p> +Mir aber wand sich das Herz vor Lachen und wollte brechen und wusste nicht, +wohin? und sank in’s Zwerchfell. +</p> + +<p> +Wahrlich, das wird noch mein Tod sein, dass ich vor Lachen ersticke, wenn ich +Esel betrunken sehe und Nachtwächter also an Gott zweifeln höre. +</p> + +<p> +Ist es denn nicht <i>lange</i> vorbei auch für alle solche Zweifel? Wer darf +noch solche alte eingeschlafne lichtscheue Sachen aufwecken! +</p> + +<p> +Mit den alten Göttern gieng es ja lange schon zu Ende:—und wahrlich, ein +gutes fröhliches Götter-Ende hatten sie! +</p> + +<p> +Sie „dämmerten“ sich nicht zu Tode,—das lügt man wohl! Vielmehr: sie +haben sich selber einmal zu Tode—<i>gelacht</i>! +</p> + +<p> +Das geschah, als das gottloseste Wort von einem Gotte selber +ausgieng,—das Wort: „Es ist Ein Gott! Du sollst keinen andern Gott haben +neben mir!“— +</p> + +<p> +—ein alter Grimm-Bart von Gott, ein eifersüchtiger vergass sich also: +</p> + +<p> +Und alle Götter lachten damals und wackelten auf ihren Stühlen und riefen: „Ist +das nicht eben Göttlichkeit, dass es Götter, aber keinen Gott giebt?“ +</p> + +<p> +Wer Ohren hat, der höre.— +</p> + +<p> +Also redete Zarathustra in der Stadt, die er liebte und welche zubenannt ist +die bunte Kuh. Von hier nämlich hatte er nur noch zwei Tage zu gehen, dass er +wieder in seine Höhle käme und zu seinen Thieren; seine Seele aber frohlockte +beständig ob der Nähe seiner Heimkehr.— +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap55"></a>Die Heimkehr</h3> + +<p> +Oh Einsamkeit! Du meine <i>Heimat</i> Einsamkeit! Zu lange lebte ich wild in +wilder Fremde, als dass ich nicht mit Thränen zu dir heimkehrte! +</p> + +<p> +Nun drohe mir nur mit dem Finger, wie Mütter drohn, nein lächle mir zu, wie +Mütter lächeln, nun sprich nur: „Und wer war das, der wie ein Sturmwind einst +von mir davonstürmte?— +</p> + +<p> +—der scheidend rief: zu lange sass ich bei der Einsamkeit, da verlernte +ich das Schweigen! <i>Das</i>—lerntest du nun wohl? +</p> + +<p> +Oh Zarathustra, Alles weiss ich: und dass du unter den Vielen +<i>verlassener</i> warst, du Einer, als je bei mir! +</p> + +<p> +Ein Anderes ist Verlassenheit, ein Anderes Einsamkeit: +<i>Das</i>—lerntest du nun! Und dass du unter Menschen immer wild und +fremd sein wirst: +</p> + +<p> +-Wild und fremd auch noch, wenn sie dich lieben: denn zuerst von Allem wollen +sie <i>geschont</i> sein! +</p> + +<p> +Hier aber bist du bei dir zu Heim und Hause; hier kannst du Alles hinausreden +und alle Gründe ausschütten, Nichts schämt sich hier versteckter, verstockter +Gefühle. +</p> + +<p> +Hier kommen alle Dinge liebkosend zu deiner Rede und schmeicheln dir: denn sie +wollen auf deinem Rücken reiten. Auf jedem Gleichniss reitest du hier zu jeder +Wahrheit. +</p> + +<p> +Aufrecht und aufrichtig darfst du hier zu allen Dingen reden: und wahrlich, wie +Lob klingt es ihren Ohren, dass Einer mit allen Dingen—gerade redet! +</p> + +<p> +Ein Anderes aber ist Verlassensein. Denn, weisst du noch, oh Zarathustra? Als +damals dein Vogel über dir schrie, als du im Walde standest, unschlüssig, +wohin? unkundig, einem Leichnam nahe:— +</p> + +<p> +—als du sprachst: mögen mich meine Thiere führen! Gefährlicher fand +ich’s unter Menschen, als unter Thieren:—<i>Das</i> war +Verlassenheit! +</p> + +<p> +Und weisst du noch, oh Zarathustra? Als du auf deiner Insel sassest, unter +leeren Eimern ein Brunnen Weins, gebend und ausgebend, unter Durstigen +schenkend und ausschenkend: +</p> + +<p> +—bis du endlich durstig allein unter Trunkenen sassest und nächtlich +klagtest „ist Nehmen nicht seliger als Geben? Und Stehlen noch seliger +als Nehmen?“—<i>Das</i> war Verlassenheit! +</p> + +<p> +Und weisst du noch, oh Zarathustra? Als deine stillste Stunde kam und dich von +dir selber forttrieb, als sie mit bösem Flüstern sprach: „Sprich und +zerbrich!“ - +</p> + +<p> +—als sie dir all dein Warten und Schweigen leid machte und deinen +demüthigen Muth entmuthigte: <i>Das</i> war Verlassenheit!“— +</p> + +<p> +Oh Einsamkeit! Du meine Heimat Einsamkeit! Wie selig und zärtlich redet deine +Stimme zu mir! +</p> + +<p> +Wir fragen einander nicht, wir klagen einander nicht, wir gehen offen mit +einander durch offne Thüren. +</p> + +<p> +Denn offen ist es bei dir und hell; und auch die Stunden laufen hier auf +leichteren Füssen. Im Dunklen nämlich trägt man schwerer an der Zeit, als im +Lichte. +</p> + +<p> +Hier springen mir alles Seins Worte und Wort-Schreine auf: alles Sein will hier +Wort werden, alles Werden will hier von mir reden lernen. +</p> + +<p> +Da unten aber—da ist alles Reden umsonst! Da ist Vergessen und +Vorübergehn die beste Weisheit: <i>Das</i>—lernte ich nun! +</p> + +<p> +Wer Alles bei den Menschen begreifen wollte, der müsste Alles angreifen. Aber +dazu habe ich zu reinliche Hände. +</p> + +<p> +Ich mag schon ihren Athem nicht einathmen; ach, dass ich so lange unter ihrem +Lärm und üblem Athem lebte! +</p> + +<p> +Oh selige Stille um mich! Oh reine Gerüche um mich! Oh wie aus tiefer Brust +diese Stille reinen Athem holt! Oh wie sie horcht, diese selige Stille! +</p> + +<p> +Aber da unten—da redet Alles, da wird Alles überhört. Man mag seine +Weisheit mit Glocken einläuten: die Krämer auf dem Markte werden sie mit +Pfennigen überklingeln! +</p> + +<p> +Alles bei ihnen redet, Niemand weiss mehr zu verstehn. Alles fällt in’s +Wasser, Nichts fällt mehr in tiefe Brunnen. +</p> + +<p> +Alles bei ihnen redet, Nichts geräth mehr und kommt zu Ende. Alles gackert, +aber wer will noch still auf dem Neste sitzen und Eier brüten? +</p> + +<p> +Alles bei ihnen redet, Alles wird zerredet. Und was gestern noch zu hart war +für die Zeit selber und ihren Zahn: heute hängt es zerschabt und zernagt aus +den Mäulern der Heutigen. +</p> + +<p> +Alles bei ihnen redet, Alles wird verrathen. Und was einst Geheimniss hiess und +Heimlichkeit tiefer Seelen, heute gehört es den Gassen-Trompetern und andern +Schmetterlingen. +</p> + +<p> +Oh Menschenwesen, du wunderliches! Du Lärm auf dunklen Gassen! Nun liegst du +wieder hinter mir:—meine grösste Gefahr liegt hinter mir! +</p> + +<p> +Im Schonen und Mitleiden lag immer meine grösste Gefahr; und alles +Menschenwesen will geschont und gelitten sein. +</p> + +<p> +Mit verhaltenen Wahrheiten, mit Narrenhand und vernarrtem Herzen und reich an +kleinen Lügen des Mitleidens:—also lebte ich immer unter Menschen. +</p> + +<p> +Verkleidet sass ich unter ihnen, bereit, <i>mich</i> zu verkennen, dass ich +<i>sie</i> ertrüge, und gern mir zuredend „du Narr, du kennst die Menschen +nicht!“ +</p> + +<p> +Man verlernt die Menschen, wenn man unter Menschen lebt: zu viel Vordergrund +ist an allen Menschen,—was sollen da weitsichtige, weit-süchtige Augen! +</p> + +<p> +Und wenn sie mich verkannten: ich Narr schonte sie darob mehr, als mich: +gewohnt zur Härte gegen mich und oft noch an mir selber mich rächend für diese +Schonung. +</p> + +<p> +Zerstochen von giftigen Fliegen und ausgehöhlt, dem Steine gleich, von vielen +Tropfen Bosheit, so sass ich unter ihnen und redete mir noch zu: „unschuldig +ist alles Kleine an seiner Kleinheit!“ +</p> + +<p> +Sonderlich Die, welche sich „die Guten“ heissen, fand ich als die giftigsten +Fliegen: sie stechen in aller Unschuld, sie lügen in aller Unschuld; wie +<i>vermöchten</i> sie, gegen mich—gerecht zu sein! +</p> + +<p> +Wer unter den Guten lebt, den lehrt Mitleid lügen. Mitleid macht dumpfe Luft +allen freien Seelen. Die Dummheit der Guten nämlich ist unergründlich. +</p> + +<p> +Mich selber verbergen und meinen Reichthum—<i>das</i> lernte ich da +unten: denn jeden fand ich noch arm am Geiste. Das war der Lug meines +Mitleidens, dass ich bei jedem wusste, +</p> + +<p> +—dass ich jedem es ansah und anroch, was ihm Geistes <i>genug</i> und was +ihm schon Geistes <i>zuviel</i> war! +</p> + +<p> +Ihre steifen Weisen: ich hiess sie weise, nicht steif,—so lernte ich +Worte verschlucken. Ihre Todtengräber: ich hiess sie Forscher und +Prüfer,—so lernte ich Worte vertauschen. +</p> + +<p> +Die Todtengräber graben sich Krankheiten an. Unter altem Schutte ruhn schlimme +Dünste. Man soll den Morast nicht aufrühren. Man soll auf Bergen leben. +</p> + +<p> +Mit seligen Nüstern athme ich wieder Berges-Freiheit! Erlöst ist endlich meine +Nase vom Geruch alles Menschenwesens! +</p> + +<p> +Von scharfen Lüften gekitzelt, wie von schäumenden Weinen, <i>niest</i> meine +Seele,—niest und jubelt sich zu: Gesundheit! +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap56"></a>Von den drei Bösen</h3> + +<h4>1.</h4> + +<p> +Im Traum, im letzten Morgentraume stand ich heut auf einem +Vorgebirge,—jenseits der Welt, hielt eine Wage und <i>wog</i> die Welt. +</p> + +<p> +Oh dass zu früh mir die Morgenröthe kam: die glühte mich wach, die +Eifersüchtige! Eifersüchtig ist sie immer auf meine Morgentraum-Gluthen. +</p> + +<p> +Messbar für Den, der Zeit hat, wägbar für einen guten Wäger, erfliegbar für +starke Fittige, errathbar für göttliche Nüsseknacker: also fand mein Traum die +Welt:— +</p> + +<p> +Mein Traum, ein kühner Segler, halb Schiff, halb Windsbraut, gleich +Schmetterlingen schweigsam, ungeduldig gleich Edelfalken: wie hatte er doch zum +Welt-Wägen heute Geduld und Weile! +</p> + +<p> +Sprach ihm heimlich wohl meine Weisheit zu, meine lachende wache Tags-Weisheit, +welche über alle „unendliche Welten“ spottet? Denn sie spricht: „wo Kraft ist, +wird auch die <i>Zahl</i> Meisterin: die hat mehr Kraft.“ +</p> + +<p> +Wie sicher schaute mein Traum auf diese endliche Welt, nicht neugierig, nicht +altgierig, nicht fürchtend, nicht bittend:— +</p> + +<p> +—als ob ein voller Apfel sich meiner Hand böte, ein reifer Goldapfel, mit +kühl-sanfter sammtener Haut:—so bot sich mir die Welt:— +</p> + +<p> +—als ob ein Baum mir winke, ein breitästiger, starkwilliger, gekrümmt zur +Lehne und noch zum Fussbrett für den Wegmüden: so stand die Welt auf meinem +Vorgebirge:— +</p> + +<p> +—als ob zierliche Hände mir einen Schrein entgegentrügen,—einen +Schrein offen für das Entzücken schamhafter verehrender Augen: also bot sich +mir heute die Welt entgegen:— +</p> + +<p> +—nicht Räthsel genug, um Menschen-Liebe davon zu scheuchen, nicht Lösung +genug, um Menschen-Weisheit einzuschläfern:—ein menschlich gutes Ding war +mir heut die Welt, der man so Böses nachredet! +</p> + +<p> +Wie danke ich es meinem Morgentraum, dass ich also in der Frühe heut die Welt +wog! Als ein menschlich gutes Ding kam er zu mir, dieser Traum und +Herzenströster! +</p> + +<p> +Und dass ich’s ihm gleich thue am Tage und sein Bestes ihm nach- und +ablerne: will ich jetzt die drei bösesten Dinge auf die Wage thun und +menschlich gut abwägen.— +</p> + +<p> +Wer da segnen lehrte, der lehrte auch fluchen: welches sind in der Welt die +drei bestverfluchten Dinge? Diese will ich auf die Wage thun. +</p> + +<p> +Wollust, Herrschsucht, Selbstsucht: diese Drei wurden bisher am besten +verflucht und am schlimmsten beleu- und belügenmundet,—diese Drei will +ich menschlich gut abwägen. +</p> + +<p> +Wohlauf! Hier ist mein Vorgebirg und da das Meer: <i>das</i> wälzt sich zu mir +heran, zottelig, schmeichlerisch, das getreue alte hundertköpfige +Hunds-Ungethüm, das ich liebe. +</p> + +<p> +Wohlauf! Hier will ich die Wage halten über gewälztem Meere: und auch einen +Zeugen wähle ich, dass er zusehe,—dich, du Einsiedler-Baum, dich +starkduftigen, breitgewölbten, den ich liebe!— +</p> + +<p> +Auf welcher Brücke geht zum Dereinst das Jetzt? Nach welchem Zwange zwingt das +Hohe sich zum Niederen? Und was heisst auch das Höchste +noch—hinaufwachsen?— +</p> + +<p> +Nun steht die Wage gleich und still: drei schwere Fragen warf ich hinein, drei +schwere Antworten trägt die andre Wagschale. +</p> + +<h4>2.</h4> + +<p> +Wollust: allen busshemdigen Leib-Verächtern ihr Stachel und Pfahl, und als +„Welt“ verflucht bei allen Hinterweltlern: denn sie höhnt und narrt alle Wirr- +und Irr-Lehrer. +</p> + +<p> +Wollust: dem Gesindel das langsame Feuer, auf dem es verbrannt wird; allem +wurmichten Holze, allen stinkenden Lumpen der bereite Brunst- und Brodel-Ofen. +</p> + +<p> +Wollust: für die freien Herzen unschuldig und frei, das Garten-Glück der Erde, +aller Zukunft Dankes-Überschwang an das Jetzt. +</p> + +<p> +Wollust: nur dem Welken ein süsslich Gift, für die Löwen-Willigen aber die +grosse Herzstärkung, und der ehrfürchtig geschonte Wein der Weine. +</p> + +<p> +Wollust: das grosse Gleichniss-Glück für höheres Glück und höchste Hoffnung. +Vielem nämlich ist Ehe verheissen und mehr als Ehe,— +</p> + +<p> +—Vielem, das fremder sich ist, als Mann und Weib:—und wer begriff +es ganz, <i>wie fremd</i> sich Mann und Weib sind! +</p> + +<p> +Wollust:—doch ich will Zäune um meine Gedanken haben und auch noch um +meine Worte: dass mir nicht in meine Gärten die Schweine und Schwärmer +brechen!— +</p> + +<p> +Herrschsucht: die Glüh-Geissel der härtesten Herzensharten; die grause Marter, +die sich dem Grausamsten selber aufspart; die düstre Flamme lebendiger +Scheiterhaufen. +</p> + +<p> +Herrschsucht: die boshafte Bremse, die den eitelsten Völkern aufgesetzt wird; +die Verhöhnerin aller ungewissen Tugend; die auf jedem Rosse und jedem Stolze +reitet. +</p> + +<p> +Herrschsucht: das Erdbeben, das alles Morsche und Höhlichte bricht und +aufbricht; die rollende grollende strafende Zerbrecherin übertünchter Gräber; +das blitzende Fragezeichen neben vorzeitigen Antworten. +</p> + +<p> +Herrschsucht: vor deren Blick der Mensch kriecht und duckt und fröhnt und +niedriger wird als Schlange und Schwein:—bis endlich die grosse +Verachtung aus ihm aufschreie—, +</p> + +<p> +Herrschsucht: die furchtbare Lehrerin der grossen Verachtung, welche Städten +und Reichen in’s Antlitz predigt „hinweg mit dir!“—bis es aus ihnen +selber aufschreie „hinweg mit <i>mir</i>!“ +</p> + +<p> +Herrschsucht: die aber lockend auch zu Reinen und Einsamen und hinauf zu +selbstgenugsamen Höhen steigt, glühend gleich einer Liebe, welche purpurne +Seligkeiten lockend an Erdenhimmel malt. +</p> + +<p> +Herrschsucht: doch wer hiesse es <i>Sucht</i>, wenn das Hohe hinab nach Macht +gelüstet! Wahrlich, nichts Sieches und Süchtiges ist an solchem Gelüsten und +Niedersteigen! +</p> + +<p> +Dass die einsame Höhe sich nicht ewig vereinsame und selbst begnüge; dass der +Berg zu Thale komme und die Winde der Höhe zu den Niederungen:— +</p> + +<p> +Oh wer fände den rechten Tauf- und Tugendnamen für solche Sehnsucht! +„Schenkende Tugend“—so nannte das Unnennbare einst Zarathustra. +</p> + +<p> +Und damals geschah es auch,—und wahrlich, es geschah zum ersten +Male!—dass sein Wort die <i>Selbstsucht</i> selig pries, die heile, +gesunde Selbstsucht, die aus mächtiger Seele quillt:— +</p> + +<p> +—aus mächtiger Seele, zu welcher der hohe Leib gehört, der schöne, +sieghafte, erquickliche, um den herum jedwedes Ding Spiegel wird: +</p> + +<p> +—der geschmeidige überredende Leib, der Tänzer, dessen Gleichniss und +Auszug die selbst-lustige Seele ist. Solcher Leiber und Seelen Selbst-Lust +heisst sich selber: „Tugend.“ +</p> + +<p> +Mit ihren Worten von Gut und Schlecht schirmt sich solche Selbst-Lust wie mit +heiligen Hainen; mit den Namen ihres Glücks bannt sie von sich alles +Verächtliche. +</p> + +<p> +Von sich weg bannt sie alles Feige; sie spricht: Schlecht—das ist feige! +Verächtlich dünkt ihr der immer Sorgende, Seufzende, Klägliche und wer auch die +kleinsten Vortheile aufliest. +</p> + +<p> +Sie verachtet auch alle wehselige Weisheit: denn, wahrlich, es giebt auch +Weisheit, die im Dunklen blüht, eine Nachtschatten-Weisheit: als welche immer +seufzt: „Alles ist eitel!“ +</p> + +<p> +Das scheue Misstrauen gilt ihr gering, und Jeder, wer Schwüre statt Blicke und +Hände will: auch alle allzu misstrauische Weisheit,—denn solche ist +feiger Seelen Art. +</p> + +<p> +Geringer noch gilt ihr der Schnell-Gefällige, der Hündische, der gleich auf dem +Rücken liegt, der Demüthige; und auch Weisheit giebt es, die demüthig und +hündisch und fromm und schnellgefällig ist. +</p> + +<p> +Verhasst ist ihr gar und ein Ekel, wer nie sich wehren will, wer giftigen +Speichel und böse Blicke hinunterschluckt, der All-zu-Geduldige, Alles-Dulder, +Allgenügsame: das nämlich ist die knechtische Art. +</p> + +<p> +Ob Einer vor Göttern und göttlichen Fusstritten knechtisch ist, ob vor Menschen +und blöden Menschen-Meinungen: <i>alle</i> Knechts-Art speit sie an, diese +selige Selbstsucht! +</p> + +<p> +Schlecht: so beisst sie Alles, was geknickt und knickerisch-knechtisch ist, +unfreie Zwinker-Augen, gedruckte Herzen, und jene falsche nachgebende Art, +welche mit breiten feigen Lippen küsst. +</p> + +<p> +Und After-Weisheit: so heisst sie Alles, was Knechte und Greise und Müde +witzeln; und sonderlich die ganze schlimme aberwitzige, überwitzige +Priester-Narrheit! +</p> + +<p> +Die After-Weisen aber, alle die Priester, Weltmüden und wessen Seele von Weibs- +und Knechtsart ist,—oh wie hat ihr Spiel von jeher der Selbstsucht übel +mitgespielt! +</p> + +<p> +Und Das gerade sollte Tugend sein und Tugend heissen, <i>dass</i> man der +Selbstsucht übel mitspiele! Und „selbstlos“—so wünschten sich selber mit +gutem Grunde alle diese weltmüden Feiglinge und Kreuzspinnen! +</p> + +<p> +Aber denen Allen kommt nun der Tag, die Wandlung, das Richtschwert, <i>der +grosse Mittag</i>: da soll Vieles offenbar werden! +</p> + +<p> +Und wer das Ich heil und heilig spricht und die Selbstsucht selig, wahrlich, +der spricht auch, was er weiss, ein Weissager: „Siehe, er kommt, er ist nahe, +der grosse Mittag!“ +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap57"></a>Vom Geist der Schwere</h3> + +<h4>1.</h4> + +<p> +Mein Mundwerk—ist des Volks: zu grob und herzlich rede ich für die +Seidenhasen. Und noch fremder klingt mein Wort allen Tinten-Fischen und +Feder-Füchsen. +</p> + +<p> +Meine Hand—ist eine Narrenhand: wehe allen Tischen und Wänden, und was +noch Platz hat für Narren-Zierath, Narren-Schmierath! +</p> + +<p> +Mein Fuss—ist ein Pferdefuss; damit trapple und trabe ich über Stock und +Stein, kreuz- und querfeld-ein und bin des Teufels vor Lust bei allem schnellen +Laufen. +</p> + +<p> +Mein Magen—ist wohl eines Adlers Magen? Denn er liebt am liebsten +Lammfleisch. Gewisslich aber ist er eines Vogels Magen. +</p> + +<p> +Von unschuldigen Dingen genährt und von Wenigem, bereit und ungeduldig zu +fliegen, davonzufliegen—das ist nun meine Art: wie sollte nicht Etwas +daran von Vogel-Art sein! +</p> + +<p> +Und zumal, dass ich dem Geist der Schwere feind bin, das ist Vogel-Art: und +wahrlich, todfeind, erzfeind, urfeind! Oh wohin flog und verflog sich nicht +schon meine Feindschaft! +</p> + +<p> +Davon könnte ich schon ein Lied singen—- und <i>will</i> es singen: ob +ich gleich allein in leerem Hause bin und es meinen eignen Ohren singen muss. +</p> + +<p> +Andre Sänger giebt es freilich, denen macht das volle Haus erst ihre Kehle +weide, ihre Hand gesprächig, ihr Auge ausdrücklich, ihr Herz wach:—Denen +gleiche ich nicht.— +</p> + +<h4>2.</h4> + +<p> +Wer die Menschen einst fliegen lehrt, der hat alle Grenzsteine verrückt; alle +Grenzsteine selber werden ihm in die Luft fliegen, die Erde wird er neu taufen +—als „die Leichte.“ +</p> + +<p> +Der Vogel Strauss läuft schneller als das schnellste Pferd, aber auch er steckt +noch den Kopf schwer in schwere Erde: also der Mensch, der noch nicht fliegen +kann. +</p> + +<p> +Schwer heisst ihm Erde und Leben; und so <i>will</i> es der Geist der Schwere! +Wer aber leicht werden will und ein Vogel, der muss sich selber +lieben:—also lehre <i>ich</i>. +</p> + +<p> +Nicht freilich mit der Liebe der Siechen und Süchtigen: denn bei denen stinkt +auch die Eigenliebe! +</p> + +<p> +Man muss sich selber lieben lernen—also lehre ich—mit einer heilen +und gesunden Liebe: dass man es bei sich selber aushalte und nicht +umherschweife. +</p> + +<p> +Solches Umherschweifen tauft sich „Nächstenliebe“ : mit diesem Worte ist bisher +am besten gelogen und geheuchelt worden, und sonderlich von Solchen, die aller +Welt schwer fielen. +</p> + +<p> +Und wahrlich, das ist kein Gebot für Heute und Morgen, sich lieben +<i>lernen</i>. Vielmehr ist von allen Künsten diese die feinste, listigste, +letzte und geduldsamste. +</p> + +<p> +Für seinen Eigener ist nämlich alles Eigene gut versteckt; und von allen +Schatzgruben wird die eigne am spätesten ausgegraben,—also schafft es der +Geist der Schwere. +</p> + +<p> +Fast in der Wiege giebt man uns schon schwere Worte und Werthe mit: „gut“ und +„böse“ —so heisst sich diese Mitgift. Um derentwillen vergiebt man uns, +dass wir leben. +</p> + +<p> +Und dazu lässt man die Kindlein zu sich kommen, dass man ihnen bei Zeiten +wehre, sich selber zu lieben: also schafft es der Geist der Schwere. +</p> + +<p> +Und wir—wir schleppen treulich, was man uns mitgiebt, auf harten +Schultern und über rauhe Berge! Und schwitzen wir, so sagt man uns: „Ja, das +Leben ist schwer zu tragen!“ +</p> + +<p> +Aber der Mensch nur ist sich schwer zu tragen! Das macht, er schleppt zu vieles +Fremde auf seinen Schultern. Dem Kameele gleich kniet er nieder und lässt sich +gut aufladen. +</p> + +<p> +Sonderlich der starke, tragsame Mensch, dem Ehrfurcht innewohnt: zu viele +<i>fremde</i> schwere Worte und Werthe lädt er auf sich,—nun dünkt das +Leben ihm eine Wüste! +</p> + +<p> +Und wahrlich! Auch manches <i>Eigene</i> ist schwer zu tragen! Und viel +Inwendiges am Menschen ist der Auster gleich, nämlich ekel und schlüpfrig und +schwer erfasslich—, +</p> + +<p> +—also dass eine edle Schale mit edler Zierath fürbitten muss. Aber auch +diese Kunst muss man lernen: Schale <i>haben</i> und schönen Schein und kluge +Blindheit! +</p> + +<p> +Abermals trügt über Manches am Menschen, dass manche Schale gering und traurig +und zu sehr Schale ist. Viel verborgene Güte und Kraft wird nie errathen; die +köstlichsten Leckerbissen finden keine Schmecker! +</p> + +<p> +Die Frauen wissen das, die köstlichsten: ein Wenig fetter, ein Wenig +magerer—oh wie viel Schicksal liegt in so Wenigem! +</p> + +<p> +Der Mensch ist schwer zu entdecken und sich selber noch am schwersten; oft lügt +der Geist über die Seele. Also schafft es der Geist der Schwere. +</p> + +<p> +Der aber hat sich selber entdeckt, welcher spricht: Das ist <i>mein</i> Gutes +und Böses: damit hat er den Maulwurf und Zwerg stumm gemacht, welcher spricht +„Allen gut, Allen bös.“ +</p> + +<p> +Wahrlich, ich mag auch Solche nicht, denen jegliches Ding gut und diese Welt +gar die beste heisst. Solche nenne ich die Allgenügsamen. +</p> + +<p> +Allgenügsamkeit, die Alles zu schmecken weiss: das ist nicht der beste +Geschmack! Ich ehre die widerspänstigen wählerischen Zungen und Mägen, welche +„Ich“ und „Ja“ und „Nein“ sagen lernten. +</p> + +<p> +Alles aber kauen und verdauen—das ist eine rechte Schweine-Art! Immer I-a +sagen—das lernte allein der Esel, und wer seines Geistes ist!— +</p> + +<p> +Das tiefe Gelb und das heisse Roth: so will es <i>mein</i> Geschmack,—der +mischt Blut zu allen Farben. Wer aber sein Haus weiss tüncht, der verräth mir +eine weissgetünchte Seele. +</p> + +<p> +In Mumien verliebt die Einen, die Andern in Gespenster; und Beide gleich feind +allem Fleisch und Blute—oh wie gehen Beide mir wider den Geschmack! Denn +ich liebe Blut. +</p> + +<p> +Und dort will ich nicht wohnen und weilen, wo Jedermann spuckt und speit: das +ist nun <i>mein</i> Geschmack,—lieber noch lebte ich unter Dieben und +Meineidigen. Niemand trägt Gold im Munde. +</p> + +<p> +Widriger aber sind mir noch alle Speichellecker; und das widrigste Thier von +Mensch, das ich fand, das taufte ich Schmarotzer: das wollte nicht lieben und +doch von Liebe leben. +</p> + +<p> +Unselig heisse ich Alle, die nur Eine Wahl haben: böse Thiere zu werden oder +böse Thierbändiger: bei Solchen würde ich mir keine Hütten bauen. +</p> + +<p> +Unselig heisse ich auch Die, welche immer <i>warten</i> müssen,—die gehen +mir wider den Geschmack: alle die Zöllner und Krämer und Könige und andren +Länder- und Ladenhüter. +</p> + +<p> +Wahrlich, ich lernte das Warten auch und von Grund aus, +</p> + +<p> +—aber nur das Warten auf <i>mich</i>. Und über Allem lernte ich stehn und +gehn und laufen und springen und klettern und tanzen. +</p> + +<p> +Das ist aber meine Lehre: wer einst fliegen lernen will, der muss erst stehn +und gehn und laufen und klettern und tanzen lernen:—man erfliegt das +Fliegen nicht! +</p> + +<p> +Mit Strickleitern lernte ich manches Fenster erklettern, mit hurtigen Beinen +klomm ich auf hohe Masten: auf hohen Masten der Erkenntniss sitzen dünkte mich +keine geringe Seligkeit,— +</p> + +<p> +—gleich kleinen Flammen flackern auf hohen Masten: ein kleines Licht +zwar, aber doch ein grosser Trost für verschlagene Schiffer und +Schiffbrüchige!— +</p> + +<p> +Auf vielerlei Weg und Weise kam ich zu meiner Wahrheit; nicht auf Einer Leiter +stieg ich zur Höhe, wo mein Auge in meine Ferne schweift. +</p> + +<p> +Und ungern nur fragte ich stets nach Wegen,—das gieng mir immer wider den +Geschmack! Lieber fragte und versuchte ich die Wege selber. +</p> + +<p> +Ein Versuchen und Fragen war all mein Gehen:—und wahrlich, auch antworten +muss man <i>lernen</i> auf solches Fragen! Das aber—ist mein Geschmack: +</p> + +<p> +—kein guter, kein schlechter, aber <i>mein</i> Geschmack, dessen ich +weder Scham noch Hehl mehr habe. +</p> + +<p> +„Das—ist nun <i>mein</i> Weg,—wo ist der eure?“ so antwortete ich +Denen, welche mich „nach dem Wege“ fragten. <i>Den</i> Weg nämlich—den +giebt es nicht! +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap58"></a>Von alten und neuen Tafeln</h3> + +<h4>1.</h4> + +<p> +Hier sitze ich und warte, alte zerbrochene Tafeln um mich und auch neue halb +beschriebene Tafeln. Wann kommt meine Stunde? +</p> + +<p> +—die Stunde meines Niederganges, Unterganges: denn noch Ein Mal will ich +zu den Menschen gehn. +</p> + +<p> +Dess warte ich nun: denn erst müssen mir die Zeichen kommen, dass es +<i>meine</i> Stunde sei,—nämlich der lachende Löwe mit dem +Taubenschwarme. +</p> + +<p> +Inzwischen rede ich als Einer, der Zeit hat, zu mir selber. Niemand erzählt mir +Neues: so erzähle ich mir mich selber.— +</p> + +<h4>2.</h4> + +<p> +Als ich zu den Menschen kam, da fand ich sie sitzen auf einem alten Dünkel: +Alle dünkten sich lange schon zu wissen, was dem Menschen gut und böse sei. +</p> + +<p> +Eine alte müde Sache dünkte ihnen alles Reden von Tugend; und wer gut schlafen +wollte, der sprach vor Schlafengehen noch von „Gut“ und „Böse“ . +</p> + +<p> +Diese Schläferei störte ich auf, als ich lehrte: was gut und böse ist, <i>das +weiss noch Niemand</i>:—es sei denn der Schaffende! +</p> + +<p> +—Das aber ist Der, welcher des Menschen Ziel schafft und der Erde ihren +Sinn giebt und ihre Zukunft: Dieser erst <i>schafft</i> es, <i>dass</i> Etwas +gut und böse ist. +</p> + +<p> +Und ich hiess sie ihre alten Lehr-Stühle umwerfen, und wo nur jener alte Dünkel +gesessen hatte; ich hiess sie lachen über ihre grossen Tugend-Meister und +Heiligen und Dichter und Welt-Erlöser. +</p> + +<p> +Über ihre düsteren Weisen hiess ich sie lachen, und wer je als schwarze +Vogelscheuche warnend auf dem Baume des Lebens gesessen hatte. +</p> + +<p> +An ihre grosse Gräberstrasse setzte ich mich und selber zu Aas und +Geiern—und ich lachte über all ihr Einst und seine mürbe verfallende +Herrlichkeit. +</p> + +<p> +Wahrlich, gleich Busspredigern und Narrn schrie ich Zorn und Zeter über all ihr +Grosses und Kleines—, dass ihr Bestes so gar klein ist! Dass ihr Bösestes +so gar klein ist!—also lachte ich. +</p> + +<p> +Meine weise Sehnsucht schrie und lachte also aus mir, die auf Bergen geboren +ist, eine wilde Weisheit wahrlich!—meine grosse flügelbrausende +Sehnsucht. +</p> + +<p> +Und oft riss sie mich fort und hinauf und hinweg und mitten im Lachen: da flog +ich wohl schaudernd, ein Pfeil, durch sonnentrunkenes Entzücken: +</p> + +<p> +—hinaus in ferne Zukünfte, die kein Traum noch sah, in heissere Süden, +als je sich Bildner träumten: dorthin, wo Götter tanzend sich aller Kleider +schämen:— +</p> + +<p> +—dass ich nämlich in Gleichnissen rede und gleich Dichtern hinke und +stammle: und wahrlich, ich schäme mich, dass ich noch Dichter sein muss!— +</p> + +<p> +Wo alles Werden mich Götter-Tanz und Götter-Muthwillen dünkte, und die Welt +los- und ausgelassen und zu sich selber zurückfliehend:— +</p> + +<p> +—als ein ewiges Sich-fliehn und -Wiedersuchen vieler Götter, als das +selige Sich-Widersprechen, Sich-Wieder-hören, Sich-Wieder-Zugehören vieler +Götter:— +</p> + +<p> +Wo alle Zeit mich ein seliger Hohn auf Augenblicke dünkte, wo die +Nothwendigkeit die Freiheit selber war, die selig mit dem Stachel der Freiheit +spielte:— +</p> + +<p> +Wo ich auch meinen alten Teufel und Erzfeind wiederfand, den Geist der Schwere +und Alles, was er schuf: Zwang, Satzung, Noth und Folge und Zweck und Wille und +Gut und Böse:— +</p> + +<p> +Denn muss nicht dasein, <i>über</i> das getanzt, hinweggetanzt werde? Müssen +nicht um der Leichten, Leichtesten willen—Maulwürfe und schwere Zwerge +dasein?— +</p> + +<h4>3.</h4> + +<p> +Dort war’s auch, wo ich das Wort „Übermensch“ vom Wege auflas, und dass +der Mensch Etwas sei, das überwunden werden müsse, +</p> + +<p> +—dass der Mensch eine Brücke sei und kein Zweck: sich selig preisend ob +seines Mittags und Abends, als Weg zu neuen Morgenröthen: +</p> + +<p> +—das Zarathustra-Wort vom grossen Mittage, und was sonst ich über den +Menschen aufhängte, gleich purpurnen zweiten Abendröthen. +</p> + +<p> +Wahrlich, auch neue Sterne liess ich sie sehn sammt neuen Nächten; und über +Wolken und Tag und Nacht spannte ich noch das Lachen aus wie ein buntes Gezelt. +</p> + +<p> +Ich lehrte sie all <i>mein</i> Dichten und Trachten: in Eins zu dichten und +zusammen zu tragen, was Bruchstück ist am Menschen und Räthsel und grauser +Zufall,— +</p> + +<p> +—als Dichter, Räthselrather und Erlöser des Zufalls lehrte ich sie an der +Zukunft schaffen, und Alles, das <i>war</i>—, schaffend zu erlösen. +</p> + +<p> +Das Vergangne am Menschen zu erlösen und alles „Es war“ umzuschauen, bis der +Wille spricht: „Aber so wollte ich es! So werde ich’s wollen—“ +</p> + +<p> +—Diess hiess ich ihnen Erlösung, Diess allein lehrte ich sie Erlösung +heissen. -— +</p> + +<p> +Nun warte ich <i>meiner</i> Erlösung—, dass ich zum letzten Male zu ihnen +gehe. +</p> + +<p> +Denn noch Ein Mal will ich zu den Menschen: <i>unter</i> ihnen will ich +untergehen, sterbend will ich ihnen meine reichste Gabe geben! +</p> + +<p> +Der Sonne lernte ich Das ab, wenn sie hinabgeht, die Überreiche: Gold schüttet +sie da in’s Meer aus unerschöpflichem Reichthume,— +</p> + +<p> +—also, dass der ärmste Fischer noch mit <i>goldenem</i> Ruder rudert! +Diess nämlich sah ich einst und wurde der Thränen nicht satt im +Zuschauen.— +</p> + +<p> +Der Sonne gleich will auch Zarathustra untergehn: nun sitzt er hier und wartet, +alte zerbrochne Tafeln um sich und auch neue Tafeln,—halbbeschriebene. +</p> + +<h4>4.</h4> + +<p> +Siehe, hier ist eine neue Tafel: aber wo sind meine Brüder, die sie mit mir zu +Thale und in fleischerne Herzen tragen?— +</p> + +<p> +Also heischt es meine grosse Liebe zu den Fernsten: schone deinen Nächsten +nicht! Der Mensch ist Etwas, das überwunden werden muss. +</p> + +<p> +Es giebt vielerlei Weg und Weise der Überwindung.- da siehe <i>du</i> zu! Aber +nur ein Possenreisser denkt: „der Mensch kann auch <i>übersprungen</i> werden.“ +</p> + +<p> +Überwinde dich selber noch in deinem Nächsten: und ein Recht, das du dir rauben +kannst, sollst du dir nicht geben lassen! +</p> + +<p> +Was du thust, das kann dir Keiner wieder thun. Siehe, es giebt keine +Vergeltung. +</p> + +<p> +Wer sich nicht befehlen kann, der soll gehorchen. Und Mancher <i>kann</i> sich +befehlen, aber da fehlt noch Viel, dass er sich auch gehorche! +</p> + +<h4>5.</h4> + +<p> +Also will es die Art edler Seelen: sie wollen Nichts <i>umsonst</i> haben, am +wenigsten das Leben. +</p> + +<p> +Wer vom Pöbel ist, der will umsonst leben; wir Anderen aber, denen das Leben +sich gab,—wir sinnen immer darüber, <i>was</i> wir am besten +<i>dagegen</i> geben! +</p> + +<p> +Und wahrlich, diess ist eine vornehme Rede, welche spricht: „was <i>uns</i> das +Leben verspricht, das wollen <i>wir</i>—dem Leben halten!“ +</p> + +<p> +Man soll nicht geniessen wollen, wo man nicht zu geniessen giebt. Und—man +soll nicht geniessen <i>wollen</i>! +</p> + +<p> +Genuss und Unschuld nämlich sind die schamhaftesten Dinge: Beide wollen nicht +gesucht sein. Man soll sie <i>haben</i>—, aber man soll eher noch nach +Schuld und Schmerzen <i>suchen</i>!— +</p> + +<h4>6.</h4> + +<p> +Oh meine Brüder, wer ein Erstling ist, der wird immer geopfert. Nun aber sind +wir Erstlinge. +</p> + +<p> +Wir bluten Alle an geheimen Opfertischen, wir brennen und braten Alle zu Ehren +alter Götzenbilder. +</p> + +<p> +Unser Bestes ist noch jung: das reizt alte Gaumen. Unser Fleisch ist zart, +unser Fell ist nur ein Lamm-Fell:—wie sollten wir nicht alte +Götzenpriester reizen! +</p> + +<p> +<i>In uns selber</i> wohnt er noch, der alte Götzenpriester, der unser Bestes +sich zum Schmause brät. Ach, meine Brüder, wie sollten Erstlinge nicht Opfer +sein! +</p> + +<p> +Aber so will es unsre Art; und ich liebe Die, welche sich nicht bewahren +wollen. Die Untergehenden liebe ich mit meiner ganzen Liebe: denn sie gehn +hinüber.— +</p> + +<h4>7.</h4> + +<p> +Wahr sein—das <i>können</i> Wenige! Und wer es kann, der will es noch +nicht! Am wenigsten aber können es die Guten. +</p> + +<p> +Oh diese Guten!—Gute Menschen reden nie die Wahrheit; für den Geist ist +solchermaassen gut sein eine Krankheit. +</p> + +<p> +Sie geben nach, diese Guten, sie ergeben sich, ihr Herz spricht nach, ihr Grund +gehorcht; wer aber gehorcht, der hört sich selber nicht! +</p> + +<p> +Alles, was den Guten böse heisst, muss zusammen kommen, dass Eine Wahrheit +geboren werde: oh meine Brüder, seid ihr auch böse genug zu <i>dieser</i> +Wahrheit? +</p> + +<p> +Das verwegene Wagen, das lange Misstrauen, das grausame Nein, der Überdruss, +das Schneiden in’s Lebendige—wie selten kommt <i>das</i> zusammen! +Aus solchem Samen aber wird Wahrheit gezeugt! +</p> + +<p> +<i>Neben</i> dem bösen Gewissen wuchs bisher alles <i>Wissen</i>! Zerbrecht, +zerbrecht mir, ihr Erkennenden, die alten Tafeln! +</p> + +<h4>8.</h4> + +<p> +Wenn das Wasser Balken hat, wenn Stege und Geländer über den Fluss springen: +wahrlich, da findet Keiner Glauben, der da spricht: „Alles ist im Fluss.“ +</p> + +<p> +Sondern selber die Tölpel widersprechen ihm. „Wie? sagen die Tölpel, Alles wäre +im Flusse? Balken und Geländer sind doch <i>über</i> dem Flusse!“ +</p> + +<p> +„<i>Über</i> dem Flusse ist Alles fest, alle die Werthe der Dinge, die Brücken, +Begriffe, alles „Gut“ und „Böse“: das ist Alles +fest!“— +</p> + +<p> +Kommt gar der harte Winter, der Fluss-Thierbändiger: dann lernen auch die +Witzigsten Misstrauen; und, wahrlich, nicht nur die Tölpel sprechen dann: +„Sollte nicht Alles—<i>stille stehn</i>?“ +</p> + +<p> +„Im Grunde steht Alles stille“ —, das ist eine rechte Winter-Lehre, ein +gut Ding für unfruchtbare Zeit, ein guter Trost für Winterschläfer und +Ofenhocker. +</p> + +<p> +„Im Grund steht Alles still“—: <i>dagegen</i> aber predigt der Thauwind! +</p> + +<p> +Der Thauwind, ein Stier, der kein pflügender Stier ist,—ein wüthender +Stier, ein Zerstörer, der mit zornigen Hörnern Eis bricht! Eis aber— +<i>bricht Stege</i>! +</p> + +<p> +Oh meine Brüder, ist <i>jetzt</i> nicht Alles <i>im Flusse</i>? Sind nicht alle +Geländer und Stege in’s Wasser gefallen? Wer <i>hielte</i> sich noch an +„Gut“ und „Böse“ ? +</p> + +<p> +„Wehe uns! Heil uns! Der Thauwind weht!“—Also predigt mir, oh meine +Brüder, durch alle Gassen! +</p> + +<h4>8.</h4> + +<p> +Es giebt einen alten Wahn, der heisst Gut und Böse. Um Wahrsager und +Sterndeuter drehte sich bisher das Rad dieses Wahns. +</p> + +<p> +Einst glaubte man an Wahrsager und Sterndeuter: und darum glaubte man „Alles +ist Schicksal: du sollst, denn du musst!“ +</p> + +<p> +Dann wieder misstraute man allen Wahrsagern und Sterndeutern: und <i>darum</i> +glaubte man „Alles ist Freiheit: du kannst, denn du willst!“ +</p> + +<p> +Oh meine Brüder, über Sterne und Zukunft ist bisher nur gewähnt, nicht gewusst +worden: und <i>darum</i> ist über Gut und Böse bisher nur gewähnt, nicht +gewusst worden! +</p> + +<h4>10.</h4> + +<p> +„Du sollst nicht rauben! Du sollst nicht todtschlagen!“—solche Worte +hiess man einst heilig; vor ihnen beugte man Knie und Köpfe und zog die Schuhe +aus. +</p> + +<p> +Aber ich frage euch: wo gab es je bessere Räuber und Todtschläger in der Welt, +als es solche heilige Worte waren? +</p> + +<p> +Ist in allem Leben selber nicht—Rauben und Todtschlagen? Und dass solche +Worte heilig hiessen, wurde damit die <i>Wahrheit</i> selber +nicht—todtgeschlagen? +</p> + +<p> +Oder war es eine Predigt des Todes, dass heilig hiess, was allem Leben +widersprach und widerrieth?—Oh meine Brüder, zerbrecht, zerbrecht mir die +alten tafeln! +</p> + +<h4>11.</h4> + +<p> +Diess ist mein Mitleid mit allem Vergangenen, dass ich sehe: es ist +preisgegeben,— +</p> + +<p> +—der Gnade, dem Geiste, dem Wahnsinne jedes Geschlechtes preisgegeben, +das kommt und Alles, was war, zu seiner Brücke umdeutet! +</p> + +<p> +Ein grosser Gewalt-Herr könnte kommen, ein gewitzter Unhold, der mit seiner +Gnade und Ungnade alles Vergangene zwänge und zwängte: bis es ihm Brücke würde +und Vorzeichen und Herold und Hahnenschrei. +</p> + +<p> +Diess aber ist die andre Gefahr und mein andres Mitleiden:—wer vom Pöbel +ist, dessen Gedenken geht zurück bis zum Grossvater,—mit dem Grossvater +aber hört die Zeit auf. +</p> + +<p> +Also ist alles Vergangene preisgegeben: denn es könnte einmal kommen, dass der +Pöbel Herr würde und in seichten Gewässern alle Zeit ertränke. +</p> + +<p> +Darum, oh meine Brüder, bedarf es eines <i>neuen Adels</i>, der allem Pöbel und +allem Gewalt-Herrischen Widersacher ist und auf neue Tafeln neu das Wort +schreibt „edel“. +</p> + +<p> +Vieler Edlen nämlich bedarf es und vielerlei Edlen, dass es Adel gebe! Oder, +wie ich einst im Gleichniss sprach: „Das eben ist Göttlichkeit, dass es Götter, +aber keinen Gott giebt!“ +</p> + +<h4>12.</h4> + +<p> +Oh meine Brüder, ich weihe und weise euch zu einem neuen Adel: ihr sollt mir +Zeuger und Züchter werden und Säemänner der Zukunft,— +</p> + +<p> +—wahrlich, nicht zu einem Adel, den ihr kaufen könntet gleich den Krämern +und mit Krämer-Golde: denn wenig Werth hat Alles, was seinen Preis hat. +</p> + +<p> +Nicht, woher ihr kommt, mache euch fürderhin eure Ehre, sondern wohin ihr geht! +Euer Wille und euer Fuss, der über euch selber hinaus will,—das mache +eure neue Ehre! +</p> + +<p> +Wahrlich nicht, dass ihr einem Fürsten gedient habt—was liegt noch an +Fürsten!—oder dem, was steht, zum Bollwerk wurdet, dass es fester stünde! +</p> + +<p> +Nicht, dass euer Geschlecht an Höfen höfisch wurde, und ihr lerntet, bunt, +einem Flamingo ähnlich, lange Stunden in flachen Teichen stehn. +</p> + +<p> +—Denn Stehen-<i>können</i> ist ein Verdienst bei Höflingen; und alle +Höflinge glauben, zur Seligkeit nach dem Tode +gehöre—Sitzen-<i>dürfen</i>!— +</p> + +<p> +Nicht auch, dass ein Geist, den sie heilig nennen, eure Vorfahren in gelobte +Länder führte, die <i>ich</i> nicht lobe: denn wo der schlimmste aller Bäume +wuchs, das Kreuz,—an dem Lande ist Nichts zu loben!— +</p> + +<p> +—und wahrlich, wohin dieser „heilige Geist“ auch seine Ritter führte, +immer liefen bei solchen Zügen—Ziegen und Gänse und Kreuz- und Querköpfe +<i>voran</i>!— +</p> + +<p> +Oh meine Brüder, nicht zurück soll euer Adel schauen, sondern <i>hinaus</i>! +Vertriebene sollt ihr sein aus allen Vater- und Urväterländern! +</p> + +<p> +Eurer Kinder Land sollt ihr lieben: diese Liebe sei euer neuer Adel,—das +unentdeckte, im feinsten Meere! Nach ihm heisse ich eure Segel suchen und +suchen! +</p> + +<p> +An euren Kindern sollt ihr <i>gutmachen</i>, dass ihr eurer Väter Kinder seid: +alles Vergangene sollt ihr <i>so</i> erlösen! Diese neue Tafel stelle ich über +euch! +</p> + +<h4>13.</h4> + +<p> +„Wozu leben? Alles ist eitel! Leben—das ist Stroh dreschen; +Leben—das ist sich verbrennen und doch nicht warm werden.“— +</p> + +<p> +Solch alterthümliches Geschwätz gilt immer noch als „Weisheit“; dass es aber +alt ist und dumpfig riecht, <i>darum</i> wird es besser geehrt. Auch der Moder +adelt.— +</p> + +<p> +Kinder durften so reden: die <i>scheuen</i> das Feuer, weil es sie brannte! Es +ist viel Kinderei in den alten Büchern der Weisheit. +</p> + +<p> +Und wer immer „Stroh drischt“, wie sollte der auf das Dreschen lästern dürfen! +Solchem Narren müsste man doch das Maul verbinden! +</p> + +<p> +Solche setzen sich zu Tisch und bringen Nichts mit, selbst den guten Hunger +nicht:—und nun lästern sie „Alles ist eitel!“ +</p> + +<p> +Aber gut essen und trinken, oh meine Brüder, ist wahrlich keine eitle Kunst! +Zerbrecht, zerbrecht mir die Tafeln der Nimmer-Frohen! +</p> + +<h4>14.</h4> + +<p> +„Dem Reinen ist Alles rein“ —so spricht das Volk. Ich aber sage euch: den +Schweinen wird Alles Schwein! +</p> + +<p> +Darum predigen die Schwärmer und Kopfhänger, denen auch das Herz niederhängt: +„die Welt selber ist ein kothiges Ungeheuer.“ +</p> + +<p> +Denn diese Alle sind unsäuberlichen Geistes; sonderlich aber Jene, welche nicht +Ruhe, noch Rast haben, es sei denn, sie sehen die Welt <i>von +hinten</i>,—die Hinterweltler! +</p> + +<p> +<i>Denen</i> sage ich in’s Gesicht, ob es gleich nicht lieblich klingt: +die Welt gleicht darin dem Menschen, dass sie einen Hintern hat,—<i>so +Viel</i> ist wahr! +</p> + +<p> +Es giebt in der Welt viel Koth: <i>so Viel</i> ist wahr! Aber darum ist die +Welt selber noch kein kothiges Ungeheuer! +</p> + +<p> +Es ist Weisheit darin, dass Vieles in der Welt übel riecht: der Ekel selber +schafft Flügel und quellenahnende Kräfte! +</p> + +<p> +An dem Besten ist noch Etwas zum Ekeln; und der Beste ist noch Etwas, das +überwunden werden muss!— +</p> + +<p> +Oh meine Brüder, es ist viel Weisheit darin, dass viel Koth in der Welt +ist!— +</p> + +<h4>15.</h4> + +<p> +Solche Sprüche hörte ich fromme Hinterweltler zu ihrem Gewissen reden; und +wahrlich, ohne Arg und Falsch,—ob es Schon nichts Falscheres in der Welt +giebt, noch Ärgeres. +</p> + +<p> +„Lass doch die Welt der Welt sein! Hebe dawider auch nicht Einen Finger auf!“ +</p> + +<p> +„Lass, wer da wolle, die Leute würgen und stechen und schneiden und schaben: +hebe dawider auch nicht Einen Finger auf! Darob lernen sie noch der Welt +absagen.“ +</p> + +<p> +„Und deine eigne Vernunft—die sollst du selber görgeln und würgen; denn +es ist eine Vernunft von dieser Welt,—darob lernst du selber der Welt +absagen.“ - +</p> + +<p> +—Zerbrecht, zerbrecht mir, oh meine Brüder, diese alten Tafeln der +Frommen! Zersprecht mir die Sprüche der Welt-Verleumder! +</p> + +<h4>16.</h4> + +<p> +„Wer viel lernt, der verlernt alles heftige Begehren“ —das flüstert man +heute sich zu auf allen dunklen Gassen. +</p> + +<p> +„Weisheit macht müde, es lohnt sich—Nichts; du sollst nicht +begehren!“—diese neue Tafel fand ich hängen selbst auf offnen Märkten. +</p> + +<p> +Zerbrecht mir, oh meine Brüder, zerbrecht mir auch diese <i>neue</i> Tafel! Die +Welt-Müden hängten sie hin und die Prediger des Todes, und auch die +Stockmeister: denn seht, es ist auch eine Predigt zur Knechtschaft!— +</p> + +<p> +Dass sie schlecht lernten und das Beste nicht, und Alles zu früh und Alles zu +geschwind: dass sie schlecht <i>assen</i>, daher kam ihnen jener verdorbene +Magen,— +</p> + +<p> +—ein verdorbener Magen ist nämlich ihr Geist: <i>der</i> räth zum Tode! +Denn wahrlich, meine Brüder, der Geist <i>ist</i> ein Magen! +</p> + +<p> +Das Leben ist ein Born der Lust: aber aus wem der verdorbene Magen redet, der +Vater der Trübsal, dem sind alle Quellen vergiftet. +</p> + +<p> +Erkennen: das ist <i>Lust</i> dem Löwen-willigen! Aber wer müde wurde, der wird +selber nur „gewollt“, mit dem spielen alle Wellen. +</p> + +<p> +Und so ist es immer schwacher Menschen Art: sie verlieren sich auf ihren Wegen. +Und zuletzt fragt noch ihre Müdigkeit: „wozu giengen wir jemals Wege! Es ist +Alles gleich!“ +</p> + +<p> +<i>Denen</i> klingt es lieblich zu Ohren, dass gepredigt wird: „Es verlohnt +sich Nichts! Ihr sollt nicht wollen!“ Diess aber ist eine Predigt zur +Knechtschaft. +</p> + +<p> +Oh meine Brüder, ein frischer Brause-Wind kommt Zarathustra allen Weg-Müden; +viele Nasen wird er noch niesen machen! +</p> + +<p> +Auch durch Mauern bläst mein freier Athem, und hinein in Gefängnisse und +eingefangne Geister! +</p> + +<p> +Wollen befreit: denn Wollen ist Schaffen: so lehre ich. Und <i>nur</i> zum +Schaffen sollt ihr lernen! +</p> + +<p> +Und auch das Lernen sollt ihr erst von mir <i>lernen</i>, das +Gut-Lernen!—Wer Ohren hat, der höre! +</p> + +<h4>17.</h4> + +<p> +Da steht der Nachen,—dort hinüber geht es vielleicht in’s grosse +Nichts.—Aber wer will in diess „Vielleicht“ einsteigen? +</p> + +<p> +Niemand von euch will in den Todes-Nachen einsteigen! Wieso wollt ihr dann +<i>Welt-Müde</i> sein! +</p> + +<p> +Weltmüde! Und noch nicht einmal Erd-Entrückte wurdet ihr! Lüstern fand ich euch +immer noch nach Erde, verliebt noch in die eigne Erd-Müdigkeit! +</p> + +<p> +Nicht umsonst hängt euch die Lippe herab:—ein kleiner Erden-Wunsch sitzt +noch darauf! Und im Auge—schwimmt da nicht ein Wölkchen unvergessner +Erden-Lust? +</p> + +<p> +Es giebt auf Erden viel gute Erfindungen, die einen nützlich, die andern +angenehm: derentwegen ist die Erde zu lieben. +</p> + +<p> +Und mancherlei so gut Erfundenes giebt es da, dass es ist wie des Weibes Busen: +nützlich zugleich und angenehm. +</p> + +<p> +Ihr Welt-Müden aber! Ihr Erden-Faulen! Euch soll man mit Ruthen streichen! Mit +Ruthenstreichen soll man euch wieder muntre Beine machen. +</p> + +<p> +Denn: seid ihr nicht Kranke und verlebte Wichte, deren die Erde müde ist, so +seid ihr schlaue Faulthiere oder naschhafte verkrochene Lust-Katzen. Und wollt +ihr nicht wieder lustig <i>laufen</i>, so sollt ihr—dahinfahren! +</p> + +<p> +An Unheilbaren soll man nicht Arzt sein wollen: also lehrt es +Zarathustra:—so sollt ihr dahinfahren! +</p> + +<p> +Aber es gehört mehr <i>Muth</i> dazu, ein Ende zu machen, als einen neuen Vers: +das wissen alle Ärzte und Dichter.— +</p> + +<h4>18.</h4> + +<p> +Oh meine Brüder, es giebt Tafeln, welche die Ermüdung, und Tafeln, welche die +Faulheit schuf, die faulige: ob sie schon gleich reden, so wollen sie doch +ungleich gehört sein.— +</p> + +<p> +Seht hier diesen Verschmachtenden! Nur eine Spanne weit ist er noch von seinem +Ziele, aber vor Müdigkeit hat er sich trotzig hier in den Staub gelegt: dieser +Tapfere! +</p> + +<p> +Vor Müdigkeit gähnt er Weg und Erde und Ziel und sich selber an: keinen Schritt +will er noch weiter thun,—dieser Tapfere! +</p> + +<p> +Nun glüht die Sonne auf ihn, und die Hunde lecken nach seinem Schweisse: aber +er liegt da in seinem Trotze und will lieber verschmachten:— +</p> + +<p> +—eine Spanne weit von seinem Ziele verschmachten! Wahrlich, ihr werdet +ihn noch an den Haaren in seinen Himmel ziehen müssen,—diesen Helden! +</p> + +<p> +Besser noch, ihr lasst ihn liegen, wohin er sich gelegt hat, dass der Schlaf +ihm komme, der Tröster, mit kühlendem Rausche-Regen: +</p> + +<p> +Lasst ihn liegen, bis er von selber wach wird, bis er von selber alle Müdigkeit +widerruft und was Müdigkeit aus ihm lehrte! +</p> + +<p> +Nur, meine Brüder, dass ihr die Hunde von ihm scheucht, die faulen Schleicher, +und all das schwärmende Geschmeiss:— +</p> + +<p> +—all das schwärmende Geschmeiss der „Gebildeten“ , das sich am Schweisse +jedes Helden—gütlich thut!— +</p> + +<h4>19.</h4> + +<p> +Ich schliesse Kreise um mich und heilige Grenzen; immer Wenigere steigen mit +mir auf immer höhere Berge,—ich baue ein Gebirge aus immer heiligeren +Bergen. - +</p> + +<p> +Wohin ihr aber auch mit mir steigen mögt, oh meine Brüder: seht zu, dass nicht +ein <i>Schmarotzer</i> mit euch steige! +</p> + +<p> +Schmarotzer: das ist ein Gewürm, ein kriechendes, geschmiegtes, das fett werden +will an euren kranken wunden Winkeln. +</p> + +<p> +Und <i>das</i> ist seine Kunst, dass er steigende Seelen erräth, wo sie müde +sind: in euren Gram und Unmuth, in eure zarte Scham baut er sein ekles Nest. +</p> + +<p> +Wo der Starke schwach, der Edle allzumild ist,—dahinein baut er sein +ekles Nest: der Schmarotzer wohnt, wo der Grosse kleine wunde Winkel hat. +</p> + +<p> +Was ist die höchste Art alles Seienden und was die geringste? Der Schmarotzer +ist die geringste Art; wer aber höchster Art ist, der ernährt die meisten +Schmarotzer. +</p> + +<p> +Die Seele nämlich, welche die längste Leiter hat und am tiefsten hinunter kann: +wie sollten nicht an der die meisten Schmarotzer sitzen?— +</p> + +<p> +—die umfänglichste Seele, welche am weitesten in sich laufen und irren +und schweifen kann; die nothwendigste, welche sich aus Lust in den Zufall +stürzt:— +</p> + +<p> +—die seiende Seele, welche in’s Werden taucht; die habende, welche +in’s Wollen und Verlangen <i>will</i>:— +</p> + +<p> +—die sich selber fliehende, die sich selber im weitesten Kreise einholt; +die weiseste Seele, welcher die Narrheit am süssesten zuredet:— +</p> + +<p> +—die sich selber liebendste, in der alle Dinge ihr Strömen und +Wiederströmen und Ebbe und Fluth haben:—oh wie sollte <i>die höchste +Seele</i> nicht die schlimmsten Schmarotzer haben? +</p> + +<h4>20.</h4> + +<p> +Oh meine Brüder, bin ich denn grausam? Aber ich sage: was fällt, das soll man +auch noch stossen! +</p> + +<p> +Das Alles von Heute—das fällt, das verfällt: wer wollte es halten! Aber +ich—ich <i>will</i> es noch stossen! +</p> + +<p> +Kennt ihr die Wollust, die Steine in steile Tiefen rollt?—Diese Menschen +von heute: seht sie doch, wie sie in meine Tiefen rollen! +</p> + +<p> +Ein Vorspiel bin ich besserer Spieler, oh meine Brüder! Ein Beispiel! +<i>Thut</i> nach meinem Beispiele! +</p> + +<p> +Und wen ihr nicht fliegen lehrt, den lehrt mir—schneller fallen!— +</p> + +<h4>21.</h4> + +<p> +Ich liebe die Tapferen: aber es ist nicht genug, Hau-Degen sein,—man muss +auch wissen Hau-schau-<i>Wen</i>! +</p> + +<p> +Und oft ist mehr Tapferkeit darin, dass Einer an sich hält und vorübergeht: +<i>damit</i> er sich dem würdigeren Feinde aufspare! +</p> + +<p> +Ich sollt nur Feinde haben, die zu hassen sind, aber nicht Feinde zum +Verachten: ihr müsst stolz auf euren Feind sein: also lehrte ich schon Ein Mal. +</p> + +<p> +Dem würdigeren Feinde, oh meine Freunde, sollt ihr euch aufsparen: darum müsst +ihr an Vielem vorübergehn,— +</p> + +<p> +—sonderlich an vielem Gesindel, das euch in die Ohren lärmt von Volk und +Völkern. +</p> + +<p> +Haltet euer Auge rein von ihrem Für und Wider! Da giebt es viel Recht, viel +Unrecht: wer da zusieht, wird zornig. +</p> + +<p> +Dreinschaun, dreinhaun—das ist da Eins: darum geht weg in die Wälder und +legt euer Schwert schlafen! +</p> + +<p> +Geht <i>eure</i> Wege! Und lasst Volk und Völker die ihren gehn!—dunkle +Wege wahrlich, auf denen auch nicht Eine Hoffnung mehr wetterleuchtet! +</p> + +<p> +Mag da der Krämer herrschen, wo Alles, was noch glänzt—Krämer-Gold ist! +Es ist die Zeit der Könige nicht mehr: was sich heute Volk heisst, verdient +keine Könige. +</p> + +<p> +Seht doch, wie diese Völker jetzt selber den Krämern gleich thun: sie lesen +sich die kleinsten Vortheile noch aus jedem Kehricht! +</p> + +<p> +Sie lauern einander auf, sie lauern einander Etwas ab,—das heissen sie +„gute Nachbarschaft.“ Oh selige ferne Zeit, wo ein Volk sich sagte: „ich will +über Völker—<i>Herr</i> sein!“ +</p> + +<p> +Denn, meine Brüder: das Beste soll herrschen, das Beste will auch herrschen! +Und wo die Lehre anders lautet, da—<i>fehlt</i> es am Besten. +</p> + +<h4>22.</h4> + +<p> +Wenn <i>Die</i>—Brod umsonst hätten, wehe! Wonach würden <i>Die</i> +schrein! Ihr Unterhalt—das ist ihre rechte Unterhaltung; und sie sollen +es schwer haben! +</p> + +<p> +Raubthiere sind es.- in ihrem „Arbeiten“ —da ist auch noch Rauben, in +ihrem „Verdienen“ —da ist auch noch Überlisten! Darum sollen sie es schwer +haben! +</p> + +<p> +Bessere Raubthiere sollen sie also werden, feinere, klügere, +<i>menschen-ähnlichere</i>: der Mensch nämlich ist das beste Raubthier. +</p> + +<p> +Allen Thieren hat der Mensch schon ihre Tugenden abgeraubt: das macht, von +allen Thieren hat es der Mensch am schwersten gehabt. +</p> + +<p> +Nur noch die Vögel sind über ihm. Und wenn der Mensch noch fliegen lernte, +wehe! <i>wohinauf</i>—würde seine Raublust fliegen! +</p> + +<h4>23.</h4> + +<p> +So will ich Mann und Weib: kriegstüchtig den Einen, gebärtüchtig das Andre, +beide aber tanztüchtig mit Kopf und Beinen. +</p> + +<p> +Und verloren sei uns der Tag, wo nicht Ein Mal getanzt wurde! Und falsch heisse +uns jede Wahrheit, bei der es nicht Ein Gelächter gab! +</p> + +<h4>24.</h4> + +<p> +Euer Eheschliessen: seht zu, dass es nicht ein schlechtes <i>Schliessen</i> +sei! Ihr schlosset zu schnell: so <i>folgt</i> daraus—Ehebrechen! +</p> + +<p> +Und besser noch Ehebrechen als Ehe-biegen, Ehelügen!—So sprach mir ein +Weib: „wohl brach ich die Ehe, aber zuerst brach die Ehe—mich!“ +</p> + +<p> +Schlimm-Gepaarte fand ich immer als die schlimmsten Rachsüchtigen: sie lassen +es aller Welt entgelten, dass sie nicht mehr einzeln laufen. +</p> + +<p> +Desswillen will ich, dass Redliche zu einander reden: „wir lieben uns: lasst +uns <i>zusehn</i>, dass wir uns lieb behalten! Oder soll unser Versprechen ein +Versehen sein?“ +</p> + +<p> +—„Gebt uns eine Frist und kleine Ehe, dass wir zusehn, ob wir zur grossen +Ehe taugen! Es ist ein grosses Ding, immer zu Zwein sein!“ +</p> + +<p> +Also rathe ich allen Redlichen; und was wäre denn meine Liebe zum Übermenschen +und zu Allem, was kommen soll, wenn ich anders riethe und redete! +</p> + +<p> +Nicht nur fort euch zu pflanzen, sondern <i>hinauf</i>—dazu, oh meine +Brüder, helfe euch der Garten der Ehe! +</p> + +<h4>25.</h4> + +<p> +Wer über alte Ursprünge weise wurde, siehe, der wird zuletzt nach Quellen der +Zukunft suchen und nach neuen Ursprüngen.— +</p> + +<p> +Oh meine Brüder, es ist nicht über lange, da werden <i>neue Völker</i> +entspringen und neue Quellen hinab in neue Tiefen rauschen. +</p> + +<p> +Das Erdbeben nämlich—das verschüttet viel Brunnen, das schafft viel +Verschmachten: das hebt auch innre Kräfte und Heimlichkeiten an’s Licht. +</p> + +<p> +Das Erdbeben macht neue Quellen offenbar. Im Erdbeben alter Völker brechen neue +Quellen aus. +</p> + +<p> +Und wer da ruft: „Siehe hier ein Brunnen für viele Durstige, Ein Herz für viele +Sehnsüchtige, Ein Wille für viele Werkzeuge“ :—um den sammelt sich ein +<i>Volk</i>, das ist: viel Versuchende. +</p> + +<p> +Wer befehlen kann, wer gehorchen muss—Das wird da versucht! Ach, mit +welch langem Suchen und Rathen und Missrathen und Lernen und Neu-Versuchen! +</p> + +<p> +Die Menschen-Gesellschaft: die ist ein Versuch, so lehre ich’s,—ein +langes Suchen: sie sucht aber den Befehlenden!— +</p> + +<p> +—ein Versuch, oh meine Brüder! Und <i>kein</i> „Vertrag“! Zerbrecht, +zerbrecht mir solch Wort der Weich-Herzen und Halb- und Halben! +</p> + +<h4>26.</h4> + +<p> +Oh meine Brüder! Bei Welchen liegt doch die grösste Gefahr aller +Menschen-Zukunft? Ist es nicht bei den Guten und Gerechten?— +</p> + +<p> +—als bei Denen, die sprechen und im Herzen fühlen: „wir wissen schon, was +gut ist und gerecht, wir haben es auch; wehe Denen, die hier noch +suchen!“— +</p> + +<p> +Und was für Schaden auch die Bösen thun mögen: der Schaden der Guten ist der +schädlichste Schaden! +</p> + +<p> +Und was für Schaden auch die Welt-Verleumder thun mögen: der Schaden der Guten +ist der schädlichste Schaden. +</p> + +<p> +Oh meine Brüder, den Guten und Gerechten sah Einer einmal in’s Herz, der +da sprach: „es sind die Pharisäer.“ Aber man verstand ihn nicht. +</p> + +<p> +Die Guten und Gerechten selber durften ihn nicht verstehen: ihr Geist ist +eingefangen in ihr gutes Gewissen. Die Dummheit der Guten ist unergründlich +klug. +</p> + +<p> +Das aber ist die Wahrheit: die Guten <i>müssen</i> Pharisäer sein,—sie +haben keine Wahl! +</p> + +<p> +Die Guten <i>müssen</i> Den kreuzigen, der sich seine eigne Tugend erfindet! +Das <i>ist</i> die Wahrheit! +</p> + +<p> +Der Zweite aber, der ihr Land entdeckte, Land, Herz und Erdreich der Guten und +Gerechten: das war, der da fragte: „wen hassen sie am meisten?“ +</p> + +<p> +Den <i>Schaffenden</i> hassen sie am meisten: den, der Tafeln bricht und alte +Werthe, den Brecher—den heissen sie Verbrecher. +</p> + +<p> +Die Guten nämlich—die <i>können</i> nicht schaffen: die sind immer der +Anfang vom Ende:- +</p> + +<p> +—sie kreuzigen Den, der neue Werthe auf neue Tafeln schreibt, sie opfern +<i>sich</i> die Zukunft,—sie kreuzigen alle Menschen-Zukunft! +</p> + +<p> +Die Guten—die waren immer der Anfang vom Ende.— +</p> + +<h4>27.</h4> + +<p> +Oh meine Brüder, verstandet ihr auch diess Wort? Und was ich einst sagte vom +„letzten Menschen“ ?— +</p> + +<p> +Bei Welchen liegt die grösste Gefahr aller Menschen-Zukunft? Ist es nicht bei +den Guten und Gerechten? +</p> + +<p> +Zerbrecht, zerbrecht mir die Guten und Gerechten!—Oh meine Brüder, +verstandet ihr auch diess Wort? +</p> + +<h4>28.</h4> + +<p> +Ihr flieht von mir? Ihr seid erschreckt? Ihr zittert vor diesem Worte? +</p> + +<p> +Oh meine Brüder, als ich euch die Guten zerbrechen hiess und die Tafeln der +Guten: da erst schiffte ich den Menschen ein auf seine hohe See. +</p> + +<p> +Und nun erst kommt ihm der grosse Schrecken, das grosse Um-sich-sehn, die +grosse Krankheit, der grosse Ekel, die grosse See-Krankheit. +</p> + +<p> +Falsche Küsten und falsche Sicherheiten lehrten euch die Guten; in Lügen der +Guten wart ihr geboren und geborgen. Alles ist in den Grund hinein verlogen und +verbogen durch die Guten. +</p> + +<p> +Aber wer das Land „Mensch“ entdeckte, entdeckte auch das Land +„Menschen-Zukunft“. Nun sollt ihr mir Seefahrer sein, wackere, geduldsame! +</p> + +<p> +Aufrecht geht mir bei Zeiten, oh meine Brüder, lernt aufrecht gehn! Das Meer +stürmt: Viele wollen an euch sich wieder aufrichten. +</p> + +<p> +Das Meer stürmt: Alles ist im Meere. Wohlan! Wohlauf! Ihr alten +Seemanns-Herzen! +</p> + +<p> +Was Vaterland! <i>Dorthin</i> will unser Steuer, wo unser <i>Kinder-Land</i> +ist! Dorthinaus, stürmischer als das Meer, stürmt unsre grosse +Sehnsucht!— +</p> + +<h4>29.</h4> + +<p> +„Warum so hart!—sprach zum Diamanten einst die Küchen-Kohle; sind wir +denn nicht Nah-Verwandte?“— +</p> + +<p> +Warum so weich? Oh meine Brüder, also frage <i>ich</i> euch: seid ihr denn +nicht—meine Brüder? +</p> + +<p> +Warum so weich, so weichend und nachgebend? Warum ist so viel Leugnung, +Verleugnung in eurem Herzen? So wenig Schicksal in eurem Blicke? +</p> + +<p> +Und wollt ihr nicht Schicksale sein und Unerbittliche: wie könntet ihr mit mir +—siegen? +</p> + +<p> +Und wenn eure Härte nicht blitzen und scheiden und zerschneiden will: wie +könntet ihr einst mit mir—schaffen? +</p> + +<p> +Die Schaffenden nämlich sind hart. Und Seligkeit muss es euch dünken, eure Hand +auf Jahrtausende zu drücken wie auf Wachs,— +</p> + +<p> +—Seligkeit, auf dem Willen von Jahrtausenden zu schreiben wie auf +Erz,—härter als Erz, edler als Erz. Ganz hart ist allein das Edelste. +</p> + +<p> +Diese neue Tafel, oh meine Brüder, stelle ich über euch: werdet hart!— +</p> + +<h4>30.</h4> + +<p> +Oh du mein Wille! Du Wende aller Noth du <i>meine</i> Nothwendigkeit! Bewahre +mich vor allen kleinen Siegen! +</p> + +<p> +Du Schickung meiner Seele, die ich Schicksal heisse! Du-In-mir! Über-mir! +Bewahre und spare mich auf zu Einem grossen Schicksale! +</p> + +<p> +Und deine letzte Grösse, mein Wille, spare dir für dein Letztes auf,—dass +du unerbittlich bist <i>in</i> deinem Siege! Ach, wer unterlag nicht seinem +Siege! +</p> + +<p> +Ach, wessen Auge dunkelte nicht in dieser trunkenen Dämmerung! Ach, wessen Fuss +taumelte nicht und verlernte im Siege—stehen!— +</p> + +<p> +—Dass ich einst bereit und reif sei im grossen Mittage: bereit und reif +gleich glühendem Erze, blitzschwangrer Wolke und schwellendem +Milch-Euter:— +</p> + +<p> +—bereit zu mir selber und zu meinem verborgensten Willen: ein Bogen +brünstig nach seinem Pfeile, ein Pfeil brünstig nach seinem Sterne:— +</p> + +<p> +—ein Stern bereit und reif in seinem Mittage, glühend, durchbohrt, selig +vor vernichtenden Sonnen-Pfeilen:— +</p> + +<p> +—eine Sonne selber und ein unerbittlicher Sonnen-Wille, zum Vernichten +bereit im Siegen! +</p> + +<p> +Oh Wille, Wende aller Noth, du <i>meine</i> Nothwendigkeit! Spare mich auf zu +Einem grossen Siege!— +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap59"></a>Der Genesende</h3> + +<h4>1.</h4> + +<p> +Eines Morgens, nicht lange nach seiner Rückkehr zur Höhle, sprang Zarathustra +von seinem Lager auf wie ein Toller, schrie mit furchtbarer Stimme und +gebärdete sich, als ob noch Einer auf dem Lager läge, der nicht davon aufstehn +wolle; und also tönte Zarathustra’s Stimme, dass seine Thiere erschreckt +hinzukamen, und dass aus allen Höhlen und Schlupfwinkeln, die +Zarathustra’s Höhle benachbart waren, alles Gethier davon +huschte,—fliegend, flatternd, kriechend, springend, wie ihm nur die Art +von Fuss und Flügel gegeben war. Zarathustra aber redete diese Worte: +</p> + +<p> +Herauf, abgründlicher Gedanke, aus meiner Tiefe! Ich bin dein Hahn und +Morgen-Grauen, verschlafener Wurm: auf! auf! Meine Stimme soll dich schon wach +krähen! +</p> + +<p> +Knüpfe die Fessel deiner Ohren los: horche! Denn ich will dich hören! Auf! Auf! +Hier ist Donners genug, dass auch Gräber horchen lernen! +</p> + +<p> +Und wische den Schlaf und alles Blöde, Blinde aus deinen Augen! Höre mich auch +mit deinen Augen: meine Stimme ist ein Heilmittel noch für Blindgeborne. +</p> + +<p> +Und bist du erst wach, sollst du mir ewig wach bleiben. Nicht ist das +<i>meine</i> Art, Urgrossmütter aus dem Schlafe wecken, dass ich sie +heisse—weiterschlafen! +</p> + +<p> +Du regst dich, dehnst dich, röchelst? Auf! Auf! Nicht röcheln—reden +sollst du mir! Zarathustra ruft dich, der Gottlose! +</p> + +<p> +Ich, Zarathustra, der Fürsprecher des Lebens, der Fürsprecher des Leidens, der +Fürsprecher des Kreises—dich rufe ich, meinen abgründlichsten Gedanken! +</p> + +<p> +Heil mir! Du kommst—ich höre dich! Mein Abgrund <i>redet</i>, meine +letzte Tiefe habe ich an’s Licht gestülpt! +</p> + +<p> +Heil mir! Heran! Gieb die Hand—ha! lass! Haha!—Ekel, Ekel, +Ekel—wehe mir! +</p> + +<h4>2.</h4> + +<p> +Kaum aber hatte Zarathustra diese Worte gesprochen, da stürzte er nieder gleich +einem Todten und blieb lange wie ein Todter. Als er aber wieder zu sich kam, da +war er bleich und zitterte und blieb liegen und wollte lange nicht essen noch +trinken. Solches Wesen dauerte an ihm sieben Tage; seine Thiere verliessen ihn +aber nicht bei Tag und Nacht, es sei denn, dass der Adler ausflog, Speise zu +holen. Und was er holte und zusammenraubte, das legte er auf +Zarathustra’s Lager: also dass Zarathustra endlich unter gelben und +rothen Beeren, Trauben, Rosenäpfeln, wohlriechendem Krautwerke und +Pinien-Zapfen lag. Zu seinen Füssen aber waren zwei Lämmer gebreitet, welche +der Adler mit Mühe ihren Hirten abgeraubt hatte. +</p> + +<p> +Endlich, nach sieben Tagen, richtete sich Zarathustra auf seinem Lager auf, +nahm einen Rosenapfel in die Hand, roch daran und fand seinen Geruch lieblich. +Da glaubten seine Thiere, die Zeit sei gekommen, mit ihm zu reden. +</p> + +<p> +„Oh Zarathustra, sagten sie, nun liegst du schon sieben Tage so, mit schweren +Augen: willst du dich nicht endlich wieder auf deine Füsse stellen? +</p> + +<p> +Tritt hinaus aus deiner Höhle: die Welt wartet dein wie ein Garten. Der Wind +spielt mit schweren Wohlgerüchen, die zu dir wollen; und alle Bäche möchten dir +nachlaufen. +</p> + +<p> +Alle Dinge sehnen sich nach dir, dieweil du sieben Tage allein +bliebst,—tritt hinaus aus deiner Höhle! Alle Dinge wollen deine Ärzte +sein! +</p> + +<p> +Kam wohl eine neue Erkenntniss zu dir, eine saure, schwere? Gleich angesäuertem +Teige lagst du, deine Seele gieng auf und schwoll über alle ihre +Ränder.—„ +</p> + +<p> +—Oh meine Thiere, antwortete Zarathustra, schwätzt also weiter und lasst +mich zuhören! Es erquickt mich so, dass ihr schwätzt: wo geschwätzt wird, da +liegt mir schon die Welt wie ein Garten. +</p> + +<p> +Wie lieblich ist es, dass Worte und Töne da sind: sind nicht Worte und Töne +Regenbogen und Schein-Brücken zwischen Ewig-Geschiedenem? +</p> + +<p> +Zu jeder Seele gehört eine andre Welt; für jede Seele ist jede andre Seele eine +Hinterwelt. +</p> + +<p> +Zwischen dem Ähnlichsten gerade lügt der Schein am schönsten; denn die kleinste +Kluft ist am schwersten zu überbrücken. +</p> + +<p> +Für mich—wie gäbe es ein Ausser-mir? Es giebt kein Aussen! Aber das +vergessen wir bei allen Tönen; wie lieblich ist es, dass wir vergessen! +</p> + +<p> +Sind nicht den Dingen Namen und Töne geschenkt, dass der Mensch sich an den +Dingen erquicke? Es ist eine schöne Narrethei, das Sprechen: damit tanzt der +Mensch über alle Dinge. +</p> + +<p> +Wie lieblich ist alles Reden und alle Lüge der Töne! Mit Tönen tanzt unsre +Liebe auf bunten Regenbögen.— +</p> + +<p> +—„Oh Zarathustra, sagten darauf die Thiere, Solchen, die denken wie wir, +tanzen alle Dinge selber: das kommt und reicht sich die Hand und lacht und +flieht—und kommt zurück. +</p> + +<p> +Alles geht, Alles kommt zurück; ewig rollt das Rad des Seins. Alles stirbt, +Alles blüht wieder auf, ewig läuft das Jahr des Seins. +</p> + +<p> +Alles bricht, Alles wird neu gefügt; ewig baut sich das gleiche Haus des Seins. +Alles scheidet, Alles grüsst sich wieder; ewig bleibt sich treu der Ring des +Seins. +</p> + +<p> +In jedem Nu beginnt das Sein; um jedes Hier rollt sich die Kugel Dort. Die +Mitte ist überall. Krumm ist der Pfad der Ewigkeit.“— +</p> + +<p> +—Oh ihr Schalks-Narren und Drehorgeln! antwortete Zarathustra und +lächelte wieder, wie gut wisst ihr, was sich in sieben Tagen erfüllen +musste:— +</p> + +<p> +—und wie jenes Unthier mir in den Schlund kroch und mich würgte! Aber ich +biss ihm den Kopf ab und spie ihn weg von mir. +</p> + +<p> +Und ihr,—ihr machtet schon ein Leier-Lied daraus? Nun aber liege ich da, +müde noch von diesem Beissen und Wegspein, krank noch von der eigenen Erlösung. +</p> + +<p> +Und ihr schautet dem Allen zu? Oh meine Thiere, seid auch ihr grausam? Habt ihr +meinem grossen Schmerze zuschaun wollen, wie Menschen thun? Der Mensch nämlich +ist das grausamste Thier. +</p> + +<p> +Bei Trauerspielen, Stierkämpfen und Kreuzigungen ist es ihm bisher am wohlsten +geworden auf Erden; und als er sich die Hölle erfand, siehe, da war das sein +Himmel auf Erden. +</p> + +<p> +Wenn der grosse Mensch schreit—: flugs läuft der kleine hinzu; und die +Zunge hängt ihm aus dem Halse vor Lüsternheit. Er aber heisst es sein +„Mitleiden.“ +</p> + +<p> +Der kleine Mensch, sonderlich der Dichter—wie eifrig klagt er das Leben +in Worten an! Hört hin, aber überhört mir die Lust nicht, die in allem Anklagen +ist! +</p> + +<p> +Solche Ankläger des Lebens: die überwindet das Leben mit einem Augenblinzeln. +„Du liebst mich? sagt die Freche; warte noch ein Wenig, noch habe ich für dich +nicht Zeit.“ +</p> + +<p> +Der Mensch ist gegen sich selber das grausamste Thier; und bei Allem, was sich +„Sünder“ und „Kreuzträger“ und „Büsser“ heisst, überhört mir die Wollust nicht, +die in diesem Klagen und Anklagen ist! +</p> + +<p> +Und ich selber—will ich damit des Menschen Ankläger sein? Ach, meine +Thiere, Das allein lernte ich bisher, dass dem Menschen sein Bösestes nöthig +ist zu seinem Besten,— +</p> + +<p> +—dass alles Böseste seine beste <i>Kraft</i> ist und der härteste Stein +dem höchsten Schaffenden; und dass der Mensch besser <i>und</i> böser werden +muss: - +</p> + +<p> +Nicht an <i>diess</i> Marterholz war ich geheftet, dass ich weiss: der Mensch +ist böse,—sondern ich schrie, wie noch Niemand geschrien hat: +</p> + +<p> +„Ach dass sein Bösestes so gar klein ist! Ach dass sein Bestes so gar klein +ist!“ +</p> + +<p> +Der grosse Überdruss am Menschen—<i>der</i> würgte mich und war mir in +den Schlund gekrochen: und was der Wahrsager wahrsagte: „Alles ist gleich, es +lohnt sich Nichts, Wissen würgt.“ +</p> + +<p> +Eine lange Dämmerung hinkte vor mir her, eine todesmüde, todestrunkene +Traurigkeit, welche mit gähnendem Munde redete. +</p> + +<p> +„Ewig kehrt er wieder, der Mensch, dess du müde bist, der kleine +Mensch“—so gähnte meine Traurigkeit und schleppte den Fuss und konnte +nicht einschlafen. +</p> + +<p> +Zur Höhle wandelte sich mir die Menschen-Erde, ihre Brust sank hinein, alles +Lebendige ward mir Menschen-Moder und Knochen und morsche Vergangenheit. +</p> + +<p> +Mein Seufzen sass auf allen Menschen-Gräbern und konnte nicht mehr aufstehn; +mein Seufzen und Fragen unkte und würgte und nagte und klagte bei Tag und +Nacht: +</p> + +<p> +—„ach, der Mensch kehrt ewig wieder! Der kleine Mensch kehrt ewig +wieder!“— +</p> + +<p> +Nackt hatte ich einst Beide gesehn, den grössten Menschen und den kleinsten +Menschen: allzuähnlich einander,—allzumenschlich auch den Grössten noch! +</p> + +<p> +Allzuklein der Grösste!—Das war mein Überdruss am Menschen! Und ewige +Wiederkunft auch des Kleinsten!—Das war mein Überdruss an allem Dasein! +</p> + +<p> +Ach, Ekel! Ekel! Ekel!—- Also sprach Zarathustra und seufzte und +schauderte; denn er erinnerte sich seiner Krankheit. Da liessen ihn aber seine +Thiere nicht weiter reden. +</p> + +<p> +„Sprich nicht weiter, du Genesender!—so antworteten ihm seine Thiere, +sondern geh hinaus, wo die Welt auf dich wartet gleich einem Garten. +</p> + +<p> +Geh hinaus zu den Rosen und Bienen und Taubenschwärmen! Sonderlich aber zu den +Singe-Vögeln: dass du ihnen das <i>Singen</i> ablernst! +</p> + +<p> +Singen nämlich ist für Genesende; der Gesunde mag reden. Und wenn auch der +Gesunde Lieder will, will er andre Lieder doch als der Genesende.“ +</p> + +<p> +—„Oh ihr Schalks-Narren und Drehorgeln, so schweigt +doch!—antwortete Zarathustra und lächelte über seine Thiere. Wie gut ihr +wisst, welchen Trost ich mir selber in sieben Tagen erfand! +</p> + +<p> +Dass ich wieder singen müsse,—<i>den</i> Trost erfand ich mir und +<i>diese</i> Genesung: wollt ihr auch daraus gleich wieder ein Leier-Lied +machen?“ +</p> + +<p> +—„Sprich nicht weiter, antworteten ihm abermals seine Thiere; lieber +noch, du Genesender, mache dir erst eine Leier zurecht, eine neue Leier! +</p> + +<p> +Denn siehe doch, oh Zarathustra! Zu deinen neuen Liedern bedarf es neuer +Leiern. +</p> + +<p> +Singe und brause über, oh Zarathustra, heile mit neuen Liedern deine Seele: +dass du dein grosses Schicksal tragest, das noch keines Menschen Schicksal war! +</p> + +<p> +Denn deine Thiere wissen es wohl, oh Zarathustra, wer du bist und werden musst: +siehe, du bist der Lehrer der ewigen Wiederkunft—, das ist nun +<i>dein</i> Schicksal! +</p> + +<p> +Dass du als der Erste diese Lehre lehren musst,—wie sollte diess grosse +Schicksal nicht auch deine grösste Gefahr und Krankheit sein! +</p> + +<p> +Siehe, wir wissen, was du lehrst: dass alle Dinge ewig wiederkehren und wir +selber mit, und dass wir schon ewige Male dagewesen sind, und alle Dinge mit +uns. +</p> + +<p> +Du lehrst, dass es ein grosses Jahr des Werdens giebt, ein Ungeheuer von +grossem Jahre: das muss sich, einer Sanduhr gleich, immer wieder von Neuem +umdrehn, damit es von Neuem ablaufe und auslaufe:— +</p> + +<p> +—so dass alle diese Jahre sich selber gleich sind, im Grössten und auch +im Kleinsten,—so dass wir selber in jedem grossen Jahre uns selber gleich +sind, im Grössten und auch im Kleinsten. +</p> + +<p> +Und wenn du jetzt sterben wolltest, oh Zarathustra: siehe, wir wissen auch, wie +du da zu dir sprechen würdest:—aber deine Thiere bitten dich, dass du +noch nicht sterbest! +</p> + +<p> +Du würdest sprechen und ohne Zittern, vielmehr aufathmend vor Seligkeit: denn +eine grosse Schwere und Schwüle wäre von dir genommen, du Geduldigster!— +</p> + +<p> +„Nun sterbe und schwinde ich, würdest du sprechen, und im Nu bin ich ein +Nichts. Die Seelen sind so sterblich wie die Leiber. +</p> + +<p> +Aber der Knoten von Ursachen kehrt wieder, in den ich verschlungen +bin,—der wird mich wieder schaffen! Ich selber gehöre zu den Ursachen der +ewigen Wiederkunft. +</p> + +<p> +Ich komme wieder, mit dieser Sonne, mit dieser Erde, mit diesem Adler, mit +dieser Schlange—<i>nicht</i> zu einem neuen Leben oder besseren Leben +oder ähnlichen Leben: +</p> + +<p> +—ich komme ewig wieder zu diesem gleichen und selbigen Leben, im Grössten +und auch im Kleinsten, dass ich wieder aller Dinge ewige Wiederkunft +lehre,— +</p> + +<p> +—dass ich wieder das Wort spreche vom grossen Erden- und +Menschen-Mittage, dass ich wieder den Menschen den Übermenschen künde. +</p> + +<p> +Ich sprach mein Wort, ich zerbreche an meinem Wort: so will es mein ewiges Loos +-, als Verkündiger gehe ich zu Grunde! +</p> + +<p> +Die Stunde kam nun, dass der Untergehende sich selber segnet. Also <i>endet</i> +Zarathustra’s Untergang.““— +</p> + +<p> +Als die Thiere diese Worte gesprochen hatten, schwiegen sie und warteten, dass +Zarathustra Etwas zu ihnen sagen werde: aber Zarathustra hörte nicht, dass sie +schwiegen. Vielmehr lag er still, mit geschlossenen Augen, einem Schlafenden +ähnlich, ob er schon nicht schlief: denn er unterredete sich eben mit seiner +Seele. Die Schlange aber und der Adler, als sie ihn solchermaassen schweigsam +fanden, ehrten die grosse Stille um ihn und machten sich behutsam davon. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap60"></a>Von der grossen Sehnsucht</h3> + +<p> +Oh meine Seele, ich lehrte dich „Heute“ sagen wie „Einst“ und „Ehemals“ und +über alles Hier und Da und Dort deinen Reigen hinweg tanzen. +</p> + +<p> +Oh meine Seele, ich erlöste dich von allen Winkeln, ich kehrte Staub, Spinnen +und Zwielicht von dir ab. +</p> + +<p> +Oh meine Seele, ich wusch die kleine Scham und die Winkel-Tugend von dir ab und +überredete dich, nackt vor den Augen der Sonne zu stehn. +</p> + +<p> +Mit dem Sturme, welcher „Geist“ heisst, blies ich über deine wogende See; alle +Wolken blies ich davon, ich erwürgte selbst die Würgerin, die „Sünde“ heisst. +</p> + +<p> +Oh meine Seele, ich gab dir das Recht, Nein zu sagen wie der Sturm und Ja zu +sagen wie offner Himmel Ja sagt: still wie Licht stehst du und gehst du nun +durch verneinende Stürme. +</p> + +<p> +Oh meine Seele, ich gab dir die Freiheit zurück über Erschaffnes und +Unerschaffnes: und wer kennt, wie du sie kennst, die Wollust des Zukünftigen? +</p> + +<p> +Oh meine Seele, ich lehrte dich das Verachten, das nicht wie ein Wurmfrass +kommt, das grosse, das liebende Verachten, welches am meisten liebt, wo es am +meisten verachtet. +</p> + +<p> +Oh meine Seele, ich lehrte dich so überreden, dass du zu dir die Gründe selber +überredest: der Sonne gleich, die das Meer noch zu seiner Höhe überredet. +</p> + +<p> +Oh meine Seele, ich nahm von dir alles Gehorchen Kniebeugen und Herr-Sagen; ich +gab dir selber den Namen „Wende der Noth“ und „Schicksal“. +</p> + +<p> +Oh meine Seele, ich gab dir neue Namen und bunte Spielwerke, ich hiess dich +„Schicksal“ und „Umfang der Umfänge“ und „Nabelschnur der Zeit“ und „azurne +Glocke“ . +</p> + +<p> +Oh meine Seele, deinem Erdreich gab ich alle Weisheit zu trinken, alle neuen +Weine und auch alle unvordenklich alten starken Weine der Weisheit. +</p> + +<p> +Oh meine Seele, jede Sonne goss ich auf dich und jede Nacht und jedes Schweigen +und jede Sehnsucht:—da wuchsest du mir auf wie ein Weinstock. +</p> + +<p> +Oh meine Seele, überreich und schwer stehst du nun da, ein Weinstock mit +schwellenden Eutern und gedrängten braunen Gold-Weintrauben:— +</p> + +<p> +—gedrängt und gedrückt von deinem Glücke, wartend vor Überflusse und +schamhaft noch ob deines Wartens. +</p> + +<p> +Oh meine Seele, es giebt nun nirgends eine Seele, die liebender wäre und +umfangender und umfänglicher! Wo wäre Zukunft und Vergangnes näher beisammen +als bei dir? +</p> + +<p> +Oh meine Seele, ich gab dir Alles, und alle meine Hände sind an dich leer +geworden:—und nun! Nun sagst du mir lächelnd und voll Schwermuth: „Wer +von uns hat zu danken?— +</p> + +<p> +—hat der Geber nicht zu danken, dass der Nehmende nahm? Ist Schenken +nicht eine Nothdurft? Ist Nehmen nicht—Erbarmen?“— +</p> + +<p> +Oh meine Seele, ich verstehe das Lächeln deiner Schwermuth: dein Über-Reichthum +selber streckt nun sehnende Hände aus! +</p> + +<p> +Deine Fülle blickt über brausende Meere hin und sucht und wartet; die Sehnsucht +der Über-Fülle blickt aus deinem lächelnden Augen-Himmel! +</p> + +<p> +Und wahrlich, oh meine Seele! Wer sähe dein Lächeln und schmelze nicht vor +Thränen? Die Engel selber schmelzen vor Thränen ob der Über-Güte deines +Lächelns. +</p> + +<p> +Deine Güte und Über-Güte ist es, die nicht klagen und weinen will: und doch +sehnt sich, oh meine Seele, dein Lächeln nach Thränen und dein zitternder Mund +nach Schluchzen. +</p> + +<p> +„Ist alles Weinen nicht ein Klagen? Und alles Klagen nicht ein Anklagen?“ Also +redest du zu dir selber, und darum willst du, oh meine Seele, lieber lächeln, +als dein Leid ausschütten. +</p> + +<p> +—in stürzende Thränen ausschütten all dein Leid über deine Fülle und über +all die Drängniss des Weinstocks nach Winzer und Winzermesser! +</p> + +<p> +Aber willst du nicht weinen, nicht ausweinen deine purpurne Schwermuth, so +wirst du <i>singen</i> müssen, oh meine Seele!—Siehe, ich lächle selber, +der ich dir solches vorhersage: +</p> + +<p> +—singen, mit brausendem Gesange, bis alle Meere still werden, dass sie +deiner Sehnsucht zuhorchen,— +</p> + +<p> +—bis über stille sehnsüchtige Meere der Nachen schwebt, das güldene +Wunder, um dessen Gold alle guten schlimmen wunderlichen Dinge hüpfen:— +</p> + +<p> +—auch vieles grosse und kleine Gethier und Alles, was leichte wunderliche +Füsse hat, dass es auf veilchenblauen Pfaden laufen kann,— +</p> + +<p> +—hin zu dem güldenen Wunder, dem freiwilligen Nachen und zu seinem Herrn: +das aber ist der Winzer, der mit diamantenem Winzermesser wartet,— +</p> + +<p> +—dein grosser Löser, oh meine Seele, der Namenlose—- dem zukünftige +Gesänge erst Namen finden! Und wahrlich, schon duftet dein Athem nach +zukünftigen Gesängen,— +</p> + +<p> +—schon glühst du und träumst, schon trinkst du durstig an allen tiefen +klingenden Trost-Brunnen, schon ruht deine Schwermuth in der Seligkeit +zukünftiger Gesänge!— +</p> + +<p> +Oh meine Seele, nun gab ich dir Alles und auch mein Letztes, und alle meine +Hände sind an dich leer geworden:—<i>dass ich dich singen hiess</i>, +siehe, das war mein Letztes! +</p> + +<p> +Dass ich dich singen hiess, sprich nun, sprich: <i>wer</i> von uns hat +jetzt—zu danken?—Besser aber noch: singe mir, singe, oh meine +Seele! Und mich lass danken!— +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap61"></a>Das andere Tanzlied</h3> + +<h4>1.</h4> + +<p> +„In dein Auge schaute ich jüngst, oh Leben: Gold sah ich in deinem Nacht-Auge +blinken,—mein Herz stand still vor dieser Wollust: +</p> + +<p> +—einen goldenen Kahn sah ich blinken auf mächtigen Gewässern, einen +sinkenden, trinkenden, wieder winkenden goldenen Schaukel-Kahn! +</p> + +<p> +Nach meinem Fusse, dem tanzwüthigen, warfst du einen Blick, einen lachenden +fragenden schmelzenden Schaukel-Blick: +</p> + +<p> +Zwei Mal nur regtest du deine Klapper mit kleinen Händen—da schaukelte +schon mein Fuss vor Tanz-Wuth.— +</p> + +<p> +Meine Fersen bäumten sich, meine Zehen horchten, dich zu verstehen: trägt doch +der Tänzer sein Ohr—in seinen Zehen! +</p> + +<p> +Zu dir hin sprang ich: da flohst du zurück vor meinem Sprunge; und gegen mich +züngelte deines fliehenden fliegenden Haars Zunge! +</p> + +<p> +Von dir weg sprang ich und von deinen Schlangen: da standst du schon, +halbgewandt, das Auge voll Verlangen. +</p> + +<p> +Mit krummen Blicken—lehrst du mich krumme Bahnen; auf krummen Bahnen +lernt mein Fuss—Tücken! +</p> + +<p> +Ich fürchte dich Nahe, ich liebe dich Ferne; deine Flucht lockt mich, dein +Suchen stockt mich:—ich leide, aber was litt ich um dich nicht gerne! +</p> + +<p> +Deren Kälte zündet, deren Hass verführt, deren Flucht bindet, deren +Spott—rührt: +</p> + +<p> +—wer hasste dich nicht, dich grosse Binderin, Umwinderin, Versucherin, +Sucherin, Finderin! Wer liebte dich nicht, dich unschuldige, ungeduldige, +windseilige, kindsäugige Sünderin! +</p> + +<p> +Wohin ziehst du mich jetzt, du Ausbund und Unband? Und jetzt fliehst du mich +wieder, du süsser Wildfang und Undank! +</p> + +<p> +Ich tanze dir nach, ich folge dir auch auf geringer Spur. Wo bist du? Gieb mir +die Hand! Oder einen Finger nur! +</p> + +<p> +Hier sind Höhlen und Dickichte: wir werden uns verirren!—Halt! Steh +still! Siehst du nicht Eulen und Fledermäuse schwirren? +</p> + +<p> +Du Eule! Du Fledermaus! Du willst mich äffen? Wo sind wir? Von den Hunden +lerntest du diess Heulen und Kläffen. +</p> + +<p> +Du fletschest mich lieblich an mit weissen Zähnlein, deine bösen Augen springen +gegen mich aus lockichtem Mähnlein! +</p> + +<p> +Das ist ein Tanz über Stock und Stein: ich bin der Jäger,—willst du mein +Hund oder meine Gemse sein? +</p> + +<p> +Jetzt neben mir! Und geschwind, du boshafte Springerin! Jetzt hinauf! Und +hinüber!—Wehe! Da fiel ich selber im Springen hin! +</p> + +<p> +Oh sieh mich liegen, du Übermuth, und um Gnade flehn! Gerne möchte ich mit dir +—lieblichere Pfade gehn! +</p> + +<p> +—der Liebe Pfade durch stille bunte Büsche! Oder dort den See entlang: da +schwimmen und tanzen Goldfische! +</p> + +<p> +Du bist jetzt müde? Da drüben sind Schafe und Abendröthen: ist es nicht schön, +zu schlafen, wenn Schäfer flöten? +</p> + +<p> +Du bist so arg müde? Ich trage dich hin, lass nur die Arme sinken! Und hast du +Durst,—ich hätte wohl Etwas, aber dein Mund will es nicht trinken!— +</p> + +<p> +—Oh diese verfluchte flinke gelenke Schlange und Schlupf-Hexe! Wo bist du +hin? Aber im Gesicht fühle ich von deiner Hand zwei Tupfen und rothe Klexe! +</p> + +<p> +Ich bin es wahrlich müde, immer dein schafichter Schäfer zu sein! Du Hexe, habe +ich dir bisher gesungen, nun sollst <i>du</i> mir—schrein! +</p> + +<p> +Nach dem Takt meiner Peitsche sollst du mir tanzen und schrein! Ich vergass +doch die Peitsche nicht?—Nein!“— +</p> + +<h4>2.</h4> + +<p> +Da antwortete mir das Leben also und hielt sich dabei die zierlichen Ohren zu: +</p> + +<p> +„Oh Zarathustra! Klatsche doch nicht so fürchterlich mit deiner Peitsche! Du +weisst es ja: Lärm mordet Gedanken,—und eben kommen mir so zärtliche +Gedanken. +</p> + +<p> +Wir sind Beide zwei rechte Thunichtgute und Thunichtböse. Jenseits von Gut und +Böse fanden wir unser Eiland und unsre grüne Wiese—wir Zwei allein! Darum +müssen wir schon einander gut sein! +</p> + +<p> +Und lieben wir uns auch nicht von Grund aus—, muss man sich denn gram +sein, wenn man sich nicht von Grund aus liebt? +</p> + +<p> +Und dass ich dir gut bin und oft zu gut, Das weisst du: und der Grund ist, dass +ich auf deine Weisheit eifersüchtig bin. Ah, diese tolle alte Närrin von +Weisheit! +</p> + +<p> +Wenn dir deine Weisheit einmal davonliefe, ach! da liefe dir schnell auch meine +Liebe noch davon.“— +</p> + +<p> +Darauf blickte das Leben nachdenklich hinter sich und um sich und sagte leise: +„Oh Zarathustra, du bist mir nicht treu genug! +</p> + +<p> +Du liebst mich lange nicht so sehr wie du redest; ich weiss, du denkst daran, +dass du mich bald verlassen willst. +</p> + +<p> +Es giebt eine alte schwere schwere Brumm-Glocke: die brummt Nachts bis zu +deiner Höhle hinauf:— +</p> + +<p> +—hörst du diese Glocke Mitternachts die Stunde schlagen, so denkst du +zwischen Eins und Zwölf daran— +</p> + +<p> +—du denkst daran, oh Zarathustra, ich weiss es, dass du mich bald +verlassen willst!“— +</p> + +<p> +„Ja, antwortete ich zögernd, aber du weisst es auch—“ Und ich sagte ihr +Etwas in’s Ohr, mitten hinein zwischen ihre verwirrten gelben thörichten +Haar-Zotteln. +</p> + +<p> +Du <i>weisst</i> Das, oh Zarathustra? Das weiss Niemand.— +</p> + +<p> +Und wir sahen uns an und blickten auf die grüne Wiese, über welche eben der +kühle Abend lief, und weinten mit einander.—Damals aber war mir das Leben +lieber, als je alle meine Weisheit.— +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra. +</p> + +<h4>3.</h4> + +<p class="noindent"> +        Eins!<br/> +    Oh Mensch! Gieb Acht!<br/> +        Zwei!<br/> +    Was spricht die tiefe Mitternacht?<br/> +        Drei!<br/> +    „Ich schlief, ich schlief—,“<br/> +        Vier!<br/> +    „Auf tiefen Traum bin ich erwacht:—“<br/> +        Fünf!<br/> +    „Die Welt ist tief,“<br/> +        Sechs!<br/> +    „Und tiefer als der Tag gedacht.“<br/> +        Sieben!<br/> +    „Tief ist ihr Weh—,“<br/> +        Acht!<br/> +    „Lust—tiefer noch als Herzeleid:“<br/> +        Neun!<br/> +    „Weh spricht: Vergeh!“<br/> +        Zehn!<br/> +    „Doch alle Lust will Ewigkeit—,“<br/> +        Elf!<br/> +    „—will tiefe, tiefe Ewigkeit!“<br/> +        Zwölf! +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap62"></a>Die sieben Siegel</h3> <h4>(Oder: das Ja- und +Amen-Lied)</h4> + +<h4>1.</h4> + +<p> +Wenn ich ein Wahrsager bin und voll jenes wahrsagerischen Geistes, der auf +hohem Joche zwischen zwei Meeren wandelt,— +</p> + +<p> +zwischen Vergangenem und Zukünftigem als schwere Wolke wandelt,—schwülen +Niederungen feind und Allem, was müde ist und nicht sterben, noch leben kann.- +</p> + +<p> +zum Blitze bereit im dunklen Busen und zum erlösenden Lichtstrahle, schwanger +von Blitzen, die Ja! sagen, Ja! lachen, zu wahrsagerischen +Blitzstrahlen:— +</p> + +<p> +—selig aber ist der also Schwangere! Und wahrlich, lange muss als +schweres Wetter am Berge hängen, wer einst das Licht der Zukunft zünden +soll!— +</p> + +<p> +Oh wie sollte ich nicht nach der Ewigkeit brünstig sein und nach dem +hochzeitlichen Ring der Ringe,—dem Ring de Wiederkunft! +</p> + +<p> +Nie noch fand ich das Weib, von dem ich Kinder mochte, sei denn dieses Weib, +das ich lieb: denn ich liebe dich, oh Ewigkeit! +</p> + +<p> +Denn ich liebe dich, oh Ewigkeit! +</p> + +<h4>2.</h4> + +<p> +Wenn mein Zorn je Gräber brach, Grenzsteine rückte und alte Tafeln zerbrochen +in steile Tiefen rollte: +</p> + +<p> +Wenn mein Hohn je vermoderte Worte zerblies, und ich wie ein Besen kam den +Kreuzspinnen und als Fegewind alten verdumpften Grabkammern: +</p> + +<p> +Wenn ich je frohlockend sass, wo alte Götter begraben liegen, weltsegnend, +weltliebend neben den Denkmalen alter Welt-Verleumder:— +</p> + +<p> +—denn selbst Kirchen und Gottes-Gräber liebe ich, wenn der Himmel erst +reinen Auges durch ihre zerbrochenen Decken blickt; gern sitze ich gleich Gras +und rothem Mohne auf zerbrochnen Kirchen— +</p> + +<p> +Oh wie sollte ich nicht nach der Ewigkeit brünstig sein und nach dem +hochzeitlichen Ring der Ringe,—dem Ring de Wiederkunft! +</p> + +<p> +Nie noch fand ich das Weib, von dem ich Kinder mochte, sei denn dieses Weib, +das ich lieb: denn ich liebe dich, oh Ewigkeit! +</p> + +<p> +Denn ich liebe dich, oh Ewigkeit! +</p> + +<h4>3.</h4> + +<p> +Wenn je ein Hauch zu mir kam vom schöpferischen Hauche und von jener +himmlischen Noth, die noch Zufälle zwingt, Sternen-Reigen zu tanzen: +</p> + +<p> +Wenn ich je mit dem Lachen des schöpferischen Blitzes lachte, dem der lange +Donner der That grollend, aber gehorsam nachfolgt: +</p> + +<p> +Wenn ich je am Göttertisch der Erde mit Göttern Würfel spielte, dass die Erde +bebte und brach und Feuerflüsse heraufschnob:— +</p> + +<p> +—denn ein Göttertisch ist die Erde, und zitternd von schöpferischen neuen +Worten und Götter-Würfen:— +</p> + +<p> +Oh wie sollte ich nicht nach der Ewigkeit brünstig sein und nach dem +hochzeitlichen Ring der Ringe,—dem Ring de Wiederkunft! +</p> + +<p> +Nie noch fand ich das Weib, von dem ich Kinder mochte, sei denn dieses Weib, +das ich lieb: denn ich liebe dich, oh Ewigkeit! +</p> + +<p> +Denn ich liebe dich, oh Ewigkeit! +</p> + +<h4>4.</h4> + +<p> +Wenn ich je vollen Zuges trank aus jenem schäumenden Würz- und Mischkruge, in +dem alle Dinge gut gemischt sind: +</p> + +<p> +Wenn meine Hand je Fernstes zum Nächsten goss und Feuer zu Geist und Lust zu +Leid und Schlimmstes zum Gütigsten: +</p> + +<p> +Wenn ich selber ein Korn bin von jenem erlösenden Salze, welches macht, dass +alle Dinge im Mischkruge gut sich mischen:— +</p> + +<p> +—denn es giebt ein Salz, das Gutes mit Bösem bindet; und auch das Böseste +ist zum Würzen würdig und zum letzten Überschäumen:— +</p> + +<p> +Oh wie sollte ich nicht nach der Ewigkeit brünstig sein und nach dem +hochzeitlichen Ring der Ringe,—dem Ring de Wiederkunft! +</p> + +<p> +Nie noch fand ich das Weib, von dem ich Kinder mochte, sei denn dieses Weib, +das ich lieb: denn ich liebe dich, oh Ewigkeit! +</p> + +<p> +Denn ich liebe dich, oh Ewigkeit! +</p> + +<h4>5.</h4> + +<p> +Wenn ich dem Meere hold bin und Allem, was Meeres-Art ist, und am holdesten +noch, wenn es mir zornig widerspricht: +</p> + +<p> +Wenn jene suchende Lust in mir ist, die nach Unentdecktem die Segel treibt, +wenn eine Seefahrer-Lust in meiner Lust ist: +</p> + +<p> +Wenn je mein Frohlocken rief: „die Küste schwand,—nun fiel mir die letzte +Kette ab— +</p> + +<p> +—das Grenzenlose braust um mich, weit hinaus glänzt mir Raum und Zeit, +wohlan! wohlauf! altes Herz!“— +</p> + +<p> +Oh wie sollte ich nicht nach der Ewigkeit brünstig sein und nach dem +hochzeitlichen Ring der Ringe,—dem Ring de Wiederkunft! +</p> + +<p> +Nie noch fand ich das Weib, von dem ich Kinder mochte, sei denn dieses Weib, +das ich lieb: denn ich liebe dich, oh Ewigkeit! +</p> + +<p> +Denn ich liebe dich, oh Ewigkeit! +</p> + +<h4>6.</h4> + +<p> +Wenn meine Tugend eines Tänzers Tugend ist, und ich oft mit beiden Füssen in +gold-smaragdenes Entzücken sprang: +</p> + +<p> +Wenn meine Bosheit eine lachende Bosheit ist, heimisch unter Rosenhängen und +Lilien-Hecken: +</p> + +<p> +—im Lachen nämlich ist alles Böse bei einander, aber heilig- und +losgesprochen durch seine eigne Seligkeit:— +</p> + +<p> +Und wenn Das mein A und O ist, dass alles Schwere leicht, aller Leib Tänzer, +aller Geist Vogel werde: und wahrlich, Das ist mein A und O!— +</p> + +<p> +Oh wie sollte ich nicht nach der Ewigkeit brünstig sein und nach dem +hochzeitlichen Ring der Ringe,—dem Ring de Wiederkunft! +</p> + +<p> +Nie noch fand ich das Weib, von dem ich Kinder mochte, sei denn dieses Weib, +das ich lieb: denn ich liebe dich, oh Ewigkeit! +</p> + +<p> +Denn ich liebe dich, oh Ewigkeit! +</p> + +<h4>7.</h4> + +<p> +Wenn ich je stille Himmel über mir ausspannte und mit eignen Flügeln in eigne +Himmel flog: +</p> + +<p> +Wenn ich spielend in tiefen Licht-Fernen schwamm, und meiner Freiheit +Vogel-Weisheit kam:— +</p> + +<p> +—so aber spricht Vogel-Weisheit: „Siehe, es giebt kein Oben, kein Unten! +Wirf dich umher, hinaus, zurück, du Leichter! Singe! sprich nicht mehr! +</p> + +<p> +—sind alle Worte nicht für die Schweren gemacht? Lügen dem Leichten nicht +alle Worte! Singe! sprich nicht mehr!“— +</p> + +<p> +Oh wie sollte ich nicht nach der Ewigkeit brünstig sein und nach dem +hochzeitlichen Ring der Ringe,—dem Ring de Wiederkunft! +</p> + +<p> +Nie noch fand ich das Weib, von dem ich Kinder mochte, sei denn dieses Weib, +das ich lieb: denn ich liebe dich, oh Ewigkeit! +</p> + +<p> +Denn ich liebe dich, oh Ewigkeit! +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="part04"></a>Vierter und letzter Theil</h2> + +<p class="poem"> +Ach, wo in der Welt geschahen grössere Thorheiten, als bei den Mitleidigen? Und +was in der Weit stiftete mehr Leid, als die Thorheiten der Mitleidigen?<br/> +    Wehe allen Liebenden, die nicht noch eine Höhe haben, welche über ihrem +Mitleiden ist!<br/> +    Also sprach der Teufel einst zu mir: „auch Gott hat seine Hölle: das +ist seine Liebe zu den Menschen.“<br/> +    Und jüngst hörte ich ihn diess Wort sagen: „Gott ist todt; an seinem +Mitleiden mit den Menschen ist Gott gestorben.“<br/> +</p> + +<p class="right"> +Zarathustra, Von den Mitleidigen +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap63"></a>Das Honig-Opfer</h3> + +<p> +—Und wieder liefen Monde und Jahre über Zarathustra’s Seele, und er +achtete dessen nicht; sein Haar aber wurde weiss. Eines Tages, als er auf einem +Steine vor seiner Höhle sass und still hinausschaute,—man schaut aber +dort auf das Meer hinaus, und hinweg über gewundene Abgründe—da giengen +seine Thiere nachdenklich um ihn herum und stellten sich endlich vor ihn hin. +</p> + +<p> +„Oh Zarathustra, sagten sie, schaust du wohl aus nach deinem +Glücke?“—„Was liegt am Glücke! antwortete er, ich trachte lange nicht +mehr nach Glücke, ich trachte nach meinem Werke.“—„Oh Zarathustra, +redeten die Thiere abermals, Das sagst du als Einer, der des Guten übergenug +hat. Liegst du nicht in einem himmelblauen See von Glück?“—„Ihr +Schalks-Narren, antwortete Zarathustra und lächelte, wie gut wähltet ihr das +Gleichniss! Aber ihr wisst auch, dass mein Glück schwer ist und nicht wie eine +flüssige Wasserwelle: es drängt mich und will nicht von mir und thut gleich +geschmolzenem Peche.“— +</p> + +<p> +Da giengen die Thiere wieder nachdenklich um ihn herum und stellten sich dann +abermals vor ihn hin. „Oh Zarathustra, sagten sie, <i>daher</i> also kommt es, +dass du selber immer gelber und dunkler wirst, obschon dein Haar weiss und +flächsern aussehen will? Siehe doch, du sitzest in deinem Peche!“—„Was +sagt ihr da, meine Thiere, sagte Zarathustra und lachte dazu, wahrlich, ich +lästerte als ich von Peche sprach. Wie mir geschieht, so geht es allen +Früchten, die reif werden. Es ist der <i>Honig</i> in meinen Adern, der mein +Blut dicker und auch meine Seele stiller macht.“—„So wird es sein, oh +Zarathustra, antworteten die Thiere und drängten sich an ihn; willst du aber +nicht heute auf einen hohen Berg steigen? Die Luft ist rein, und man sieht +heute mehr von der Welt als jemals.“—„Ja, meine Thiere, antwortete er, +ihr rathet trefflich und mir nach dem Herzen: ich will heute auf einen hohen +Berg steigen! Aber sorgt, dass dort Honig mir zur Hand sei, gelber, weisser, +guter, eisfrischer Waben-Goldhonig. Denn wisset, ich will droben das +Honig-Opfer bringen.“— +</p> + +<p> +Als Zarathustra aber oben auf der Höhe war, sandte er die Thiere heim, die ihn +geleitet hatten, und fand, dass er nunmehr allein sei:—da lachte er aus +ganzem Herzen, sah sich um und sprach also: +</p> + +<p> +Dass ich von Opfern sprach und Honig-Opfern, eine List war’s nur meiner +Rede und, wahrlich, eine nützliche Thorheit! Hier oben darf ich schon freier +reden, als vor Einsiedler-Höhlen und Einsiedler-Hausthieren. +</p> + +<p> +Was opfern! Ich verschwende, was mir geschenkt wird, ich Verschwender mit +tausend Händen: wie dürfte ich Das noch—Opfern heissen! +</p> + +<p> +Und als ich nach Honig begehrte, begehrte ich nur nach Köder und süssem Seime +und Schleime, nach dem auch Brummbären und wunderliche mürrische böse Vögel die +Zunge lecken: +</p> + +<p> +—nach dem besten Köder, wie er Jägern und Fischfängern noththut. Denn +wenn die Welt wie ein dunkler Thierwald ist und aller wilden Jäger Lustgarten, +so dünkt sie mich noch mehr und lieber ein abgründliches reiches Meer, +</p> + +<p> +—ein Meer voll bunter Fische und Krebse, nach dem es auch Götter gelüsten +möchte, dass sie an ihm zu Fischern würden und zu Netz-Auswerfern: so reich ist +die Welt an Wunderlichem, grossem und kleinem! +</p> + +<p> +Sonderlich die Menschen-Welt, das Menschen-Meer:—nach <i>dem</i> werfe +ich nun meine goldene Angelruthe aus und spreche: thue dich auf, du +Menschen-Abgrund! +</p> + +<p> +Thue dich auf und wirf mir deine Fische und Glitzer-Krebse zu! Mit meinem +besten Köder ködere ich mir heute die wunderlichsten Menschen-Fische! +</p> + +<p> +—mein Glück selber werfe ich hinaus in alle Weiten und Fernen, zwischen +Aufgang, Mittag und Niedergang, ob nicht an meinem Glücke viele Menschen-Fische +zerrn und zappeln lernen. +</p> + +<p> +Bis sie, anbeissend an meine spitzen verborgenen Haken, hinauf müssen in +<i>meine</i> Höhe, die buntesten Abgrund-Gründlinge zu dem boshaftigsten aller +Menschen- Fischfänger. +</p> + +<p> +<i>Der</i> nämlich bin ich von Grund und Anbeginn, ziehend, heranziehend, +hinaufziehend, aufziehend, ein Zieher, Züchter und Zuchtmeister, der sich nicht +umsonst einstmals zusprach: „Werde, der du bist!“ +</p> + +<p> +Also mögen nunmehr die Menschen zu mir <i>hinauf</i> kommen: denn noch warte +ich der Zeichen, dass es Zeit sei zu meinem Niedergange, noch gehe ich selber +nicht unter, wie ich muss, unter Menschen. +</p> + +<p> +Dazu warte ich hier, listig und spöttisch auf hohen Bergen, kein Ungeduldiger, +kein Geduldiger, vielmehr Einer, der auch die Geduld verlernt hat,—weil +er nicht mehr „duldet.“ +</p> + +<p> +Mein Schicksal nämlich lässt mir Zeit: es vergass mich wohl? Oder sitzt es +hinter einem grossen Steine im Schatten und fängt Fliegen? +</p> + +<p> +Und wahrlich, ich bin ihm gut darob, meinem ewigen Schicksale, dass es mich +nicht hetzt und drängt und mir Zeit zu Possen lässt und Bosheiten: also dass +ich heute zu einem Fischfange auf diesen hohen Berg stieg. +</p> + +<p> +Fieng wohl je ein Mensch auf hohen Bergen Fische? Und wenn es auch eine +Thorheit ist, was ich hier oben will und treibe: besser noch Diess, als dass +ich da unten feierlich würde vor Warten und grün und gelb— +</p> + +<p> +—ein gespreitzter Zornschnauber vor Warten, ein heiliger Heule-Sturm aus +Bergen, ein Ungeduldiger, der in die Thäler hinabruft: „Hört, oder ich peitsche +euch mit der Geissel Gottes!“ +</p> + +<p> +Nicht dass ich solchen Zürnern darob gram würde: zum Lachen sind sie mir gut +genung! Ungeduldig müssen sie schon sein, diese grossen Lärmtrommeln, welche +heute oder niemals zu Worte kommen! +</p> + +<p> +Ich aber und mein Schicksal—wir reden nicht zum Heute, wir reden auch +nicht zum Niemals: wir haben zum Reden schon Geduld und Zeit und Überzeit. Denn +einst muss er doch kommen und darf nicht vorübergehn. +</p> + +<p> +Wer muss einst kommen und darf nicht vorübergehn? Unser grosser Hazar, das ist +unser grosses fernes Menschen-Reich, das Zarathustra-Reich von tausend +Jahren— +</p> + +<p> +Wie ferne mag solches „Ferne“ sein? was geht’s mich an! Aber darum steht +es mir doch nicht minder fest—, mit beiden Füssen stehe ich sicher auf +diesem Grunde, +</p> + +<p> +—auf einem ewigen Grunde, auf hartem Urgesteine, auf diesem höchsten +härtesten Urgebirge, zu dem alle Winde kommen als zur Wetterscheide, fragend +nach Wo? und Woher? und Wohinaus? +</p> + +<p> +Hier lache, lache meine helle heile Bosheit! Von hohen Bergen wirf hinab dein +glitzerndes Spott-Gelächter! Ködere mit deinem Glitzern mir die schönsten +Menschen-Fische! +</p> + +<p> +Und was in allen Meeren <i>mir</i> zugehört, mein An-und-für-mich in allen +Dingen—<i>Das</i> fische mir heraus, <i>Das</i> führe zu mir herauf: dess +warte ich, der boshaftigste aller Fischfänger. +</p> + +<p> +Hinaus, hinaus, meine Angel! Hinein, hinab, Köder meines Glücks! Träufle deinen +süssesten Thau, mein Herzens-Honig! Beisse, meine Angel, in den Bauch aller +schwarzen Trübsal! +</p> + +<p> +Hinaus, hinaus, mein Auge! Oh welche vielen Meere rings um mich, welch +dämmernde Menschen-Zukünfte! Und über mir—welch rosenrothe Stille! Welch +entwölktes Schweigen! +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap64"></a>Der Nothschrei</h3> + +<p> +Des nächsten Tages sass Zarathustra wieder auf seinem Steine vor der Höhle, +während die Thiere draussen in der Welt herumschweiften, dass sie neue Nahrung +heimbrächten,—auch neuen Honig: denn Zarathustra hatte den alten Honig +bis auf das letzte Korn verthan und verschwendet. Als er aber dermaassen +dasass, mit einem Stecken in der Hand, und den Schatten seiner Gestalt auf der +Erde abzeichnete, nachdenkend und, wahrlich! nicht über sich und seinen +Schatten—da erschrak er mit Einem Male und fuhr zusammen: denn er sahe +neben seinem Schatten noch einen andern Schatten. Und wie er schnell um sich +blickte und aufstand, siehe, da stand der Wahrsager neben ihm, der selbe, den +er einstmals an seinem Tische gespeist und getränkt hatte, der Verkündiger der +grossen Müdigkeit, welcher lehrte: „Alles ist gleich, es lohnt sich Nichts, +Welt ist ohne Sinn, Wissen würgt.“ Aber sein Antlitz hatte sich inzwischen +verwandelt; und als ihm Zarathustra in die Augen blickte, wurde sein Herz +abermals erschreckt: so viel schlimme Verkündigungen und aschgraue Blitze +liefen über diess Gesicht. +</p> + +<p> +Der Wahrsager, der es wahrgenommen, was sich in Zarathustra’s Seele +zutrug, wischte mit der Hand über sein Antlitz hin, wie als ob er dasselbe +wegwischen wollte; desgleichen that auch Zarathustra. Und als Beide dergestalt +sich schweigend gefasst und gekräftigt hatten, gaben sie sich die Hände, zum +Zeichen, dass sie sich wiedererkennen wollten. +</p> + +<p> +„Sei mir willkommen, sagte Zarathustra, du Wahrsager der grossen Müdigkeit, du +sollst nicht umsonst einstmals mein Tisch- und Gastfreund gewesen sein. Iss und +trink auch heute bei mir und vergieb es, dass ein vergnügter alter Mann mit dir +zu Tische sitzt!“—„Ein vergnügter alter Mann? antwortete der Wahrsager, +den Kopf schüttelnd: wer du aber auch bist oder sein willst, oh Zarathustra, du +bist es zum Längsten hier Oben gewesen,—dein Nachen soll über Kurzem +nicht mehr im Trocknen sitzen!“—„Sitze ich denn im Trocknen?“ fragte +Zarathustra lachend.—„Die Wellen um deinen Berg, antwortete der +Wahrsager, steigen und steigen, die Wellen grosser Noth und Trübsal: die werden +bald auch deinen Nachen heben und dich davontragen.“—Zarathustra schwieg +hierauf und wunderte sich.—„Hörst du noch Nichts? fuhr der Wahrsager +fort: rauscht und braust es nicht herauf aus der Tiefe?“—Zarathustra +schwieg abermals und horchte: da hörte er einen langen, langen Schrei, welchen +die Abgründe sich zuwarfen und weitergaben, denn keiner wollte ihn behalten: so +böse klang er. +</p> + +<p> +„Du schlimmer Verkündiger, sprach endlich Zarathustra, das ist ein Nothschrei +und der Schrei eines Menschen, der mag wohl aus einem schwarzen Meere kommen. +Aber was geht mich Menschen-Noth an! Meine letzte Sünde, die mir aufgespart +blieb,—weisst du wohl, wie sie heisst?“ +</p> + +<p> +—„Mitleiden! antwortete der Wahrsager aus einem überströmenden Herzen und +hob beide Hände empor—oh Zarathustra, ich komme, dass ich dich zu deiner +letzten Sünde verführe!“— +</p> + +<p> +Und kaum waren diese Worte gesprochen, da erscholl der Schrei abermals, und +länger und ängstlicher als vorher, auch schon viel näher. „Hörst du? Hörst du, +oh Zarathustra? rief der Wahrsager, dir gilt der Schrei, dich ruft er: komm, +komm, komm, es ist Zeit, es ist höchste Zeit!“— +</p> + +<p> +Zarathustra schwieg hierauf, verwirrt und erschüttert; endlich fragte er, wie +Einer, der bei sich selber zögert: „Und wer ist das, der dort mich ruft?“ +</p> + +<p> +„Aber du weisst es ja, antwortete der Wahrsager heftig, was verbirgst du dich? +<i>Der höhere Mensch</i> ist es, der nach dir schreit!“ +</p> + +<p> +„Der höhere Mensch? schrie Zarathustra von Grausen erfasst: was will +<i>der</i>? Was will <i>der</i>? Der höhere Mensch! Was will der +hier?“—und seine Haut bedeckte sich mit Schweiss. +</p> + +<p> +Der Wahrsager aber antwortete nicht auf die Angst Zarathustra’s, sondern +horchte und horchte nach der Tiefe zu. Als es jedoch lange Zeit dort stille +blieb, wandte er seinen Blick zurück und sahe Zarathustra stehn und zittern. +</p> + +<p> +„Oh Zarathustra, hob er mit trauriger Stimme an, du stehst nicht da wie Einer, +den sein Glück drehend macht: du wirst tanzen müssen, dass du mir nicht +umfällst! +</p> + +<p> +Aber wenn du auch vor mir tanzen wolltest und alle deine Seitensprünge +springen: Niemand soll mir doch sagen dürfen: „Siehe, hier tanzt der +letzte frohe Mensch!“ +</p> + +<p> +Umsonst käme Einer auf diese Höhe, der den hier suchte: Höhlen fände er wohl +und Hinter-Höhlen, Verstecke für Versteckte, aber nicht Glücks-Schachte und +Schatzkammern und neue Glücks-Goldadern. +</p> + +<p> +Glück—wie fände man wohl das Glück bei solchen Vergrabenen und +Einsiedlern! Muss ich das letzte Glück noch auf glückseligen Inseln suchen und +ferne zwischen vergessenen Meeren? +</p> + +<p> +Aber Alles ist gleich, es lohnt sich Nichts, es hilft kein Suchen, es giebt +auch keine glückseligen Inseln mehr!“— +</p> + +<p> +Also seufzte der Wahrsager; bei seinem letzten Seufzer aber wurde Zarathustra +wieder hell und sicher, gleich Einem, der aus einem tiefen Schlunde an’s +Licht kommt. „Nein! Nein! Drei Mal Nein! rief er mit starker Stimme und strich +sich den Bart—<i>Das</i> weiss ich besser! Es giebt noch glückselige +Inseln! Stille <i>davon</i>, du seufzender Trauersack! +</p> + +<p> +Höre <i>davon</i> auf zu plätschern, du Regenwolke am Vormittag! Stehe ich denn +nicht schon da, nass von deiner Trübsal und begossen wie ein Hund? +</p> + +<p> +Nun schüttle ich mich und laufe dir davon, dass ich wieder trocken werde: dess +darfst du nicht Wunder haben! Dünke ich dir unhöflich? Aber hier ist +<i>mein</i> Hof. +</p> + +<p> +Was aber deinen höheren Menschen angeht: wohlan! ich suche ihn flugs in jenen +Wäldern: <i>daher</i> kam sein Schrei. Vielleicht bedrängt ihn da ein böses +Thier. +</p> + +<p> +Er ist in <i>meinem</i> Bereiche: darin soll er mir nicht zu Schaden kommen! +Und wahrlich, es giebt viele böse Thiere bei mir.“— +</p> + +<p> +Mit diesen Worten wandte sich Zarathustra zum Gehen. Da sprach der Wahrsager: +„Oh Zarathustra, du bist ein Schelm! +</p> + +<p> +Ich weiss es schon: du willst mich los sein! Lieber noch läufst du in die +Wälder und stellst bösen Thieren nach! +</p> + +<p> +Aber was hilft es dir? Des Abends wirst du doch mich wiederhaben, in deiner +eignen Höhle werde ich dasitzen, geduldig und schwer wie ein Klotz—und +auf dich warten!“ +</p> + +<p> +„So sei’s! rief Zarathustra zurück im Fortgehn: und was mein ist in +meiner Höhle, gehört auch dir, meinem Gastfreunde! +</p> + +<p> +Solltest du aber drin noch Honig finden, wohlan! so lecke ihn nur auf, du +Brummbär, und versüsse deine Seele! Am Abende nämlich wollen wir Beide guter +Dinge sein, +</p> + +<p> +—guter Dinge und froh darob, dass dieser Tag zu Ende gieng! Und du selber +sollst zu meinen Liedern als mein Tanzbär tanzen. +</p> + +<p> +Du glaubst nicht daran? Du schüttelst den Kopf? Wohlan! Wohlauf! Alter Bär! +Aber auch ich—bin ein Wahrsager.“ +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap65"></a>Gespräch mit den Königen</h3> + +<h4>1.</h4> + +<p> +Zarathustra war noch keine Stunde in seinen Bergen und Wäldern unterwegs, da +sahe er mit Einem Male einen seltsamen Aufzug. Gerade auf dem Wege, den er +hinabwollte, kamen zwei Könige gegangen, mit Kronen und Purpurgürteln +geschmückt und bunt wie Flamingo-Vögel: die trieben einen beladenen Esel vor +sich her. „Was wollen diese Könige in meinem Reiche?“ sprach Zarathustra +erstaunt zu seinem Herzen und versteckte Sich geschwind hinter einem Busche. +Als aber die Könige bis zu ihm herankamen, sagte er, halblaut, wie Einer, der +zu sich allein redet: „Seltsam! Seltsam! Wie reimt sich Das zusammen? Zwei +Könige sehe ich—und nur Einen Esel!“ +</p> + +<p> +Da machten die beiden Könige Halt, lächelten, sahen nach der Stelle hin, woher +die Stimme kam, und sahen sich nachher selber in’s Gesicht. „Solcherlei +denkt man wohl auch unter uns, sagte der König zur Rechten, aber man spricht es +nicht aus.“ +</p> + +<p> +Der König zur Linken aber zuckte mit den Achseln und antwortete: „Das mag wohl +ein Ziegenhirt sein. Oder ein Einsiedler, der zu lange unter Felsen und Bäumen +lebte. Gar keine Gesellschaft nämlich verdirbt auch die guten Sitten.“ +</p> + +<p> +„Die guten Sitten? entgegnete unwillig und bitter der andre König: wem laufen +wir denn aus dem Wege? Ist es nicht den „guten Sitten“? Unsrer +„guten Gesellschaft“? +</p> + +<p> +Lieber, wahrlich, unter Einsiedlern und Ziegenhirten als mit unserm vergoldeten +falschen überschminkten Pöbel leben,—ob er sich schon „gute +Gesellschaft“ heisst, +</p> + +<p> +—ob er sich schon „Adel“ heisst. Aber da ist Alles falsch und +faul, voran das Blut, Dank alten schlechten Krankheiten und schlechteren +Heil-Künstlern. +</p> + +<p> +Der Beste und Liebste ist mir heute noch ein gesunder Bauer, grob, listig, +hartnäckig, langhaltig: das ist heute die vornehmste Art. +</p> + +<p> +Der Bauer ist heute der Beste; und Bauern-Art sollte Herr sein! Aber es ist das +Reich des Pöbels,—ich lasse mir Nichts mehr vormachen. Pöbel aber, das +heisst: Mischmasch. +</p> + +<p> +Pöbel-Mischmasch: darin ist Alles in Allem durcheinander, Heiliger und Hallunke +und Junker und Jude und jeglich Vieh aus der Arche Noäh. +</p> + +<p> +Gute Sitten! Alles ist bei uns falsch und faul. Niemand weiss mehr zu verehren: +<i>dem</i> gerade laufen wir davon. Es sind süssliche zudringliche Hunde, sie +vergolden Palmenblätter. +</p> + +<p> +Dieser Ekel würgt mich, dass wir Könige selber falsch wurden, überhängt und +verkleidet durch alten vergilbten Grossväter-Prunk, Schaumünzen für die +Dümmsten und die Schlauesten, und wer heute Alles mit der Macht Schacher +treibt! +</p> + +<p> +Wir <i>sind</i> nicht die Ersten—und müssen es doch <i>bedeuten</i>: +dieser Betrügerei sind wir endlich satt und ekel geworden. +</p> + +<p> +Dem Gesindel giengen wir aus dem Wege, allen diesen Schreihälsen und +Schreib-Schmeissfliegen, dem Krämer-Gestank, dem Ehrgeiz-Gezappel, dem üblen +Athem—: pfui, unter dem Gesindel leben, +</p> + +<p> +—pfui, unter dem Gesindel die Ersten zu bedeuten! Ach, Ekel! Ekel! Ekel! +Was liegt noch an uns Königen!“— +</p> + +<p> +„Deine alte Krankheit fällt dich an, sagte hier der König zur Linken, der Ekel +fällt dich an, mein armer Bruder. Aber du weisst es doch, es hört uns Einer +zu.“ +</p> + +<p> +Sofort erhob sich Zarathustra, der zu diesen Reden Ohren und Augen aufgesperrt +hatte, aus seinem Schlupfwinkel, trat auf die Könige zu und begann: +</p> + +<p> +„Der Euch zuhört, der Euch gerne zuhört, ihr Könige, der heisst Zarathustra. +</p> + +<p> +Ich bin Zarathustra, der einst sprach: „Was liegt noch an Königen!“ +Vergebt mir, ich freute mich, als Ihr zu einander sagtet: „Was liegt an +uns Königen!“ +</p> + +<p> +Hier aber ist <i>mein</i> Reich und meine Herrschaft: was mögt Ihr wohl in +meinem Reiche suchen? Vielleicht aber <i>fandet</i> Ihr unterwegs, was +<i>ich</i> suche: nämlich den höheren Menschen.“ +</p> + +<p> +Als Diess die Könige hörten, schlugen sie sich an die Brust und sprachen mit +Einem Munde: „Wir sind erkannt! +</p> + +<p> +Mit dem Schwerte dieses Wortes zerhaust du unsres Herzens dickste Finsterniss. +Du entdecktest unsre Noth, denn siehe! Wir sind unterwegs, dass wir den höheren +Menschen fänden— +</p> + +<p> +—den Menschen, der höher ist als wir: ob wir gleich Könige sind. Ihm +führen wir diesen Esel zu. Der höchste Mensch nämlich soll auf Erden auch der +höchste Herr sein. +</p> + +<p> +Es giebt kein härteres Unglück in allem Menschen-Schicksale, als wenn die +Mächtigen der Erde nicht auch die ersten Menschen sind. Da wird Alles falsch +und schief und ungeheuer. +</p> + +<p> +Und wenn sie gar die letzten sind und mehr Vieh als Mensch: da steigt und +steigt der Pöbel im Preise, und endlich spricht gar die Pöbel-Tugend: +„siehe, ich allein bin Tugend!“— +</p> + +<p> +Was hörte ich eben? antwortete Zarathustra; welche Weisheit bei Königen! Ich +bin entzückt, und, wahrlich, schon gelüstet’s mich, einen Reim darauf zu +machen:— +</p> + +<p> +—mag es auch ein Reim werden, der nicht für Jedermanns Ohren taugt. Ich +verlernte seit langem schon die Rücksicht auf lange Ohren. Wohlan! Wohlauf! +</p> + +<p> +(Hier aber geschah es, dass auch der Esel zu Worte kam: er sagte aber deutlich +und mit bösem Willen I-A.) +</p> + +<p class="noindent"> +Einstmals—ich glaub’, im Jahr des Heiles Eins—<br/> +Sprach die Sibylle, trunken sonder Weins:<br/> +„Weh, nun geht’s schief!<br/> +Verfall! Verfall! Nie sank die Welt so tief!<br/> +Rom sank zur Hure und zur Huren-Bude,<br/> +Rom’s Caesar sank zum Vieh, Gott selbst—ward Jude!“ +</p> + +<h4>2.</h4> + +<p> +An diesen Reimen Zarathustra’s weideten sich die Könige; der König zur +Rechten aber sprach: „oh Zarathustra, wie gut thaten wir, dass wir auszogen, +dich zu sehn! +</p> + +<p> +Deine Feinde nämlich zeigten uns dein Bild in ihrem Spiegel: da blicktest du +mit der Fratze eines Teufels und hohnlachend: also dass wir uns vor dir +fürchteten. +</p> + +<p> +Aber was half’s! Immer wieder stachst du uns in Ohr und Herz mit deinen +Sprüchen. Da sprachen wir endlich: was liegt daran, wie er aussieht! +</p> + +<p> +Wir müssen ihn <i>hören</i>, ihn, der lehrt „ihr sollt den Frieden lieben +als Mittel zu neuen Kriegen, und den kurzen Frieden mehr als den langen!“ +</p> + +<p> +Niemand sprach je so kriegerische Worte: „Was ist gut? Tapfer sein ist +gut. Der gute Krieg ist’s, der jede Sache heiligt.“ +</p> + +<p> +Oh Zarathustra, unsrer Väter Blut rührte sich bei solchen Worten in unserm +Leibe: das war wie die Rede des Frühlings zu alten Weinfässern. +</p> + +<p> +Wenn die Schwerter durcheinander liefen gleich rothgefleckten Schlangen, da +wurden unsre Väter dem Leben gut; alles Friedens Sonne dünkte sie flau und lau, +der lange Frieden aber machte Scham. +</p> + +<p> +Wie sie seufzten, unsre Väter, wenn sie an der Wand blitzblanke ausgedorrte +Schwerter sahen! Denen gleich dürsteten sie nach Krieg. Ein Schwert nämlich +will Blut trinken und funkelt vor Begierde.“— +</p> + +<p> +—Als die Könige dergestalt mit Eifer von dem Glück ihrer Väter redeten +und schwätzten, überkam Zarathustra keine kleine Lust, ihres Eifers zu spotten: +denn ersichtlich waren es sehr friedfertige Könige, welche er vor sich sah, +solche mit alten und feinen Gesichtern. Aber er bezwang sich. „Wohlan! sprach +er, dorthin führt der Weg, da liegt die Höhle Zarathustra’s; und dieser +Tag soll einen langen Abend haben! Jetzt aber ruft mich eilig ein Nothschrei +fort von Euch. +</p> + +<p> +Es ehrt meine Höhle, wenn Könige in ihr sitzen und warten wollen: aber, +freilich, Ihr werdet lange warten müssen! +</p> + +<p> +Je nun! Was thut’s! Wo lernt man heute besser warten als an Höfen? Und +der Könige ganze Tugend, die ihnen übrig blieb,—heisst sie heute nicht: +Warten-<i>können</i>?“ +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap66"></a>Der Blutegel</h3> + +<p> +Und Zarathustra gieng nachdenklich weiter und tiefer, durch Wälder und vorbei +an moorigen Gründen; wie es aber Jedem ergeht, der über schwere Dinge +nachdenkt, so trat er unversehens dabei auf einen Menschen. Und siehe, da +sprützten ihm mit Einem Male ein Weheschrei und zwei Flüche und zwanzig +schlimme Schimpfworte in’s Gesicht: also dass er in seinem Schrecken den +Stock erhob und auch auf den Getretenen noch zuschlug. Gleich darauf aber kam +ihm die Besinnung; und sein Herz lachte über die Thorheit, die er eben gethan +hatte. +</p> + +<p> +„Vergieb, sagte er zu dem Getretenen, der sich grimmig erhoben und gesetzt +hatte, vergieb und vernimm vor Allem erst ein Gleichniss. +</p> + +<p> +Wie ein Wanderer, der von fernen Dingen träumt, unversehens auf einsamer +Strasse einen schlafenden Hund anstösst, einen Hund, der in der Sonne liegt: +</p> + +<p> +—wie da Beide auffahren, sich anfahren, Todfeinden gleich, diese zwei zu +Tod Erschrockenen: also ergieng es uns. +</p> + +<p> +Und doch! Und doch—wie wenig hat gefehlt, dass sie einander liebkosten, +dieser Hund und dieser Einsame! Sind sie doch Beide—Einsame!“ +</p> + +<p> +—„Wer du auch sein magst, sagte immer noch grimmig der Getretene, du +trittst mir auch mit deinem Gleichniss zu nahe, und nicht nur mit deinem Fusse! +</p> + +<p> +Siehe doch, bin ich denn ein Hund?“—und dabei erhob sich der Sitzende und +zog seinen nackten Arm aus dem Sumpfe. Zuerst nämlich hatte er ausgestreckt am +Boden gelegen, verborgen und unkenntlich gleich Solchen, die einem Sumpf-Wilde +auflauern. +</p> + +<p> +„Aber was treibst du doch!“ rief Zarathustra erschreckt, denn er sahe, dass +über den nackten Arm weg viel Blut floss,—was ist dir zugestossen? Biss +dich, du Unseliger, ein schlimmes Thier? +</p> + +<p> +Der Blutende lachte, immer noch erzürnt. „Was geht’s dich an! sagte er +und wollte weitergehn. Hier bin ich heim und in meinem Bereiche. Mag mich +fragen, wer da will: einem Tölpel aber werde ich schwerlich antworten.“ +</p> + +<p> +„Du irrst, sagte Zarathustra mitleidig und hielt ihn fest, du irrst: hier bist +du nicht bei dir, sondern in meinem Reiche, und darin soll mir Keiner zu +Schaden kommen. +</p> + +<p> +Nenne mich aber immerhin, wie du willst,—ich bin, der ich sein muss. Ich +selber heisse mich Zarathustra. +</p> + +<p> +Wohlan! Dort hinauf geht der Weg zu Zarathustra’s Höhle: die ist nicht +fern,—willst du nicht bei mir deiner Wunden warten? +</p> + +<p> +Es gieng dir schlimm, du Unseliger, in diesem Leben: erst biss dich das Thier, +und dann—trat dich der Mensch!“— +</p> + +<p> +Als aber der Getretene den Namen Zarathustra’s hörte, verwandelte er +sich. „Was geschieht mir doch! rief er aus, <i>wer</i> kümmert mich denn noch +in diesem Leben, als dieser Eine Mensch, nämlich Zarathustra, und jenes Eine +Thier, das vom Blute lebt, der Blutegel? +</p> + +<p> +Des Blutegels halber lag ich hier an diesem Sumpfe wie ein Fischer, und schon +war mein ausgehängter Arm zehn Mal angebissen, da beisst noch ein schönerer +Igel nach meinem Blute, Zarathustra selber! +</p> + +<p> +Oh Glück! Oh Wunder! Gelobt sei dieser Tag, der mich in diesen Sumpf lockte! +Gelobt sei der beste lebendigste Schröpfkopf, der heut lebt, gelobt sei der +grosse Gewissens-Blutegel Zarathustra!“— +</p> + +<p> +Also sprach der Getretene; und Zarathustra freute sich über seine Worte und +ihre feine ehrfürchtige Art. „Wer bist du? fragte er und reichte ihm die Hand, +zwischen uns bleibt Viel aufzuklären und aufzuheitern: aber schon, dünkt mich, +wird es reiner heller Tag.“ +</p> + +<p> +„Ich bin <i>der Gewissenhafte des Geistes</i>, antwortete der Gefragte, und in +Dingen des Geistes nimmt es nicht leicht Einer strenger, enger und härter als +ich, ausgenommen der, von dem ich’s lernte, Zarathustra selber. +</p> + +<p> +Lieber Nichts wissen, als Vieles halb wissen! Lieber ein Narr sein auf eigne +Faust, als ein Weiser nach fremdem Gutdünken! Ich—gehe auf den Grund: +</p> + +<p> +—was liegt daran, ob er gross oder klein ist? Ob er Sumpf oder Himmel +heisst? Eine Hand breit Grund ist mir genung: wenn er nur wirklich Grund und +Boden ist! +</p> + +<p> +—eine Hand breit Grund: darauf kann man stehn. In der rechten +Wissen-Gewissenschaft giebt es nichts Grosses und nichts Kleines.“ +</p> + +<p> +„So bist du vielleicht der Erkenner des Blutegels? fragte Zarathustra; und du +gehst dem Blutegel nach bis auf die letzten Gründe, du Gewissenhafter?“ +</p> + +<p> +„Oh Zarathustra, antwortete der Getretene, das wäre ein Ungeheures, wie dürfte +ich mich dessen unterfangen! +</p> + +<p> +Wess ich aber Meister und Kenner bin, das ist des Blutegels +<i>Hirn</i>:—das ist <i>meine</i> Welt! +</p> + +<p> +Und es ist auch eine Welt! Vergieb aber, dass hier mein Stolz zu Worte kommt, +denn ich habe hier nicht meines Gleichen. Darum sprach ich „hier bin ich +heim.“ +</p> + +<p> +Wie lange gehe ich schon diesem Einen nach, dem Hirn des Blutegels, dass die +schlüpfrige Wahrheit mir hier nicht mehr entschlüpfe! Hier ist <i>mein</i> +Reich! +</p> + +<p> +—darob warf ich alles Andere fort, darob wurde mir alles. Andre gleich; +und dicht neben meinem Wissen lagert mein schwarzes Unwissen. +</p> + +<p> +Mein Gewissen des Geistes will es so von mir, dass ich Eins weiss und sonst +Alles nicht weiss: es ekelt mich aller Halben des Geistes, aller Dunstigen, +Schwebenden, Schwärmerischen. +</p> + +<p> +Wo meine Redlichkeit aufhört, bin ich blind und will auch blind sein. Wo ich +aber wissen will, will ich auch redlich sein, nämlich hart, streng, eng, +grausam, unerbittlich. +</p> + +<p> +Dass <i>du</i> einst sprachst, oh Zarathustra: „Geist ist das Leben, das +selber in’s Leben schneidet,“ das führte und verführte mich zu +deiner Lehre. Und, wahrlich, mit eignem Blute mehrte ich mir das eigne Wissen!“ +</p> + +<p> +—„Wie der Augenschein lehrt,“ fiel Zarathustra ein; denn immer noch floss +das Blut an dem nackten Arme des Gewissenhaften herab. Es hatten nämlich zehn +Blutegel sich in denselben eingebissen. +</p> + +<p> +„Oh du wunderlicher Gesell, wie Viel lehrt mich dieser Augenschein da, nämlich +du selber! Und nicht Alles dürfte ich vielleicht in deine strengen Ohren +giessen! +</p> + +<p> +Wohlan! So scheiden wir hier! Doch möchte ich gerne dich wiederfinden. Dort +hinauf führt der Weg zu meiner Höhle: heute Nacht sollst du dort mein lieber +Gast sein! +</p> + +<p> +Gerne möchte ich’s auch an deinem Leibe wieder gut machen, dass +Zarathustra dich mit Füssen trat: darüber denke ich nach. Jetzt aber ruft mich +ein Nothschrei eilig fort von dir.“ +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap67"></a>Der Zauberer</h3> + +<h4>1.</h4> + +<p> +Als aber Zarathustra um einen Felsen herumbog, da sahe er, nicht weit unter +sich, auf dem gleichen Wege, einen Menschen, der die Glieder warf wie ein +Tobsüchtiger und endlich bäuchlings zur Erde niederstürzte. „Halt! sprach da +Zarathustra zu seinem Herzen, Der dort muss wohl der höhere Mensch sein, von +ihm kam jener schlimme Nothschrei,—ich will sehn, ob da zu helfen ist.“ +Als er aber hinzulief, an die Stelle, wo der Mensch auf dem Boden lag, fand er +einen zitternden alten Mann mit stieren Augen; und wie sehr sich Zarathustra +mühte, dass er ihn aufrichte und wieder auf seine Beine stelle, es war umsonst. +Auch schien der Unglückliche nicht zu merken, dass jemand um ihn sei; vielmehr +sah er sich immer mit rührenden Gebärden um, wie ein von aller Welt Verlassener +und Vereinsamter. Zuletzt aber, nach vielem Zittern, Zucken und +Sich-zusammen-Krümmen, begann er also zu jammern:<br/><br/> +</p> + +<p class="noindent"> +Wer wärmt mich, wer liebt mich noch?<br/> +Gebt heisse Hände!<br/> +Gebt Herzens-Kohlenbecken!<br/> +Hingestreckt, schaudernd,<br/> +Halbtodtem gleich, dem man die Füsse wärmt—<br/> +Geschüttelt, ach! von unbekannten Fiebern,<br/> +Zitternd vor spitzen eisigen Frost-Pfeilen,<br/> +Von dir gejagt, Gedanke!<br/> +Unnennbarer! Verhüllter! Entsetzlicher!<br/> +Du Jäger hinter Wolken!<br/> +Darniedergeblitzt von dir,<br/> +Du höhnisch Auge, das mich aus Dunklem anblickt:<br/> +—so liege ich,<br/> +Biege mich, winde mich, gequält<br/> +Von allen ewigen Martern,<br/> +Getroffen<br/> +Von Dir, grausamster Jäger,<br/> +Du unbekannter—Gott!<br/><br/> +</p> + +<p class="noindent"> +Triff tiefer,<br/> +Triff Ein Mal noch!<br/> +Zerstich, zerbrich diess Herz!<br/> +Was soll diess Martern<br/> +Mit zähnestumpfen Pfeilen?<br/> +Was blickst du wieder,<br/> +Der Menschen-Qual nicht müde,<br/> +Mit schadenfrohen Götter-Blitz-Augen?<br/> +Nicht tödten willst du,<br/> +Nur martern, martern?<br/> +Wozu—<i>mich</i> martern,<br/> +Du schadenfroher unbekannter Gott?—<br/><br/> +</p> + +<p class="noindent"> +Haha! Du schleichst heran?<br/> +Bei solcher Mitternacht<br/> +Was willst du? Sprich!<br/> +Du drängst mich, drückst mich—<br/> +Ha! schon viel zu nahe!<br/> +Weg! Weg!<br/> +Du hörst mich athmen,<br/> +Du behorchst mein Herz,<br/> +Du Eifersüchtiger—<br/> +Worauf doch eifersüchtig?<br/> +Weg! Weg! Wozu die Leiter?<br/> +Willst <i>du hinein</i>,<br/> +In’s Herz,<br/> +Einsteigen, in meine heimlichsten<br/> +Gedanken einsteigen?<br/> +Schamloser! Unbekannter—Dieb!<br/> +Was willst du dir erstehlen,<br/> +Was willst du dir erhorchen,<br/> +Was willst du dir erfoltern,<br/> +Du Folterer!<br/> +Du—Henker-Gott!<br/> +Oder soll ich, dem Hunde gleich,<br/> +Vor dir mich wälzen?<br/> +Hingebend, begeistert-ausser-mir,<br/> +Dir—Liebe zuwedeln?<br/><br/> +</p> + +<p class="noindent"> +Umsonst!<br/> +Stich weiter,<br/> +Grausamster Stachel! Nein,<br/> +Kein Hund—dein Wild nur bin ich,<br/> +Grausamster Jäger!<br/> +Dein stolzester Gefangner,<br/> +Du Räuber hinter Wolken...<br/> +Sprich endlich,<br/> +Was willst du, Wegelagerer, von <i>mir</i>?<br/> +Du Blitz-Verhüllter! Unbekannter! Sprich,<br/> +Was <i>willst</i> du, unbekannter Gott?—-<br/><br/> +</p> + +<p class="noindent"> +Wie?<br/> +Lösegeld?<br/> +Was willst du Lösegelds?<br/> +Verlange Viel—das räth mein Stolz!<br/> +Und rede kurz—das räth mein andrer Stolz!<br/><br/> +</p> + +<p class="noindent"> +Haha!<br/> +Mich—willst du? Mich?<br/> +Mich—ganz?<br/><br/> +</p> + +<p class="noindent"> +Haha!<br/> +Und marterst mich, Narr, der du bist,<br/> +Zermarterst meinen Stolz?<br/> +Gieb <i>Liebe</i> mir—wer wärmt mich noch?<br/> +Wer liebt mich noch?—gieb heisse Hände,<br/> +Gieb Herzens-Kohlenbecken,<br/> +Gieb mir, dem Einsamsten,<br/> +Den Eis, ach! siebenfaches Eis<br/> +Nach Feinden selber,<br/> +Nach Feinden schmachten lehrt,<br/> +Gieb, ja ergieb,<br/> +Grausamster Feind,<br/> +Mir—<i>dich</i>!...<br/><br/> +</p> + +<p class="noindent"> +Davon!<br/> +Da floh er selber,<br/> +Mein letzter einziger Genoss,<br/> +Mein grosser Feind,<br/> +Mein Unbekannter,<br/> +Mein Henker-Gott!...<br/><br/> +</p> + +<p class="noindent"> +—Nein!<br/> +Komm zurück,<br/> +Mit allen deinen Martern!<br/> +Zum Letzten aller Einsamen<br/> +Oh komm zurück!<br/> +All meine Thränen-Bäche laufen<br/> +Zu dir den Lauf!<br/><br/> +</p> + +<p class="noindent"> +Und meine letzte Herzens-Flamme—<br/> +<i>Dir</i> glüht sie auf!<br/> +Oh komm zurück,<br/> +Mein unbekannter Gott! Mein Schmerz!<br/> +Mein letztes Glück! +</p> + +<h4>2.</h4> + +<p> +—Hier aber konnte sich Zarathustra nicht länger halten, nahm seinen Stock +und schlug mit allen Kräften auf den jammernden los. „Halt ein! schrie er ihm +zu, mit ingrimmigem Lachen, halt ein, du Schauspieler! Du Falschmünzer! Du +Lügner aus dem Grunde! Ich erkenne dich wohl! +</p> + +<p> +Ich will dir schon warme Beine machen, du schlimmer Zauberer, ich verstehe mich +gut darauf, Solchen wie du bist—einzuheizen!“ +</p> + +<p> +—„Lass ab, sagte der alte Mann und sprang vom Boden auf, schlage nicht +mehr, oh Zarathustra! Ich trieb’s also nur zum Spiele! +</p> + +<p> +Solcherlei gehört zu meiner Kunst; dich selber wollte ich auf die Probe +stellen, als ich dir diese Probe gab! Und, wahrlich, du hast mich gut +durchschaut! +</p> + +<p> +Aber auch du—gabst mir von dir keine kleine Probe: du bist <i>hart</i>, +du weiser Zarathustra! Hart schlägst du zu mit deinen „Wahrheiten“, +dein Knüttel erzwingt von mir—<i>diese</i> Wahrheit!“ +</p> + +<p> +—„Schmeichle nicht, antwortete Zarathustra, immer noch erregt und +finsterblickend, du Schauspieler aus dem Grunde! Du bist falsch: was redest du +—von Wahrheit! +</p> + +<p> +Du Pfau der Pfauen, du Meer der Eitelkeit, <i>was</i> spieltest du vor mir, du +schlimmer Zauberer, an <i>wen</i> sollte ich glauben, als du in solcher Gestalt +jammertest?“ +</p> + +<p> +„Den Büsser des Geistes, sagte der alte Mann, <i>den</i>—spielte ich: du +selber erfandest einst diess Wort— +</p> + +<p> +—den Dichter und Zauberer, der gegen sich selber endlich seinen Geist +wendet, den Verwandelten, der an seinem bösen Wissen und Gewissen erfriert. +</p> + +<p> +Und gesteh es nur ein: es währte lange, oh Zarathustra, bis du hinter meine +Kunst und Lüge kamst! <i>Du glaubtest</i> an meine Noth, als du mir den Kopf +mit beiden Händen hieltest,— +</p> + +<p> +—ich hörte dich jammern „man hat ihn zu wenig geliebt, zu wenig +geliebt!“ Dass ich dich soweit betrog, darüber frohlockte inwendig meine +Bosheit.“ +</p> + +<p> +„Du magst Feinere betrogen haben als mich, sagte Zarathustra hart. Ich bin +nicht auf der Hut vor Betrügern, ich <i>muss</i> ohne Vorsicht sein: so will es +mein Loos. +</p> + +<p> +Du aber—<i>musst</i> betrügen: so weit kenne ich dich! Du musst immer +zwei- drei- vier- und fünfdeutig sein! Auch was du jetzt bekanntest, war mir +lange nicht wahr und nicht falsch genung! +</p> + +<p> +Du schlimmer Falschmünzer, wie könntest du anders! Deine Krankheit würdest du +noch schminken, wenn du dich deinem Arzte nackt zeigtest. +</p> + +<p> +So schminktest du eben vor mir deine Lüge, als du sprachst: „ich +trieb’s also <i>nur</i> zum Spiele!“ Es war auch <i>Ernst</i> +darin, du <i>bist</i> Etwas von einem Büsser des Geistes! +</p> + +<p> +Ich errathe dich wohl: du wurdest der Bezauberer Aller, aber gegen dich hast du +keine Lüge und List mehr übrig,—du selber bist dir entzaubert! +</p> + +<p> +Du erntetest den Ekel ein, als deine Eine Wahrheit. Kein Wort ist mehr an dir +ächt, aber dein Mund: nämlich der Ekel, der an deinem Munde klebt.“— +</p> + +<p> +—„Wer bist du doch! schrie hier der alte Zauberer mit einer trotzigen +Stimme, wer darf also zu <i>mir</i> reden, dem Grössten, der heute +lebt?“—und ein grüner Blitz schoss aus seinem Auge nach Zarathustra. Aber +gleich darauf verwandelte er sich und sagte traurig: +</p> + +<p> +„Oh Zarathustra, ich bin’s müde, es ekelt mich meiner Künste, ich bin +nicht <i>gross</i>, was verstelle ich mich! Aber, du weisst es wohl—ich +suchte nach Grösse! +</p> + +<p> +Einen grossen Menschen wollte ich vorstellen und überredete Viele: aber diese +Lüge gieng über meine Kraft. An ihr zerbreche ich. +</p> + +<p> +Oh Zarathustra, Alles ist Lüge an mir; aber dass ich zerbreche—diess mein +Zerbrechen ist <i>ächt</i>!“— +</p> + +<p> +„Es ehrt dich, sprach Zarathustra düster und zur Seite niederblickend, es ehrt +dich, dass du nach Grösse suchtest, aber es verräth dich auch. Du bist nicht +gross. +</p> + +<p> +Du schlimmer alter Zauberer, <i>das</i> ist dein Bestes und Redlichstes, was +ich an dir ehre, dass du deiner müde wurdest und es aussprachst: „ich bin +nicht gross.“ +</p> + +<p> +<i>Darin</i> ehre ich dich als einen Büsser des Geistes: und wenn auch nur für +einen Hauch und Husch, diesen Einen Augenblick warst du—ächt. +</p> + +<p> +Aber sprich, was suchst du hier in <i>meinen</i> Wäldern und Felsen? Und wenn +du <i>mir</i> dich in den Weg legtest, welche Probe wolltest du von mir?— +</p> + +<p> +—wess versuchtest du <i>mich</i>?“— +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra, und seine Augen funkelten. Der alte Zauberer schwieg +eine Weile, dann sagte er: „Versuchte ich dich? Ich—suche nur. +</p> + +<p> +Oh Zarathustra, ich suche einen Ächten, Rechten, Einfachen, Eindeutigen, einen +Menschen aller Redlichkeit, ein Gefäss der Weisheit, einen Heiligen der +Erkenntniss, einen grossen Menschen! +</p> + +<p> +Weisst du es denn nicht, oh Zarathustra? Ich suche Zarathustra.“ +</p> + +<p> +—Und hier entstand ein langes Stillschweigen zwischen Beiden; Zarathustra +aber versank tief hinein in sich selber, also dass er die Augen schloss. Dann +aber, zu seinem Unterredner zurückkehrend, ergriff er die Hand des Zauberers +und sprach, voller Artigkeit und Arglist: +</p> + +<p> +„Wohlan! Dort hinauf führt der Weg, da liegt die Höhle Zarathustra’s. In +ihr darfst du suchen, wen du finden möchtest. +</p> + +<p> +Und frage meine Thiere um Rath, meinen Adler und meine Schlange: die sollen dir +suchen helfen. Meine Höhle aber ist gross. +</p> + +<p> +Ich selber freilich—ich sah noch keinen grossen Menschen. Was gross ist, +dafür ist das Auge der Feinsten heute grob. Es ist das Reich des Pöbels. +</p> + +<p> +So Manchen fand ich schon, der streckte und blähte sich, und das Volk schrie: +„Seht da, einen grossen Menschen!“ Aber was helfen alle Blasebälge! +Zuletzt fährt der Wind heraus. +</p> + +<p> +Zuletzt platzt ein Frosch, der sich zu lange aufblies: da fährt der Wind +heraus. Einem Geschwollnen in den Bauch stechen, das heisse ich eine brave +Kurzweil. Hört das, ihr Knaben! +</p> + +<p> +Diess Heute ist des Pöbels: wer <i>weiss</i> da noch, was gross, was klein ist! +Wer suchte da mit Glück nach Grösse! Ein Narr allein: den Narren +glückt’s. +</p> + +<p> +Du suchst nach grossen Menschen, du wunderlicher Narr? Wer +<i>lehrte’s</i> dich? Ist heute dazu die Zeit? Oh du schlimmer Sucher, +was—versuchst du mich?“— +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra, getrösteten Herzens, und gierig lachend seines Wegs +fürbass. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap68"></a>Ausser Dienst</h3> + +<p> +Nicht lange aber, nachdem Zarathustra sich von dem Zauberer losgemacht hatte, +sahe er wiederum Jemanden am Wege sitzen, den er gierig, nämlich einen +schwarzen langen Mann mit einem hageren Bleichgesicht: <i>der</i> verdross ihn +gewaltig. „Wehe, sprach er zu seinem Herzen, da, sitzt vermummte Trübsal, das +dünkt mich von der Art der Priester: was wollen <i>die</i> in meinem Reiche? +</p> + +<p> +Wie! Kaum bin ich jenem Zauberer entronnen: muss mir da wieder ein anderer +Schwarzkünstler über den Weg laufen,— +</p> + +<p> +—irgend ein Hexenmeister mit Handauflegen, ein dunkler Wunderthäter von +Gottes Gnaden, ein gesalbter Welt-Verleumder, den der Teufel holen möge! +</p> + +<p> +Aber der Teufel ist nie am Platze, wo er am Platze wäre: immer kommt er zu +spät, dieser vermaledeite Zwerg und Klumpfuss!“— +</p> + +<p> +Also fluchte Zarathustra ungeduldig in seinem Herzen und gedachte, wie er +abgewandten Blicks an dem schwarzen Manne vorüberschlüpfe: aber siehe, es kam +anders. Im gleichen Augenblicke nämlich hatte ihn schon der Sitzende erblickt; +und nicht unähnlich einem Solchen, dem ein unvermuthetes Glück zustösst, sprang +er auf und gieng auf Zarathustra los. +</p> + +<p> +„Wer du auch bist, du Wandersmann, sprach er, hilf einem Verirrten, einem +Suchenden, einem alten Manne, der hier leicht zu Schaden kommt! +</p> + +<p> +Diese Welt hier ist mir fremd und fern, auch hörte ich wilde Thiere heulen; und +Der, welcher mir hätte Schutz bieten können, der ist selber nicht mehr. +</p> + +<p> +Ich suchte den letzten frommen Menschen, einen Heiligen und Einsiedler, der +allein in seinem Walde noch Nichts davon gehört hatte, was alle Welt heute +weiss.“ +</p> + +<p> +„<i>Was</i> weiss heute alle Welt? fragte Zarathustra. Etwa diess, dass der +alte Gott nicht mehr lebt, an den alle Welt einst geglaubt hat?“ +</p> + +<p> +„Du sagst es, antwortete der alte Mann betrübt. Und ich diente diesem alten +Gotte bis zu seiner letzten Stunde. +</p> + +<p> +Nun aber bin ich ausser Dienst, ohne Herrn, und doch nicht frei, auch keine +Stunde mehr lustig, es sei denn in Erinnerungen. +</p> + +<p> +Dazu stieg ich in diese Berge, dass ich endlich wieder ein Fest mir machte, wie +es einem alten Papste und Kirchen-Vater zukommt: denn wisse, ich bin der letzte +Papst!—ein Fest frommer Erinnerungen und Gottesdienste. +</p> + +<p> +Nun aber ist er selber todt, der frömmste Mensch, jener Heilige im Walde, der +seinen Gott beständig mit Singen und Brummen lobte. +</p> + +<p> +Ihn selber fand ich nicht mehr, als ich seine Hütte fand,—wohl aber zwei +Wölfe darin, welche um seinen Tod heulten—denn alle Thiere liebten ihn. +Da lief ich davon. +</p> + +<p> +Kam ich also umsonst in diese Wälder und Berge? Da entschloss sich mein Herz, +dass ich einen Anderen suchte, den Frömmsten aller Derer, die nicht an Gott +glauben—, dass ich Zarathustra suchte!“ +</p> + +<p> +Also sprach der Greis und blickte scharfen Auges Den an, welcher vor ihm stand; +Zarathustra aber ergriff die Hand des alten Papstes und betrachtete sie lange +mit Bewunderung. +</p> + +<p> +„Siehe da, du Ehrwürdiger, sagte er dann, welche schöne und lange Hand! Das ist +die Hand eines Solchen, der immer Segen ausgetheilt hat. Nun aber hält sie Den +fest, welchen du suchst, mich, Zarathustra. +</p> + +<p> +Ich bin’s, der gottlose Zarathustra, der da spricht: wer ist gottloser +als ich, dass ich mich seiner Unterweisung freue?“— +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra und durchbohrte mit seinen Blicken die Gedanken und +Hintergedanken des alten Papstes. Endlich begann dieser: +</p> + +<p> +„Wer ihn am meisten liebte und besass, der hat ihn nun am meisten auch verloren +-: +</p> + +<p> +—siehe, ich selber bin wohl von uns Beiden jetzt der Gottlosere? Aber wer +könnte daran sich freuen!“— +</p> + +<p> +„Du dientest ihm bis zuletzt, fragte Zarathustra nachdenklich, nach einem +tiefen Schweigen, du weisst, <i>wie</i> er starb? Ist es wahr, was man spricht, +dass ihn das Mitleiden erwürgte, +</p> + +<p> +—dass er es sah, wie <i>der Mensch</i> am Kreuze hieng, und es nicht +ertrug, dass die Liebe zum Menschen seine Hölle und zuletzt sein Tod +wurde?“— +</p> + +<p> +Der alte Papst aber antwortete nicht, sondern blickte scheu und mit einem +schmerzlichen und düsteren Ausdrucke zur Seite. +</p> + +<p> +„Lass ihn fahren, sagte Zarathustra nach einem langen Nachdenken, indem er +immer noch dem alten Manne gerade in’s Auge blickte. +</p> + +<p> +Lass ihn fahren, er ist dahin. Und ob es dich auch ehrt, dass du diesem Todten +nur Gutes nachredest, so weisst du so gut als ich, <i>wer</i> er war; und dass +er wunderliche Wege gieng.“ +</p> + +<p> +„Unter drei Augen gesprochen, sagte erheitert der alte Papst (denn er war auf +Einem Auge blind), in Dingen Gottes bin ich aufgeklärter als Zarathustra selber +—und darf es sein. +</p> + +<p> +Meine Liebe diente ihm lange Jahre, mein Wille gierig allem seinen Willen nach. +Ein guter Diener aber weiss Alles, und Mancherlei auch, was sein Herr sich +selbst verbirgt. +</p> + +<p> +Es war ein verborgener Gott, voller Heimlichkeit. Wahrlich zu einem Sohne sogar +kam er nicht anders als auf Schleichwegen. An der Thür seines Glaubens steht +der Ehebruch. +</p> + +<p> +Wer ihn als einen Gott der Liebe preist, denkt nicht hoch genug von der Liebe +selber. Wollte dieser Gott nicht auch Richter sein? Aber der Liebende liebt +jenseits von Lohn und Vergeltung. +</p> + +<p> +Als er jung war, dieser Gott aus dem Morgenlande, da war er hart und +rachsüchtig und erbaute sich eine Hölle zum Ergötzen seiner Lieblinge. +</p> + +<p> +Endlich aber wurde er alt und weich und mürbe und mitleidig, einem Grossvater +ähnlicher als einem Vater, am ähnlichsten aber einer wackeligen alten +Grossmutter. +</p> + +<p> +Da sass er, welk, in seinem Ofenwinkel, härmte sich ob seiner schwachen Beine, +weltmüde, willensmüde, und erstickte eines Tags an seinem allzugrossen +Mitleiden.“— +</p> + +<p> +„Du alter Papst, sagte hier Zarathustra dazwischen, hast du <i>Das</i> mit +Augen angesehn? Es könnte wohl so abgegangen sein: so, <i>und</i> auch anders. +Wenn Götter sterben, sterben sie immer viele Arten Todes. +</p> + +<p> +Aber wohlan! So oder so, so und so—er ist dahin! Er gieng meinen Ohren +und Augen wider den Geschmack, Schlimmeres möchte ich ihm nicht nachsagen. +</p> + +<p> +Ich liebe Alles, was hell blickt und redlich redet. Aber er—du weisst es +ja, du alter Priester, es war Etwas von deiner Art an ihm, von +Priester-Art—er war vieldeutig. +</p> + +<p> +Er war auch undeutlich. Was hat er uns darob gezürnt, dieser Zornschnauber, +dass wir ihn schlecht verstanden Aber warum sprach er nicht reinlicher? +</p> + +<p> +Und lag es an unsern Ohren, warum gab er uns Ohren, die ihn schlecht hörten? +War Schlamm in unsern Ohren, wohlan! wer legte ihn hinein? +</p> + +<p> +Zu Vieles missrieth ihm, diesem Töpfer, der nicht ausgelernt hatte! Dass er +aber Rache an seinen Töpfen und Geschöpfen nahm, dafür dass sie ihm schlecht +geriethen,—das war eine Sünde wider den <i>guten Geschmack</i>. +</p> + +<p> +Es giebt auch in der Frömmigkeit guten Geschmack: der sprach endlich +„Fort mit einem <i>solchen</i> Gotte! Lieber keinen Gott, lieber auf +eigne Faust Schicksal machen, lieber Narr sein, lieber selber Gott +sein!““ +</p> + +<p> +—„Was höre ich! sprach hier der alte Papst mit gespitzten Ohren; oh +Zarathustra, du bist frömmer als du glaubst, mit einem solchen Unglauben! +Irgend ein Gott in dir bekehrte dich zu deiner Gottlosigkeit. +</p> + +<p> +Ist es nicht deine Frömmigkeit selber, die dich nicht mehr an einen Gott +glauben lässt? Und deine übergrosse Redlichkeit wird dich auch noch jenseits +von Gut und Böse wegfuhren! +</p> + +<p> +Siehe, doch, was blieb dir aufgespart? Du hast Augen und Hand und Mund, die +sind zum Segnen vorher bestimmt seit Ewigkeit. Man segnet nicht mit der Hand +allein. +</p> + +<p> +In deiner Nähe, ob du schon der Gottloseste sein willst, wittere ich einen +heimlichen Weih- und Wohlgeruch von langen Segnungen: mir wird wohl und wehe +dabei. +</p> + +<p> +Lass mich deinen Gast sein, oh Zarathustra, für eine einzige Nacht! Nirgends +auf Erden wird es mir jetzt wohler als bei dir!“— +</p> + +<p> +„Amen! So soll es sein! sprach Zarathustra mit grosser Verwunderung, dort +hinauf führt der Weg, da liegt die Höhle Zarathustra’s. +</p> + +<p> +Gerne, fürwahr, würde ich dich selber dahin geleiten, du Ehrwürdiger, denn ich +liebe alle frommen Menschen. Aber jetzt ruft mich eilig ein Nothschrei weg von +dir. +</p> + +<p> +In meinem Bereiche soll mir Niemand zu Schaden kommen; meine Höhle ist ein +guter Hafen. Und am liebsten möchte ich jedweden Traurigen wieder auf festes +Land und feste Beine stellen. +</p> + +<p> +Wer aber nähme dir <i>deine</i> Schwermuth von der Schulter? Dazu bin ich zu +schwach. Lange, wahrlich, möchten wir warten, bis dir Einer deinen Gott wieder +aufweckt. +</p> + +<p> +Dieser alte Gott nämlich lebt nicht mehr: der ist gründlich todt.“— +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap69"></a>Der hässlichste Mensch</h3> + +<p> +—Und wieder liefen Zarathustra’s Füsse durch Berge und Wälder, und +seine Augen suchten und suchten, aber nirgends war Der zu sehen, welchen sie +sehn wollten, der grosse Nothleidende und Nothschreiende. Auf dem ganzen Wege +aber frohlockte er in seinem Herzen und war dankbar. „Welche guten Dinge, +sprach er, schenkte mir doch dieser Tag, zum Entgelt, dass er schlimm begann! +Welche seltsamen Unterredner fand ich! +</p> + +<p> +An deren Worten will ich lange nun kauen gleich als an guten Körnern; klein +soll mein Zahn sie mahlen und malmen, bis sie mir wie Milch in die Seele +fliessen!“— +</p> + +<p> +Als aber der Weg wieder um einen Felsen bog, veränderte sich mit Einem Male die +Landschaft, und Zarathustra trat in ein Reich des Todes. Hier starrten schwarze +und rothe Klippen empor: kein Gras, kein Baum, keine Vogelstimme. Es war +nämlich ein Thal, welches alle Thiere mieden, auch die Raubthiere-, nur dass +eine Art hässlicher, dicker, grüner Schlangen, wenn sie alt wurden, hierher +kamen, um zu sterben. Darum nannten diess Thal die Hirten: Schlangen-Tod. +</p> + +<p> +Zarathustra aber versank in eine schwarze Erinnerung, denn ihm war, als habe er +schon ein Mal in diesem Thal gestanden. Und vieles Schwere legte sich ihm über +den Sinn: also, dass er langsam gieng und immer langsamer und endlich still +stand. Da aber sahe er, als er die Augen aufthat, Etwas, das am Wege sass, +gestaltet wie ein Mensch und kaum wie ein Mensch, etwas Unaussprechliches. Und +mit Einem Schlage überfiel Zarathustra die grosse Scham darob, dass er so Etwas +mit den Augen angesehn habe: erröthend bis hinauf an sein weisses Haar, wandte +er den Blick ab und hob den Fuss, dass er diese schlimme Stelle verlasse. Da +aber wurde die todte Öde laut: vom Boden auf nämlich quoll es gurgelnd und +röchelnd, wie Wasser Nachts durch verstopfte Wasser-Röhren gurgelt und röchelt; +und zuletzt wurde daraus eine Menschen-Stimme und Menschen-Rede:—die +lautete also. +</p> + +<p> +„Zarathustra! Zarathustra! Rathe mein Räthsel! Sprich, sprich! Was ist <i>die +Rache am Zeugen</i>? +</p> + +<p> +Ich locke dich zurück, hier ist glattes Eis! Sieh zu, sieh zu, ob dein Stolz +sich hier nicht die Beine bricht! +</p> + +<p> +Du dünkst dich weise, du stolzer Zarathustra! So rathe doch das Räthsel, du +harter Nüsseknacker,—das Räthsel, das ich bin! So sprich doch—wer +bin <i>ich</i>!“ +</p> + +<p> +—Als aber Zarathustra diese Worte gehört hatte,—was glaubt ihr +wohl, dass sich da mit seiner Seele zutrug? Das Mitleiden fiel ihn an; und er +sank mit Einem Male nieder, wie ein Eichbaum, der lange vielen Holzschlägern +widerstanden hat,—schwer, plötzlich, zum Schrecken selber für Die, welche +ihn fällen wollten. Aber schon stand er wieder vom Boden auf, und sein Antlitz +wurde hart. +</p> + +<p> +„Ich erkenne dich wohl, sprach er mit einer erzenen Stimme: du bist der Mörder +Gottes! Lass mich gehn. +</p> + +<p> +Du <i>ertrugst</i> Den nicht, der <i>dich</i> sah,—der dich immer und +durch und durch sah, du hässlichster Mensch! Du nahmst Rache an diesem Zeugen!“ +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra und wollte davon; aber der Unaussprechliche fasste nach +einem Zipfel seines Gewandes und begann von Neuem zu gurgeln und nach Worten zu +suchen. „Bleib!“ sagte er endlich— +</p> + +<p> +—„bleib! Geh nicht vorüber! Ich errieth, welche Axt dich zu Boden schlug: +Heil dir, oh Zarathustra, dass du wieder stehst! +</p> + +<p> +Du erriethest, ich weiss es gut, wie Dem zu Muthe ist, der ihn +tödtete,—dem Mörder Gottes. Bleib! Setze dich her zu mir, es ist nicht +umsonst. +</p> + +<p> +Zu wem wollte ich, wenn nicht zu dir? Bleib, setze dich! Blicke mich aber nicht +an! Ehre also—meine Hässlichkeit! +</p> + +<p> +Sie verfolgen mich: nun bist <i>du</i> meine letzte Zuflucht. <i>Nicht</i> mit +ihrem Hasse, <i>nicht</i> mit ihren Häschern:—oh solcher Verfolgung würde +ich spotten und stolz und froh sein! +</p> + +<p> +War nicht aller Erfolg bisher bei den Gut-Verfolgten? Und wer gut verfolgt, +lernt leicht <i>folgen</i>:—ist er doch einmal—hinterher! Aber ihr +<i>Mitleid</i> ist’s— +</p> + +<p> +—ihr Mitleid ist’s, vor dem ich flüchte und dir zuflüchte. Oh +Zarathustra, schütze mich, du meine letzte Zuflucht, du Einziger, der mich +errieth: +</p> + +<p> +—du erriethest, wie Dem zu Muthe ist, welcher <i>ihn</i> tödtete. Bleib! +Und willst du gehn, du Ungeduldiger: geh nicht den Weg, den ich kam. <i>Der</i> +Weg ist schlecht. +</p> + +<p> +Zürnst du mir, dass ich zu lange schon rede-rade-breche? Dass ich schon dir +rathe? Aber wisse, ich bin’s, der hässlichste Mensch, +</p> + +<p> +—der auch die grössten schwersten Füsse hat. Wo <i>ich</i> gieng, ist der +Weg schlecht. Ich trete alle Wege todt und zu Schanden. +</p> + +<p> +Dass du aber an mir vorübergiengst, schweigend; dass du erröthetest, ich sah es +wohl: daran erkannte ich dich als Zarathustra. +</p> + +<p> +Jedweder Andere hätte mir sein Almosen zugeworfen, sein Mitleiden, mit Blick +und Rede. Aber dazu—bin ich nicht Bettler genug, das erriethest du— +</p> + +<p> +—dazu bin ich zu <i>reich</i>, reich an Grossem, an Furchtbarem, am +Hässlichsten, am Unaussprechlichsten! Deine Scham, oh Zarathustra, <i>ehrte</i> +mich! +</p> + +<p> +Mit Noth kam ich heraus aus dem Gedräng der Mitleidigen,—dass ich den +Einzigen fände, der heute lehrt „Mitleiden ist +zudringlich“—dich, oh Zarathustra! +</p> + +<p> +—sei es eines Gottes, sei es der Menschen Mitleiden: Mitleiden geht gegen +die Scham. Und nicht-helfen-wollen kann vornehmer sein als jene Tugend, die +zuspringt. +</p> + +<p> +<i>Das</i> aber heisst heute Tugend selber bei allen kleinen Leuten, das +Mitleiden:—die haben keine Ehrfurcht vor grossem Unglück, vor grosser +Hässlichkeit, vor grossem Missrathen. +</p> + +<p> +Über diese Alle blicke ich hinweg, wie ein Hund über die Rücken wimmelnder +Schafheerden wegblickt. Es sind kleine wohlwollige wohlwillige graue Leute. +</p> + +<p> +Wie ein Reiher verachtend über flache Teiche wegblickt, mit zurückgelegtem +Kopfe: so blicke ich über das Gewimmel grauer kleiner Wellen und Willen und +Seelen weg. +</p> + +<p> +Zu lange hat man ihnen Recht gegeben, diesen kleinen Leuten: <i>so</i> gab man +ihnen endlich auch die Macht—nun lehren sie: „gut ist nur, was +kleine Leute gut heissen.“ +</p> + +<p> +Und „Wahrheit“ heisst heute, was der Prediger sprach, der selber +aus ihnen herkam, jener wunderliche Heilige und Fürsprecher der kleinen Leute, +welcher von sich zeugte „ich—bin die Wahrheit.“ +</p> + +<p> +Dieser Unbescheidne macht nun lange schon den kleinen Leuten den Kamm hoch +schwellen—er, der keinen kleinen Irrthum lehrte, als er lehrte +„ich—bin die Wahrheit.“ +</p> + +<p> +Ward einem Unbescheidnen jemals höflicher geantwortet?—Du aber, oh +Zarathustra, giengst an ihm vorüber und sprachst: „Nein! Nein! Drei Mal +Nein!“ +</p> + +<p> +Du warntest vor seinem Irrthum, du warntest als der Erste vor dem +Mitleiden—nicht Alle, nicht Keinen, sondern dich und deine Art. +</p> + +<p> +Du schämst dich an der Scham des grossen Leidenden; und wahrlich, wenn du +sprichst „von dem Mitleiden her kommt eine grosse Wolke, habt Acht, ihr +Menschen!“ +</p> + +<p> +—wenn du lehrst „alle Schaffenden sind hart, alle grosse Liebe ist +über ihrem Mitleiden“: oh Zarathustra, wie gut dünkst du mich eingelernt +auf Wetter-Zeichen! +</p> + +<p> +Du selber aber—warne dich selber auch vor <i>deinem</i> Mitleiden! Denn +Viele sind zu dir unterwegs, viele Leidende, Zweifelnde, Verzweifelnde, +Ertrinkende, Frierende— +</p> + +<p> +Ich warne dich auch vor mir. Du erriethest mein bestes, schlimmstes Räthsel, +mich selber und was ich that. Ich kenne die Axt, die dich fällt. +</p> + +<p> +Aber er—<i>musste</i> sterben: er sah mit Augen, welche <i>Alles</i> +sahn,—er sah des Menschen Tiefen und Gründe, alle seine verhehlte Schmach +und Hässlichkeit. +</p> + +<p> +Sein Mitleiden kannte keine Scham: er kroch in meine schmutzigsten Winkel. +Dieser Neugierigste, Über-Zudringliche, Über-Mitleidige musste sterben. +</p> + +<p> +Er sah immer <i>mich</i>: an einem solchen Zeugen wollte ich Rache +haben—oder selber nicht leben. +</p> + +<p> +Der Gott, der Alles sah, <i>auch den Menschen</i> dieser Gott musste sterben! +Der Mensch <i>erträgt</i> es nicht, dass solch ein Zeuge lebt.“ +</p> + +<p> +Also, sprach der hässlichste Mensch. Zarathustra aber erhob sich und schickte +sich an fortzugehn: denn ihn fröstelte bis in seine Eingeweide. +</p> + +<p> +„Du Unaussprechlicher, sagte er, du warntest mich vor deinem Wege. Zum Danke +dafür lobe ich dir den meinen. Siehe, dort hinauf liegt die Höhle +Zarathustra’s. +</p> + +<p> +Meine Höhle ist gross und tief und hat viele Winkel; da findet der +Versteckteste sein Versteck. Und dicht bei ihr sind hundert Schlüpfe und +Schliche für kriechendes, flatterndes und springendes Gethier. +</p> + +<p> +Du Ausgestossener, der du dich selber ausstiessest, du willst nicht unter +Menschen und Menschen-Mitleid wohnen? Wohlan, so thu’s mir gleich! So +lernst du auch von mir; nur der Thäter lernt. +</p> + +<p> +Und rede zuerst und -nächst mit meinen Thieren! Das stolzeste Thier und das +klügste Thier—die möchten uns Beiden wohl die rechten Rathgeber +sein!“— +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra und gieng seiner Wege, nachdenklicher und langsamer +noch als zuvor: denn er fragte sich Vieles und wusste sich nicht leicht zu +antworten. +</p> + +<p> +„Wie arm ist doch der Mensch! dachte er in seinem Herzen, wie hässlich, wie +röchelnd, wie voll verborgener Scham! +</p> + +<p> +Man sagt mir, dass der Mensch sich selber liebe: ach, wie gross muss diese +Selber-Liebe sein! Wie viel Verachtung hat sie wider sich! +</p> + +<p> +Auch dieser da liebte sich, wie er sich verachtete,—ein grosser Liebender +ist er mir und ein grosser Verächter. +</p> + +<p> +Keinen fand ich noch, der sich tiefer verachtet hätte: auch <i>Das</i> ist +Höhe. Wehe, war <i>Der</i> vielleicht der höhere Mensch, dessen Schrei ich +hörte? +</p> + +<p> +Ich liebe die grossen Verachtenden. Der Mensch aber ist Etwas, das überwunden +werden muss.“— +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap70"></a>Der freiwillige Bettler</h3> + +<p> +Als Zarathustra den hässlichsten Menschen verlassen hatte, fror ihn, und er +fühlte sich einsam: es gieng ihm nämlich vieles Kalte und Einsame durch die +Sinne, also, dass darob auch seine Glieder kälter wurden. Indem er aber weiter +und weiter stieg, hinauf, hinab, bald an grünen Weiden vorbei, aber auch über +wilde steinichte Lager, wo ehedem wohl ein ungeduldiger Bach sich zu Bett +gelegt hatte.- da wurde ihm mit Einem Male wieder wärmer und herzlicher zu +Sinne. +</p> + +<p> +„Was geschah mir doch? fragte er sich, etwas Warmes und Lebendiges erquickt +mich, das muss in meiner Nähe sein. +</p> + +<p> +Schon bin ich weniger allein; unbewusste Gefährten und Brüder schweifen um +mich, ihr warmer Athem rührt an meine Seele.“ +</p> + +<p> +Als er aber um sich spähete und nach den Tröstern seiner Einsamkeit suchte: +siehe, da waren es Kühe, welche auf einer Anhöhe bei einander standen; deren +Nähe und Geruch hatten sein Herz erwärmt. Diese Kühe aber schienen mit Eifer +einem Redenden zuzuhören und gaben nicht auf Den Acht, der herankam. Wie aber +Zarathustra ganz in ihrer Nähe war, hörte er deutlich, dass eine +Menschen-Stimme aus der Mitte der Kühe heraus redete; und ersichtlich hatten +sie allesammt ihre Köpfe dem Redenden zugedreht. +</p> + +<p> +Da sprang Zarathustra mit Eifer hinauf und drängte die Thiere auseinander, denn +er fürchtete, dass hier jemandem ein Leids geschehn sei, welchem schwerlich das +Mitleid von Kühen abhelfen mochte. Aber darin hatte er sich getäuscht; denn +siehe, da sass ein Mensch auf der Erde und schien den Thieren zuzureden, dass +sie keine Scheu vor ihm haben sollten, ein friedfertiger Mensch und +Berg-Prediger, aus dessen Augen die Güte selber predigte. „Was suchst du hier?“ +rief Zarathustra mit Befremden. +</p> + +<p> +„Was ich hier suche? antwortete er: das Selbe, was du suchst, du Störenfried! +nämlich das Glück auf Erden. +</p> + +<p> +Dazu aber möchte ich von diesen Kühen lernen. Denn, weisst du wohl, einen +halben Morgen schon rede ich ihnen zu, und eben wollten sie mir Bescheid geben. +Warum doch störst du sie? +</p> + +<p> +So wir nicht umkehren und werden wie die Kühe, so kommen wir nicht in das +Himmelreich. Wir sollten ihnen nämlich Eins ablernen: das Wiederkäuen. +</p> + +<p> +Und wahrlich, wenn der Mensch auch die ganze Welt gewönne und lernte das Eine +nicht, das Wiederkäuen: was hülfe es! Er würde nicht seine Trübsal los +</p> + +<p> +—seine grosse Trübsal: die aber heisst heute <i>Ekel</i>. Wer hat heute +von Ekel nicht Herz, Mund und Augen voll? Auch du! Auch du! Aber siehe doch +diese Kühe an!“— +</p> + +<p> +Also sprach der Berg-Prediger und wandte dann seinen eignen Blick Zarathustra +zu,—denn bisher hieng er mit Liebe an den Kühen—: da aber +verwandelte er sich. „Wer ist das, mit dem ich rede? rief er erschreckt und +sprang vom Boden empor. +</p> + +<p> +Diess ist der Mensch ohne Ekel, diess ist Zarathustra selber, der Überwinder +des grossen Ekels, diess ist das Auge, diess ist der Mund, diess ist das Herz +Zarathustra’s selber.“ +</p> + +<p> +Und indem er also sprach, küsste er Dem, zu welchem er redete, die Hände, mit +überströmenden Augen, und gebärdete sich ganz als Einer, dem ein kostbares +Geschenk und Kleinod unversehens vom Himmel fällt. Die Kühe aber schauten dem +Allen zu und wunderten sich. +</p> + +<p> +„Sprich nicht von mir, du Wunderlicher! Lieblicher! sagte Zarathustra und +wehrte seiner Zärtlichkeit, sprich mir erst von dir! Bist du nicht der +freiwillige Bettler, der einst einen grossen Reichthum von sich warf,— +</p> + +<p> +—der sich seines Reichthums schämte und der Reichen, und zu den Ärmsten +floh, dass er ihnen seine Fülle und sein Herz schenke? Aber sie nahmen ihn +nicht an.“ +</p> + +<p> +„Aber sie nahmen mich nicht an, sagte der freiwillige Bettler, du weisst es ja. +So gieng ich endlich zu den Thieren und zu diesen Kühen.“ +</p> + +<p> +„Da lerntest du, unterbrach Zarathustra den Redenden, wie es schwerer ist, +recht geben als recht nehmen, und dass gut schenken eine <i>Kunst</i> ist und +die letzte listigste Meister-Kunst der Güte.“ +</p> + +<p> +„Sonderlich heutzutage, antwortete der freiwillige Bettler: heute nämlich, wo +alles Niedrige aufständisch ward und scheu und auf seine Art hoffährtig: +nämlich auf Pöbel-Art. +</p> + +<p> +Denn es kam die Stunde, du weisst es ja, für den grossen schlimmen langen +langsamen Pöbel- und Sklaven-Aufstand: der wächst und wächst! +</p> + +<p> +Nun empört die Niedrigen alles Wohlthun und kleine Weggeben; und die +Überreichen mögen auf der Hut sein! +</p> + +<p> +Wer heute gleich bauchichten Flaschen tröpfelt aus allzuschmalen +Hälsen:—solchen Flaschen bricht man heute gern den Hals. +</p> + +<p> +Lüsterne Gier, gallichter Neid, vergrämte Rachsucht, Pöbel-Stolz: das sprang +mir Alles in’s Gesicht. Es ist nicht mehr wahr, dass die Armen selig +sind. Das Himmelreich aber ist bei den Kühen.“ +</p> + +<p> +Und warum ist es nicht bei den Reichen? fragte Zarathustra versuchend, während +er den Kühen wehrte, die den Friedfertigen zutraulich anschnauften. +</p> + +<p> +„Was versuchst du mich? antwortete dieser. Du weisst es selber besser noch als +ich. Was trieb mich doch zu den Ärmsten, oh Zarathustra? War es nicht der Ekel +vor unsern Reichsten? +</p> + +<p> +—vor den Sträflingen des Reichthums, welche sich ihren Vortheil aus jedem +Kehricht auflesen, mit kalten Augen, geilen Gedanken, vor diesem Gesindel, das +gen Himmel stinkt, +</p> + +<p> +—vor diesem vergüldeten verfälschten Pöbel, dessen Väter Langfinger oder +Aasvögel oder Lumpensammler waren, mit Weibern willfährig, lüstern, +vergesslich:—sie haben’s nämlich alle nicht weit zur Hure— +</p> + +<p> +Pöbel oben, Pöbel unten! Was ist heute noch „Arm“ und +„Reich“! Diesen Unterschied verlernte ich,—da floh ich davon, +weiter, immer weiter, bis ich zu diesen Kühen kam.“ +</p> + +<p> +Also sprach der Friedfertige und schnaufte selber und schwitzte bei seinen +Worten: also dass die Kühe sich von Neuem wunderten. Zarathustra aber sah ihm +immer mit Lächeln in’s Gesicht, als er so hart redete, und schüttelte +dazu schweigend den Kopf. +</p> + +<p> +„Du thust dir Gewalt an, du Berg-Prediger, wenn du solche harte Worte brauchst. +Für solche Härte wuchs dir nicht der Mund, nicht das Auge. +</p> + +<p> +Auch, wie mich dünkt, dein Magen selber nicht: <i>dem</i> widersteht all +solches Zürnen und Hassen und Überschäumen. Dein Magen will sanftere Dinge: du +bist kein Fleischer. +</p> + +<p> +Vielmehr dünkst du mich ein Pflanzler und Wurzelmann. Vielleicht malmst du +Körner. Sicherlich aber bist du fleischlichen Freuden abhold und liebst den +Honig.“ +</p> + +<p> +„Du erriethst mich gut, antwortete der freiwillige Bettler, mit erleichtertem +Herzen. Ich liebe den Honig, ich malme auch Körner, denn ich suchte, was +lieblich mundet und reinen Athem macht: +</p> + +<p> +—auch was lange Zeit braucht, ein Tag- und Maul-Werk für sanfte +Müssiggänger und Tagediebe. +</p> + +<p> +Am weitesten freilich brachten es diese Kühe: die erfanden sich das Wiederkäuen +und In-der-Sonne-Liegen. Auch enthalten sie sich aller schweren Gedanken, +welche das Herz blähn.“ +</p> + +<p> +„- Wohlan! sagte Zarathustra: du solltest auch <i>meine</i> Thiere sehn, meinen +Adler und meine Schlange,—ihres Gleichen giebt es heute nicht auf Erden. +</p> + +<p> +Siehe, dorthin führt der Weg zu meiner Höhle: sei diese Nacht ihr Gast. Und +rede mit meinen Thieren vom Glück der Thiere,— +</p> + +<p> +—bis ich selber heimkomme. Denn jetzt ruft ein Nothschrei Mich eilig weg +von dir. Auch findest du neuen Honig bei mir, eisfrischen Waben-Goldhonig: den +iss! +</p> + +<p> +Jetzt aber nimm flugs Abschied von deinen Kühen, du Wunderlicher! Lieblicher! +ob es dir schon schwer werden mag. Denn es sind deine wärmsten Freunde und +Lehrmeister!“— +</p> + +<p> +„- Einen ausgenommen, den ich noch lieber habe, antwortete der freiwillige +Bettler. Du selber bist gut und besser noch als eine Kuh, oh Zarathustra!“ +</p> + +<p> +„Fort, fort mit dir! du arger Schmeichler! schrie Zarathustra mit Bosheit, was +verdirbst du mich mit solchem Lob und Schmeichel-Honig?“ +</p> + +<p> +„Fort, fort von mir!“ schrie er noch Ein Mal und schwang seinen Stock nach dem +zärtlichen Bettler: der aber lief hurtig davon. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap71"></a>Der Schatten</h3> + +<p> +Kaum aber war der freiwillige Bettler davongelaufen und Zarathustra wieder mit +sich allein, da hörte er hinter sich eine neue Stimme: die rief „Halt! +Zarathustra! So warte doch! Ich bin’s ja, oh Zarathustra, ich, dein +Schatten!“ Aber Zarathustra wartete nicht, denn ein plötzlicher Verdruss +überkam ihn ob des vielen Zudrangs und Gedrängs in seinen Bergen. „Wo ist meine +Einsamkeit hin? sprach er. +</p> + +<p> +Es wird mir wahrlich zu viel; diess Gebirge wimmelt, mein Reich ist nicht mehr +von <i>dieser</i> Welt, ich brauche neue Berge. +</p> + +<p> +Mein Schatten ruft mich? Was liegt an meinem Schatten! Mag er mir nachlaufen! +ich—laufe ihm davon.“— +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra zu seinem Herzen und lief davon. Aber Der, welcher +hinter ihm war, folgte ihm nach: so dass alsbald drei Laufende hinter einander +her waren, nämlich voran der freiwillige Bettler, dann Zarathustra und zudritt +und -hinterst sein Schatten. Nicht lange liefen sie so, da kam Zarathustra zur +Besinnung über seine Thorheit und schüttelte mit Einem Rucke allen Verdruss und +Überdruss von sich. +</p> + +<p> +„Wie! sprach er, geschahen nicht von je die lächerlichsten Dinge bei uns alten +Einsiedlern und Heiligen? +</p> + +<p> +Wahrlich, meine Thorheit wuchs hoch in den Bergen! Nun höre ich sechs alte +Narren-Beine hinter einander her klappern! +</p> + +<p> +Darf aber Zarathustra sich wohl vor einem Schatten fürchten? Auch dünkt mich zu +guterletzt, dass er längere Beine hat als ich.“ +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra, lachend mit Augen und Eingeweiden, blieb stehen und +drehte sich schnell herum—und siehe, fast warf er dabei seinen Nachfolger +und Schatten zu Boden: so dicht schon folgte ihm derselbe auf den Fersen, und +so schwach war er auch. Als er ihn nämlich mit Augen prüfte, erschrak er wie +vor einem plötzlichen Gespenste: so dünn, schwärzlich, hohl und überlebt sah +dieser Nachfolger aus. +</p> + +<p> +„Wer bist du? fragte Zarathustra heftig, was treibst du hier? Und wesshalb +heissest du dich meinen Schatten? Du gefällst mir nicht.“ +</p> + +<p> +„Vergieb mir, antwortete der Schatten, dass ich’s bin; und wenn ich dir +nicht gefalle, wohlan, oh Zarathustra! darin lobe ich dich und deinen guten +Geschmack. +</p> + +<p> +Ein Wanderer bin ich, der viel schon hinter deinen Fersen her gieng: immer +unterwegs, aber ohne Ziel, auch ohne Heim: also dass mir wahrlich wenig zum +ewigen Juden fehlt, es sei denn, dass ich nicht ewig, und auch nicht Jude bin. +</p> + +<p> +Wie? Muss ich immerdar unterwegs sein? Von jedem Winde gewirbelt, unstät, +fortgetrieben? Oh Erde, du wardst mir zu rund! +</p> + +<p> +Auf jeder Oberfläche sass ich schon, gleich müdem Staube schlief ich ein auf +Spiegeln und Fensterscheiben: Alles nimmt von mir, Nichts giebt, ich werde +dünn,—fast gleiche ich einem Schatten. +</p> + +<p> +Dir aber, oh Zarathustra, flog und zog ich am längsten nach, und, verbarg ich +mich schon vor dir, so war ich doch dein bester Schatten: wo du nur gesessen +hast, sass ich auch. +</p> + +<p> +Mit dir bin ich in fernsten, kältesten Welten umgegangen, einem Gespenste +gleich, das freiwillig über Winterdächer und Schnee läuft. +</p> + +<p> +Mit dir strebte ich in jedes Verbotene, Schlimmste, Fernste: und wenn irgend +Etwas an mir Tugend ist, so ist es, dass ich vor keinem Verbote Furcht hatte. +</p> + +<p> +Mit dir zerbrach ich, was je mein Herz verehrte, alle Grenzsteine und Bilder +warf ich um, den gefährlichsten Wünschen lief ich nach,—wahrlich, über +jedwedes Verbrechen lief ich einmal hinweg. +</p> + +<p> +Mit dir verlernte ich den Glauben an Worte und Werthe und grosse Namen. Wenn +der Teufel sich häutet, fällt da nicht auch sein Name ab? der ist nämlich auch +Haut. Der Teufel selber ist vielleicht—Haut. +</p> + +<p> +„Nichts ist wahr, Alles ist erlaubt“: so sprach ich mir zu. In die +kältesten Wasser stürzte ich mich, mit Kopf und Herzen. Ach, wie oft stand ich +darob nackt als rother Krebs da! +</p> + +<p> +Ach, wohin kam mir alles Gute und alle Scham und aller Glaube an die Guten! +Ach, wohin ist jene verlogne Unschuld, die ich einst besass, die Unschuld der +Guten und ihrer edlen Lügen! +</p> + +<p> +Zu oft, wahrlich, folgte ich der Wahrheit dicht auf dem Fusse: da trat sie mir +vor den Kopf. Manchmal meinte ich zu lügen, und siehe! da erst traf +ich—die Wahrheit. +</p> + +<p> +Zu Viel klärte sich mir auf: nun geht es mich Nichts mehr an. Nichts lebt mehr, +das ich liebe,—wie sollte ich noch mich selber lieben? +</p> + +<p> +„Leben, wie ich Lust habe, oder gar nicht leben“: so will +ich’s, so will’s auch der Heiligste. Aber, wehe! wie habe +<i>ich</i> noch—Lust? +</p> + +<p> +Habe <i>ich</i>—noch ein Ziel? Einen Hafen, nach dem <i>mein</i> Segel +läuft? +</p> + +<p> +Einen guten Wind? Ach, nur wer weiss, <i>wohin</i> er fährt, weiss auch, +welcher Wind gut und sein Fahrwind ist. +</p> + +<p> +Was blieb mir noch zurück? Ein Herz müde und frech; ein unstäter Wille; +Flatter-Flügel; ein zerbrochnes Rückgrat. +</p> + +<p> +Diess Suchen nach <i>meinem</i> Heim: oh Zarathustra, weisst du wohl, diess +Suchen war <i>meine</i> Heimsuchung, es frisst mich auf. +</p> + +<p> +„Wo ist—<i>mein</i> Heim?“ Darnach frage und suche und suchte +ich, das fand ich nicht. Oh ewiges Überall, oh ewiges Nirgendwo, oh +ewiges—Umsonst!“ +</p> + +<p> +Also sprach der Schatten, und Zarathustra’s Gesicht verlängerte sich bei +seinen Worten. „Du bist mein Schatten! sagte er endlich, mit Traurigkeit. +</p> + +<p> +Deine Gefahr ist keine kleine, du freier Geist und Wanderer! Du hast einen +schlimmen Tag gehabt: sieh zu, dass dir nicht noch ein schlimmerer Abend kommt! +</p> + +<p> +Solchen Unstäten, wie du, dünkt zuletzt auch ein Gefängniss selig. Sahst du je, +wie eingefangne Verbrecher schlafen? Sie schlafen ruhig, sie gemessen ihre neue +Sicherheit. +</p> + +<p> +Hüte dich, dass dich nicht am Ende noch ein enger Glaube einfängt, ein harter, +strenger Wahn! Dich nämlich verführt und versucht nunmehr Jegliches, das eng +und fest ist. +</p> + +<p> +Du hast das Ziel verloren: wehe, wie wirst du diesen Verlust verscherzen und +verschmerzen? Damit—hast du auch den Weg verloren! +</p> + +<p> +Du armer Schweifender, Schwärmender, du müder Schmetterling! willst du diesen +Abend eine Rast und Heimstätte haben? So gehe hinauf zu meiner Höhle! +</p> + +<p> +Dorthin führt der Weg zu meiner Höhle. Und jetzo will ich Schnell wieder von +dir davonlaufen. Schon liegt es wie ein Schatten auf mir. +</p> + +<p> +Ich will allein laufen, dass es wieder hell um mich werde. Dazu muss ich noch +lange lustig auf den Beinen sein. Des Abends aber wird bei +mir—getanzt!“— +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap72"></a>Mittags</h3> + +<p> +—Und Zarathustra lief und lief und fand Niemanden mehr und war allein und +fand immer wieder sich und genoss und schlürfte seine Einsamkeit und dachte an +gute Dinge,—stundenlang. Um die Stunde des Mittags aber, als die Sonne +gerade über Zarathustra’s Haupte stand, kam er an einem alten krummen und +knorrichten Baume vorbei, der von der reichen Liebe eines Weinstocks rings +umarmt und vor sich selber verborgen war: von dem hiengen gelbe Trauben in +Fülle dem Wandernden entgegen. Da gelüstete ihn, einen kleinen Durst zu löschen +und sich eine Traube abzubrechen; als er aber schon den Arm dazu ausstreckte, +da gelüstete ihn etwas Anderes noch mehr: nämlich sich neben den Baum +niederzulegen, um die Stunde des vollkommnen Mittags, und zu schlafen. +</p> + +<p> +Diess that Zarathustra; und sobald er auf dem Boden lag, in der Stille und +Heimlichkeit des bunten Grases, hatte er auch schon seinen kleinen Durst +vergessen und schlief ein. Denn, wie das Sprichwort Zarathustra’s sagt: +Eins ist nothwendiger als das Andre. Nur dass seine Augen offen +blieben:—sie wurden nämlich nicht satt, den Baum und die Liebe des +Weinstocks zu sehn und zu preisen. Im Einschlafen aber sprach Zarathustra also +zu seinem Herzen: +</p> + +<p> +Still! Still! Ward die Welt nicht eben vollkommen? Was geschieht mir doch? +</p> + +<p> +Wie ein zierlicher Wind, ungesehn, auf getäfeltem Meere tanzt, leicht, +federleicht: so—tanzt der Schlaf auf mir, +</p> + +<p> +Kein Auge drückt er mir zu, die Seele lässt er mir wach. Leicht ist er, +wahrlich! federleicht. +</p> + +<p> +Er überredet mich, ich weiss nicht wie?, er betupft mich innewendig mit +schmeichelnder Hand, er zwingt mich. Ja, er zwingt mich, dass meine Seele sich +ausstreckt:— +</p> + +<p> +—wie sie mir lang und müde wird, meine wunderliche Seele! Kam ihr eines +siebenten Tages Abend gerade am Mittage? Wandelte sie zu lange schon selig +zwischen guten und reifen Dingen? +</p> + +<p> +Sie streckt sich lang aus, lang,—länger! sie liegt stille, meine +wunderliche Seele. Zu viel Gutes hat sie schon geschmeckt, diese. goldene +Traurigkeit drückt sie, sie verzieht den Mund. +</p> + +<p> +—Wie ein Schiff, das in seine stillste Bucht einlief:—nun lehnt es +sich an die Erde, der langen Reisen müde und der ungewissen Meere. Ist die Erde +nicht treuer? +</p> + +<p> +Wie solch ein Schiff sich dem Lande anlegt, anschmiegt:—da +genügt’s, dass eine Spinne vom Lande her zu ihm ihren Faden spinnt. +Keiner stärkeren Taue bedarf es da. +</p> + +<p> +Wie solch ein müdes Schiff in der stillsten Bucht: so ruhe auch ich nun der +Erde nahe, treu, zutrauend, wartend, mit den leisesten Fäden ihr angebunden. +</p> + +<p> +Oh Glück! Oh Glück! Willst du wohl singen, oh meine Seele? Du liegst im Grase. +Aber das ist die heimliche feierliche Stunde, wo kein Hirt seine Flöte bläst. +</p> + +<p> +Scheue dich! Heisser Mittag schläft auf den Fluren. Singe. nicht! Still! Die +Welt ist vollkommen. +</p> + +<p> +Singe nicht, du Gras-Geflügel, oh meine Seele! Flüstere nicht einmal! Sieh doch +—still! der alte Mittag schläft, er bewegt den Mund: trinkt er nicht eben +einen Tropfen Glücks— +</p> + +<p> +—einen alten braunen Tropfen goldenen Glücks, goldenen Weins? Es huscht +über ihn hin, sein Glück lacht. So—lacht ein Gott. Still!— +</p> + +<p> +—„Zum Glück, wie wenig genügt schon zum Glücke!“ So sprach ich einst, und +dünkte mich klug. Aber es war eine Lästerung: <i>das</i> lernte ich nun. Kluge +Narrn reden besser. +</p> + +<p> +Das Wenigste gerade, das Leiseste, Leichteste, einer Eidechse Rascheln, ein +Hauch, ein Husch, ein Augen-Blidk—<i>Wenig</i> macht die Art des +<i>besten</i> Glücks. Still! +</p> + +<p> +—Was geschah mir: Horch! Flog die Zeit wohl davon? Falle ich nicht? Fiel +ich nicht—horch! in den Brunnen der Ewigkeit? +</p> + +<p> +—Was geschieht mir? Still! Es sticht mich—wehe—in’s +Herz? In’s Herz! Oh zerbrich, zerbrich, Herz, nach solchem Glücke, nach +solchem Stiche! +</p> + +<p> +—Wie? Ward die Welt nicht eben vollkommen? Rund und reif? Oh des goldenen +runden Reifs—wohin fliegt er wohl? Laufe ich ihm nach! Husch! +</p> + +<p> +Still—- (und hier dehnte sich Zarathustra und fühlte, dass er +schlafe.)— +</p> + +<p> +Auf! sprach er zu sich selber, du Schläfer! Du Mittagsschläfer! Wohlan, +wohlauf, ihr alten Beine! Zeit ist’s und Überzeit, manch gut Stück Wegs +blieb euch noch zurück— +</p> + +<p> +Nun schlieft ihr euch aus, wie lange doch? Eine halbe Ewigkeit! Wohlan, wohlauf +nun, mein altes Herz! Wie lange erst darfst du nach solchem Schlaf—dich +auswachen? +</p> + +<p> +(Aber da schlief er schon von Neuem ein, und seine Seele sprach gegen ihn und +wehrte sich und legte sich wieder hin)—„Lass mich doch! Still! Ward nicht +die Welt eben vollkommen? Oh des goldnen runden Balls!“— +</p> + +<p> +„Steh auf, sprach Zarathustra, du kleine Diebin, du Tagediebin! Wie? Immer noch +sich strecken, gähnen, seufzen, hinunterfallen in tiefe Brunnen? +</p> + +<p> +Wer bist du doch! Oh meine Seele!“ (und hier erschrak er, denn ein Sonnenstrahl +fiel vom Himmel herunter auf sein Gesicht) +</p> + +<p> +„Oh Himmel über mir, sprach er seufzend und setzte sich aufrecht, du schaust +mir zu? Du horchst meiner wunderlichen Seele zu? +</p> + +<p> +Wann trinkst du diesen Tropfen Thau’s, der auf alle Erden-Dinge +niederfiel,—wann trinkst du diese wunderliche Seele— +</p> + +<p> +—wann, Brunnen der Ewigkeit! du heiterer schauerlicher Mittags-Abgrund! +wann trinkst du meine Seele in dich zurück?“ +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra und erhob sich von seinem Lager am Baume wie aus einer +fremden Trunkenheit: und siehe, da stand die Sonne immer noch gerade über +seinem Haupte. Es möchte aber Einer daraus mit Recht abnehmen, dass Zarathustra +damals nicht lange geschlafen habe. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap73"></a>Die Begrüssung</h3> + +<p> +Am späten Nachmittage war es erst, dass Zarathustra, nach langem umsonstigen +Suchen und Umherstreifen, wieder zu seiner Höhle heimkam. Als er aber derselben +gegenüberstand, nicht zwanzig Schritt mehr von ihr ferne, da geschah das, was +er jetzt am wenigsten erwartete: von Neuem hörte er den grossen +<i>Nothschrei</i>. Und, erstaunlich! diess Mal kam derselbige aus seiner eignen +Höhle. Es war aber ein langer vielfältiger seltsamer Schrei, und Zarathustra +unterschied deutlich, dass er sich aus vielen Stimmen zusammensetze: mochte er +schon, aus der Ferne gehört, gleich dem Schrei aus einem einzigen Munde +klingen. +</p> + +<p> +Da sprang Zarathustra auf seine Höhle zu, und siehe! welches Schauspiel +erwartete ihn erst nach diesem Hörspiele! Denn da sassen sie allesammt bei +einander, an denen er des Tags vorübergegangen war: der König zur Rechten und +der König zur Linken, der alte Zauberer, der Papst, der freiwillige Bettler, +der Schatten, der Gewissenhafte des Geistes, der traurige Wahrsager und der +Esel; der hässlichste Mensch aber hatte sich eine Krone aufgesetzt und zwei +Purpurgürtel umgeschlungen,—denn er liebte es, gleich allen Hässlichen, +sich zu verkleiden und schön zu thun. Inmitten aber dieser betrübten +Gesellschaft stand der Adler Zarathustra’s, gesträubt und unruhig, denn +er sollte auf zu Vieles antworten, wofür sein Stolz keine Antwort hatte; die +kluge Schlange aber hieng um seinen Hals. +</p> + +<p> +Diess Alles schaute Zarathustra mit grosser Verwunderung; dann prüfte er jeden +Einzelnen seiner Gäste mit leutseliger Neugierde, las ihre Seelen ab und +wunderte sich von Neuem. Inzwischen hatten sich die Versammelten von ihren +Sitzen erhoben und warteten mit Ehrfurcht, dass Zarathustra reden werde. +Zarathustra aber sprach also: +</p> + +<p> +„Ihr Verzweifelnden! Ihr Wunderlichen! Ich hörte also <i>euren</i> Nothschrei? +Und nun weiss ich auch, wo Der zu suchen ist, den ich umsonst heute suchte: der +höhere Mensch—: +</p> + +<p> +—in meiner eignen Höhle sitzt er, der höhere Mensch! Aber was wundere ich +mich! Habe ich ihn nicht selber zu mir gelockt durch Honig-Opfer und listige +Lockrufe meines Glücks? +</p> + +<p> +Doch dünkt mir, ihr taugt euch schlecht zur Gesellschaft, ihr macht einander +das Herz unwirsch, ihr Nothschreienden, wenn ihr hier beisammen sitzt? Es muss +erst Einer kommen, +</p> + +<p> +—Einer, der euch wieder lachen macht, ein guter fröhlicher Hanswurst, ein +Tänzer und Wind und Wildfang, irgend ein alter Narr:—was dünket euch? +</p> + +<p> +Vergebt mir doch, ihr Verzweifelnden, dass ich vor euch mit solch kleinen +Worten rede, unwürdig, wahrlich!, solcher Gäste! Aber ihr errathet nicht, +<i>was</i> mein Herz muthwillig macht:— +</p> + +<p> +—ihr selber thut es und euer Anblick, vergebt es mir! Jeder nämlich wird +muthig, der einem Verzweifelnden zuschaut. Einem Verzweifelnden +zuzusprechen—dazu dünkt sich jeder stark genug. +</p> + +<p> +Mir selber gabt ihr diese Kraft,—eine gute Gabe, meine hohen Gäste! Ein +rechtschaffnes Gastgeschenk! Wohlan, so zürnt nun nicht, dass ich euch auch vom +Meinigen anbiete. +</p> + +<p> +Diess hier ist mein Reich und meine Herrschaft: was aber mein ist, für diesen +Abend und diese Nacht soll es euer sein. Meine Thiere sollen euch dienen: meine +Höhle sei eure Ruhestatt! +</p> + +<p> +Bei mir zu Heim-und-Hause soll Keiner verzweifeln, in meinem Reviere schütze +ich jeden vor seinen wilden Thieren. Und das ist das Erste, was ich euch +anbiete: Sicherheit! +</p> + +<p> +Das Zweite aber ist: mein kleiner Finger. Und habt ihr <i>den</i> erst, so +nehmt nur noch die ganze Hand, wohlan! und das Herz dazu! Willkommen hier, +willkommen, meine Gastfreunde!“ +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra und lachte vor Liebe und Bosheit. Nach dieser +Begrüssung verneigten sich seine Gäste abermals und schwiegen ehrfürchtig; der +König zur Rechten aber antwortete ihm in ihrem Namen. +</p> + +<p> +„Daran, oh Zarathustra, wie du uns Hand und Gruss botest, erkennen wir dich als +Zarathustra. Du erniedrigtest dich vor uns; fast thatest du unserer Ehrfurcht +wehe—: +</p> + +<p> +—wer aber vermochte gleich dir sich mit solchem Stolze zu erniedrigen? +<i>Das</i> richtet uns selber auf, ein Labsal ist es unsern Augen und Herzen. +</p> + +<p> +Diess allein nur zu schaun, stiegen gern wir auf höhere Berge, als dieser Berg +ist. Als Schaulustige nämlich kamen wir, wir wollten sehn, was trübe Augen hell +macht. +</p> + +<p> +Und siehe, schon ist es vorbei mit allem unsern Nothschrein. Schon steht Sinn +und Herz uns offen und ist entzückt. Wenig fehlt: und unser Muth wird +muthwillig. +</p> + +<p> +Nichts, oh Zarathustra, wächst Erfreulicheres auf Erden, als ein hoher starker +Wille: der ist ihr schönstes Gewächs. Eine ganze Landschaft erquickt sich an +Einem solchen Baume. +</p> + +<p> +Der Pinie vergleiche ich, wer gleich dir, oh Zarathustra, aufwächst: lang, +schweigend, hart, allein, besten biegsamsten Holzes, herrlich,— +</p> + +<p> +—zuletzt aber hinausgreifend mit starken grünen Ästen nach <i>seiner</i> +Herrschaft, starke Fragen fragend vor Winden und Wettern und was immer auf +Höhen heimisch ist, +</p> + +<p> +—stärker antwortend, ein Befehlender, ein Siegreicher: oh wer sollte +nicht, solche Gewächse zu schaun, auf hohe Berge steigen? +</p> + +<p> +Deines Baumes hier, oh Zarathustra, erlabt sich auch der Düstere, der +Missrathene, an deinem Anblicke wird auch der Unstäte sicher und heilt sein +Herz. +</p> + +<p> +Und wahrlich, zu deinem Berge und Baume richten sich heute viele Augen; eine +grosse Sehnsucht hat sich aufgemacht, und Manche lernten fragen: wer ist +Zarathustra? +</p> + +<p> +Und wem du jemals dein Lied und deinen Honig in’s Ohr geträufelt: alle +die Versteckten, die Einsiedler, die Zweisiedler sprachen mit Einem Male zu +ihrem Herzen: +</p> + +<p> +„Lebt Zarathustra noch? Es lohnt sich nicht mehr zu leben, Alles ist +gleich, Alles ist umsonst: oder—wir müssen mit Zarathustra leben!“ +</p> + +<p> +„Warum kommt er nicht, der sich so lange ankündigte? also fragen Viele; +verschlang ihn die Einsamkeit? Oder sollen wir wohl zu ihm kommen?“ +</p> + +<p> +Nun geschieht’s, dass die Einsamkeit selber mürbe wird und zerbricht, +einem Grabe gleich, das zerbricht und seine Todten nicht mehr halten kann. +Überall sieht man Auferstandene. +</p> + +<p> +Nun steigen und steigen die Wellen um deinen Berg, oh Zarathustra. Und wie hoch +auch deine Höhe ist, Viele müssen zu dir hinauf; dein Nachen soll nicht lange +mehr im Trocknen sitzen. +</p> + +<p> +Und dass wir Verzweifelnde jetzt in deine Höhle kamen und schon nicht mehr +verzweifeln: ein Wahr- und Vorzeichen ist es nur, davon, dass Bessere zu dir +unterwegs sind,— +</p> + +<p> +—denn er selber ist zu dir unterwegs, der letzte Rest Gottes unter +Menschen, das ist: alle die Menschen der grossen Sehnsucht, des grossen Ekels, +des grossen Überdrusses, +</p> + +<p> +—Alle, die nicht leben wollen, oder sie lernen wieder +<i>hoffen</i>—oder sie lernen von dir, oh Zarathustra, die <i>grosse</i> +Hoffnung!“ +</p> + +<p> +Also sprach der König zur Rechten und ergriff die Hand Zarathustra’s, um +sie zu küssen; aber Zarathustra wehrte seiner Verehrung und trat erschreckt +zurück, schweigend und plötzlich wie in weite Fernen entfliehend. Nach einer +kleinen Weile aber war er schon wieder bei seinen Gästen, blickte sie mit +hellen, prüfenden Augen an und sprach: +</p> + +<p> +Meine Gäste, ihr höheren Menschen, ich will deutsch und deutlich mit euch +reden. Nicht auf <i>euch</i> wartete ich hier in diesen Bergen. +</p> + +<p> +(„Deutsch und deutlich? Dass Gott erbarm! sagte hier der König zur Linken, bei +Seite; man merkt, er kennt die lieben Deutschen nicht, dieser Weise aus dem +Morgenlande! +</p> + +<p> +Aber er meint „deutsch und derb“—wohlan! Das ist heutzutage +noch nicht der schlimmste Geschmack!“) +</p> + +<p> +„Ihr mögt wahrlich insgesammt höhere Menschen sein, fuhr Zarathustra fort: aber +für mich—seid ihr nicht hoch und stark genug. +</p> + +<p> +Für mich, das heisst: für das Unerbittliche, das in mir schweigt, aber nicht +immer schweigen wird. Und gehört ihr zu mir, so doch nicht als mein rechter +Arm. +</p> + +<p> +Wer nämlich selber auf kranken und zarten Beinen steht, gleich euch, der will +vor Allem, ob er’s weiss oder sich verbirgt: dass er <i>geschont</i> +werde. +</p> + +<p> +Meine Arme und meine Beine aber schone ich nicht, ich schone meine Krieger +nicht: wieso könntet ihr zu <i>meinem</i> Kriege taugen? +</p> + +<p> +Mit euch verdürbe ich mir jeden Sieg noch. Und Mancher von euch fiele schon um, +wenn er nur den lauten Schall meiner Trommeln hörte. +</p> + +<p> +Auch seid ihr mir nicht schön genug und wohlgeboren. Ich brauche reine glatte +Spiegel für meine Lehren; auf eurer Oberfläche verzerrt sich noch mein eignes +Bildniss. +</p> + +<p> +Eure Schultern drückt manche Last, manche Erinnerung; manch schlimmer Zwerg +hockt in euren Winkeln. Es giebt verborgenen Pöbel auch in euch. +</p> + +<p> +Und seid ihr auch hoch und höherer Art: Vieles an euch ist krumm und +missgestalt. Da ist kein Schmied in der Welt, der euch mir zurecht und gerade +schlüge. +</p> + +<p> +Ihr seid nur Brücken: mögen Höhere auf euch hinüber schreiten! Ihr bedeutet +Stufen: so zürnt Dem nicht, der über euch hinweg in <i>seine</i> Höhe steigt! +</p> + +<p> +Aus eurem Samen mag auch mir einst ein ächter Sohn und vollkommener Erbe +wachsen: aber das ist ferne. Ihr selber seid Die nicht, welchen mein Erbgut und +Name zugehört. +</p> + +<p> +Nicht auf euch warte ich hier in diesen Bergen, nicht mit euch darf ich zum +letzten Male niedersteigen. Als Vorzeichen kamt ihr mir nur, dass schon Höhere +zu mir unterwegs sind,— +</p> + +<p> +—<i>nicht</i> die Menschen der grossen Sehnsucht, des grossen Ekels, des +grossen Überdrusses und Das, was ihr den Überrest Gottes nanntet. +</p> + +<p> +—Nein! Nein! Drei Mal Nein! Auf <i>Andere</i> warte ich hier in diesen +Bergen und will meinen Fuss nicht ohne sie von dannen heben, +</p> + +<p> +—auf Höhere, Stärkere, Sieghaftere, Wohlgemuthere, Solche, die +rechtwinklig gebaut sind an Leib und Seele: <i>lachende Löwen</i> müssen +kommen! +</p> + +<p> +Oh, meine Gastfreunde, ihr Wunderlichen,—hörtet ihr noch Nichts von +meinen Kindern? Und dass sie zu mir unterwegs sind? +</p> + +<p> +Sprecht mir doch von meinen Gärten, von meinen glückseligen Inseln, von meiner +neuen schönen Art,—warum sprecht ihr mir nicht davon? +</p> + +<p> +Diess Gastgeschenk erbitte ich mir von eurer Liebe, dass ihr mir von meinen +Kindern sprecht. Hierzu bin ich reich, hierzu ward ich arm: was gab ich nicht +hin, +</p> + +<p> +—was gäbe ich nicht hin, dass ich Eins hätte: <i>diese</i> Kinder, +<i>diese</i> lebendige Pflanzung, <i>diese</i> Lebensbäume meines Willens und +meiner höchsten Hoffnung!“ +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra und hielt plötzlich inne in seiner Rede: denn ihn +überfiel seine Sehnsucht, und er schloss Augen und Mund vor der Bewegung seines +Herzens. Und auch alle seine Gäste schwiegen und standen still und bestürzt: +nur dass der alte Wahrsager mit Händen und Gebärden Zeichen gab. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap74"></a>Das Abendmahl</h3> + +<p> +An dieser Stelle nämlich unterbrach der Wahrsager die Begrüssung +Zarathustra’s und seiner Gäste: er drängte sich vor, wie Einer, der keine +Zeit zu verlieren hat, fasste die Hand Zarathustra’s und rief: „Aber +Zarathustra! +</p> + +<p> +Eins ist nothwendiger als das Andre, so redest du selber: wohlan, Eins ist +<i>mir</i> jetzt nothwendiger als alles Andere. +</p> + +<p> +Ein Wort zur rechten Zeit: hast du mich nicht zum <i>Mahle</i> eingeladen? Und +hier sind viele, die lange Wege machten. Du willst uns doch nicht mit Reden +abspeisen? +</p> + +<p> +Auch gedachtet ihr Alle mir schon zu viel des Erfrierens, Ertrinkens, +Erstickens und andrer Leibes-Nothstände: Keiner aber gedachte <i>meines</i> +Nothstandes, nämlich des Verhungerns—„ +</p> + +<p> +(Also sprach der Wahrsager; wie die Thiere Zarathustra’s aber diese Worte +hörten, liefen sie vor Schrecken davon. Denn sie sahen, dass was sie auch am +Tage heimgebracht hatten, nicht genug sein werde, den Einen Wahrsager zu +stopfen.) +</p> + +<p> +„Eingerechnet das Verdursten, fuhr der Wahrsager fort. Und ob ich schon Wasser +hier plätschern höre, gleich Reden der Weisheit, nämlich reichlich und +unermüdlich: ich—will <i>Wein</i>! +</p> + +<p> +Nicht jeder ist gleich Zarathustra ein geborner Wassertrinker. Wasser taugt +auch nicht für Müde und Verwelkte: <i>uns</i> gebührt Wein,—<i>der</i> +erst giebt plötzliches Genesen und stegreife Gesundheit!“ +</p> + +<p> +Bei dieser Gelegenheit, da der Wahrsager nach Wein begehrte, geschah es, dass +auch der König zur Linken, der Schweigsame, einmal zu Worte kam. „Für Wein, +sprach er, trugen <i>wir</i> Sorge, ich sammt meinem Bruder, dem Könige zur +Rechten: wir haben Weins genug,—einen ganzen Esel voll. So fehlt Nichts +als Brod.“ +</p> + +<p> +„Brod? entgegnete Zarathustra und lachte dazu. Nur gerade Brod haben Einsiedler +nicht. Aber der Mensch lebt nicht vom Brod allein, sondern auch vom Fleische +guter Lämmer, deren ich zwei habe: +</p> + +<p> +—<i>Die</i> soll man geschwinde schlachten und würzig, mit Salbei, +zubereiten: so liebe ich’s. Und auch an Wurzeln und Früchten fehlt es +nicht, gut genug selbst für Lecker- und Schmeckerlinge; noch an Nüssen und +andern Räthseln zum Knacken. +</p> + +<p> +Also wollen wir in Kürze eine gute Mahlzeit machen. Wer aber mit essen will, +muss auch mit Hand anlegen, auch die Könige. Bei Zarathustra nämlich darf auch +ein König Koch sein.“ +</p> + +<p> +Mit diesem Vorschlage war Allen nach dem Herzen geredet: nur dass der +freiwillige Bettler sich gegen Fleisch und Wein und Würzen sträubte. +</p> + +<p> +„Nun hört mir doch diesen Schlemmer Zarathustra! sagte er scherzhaft: geht man +dazu in Höhlen und Hoch-Gebirge, dass man solche Mahlzeiten macht? +</p> + +<p> +Nun freilich verstehe ich, was er einst uns lehrte: „Gelobt sei die +kleine Armuth!“ Und warum er die Bettler abschaffen will.“ +</p> + +<p> +„Sei guter Dinge, antwortete ihm Zarathustra, wie ich es bin. Bleibe bei deiner +Sitte, du Trefflicher, malme deine Körner, trink dein Wasser, lobe deine Küche: +wenn sie dich nur fröhlich macht! +</p> + +<p> +Ich bin ein Gesetz nur für die Meinen, ich bin kein Gesetz für Alle. Wer aber +zu mir gehört, der muss von starken Knochen sein, auch von leichten +Füssen,— +</p> + +<p> +—lustig zu Kriegen und Festen, kein Düsterling, kein Traum-Hans, bereit +zum Schwersten wie zu seinem Feste, gesund und heil. +</p> + +<p> +Das Beste gehört den Meinen und mir; und giebt man’s uns nicht, so nehmen +wir’s:—die beste Nahrung, den reinsten Himmel, die stärksten +Gedanken, die schönsten Fraun!“— +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra; der König zur Rechten aber entgegnete: „Seltsam! +Vernahm man je solche kluge Dinge aus dem Munde eines Weisen? +</p> + +<p> +Und wahrlich, das ist das Seltsamste an einem Weisen, wenn er zu alledem auch +noch klug und kein Esel ist.“ +</p> + +<p> +Also sprach der König zur Rechten und wunderte sich; der Esel aber sagte zu +seiner Rede mit bösem Willen I-A. Diess aber war der Anfang von jener langen +Mahlzeit, welche „das Abendmahl“ in den Historien-Büchern genannt wird. Bei +derselben aber wurde von nichts Anderem geredet als <i>vom höheren +Menschen</i>. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap75"></a>Vom höheren Menschen</h3> + +<h4>1.</h4> + +<p> +Als ich zum ersten Male zu den Menschen kam, da that ich die +Einsiedler-Thorheit, die grosse Thorheit: ich stellte mich auf den Markt. +</p> + +<p> +Und als ich zu Allen redete, redete ich zu Keinem. Des Abends aber waren +Seiltänzer meine Genossen, und Leichname; und ich selber fast ein Leichnam. +</p> + +<p> +Mit dem neuen Morgen aber kam mir eine neue Wahrheit: da lernte ich sprechen +„Was geht mich Markt und Pöbel und Pöbel-Lärm und lange Pöbel-Ohren an!“ +</p> + +<p> +Ihr höheren Menschen, Diess lernt von mir: auf dem Markt glaubt Niemand an +höhere Menschen. Und wollt ihr dort reden, wohlan! Der Pöbel aber blinzelt „wir +sind Alle gleich.“ +</p> + +<p> +„Ihr höheren Menschen,—so blinzelt der Pöbel—es giebt keine höheren +Menschen, wir sind Alle gleich, Mensch ist Mensch, vor Gott—sind wir Alle +gleich!“ +</p> + +<p> +Vor Gott!—Nun aber starb dieser Gott. Vor dem Pöbel aber wollen wir nicht +gleich sein. Ihr höheren Menschen, geht weg vom Markt! +</p> + +<h4>2.</h4> + +<p> +Vor Gott!—Nun aber starb dieser Gott! Ihr höheren Menschen, dieser Gott +war eure grösste Gefahr. +</p> + +<p> +Seit er im Grabe liegt, seid ihr erst wieder auferstanden. Nun erst kommt der +grosse Mittag, nun erst wird der höhere Mensch—Herr! +</p> + +<p> +Verstandet ihr diess Wort, oh meine Brüder? Ihr seid erschreckt: wird euren +Herzen schwindlig? Klafft euch hier der Abgrund? Kläfft euch hier der +Höllenhund? +</p> + +<p> +Wohlan! Wohlauf! Ihr höheren Menschen! Nun erst kreisst der Berg der +Menschen-Zukunft. Gott starb: nun wollen <i>wir</i>,—dass der Übermensch +lebe. +</p> + +<h4>3.</h4> + +<p> +Die Sorglichsten fragen heute: „wie bleibt der Mensch erhalten?“ Zarathustra +aber fragt als der Einzige und Erste: „wie wird der Mensch <i>überwunden</i>?“ +</p> + +<p> +Der Übermensch liegt mir am Herzen, <i>der</i> ist mein Erstes und +Einziges,—und <i>nicht</i> der Mensch: nicht der Nächste, nicht der +Ärmste, nicht der Leidendste, nicht der Beste— +</p> + +<p> +Oh meine Brüder, was ich lieben kann am Menschen, das ist, dass er ein Übergang +ist und ein Untergang. Und auch an euch ist vieles, das mich lieben und hoffen +macht. +</p> + +<p> +Dass ihr verachtetet, ihr höheren Menschen, das macht mich hoffen. Die grossen +Verachtenden nämlich sind die grossen Verehrenden. +</p> + +<p> +Dass ihr verzweifeltet, daran ist Viel zu ehren. Denn ihr lerntet nicht, wie +ihr euch ergäbet, ihr lerntet die kleinen Klugheiten nicht. +</p> + +<p> +Heute nämlich wurden die kleinen Leute Herr: die predigen Alle Ergebung und +Bescheidung und Klugheit und Fleiss und Rücksicht und das lange Und-so-weiter +der kleinen Tugenden. +</p> + +<p> +Was von Weibsart ist, was von Knechtsart stammt und sonderlich der +Pöbel-Mischmasch: <i>Das</i> will nun Herr werden alles +Menschen-Schicksals—oh Ekel! Ekel! Ekel! +</p> + +<p> +<i>Das</i> frägt und frägt und wird nicht müde: „Wie erhält sich der Mensch, am +besten, am längsten, am angenehmsten?“ Damit—sind sie die Herrn von +Heute. +</p> + +<p> +Diese Herrn von Heute überwindet mir, oh meine Brüder,—diese kleinen +Leute: <i>die</i> sind des Übermenschen grösste Gefahr! +</p> + +<p> +Überwindet mir, ihr höheren Menschen, die kleinen Tugenden, die kleinen +Klugheiten, die Sandkorn-Rücksichten, den Ameisen-Kribbelkram, das erbärmliche +Behagen, das „Glück der Meisten“ —! +</p> + +<p> +Und lieber verzweifelt, als dass ihr euch ergebt. Und, wahrlich, ich liebe euch +dafür, dass ihr heute nicht zu leben wisst, ihr höheren Menschen! So nämlich +lebt <i>ihr</i>—am Besten! +</p> + +<h4>4.</h4> + +<p> +Habt ihr Muth, oh meine Brüder? Seid ihr herzhaft? <i>Nicht</i> Muth vor +Zeugen, sondern Einsiedler- und Adler-Muth, dem auch kein Gott mehr zusieht? +</p> + +<p> +Kalte Seelen, Maulthiere, Blinde, Trunkene heissen mir nicht herzhaft. Herz +hat, wer Furcht kennt, aber Furcht <i>zwingt</i>, er den Abgrund sieht, aber +mit <i>Stolz</i>. +</p> + +<p> +Wer den Abgrund sieht, aber mit Adlers-Augen, wer mit Adlers-Krallen den +Abgrund <i>fasst</i>: Der hat Muth.— +</p> + +<h4>5.</h4> + +<p> +„Der Mensch ist böse“ —so sprachen mir zum Troste alle Weisesten. Ach, +wenn es heute nur noch wahr ist! Denn das Böse ist des Menschen beste Kraft. +</p> + +<p> +„Der Mensch muss besser und böser werden“ —so lehre <i>ich</i>. Das +Böseste ist nöthig zu des Übermenschen Bestem. +</p> + +<p> +Das mochte gut sein für jenen Prediger der kleinen Leute, dass er litt und trug +an des Menschen Sünde. Ich aber erfreue mich der grossen Sünde als meines +grossen <i>Trostes</i>.— +</p> + +<p> +Solches ist aber nicht für lange Ohren gesagt. Jedwedes Wort gehört auch nicht +in jedes Maul. Das sind feine ferne Dinge: nach denen sollen nicht +Schafs-Klauen greifen! +</p> + +<h4>6.</h4> + +<p> +Ihr höheren Menschen, meint ihr, ich sei da, gut zu machen, was ihr schlecht +machtet? +</p> + +<p> +Oder ich wollte fürderhin euch Leidende bequemer betten? Oder euch Unstäten, +Verirrten, Verkletterten neue leichtere Fusssteige zeigen? +</p> + +<p> +Nein! Nein! Drei Mal Nein! Immer Mehr, immer Bessere eurer Art sollen zu Grunde +gehn,—denn ihr sollt es immer schlimmer und härter haben. So +allein— +</p> + +<p> +—so allein wächst der Mensch in <i>die</i> Höhe, wo der Blitz ihn trifft +und zerbricht: hoch genug für den Blitz! +</p> + +<p> +Auf Weniges, auf Langes, auf Fernes geht mein Sinn und meine Sehnsucht: was +gienge mich euer kleines, vieles, kurzes Elend an! +</p> + +<p> +Ihr leidet mir noch nicht genug! Denn ihr leidet an euch, ihr littet noch nicht +<i>am Menschen</i>. Ihr würdet lügen, wenn ihr’s anders sagtet! Ihr +leidet Alle nicht, woran ich litt.— +</p> + +<h4>7.</h4> + +<p> +Es ist mir nicht genug, dass der Blitz nicht mehr schadet. Nicht ableiten will +ich ihn: er soll lernen für <i>mich</i>—arbeiten.— +</p> + +<p> +Meine Weisheit sammlet sich lange schon gleich einer Wolke, sie wird stiller +und dunkler. So thut jede Weisheit, welche <i>einst</i> Blitze gebären +soll.— +</p> + +<p> +Diesen Menschen von Heute will ich nicht <i>Licht</i> sein, nicht Licht +heissen. <i>Die</i>—will ich blenden: Blitz meiner Weisheit! Stich ihnen +die Augen aus! +</p> + +<h4>8.</h4> + +<p> +Wollt Nichts über euer Vermögen: es giebt eine schlimme Falschheit bei Solchen, +die über ihr Vermögen wollen. +</p> + +<p> +Sonderlich, wenn sie grosse Dinge wollen! Denn sie wecken Misstrauen gegen +grosse Dinge, diese feinen Falschmünzer und Schauspieler:— +</p> + +<p> +—bis sie endlich falsch vor sich selber sind, schieläugig, übertünchter +Wurmfrass, bemäntelt durch starke Worte, durch Aushänge-Tugenden, durch +glänzende falsche Werke. +</p> + +<p> +Habt da eine gute Vorsicht, ihr höheren Menschen! Nichts nämlich gilt mir heute +kostbarer und seltner als Redlichkeit. +</p> + +<p> +Ist diess Heute nicht des Pöbels? Pöbel aber weiss nicht, was gross, was klein, +was gerade und redlich ist: der ist unschuldig krumm, der lügt immer. +</p> + +<h4>8.</h4> + +<p> +Habt heute ein gutes Misstrauen, ihr höheren Menschen, ihr Beherzten! Ihr +Offenherzigen! Und haltet eure Gründe geheim! Diess Heute nämlich ist des +Pöbels. +</p> + +<p> +Was der Pöbel ohne Gründe einst glauben lernte, wer könnte ihm durch Gründe Das +—umwerfen? +</p> + +<p> +Und auf dem Markte überzeugt man mit Gebärden. Aber Gründe machen den Pöbel +misstrauisch. +</p> + +<p> +Und wenn da einmal Wahrheit zum Siege kam, so fragt euch Mit gutem Misstrauen: +„welch starker Irrthum hat für sie gekämpft?“ +</p> + +<p> +Hütet euch auch vor den Gelehrten! Die hassen euch: denn sie sind unfruchtbar! +Sie haben kalte vertrocknete Augen, vor ihnen liegt jeder Vogel entfedert. +</p> + +<p> +Solche brüsten sich damit, dass sie nicht lügen: aber Ohnmacht zur Lüge ist +lange noch nicht Liebe zur Wahrheit. Hütet euch! +</p> + +<p> +Freiheit von Fieber ist lange noch nicht Erkenntniss! Ausgekälteten Geistern +glaube ich nicht. Wer nicht lügen kann, weiss nicht, was Wahrheit ist. +</p> + +<h4>10.</h4> + +<p> +Wollt ihr hoch hinaus, so braucht die eignen Beine! Lasst euch nicht empor +<i>tragen</i>, setzt euch nicht auf fremde Rücken und Köpfe! +</p> + +<p> +Du aber stiegst zu Pferde? Du reitest nun hurtig hinauf zu deinem Ziele? +Wohlan, mein Freund! Aber dein lahmer Fuss sitzt auch mit zu Pferde! +</p> + +<p> +Wenn du an deinem Ziele bist, wenn du von deinem Pferde springst: auf deiner +<i>Höhe</i> gerade, du höherer Mensch—wirst du stolpern! +</p> + +<h4>11.</h4> + +<p> +Ihr Schaffenden, ihr höheren Menschen! Man ist nur für das eigne Kind +schwanger. +</p> + +<p> +Lasst euch Nichts vorreden, einreden! Wer ist denn <i>euer</i> Nächster? Und +handelt ihr auch „für den Nächsten“ ,—ihr schafft doch nicht für ihn! +</p> + +<p> +Verlernt mir doch diess „Für“, ihr Schaffenden: eure Tugend gerade will es, +dass ihr kein Ding mit „für“ und „um“ und „weil“ thut. Gegen diese falschen +kleinen Worte sollt ihr euer Ohr zukleben. +</p> + +<p> +Das „für den Nächsten“ ist die Tugend nur der kleinen Leute: da heisst es +„gleich und gleich“ und „Hand wäscht Hand“:—sie haben nicht Recht noch +Kraft zu <i>eurem</i> Eigennutz! +</p> + +<p> +In eurem Eigennutz, ihr Schaffenden, ist der Schwangeren Vorsicht und +Vorsehung! Was Niemand noch mit Augen sah, die Frucht: die schirmt und schont +und nährt eure ganze Liebe. +</p> + +<p> +Wo eure ganze Liebe ist, bei eurem Kinde, da ist auch eure ganze Tugend! Euer +Werk, euer Wille ist <i>euer</i> „Nächster“: lasst euch keine falschen Werthe +einreden! +</p> + +<h4>12.</h4> + +<p> +Ihr Schaffenden, ihr höheren Menschen! Wer gebären muss, der ist krank; wer +aber geboren hat, ist unrein. +</p> + +<p> +Fragt die Weiber: man gebiert nicht, weil es Vergnügen macht. Der Schmerz macht +Hühner und Dichter gackern. +</p> + +<p> +Ihr Schaffenden, an euch ist viel Unreines. Das macht, ihr musstet Mütter sein. +</p> + +<p> +Ein neues Kind: oh wie viel neuer Schmutz kam auch zur Welt! Geht bei Seite! +Und wer geboren hat, soll seine Seele rein waschen! +</p> + +<h4>13.</h4> + +<p> +Seid nicht tugendhaft über eure Kräfte! Und wollt Nichts von euch wider die +Wahrscheinlichkeit! +</p> + +<p> +Geht in den Fusstapfen, wo schon eurer Väter Tugend gierig! Wie wolltet ihr +hoch steigen, wenn nicht eurer Väter Wille mit euch steigt? +</p> + +<p> +Wer aber Erstling sein will, sehe zu, dass er nicht auch Letztling werde! Und +wo die Laster eurer Väter sind, darin sollt ihr nicht Heilige bedeuten wollen! +</p> + +<p> +Wessen Väter es mit Weibern hielten und mit starken Weinen und Wildschweinen: +was wäre es, wenn Der von sich Keuschheit wollte? +</p> + +<p> +Eine Narrheit wäre es! Viel, wahrlich, dünkt es mich für einen Solchen, wenn er +Eines oder zweier oder dreier Weiber Mann ist. +</p> + +<p> +Und stiftete er Klöster und schriebe über die Thür: „der Weg zum +Heiligen,“—ich spräche doch: wozu! es ist eine neue Narrheit! +</p> + +<p> +Er stiftete sich selber ein Zucht- und Fluchthaus: wohl bekomm’s! Aber +ich glaube nicht daran. +</p> + +<p> +In der Einsamkeit wächst, was Einer in sie bringt, auch das innere Vieh. +Solchergestalt widerräth sich Vielen die Einsamkeit. +</p> + +<p> +Gab es Schmutzigeres bisher auf Erden als Wüsten-Heilige? <i>Um die</i> herum +war nicht nur der Teufel los,—sondern auch das Schwein. +</p> + +<h4>14.</h4> + +<p> +Scheu, beschämt, ungeschickt, einem Tiger gleich, dem der Sprung missrieth: +also, ihr höheren Menschen, sah ich oft euch bei Seite schleichen. Ein +<i>Wurf</i> missrieth euch. +</p> + +<p> +Aber, ihr Würfelspieler, was liegt daran! Ihr lerntet nicht spielen und +spotten, wie man spielen und spotten muss! Sitzen wir nicht immer an einem +grossen Spott- und Spieltische? +</p> + +<p> +Und wenn euch Grosses missrieth, seid ihr selber darum—missrathen? Und +missriethet ihr selber, missrieth darum—der Mensch? Missrieth aber der +Mensch: wohlan! wohlauf! +</p> + +<h4>15.</h4> + +<p> +Je höher von Art, je seltener geräth ein Ding. Ihr höheren Menschen hier, seid +ihr nicht alle—missgerathen? +</p> + +<p> +Seid guten Muths, was liegt daran! Wie Vieles ist noch möglich! Lernt über euch +selber lachen, wie man lachen muss! +</p> + +<p> +Was Wunders auch, dass ihr missriethet und halb geriethet, ihr +Halb-Zerbrochenen! Drängt und stösst sich nicht in euch—des Menschen +<i>Zukunft</i>? +</p> + +<p> +Des Menschen Fernstes, Tiefstes, Sternen-Höchstes, seine ungeheure Kraft: +schäumt Das nicht alles gegen einander in eurem Topfe? +</p> + +<p> +Was Wunders, dass mancher Topf zerbricht! Lernt über euch lachen, wie man +lachen muss! Ihr höheren Menschen, oh wie Vieles ist noch möglich! +</p> + +<p> +Und wahrlich, wie Viel gerieth schon! Wie reich ist diese Erde an kleinen guten +vollkommenen Dingen, an Wohlgerathenem! +</p> + +<p> +Stellt kleine gute vollkommne Dinge um euch, ihr höheren Menschen! Deren +goldene Reife heilt das Herz. Vollkommnes lehrt hoffen. +</p> + +<h4>16.</h4> + +<p> +Welches war hier auf Erden bisher die grösste Sünde? War es nicht das Wort +Dessen, der sprach: „Wehe Denen, die hier lachen!“ +</p> + +<p> +Fand er zum Lachen auf der Erde selber keine Gründe? So suchte er nur schlecht. +Ein Kind findet hier noch Gründe. +</p> + +<p> +Der—liebte nicht genug: sonst hätte er auch uns geliebt, die Lachenden! +Aber er hasste und höhnte uns, Heulen und Zähneklappern verhiess er uns. +</p> + +<p> +Muss man denn gleich fluchen, wo man nicht liebt? Das—dünkt mich ein +schlechter Geschmack. Aber so that er, dieser Unbedingte. Er kam vom Pöbel. +</p> + +<p> +Und er selber liebte nur nicht genug: sonst hätte er weniger gezürnt, dass man +ihn nicht liebe. Alle grosse Liebe <i>will</i> nicht Liebe:—die will +mehr. +</p> + +<p> +Geht aus dem Wege allen solchen Unbedingten! Das ist eine arme kranke Art, eine +Pöbel-Art: sie sehn schlimm diesem Leben zu, sie haben den bösen Blick für +diese Erde. +</p> + +<p> +Geht aus dem Wege allen solchen Unbedingten! Sie haben Schwere Füsse und +schwüle Herzen:—sie wissen nicht zu tanzen. Wie möchte Solchen wohl die +Erde leicht sein! +</p> + +<h4>17.</h4> + +<p> +Krumm kommen alle guten Dinge ihrem Ziele nahe. Gleich Katzen machen sie +Buckel, sie schnurren innewendig vor ihrem nahen Glücke,—alle guten Dinge +lachen. +</p> + +<p> +Der Schritt verräth, ob Einer schon auf <i>seiner</i> Bahn schreitet: so seht +mich gehn! Wer aber seinem Ziel nahe kommt, der tanzt. +</p> + +<p> +Und, wahrlich, zum Standbild ward ich nicht, noch stehe ich nicht da, starr, +stumpf, steinern, eine Säule; ich liebe geschwindes Laufen. +</p> + +<p> +Und wenn es auf Erden auch Moor und dicke Trübsal giebt: wer leichte Füsse hat, +läuft über Schlamm noch hinweg und tanzt wie auf gefegtem Eise. +</p> + +<p> +Erhebt eure Herzen, meine Brüder, hoch! höher! Und vergesst mir auch die Beine +nicht! Erhebt auch eure Beine, ihr guten Tänzer, und besser noch: ihr steht +auch auf dem Kopf! +</p> + +<h4>18.</h4> + +<p> +Diese Krone des Lachenden, diese Rosenkranz-Krone: ich selber setzte mir diese +Krone auf, ich selber sprach heilig mein Gelächter. Keinen Anderen fand ich +heute stark genug dazu. +</p> + +<p> +Zarathustra der Tänzer, Zarathustra der Leichte, der mit den Flügeln winkt, ein +Flugbereiter, allen Vögeln zuwinkend, bereit und fertig, ein +Selig-Leichtfertiger:— +</p> + +<p> +Zarathustra der Wahrsager, Zarathustra der Wahrlacher, kein Ungeduldiger, kein +Unbedingter, Einer, der Sprünge und Seitensprünge liebt; ich selber setzte mir +diese Krone auf! +</p> + +<h4>19.</h4> + +<p> +Erhebt eure Herzen, meine Brüder, hoch! höher! Und vergesst mir auch die Beine +nicht! Erhebt auch eure Beine, ihr guten Tänzer, und besser noch: ihr steht +auch auf dem Kopf! +</p> + +<p> +Es giebt auch im Glück schweres Gethier, es giebt Plumpfüssler von Anbeginn. +Wunderlich müht sie sich ab, einem Elephanten gleich, der sich müht auf dem +Kopf zu stehn. +</p> + +<p> +Besser aber noch närrisch sein vor Glücke als närrisch vor Unglücke, besser +plump tanzen als lahm gehn. So lernt mir doch meine Weisheit ab: auch das +schlimmste Ding hat zwei gute Kehrseiten,— +</p> + +<p> +—auch das schlimmste Ding hat gute Tanzbeine: so lernt mir doch euch +selbst, ihr höheren Menschen, auf eure rechten Beine stellen! +</p> + +<p> +So verlernt mir doch Trübsal-Blasen und alle Pöbel-Traurigkeit! Oh wie traurig +dünken mich heute des Pöbels Hanswürste noch! Diess Heute aber ist des Pöbels. +</p> + +<h4>20.</h4> + +<p> +Dem Winde thut mir gleich, wenn er aus seinen Berghöhlen stürzt: nach seiner +eignen Pfeife will er tanzen, die Meere zittern und hüpfen unter seinen +Fusstapfen. +</p> + +<p> +Der den Eseln Flügel giebt, der Löwinnen melkt, gelobt sei dieser gute +unbändige Geist, der allem Heute und allem Pöbel wie ein Sturmwind +kommt,— +</p> + +<p> +—der Distel- und Tiftelköpfen feind ist und allen welken Blättern und +Unkräutern: gelobt sei dieser wilde gute freie Sturmgeist, welcher auf Mooren +und Trübsalen wie auf Wiesen tanzt! +</p> + +<p> +Der die Pöbel-Schwindhunde hasst und alles missrathene düstere Gezücht: gelobt +sei dieser Geist aller freien Geister, der lachende Sturm, welcher allen +Schwarzsichtigen, Schwärsüchtigen Staub in die Augen bläst! +</p> + +<p> +Ihr höheren Menschen, euer Schlimmstes ist: ihr lerntet alle nicht tanzen, wie +man tanzen muss—über euch hinweg tanzen! Was liegt daran, dass ihr +missriethet! +</p> + +<p> +Wie Vieles ist noch möglich! So <i>lernt</i> doch über euch hinweg lachen! +Erhebt eure Herzen, ihr guten Tänzer, hoch! höher! Und vergesst mir auch das +gute Lachen nicht! +</p> + +<p> +Diese Krone des Lachenden, diese Rosenkranz-Krone: euch, meinen Brüdern, werfe +ich diese Krone zu! Das Lachen sprach ich heilig; ihr höheren Menschen, +<i>lernt</i> mir—lachen! +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap76"></a>Das Lied der Schwermuth</h3> + +<h4>1.</h4> + +<p> +Als Zarathustra diese Reden sprach, stand er nahe dem Eingange seiner Höhle; +mit den letzten Worten aber entschlüpfte er seinen Gästen und floh für eine +kurze Weile in’s Freie. +</p> + +<p> +„Oh reine Gerüche um mich, rief er aus, oh selige Stille um mich! Aber wo sind +meine Thiere? Heran, heran, mein Adler und meine Schlange! +</p> + +<p> +Sagt mir doch, meine Thiere: diese höheren Menschen +insgesammt—<i>riechen</i> sie vielleicht nicht gut? Oh reine Gerüche um +mich! Jetzo weiss und fühle ich erst, wie ich euch, meine Thiere, liebe.“ +</p> + +<p> +—Und Zarathustra sprach nochmals: „ich liebe euch, meine Thiere!“ Der +Adler aber und die Schlange drängten sich an ihn, als er diese Worte sprach, +und sahen zu ihm hinauf. Solchergestalt waren sie zu drei still beisammen und +schnüffelten und schlürften mit einander die gute Luft. Denn die Luft war hier +draussen besser als bei den höheren Menschen. +</p> + +<h4>2.</h4> + +<p> +Kaum aber hatte Zarathustra seine Höhle verlassen, da erhob sich der alte +Zauberer, sah listig umher und sprach: „Er ist hinaus! +</p> + +<p> +Und schon, ihr höheren Menschen—dass ich euch mit diesem Lob- und +Schmeichel-Namen kitzle, gleich ihm selber—schon fällt mich mein +schlimmer Trug- und Zaubergeist an, mein schwermüthiger Teufel, +</p> + +<p> +—welcher diesem Zarathustra ein Widersacher ist aus dem Grunde: vergebt +es ihm! Nun will er vor euch zaubern, er hat gerade <i>seine</i> Stunde; +umsonst ringe ich mit diesem bösen Geiste. +</p> + +<p> +Euch Allen, welche Ehren ihr euch mit Worten geben mögt, ob ihr euch „die +freien Geister“ nennt oder „die Wahrhaftigen“ oder „die +Büsser des Geistes“ oder „die Entfesselten“ oder „die +grossen Sehnsüchtigen“— +</p> + +<p> +—euch Allen, die ihr <i>am grossen Ekel</i> leidet gleich mir, denen der +alte Gott starb und noch kein neuer Gott in Wiegen und Windeln +liegt,—euch Allen ist mein böser Geist und Zauber-Teufel hold. +</p> + +<p> +Ich kenne euch, ihr höheren Menschen, ich kenne ihn,—ich kenne auch +diesen Unhold, den ich wider Willen liebe, diesen Zarathustra: er selber dünkt +mich öfter gleich einer schönen Heiligen-Larve, +</p> + +<p> +—gleich einem neuen wunderlichen Mummenschanze, in dem sich mein böser +Geist, der schwermüthige Teufel, gefällt:—ich liebe Zarathustra, so dünkt +mich oft, um meines bösen Geistes Willen.— +</p> + +<p> +Aber schon fällt <i>der</i> mich an und zwingt mich, dieser Geist der +Schwermuth, dieser Abend-Dämmerungs-Teufel: und, wahrlich, ihr höheren +Menschen, es gelüstet ihn— +</p> + +<p> +—macht nur die Augen auf!—es gelüstet ihn, <i>nackt</i> zu kommen, +ob männlich, ob weiblich, noch weiss ich’s nicht: aber er kommt, er +zwingt mich, wehe! macht eure Sinne auf! +</p> + +<p> +Der Tag klingt ab, allen Dingen kommt nun der Abend, auch den besten Dingen; +hört nun und seht, ihr höheren Menschen, welcher Teufel, ob Mann, ob Weib, +dieser Geist der Abend-Schwermuth ist!“ +</p> + +<p> +Also sprach der alte Zauberer, sah listig umher und griff dann zu seiner Harfe. +</p> + +<h4>3.</h4> + +<p class="noindent"> +Bei abgehellter Luft,<br/> +Wenn schon des Thau’s Tröstung<br/> +Zur Erde niederquillt,<br/> +Unsichtbar, auch ungehört:<br/> +—Denn zartes Schuhwerk trägt<br/> +Der Tröster Thau gleich allen Trost-Milden—:<br/> +Gedenkst du da, gedenkst du, heisses Herz,<br/> +Wie einst du durstetest,<br/> +Nach himmlischen Thränen und Thau-Geträufel<br/> +Versengt und müde durstetest,<br/> +Dieweil auf gelben Gras-Pfaden<br/> +Boshaft abendliche Sonnenblicke<br/> +Durch schwarze Bäume um dich liefen,<br/> +Blendende Sonnen-Gluthblicke, schadenfrohe.<br/><br/> +</p> + +<p class="noindent"> +„Der <i>Wahrheit</i> Freier? Du?—so höhnten +sie—<br/> +Nein! Nur ein Dichter!<br/> +Ein Thier, ein listiges, raubendes, schleichendes,<br/> +Das lügen muss,<br/> +Das wissentlich, willentlich lügen muss:<br/> +Nach Beute lüstern,<br/> +Bunt verlarvt,<br/> +Sich selber Larve,<br/> +Sich selbst zur Beute—<br/> +<i>Das</i>—der Wahrheit Freier? Nein!<br/> +Nur Narr! Nur Dichter!<br/> +Nur Buntes redend,<br/> +Aus Narren-Larven bunt herausschreiend,<br/> +Herumsteigend auf lügnerischen Wort-Brücken,<br/> +Auf bunten Regenbogen,<br/> +Zwischen falschen Himmeln<br/> +Und falschen Erden,<br/> +Herumschweifend, herumschwebend,—<br/> +<i>Nur</i> Narr! <i>Nur</i> Dichter!...<br/><br/> +</p> + +<p class="noindent"> +<i>Das</i>—der Wahrheit Freier?<br/> +Nicht still, starr, glatt, kalt,<br/> +Zum Bilde worden,<br/> +Zur Gottes-Säule,<br/> +Nicht aufgestellt vor Tempeln,<br/> +Eines Gottes Thürwart:<br/> +Nein! Feindselig solchen Wahrheits-Standbildern,<br/> +In jeder Wildniss heimischer als vor Tempeln,<br/> +Voll Katzen-Muthwillens,<br/> +Durch jedes Fenster springend<br/> +Husch! in jeden Zufall,<br/> +Jedem Urwalde zuschnüffelnd,<br/> +Süchtig-sehnsüchtig zuschnüffelnd,<br/> +Dass du in Urwäldern<br/> +Unter buntgefleckten Raubthieren<br/> +Sündlich-gesund und bunt und schön liefest,<br/> +Mit lüsternen Lefzen,<br/> +Selig-höhnisch, selig-höllisch, selig-blutgierig,<br/> +Raubend, schleichend, lügend liefest:...<br/><br/> +</p> + +<p class="noindent"> +Oder, dem Adler gleich, der lange,<br/> +Lange starr in Abgründe blickt,<br/> +In <i>seine</i> Abgründe:...<br/> +-- Oh wie sie sich hier hinab,<br/> +Hinunter, hinein,<br/> +In immer tiefere Tiefen ringeln!—<br/> +Dann,<br/> +Plötzlich,<br/> +geraden Zugs,<br/> +Gezückten Flugs,<br/> +Auf Lämmer stossen,<br/> +Jach hinab, heisshungrig,<br/> +Nach Lämmern lüstern,<br/> +Gram allen Lamms-Seelen,<br/> +Grimmig-gram Allem, was blickt<br/> +Schafmässig, lammäugig, krauswollig,<br/> +Grau, mit Lamms-Schafs-Wohlwollen!<br/><br/> +</p> + +<p class="noindent"> +Also<br/> +Adlerhaft, pantherhaft<br/> +Sind des Dichters Sehnsüchte,<br/> +Sind <i>deine</i> Sehnsüchte unter tausend Larven,<br/> +Du Narr! Du Dichter!<br/><br/> +</p> + +<p class="noindent"> +Der du den Menschen schautest<br/> +So Gott als Schaf—:<br/> +Den Gott <i>zerreissen</i> im Menschen<br/> +Wie das Schaf im Menschen,<br/> +Und zerreisend <i>lachen</i>—<br/><br/> +</p> + +<p class="noindent"> +<i>Das</i>, <i>Das</i> ist deine Seligkeit! Eines Panthers +und Adlers Seligkeit! Eines Dichters und Narren Seligkeit!“— +</p> + +<p class="noindent"> +Bei abgehellter Luft,<br/> +Wenn schon des Monds Sichel<br/> +Grün zwischen Purpurröthen<br/> +Und neidisch hinschleicht:<br/> +—dem Tage feind,<br/> +Mit jedem Schritte heimlich<br/> +An Rosen-Hängematten<br/> +Hinsichelnd, bis sie sinken,<br/> +Nacht-abwärts blass hinabsinken:<br/><br/> +</p> + +<p class="noindent"> +So sank ich selber einstmals<br/> +Aus meinem Wahrheits-Wahnsinne,<br/> +Aus meinen Tages-Sehnsüchten,<br/> +Des Tages müde, krank vom Lichte,<br/> +—sank abwärts, abendwärts, schattenwärts:<br/> +Von Einer Wahrheit<br/> +Verbrannt und durstig:<br/> +—gedenkst du noch, gedenkst du, heisses Herz,<br/> +Wie da du durstetest?—<br/> +Dass ich verbannt sei<br/> +Von <i>aller</i> Wahrheit,<br/> +Nur Narr! Nur Dichter! +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap77"></a>Von der Wissenschaft</h3> + +<p> +Also sang der Zauberer; und Alle, die beisammen waren, giengen gleich Vögeln +unvermerkt in das Netz seiner listigen und schwermüthigen Wollust. Nur der +Gewissenhafte des Geistes war nicht eingefangen: er nahm flugs dem Zauberer die +Harfe weg und rief „Luft! Lasst gute Luft herein! Lass Zarathustra herein! Du +machst diese Höhle schwül und giftig, du schlimmer alter Zauberer! +</p> + +<p> +Du verfährst, du Falscher, Feiner, zu unbekannten Begierden und Wildnissen. Und +wehe, wenn Solche, wie du, von der <i>Wahrheit</i> Redens und Wesens machen! +</p> + +<p> +Wehe allen freien Geistern, welche nicht vor <i>solchen</i> Zauberern auf der +Hut sind! Dahin ist es mit ihrer Freiheit: du lehrst und lockst zurück in +Gefängnisse,— +</p> + +<p> +—du alter schwermüthiger Teufel, aus deiner Klage klingt eine Lockpfeife, +du gleichst Solchen, welche mit ihrem Lobe der Keuschheit heimlich zu Wollüsten +laden!“ +</p> + +<p> +Also sprach der Gewissenhafte; der alte Zauberer aber blickte um sich, genoss +seines Sieges und verschluckte darüber den Verdruss, welchen ihm der +Gewissenhafte machte. „Sei still! sagte er mit bescheidener Stimme, gute Lieder +wollen gut wiederhallen; nach guten Liedern soll man lange schweigen. +</p> + +<p> +So thun es diese Alle, die höheren Menschen. Du aber hast wohl Wenig von meinem +Lied verstanden? In dir ist Wenig von einem Zaubergeiste.“ +</p> + +<p> +„Du lobst mich, entgegnete der Gewissenhafte, indem du mich von dir abtrennst, +wohlan! Aber ihr Anderen, was sehe ich? Ihr sitzt alle noch mit lüsternen Augen +da—: +</p> + +<p> +Ihr freien Seelen, wohin ist eure Freiheit! Fast, dünkt mich’s, gleicht +ihr Solchen, die lange schlimmen tanzenden nackten Mädchen zusahn: eure Seelen +tanzen selber! +</p> + +<p> +In euch, ihr höheren Menschen, muss Mehr von Dem sein, was der Zauberer seinen +bösen Zauber- und Truggeist nennt:—wir müssen wohl verschieden sein. +</p> + +<p> +Und wahrlich, wir sprachen und dachten genug mitsammen, ehe Zarathustra heimkam +zu seiner Höhle, als dass ich nicht wüsste: wir <i>sind</i> verschieden. +</p> + +<p> +Wir <i>suchen</i> Verschiednes auch hier oben, ihr und ich. Ich nämlich suche +<i>mehr Sicherheit</i>, desshalb kam ich zu Zarathustra. Der nämlich ist noch +der festeste Thurm und Wille— +</p> + +<p> +—heute, wo Alles wackelt, wo alle Erde bebt. Ihr aber, wenn ich eure +Augen sehe, die ihr macht, fast dünkt mich’s, ihr sucht mehr +<i>Unsicherheit</i>, +</p> + +<p> +—mehr Schauder, mehr Gefahr, mehr Erdbeben. Euch gelüstet, fast dünkt +mich’s so, vergebt meinem Dünkel, ihr höheren Menschen— +</p> + +<p> +—euch gelüstet nach dem schlimmsten gefährlichsten Leben, das <i>mir</i> +am meisten Furcht macht, nach dem Leben wilder Thiere, nach Wäldern, Höhlen, +steilen Bergen und Irr- Schlünden. +</p> + +<p> +Und nicht die Führer <i>aus</i> der Gefahr gefallen euch am besten, sondern die +euch von allen Wegen abführen, die Verführer. Aber, wenn solch Gelüsten an euch +<i>wirklich</i> ist, so dünkt es mich trotzdem <i>unmöglich</i>. +</p> + +<p> +Furcht nämlich—das ist des Menschen Erb- und Grundgefühl; aus der Furcht +erklärt sich jegliches, Erbsünde und Erbtugend. Aus der Furcht wuchs auch +<i>meine</i> Tugend, die heisst: Wissenschaft. +</p> + +<p> +Die Furcht nämlich vor wildem Gethier—die wurde dem Menschen am längsten +angezüchtet, einschliesslich das Thier, das er in sich selber birgt und +fürchtet:—Zarathustra heisst es „das innere Vieh“. +</p> + +<p> +Solche lange alte Furcht, endlich fein geworden, geistlich, +geistig—heute, dünkt mich, heisst sie: Wissenschaft.“— +</p> + +<p> +Also sprach der Gewissenhafte; aber Zarathustra, der eben in seine Höhle +zurückkam und die letzte Rede gehört und errathen hatte, warf dem +Gewissenhaften eine Hand voll Rosen zu und lachte ob seiner „Wahrheiten“ . „Wie! +rief er, was hörte ich da eben? Wahrlich, mich dünkt, du bist ein Narr oder ich +selber bin’s: und deine „Wahrheit“ stelle ich rucks und flugs +auf den Kopf. +</p> + +<p> +<i>Furcht</i> nämlich—ist unsre Ausnahme. Muth aber und Abenteuer und +Lust am Ungewissen, am Ungewagten,—<i>Muth</i> dünkt mich des Menschen +ganze Vorgeschichte. +</p> + +<p> +Den wildesten muthigsten Thieren hat er alle ihre Tugenden abgeneidet und +abgeraubt: so erst wurde er—zum Menschen. +</p> + +<p> +<i>Dieser</i> Muth, endlich fein geworden, geistlich, geistig, dieser +Menschen-Muth mit Adler-Flügeln und Schlangen-Klugheit: <i>der</i>, dünkt mich, +heisst heute—„ +</p> + +<p> +„Zarathustra“! schrien Alle, die beisammen sassen, wie aus Einem Munde und +machten dazu ein grosses Gelächter; es hob sich aber von ihnen wie eine schwere +Wolke. Auch der Zauberer lachte und sprach mit Klugheit: „Wohlan! Er ist davon, +mein böser Geist! +</p> + +<p> +Und habe ich euch nicht selber vor ihm gewarnt, als ich sagte, dass er ein +Betrüger sei, ein Lug- und Truggeist? +</p> + +<p> +Sonderlich nämlich, wenn er sich nackend zeigt. Aber was kann <i>ich</i> für +seine Tücken! Habe <i>ich</i> ihn und die Welt geschaffen? +</p> + +<p> +Wohlan! Seien wir wieder gut und guter Dinge! Und ob schon Zarathustra böse +blickt—seht ihn doch! er ist mir gram—: +</p> + +<p> +—bevor die Nacht kommt, lernt er wieder, mich lieben und loben, er kann +nicht lange leben, ohne solche Thorheiten zu thun. +</p> + +<p> +<i>Der</i>—liebt seine Feinde: diese Kunst versteht er am besten von +Allen, die ich sah. Aber er nimmt Rache dafür—an seinen Freunden!“ +</p> + +<p> +Also sprach der alte Zauberer, und die höheren Menschen zollten ihm Beifall: so +dass Zarathustra herumgieng und mit Bosheit und Liebe seinen Freunden die Hände +schüttelte,—gleichsam als Einer, der an Allen Etwas gutzumachen und +abzubitten hat. Als er aber dabei an die Thür seiner Höhle kam, siehe, da +gelüstete ihn schon wieder nach der guten Luft da draussen und nach seinen +Thieren,—und er wollte hinaus schlüpfen. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap78"></a>Unter Töchtern der Wüste</h3> + +<h4>1.</h4> + +<p> +„Gehe nicht davon! sagte da der Wanderer, welcher sich den Schatten +Zarathustra’s nannte, bleibe bei uns, es möchte uns sonst die alte dumpfe +Trübsal wieder anfallen. +</p> + +<p> +Schon gab uns jener alte Zauberer von seinem Schlimmsten zum Besten, und siehe +doch, der gute fromme Papst da hat Thränen in den Augen und hat sich ganz +wieder auf’s Meer der Schwermuth eingeschifft. +</p> + +<p> +Diese Könige mögen wohl vor uns noch gute Miene machen: das lernten <i>Die</i> +nämlich von uns Allen heute am Besten! Hätten sie aber keine Zeugen, ich wette, +auch bei ihnen fienge das böse Spiel wieder an— +</p> + +<p> +—das böse Spiel der ziehenden Wolken, der feuchten Schwermuth, der +verhängten Himmel, der gestohlenen Sonnen, der heulenden Herbst-Winde, +</p> + +<p> +—das böse Spiel unsres Heulens und Nothschreiens: bleibe bei uns, oh +Zarathustra! Hier ist viel verborgenes Elend, das reden will, viel Abend, viel +Wolke, viel dumpfe Luft! +</p> + +<p> +Du nährtest uns mit starker Manns-Kost und kräftigen Sprüchen: lass es nicht +zu, dass uns zum Nachtisch die weichlichen weiblichen Geister wieder anfallen! +</p> + +<p> +Du allein machst die Luft um dich herum stark und klar! Fand ich je auf Erden +so gute Luft als bei dir in deiner Höhle? +</p> + +<p> +Viele Länder sah ich doch, meine Nase lernte vielerlei Luft prüfen und +abschätzen: aber bei dir schmecken meine Nüstern ihre grösste Lust! +</p> + +<p> +Es sei denn,—es sei denn—, oh vergieb eine alte Erinnerung! Vergieb +mir ein altes Nachtisch-Lied, das ich einst unter Töchtern der Wüste +dichtete:— +</p> + +<p> +—bei denen nämlich gab es gleich gute helle morgenländische Luft; dort +war ich am fernsten vom wolkigen feuchten schwermüthigen Alt-Europa! +</p> + +<p> +Damals liebte ich solcherlei Morgenland-Mädchen und andres blaues Himmelreich, +über dem keine Wolken und keine Gedanken hängen. +</p> + +<p> +Ihr glaubt es nicht, wie artig sie dasassen, wenn sie nicht tanzten, tief, aber +ohne Gedanken, wie kleine Geheimnisse, wie bebänderte Räthsel, wie +Nachtisch-Nüsse— +</p> + +<p> +bunt und fremd fürwahr! aber ohne Wolken: Räthsel, die sich rathen lassen: +solchen Mädchen zu Liebe erdachte ich damals einen Nachtisch-Psalm.“ +</p> + +<p> +Also sprach der Wanderer und Schatten; und ehe Jemand ihm antwortete, hatte er +schon die Harfe des alten Zauberers ergriffen, die Beine gekreuzt und blickte +gelassen und weise um sich:—mit den Nüstern aber zog er langsam und +fragend die Luft ein, wie Einer, der in neuen Ländern neue fremde Luft kostet. +Darauf hob er mit einer Art Gebrüll zu singen an. +</p> + +<h4>2.</h4> + +<p> +Die Wüste wächst: weh Dem, der Wüsten birgt! +</p> + +<p class="noindent"> +—Ha! Feierlich!<br/> +In der That feierlich!<br/> +Ein würdiger Anfang!<br/> +Afrikanisch feierlich!<br/> +Eines Löwen würdig,<br/> +Oder eines moralischen Brüllaffen—<br/> +—aber Nichts für euch,<br/> +Ihr allerliebsten Freundinnen,<br/> +Zu deren Füssen mir<br/> +Zum ersten Male,<br/> +Einem Europäer, unter Palmen<br/> +Zu sitzen vergönnt ist. Sela.<br/><br/> +</p> + +<p class="noindent"> +Wunderbar wahrlich!<br/> +Da sitze ich nun,<br/> +Der Wüste nahe und bereits<br/> +So fern wieder der Wüste,<br/> +Auch in Nichts noch verwüstet:<br/> +Nämlich hinabgeschluckt<br/> +Von dieser kleinsten Oasis—:<br/> +—sie sperrte gerade gähnend<br/> +Ihr liebliches Maul auf.<br/> +Das wohlriechendste aller Mäulchen:<br/> +Da fiel ich hinein,<br/> +Hinab, hindurch—unter euch,<br/> +Ihr allerliebsten Freundinnen! Sela.<br/><br/> +</p> + +<p class="noindent"> +Heil, Heil jenem Wallfische,<br/> +Wenn er also es seinem Gaste<br/> +Wohl sein liess!—ihr versteht<br/> +Meine gelehrte Anspielung?<br/> +Heil seinem Bauche,<br/> +Wenn er also<br/> +Ein so lieblicher Oasis-Bauch war<br/> +Gleich diesem: was ich aber in Zweifel ziehe,<br/> +—dafür komme ich aus Europa,<br/> +Das zweifelsüchtiger ist als alle<br/> +Ältlichen Eheweibchen.<br/> +Möge Gott es bessern!<br/> +Amen!<br/><br/> +</p> + +<p class="noindent"> +Da sitze ich nun,<br/> +In dieser kleinsten Oasis,<br/> +Einer Dattel gleich,<br/> +Braun, durchsüsst, goldschwürig, lüstern<br/> +Nach einem runden Mädchenmunde,<br/> +Mehr noch aber nach mädchenhaften<br/> +Eiskalten schneeweissen schneidigen<br/> +Beisszähnen: nach denen nämlich<br/> +Lechzt das Herz allen heissen Datteln. Sela.<br/><br/> +</p> + +<p class="noindent"> +Den genannten Südfrüchten<br/> +Ähnlich, allzuähnlich<br/> +Liege ich hier, von kleinen<br/> +Flügelkäfern<br/> +Umtänzelt und umspielt,<br/> +Insgleichen von noch kleineren<br/> +Thörichteren boshafteren<br/> +Wünschen und Einfällen,<br/> +Umlagert von euch,<br/> +Ihr stummen, ihr ahnungsvollen<br/> +Mädchen-Katzen,<br/> +Dudu und Suleika,<br/> +—<i>umsphinxt</i>, dass ich in Ein Wort<br/> +Viel Gefühle stopfe:<br/> +(Vergebe mir Gott<br/> +Diese Sprach-Sünde!)<br/> +—sitze hier, die beste Luft schnüffelnd,<br/> +Paradieses-Luft wahrlich,<br/> +Lichte leichte Luft, goldgestreifte,<br/> +So gute Luft nur je<br/> +Vom Monde herabfiel—<br/> +Sei es aus Zufall,<br/> +Oder geschah es aus Übermuthe?<br/> +Wie die alten Dichter erzählen.<br/> +Ich Zweifler aber ziehe es<br/> +In Zweifel, dafür aber komme ich<br/> +Aus Europa,<br/> +Das zweifelsüchtiger ist als alle<br/> +Ältlichen Eheweibchen.<br/> +Möge Gott es bessern!<br/> +Amen!<br/><br/> +</p> + +<p class="noindent"> +Diese schönste Luft trinkend,<br/> +Mit Nüstern geschwellt gleich Bechern, Ohne Zukunft, ohne Erinnerungen,<br/> +So sitze ich hier, ihr<br/> +Allerliebsten Freundinnen,<br/> +Und sehe der Palme zu,<br/> +Wie sie, einer Tänzerin gleich,<br/> +Sich biegt und schmiegt und in der Hüfte wiegt,<br/> +—man thut es mit, sieht man lange zu!<br/> +Einer Tänzerin gleich, die, wie mir scheinen will,<br/> +Zu lange schon, gefährlich lange<br/> +Immer, immer nur auf Einem Beine stand?<br/> +—da vergass sie darob, wie mir scheinen will,<br/> +Das andre Beinchen?<br/> +Vergebens wenigstens<br/> +Suchte ich das vermisste Zwillings-Kleinod<br/> +—nämlich das andre Bein—<br/> +In der heiligen Nähe<br/> +Ihres allerliebsten, allerzierlichsten<br/> +Fächer- und Flatter- und Flitterröckchens.<br/> +ja, wenn ihr mir, ihr schönen Freundinnen,<br/> +Ganz glauben wollt:<br/> +Sie hat es verloren!<br/> +Es ist dahin!<br/> +Auf ewig dahin!<br/> +Das andre Bein!<br/> +Oh schade um dieses liebliche andre Bein!<br/> +Wo—mag es wohl weilen und verlassen trauern?<br/> +Das einsame Bein?<br/> +In Furcht vielleicht vor einem<br/> +Grimmen gelben blondgelockten<br/> +Löwen-Unthiere? Oder gar schon<br/> +Abgenagt, abgeknabbert—<br/> +Erbärmlich, wehe! wehe! abgeknabbert! Sela.<br/><br/> +</p> + +<p class="noindent"> +Oh weint mir nicht,<br/> +Weiche Herzen!<br/> +Weint mir nicht, ihr<br/> +Dattel-Herzen! Milch-Busen!<br/> +Ihr Süssholz-Herz-<br/> +Beutelchen!<br/> +Weine nicht mehr,<br/> +Bleiche Dudu!<br/> +Sei ein Mann, Suleika! Muth! Muth!<br/> +—Oder sollte vielleicht<br/> +Etwas Stärkendes, Herz-Stärkendes,<br/> +Hier am Platze sein?<br/> +Ein gesalbter Spruch?<br/> +Ein feierlicher Zuspruch?—<br/><br/> +</p> + +<p class="noindent"> +Ha! Herauf, Würde!<br/> +Tugend-Würde! Europäer-Würde!<br/> +Blase, blase wieder,<br/> +Blasebalg der Tugend!<br/> +Ha!<br/> +Noch Ein Mal brüllen,<br/> +Moralisch brüllen!<br/> +Als moralischer Löwe<br/> +Vor den Töchtern der Wüste brüllen!<br/> +—Denn Tugend-Geheul,<br/> +Ihr allerliebsten Mädchen,<br/> +Ist mehr als Alles<br/> +Europäer-Inbrunst, Europäer-Heisshunger!<br/> +Und da stehe ich schon,<br/> +Als Europäer,<br/> +Ich kann nicht anders, Gott helfe mir!<br/> +Amen!<br/><br/> +</p> + +<p> +Die Wüste wächst: weh Dem, der Wüsten birgt! +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap79"></a>Die Erweckung</h3> + +<h4>1.</h4> + +<p> +Nach dem Liede des Wanderers und Schattens wurde die Höhle mit Einem Male voll +Lärmens und Lachens; und da die versammelten Gäste alle zugleich redeten, und +auch der Esel, bei einer solchen Ermuthigung, nicht mehr still blieb, überkam +Zarathustra ein kleiner Widerwille und Spott gegen seinen Besuch: ob er sich +gleich ihrer Fröhlichkeit erfreute. Denn sie dünkte ihm ein Zeichen der +Genesung. So schlüpfte er hinaus in’s Freie und sprach zu seinen Thieren. +</p> + +<p> +„Wo ist nun ihre Noth hin? sprach er, und schon athmete er selber von seinem +kleinen Überdrusse auf,—bei mir verlernten sie, wie mich dünkt, das +Nothschrein! +</p> + +<p> +—wenn auch, leider, noch nicht das Schrein.“ Und Zarathustra hielt sich +die Ohren zu, denn eben mischte sich das I-A des Esels wunderlich mit dem +Jubel-Lärm dieser höheren Menschen. +</p> + +<p> +„Sie sind lustig, begann er wieder, und wer weiss? vielleicht auf ihres Wirthes +Unkosten; und lernten sie von mir lachen, so ist es doch nicht <i>mein</i> +Lachen, das sie lernten. +</p> + +<p> +Aber was liegt daran! Es sind alte Leute: sie genesen auf ihre Art, sie lachen +auf ihre Art; meine Ohren haben schon Schlimmeres erduldet und wurden nicht +unwirsch. +</p> + +<p> +Dieser Tag ist ein Sieg: er weicht schon, er flieht, <i>der Geist der +Schwere</i>, mein alter Erzfeind! Wie gut will dieser Tag enden, der so schlimm +und schwer begann! +</p> + +<p> +Und enden <i>will</i> er. Schon kommt der Abend: über das Meer her reitet er, +der gute Reiter! Wie er sich wiegt, der Selige, Heimkehrende, in seinen +purpurnen Sätteln! +</p> + +<p> +Der Himmel blickt klar dazu, die Welt liegt tief: oh all ihr Wunderlichen, die +ihr zu mir kamt, es lohnt sich schon, bei mir zu leben!“ +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra. Und wieder kam da das Geschrei und Gelächter der +höheren Menschen aus der Höhle: da begann er von Neuem. +</p> + +<p> +„Sie beissen an, mein Köder wirkt, es weicht auch ihnen ihr Feind, der Geist +der Schwere. Schon lernen sie über sich selber lachen: höre ich recht? +</p> + +<p> +Meine Manns-Kost wirkt, mein Saft- und Kraft-Spruch: und wahrlich, ich nährte +sie nicht mit Bläh-Gemüsen! Sondern mit Krieger-Kost, mit Eroberer-Kost: neue +Begierden weckte ich. +</p> + +<p> +Neue Hoffnungen sind in ihren Armen und Beinen, ihr Herz streckt sich aus. Sie +finden neue Worte, bald wird ihr Geist Muthwillen athmen. +</p> + +<p> +Solche Kost mag freilich nicht für Kinder sein, noch auch für sehnsüchtige alte +und junge Weibchen. Denen überredet man anders die Eingeweide; deren Arzt und +Lehrer bin ich nicht. +</p> + +<p> +Der <i>Ekel</i> weicht diesen höheren Menschen: wohlan! das ist mein Sieg. In +meinem Reiche werden sie sicher, alle dumme Scham läuft davon, sie schütten +sich aus. +</p> + +<p> +Sie schütten ihr Herz aus, gute Stunden kehren ihnen zurück, sie feiern und +käuen wieder,—sie werden <i>dankbar</i>. +</p> + +<p> +<i>Das</i> nehme ich als das beste Zeichen: sie werden dankbar. Nicht lange +noch, und sie denken sich Feste aus und stellen Denksteine ihren alten Freuden +auf. +</p> + +<p> +Es sind <i>Genesende</i>!“ Also sprach Zarathustra fröhlich zu seinem Herzen +und schaute hinaus; seine Thiere aber drängten sich an ihn und ehrten sein +Glück und sein Stillschweigen. +</p> + +<h4>2.</h4> + +<p> +Plötzlich aber erschrak das Ohr Zarathustra’s: die Höhle nämlich, welche +bisher voller Lärmens und Gelächters war, wurde mit Einem Male +todtenstill;—seine Nase aber roch einen wohlriechenden Qualm und +Weihrauch, wie von brennenden Pinien-Zapfen. +</p> + +<p> +„Was geschieht? Was treiben sie?“ fragte er sich und schlich zum Eingange +heran, dass er seinen Gästen, unvermerkt, zusehn könne. Aber, Wunder über +Wunder! was musste er da mit seinen eignen Augen sehn! +</p> + +<p> +„Sie sind Alle wieder <i>fromm</i> geworden, sie <i>beten</i>, sie sind toll!“ +—sprach er und verwundene sich über die Maassen. Und, fürwahr!, alle diese +höheren Menschen, die zwei Könige, der Papst ausser Dienst, der schlimme +Zauberer, der freiwillige Bettler, der Wanderer und Schatten, der alte +Wahrsager, der Gewissenhafte des Geistes und der hässlichste Mensch: sie lagen +Alle gleich Kindern und gläubigen alten Weibchen auf den Knien und beteten den +Esel an. Und eben begann der hässlichste Mensch zu gurgeln und zu schnauben, +wie als ob etwas Unaussprechliches aus ihm heraus wolle; als er es aber +wirklich bis zu Worten gebracht hatte, siehe, da war es eine fromme seltsame +Litanei zur Lobpreisung des angebeteten und angeräucherten Esels. Diese Litanei +aber klang also: +</p> + +<p> +Amen! Und Lob und Ehre und Weisheit und Dank und Preis und Stärke sei unserm +Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit! +</p> + +<p> +—Der Esel aber schrie dazu I-A. +</p> + +<p> +Er trägt unsre Last, er nahm Knechtsgestalt an, er ist geduldsam von Herzen und +redet niemals Nein; und wer seinen Gott liebt, der züchtigt ihn. +</p> + +<p> +—Der Esel aber schrie dazu I-A. +</p> + +<p> +Er redet nicht: es sei denn, dass er zur Welt, die er Schuf, immer Ja sagt: +also preist er seine Welt. Seine Schlauheit ist es, die nicht redet: so bekommt +er selten Unrecht. +</p> + +<p> +—Der Esel aber schrie dazu I-A. +</p> + +<p> +Unscheinbar geht er durch die Welt. Grau ist die Leib-Farbe, in welche er seine +Tugend hüllt. Hat er Geist, so verbirgt er ihn; Jedermann aber glaubt an seine +langen Ohren. +</p> + +<p> +—Der Esel aber schrie dazu I-A. +</p> + +<p> +Welche verborgene Weisheit ist das, dass er lange Ohren trägt und allein ja und +nimmer Nein sagt! Hat er nicht die Welt erschaffen nach seinem Bilde, nämlich +so dumm als möglich? +</p> + +<p> +—Der Esel aber schrie dazu I-A. +</p> + +<p> +Du gehst gerade und krumme Wege; es kümmert dich wenig, was uns Menschen gerade +oder krumm dünkt. Jenseits von Gut und Böse ist dein Reich. Es ist deine +Unschuld, nicht zu wissen, was Unschuld ist. +</p> + +<p> +—Der Esel aber schrie dazu I-A. +</p> + +<p> +Siehe doch, wie du Niemanden von dir stössest, die Bettler nicht, noch die +Könige. Die Kindlein lässest du zu dir kommen, und wenn dich die bösen Buben +locken, so sprichst du einfältiglich I-A. +</p> + +<p> +—Der Esel aber schrie dazu I-A. +</p> + +<p> +Du liebst Eselinnen und frische Feigen, du bist kein Kostverächter. Eine Distel +kitzelt dir das Herz, wenn du gerade Hunger hast. Darin liegt eines Gottes +Weisheit. +</p> + +<p> +—Der Esel aber schrie dazu I-A. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap80"></a>Das Eselsfest</h3> + +<h4>1.</h4> + +<p> +An dieser Stelle der Litanei aber konnte Zarathustra sich nicht länger +bemeistern, schrie selber I-A, lauter noch als der Esel, und sprang mitten +unter seine tollgewordenen Gäste. +</p> + +<p> +„Aber was treibt ihr da, ihr Menschenkinder? rief er, indem er die Betenden vom +Boden empor riss. Wehe, wenn euch Jemand Anderes zusähe als Zarathustra: +</p> + +<p> +Jeder würde urtheilen, ihr wäret mit eurem neuen Glauben die ärgsten +Gotteslästerer oder die thörichtsten aller alten Weiblein! +</p> + +<p> +Und du selber, du alter Papst, wie stimmt Das mit dir selber zusammen, dass du +solchergestalt einen Esel hier als Gott anbetest?“— +</p> + +<p> +„Oh Zarathustra, antwortete der Papst, vergieb mir, aber in Dingen Gottes bin +ich aufgeklärter noch als du. Und so ist’s billig. +</p> + +<p> +Lieber Gott also anbeten, in dieser Gestalt, als in gar keiner Gestalt! Denke +über diesen Spruch nach, mein hoher Freund: du erräthst geschwind, in solchem +Spruch steckt Weisheit. +</p> + +<p> +Der, welcher sprach „Gott ist ein Geist“—der machte bisher +auf Erden den grössten Schritt und Sprung zum Unglauben: solch Wort ist auf +Erden nicht leicht wieder gut zu machen! +</p> + +<p> +Mein altes Herz springt und hüpft darob, dass es auf Erden noch Etwas anzubeten +giebt. Vergieb das, oh Zarathustra, einem alten frommen Papst-Herzen!—„ +</p> + +<p> +—„Und du, sagte Zarathustra zu dem Wanderer und Schatten, du nennst und +wähnst dich einen freien Geist? Und treibst hier solchen Götzen- und +Pfaffendienst? +</p> + +<p> +Schlimmer, wahrlich, treibst du’s hier noch als bei deinen schlimmen +braunen Mädchen, du schlimmer neuer Gläubiger!“ +</p> + +<p> +„Schlimm genug, antwortete der Wanderer und Schatten, du hast Recht: aber was +kann ich dafür! Der alte Gott lebt wieder, Oh Zarathustra, du magst reden, was +du willst. +</p> + +<p> +Der hässlichste Mensch ist an Allem schuld: der hat ihn wieder auferweckt. Und +wenn er sagt, dass er ihn einst getödtet habe: <i>Tod</i> ist bei Göttern immer +nur ein Vorurtheil.“ +</p> + +<p> +—Und du, sprach Zarathustra, du schlimmer alter Zauberer, was thatest du! +Wer soll, in dieser freien Zeit, fürderhin an dich glauben, wenn <i>du</i> an +solche Götter-Eseleien glaubst? +</p> + +<p> +Es war eine Dummheit, was du thatest; wie konntest du, du Kluger, eine solche +Dummheit thun! +</p> + +<p> +„Oh Zarathustra, antwortete der kluge Zauberer, du hast Recht, es war eine +Dummheit,—es ist mir auch schwer genug geworden.“ +</p> + +<p> +—„Und du gar, sagte Zarathustra, zu dem Gewissenhaften des Geistes, +erwäge doch und lege den Finger an deine Nase! Geht hier denn Nichts wider dein +Gewissen? Ist dein Geist nicht zu reinlich für diess Beten und den Dunst dieser +Betbrüder?“ +</p> + +<p> +„Es ist Etwas daran, antwortete der Gewissenhafte und legte den Finger an die +Nase, es ist Etwas an diesem Schauspiele, das meinem Gewissen sogar wohlthut. +</p> + +<p> +Vielleicht, dass ich an Gott nicht glauben darf: gewiss aber ist, dass Gott mir +in dieser Gestalt noch am glaubwürdigsten dünkt. +</p> + +<p> +Gott soll ewig sein, nach dem Zeugnisse der Frömmsten: wer so viel Zeit hat, +lässt sich Zeit. So langsam und so dumm als möglich: <i>damit</i> kann ein +Solcher es doch sehr weit bringen. +</p> + +<p> +Und wer des Geistes zu viel hat, der möchte sich wohl in die Dumm- und Narrheit +selber vernarren. Denke über dich selber nach, oh Zarathustra! +</p> + +<p> +Du selber—wahrlich! auch du könntest wohl aus Überfluss und Weisheit zu +einem Esel werden. +</p> + +<p> +Geht nicht ein vollkommner Weiser gern auf den krümmsten Wegen? Der Augenschein +lehrt es, oh Zarathustra,—<i>dein</i> Augenschein!“ +</p> + +<p> +—„Und du selber zuletzt, sprach Zarathustra und wandte sich gegen den +hässlichsten Menschen, der immer noch auf dem Boden lag, den Arm zu dem Esel +emporhebend (er gab ihm nämlich Wein zu trinken). Sprich, du Unaussprechlicher, +was hast du da gemacht! +</p> + +<p> +Du dünkst mich verwandelt, dein Auge glüht, der Mantel des Erhabenen liegt um +deine Hässlichkeit: <i>was</i> thatest du? +</p> + +<p> +Ist es denn wahr, was jene sagen, dass du ihn wieder auferwecktest? Und wozu? +War er nicht mit Grund abgetödtet und abgethan? +</p> + +<p> +Du selber dünkst mich aufgeweckt: was thatest du? was kehrtest <i>du</i> um? +Was bekehrtest <i>du</i> dich? Sprich, du Unaussprechlicher?“ +</p> + +<p> +„Oh Zarathustra, antwortete der hässlichste Mensch, du bist ein Schelm! +</p> + +<p> +Ob <i>Der</i> noch lebt oder wieder lebt oder gründlich todt ist,—wer von +uns Beiden weiss Das am Besten? Ich frage dich. +</p> + +<p> +Eins aber weiss ich,—von dir selber lernte ich’s einst, oh +Zarathustra: wer am gründlichsten tödten will, der <i>lacht</i>. +</p> + +<p> +„Nicht durch Zorn, sondern durch Lachen tödtet man“—so +sprachst du einst. Oh Zarathustra, du Verborgener, du Vernichter ohne Zorn, du +gefährlicher Heiliger, - du bist ein Schelm!“ +</p> + +<h4>2.</h4> + +<p> +Da aber geschah es, dass Zarathustra, verwundert über lauter solche +Schelmen-Antworten, zur Thür seiner Höhle zurück sprang und, gegen alle seine +Gäste gewendet, mit starker Stimme schrie: +</p> + +<p> +„Oh ihr Schalks-Narren allesammt, ihr Possenreisser! Was verstellt und +versteckt ihr euch vor mir! +</p> + +<p> +Wie doch einem jeden von euch das Herz zappelte vor Lust und Bosheit, darob, +dass ihr endlich einmal wieder wurdet wie die Kindlein, nämlich fromm,— +</p> + +<p> +—dass ihr endlich wieder thatet wie Kinder thun, nämlich betetet, +hände-faltetet und „lieber Gott“ sagtet! +</p> + +<p> +Aber nun lasst mir <i>diese</i> Kinderstube, meine eigne Höhle, wo heute alle +Kinderei zu Hause ist. Kühlt hier draussen euren heissen Kinder-Übermuth und +Herzenslärm ab! +</p> + +<p> +Freilich: so ihr nicht werdet wie die Kindlein, so kommt ihr nicht in +<i>das</i> Himmelreich. (Und Zarathustra zeigte mit den Händen nach Oben.) +</p> + +<p> +Aber wir wollen auch gar nicht in’s Himmelreich: Männer sind wir +worden,—so wollen wir das Erdenreich.“ +</p> + +<h4>3.</h4> + +<p> +Und noch einmal hob Zarathustra an zu reden. „Oh meine neuen Freunde, sprach +er,—ihr Wunderlichen, ihr höheren Menschen, wie gut gefallt ihr mir +nun,— +</p> + +<p> +—seit ihr wieder fröhlich wurdet! Ihr seid wahrlich Alle aufgeblüht: mich +dünkt, solchen Blumen, wie ihr seid, thun <i>neue Feste</i> noth, +</p> + +<p> +—ein kleiner tapferer Unsinn, irgend ein Gottesdienst und Eselsfest, +irgend ein alter fröhlicher Zarathustra-Narr, ein Brausewind, der euch die +Seelen hell bläst. +</p> + +<p> +Vergesst die Nacht und diess Eselsfest nicht, ihr höheren Menschen! <i>Das</i> +erfandet ihr bei mir, Das nehme ich als gutes Wahrzeichen,—Solcherlei +erfinden nur Genesende! +</p> + +<p> +Und feiert ihr es abermals, dieses Eselsfest, thut’s euch zu Liebe, +thut’s auch mir zu Liebe! Und zu <i>meinem</i> Gedächtniss!“ +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap81"></a>Das Nachtwandler-Lied</h3> + +<h4>1.</h4> + +<p> +Inzwischen aber war Einer nach dem Andern hinaus getreten, in’s Freie und +in die kühle nachdenkliche Nacht; Zarathustra selber aber führte den +hässlichsten Menschen an der Hand, dass er ihm seine Nacht-Welt und den grossen +runden Mond und die silbernen Wasserstürze bei seiner Höhle zeige. Da standen +sie endlich still bei einander, lauter alte Leute, aber mit einem getrösteten +tapferen Herzen und verwundert bei sich, dass es ihnen auf Erden so wohl war; +die Heimlichkeit der Nacht aber kam ihnen näher und näher an’s Herz. Und +von Neuem dachte Zarathustra bei sich: „oh wie gut sie mir nun gefallen, diese +höheren Menschen!“—aber er sprach es nicht aus, denn er ehrte ihr Glück +und ihr Stillschweigen.— +</p> + +<p> +Da aber geschah Das, was an jenem erstaunlichen langen Tage das Erstaunlichste +war: der hässlichste Mensch begann noch ein Mal und zum letzten Mal zu gurgeln +und zu schnauben, und als er es bis zu Worten gebracht hatte, siehe, da sprang +eine Frage rund und reinlich aus seinem Munde, eine gute tiefe klare Frage, +welche Allen, die ihm zuhörten, das Herz im Leibe bewegte. +</p> + +<p> +„Meine Freunde insgesammt, sprach der hässlichste Mensch, was dünket euch? Um +dieses Tags Willen—<i>ich</i> bin’s zum ersten Male zufrieden, dass +ich das ganze Leben lebte. +</p> + +<p> +Und dass ich so viel bezeuge, ist mir noch nicht genug. Es lohnt sich auf der +Erde zu leben: Ein Tag, Ein Fest mit Zarathustra lehrte mich die Erde lieben. +</p> + +<p> +„War <i>Das</i>—das Leben?“ will ich zum Tode sprechen. +„Wohlan! Noch Ein Mal!“ +</p> + +<p> +Meine Freunde, was dünket euch? Wollt ihr nicht gleich mir zum Tode sprechen: +War Das—das Leben? Um Zarathustra’s Willen, wohlan! Noch Ein +Mal!“— +</p> + +<p> +Also sprach der hässlichste Mensch; es war aber nicht lange vor Mitternacht. +Und was glaubt ihr wohl, dass damals sich zutrug? Sobald die höheren Menschen +seine Frage hörten, wurden sie sich mit Einem Male ihrer Verwandlung und +Genesung bewusst, und wer ihnen dieselbe gegeben habe: da sprangen sie auf +Zarathustra zu, dankend, verehrend, liebkosend, ihm die Hände küssend, so wie +es der Art eines Jeden eigen war: also dass Einige lachten, Einige weinten. Der +alte Wahrsager aber tanzte vor Vergnügen; und wenn er auch, wie manche Erzähler +meinen, damals voll süssen Weines war, so war er gewisslich noch voller des +süssen Lebens und hatte aller Müdigkeit abgesagt. Es giebt sogar Solche, die +erzählen, dass damals der Esel getanzt habe: nicht umsonst nämlich habe ihm der +hässlichste Mensch vorher Wein zu trinken gegeben. Diess mag sich nun so +verhalten oder auch anders; und wenn in Wahrheit an jenem Abende der Esel nicht +getanzt hat, so geschahen doch damals grössere und seltsamere Wunderdinge als +es das Tanzen eines Esels wäre. Kurz, wie das Sprichwort Zarathustra’s +lautet: „was liegt daran!“ +</p> + +<h4>2.</h4> + +<p> +Zarathustra aber, als sich diess mit dem hässlichsten Menschen zutrug, stand +da, wie ein Trunkener: sein Blick erlosch, seine Zunge lallte, seine Füsse +schwankten. Und wer möchte auch errathen, welche Gedanken dabei über +Zarathustra’s Seele liefen? Ersichtlich aber wich sein Geist zurück und +floh voraus und war in weiten Fernen und gleichsam „auf hohem Joche, wie +geschrieben steht, zwischen zwei Meeren, +</p> + +<p> +—zwischen Vergangenem und Zukünftigem als schwere Wolke wandelnd.“ +Allgemach aber, während ihn die höheren Menschen in den Armen hielten, kam er +ein Wenig zu sich selber zurück und wehrte mit den Händen dem Gedränge der +Verehrenden und Besorgten; doch sprach er nicht. Mit Einem Male aber wandte er +schnell den Kopf, denn er schien Etwas zu hören: da legte er den Finger an den +Mund und sprach: „Kommt!“ +</p> + +<p> +Und alsbald wurde es rings still und heimlich; aus der Tiefe aber kam langsam +der Klang einer Glocke herauf. Zarathustra horchte darnach, gleich den höheren +Menschen; dann aber legte er zum andern Male den Finger an den Mund und sprach +wiederum: „Kommt! Kommt! Es geht gen Mitternacht!“—und seine Stimme hatte +sich verwandelt. Aber immer noch rührte er sich nicht von der Stelle: da wurde +es noch stiller und heimlicher, und Alles horchte, auch der Esel, und +Zarathustra’s Ehrenthiere, der Adler und die Schlange, insgleichen die +Höhle Zarathustra’s und der grosse kühle Mond und die Nacht selber. +Zarathustra aber legte zum dritten Male die Hand an den Mund und sprach: +</p> + +<p> +Kommt! Kommt! Kommt! Lasst uns jetzo wandeln! Es ist die Stunde: lasst uns in +die Nacht wandeln! +</p> + +<h4>3.</h4> + +<p> +Ihr höheren Menschen, es geht gen Mitternacht: da will ich euch Etwas in die +Ohren sagen, wie jene alte Glocke es mir in’s Ohr sagt,— +</p> + +<p> +—so heimlich, so schrecklich, so herzlich, wie jene Mitternachts-Glocke +zu mir es redet, die mehr erlebt hat als Ein Mensch: +</p> + +<p> +—welche schon eurer Väter Herzens-Schmerzens-Schläge abzählte—ach! +ach! wie sie seufzt! wie sie im Traume lacht! die alte tiefe tiefe Mitternacht! +</p> + +<p> +Still! Still! Da hört sich Manches, das am Tage nicht laut werden darf; nun +aber, bei kühler Luft, da auch aller Lärm eurer Herzen stille ward,— +</p> + +<p> +—nun redet es, nun hört es sich, nun schleicht es sich in nächtliche +überwache Seelen: ach! ach! wie sie seufzt! wie sie im Traume lacht! +</p> + +<p> +—hörst du’s nicht, wie sie heimlich, schrecklich, herzlich zu +<i>dir</i> redet, die alte tiefe tiefe Mitternacht? Oh Mensch, gieb Acht! +</p> + +<h4>4.</h4> + +<p> +Wehe mir! Wo ist die Zeit hin? Sank ich nicht in tiefe Brunnen? Die Welt +schläft— +</p> + +<p> +Ach! Ach! Der Hund heult, der Mond scheint. Lieber will ich sterben, sterben, +als euch sagen, was mein Mitternachts-Herz eben denkt. +</p> + +<p> +Nun starb ich schon. Es ist dahin. Spinne, was spinnst du um mich? Willst du +Blut? Ach! Ach! der Thau fällt, die Stunde kommt— +</p> + +<p> +—die Stunde, wo mich fröstelt und friert, die fragt und fragt und fragt: +„wer hat Herz genug dazu? +</p> + +<p> +—wer soll der Erde Herr sein? Wer will sagen: <i>so</i> sollt ihr laufen, +ihr grossen und kleinen Ströme!“ +</p> + +<p> +—die Stunde naht: oh Mensch, du höherer Mensch, gieb Acht! diese Rede ist +für feine Ohren, für deine Ohren was spricht die tiefe Mitternacht? +</p> + +<h4>5.</h4> + +<p> +Es trägt mich dahin, meine Seele tanzt. Tagewerk! Tagewerk! Wer soll der Erde +Herr sein? +</p> + +<p> +Der Mond ist kühl, der Wind schweigt. Ach! Ach! Flogt ihr schon hoch genug? Ihr +tanztet: aber ein Bein ist doch kein Flügel. +</p> + +<p> +Ihr guten Tänzer, nun ist alle Lust vorbei, Wein ward Hefe, jeder Becher ward +mürbe, die Gräber stammeln. +</p> + +<p> +Ihr flogt nicht hoch genug: nun stammeln die Gräber „erlöst doch die Todten! +Warum ist so lange Nacht? Macht uns nicht der Mond trunken?“ +</p> + +<p> +Ihr höheren Menschen, erlöst doch die Gräber, weckt die Leichname auf! Ach, was +gräbt noch der Wurm? Es naht, es naht die Stunde,— +</p> + +<p> +—es brummt die Glocke, es schnarrt noch das Herz, es gräbt noch der +Holzwurm, der Herzenswurm. Ach! Ach! Die Welt ist tief! +</p> + +<h4>6.</h4> + +<p> +Süsse Leier! Süsse Leier! Ich liebe deinen Ton, deinen trunkenen +Unken-Ton!—wie lang her, wie fern her kommt mir dein Ton, weit her, von +den Teichen der Liebe! +</p> + +<p> +Du alte Glocke, du süsse Leier! Jeder Schmerz riss dir in’s Herz, +Vaterschmerz, Väterschmerz, Urväterschmerz, deine Rede wurde reif,- +</p> + +<p> +—reif gleich goldenem Herbste und Nachmittage, gleich meinem +Einsiedlerherzen - nun redest du: die Welt selber ward reif, die Traube bräunt, +</p> + +<p> +—nun will sie sterben, vor Glück sterben. Ihr höheren Menschen, riecht +ihr’s nicht? Es quillt heimlich ein Geruch herauf, +</p> + +<p> +—ein Duft und Geruch der Ewigkeit, ein rosenseliger, brauner +Gold-Wein-Geruch von altem Glücke, +</p> + +<p> +von trunkenem Mitternachts-Sterbeglücke, welches singt: die Welt ist tief und +tiefer als der Tag gedacht! +</p> + +<h4>7.</h4> + +<p> +Lass mich! Lass mich! Ich bin zu rein für dich. Rühre mich nicht an! Ward meine +Welt nicht eben vollkommen? +</p> + +<p> +Meine Haut ist zu rein für deine Hände. Lass mich, du dummer tölpischer dumpfer +Tag! Ist die Mitternacht nicht heller? +</p> + +<p> +Die Reinsten sollen der Erde Herrn sein, die Unerkanntesten, Stärksten, die +Mitternachts-Seelen, die heller und tiefer sind als jeder Tag. +</p> + +<p> +Oh Tag, du tappst nach mir? Du tastest nach meinem Glücke? Ich bin dir reich, +einsam, eine Schatzgrube, eine Goldkammer? +</p> + +<p> +Oh Welt, du willst <i>mich</i>? Bin ich dir weltlich? Bin ich dir geistlich? +Bin ich dir göttlich? Aber Tag und Welt, ihr seid zu plump,— +</p> + +<p> +—habt klügere Hände, greift nach tieferem Glücke, nach tieferem Unglücke, +greift nach irgend einem Gotte, greift nicht nach mir: +</p> + +<p> +—mein Unglück, mein Glück ist tief, du wunderlicher Tag, aber doch bin +ich kein Gott, keine Gottes-Hölle: tief ist ihr Weh. +</p> + +<h4>8.</h4> + +<p> +Gottes Weh ist tiefer, du wunderliche Welt! Greife nach Gottes Weh, nicht nach +mir! Was bin ich! Eine trunkene süsse Leier,— +</p> + +<p> +eine Mitternachts-Leier, eine Glocken-Unke, die Niemand versteht, aber welche +reden <i>muss</i>, vor Tauben, ihr höheren Menschen! Denn ihr versteht mich +nicht! +</p> + +<p> +Dahin! Dahin! Oh Jugend! Oh Mittag! Oh Nachmittag! Nun kam Abend und Nacht und +Mitternacht,—der Hund heult, der Wind: +</p> + +<p> +—ist der Wind nicht ein Hund? Er winselt, er kläfft, er heult. Ach! Ach! +wie sie seufzt! wie sie lacht, wie sie röchelt und keucht, die Mitternacht! +</p> + +<p> +Wie sie eben nüchtern spricht, diese trunkene Dichterin! sie übertrat wohl ihre +Trunkenheit? sie wurde überwach? sie käut zurück? +</p> + +<p> +—ihr Weh käut sie zurück, im Traume, die alte tiefe Mitternacht, und mehr +noch ihre Lust. Lust nämlich, wenn schon Weh tief ist: Lust ist tiefer noch als +Herzeleid. +</p> + +<h4>8.</h4> + +<p> +Du Weinstock! Was preisest du mich? Ich schnitt dich doch! Ich bin grausam, du +blutest—: was will dein Lob meiner trunkenen Grausamkeit? +</p> + +<p> +„Was vollkommen ward, alles Reife—will sterben!“ so redest du. Gesegnet, +gesegnet sei das Winzermesser! Aber alles Unreife will leben: wehe! +</p> + +<p> +Weh spricht: „Vergeh! Weg, du Wehe!“ Aber Alles, was leidet, will leben, dass +es reif werde und lustig und sehnsüchtig, +</p> + +<p> +—sehnsüchtig nach Fernerem, Höherem, Hellerem. „Ich will Erben, so +spricht Alles, was leidet, ich will Kinder, ich will nicht <i>mich</i>,“— +</p> + +<p> +Lust aber will nicht Erben, nicht Kinder,—Lust will sich selber, will +Ewigkeit, will Wiederkunft, will Alles-sich-ewig-gleich. +</p> + +<p> +Weh spricht: „Brich, blute, Herz! Wandle, Bein! Flügel, flieg! Hinan! Hinauf! +Schmerz!“ Wohlan! Wohlauf! Oh mein altes Herz: Weh spricht: „vergeh!“ +</p> + +<h4>10.</h4> + +<p> +Ihr höheren Menschen, was dünket euch? Bin ich ein Wahrsager? Ein Träumender? +Trunkener? Ein Traumdeuter? Eine Mitternachts-Glocke? +</p> + +<p> +Ein Tropfen Thau’s? Ein Dunst und Duft der Ewigkeit? Hört ihr’s +nicht? Riecht ihr’s nicht? Eben ward meine Welt vollkommen, Mitternacht +ist auch Mittag,— +</p> + +<p> +Schmerz ist auch eine Lust, Fluch ist auch ein Segen, Nacht ist auch eine +Sonne,—geht davon oder ihr lernt: ein Weiser ist auch ein Narr. +</p> + +<p> +Sagtet ihr jemals ja zu Einer Lust? Oh, meine Freunde, so sagtet ihr Ja auch zu +<i>allem</i> Wehe. Alle Dinge sind verkettet, verfädelt, verliebt,— +</p> + +<p> +—wolltet ihr jemals Ein Mal Zwei Mal, spracht ihr jemals „du gefällst +mir, Glück! Husch! Augenblick!“ so wolltet ihr <i>Alles</i> zurück! +</p> + +<p> +—Alles von neuem, Alles ewig, Alles verkettet, verfädelt, verliebt, oh so +<i>liebtet</i> ihr die Welt,— +</p> + +<p> +—ihr Ewigen, liebt sie ewig und allezeit: und auch zum Weh sprecht ihr: +vergeh, aber komm zurück! Denn alle Lust will—Ewigkeit! +</p> + +<h4>11.</h4> + +<p> +Alle Lust will aller Dinge Ewigkeit, will Honig, will Hefe, will trunkene +Mitternacht, will Gräber, will Gräber-Thränen-Trost, will vergüldetes Abendroth +- +</p> + +<p> +—<i>was</i> will nicht Lust! sie ist durstiger, herzlicher, hungriger, +schrecklicher, heimlicher als alles Weh, sie will <i>sich</i>, sie beisst in +<i>sich</i>, des Ringes Wille ringt in ihr,— +</p> + +<p> +—sie will Liebe, sie will Hass, sie ist überreich, schenkt, wirft weg, +bettelt, dass Einer sie nimmt, dankt dem Nehmenden, sie möchte gern gehasst +sein,— +</p> + +<p> +—so reich ist Lust, dass sie nach Wehe durstet, nach Hölle, nach Hass, +nach Schmach, nach dem Krüppel, nach <i>Welt</i>,—denn diese Welt, oh ihr +kennt sie ja! +</p> + +<p> +Ihr höheren Menschen, nach euch sehnt sie sich, die Lust, die unbändige, +selige,—nach eurem Weh, ihr Missrathenen! Nach Missrathenem sehnt sich +alle ewige Lust. +</p> + +<p> +Denn alle Lust will sich selber, drum will sie auch Herzeleid! Oh Glück, oh +Schmerz! Oh brich, Herz! Ihr höheren Menschen, lernt es doch, Lust will +Ewigkeit, +</p> + +<p> +—Lust will <i>aller</i> Dinge Ewigkeit, will tiefe, tiefe Ewigkeit! +</p> + +<h4>12.</h4> + +<p> +Lerntet ihr nun mein Lied? Erriethet ihr, was es will? Wohlan! Wohlauf! Ihr +höheren Menschen, so singt mir nun meinen Rundgesang! +</p> + +<p> +Singt mir nun selber das Lied, dess Name ist „Noch ein Mal“, dess Sinn ist „in +alle Ewigkeit!“, singt, ihr höheren Menschen, Zarathustra’s Rundgesang! +</p> + +<p class="noindent"> +Oh Mensch! Gieb Acht!<br/> +Was spricht die tiefe Mitternacht?<br/> +„Ich schlief, ich schlief—,<br/> +Aus tiefem Traum bin ich erwacht:—<br/> +Die Welt ist tief,<br/> +Und tiefer als der Tag gedacht.<br/> +Tief ist ihr Weh—,<br/> +Lust—tiefer noch als Herzeleid:<br/> +Weh spricht: Vergeh!<br/> +Doch alle Lust will Ewigkeit<br/> +will tiefe, tiefe Ewigkeit!“ +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h3><a name="chap82"></a>Das Zeichen</h3> + +<p> +Des Morgens aber nach dieser Nacht sprang Zarathustra von seinem Lager auf, +gürtete sich die Lenden und kam heraus aus seiner Höhle, glühend und stark, wie +eine Morgensonne, die aus dunklen Bergen kommt. +</p> + +<p> +„Du grosses Gestirn, sprach er, wie er einstmal gesprochen hatte, du tiefes +Glücks-Auge, was wäre all dein Glück, wenn du nicht <i>Die</i> hättest, welchen +du leuchtest! +</p> + +<p> +Und wenn sie in ihren Kammern blieben, während du schon wach bist und kommst +und schenkst und austheilst: wie würde darob deine stolze Scham zürnen! +</p> + +<p> +Wohlan! sie schlafen noch, diese höheren Menschen, während <i>ich</i> wach bin: +<i>das</i> sind nicht meine rechten Gefährten! Nicht auf sie warte ich hier in +meinen Bergen. +</p> + +<p> +Zu meinem Werke will ich, zu meinem Tage: aber sie verstehen nicht, was die +Zeichen meines Morgens sind, mein Schritt—ist für sie kein Weckruf. +</p> + +<p> +Sie schlafen noch in meiner Höhle, ihr Traum käut noch an meinen Mitternächten. +Das Ohr, das nach <i>mir</i> horcht,—das <i>gehorchende</i> Ohr fehlt in +ihren Gliedern.“ +</p> + +<p> +—Diess hatte Zarathustra zu seinem Herzen gesprochen, als die Sonne +aufgieng: da blickte er fragend in die Höhe, denn er hörte über sich den +scharfen Ruf seines Adlers. „Wohlan! rief er hinauf, so gefällt und gebührt es +mir. Meine Thiere sind wach, denn ich bin wach. +</p> + +<p> +Mein Adler ist wach und ehrt gleich mir die Sonne. Mit Adlers-Klauen greift er +nach dem neuen Lichte. Ihr seid meine rechten Thiere; ich liebe euch. +</p> + +<p> +Aber noch fehlen mir meine rechten Menschen!“— +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra; da aber geschah es, dass er sich plötzlich wie von +unzähligen Vögeln umschwärmt und umflattert hörte,—das Geschwirr so +vieler Flügel aber und das Gedräng um sein Haupt war so gross, dass er die +Augen schloss. Und wahrlich, einer Wolke gleich fiel es über ihn her, einer +Wolke von Pfeilen gleich, welche sich über einen neuen Feind ausschüttet. Aber +siehe, hier war es eine Wolke der Liebe, und über einen neuen Freund. +</p> + +<p> +„Was geschieht mir?“ dachte Zarathustra in seinem erstaunten Herzen und liess +sich langsam auf dem grossen Steine nieder, der neben dem Ausgange seiner Höhle +lag. Aber, indem er mit den Händen um sich und über sich und unter sich griff, +und den zärtlichen Vögeln wehrte, siehe, da geschah ihm etwas noch Seltsameres: +er griff nämlich dabei unvermerkt in ein dichtes warmes Haar-Gezottel hinein; +zugleich aber erscholl vor ihm ein Gebrüll,—ein sanftes langes +Löwen-Brüllen. +</p> + +<p> +„Das Zeichen kommt,“ sprach Zarathustra und sein Herz verwandelte sich. Und in +Wahrheit, als es helle vor ihm wurde, da lag ihm ein gelbes mächtiges Gethier +zu Füssen und schmiegte das Haupt an seine Knie und wollte nicht von ihm lassen +vor Liebe und that einem Hunde gleich, welcher seinen alten Herrn wiederfindet. +Die Tauben aber waren mit ihrer Liebe nicht minder eifrig als der Löwe; und +jedes Mal, wenn eine Taube über die Nase des Löwen huschte, schüttelte der Löwe +das Haupt und wunderte sich und lachte dazu. +</p> + +<p> +Zu dem Allen sprach Zarathustra nur Ein Wort: „meine Kinder sind nahe, meine +Kinder“—, dann wurde er ganz stumm. Sein Herz aber war gelöst, und aus +seinen Augen tropften Thränen herab und fielen auf seine Hände. Und er achtete +keines Dings mehr und sass da, unbeweglich und ohne dass er sich noch gegen die +Thiere wehrte. Da flogen die Tauben ab und zu und setzten sich ihm auf die +Schulter und liebkosten sein weisses Haar und wurden nicht müde mit +Zärtlichkeit und Frohlocken. Der starke Löwe aber leckte immer die Thränen, +welche auf die Hände Zarathustra’s herabfielen und brüllte und brummte +schüchtern dazu. Also trieben es diese Thiere.— +</p> + +<p> +Diess Alles dauerte eine lange Zeit, oder eine kurze Zeit: denn, recht +gesprochen, giebt es für dergleichen Dinge auf Erden <i>keine</i> Zeit—. +Inzwischen aber waren die höheren Menschen in der Höhle Zarathustra’s +wach geworden und ordneten sich mit einander zu einem Zuge an, dass sie +Zarathustra entgegen giengen und ihm den Morgengruss böten: denn sie hatten +gefunden, als sie erwachten, dass er schon nicht mehr unter ihnen weilte. Als +sie aber zur Thür der Höhle gelangten, und das Geräusch ihrer Schritte ihnen +voranlief, da stutzte der Löwe gewaltig, kehrte sich mit Einem Male von +Zarathustra ab und sprang, wild brüllend, auf die Höhle los; die höheren +Menschen aber, als sie ihn brüllen hörten, schrien alle auf, wie mit Einem +Munde, und flohen zurück und waren im Nu verschwunden. +</p> + +<p> +Zarathustra selber aber, betäubt und fremd, erhob sich von seinem Sitze, sah um +sich, stand staunend da, fragte sein Herz, besann sich und war allein. „Was +hörte ich doch? sprach er endlich langsam, was geschah mir eben?“ +</p> + +<p> +Und schon kam ihm die Erinnerung, und er begriff mit Einem Blicke Alles, was +zwischen Gestern und Heute sich begeben hatte. „Hier ist ja der Stein, sprach +er und strich sich den Bart, auf <i>dem</i> sass ich gestern am Morgen; und +hier trat der Wahrsager zu mir, und hier hörte ich zuerst den Schrei, den ich +eben hörte, den grossen Nothschrei. +</p> + +<p> +Oh ihr höheren Menschen, von <i>eurer</i> Noth war’s ja, dass gestern am +Morgen jener alte Wahrsager mir wahrsagte,— +</p> + +<p> +—zu eurer Noth wollte er mich verfuhren und versuchen: oh Zarathustra, +sprach er zu mir, ich komme, dass ich dich zu deiner letzten Sünde verführe. +</p> + +<p> +Zu meiner letzten Sünde? rief Zarathustra und lachte zornig über sein eigenes +Wort: <i>was</i> blieb mir doch aufgespart als meine letzte Sünde?“ +</p> + +<p> +—Und noch ein Mal versank Zarathustra in sich und setzte sich wieder auf +den grossen Stein nieder und sann nach. Plötzlich sprang er empor,— +</p> + +<p> +„Mitleiden! Das Mitleiden mit dem höheren Menschen! schrie er auf, und sein +Antlitz verwandelte sich in Erz. Wohlan! <i>Das</i>—hatte seine Zeit! +</p> + +<p> +Mein Leid und mein Mitleiden—was liegt daran! Trachte ich denn nach +<i>Glücke</i>? Ich trachte nach meinem <i>Werke</i>! +</p> + +<p> +Wohlan! Der Löwe kam, meine Kinder sind nahe, Zarathustra ward reif, meine +Stunde kam:— +</p> + +<p> +Dies ist <i>mein</i> Morgen, <i>mein</i> Tag hebt an: herauf nun, herauf, du +grosser Mittag!“— +</p> + +<p> +Also sprach Zarathustra und verliess seine Höhle, glühend und stark, wie eine +Morgensonne, die aus dunklen Bergen kommt. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div style='display:block; margin-top:4em'>*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK ALSO SPRACH ZARATHUSTRA ***</div> +<div style='text-align:left'> + +<div style='display:block; margin:1em 0'> +Updated editions will replace the previous one—the old editions will +be renamed. +</div> + +<div style='display:block; margin:1em 0'> +Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright +law means that no one owns a United States copyright in these works, +so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United +States without permission and without paying copyright +royalties. 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Contributions to the Project Gutenberg Literary +Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by +U.S. federal laws and your state’s laws. +</div> + +<div style='display:block; margin:1em 0'> +The Foundation’s business office is located at 809 North 1500 West, +Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up +to date contact information can be found at the Foundation’s website +and official page at www.gutenberg.org/contact +</div> + +<div style='display:block; font-size:1.1em; margin:1em 0; font-weight:bold'> +Section 4. 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Thus, we do not +necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper +edition. +</div> + +<div style='display:block; margin:1em 0'> +Most people start at our website which has the main PG search +facility: <a href="https://www.gutenberg.org">www.gutenberg.org</a>. +</div> + +<div style='display:block; margin:1em 0'> +This website includes information about Project Gutenberg™, +including how to make donations to the Project Gutenberg Literary +Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to +subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks. +</div> + +</div> + +</body> + +</html> + + diff --git a/old/7205-h/images/cover.jpg b/old/7205-h/images/cover.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..bf41cc6 --- /dev/null +++ b/old/7205-h/images/cover.jpg diff --git a/old/7zara10.zip b/old/7zara10.zip Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..f61a6a7 --- /dev/null +++ b/old/7zara10.zip diff --git a/old/8zara10.zip b/old/8zara10.zip Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..d87750f --- /dev/null +++ b/old/8zara10.zip |
